Wenn Qualitätsjournalisten Metaphern nicht verstehen

Wissen Sie, was eine Metapher ist? Kurz gesagt: Eine rhetorische Figur, bei der ein Ausdruck für einen anderen steht. Metaphern sind allgegenwärtig. Allein in diesem Satz:

Eine rhetorische Figur, bei der ein Ausdruck für einen anderen steht.

… stecken drei Metaphern: ‚Figur‘, ‚Ausdruck‘ und ’steht‘. Metaphern sind so etwas banales, dass sie uns in den meisten Fällen nicht einmal mehr auffallen. Ich mag sehr gerne die Metaphern-Definition von Nelson Goodman, die verkürzt so lautet: Eine Metapher ist ein Symbolsystem, das ich von einer Bedeutungssphäre auf eine andere übertrage.

Wir nehmen einen Ausdruck, wie zum Beispiel die Farbe „Rot“ und übertragen sie aus der Bedeutungssphäre der Farben in jene der Gefühle, wenn wir etwa sagen: „Roter Zorn stieg in ihr auf!“

Der Witz ist, dass wir jetzt nicht nur das Wort „Rot“ übertragen, sondern – wie ich bereits schrieb – das gesamte Symbolsystem in dem es sich befindet. Der Einfachheit halber nenne ich das jetzt einfach mal die Assoziationen, die wir mit „Rot“ verbinden. Zum Beispiel: Wärme, Hitze, Feuer, Rotes Kreuz, aber auch Liebe, Erotik und so weiter.

Und wegen der Übertragung all dieser Assoziationen sind Metaphern etwas sehr nützliches und allgegenwärtiges, da sie uns ermöglichen, die Welt neu zu strukturieren und so Verbindungen zu erkennen, die uns bislang verborgen blieben.

Warum ich das alles schreibe? Nun, weil die Metapher und wie sie funktioniert offensichtlich nicht allen bekannt ist. Zumindest schrieb Krautreporter Rico Grimm kürzlich:

Wer oder was ist ein Nazi?

Ein Nazi ist ein Nationalsozialist. Der Nationalsozialismus (NS), angeführt von Adolf Hitler, hörte mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges offiziell auf zu existieren. Wer auch nach dem Krieg nationalsozialistischen Ideen treu blieb, war ein Altnazi. Immer weniger Menschen haben heute die NS-Zeit noch selbst erlebt, deswegen gibt es auch immer weniger (Alt-)Nazis. Wenn Sie heute also jemanden hören, der einen anderen als „Nazi“ beschimpft, ist die Wahrscheinlichkeit sehr, sehr hoch, dass er Unsinn redet. Wenn Sie diese Bezeichnung auf Facebook lesen, beträgt die Unsinns-Wahrscheinlichkeit fast 100 Prozent, denn wie viele 80- bis 90-Jährige kennen Sie, die die Plattform nutzen – und dort auch kommentieren?

Offensichtlich kann sich Rico Grimm gar nicht vorstellen, dass es eine andere Verwendung als die buchstäbliche für „Nazi“ gibt. Ich frage mich, welche möglicherweise nützlichen Assoziationen ihm dabei wohl verborgen bleiben …

Der rechte Logikfeind des Tages: Glatzenpeer klärt über die Antifa auf!

Reichte es neulich noch, eine Liste mit den 10 dämlichsten Pegidioten aufzustellen, erreichen mich mittlerweile fast täglich Beiträge von und über Menschen, die ihr Auto nun nicht unbedingt auf dem Parkplatz der Realität abgestellt haben. Daher will ich hin und wieder einzelne Kandidaten herauspicken, die mir besonders erwähnens- und belachenswert erscheinen.

So wie dieser sympathische junge Herr, der schon seinem Outfit nach aus der Mitte der Gesellschaft zu stammen scheint und der schonungslos über die Antifa aufklärt!

Da das Ganze ein büüüüüüschen schwer zu verstehen ist, fasse ich mal die wichtigsten Erkenntnisse dieses Spürhundes für euch zusammen:

  • Der Name „Antifaschistische Aktion“ ist schonmal total daneben, denn wir hatten in Deutschland schließlich keinen Faschismus sondern Nationalsozialismus. Echt ey!
  • Ein hochrangiger Antifa-Funktionär – aus irgendeinem Grund mit Airquotes versehen – hat auf einer Demo seinen USB-Stick verloren. Wahrscheinlich war das vor mindestens 10 Jahren, als man noch alle seine Dokumente jederzeit auf USB-Sticks herumtrug.
  • Die Antifa ist laut Mr. Glatze ein eingetragener Verein, daher müsste sie eigentlich ihre Gemeinnützigkeit unter Beweis stellen! Macht ja zum Beispiel der FC Bayern München auch. Aber das macht die Antifa gerade nicht! Das ist dem Kollegen aus dem Video schonmal suspekt. Da scheint ja noch mehr dahinter zu stecken, sonst müsste die Antifa doch eigentlich verboten werden.
  • Außerdem ist die Antifa auch noch eine GmbH. Und zudem hat die Antifa natürlich auch eine eigene Gewerkschaft. Klar, am Ende werden auf Demos noch Arbeitsrechte verletzt! Das darf ja nicht sein.
  • Die Antifa verfügt über 48 Busse, die mit Barcodescannern ausgestattet sind. Natürlich hat die Antifa Mitgliederausweise: ist ja schließlich eine Firma und ein Verein.
  • Wenn dann die Mitarbeiter bei einer Demo aussteigen, dann halten sie ihre Ausweise vor den Scanner und wenn sie „nach dem Krawall“ wieder einsteigen, wird erneut gescannt. Anschließend kann der gemeine Antifaschist sich dann im Lohnbüro 25 Euro Demo-Geld auszahlen lassen.
  • Wohnungseinbrüche bei „sogenannten (+Airquotes) Nazis“ werden naaatüüürlich auch vergütet!
  • Die große Frage des Herren mit der modischen Kurzhaarfrisur ist nun: Wo kommt das Geld her? Und natürlich stand das auch auf dem USB-Stick. Finanziert wird die Antifa von CDU, SPD und GRÜNEN!!!!!1111!!
  • Quasi als Geldwäscher hängt da als Zwischenglied noch die Arbeiterwoooohlfahrt („lasst euch das auf der Zunge zergehen!“) mit drin.
  • „Soweit ist es schon gekommen mit unserer Demokratie!“ Sagt Glatzen-Peer. Bis zu 35.000 Gegendemonstranten werden angekarrt, um „unsere Gedanken zu unterdrücken“!!!!! Bei 35.000 Gegendemonstranten saßen übrigens in jedem der 45 Busse 777 Passagiere. War ja ganz schön eng …
  • Natürlich sprechen sich Polizei und Antifa vor einer Demo ab, wo die Antifa angreifen darf. Beziehungsweise „muss“, denn Cojack sieht das natürlich ganz richtig: Wenn die Politik für 35.000 Demonstranten insgesamt 875.000 Euro gezahlt hat, dann will sie natürlich auch Ergebnisse sehen!
  • Der Staat ist natürlich dumm, weil die Antifa nicht nur den Staat, sondern auch das Volk abschaffen will und somit auch die Leute, die sie fördern. „Na ja, gut. Müssense selber wissen.“
  • Aber die Antifa und ihre Kumpels vom Staat haben noch andere Tricks: Meister Propper erzählt eine Anekdote, wonach eine Pegida-Demo im Januar oder Februar verboten wurde, weil es der Antifa zu kalt war für eine Gegendemo.
  • In den Bussen gibt es natürlich auch Freibier und man kann direkt dort Sturmhauben kaufen, um sich richtig schön zu vermummen. Kostet nur 4 Euro. Man kann die Hauben aber auch mieten, dann kostet die Haube 2 Euro. Ach, diese Linken, mit Betriebswirtschaft kannten die sich noch nie aus! Daher mieten die bestimmt alle, obwohl sich das ja beim dritten Mal schon nicht mehr lohnt …
  • Und die armen Rechten bekommen halt kein Geld, sie haben sogar noch Benzinkosten für ihre Anreise. Obendrein stehen sie bei Sonne, bei Regen und bei Schnee auf der Straße und das ganz ohne Freibier. Und das machen sie auch noch aus Vaterlandsliebe!!!!!

