Recht auf Remix

Die Idee zu Blackbox Urheberrecht II / Noch 19 Tage…

… Ich war im letzten Post dabei, zu erzählen, wie ich darauf kam „Blackbox Urheberrecht“ zu veröffentlichen. Hiermit will ich fortfahren, aber dann abbiegen und über ein verwandtes Problem nachdenken… Anfang 2012, als ich auf der Suche nach einem Thema für mein Buch war, brach in der Urheberrechtsdebatte die Zeit der großen Worte an:

„Netzgemeinde, ihr werdet den Kampf verlieren!“

Urteilte Ansgar Heveling im Januar 2012. Mit Blick auf #PRISM erscheint mir das fast schon prophetisch, auch wenn er es damals anders meinte …

Am 30. Januar 2012 machte der CDU Politiker Ansgar Heveling den Anfang indem er in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt die Netzgemeinde mit großen Geschützen angriff und für ein starkes Urheberrecht eintrat. Die Netzgemeinde schoss nicht weniger scharf zurück. Dann kam der Februar und die Lage beruhigte sich wieder, bis am 21. März ein Reporter vom BR Sven Regener leichtsinnigerweise zum Urheberrecht befragte, woraufhin der Autor von „Herr Lehmann“ explodierte und sich zu seiner mittlerweile schon fast zur sagenumwobenen Wutrede aufschwang:

Eine gute Woche später legten 51 Tatortautoren nach und schrieben einen offenen Brief an die Netzgemeinde. Der Verfasser, Tatort-Autor Pim Richter stellte sich mir für „Blackbox Urheberrecht“ im Interview. Und erklärte sehr aufschlussreich, unter anderem, wie es zu diesem offenen Brief kam und warum ausgerechnet die öffentlich-rechtlich finanzierten Tatort-Autoren ihn verfassten.

Das führt mich zum Titel dieses Blogposts zurück…

Everything is a remix

Ich weiß nicht, ob Kirby Ferguson den Spruch „Everything is a remix“ erfunden hat, er hat ihn aber auf alle Fälle mit seiner Doku-Serie berühmt gemacht. Ich glaube übrigens nicht daran, dass ALLES nur eine Kopie von zuvor schon dagewesenem ist, sondern glaube durchaus an Originalität. Das ist eine schwierige Debatte, die ich auch gerne noch einmal führen möchte, aber nicht heute. Denn Fakt ist, es gibt Remixe, sehr viele Remixe und sie können ganz wundervoll sein. Wenn vielleicht auch nicht alles ein Remix ist, so stehen wir Zwerge aber auf jeden Fall auf den Schultern von Riesen.

Allerdings gibt es ein Problem mit dem Remix, ein rechtliches Problem: Ohne die explizite Erlaubnis der Rechteinhaber darf ich nicht remixen. Der spektakulärste Fall, der die Grenzen des Rechts auf Remix gezeigt hat, war der Fall des „Grey Albums“ von Danger Mouse.

Brian Joseph Burton, alias DJ Danger Mouse mixte 2004 das White Album der Beatles mit dem Black Album von Jay-Z zusammen und schuf ein großartiges Mashup. Allein, er hatte vorher nicht die Rechte dafür eingeholt. EMI, die Plattenfirma der Beatles, ging daher gegen das Grey Album vor und Burton wurde gezwungen, den Vertrieb einzustellen. Als Protest dagegen, dass eine Plattenfirma ein grandioses Kunstwerk der Öffentlichkeit vorenthalten wollte, fand am 24. Februar 2004 der Grey Tuesday statt. 170 Webseiten färbten sich an diesem Tag grau ein und boten das Album zum Download an.

Nun kann man sicher streiten, ob die gefährliche Maus nicht die Genehmigung hätte einholen können, bevor er seinen Remix anfertigte. Aber der Fall ist vor allem eine Parabel für ein ganz grundlegendes Problem im Internet. Dienste wie YouTube und Tumblr basieren auf Remix. Das sehr populäre „When you live in Berlin„-Tumblr macht nichts anderes als bekannte animierte GIFs mit Überschriften zu versehen, die sie in einen Berlin-Kontext setzen und schafft so etwas neues. Die Referenz, die hergestellt wird ist manchmal so einleuchtend, dass erst durch die Kombination mit der Überschrift das GIF wirklich lustig wird.