Das ist schon ein schweres Schicksal, das sehe ich ein. Sehr amüsant sind auch die Kommentare, die von Trollen überrannt wurden. Ich habe mal eine Auswahl für euch zusammengestellt:

Die Antifa der Kommentare
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Andere für mich denken lassen

Ich habe hier ein paar philosophische Artikel in Pocket, die ich schon längere Zeit aufbewahre, um mal irgendetwas damit zu machen. Da mir selbst zurzeit nichts Schlaues dazu einfällt, mache ich halt eine Linkschleuder daraus. ¯\_(ツ)_/¯

Spache und Moral

Hier ein spannender Artikel über empirisch-philosophische Studien zum Zusammenhang von Moral und Sprache:

A brother, who’s using a condom, and his sister, who’s on birth control, decide to have sex. They enjoy it but keep it a secret and don’t do it again. Is their action morally wrong? If they’re both consenting adults and not hurting anyone, can one legitimately criticize their moral judgment?

Die These, die entwickelt wird, lautet, dass wir in unserer Muttersprache ethische Probleme eher emotional angehen und in einer Fremdsprache eher analytisch …

Still, if morally ambiguous scenarios are approached in a second language, that can nudge us toward making decisions consciously and rationally. Speaking in a second language, therefore, may be one of the most moral things you can do.

Metaphysik und so …

Dieser Artikel beginnt mit der Feststellung, dass die zeitgenössische Philosophie metaphysische Fragen hinter sich gelassen hat. Beziehungsweise versucht die Philosophie, metaphysische Probleme auf empirische Ursachen zurückzuführen. Hier noch einmal die Definition von Metaphysik aus der Wikipedia, für alle die den Begriff nicht auf den Schirm haben:

Metaphysische Systementwürfe behandeln in ihren klassischen Formen die zentralen Probleme der theoretischen Philosophie, nämlich die Beschreibung der Fundamente, Voraussetzungen, Ursachen oder „ersten Gründe“, der allgemeinsten Strukturen, Gesetzlichkeiten und Prinzipien sowie von Sinn und Zweck der gesamten Wirklichkeit bzw. allen Seins.

Allerdings scheint der Autor, Justin E. H. Smith, einen weitergefassten Metaphysik-Begriff zu haben, ähnlich dem des frühen Wittgenstein, wonach all das metaphysische Aussagen sind, was sich nicht empirisch beweisen lässt. Anyway … Smith sieht in dieser Abkehr und auf die derzeitige Konzentration der Philosophie auf kognitionswissenschaftliche Erklärungsansätze ein Problem, da dies ein zu einseitiges Bild vom Menschen zeichnet:

Cognitive science, and the philosophy influenced by it, has taken into account the richness I’ve been trying to evoke– that we are not just essentially thinking things, but also thinking things with, for example, a special evolved capacity to notice faces that appear in our natural landscape, and to have stronger reactions to them than to lumps of dirt. But cognitive science by itself is ill-equipped to draw out the full significance of the ineliminable features of human cognition that it registers and describes. Philosophers in other areas of specialization need to join the project.

Stattdessen plädiert er für eine Reintegration von anthropologischen Theorien in die zeitgenössische Philosophie …

Die Welt ist nicht so …

Noch ein schöner Artikel zu einer Studie, wie Sprache unsere Konzepte der Welt beeinflusst …

Wenn Berufe in einer geschlechtergerechten Sprache dargestellt werden (Nennung der männlichen und weiblichen Form, zum Beispiel „Ingenieurinnen und Ingenieure“ statt nur „Ingenieure“) schätzen Kinder typisch männliche Berufe als erreichbarer ein und trauen sich selbst eher zu, diese zu ergreifen.

Wissta bscheid!

Hass im Netz

…. ist ja ein nicht weggehendes Thema und ein Problem. Hier setzt sich der Sozipod damit ausseinander in Bezug auf den rassistischen Terror dieses Jahr, wie er im Netz repräsentiert wird und wie man damit umgehen sollte. Das gleiche Thema hat diese schöne YouTube-Reihe am Beispiel des Gamergates, ebenfalls mit dem Ziel, einen Ansatz zu finden, wie man dergleichen verhindern kann:

Wenn euch das gefallen hat, dann lasst es mich doch in den Kommentaren wissen, mein Pocket quillt über von weiteren Artikeln, die ich gerne mit euch teilen kann …

P.S.:

Grundlegung zur Metaphysik der Social-Media-Sitten

Mir geht Tilo Jung am Allerwertesten vorbei. Ich bin nicht naiv genug für seinen YouTube-Kanal, folge ihm in keinem sozialen Netzwerk, weiß aber, dass er die Pressekonferenz der Bundesregierung regelmäßig durch penetrantes Nachfragen trollt, was ich immerhin ganz nett finde. Dieser Tilo Jung hat jetzt wohl zum Weltfrauentag einen frauenfeindlichen Witz gemacht, indem er ein Foto gepostet hat, auf dem er eine Frau tritt. Haha, häusliche Gewalt! Total lustig, Dude! Tief in den Windungen meines Gehirns meine ich mich zu erinnern, dass Herr Jung wohl auch schon zwei bis drei Mal zuvor durch Misogynie aufgefallen ist. Allerdings macht es auch nicht den Eindruck auf mich, dass der Tilo der reaktionärste Typ im Land ist. Ich glaube einfach, dass er und sein Humor mir nicht sonderlich sympathisch sind, daher geht er mir eben am Allerwertesten vorbei.

Warum schreibe ich das dann? Na ja, anscheinend hat Herr Jung nun also ein geschmackloses Foto gepostet und dafür Gegenwind bekommen. Das ist allerdings weitgehend an mir vorbeigegangen. Dafür fallen jetzt – da die Welle wie bei jeder Empörung wieder zurückrollt – mir immer mehr Artikel in den Feedreader, die aussagen: „kommt mal klar, der Tilo ist nicht böse, ihr und eure Mütter seid böse!“ Woraufhin wieder jede Menge Artikel geschrieben werden, in denen es dann heißt: „Menno, stimmt gar nicht!“ Auch das kann ich alles sehr gut wegignorieren. Aber dann schlug ein Artikel aus dem Rivva-Feed in meinem Reader auf, der sich folgendermaßen nannte:

Der Fall Tilo Jung oder die Metaphysik der Social Media Sitten

Cheering Mignons

Nice … Das referenziert Kants Metaphysik der Sitten und damit wäre dann ja doch mein Interessensgebiet berührt. Klingt ganz so, als wolle da jemand „metaphysische Anfangsgründe“ für Moral in den sozialen Medien liefern. Inhaltlich würde ich beides skeptisch sehen: Einerseits bin ich Sprachrelativist und halte entsprechend nicht viel von Letztbegründungen, andererseits sehe ich nicht recht, warum die Anfangsgründe für eine Moral in den sozialen Medien sich von jener im Leben ohne Bildschirm unterscheiden sollten. Aber das Unterfangen ist worth trying.

Doch leider musste ich nach dem Lesen der ersten paar Absätze feststellen, dass der Artikel von Marie von den Benken nicht das einhielt, was er versprach, sondern … ja was eigentlich? Ich glaube, wenn ich aus allem Geschwurbel eine Essenz destilieren wollte, wäre die Kernaussage:

„Regt euch mal nicht so auf, es gibt wichtigere Ziele des Feminismus, für die es sich zu kämpfen lohnt. Außerdem sind alle, die sich Feministinnen nennen doof und gendergerechte Sprache riecht nach Pipi!“

– Der ersten Hälfte dieser Aussage würde ich sogar zustimmen, die zweite hingegen ist:

*Hier tiefen, existentiellen Seufzer einfügen*

Die zweite Hälfte der These ist sogar ein bisschen peinlich, wenn man zugleich solche Sätze schreibt:

„Der Feminismus, dem es nicht darum geht, dass man die Deutsche Sprache im Wortbild so zerstören will, dass überall jede theoretisch denkbare Variante_In genannt werden muss, ist elementar.“

What?

Hä? Was willst du mir damit sagen? Aus dem ersten Teil des Satzes geht eine massive Kritk am – hier übrigens komplett falsch aber bestimmt lustig verwendeten – Gendergap hervor, doch am Ende löst sich der Satz so auf, dass diese Form von Feminismus „elemantar“ ist? Also grundlegend oder wesentlich? Ist das nicht etwas gutes? Und so geht es mir mit dem kompletten Text – Ich weiß oft einfach nicht, was er mir sagen will. Wenigstens in ihrem komplizierten Satzbau ähnelt von den Benken Kant. Doch wo Kant Schachtelsätze verwendet, um hochkomplexe Gedankengebäude zu errichten, baut diese Autorin meines Erachtens nur Luftschlösser.