Etwa hier:

„When you walk against the traffic on Warschauer Bruecke“

Soweit ich das sehe, wird das Tumblr von Josie Thaddeus-Johns privat betrieben. Sie scheint ferner keinen Cent damit zu verdienen, zumindest sehe ich keine Werbung oder sonstige Monetarisierungsversuche. Es ist jetzt vollkommen weltfremd, von Thaddeus-Johns zu erwarten, dass sie für jedes einzelne GIF die Rechte einholt und womöglich auch noch teuer bezahlt. Denn wie soll sie etwa herausfinden, wer die Rechte zu diesem GIF hält?

Mit dem Anspruch hier die Situation zu verbessern ist die Digitale Gesellschaft angetreten und hat die Kampagne „Recht auf Remix“ ins Leben gerufen. Ich finde die Kampagne sehr gut und wichtig und sie hat meine volle Unterstützung. Doch dann führte ich das oben erwähnte Interview mit Pim Richter und Herr Richter sagte dort folgendes:

„Das Urheberecht ist […] ein unveräußerliches Recht, zu dem auch gehört, dass ausschließlich ich, also der Urheber, über die Integrität meines Werkes bestimmen darf. Wenn also jemand mein Werk nimmt und es in gewissem Sinne verfremdet, etwa ein faschistisches Stück damit „anreichert“, dann will ich weiterhin das Recht haben, diesen Menschen zu zwingen, das zu unterlassen. Das muss möglich sein. Wenn Menschen unberechtigterweise mein Werk in einem weltanschaulichen Zusammenhang verwenden, der meinem zuwider läuft, muss ich doch das Recht haben, ihnen das zu verbieten.“

Das brachte mich ins Grübeln, denn es ist ein verdammt gutes Argument. Ich schreibe hier auf diesem Blog ja auch immer wieder gegen Intoleranz an. Was würde ich sagen, wenn etwa ein Rassist jetzt daherkäme und meinen Sophistenartikel für seine Argumentation verwenden würde… Ich wäre sicher nicht amused. Ich habe aber keine Antwort auf dieses Dilemma: auf der einen Seite bin ich dafür, Hürden abzubauen, um Remixe zu fördern und damit ja auch irgendwie Meinungsfreiheit und eine schönere, buntere Welt. Auf der anderen Seite möchte ich aber eben auch wehrhaft demokratisch mich den Demagogen in den Weg stellen können.

Und wie immer, wenn ich etwas nicht weiß, habe ich eben jemanden gefragt. In diesem Fall die DigiGes und geantwortet hat mir Leonhard Dobusch.

Dobusch nannte mir drei Argumente:

„- Die befürchtete Nutzung in neonazistischen Kontexten ist in der Regel mehr als hypothetisch denn tatsächlich praktische zu verstehen.

– Für den unwahrscheinlichen Ernstfall bleiben jedoch bestehende Verhetzungs- und Wiederbetätigungsverbote von einem Recht auf Remix unberührt.

– Und wenn alle Stricke reißen, handelt es sich wahrscheinlich um einen Fall, auf den das Voltaire zugeschriebene Zitat von S.G. Tallentyre passt: ‚Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.'“

Das erste Argument finde ich nicht sonderlich stark, denn auch gegen hypothetische Bedrohungen muss ich mich schützen, sonst wache ich eines Morgens auf und die NSA überwacht das komplette Internet…

Das zweite Argument hingegen stellt mich schon eher zufrieden. Das Urheberrecht sollte nicht als meine persönlich-willkürliche Ersatzzensur herhalten, dafür haben wir andere, sorgsam ausgehandelte Gesetze. Und dennoch bin ich da auch noch nicht ganz glücklich mit. Wie verfahrt ihr denn, wenn ein Hater versucht, euch in den Kommentaren eures eigenen Blogs fertigzumachen? Schaltet ihr den Kommentar frei? Und ist dieser Fall überhaupt zu vergleichen mit einem Remix, der meiner Weltanschauung zuwider geht?