Ich wollte eigentlich diesen Text Schritt für Schritt durchgehen und einer Sprachanalyse unterziehen, aber das war einfach zu zeitaufwendig, da fast jeder Satz einer Analyse wert gewesen wär. Daher begnüge ich mich mit ein paar Sprachperlen und versuche mal herauszufinden, was die Autorin uns außer „klingt gut“ damit sagen will. Anfangen will ich dennoch am Anfang:

„Ein Anagramm von „Empörung“ ist „Moegen Pur“. Und diese Kolumne hat auch tatsächlich etwas mit langhaarigen Unruhestiftern zu tun, jedoch nicht mit Hartmut Engler, wie das Anagramm vielleicht vermuten ließe.“

Dafuq?

Warum schreibt sie „Mögen“ mit „oe“ und macht damit das Anagramm kaputt? Und was will Frau von den Benken uns damit sagen, außer dass sie einen bemühten Witz mit dem Pur-Sänger Hartmut Engler machen möchte, DER NOCH NICHT EINMAL LANGE HAARE HAT … ? Ich verstehe diesen Einstieg in ihren Text wirklich nicht, bitte erkläre mir ihn jemand. Das macht weder Sinn, noch hat es irgendetwas mit dem folgenden Text zu tun. Es ist noch nicht einmal lustig, oder verstehe ich den tiefsinnigen Witz dahinter nur nicht?

„Das, was mir wichtig erscheint, ist kurz darauf hinzuweisen, dass eine Interpretation des Feminismus, der ausschließlich darauf abzielt, einige verwirrte Claqueure_Innen auf bestimmte Themen (oder leider auch oftmals Menschen) zu hetzen, ohne dabei auch nur einen schemenhaften Ansatz von Ehrlichkeit oder Verhältnismäßigkeit erkennen zu lassen, nicht mein Feminismus ist.“

Haha!

Haha, voll lustig das Gendergap falsch zu benutzen, oder? Ferner macht die Kombination „verwirrte Claqueure“ überhaupt keinen Sinn. Entweder ist jemand ein Claqueur, klatscht also (oder retweetet in diesem Kontext), weil er oder sie dafür bezahlt wurde. Oder jemand lässt sich – etwa durch die Polemik des Feminismus’ – verwirren, aber beides? Ich weiß zwar nicht wofür, aber ich lass mich dafür bezahlen? Oder was?

„Ich möchte keinen wissenschaftlichen Aufsatz verfassen, vor allem, weil ich über keinerlei Qualifikation für eine wissenschaftliche Arbeit verfüge. Ich erlaube mir keine dogmatische Sicht auf Dinge, von denen ich nicht genug verstehe.“

Hä?

Hä? Ich finde es zwar ehrenhaft, wenn jemand die eigenen Schwächen erkennt, aber WORIN ZUM HENKER besteht der Zusammenhang zwischen Wissenschaft und einer dogmatischen Sicht? Wissenschaft ist quasi das genaue Gegenteil einer Dogmatik. Während ich mich in einem Dogma hinstelle und etwas behaupte, ohne zu begründen, macht die Wissenschaft genau das Gegenteil! Eine Arbeitshypothese wird erst dann zur Theorie, wenn ich sie begründen kann.

„Es werden vermeidliche Gegner einer Idee von Feminismus ausgerufen und die Meute setzt sich – blind vor anerzogenem Hass jubilierend – in Bewegung“

Ah, sehr schön, nachdem wir den Widerspruch abgehakt haben, kommen wir zur Tautologie: Denn natürlich ist jeder Hass anerzogen. Es gibt keinen angeborenen Hass, erst die Sozialisation lässt uns etwas hassen, während kleine Kinder erst einmal alles unvoreingenommen betrachten. Aber nur „Hass“? Damit lässt sich eben nicht genug jubeln, äh, jubilieren …

„Die selbsternannten Leuchttürme_Innen des neuen Feminismus geben die in Agent Provocateur Manier vorher noch schnell eigenhändig kreierten Opfernamen bekannt und der Mob fällt über sie her.“

Bill Murray findet's lustig

Haha, wieder voll lustig das Gendergap falsch zu benutzen, oder? Und, verzeiht mir bitte das Nitpicking, aber wenn man schon versucht, sich so gewählt auszudrücken, dann bitte entweder nicht den Bindestrich vergessen beim Kompositum „Agent-Provocateur-Manier“ oder besser gleich den Genetiv in der Manier eines Agent Provocateurs verwenden, denn alles andere ist doch bloß eine „Zerstörung“ der deutschen Sprache, Frau von den Benken!

„Behauptungen sollten mit Fakten unterfüttert werden. Im besten Fall sogar solche, die nicht völlig surreal einer gespenstisch absurden Scheinwelt entspringen, in der jeder Mann ein potenzieller Sexist ist und in der „Studentenwerke“ in „Studierendenwerke“ umbenannt werden sollen. Was zwar einen siebenstelligen Betrag in Euro kosten würde, aber irgendwie gerechter – weil weniger männlich – klingt.“

Das ist ein Witz, oder? Innerhalb von drei Sätzen einerseits zu fordern, dass Behauptungen mit Fakten unterfüttert werden müssen und dann eine Behauptung aufzustellen, ohne sie mit Fakten zu untermauern muss einfach ein Witz sein. Oder? ODER?!

„Vielleicht erinnert sich noch der eine oder andere an das Fappygate-Desaster. Einen Epilog von tragischem Ausmaß.“

Epi-was?

Warum Epilog? Dieses Fappygate (das ich übrigens genauso dämlich fand wie Marie von den Benken, auch wenn ich nicht finde, dass  Kollege oder Chef, Sascha Pallenberg, den sie hier als „Leutchttum_In“ des Rationalismus darstellt, sich damals mit viel mehr Ruhm bekleckert hat als Frau Banaszczuk) lag doch VOR der Causa Tilo Jung, warum also Epilog? Egal, der Rhyme ist fett, der Rhyme ist fett.

„Auch ihr ging es in keiner Sekunde um den Sachverhalt, sondern lediglich darum, auch noch den letzten schmalen Strohhalm zu einem Empörungs-Tsunami für ihre eigene Selbstdarstellung hoch zu pushen.“

Verzweiflung

Na wenn da mal jemandem nicht die Metaphern durcheinandergeraten sind, denn wenn ich den Satz mal von seinem Geschwurbel befreie, steht da: Jemand pusht einen Strohhalm zum Tsunami. Ich könnte ein Wasserglas zum Tsunami pushen oder einen Strohhalm zum Baumstamm, aber einen Strohhalm zum Tsunami zu pushen, dürfte außer Hermine Granger wohl keiner Feministin gelingen … Besonders unglücklich wird die verunglückte Metapher durch den darauf folgenden Satz:

„Oder hoch zu sterilisieren, wie Bruno Labbadia es ausdrücken würde.“

Headbanging

Tja, nee … Sich über die falschen Wortspiele anderer lustig zu machen, nachdem man gerade selbst eines verkackt hat, ist eher dann eher ein Griff ins Klo …

„Dort, wo der echte Feminismus anfängt, kratzt der Netzfeminismus dieser Horde hysteriebesoffener Brunnenvergifter_Innen nicht mal an der Oberfläche.“

Hey, hier hat die Autorin das Gender-Gap tatsächlich mal richtig verwendet! Bestimmt ein Versehen, ist so ja gar nicht lustig …

„Aber ist es der Feminismus, der Weltfrauentag, die Menschlichkeit – oder einfach gesagt: Ist es die Welt, die nur mit Nächstenliebe und Fürsorge überleben kann wert, darum ein Opfer auszuwählen und eine arrangierte Hetzjagd auf den „Journalisten“ Tilo Jung zu starten, der auf Instagram ein angeblich frauenfeindliches Foto gepostet hat? Ein Bild, das einen Mann dabei zeigt, wie er offensichtlich eine junge Frau, mit der er eben noch Hand in Hand am Strand flanierte, mit einem gezielten Tritt in den Rücken zum Fallen bringt.“

Auch bei diesem Satz bin ich mir nicht zu 100% sicher, was Frau von den Benken uns sagen will. Vor allem irritiert mich, dass sie Journalist in Anführungszeichen setzt. Oben hatte sie das gemacht, weil sie – so meine Interpretation – Juliane Leopold eben diese Qualifikation absprechen wollte. Will sie das jetzt auch bei Tilo Jung? Man weiß es nicht … Den konkreten Zusammenhang von Menschlichkeit, Nächstenliebe, Fürsorge, Hetzjagden und Tilo Jung versuche ich gar nicht erst zu verstehen. Aber will sie tatsächlich sagen, nur weil das Pärchen auf dem dämlichen Foto erst Händchen hält, bevor er sie tritt, sei es nicht sexistisch? Weil so etwas wie häusliche Gewalt nicht existiert? Und Frauen nie Männer lieben, die mal nett zu ihnen sind und dann wieder brutal?