Das dritte Argument hingegen ist sehr stark und hat eine große Schnittfläche mit meinem persönlichen Wertekanon gemeinsam. Es erinnert mich an eine Episode aus Salman Rushdies Autobiographie, in der er beschreibt, dass er sich bei der britischen Regierung dafür eingesetzt hat, dass ein (ich glaube philippinischer) Film, der Rushdie persönlich verunglimpft, in Groß Britannien gezeigt werden durfte. Rushdie, selbst Opfer der Zensur in allzu vielen Staaten war, hielt das Recht auf freie Meinungsäußerung höher als seine Persönlichkeitsrechte.

Dobusch fuhr übrigen noch fort, indem er erklärte, dass es schon heute Fälle gibt, in denen jemand mein Werk in mir nicht genehmer Weise bearbeiten darf:

„Parodie und Satire: dafür gibt es eine Ausnahme im Urheberrecht. Und Parodien und Satiren entstehen besonders häufig aus einer anderen Weltanschauung heraus als derjendigen des Urhebers der parodierten Werke. Der Grund für die Ausnahme ist aber klar: das Urheberrecht soll Meinung-, Ausdrucks- und Kunstfreiheit nicht behindern.“

Dobusch schloss seine E-Mail an mich damit, dass es eine Frage von offener Gesellschaft und Liberalität ist. Dem stimme ich voll und ganz zu. Und dennoch hat die Offene Gesellschaft auch ihre Feinde und ich bin noch immer zu keinem Entschluss gekommen, wo ich den Strich ziehe und sage: „Hier stehe ich und kann nicht anders„.

Daher will ich sokratisch offen schließen und sagen, dass ich noch länger über dieses Dilemma nachdenken muss. Wenn ihr eine Lösung habt, dann teilt sie mir mit, ansonsten lest mein Buch und besucht natürlich die Webseite von „Recht auf Remix“ für weitere Informationen…

Die Idee zu Blackbox Urheberrecht I

… noch 25 Tage.

Am 15 September erscheint Blackbox Urheberrecht auch auf Papier im JMB Verlag. Übrigens könnt ihr es schon jetzt vorbestellen. Um euch und mir die Wartezeit zu verkürzen, wollte ich ein paar Geschichten rund um das Buch, das Urheberrecht und die Autoren erzählen. Und heute fange ich an mit der Geschichte, wie ich auf die Idee kam, das Buch herauszugeben.

Guy Fawkes Mask (Brian Chan)

Bild: Guy Fawkes Mask (Brian Chan) von Gabe Rosiak. Lizenz: CC-BY 2.0.

Das E-Book

Eigentlich sind das zwei Geschichten. Die erste ist die, wie ich auf die Idee kam ein E-Book zu veröffentlichen und die zweite ist jene, wie ich auf das Thema kam. Die Idee mit dem E-Book ist schnell erzählt: Von 2010 bis 2012 machte ich ein Volontariat im m.w. VERLAG hier in Frankfurt. Dort habe ich dann ab 2011 gelernt, wie man E-Books layoutet und vertreibt. Dabei habe ich auch gelernt, dass E-Books keinen Verlag mehr voraussetzen. So entstand die Idee, das auch zu versuchen. Und da es schon eine ganze Menge gelungener Experimente von Menschen gab, die ihr eigenes Buch über Amazon und Co. verkauft hatten, wollte ich eben mal etwas anderes versuchen, nämlich, ob ich nicht auch eine Anthologie ganz ohne Verlag herausbringen kann. Wie das geht, beschreibe ich ausführlich auf meinem anderen Blog.

Das Urheberrecht

Doch wie kam ich auf die Idee mit dem Urheberrecht? Nun, das lag 2012 irgendwie in der Luft… Fast im Wochentakt kamen neue provokante Texte oder Ereignisse rund ums Urheberrecht aufs Tapet. Ich habe das in „Blackbox Urheberrecht“ in einer Zeitleiste alles aufgelistet. Aber ich will hier zumindest mal ein paar der zentralen Ereignisse wiedergeben. Der erste Höhepunkt ereignete sich bereits im Dezember 2011. Anonymous griff die Webseite der Gema mit sogenannten DDoS Attacken an.