*Hier einen weiteren tiefen, existentiellen Seufzer einfügen*

Allerdings – das möchte ich nicht verschweigen – folgt darauf der beste, da wirklich mal sinnvoll zusammenhängende Absatz des Textes:

„Natürlich muss man so ein Bild nicht posten. Natürlich ist das Bild nur für grenzdebile, volltrunkene, übergewichtige Typen lustig, die schon lange keine Frau mehr aus der Nähe gesehen haben, aber muss man bei jeder kleinsten Gelegenheit in eine panische AdHoc-Empörung verfallen und sich dabei auch noch selber ad absurdum führen?“

Data-Faust

Dass die Autorin uns keinen Beweis für diese Empörung liefert außer eines Tweets von Juliane Leopold, der jetzt nicht sooo unglaublich reißerisch war, lasse ich mal dahingestellt. Aber insgesamt kann ich diese Meinung teilen. Hätte sich Marie von den Benken doch bloß auf diese Aussage beschränkt und den ganzen anderen Schmonzens weggelassen. Aber, ach, sie kann es nicht:

„In seinem kurzen Gedankenspiel zum Fall „Tilo Jung vs. Fußtrittfoto“ und dem daraufhin herniederprasselnden Guerilla-Krieg der Empörungs-Touristinnen zeigt er übrigens ein fast identisches Phänomen wie bei „Fappygate“ auf: Die „feministische“ Version von „Dallas“.“

Versus?

Wieso „versus“? Herr Jung hat doch das Foto gepostet, warum macht die Kolumnistin jetzt daraus eine Opposition? „Feminismus vs. Tilo Jung“ oder „Empörungs-Touristinnen vs. Fußtrittfoto“, ja, das würde Sinn machen, aber doch nicht Tilo gegen sein eigenes Foto. Ferner habe ich schon mal 2,35 Folgen Dallas gesehen, und wenn die Serie von etwas nicht handelte, dann vom  „Guerilla-Krieg der Empörungs-Touristinnen“. Den DAS hätte mir wirklich gefallen!

Was mir auch gefallen hätte, wäre eine wirkliche Metaphysik der Social-Media-Sitten gewesen oder irgendeinen Zusammenhang mit Kant, der diese Überschrift gerechtfertigt hätte und der über diesen einen Satz von Marie von den Benken hinaus geht:

„Sobald sie allerdings auf Gegenwind stößt, zum Beispiel in Form von kritischen Replies, die ihr die argumentationsarme Sinnlosigkeit ihrer Vorwürfe aufzeigen, argumentiert sie sich noch eine Weile in Rage, teilt kräftig aus, verstrickt sich in völlig haltlose Aussagen, Wiedersprüche und Argumente, bei denen selbst Interviews mit Lothar Matthäus wie Werke von Immanuel Kant wirken und löscht dann alles wieder.“

Tja, das hätte mir wirklich gefallen …

Böses WLAN, Böse Schrift

Die FAZ schrieb gestern, dass die SHZ schrieb, dass Hamburg jetzt doch kein Vorreiter sein will in Sachen Digitaltechnik an Schulen. Allein diese Einführung ist so wundervoll, dass sich au dieser Metaebene stundenlang über den Artikel diskutieren ließe.

Caspar David Friedrich: Zwei Männer in Betrachtung des Mondes

Vor allem weil die FAZ mittlerweile maximal intransparent den Artikel schlichtweg durch einen anderen ersetzt hat, der darauf verweist, dass das Projekt doch nicht gestoppt wurde. Hier kann man das schön an an der URL sehen: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wegen-gesundheitsbedenken-hamburg-stoppt-w-lan-an-schulen-13295887.html. Es ist fast so, als habe tatsächlich jemand aus dem Frankfurter Redaktionshaus diesen Artikel gelesen und festgestellt, wie halbseiden er zusammengezimmert worden ist. Das ist sehr schade, da der ursprüngliche Artikel ein Paradebeispiel für eine „Standardsituation der Technologiekritik“ war.

Zum Glück gibt es ja die Wayback Machine... Und so steht uns nach wie vor dieses argumentative Kunstwerk zur Verfügung. Also schauen wir doch noch einmal, was die FAZ gestern noch schrieb, aber vor allem, wie sie es schrieb. Hamburg habe sein Pilotprojekt gestoppt, weil…

„…Fragen wegen möglicher Strahlenbelastung durch die hierfür benötigten W-Lan-Verbindungen nicht völlig geklärt seien“

Es werden zwar auch noch „datenschutzrechtliche“ und „andere juristische Probleme“ erwähnt, aber im Fortlauf konzentriert sich die FAZ auf den Gesundheitsaspekt. Wobei die Argumentation, so wie sie dann in der FAZ folgt, maximal verworren ist. Die FAZ tritt dem parteilosen Bürgerschaftsabgeordneten Walter Scheuerl zur Seite, der „mit mehreren Gutachten Kritik geübt“ habe. Anscheinend stammen diese Gutachten vom „Ärztearbeitskreis Digitale Medien Stuttgart“. Hier sind wir mal wieder beim Sophismus des Namedroppings. Ärzte haben gesagt, dass Strahlen gefährlich sind, dann muss es ja stimmen! Doch die FAZ hält sich nicht lange mit dem gedropten Arbeitskreis auf, sondern wechselt gleich zum nächsten „großen“ Namen, der bei der Netzgemeinde freilich regelmäßig für kollektives Nackenhaareaufstellen sorgt: Manfred Spitzer. Spitzer wird zitiert mit…

„Die Korrelation des Anstiegs von Überforderung, Kopfschmerzen, ADHS und psychischen Erkrankungen mit der wachsenden Nutzung der digitalen Medien ist besorgniserregend“

Hier schmeißt die FAZ zwei Aspekte wild durcheinander. Zumindest meines bescheidenen Wissens nach geht es Spitzer gewöhnlich nicht um die gefährliche Strahlung des WLANs, sondern um den Inhalt der digitalen Medien. Glaubt man der FAZ, so habe ich allerdings Spitzer bislang immer falsch verstanden, denn er sagt laut den Frankfurter Qualitätsjournalisten:

„Daneben könne die Belastung nachweislich auch zu Spermienschädigungen und sogar DNA-Strangbrüchen führen, also das Erbgut verändern“.

Schließlich wird das Triptychon des Namedroppings noch mit einer Sprecherin des Bundes für Umwelt- und Naturschutz komplettiert, die

„die Schädlichkeit der W-Lan-Nutzung belegten; insbesondere die gebündelte und ‚körpernahe‘ Nutzung durch Dutzende Schüler sei bedenklich.“

Ich kann nicht beurteilen, ob WLAN in irgendeiner Weise schädlich ist. Aber ich kann eine gute Argumentation erkennen, wenn ich eine sehe. Und fast genauso gut kann ich Humbug ausmachen. Daher verlasse ich mich lieber auf den gut argumentierenden Joachim Schulz, der schreibt:

„DNA-Strangbrüche treten bei radioaktiver Bestrahlung und Röntgenstrahlung auf. Hierbei werden die Molekülbindungen in der DNA, dem Erbgut tragenden Molekül, aufgebrochen. Um solch eine kovalente Molekülbindung aufzubrechen ist Energie nötig. Diese Energie kann im Photoeffekt nur von einem einzelnen Photon aufgebracht werden. Die Photonenenergie der Strahlung, die im WLAN verwendet wird, liegt bei etwa 10 Mikroelektronenvolt. Um eine kovalente Bindung aufzubrechen braucht es mehrere Elektronenvolt, also einige 10.000 mal mehr Energie, als die 2,4 Gigahertz-WLAN-Strahlung aufbringen kann. DNA-Strangbrüche durch WLAN sind physikalisch unmöglich.“

Mich interessiert, wie gesagt, vor allem, wie die Menschen argumentieren, denn das kann ich gut beurteilen. Und diesbezüglich sehe ich hier das fast schon panische Plädoyer für zwei sehr alte menschliche Ängste: Zum einen die Angst vor Strahlen. Strahlen und ihre Verwandte wie „Etwas im Trinkwasser“ sind Ausdruck der tief in uns verwurzelten Angst vor Dingen, die wir nicht wahrnehmen können, die uns aber dennoch krank machen oder gar töten. Eine Angst, die spätestens mit der Entdeckung von Krebs massentauglich wurde. Schließlich können und wollen wir uns nicht mit dem Gedanken abfinden, dass unser eigener Körper sich gegen uns wendet. Daher brauchen wir eine Erklärung dafür und da es offensichtliche Korrelationen etwa zwischen Rauchen und Krebs gibt, versuchen wir eben jene Fälle der Krankheit, die wir nicht erklären können, auf Unsichtbares wie Stahlen zu schieben. Und was bei Krebs klappt, klappt auch bei Unfruchtbarkeit, „Überforderung, Kopfschmerzen, ADHS und psychischen Erkrankungen“.

Schließlich aber ist der Artikel vor allem ein Ausdruck des Kulturpessimismus. Und das ist ja quasi die Paradedisziplin der FAZ. Kathrin Passig hat in ihrem bekanntesten Text, den ihr sicher alle kennt, neun Standardargumente der Technologiekritik zusammengefasst:

  1. Wozu soll das denn gut sein?
  2. Wer will denn so was?
  3. Nur seltsame Gestalten oder privilegierte Minderheiten wollen das Neue.
  4. Vielleicht geht es wieder weg.
  5. Dadurch ändert sich gar nichts
    5a Es ist nur ein Spielzeug
    5b Damit ist kein Geld zu verdienen
    5c Die Nutzer haben einander nichts mitzuteilen.
  6. Das Neue ist nicht gut genug
  7. Schwächere können nicht damit umgehen
  8. Schlechte Manieren
  9. Schädlicher Einfluss auf das Denken, Schreiben und Lesen

Hier in überarbeiteter Form.

und was die FAZ hier vertritt ist quasi das siebte Argument in Reinform, denn schließlich geht es ja um Kinder:

„Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss man sich Gedanken darüber machen, was das Neue in den Köpfen von Kindern, Jugendlichen, Frauen, der Unterschicht und anderen leicht zu beeindruckenden Mitbürgern anrichtet. „Schwächere als ich können damit nicht umgehen!“, lautet Argument sieben.“

Kombiniert wird dies durch die Instanz von Manfred Spitzer mit dem neunten Argument:

„Hat die neue Technik mit Denken, Schreiben oder Lesen zu tun, dann verändert sie ganz sicher unsere Denk-, Schreib- und Lesetechniken zum Schlechteren.“

Ich möchte euch nicht verschweigen, dass Passig ihre Position später selbst kritisiert hat:

„Bitte denken Sie also beim nächsten Teil meines Vortrags daran, dass alles, was ich sage, falsch ist.“

Und diesen kritischen Standpunkten Standardsituationen des Technikoptimismus entgegengesetzt hat. Denenzufolge bringen neue Techniken:

  1. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, garantierte Redefreiheit
  2. Weltfrieden
  3. Lernen wird ganz einfach
  4. Ende der Knappheit
  5. Ende des Verbrechens
  6. Überwindung des Todes

Ich finde es zwar schön, dass Kathrin Passig  ihre Position durch falsche optimistische Prognosen ergänzte, dennoch finde ich, dass sie mit sich selbst zu hart ins Gericht geht, wenn sie sagt, ihre Auffassung war falsch, dass bestimmte Kritiken immer wiederkehren, sondern dass es eben nur diese sind, die uns überliefert wurden. Denn wichtig ist ja auch die Frage, warum sie uns überliefert wurden. Und ich denke nicht, dass dies immer nur aus Spott gegenüber konservativen Positionen geschah, sondern auch, weil Kulturpessimismus für viele Menschen schlichtweg attraktiv ist. Schließlich wissen wir alle, dass früher alles besser war. Und besonders dann ist dieses Gefühl für uns attraktiv, wenn sich gerade große Umwälzungen ereignen wie beispielsweise ein Medienwandel. Einen solchen Medienwandel erleben wir gerade mit der Digitalisierung, aber schon in den fast 2500 Jahre alten Texten von Platon lassen sich Passigs Argumente finden, und zwar gegen die Technik des Schreibens:

„Dieses Mißliche nämlich, o Phaidros, hat doch die Schrift, und sie ist darin der Malerei gleich. Denn die Erzeugnisse auch dieser stehen wie lebendig da; wenn du sie aber etwas fragst, schweigen sie sehr vornehm.“

Zu Platons Zeit war die Alphabetschrift quasi der neue heiße Scheiß. Gewissermaßen „gerade erst erfunden“, und mit ihr die erste gewissermaßen vollständig demokratische Schrift*. Ein Schriftsystem, das so einfach zu lernen war, dass es nicht mehr bloß Eliten, sondern breiten Massen zur Verfügung stand.

Das führte in Platon zu einer entsprechenden pessimistischen Haltung die er im Dialog Phaidros und im berühmten siebten Brief festgehalten hat. Er kritisierte an der Schrift folgende Punkte:

  1. Schrift schwäche das Gedächtnis
  2. Schrift sei zur Vermittlung von Wissen ungeeignet, da die Schüler keine Rückfragen stellen könnten
  3. Der Leser bilde sich ein, etwas begriffen zu haben, ohne dass er es wirklich verstanden hat (weil er es nicht im Dialog erlernte, wo ihn der Lehrer ermahnen könne)
  4. Schreiben sei nur ein mangelhaftes Abbild des Redens
  5. Text könne sich nicht gegen unberechtigte Kritik zur Wehr setzen
  6. Text könne nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Leser eingehen

Wieder sind es die Argumente sieben und neun von Passig, die sich hier herauslesen lassen. Wie später noch so oft, etwa gegenwärtig von Spitzer, hat Platon damals wirklich existierende Schwächen des Mediums schamlos übertrieben und verallgemeinert, zugleich aber die positiven Seiten unter den Tisch fallen lassen. Denn natürlich kann (oder in Zeiten von Textmessagern besser: konnte) man mit der Schrift in keinen Dialog treten. Aber dafür können wir aufgrund von Platons performativen Widerspruch (Ein Widerspruch der dadurch entstand, dass er seine Schriftkritik aufschrieb!) noch heute Platons Kritik lesen. Denn die Schrift bietet gegenüber dem gesprochenen Wort den großen Vorteil, beständig, persistent, zu sein, während das gesprochene Wort sich ephemer wie ein FAZ-Artikel von gestern verhält und kaum ist es geäußert, auch schon wieder verschwunden ist…

Das verschwundene Medium

„Was aber wäre, wenn die digitale Kopie die Idee des Datenträgers obsolet gemacht hätte?“

Dirk von Gehlen: Das Ende des Datenträgers.

DvG setzt sich in einem sehr kurzen, knackigen Blogpost mit einem Zitat von Gabor Steingart auseinander. Steingart sagt unter anderem, dass das Medium für den Journalisten und die Journalistin egal sei, einzig der Inhalt zähle. Dirk von Gehlen führt aus, dass diese Idee zu kurz greift, weil, wie ich es hier schon mal im Anschluss an Sybille Krämer schrieb, am Inhalt, „die Spur des Mediums“ haftet.

Dabei geht von Gehlen meines Erachtens aber einen Schritt zu weit, wenn er sagt, dass die Idee des Datenträgers obsolet geworden ist. Denn wir sollten den Datenträger nicht aus dem Blick verlieren, da wir schon das Glück haben, dass er uns einmal in diesen hineingeraten ist. Ich verstehe, was DvG sagen will, aber wir sollten nicht vergessen, dass hinter den „fließenden Inhalten“ noch immer ein Datenträger wie ein Flussbett steht.