DDoS Atacken sind „distributed denial of service“-Attacken. Grob gesprochen wird dabei durch ein Computerprogramm, das auf möglichst vielen Rechnern gleichzeitig ausgeführt wird, die Webseite in möglichst kurzer Zeit möglichst oft aufgerufen. Das erfolgt so lange, bis der Server, auf dem die Webseite liegt, die Anfragen nicht mehr verarbeiten kann und abstürzt. Im kleinen, alltäglichen Umfang kann man sich das Prinzip auf eBay angucken. Ihr habt euch vielleicht schon einmal gefragt, warum diese Millionen Euro schwere Seite so langsam ist. Man sollte doch meinen, dass eBay genug Kohle haben müsste um ein paar flotte Server aufzustellen. Wahrscheinlich könnte eBay auch tatsächlich noch so manches an Performance herauskitzeln, aber es hat auch ein großes Problem: tausende Nutzer sitzen vor ihren heimischen Computern und aktualisieren unentwegt die Webseite, um zu prüfen, ob sie bei einer Auktion überboten wurden. Das heißt: der Server muss rund um die Uhr kleine DDoS-Attacken verkraften… Doch zurück zu Anonymous.

Es ist kompliziert, Anonymous irgendetwas zuzuschreiben, da jeder, der sich mit den Zielen von Anonymous identifiziert, im Namen von Anonymous Aktionen durchführen kann. Diese Barrierefreiheit wurde so manchem zum Verhängnis, der sich an den DDoS-Attacken beteiligte, weil er wohl nicht damit rechnete, dass ihm irgendetwas passieren könnte, als er die Gema angriff, „ohne den elterlichen Keller zu verlassen“, wie es ein Anon im Interview mit mir nannte. Ich habe Anonymous nämlich für Blackbox Urheberrecht interviewt. Was mich natürlch vor einige Schwierigkeiten gestellt hat, aber davon berichte ich ein anderes Mal. Im Interview habe ich sie auch gefragt, warum sie die GEMA angegriffen haben. Und die Antwort der Anons lautete, dass der Grund die Sperrung von Internetinhalten durch die GE sei:

„Die Sperrung von Internetinhalten ist ein ganz großes NO GO. Gerade Sperrung von Internetinhalten aus Copyrightgründen sind ein noch größeres NO GO. Solche Methoden werden mit großer Vorliebe von Extremisten benutzt, denen die Argumente für die eigene Position/Existenz ausgegangen sind: Sekten und Kulte, Kreationisten, totalitäre Organisationen und Regime und die GEMA.“

Anonymous: Es ist nicht einzusehen, dass man einmal einen Hit schreibt und hinfort sorgenfrei im Reichtum lebt. In: Daniel Brockmeier (Hrsg.): Blackbox Urheberrecht.

Das nächste Ereignis im Januar 2012, das mich zu meiner Themenwahl führt war die spektakuläre Abschaltung von Megaupload, aber von der erzähle ich euch das nächste Mal…

Verschlüsselung

Ich habe jetzt schon wiederholt aus netzaktivistischen Kreisen gehört, man solle besser nicht verschlüsseln, denn dadurch mache man sich verdächtig. Das ist meines erachtens falsch und das genaue Gegenteil ist die richtige Maßnahme zur digitalen Selbstverteidigung. Es sollten möglichst viele Menschen verschlüsseln, gerade wenn sie nichts zu verbergen haben. Dies sollte gewissermaßen unser ziviler Ungehorsam sein, damit wir den Geheimdiensten klar machen können, dass wir nichts von Ihnen und ihren Methoden halten.

Von Zigeunersauce und ihren schlüpfrigen Überlagerungen

Eigentlich ist die viel spannendere Frage ja, ob wir französisch-schön Sauce oder blöd eingedeutscht Soße schreiben sollten. Aber Deutschland diskutiert derzeit den ersten Teil des Kompositums „Zigeunersauce“. Na ja, zumindest jene konservativen Klatschmedien zwischen Bild, Focus, RTL und Web.de, die gerne mal die „Sprachsäuberer“ beschimpfen.