Denn, wenn wir das vergessen, wachen wir vielleicht eines Tages auf, und merken, dass wir nicht über die Welt sprechen, oder über unsere Gedanken, sondern über unsere Sprache. Oder wir merken, dass wir eigentlich gar keine Sprachwissenschaft betreiben, sondern in Wirklichkeit Schriftwissenschaft*.

 

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Alles verbieten!

fordert im Zeit-Blog Velophilstrengere Strafen für Falschparker„. Sie ist, wie der Titel ihres Blogs verrät für die gute Sache, nämlich die der Radfahrer unterwegs und trägt gewichtige Argumente vor:

„Viele Eltern beispielsweise lassen ihre Kinder nicht zu Fuß zur Schule gehen oder mit dem Rad fahren, weil sie den Schulweg gefährlich finden. Gerade vor den Schulen zwingen Falschparker Kinder immer wieder dazu, auf die Straße auszuweichen.“

Wer könnte etwas dagegen sagen? Für unsere Kinder! Da muss sie doch Recht haben. Das Wohl der Kinder ist ein perfides Totschlagargument, quasi der Antihitler. Denn du kannst ja nicht ernsthaft dagegen sein, ARSCHLOCH!?!

Reaction Gif Zorn

Daher argumentieren Politiker auch so gerne mit Kinderpornographie um mehr Überwachung und Reglementierung im beziehungsweise für das Internet zu fordern. Aber wir waren ja gerade beim Radfahren.

Ich bin selbst überzeugter Radfahrer, fahre jeden Tag zwischen 12 und 20 Kilometer durch Frankfurt. Und auch mich nerven Autos ungemein. Auch ich verstehe nicht, warum Autofahrer glauben, es sei eine unzumutbare Behinderung für andere Autofahrer, wenn sie mal eben ™ auf der Straße halten, aber das gleiche für absolut legitim halten, wenn sie sich einmal quer über Radweg oder Bürgersteig stellen. Sodass im schlimmsten Fall jemand mit Kinderwagen noch auf die Straße ausweichen muss. DAS KOTZT MICH AN!!!!!111!11!

Reaction-Gif: Zorn

Aber deshalb strengere Strafen fordern? Ich weiß nicht… Ich bin immer etwas skeptisch, wenn jemand den Just Cause ausgerechnet mit Verboten und Strafen durchsetzen will, das schrieb ich ja neulich schon. In diesem speziellen Fall ist es zudem noch so, dass unsere Gesetze durchaus Mittel zur Verfügung stellen, sich gegen Falschparkerinnen zu wehren, die dafür sorgen, dass Kinder auf die Straße ausweichen müssen. Man kann ein solches Auto nämlich völlig zu Recht abschleppen lassen. Allein, das kostet Zeit, Mühen und am Ende entscheidet der herbeigerufene Polizist vielleicht sogar, dass das alles gar nicht so schlimm ist.

Im Fall des Straßenverkehrs bin ich zudem noch deshalb skeptisch, da du als Teilnehmer insgesamt und als Radfahrerin im besonderen mit Adrenalin vollgepumpt bist, wenn du daran teilnimmst. Das ist wichtig, da es deine Sinne schärft und deine Konzentration erhöht. Ich erlebe mehrmals wöchentlich Situationen in denen Autofahrer meine Gesundheit, ach was, mein Leben riskieren. Da ist es überlebenswichtig, unter Strom zu stehen und schnell reagieren zu können. Aber zugleich ist Adrenalin ein extrem schlechter Ratgeber, weswegen man mir besser keine Bazuka in die Hände drücken sollte, wenn mich mal wieder ein Auto geschnitten hat!!!!

Versteht mich nicht falsch, Radfahren ist auf alle Fälle besser als Autofahren. Ich meine, Autos sind laut, sie stinken, sie machen durch ihre Abgase die Umwelt kaputt und deine Mitmenschen krank. Außerdem machen sie dich mangels Bewegung krank. Und sie sind gefährlich. Wenn ich mit meinem Fahrrad gegen ein Auto fahre, hat es im schlimmsten Fall eine Beule, wenn ein Auto mit seinen 1,5 Tonnen Kampfgewicht gegen mich fährt, bin ich Mus. Fahrräder sind außerdem leise (bis auf meine Vorderradbremse), halten dich fit und stehen nie im Weg…

Fahrräder im Weg
Bild: Münster. Urheber: Bundesarchiv. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

Fahrradfahrerinnen sind also eindeutig bessere Menschen als Autofahrerinnen. Ausnahme bilden lediglich die paar Idioten, die, wenn meine Tochter (7) ihr Rad an eine städtischen Radstange oder einen Laternenpfahl anschließt, meinen, sie könnten ihr Rad noch über das Rad hinweg an der gleichen Stange anschließen, weil es ja nur ein kleines Rad ist, oder so… Aber ich habe Mittel und Wege, diesen paar Irrlichtern, ihren Irrtum ruhig und sachlich darzulegen.

Dalí hat hier sein Rad abgestellt
Dalí hat hier sein Rad abgestellt

Obwohl ich als Radfahrer also glaube, dass Radfahrer die besseren Menschen sind, bin ich dennoch gegen strengere Strafen für Autofahrer und zwar, weil ich nicht weiß, 0b ich nicht letzten Endes nur deshalb dafür bin, weil ich Radfahrer bin und nicht etwa, weil es wirklich gerechter wäre. Dem Problem der Motivation bei ethischen Begründungen hat sich John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit ausführlich gewidmet und den berühmt gewordenen ‚Schleier des Nichtwissens‘ als Gedankenexperiment erfunden. Rawls vertritt die Ansicht, dass wahre Gerechtigkeit eine Verfahrensgerechtigkeit ist. Dass also ein gerechtes Verfahren gefunden werden muss, um zu gesellschaftlichen Entscheidungen zu kommen, von denen wir dann sagen können, sie sind gerecht.

„Irgendwie muß man die Wirkung von Zufälligkeiten beseitigen, die die Menschen in ungleiche Situationen bringen und zu dem Versuch verführen, gesellschaftliche oder natürliche Umstände zu ihrem Vorteil auszunutzen.“

John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit.*

Und genau das ist hier der nicht der Fall, ich bin als Radfahrer eben in einer solchen ungleichen Situation, die ich immer versucht bin, zu meinem Vorteil auszunutzen…

„Zu der Entscheidung, wie eine wahrhaft gerechte Gesellschaft aussehen würde, könnte ich erst kommen, wenn ich nicht wüsste, welche Position ich in dieser Gesellschaft einnehme. Und genau das ist die Situation von der das Gedankenexperiment des Schleiers ausgeht. Sie nimmt an, dass sich Vertreter aller Gesellschaftsschichten zu einer Verhandlung treffen. Sie sollen entscheiden, wie ihre zukünftige Gesellschaft aussehen soll. Der Clou ist jetzt, dass alle Teilnehmer an einer temporären Amnesie leiden: Sie wissen nicht, welche Positionen sie später in dieser Gesellschaft einnehmen werden.“

Schamloses Eigenzitat.* Hervorhebung von mir. Mindfuck kostenlos dazu… 😉

Wenn ich also entscheiden müsste, ob Falschparker strenger bestraft werden müssen, müsste ich gerade von meiner Position als Radfahrer abstrahieren. Und das ist mir für einen Montagabend nun wirklich zu anstrengend, da rege ich mich lieber weiterhin über Autofahrer auf, spreche mich aber zugleich gegen härtere Strafen aus…

 

 

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Was beweist Don Alphonsos Post?

Don Alphonso hat einen Blogpost geschrieben, darüber, dass Feministinnen schlechte Menschen sind. Dieser Post geht gerade viral und viele lassen sich von seinen Argumenten überzeugen. Amüsant fand ich zum Beispiel, dass sich Fefe schockieren ließ:

„Aber alleine die Liste an menschenverachtenden Tweets, die er da verlinkt, die hat mich gerade ein bisschen sprachlos gemacht.“

Fefe ist ja selbst kein Kind von Traurigkeit und zurückhaltender Sprache, aber das ist eine andere Geschichte. Mir geht es mal wieder nicht um den Inhalt einer Debatte, sondern um die Form, in der diese geführt wird. Die Frage, die für mich spannend ist, lautet: Was beweist Don Alphonsos Post?