Sauce
Sauce. Vielleicht auch Soße. Jedenfalls nicht von Sinti oder Roma stammend, schon weil sie ja nicht rot ist.

Anscheinend hat eine Sinti- und Roma-Organisation fünf Hersteller der besagten Sauce aufgefordert, die Diskriminierung im Namen hinter sich zu lassen. Leider finde ich da keine Originalquelle sondern nur die vor Empörung triefenden Schreiberlinge minderer Qualität, auf die zu linken, ich mich weigere. Warum sie dies tun, habe ich übrigens hier schon einmal erläutert…

Die Sauciere, ihre medialen Advokaten und eine Piratin berufen sich indessen auf die 100 Jahre alte Tradition der Sauce und dass diese doch gar nicht versuche, Sinti und Roma zu bezeichnen. Das erste Argument ist Blödsinn. Denn Giftgas oder oder Bürgerbespitzelung haben eine nicht minder lange Tradition in diesem Land, ohne dass wir aufstehen und sie verteidigen. Außer, man heißt Friedrich…

Der zweite Teil des Arguments hingegen erscheint auf den ersten Blick plausibler, führt uns mal wieder tief in die Linguistik hinein und beleuchtet das gar wunderliche Verhältnis von Denotation und Konnotation. Klar bezeichnet die Zigeunersauce keine Sinti und Roma sondern so eine Art Ketchup mit Zwiebeln und Paprika. die Sauce denotiert diese Flüssigkeit, benennt sie. Eine Funktion von Sprache – wenn auch nicht, wie von den Philosophen zu Unrecht angenommen, die Hauptfunktion – ist es, die Dinge dieser Welt zu benennen. Damit wir über diese rote Sutsche mit verschiedenfarbigen Stückchen sprechen können, müssen wir sie irgendwie benennen. Sonst sitzen wir auf der Bierbank beim gemeinschaftlichen Grillen und sagen nur: „Gib mir mal dieses Dings, äh, dieses… na ja, das Rote da, das ich auf mein Steak machen will.“ Und das kann ja keiner wollen! Statt dessen bezeichnen wir diese Dinge mit Namen, um unser Leben zu vereinfachen.

Anders als jetzt Platon noch glaubte, sind diese Namen aber nicht natürlich, sie liegen nicht im Wesen der Dinge begründet. Statt dessen sind sie arbiträr, konventionell. Wir haben uns (ohne offizielle Abstimmung) darauf geeinigt, sie so zu nennen. Entsprechend können sich die Namen der Dinge auch ändern und tun es im übrigen unentwegt. Das nennen wir Sprachwandel. Es gibt also erst einmal keinen Grund der dagegen spricht den Namen Zigeunersauce hinter uns zu lassen und etwa Paprikasauce zu sagen.

Die Konnotation ist ein schlüpfriges kleines Ding

„Ja aber du hast doch eben selbst gesagt, dass die Sauce gar keine Sinti und Roma denotiert, warum sollten wir den Namen dann ändern?“

Fragt mein alter Ego

Das ist korrekt, aber wie ich oben schon anriss, gibt es neben der Denotation auch noch ihre schwer zu fassende Schwester: die Konnotation.

Hadumod Bußmann definiert sie im sehr zu empfehlenden Lexikon der Sprachwissenschaft als

[…] Individuelle (emotionale) stilistische, regionale u. a. Bedeutungskomponente(n) eines sprachlichen Ausdrucks, die seine Grundbedeutung überlagern und die – im Unterschied zur konstanten begrifflichen Bedeutung – sich meist genereller, kotextunabhängiger Beschreibung entziehen, z.B. Führer. […]

Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft

Wie läuft das ab, dieses „überlagern“? Nelson Goodman erklärt in den „Sprachen der Kunst“ sehr schön, dass Sprache semantisch nicht digital ist, kein Code. Ein Code ist eine eineindeutige Zuordnungsvorschrift. Ein Codeschnipsel bezeichnet nur genau ein Ding. In HTML etwa <img> ein Bild. Und dieses Bild hat nur genau einen Namen, nämlich <img>. In der Sprachphilosophie nennen wir so einen Code eine Idealsprache und unterscheiden diese von der normalen Sprache oder auch Alltagssprache. Diese ist nämlich eben gerade nicht digital, sondern ein Wort bezeichnet oft immer sehr viele Dinge. Das Wort „Baum“ kann etwa das Ding <Tanne> oder das Ding <Birke> bezeichnen, so verschieden die beiden auch sind. Aber diese unscharfen Grenzen, diese Überlagerung geht sogar noch weiter. Mit „Baum“ assoziiere ich gewisse andere Begriffe. Etwa „Holz“, „stabil“, „alt“, „groß“, „Vögel“, „Blätter“, „Wurzeln“, „Gummibärchenbande“, „Ent“ usw. usf.

Und ich wette, ihr habt ganz andere Assoziationen mit dem Wort Baum und habt bei einigem aus meiner Aufzählung da oben die Stirn gerunzelt. Außerdem stehen da Begriffe, die man klar mit Baum assoziieren kann, die aber nicht einmal stimmen müssen. Etwa „alt“. Denn auch wenn Bäume echt alt werden können, müssen sie eo ipso auch einmal jung gewesen sein.

Und damit komme ich jetzt ganz morsch auf unsere Sauce zurück. Denn macht doch einfach mal euren Assoziationsstrauß mit dieser auf. Vielleicht kommt ihr da dann auch auf solche Assoziationen wie die Piratin Kathrin Hilger:

„Der Name sollte damals, als er geschaffen wurde, Exotik vermitteln, etwas Besonderes, den Hauch von Fernweh.“

Kathrin Hilger: Quatsch mit Sauce

Und genau das ist Teil des Problems, denn von dieser „Exotik“, diesem „anders sein“ sind wir schnell wieder beim Klischee des romantisch die Zeit verrauchenden Tagediebs, der Kinder stiehlt. Oh Konnotation, du schlüpfriges kleines Ding, du! Und daher ist es vielleicht an der Zeit, unsere Exotik mit etwas anderem assoziieren als mit einem Begriff, der viele Menschen vor 80 Jahren ins KZ führte… Dass das Brechen mit Tradition marketingtechnisch durchaus erfolgreich sein kann, zeigt Raider, das „jetzt“ Twix heißt. Hat sich sonst was geändert?

Schön ist so ein Markenwandel auch bei der ersten Folge der Madmen dargestellt:

 

 

 

Ich bin raus!

 

Literatur

Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft
Nelson Goodman: Sprachen der Kunst
Platon: Kratylos (bei Amazon) oder gratis im Netz

Checks & Balances

Ich habe neben vielem anderen ™ Politik studiert. Aber ich habe die Politische Wissenschaft nie mit vollem Einsatz studiert, sondern mehr so nebenbei. Warum? Politikwissenschaft erschien mir immer ein bisschen zu einfach, zu offensichtlich. Die wirklich harten Nüsse fand ich in der Logik, der Symbol- und Erkenntnistheorie und in der Syntax: In den Königsdisziplinen von Philosophie und Linguistik. Aber (tm!!!) ich habe mich geirrt.

Politische Wissenschaft ist schwerer als ich immer dachte. Beispielsweise dachte ich als kleiner Grundstudiumsstudent (heute wäre das der Bachelor) ich könne die 19 Grundrechte samt Staatsordnungsparagraphen Nummer 20 auswendig… Heute muss ich aber hören, dass ich mich geirrt habe, denn — so lehrt mich unser Superinnenminister — es gibt noch ein Supergrundrecht: Sicherheit.

Doch, ich will hier keine unwürdig dünnen Bretter boren. Ich will hier meinen Fehler berichtigen und über ein paar Grundprinzipien nachdenken. Beginnend mit den Checks & Balances.