Die Antwort:

Nichts. Er bestätigt nur die vorgefertigte Meinung von Menschen, die gerne in dieser Meinung bestätigt werden möchte. Warum ist das so? Weil D.A. anekdotisch argumentiert. Eine Anekdote eignet sich zwar, um die Stimmung zu heben, aber sie ist kein Beweis. Würde hier nicht über Feminismus diskutiert, sondern über Homöopathie, dann würde Herr Alphonso immer wieder Variationen von „Also mir hat’s geholfen“ schreiben. Er reißt Tweets mit markiger Ausdrucksweise aus dem Kontext einer langen Debatte unf reiht sie aneinander. Das würzt er mit Blogposts, bei denen er durch anteasern darauf setzt, dass nur die Überschrift gelesen und dann kopfnickend in der Lektüre des Don fortgefahren wird.

Aber so zu verfahren ist höchst manipulativ, oder wie ich es gerne nenne: sophistisch. Denn man kann fast alles damit beweisen. Ich kann euch diese These beweisen, denn ihr werdet in den folgenden Zeilen selbst lesen können, was für ein schlechter Mensch dieser Don Alphonso ist. Aber nie vergessen: Das ist eigentlich einfach nur ein tendenziöser Artikel, der nichts beweist…

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch, denn ganz offensichtlich bezahlt DA Menschen für Kommentare, …

… um den Verkauf von Anne Wizoreks Buch zu sabotieren.

Und nicht nur das, Don Alphonso ist auch ein schlechter Mensch, weil er irgendwelche ekeligen Sachen in anderer Leute Briefkästen schmeißt, während sie im Urlaub sind:

Und zwar ist es Torte!

Das ist doch widerlich! Das verklebt doch die komplette Post, die sich im Urlaub ansammelt!

Da seht ihr, was Don Alphonso für ein schlechter Mensch ist! Gott sei Dank, gibt es offenbar Zustellungsprobleme:

Dass Don Alphonso ein schlechter Mensch ist, sieht man zudem daran, dass er Drogen nimmt! So hatte er bei seinem letzten Berlinbesuch Probleme, sich seine Drogen zu besorgen:

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch! Aber immerhin erkennt er seine eigenen Defizite:

Anscheinend besteht noch Hofnung für ihn, denn er sieht ein, dass solche Tweets …

… doch sehr infantil sind:

Positiv ist auch, dass er einsieht, dass sein Hass auf Jaron Lanier bei seinem eigenen Körper und Geist nicht angemessen ist:

Ich denke das reicht. Nicht vergessen: Ich weiß nicht, ob Don Alphonso wirklich ein schlechter Mensch ist, aber ich weiß, dass so zu argumentieren, manipulativ ist…

Ich bin zwar auch kein Fan von überhitzten Debatten, bei denen die verschiedenen Seiten versuchen, sich durch lauteres Schreien zu übertönen. Aber noch schlimmer finde ich manipulative Artikel, die versuchen durch Rosinenpickerei ihre Widersacher zu diskreditieren. Besonders, wenn sie von einem von uns weißen, heterosexuellen Männern stammen, der sich darüber beschwert, wie schlecht wir ™ behandelt werden. Wie sagte Louis C. K. einst so schön:

https://www.youtube.com/watch?v=qg48ZZ2wYfM

Irrtümer – Teil 3

Scharfe Babyaugen dichten Reißverschlussverfahren im Sternennebel

Es ist mal wieder Zeit für eine Runde Irrtümer! Schon zum dritten Mal widme ich mich all den Themen, die wir unkritisch als wahr annehmen, die in Wirklichkeit aber so falsch sind, dass sich einem Vulkanier die Nackenhaare aufstellen. Beim ersten Mal in dieser Rubrik, widmete ich mich unter anderem dem Irrtum, dass die Hummel nicht fliegen kann, weswegen ich mich heute unter anderem mit Bienen auseinandersetzen werde. Und im zweiten Teil der Reihe hatte ich mich einerseits – wiederum unter anderem – mit dem Gehirn und andererseits mit der Geburt auseinandergesetzt. Daher wird es heute um das Gehirn von Neugeborenen gehen.

Someone is wron on the internet
Quelle: XKCD. Lizenz: CC BY-NC 2.5.

Können Männer stillen?

Doch zunächst Sex! Also im Sinne von Geschlecht… Habt ihr euch schon einmal gefragt, warum Männer Brustwarzen haben? Mir begegnete nun schon zweimal die These (so auch hier), dass Männer eigentlich auch Milchgewebe hätten und stillen könnten, da sie es aber noch nie gemacht hätten, hätte die beseelte Evolution dafür gesorgt, dass sich die Brustwarzen der Männer und das Milchgewebe immer mehr zurückgebildet haben… Die Pointe sei nun aber, dass Mann wie Frau nach der Geburt nur das Baby lange genug an der Brust nuckeln lassen müsse, damit die Milch einschieße. Dann könnten auch Männer wieder stillen. Und sogar Alexander von Humboldt habe auf seinen Reisen einen stillenden Mann getroffen.

Krasse Geschichte! Zu schade nur, dass sie nicht stimmt. Denn dass Männer Brustwarzen haben, liegt ganz einfach daran, dass diese beim Embryo vor den Hoden ausgebildet werden. Die Embryos von Jungs und Mädchen entwickeln sich nämlich zunächst einmal identisch. Ist ja auch klar: so ein Herz, ist ein Herz, ist ein Herz. Und erst wenn dann die Unterscheidung zwischen Hoden und Eierstöcken ausgebildet wurde, werden die entsprechenden Hormone ausgeschüttet, die unsere Geschlechtsmerkmale ausbilden. Und das bedeutet dann eben Milchgewebe und große, Milch-spendende Brustwarzen bei den Frauen und kleine, nutzlose bei den Männern…

Wie scharf sehen Babys?

Bleiben wir noch etwas beim Stillen: Eine tolle Geschichte, die auch oft erzählt wird, ist jene, wonach Neugeborene in einem Abstand von 20-25 cm scharf sehen können. Das ist nämlich der Abstand zwischen Mutterbrust und Muttergesicht. So schön diese Geschichte ist, so falsch ist sie auch, das erläutert Sabina Pauen, in ihrem lesenswerten Buch „Was Babys denken*“. Frau Pauen ist Psychologin, spezialisiert auf frühkindliche Entwicklung und macht klar, dass, selbst wenn die Augen schon in der Lage wären, die Linse scharf zu stellen (wofür es keine Belege gibt), könnte das Kind dennoch nicht scharf sehen, da die Sehzentren im Gehirn des Neugeborenen noch nicht fertig ausgereift sind.

 Ziemlich leer im Weltall

A propos Sehen: Die Dame und ich sehen gerade mal wieder Star Trek: Voyager. Und im Vorspann von Voyager gibt es diesen tollen Shot:

Screenshot: Star Trek Voyager. Copyright: Paramount Home Entertainment. Hier bei Amazon.
Screenshot: Star Trek Voyager. Copyright: CBS Studios Inc. Hier bei Amazon*.

Mensch wäre das nicht toll, wenn die Menschheit schon heute so weit durchs All fliegen könnte, dass wir so einen kosmischen Nebel verwirbeln könnten? Dahin zu fliegen, wäre zwar toll, allerdings bliebe uns der Ausblick vorenthalten, denn was wir durch unsere Teleskope als Nebel sehen, sehen wir nur deshalb so, weil es einerseits sehr groß und andererseits sehr weit weg ist. Wären wir dort, würden wir wahrscheinlich garnichts sehen, denn die Partikeldichte in so einem Nebel schwankt zwischen 100 und 10,000 Partikeln pro cm³. Das ist sehr, sehr wenig. 100 Partikel pro cm³ hat nämlich auch das beste Vakuum, das wir hier auf der Erde herstellen können. Luft hat beispielsweise ein Partikeldichte von 10^19, also 100.000.000.000.000.000.000 Partikeln pro cm³.

A pros pos Weltall: Unser aller Bild von Asteroidenfeldern ist wahrscheinlich maßgeblich durch diese Szene beeinflusst:

Hammer-Szene! Allerdings wäre eine realistischere Aufnahme von einem Asteroidenfeld eher das hier:

schwarz
schwarz

Denn Asteroidenfelder sind vor allem eines: leer.