Gewaltenteilung

Das wichtigste, aber bei Leibe nicht das einzige Instrument um Checks & Balances zu gewährleisten, ist die Gewaltenteilung. Wir haben keinen König der sowohl regiert, als auch Gesetze erlässt und Recht spricht. Wir haben ein Parlament, das für die Gesetzgebung zuständig ist, die Legislative, eine Regierung, die die Exekutive darstellt, den Staat also leitet, die Richtung, in die unser Zusammenleben gehen soll in Form von Gesetzesinitiativen vorgibt und unabhängige Gerichte — die Judikative — die urteilt, ob das Recht eingehalten wird und vor allem, ob neue Gesetze mit unserer Verfassung vereinbar sind.

Das Problem ist, dass die drei Gewalten nicht von sich aus „gut“ sind, sie sind fehleranfällig, durch Macht korrumpierbar, denn sie sind mit Menschen wie dir und mir besetzt. Deswegen brauchen wir etwas, dass kontrolliert, dass diese Macht nicht missbraucht wird: eine vierte Gewalt. Die vierte Gewalt wird oft mit den Medien gleichgesetzt, das ist aber nich ganz korrekt. Richtig ist viel mehr: die Öffentlichkeit. Durch das Internet etwa kann diese öffentliche Kontrolle viel unmittelbarer ausgeübt werden, als durch Zeitungen und das Fernsehen. Aber auch, dass Gerichtsprozesse vor Publikum stattfinden, ist als vierte Gewalt wichtig für die Checks & Balances. Wenn aber bei #PRISM Geheimgerichte der NSA die richterliche Erlaubnis zur Spionage erteilen, so ist zwar auf dem Papier noch die Gewaltenteilung gegeben, aber de facto ist sie nicht mehr als ein hohler Kürbis. Denn ohne Öffentlichkeit können wir nicht kontrollieren, ob es einen Anwalt gibt, der glaubhaft gegen die NSA streitet. Dass dem nicht so ist, zeigt, dass das Geheimgerichte nicht ein einziges Mal „Nein“ zur NSA gesagt hat. Es mangelt eben an Checks & Balances.

Genauso verhält es sich mit dem parlamentarischen Kontrollausschuss des Bundestages für die Geheimdienste. Wenn stimmt, was ich so höre, handelt es sich zwar auf dem Papier um einen Check, aber in Wirklichkeit macht er nichts anderes, als die Geheimdienste zu befragen und ihren Aussagen zu vertrauen. Zwischenmenschlich mag Vertrauen gut sein, aber in einer Demokratie ist Kontrolle nicht bloß besser, sondern notwendiges Gebot.

Und das Elend rund um die fehlenden Checks & Balances nimmt kein Ende, wie wir aus Herrn Pofallas Aussagen schließen kann. Denn warum weiß der Chef der deutschen Geheimdienste, dass die Amerikaner und Briten uns nicht ausspionieren? Ganz einfach: er hat sie gefragt und sie haben gesagt: „Nö, machen wie nicht.“

Na, dann ist ja gut, dachte sich der Ronald. Tja, Politik ist einfach zu kompliziert für unsere Regierung…

Heldenepos

Im Soziopod wurde vor geraumer Zeit ziemlich stichhaltig dargelegt, dass es der Demokratie an guten Geschichten mangelt. Dass es nicht ausreicht, den Menschen mit einer churchillschen Ratio zu kommen, dass die Demokratie bei all ihren Fehlern noch immer besser ist als alle anderen Regierungsformen. Der Mensch braucht halt was fürs Herz…

Und obgleich die Demokratie seit einigen pragmatischen Wochen in der Krise steckt, erleben wir doch zugleich eine dieser Geschichten. Gewiss ist dieser Heldenepos um Edward Snowden eine Tragödie, aber mit Siegfried oder Achilles steht Edward damit in einer langen Tradition.

Führt euch das doch mal vor Augen: Snowden saß im Zentrum der Macht, im Herzen des Todessterns. Er wusste genau, was er tat, als er in seine Pfeife blies. Er wusste, dass sein Leben verwirkt ist und sprach dennoch lutherisch: Hier stehe ich, ich kann nicht anders.

Und es ist jetzt an uns, ob wir uns unsere Helena wirklich ungestraft rauben lassen und Hagen von Tronje ungestraft davonkommen lassen…