„Even if an asteroid belt has millions and millions of asteroids in it, you’d have to be the unluckiest person in the universe to hit one. It’s not impossible, but the chances are astronomical.“

Quelle: 10 Space Myths We Need to Stop Believing

Und zwar ganz einfach, weil die Abstände zwischen den Asteroiden so riesig sind…

Gefangen auf der Autobahn

Und wo ich schon beim Treffen und Einfädeln bin… Äh, war ich da wirklich? Egal. Warum hält sich eigentlich niemand an das Reißverschlussverfahren? Ihr wisst schon, wenn zwei Fahrbahnen zu einer zusammengeführt werden, sollten eigentlich alle Verkehrsteilnehmer bis zum Ende ihrer Fahrbahn fahren und sich dann abwechselnd einfädeln. So steht es sogar im Gesetz! Und auch der ADAC – wenn er nicht gerade Stimmzahlen fälscht – predigt jahraus, jahrein, dass es so gemacht werden sollte. Aber dennoch hält sich kaum einer daran… Schuld daran dürfte das Gefangenendilemma sein:

Ihr wisst schon, die Story aus der Spieltheorie, bei der zwei Gefangene in einem Verhör sitzen, wenn beide schweigen, bekommen beide nur 2 Jahre Haft. Verrät einer die andere bekommt einer nur 1 Jahr Haft, die andere aber sechs Jahre, verraten sie sich gegenseitig, bekommen beide 4 Jahre. Wenn wir das kurz überschlagen, verbringen die beiden die geringste Summe an Zeit im Stau, äh im Knast, wenn beide schweigen. Da aber beide nicht wissen, was der jeweils andere tut, ist für sie die vernünftigste Option, den anderen zu verraten.

Wie übertragen wir das auf die Autobahn? Wenn ich auf das Hindernis zufahre, kann ich mir nicht sicher sein, ob die Fahrerinnen auf der Nebenbahn mich auch wirklich reinlassen, sobald ich das Hindernis erreicht habe. Daher ist es für mich das Vernünftigste, schon früher die Chance zu ergreifen und in eine Lücke einzuscheren, sobald sich mir eine bietet. Andererseits habe ich dann aber auch keinen Anreiz mehr, jemanden vor mich zu lassen, da das ja nur die Zeit verlängert, in der ich im Knast, äh, Stau stehe.

Zwar ist es auch nicht sehr vernünftig anzunehmen, man würde nie wieder reingelassen, aber mit Blick auf die Massen die sich in die Bahn drängeln, ohne andere aussteigen zu lassen, scheint diese Angst unter den Menschen weit verbreitet zu sein…

Das Gefangenendilemma hilft uns also zu verstehen, was auf unseren Autobahnen schief läuft. Da soll noch mal jemand sagen, Philosophie habe keinen praktischen Nutzen.

Einstein war kein Imker

Praktischen Nutzen haben auch Bienen. Wie sagte einst Albert Einstein:

„Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, kein Mensch mehr.“

Aber eines ist komisch: Warum maßte Einstein als Physiker sich an, diese Aussage zu treffen, das ist doch eher ein Ding der Biologie… Tja, das liegt daran, dass Einstein derlei wahrscheinlich nie gesagt hat, sondern das Zitat eine Erfindung des “Canadian Bee Journal” aus dem Jahre 1941 ist.

Mythen zwischen der Bastille und  Kolumbus

Eine andere Erfindung der Geschichte ist – darauf machte mich @Evo2Me kürzlich aufmerksam – ist der Sturm auf die Bastille. Noch so ein Ding, das ich in der Schule als Fakt gelehrt bekam. In Wirklichkeit wurde die Festung übergeben (gut, ich glaube, das hatte mein Lehrer noch erwähnt) aber auch die Haftbedingungen in der Bastille waren wohl nicht so schlimm, sodass überhaupt nur sieben Leute befreit werden konnten und bei einem zweiten Blick auf diese glorreiche Sieben stellt sich heraus, dass es denen eigentlich ganz gut erging in der Bastille und sie obendrein auch noch ganz zurecht im Knast saßen. Alles in allem könnte man sich zurecht fragen „How is this still a thing“ Und wo ich schon dabei bin:

Absurd, dass Kolumbus noch immer ein Unterrichtsstoff in unseren Schulen ist und noch absurder, dass wir dort diese unkritische Heldengeschichte erzählt bekommen.

Haikus sind sinnlos

Wisst ihr, was auch noch absurd ist? Und damit beschließe ich den dritten Teil meiner kleinen Irrtümer-Reihe: Dass außerhalb von Japan, beziehungsweise dem Japanischen Haikus gelesen, und noch absurder: geschrieben werden. Warum? Dafür muss ich jetzt ein bisschen weiter ausholen:

Ein Haiku wird allgemein als ein kurzes, stark formalisiertes Gedicht angesehen, dass keine Pointe hat. Klassisch für westliche Lyrik ist, dass sie eine Schlussfolgerung nach sich ziehen, die durch ihre Metaphorik entsteht, so etwa bei Goethes „Ein Gleiches“:

Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Im Grunde ist das ein unverfänglicher Text, dennoch drängt sich bei uns die Schlussfolgerung auf, dass der olle Johan Wolle, eigentlich vom Tod schreibt. Nicht so verhält es sich bei einem Haiku, zum Beispiel bei diesem von Matsuo Bashō:

Der alte Weiher:
Ein Frosch springt hinein.
Oh! Das Geräusch des Wassers

Keine Pointe, keine Schlussfolgerung, Ausdruck des Zen. Oder? Na ja, eben nicht. Denn die Metaphorik kommt im Japanischen durch die Schrift ins Spiel. Um das zu verstehen, müsst ihr zwei Tatsachen über das Japanische wissen:

1. Das Japanisch verfügt über viele Homonyme: Also gleiche Worte mit verschiedenen Bedeutungen.

2. Japan verfügt über zwei Schriftsysteme (eigentlich sogar drei mit Katakana, aber das führt jetzt zu weit…), die in der Regel kombiniert werden. Zum einen das Hiragana – Eine Silbenschrift, das heißt: hier hat jede Silbe ein Zeichen. Zum anderen das aus China übernommene Kanji, eine Begriffsschrift, in der also die einzelnen Begriffe jeweils ein Zeichen haben.

Um nun in der Schriftsprache für die vielen Homonyme eine eindeutige Lesart zu erzeugen, werden für sie Kanji-Zeichen verwendet und diese werden (fahrlässig vereinfacht gesprochen) mit Hiragana-Zeichen flektiert. Nicht so jedoch beim Haiku! Dort wird nur Hiragana verwendet, um bewusst die Homonymie nicht zu verlieren. So kommt durch die japanische Schrift die komplette Metaphorik ins Haiku, die uns abgeht, wenn wir Haikus nicht in Hiragana lesen. Und deshalb ist das Lesen und erst recht das Schreiben von Haikus etwa in deutscher Sprache vollkommen sinnlos.

Ich freue mich schon auf wütende Dichter, die mir in Dreizeilern erklären, warum ich mich irre… 😉 Falls Ihr auch noch Irrtümer kennt, die gut in meine Reihe passen würden, schreibt mir ne Mail an info@privatsprache.de. Ewiger Dank, Namensnennung und Verlinkung sind euch gewiss!

 

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Waffen töten keine Menschen, oder?

In der siebten Klasse hatten wir im Klassenzimmer hinter der Tafel eine große Leinwand sowie eine kleine Projektorkabine an der hinteren Wand. Erstaunlicherweise kann ich mich aber nicht erinnern, dass darauf je ein Film gezeigt wurde. Wenn wir Filme im Unterricht sahen, dann auf einem Röhrenfernseher, der auf einem eigenen Wagen durchs Schulgebäude gerollt wurde. Aber ich schweife ab…

Zum Leinwandensemble gehörte nämlich auch ein langer Zeigestab aus Fiberglas. Und dieser Zeigestab geriet bald ins Fadenkreuz unserer Klassenkonferenz. Der Stab wurde nämlich im jugendlichen Überschwang von den wilderen Jungs und Mädchen manchmal dazu benutzt, jemand anderen zu schlagen. Im Spiel war da keine böse Absicht dahinter, einfach nur Unbedachtheit. Jetzt ist so ein Fiberglasstab allerdings elastisch und bei einem etwa 1,50 Meter langen, schwingenden Stab ist der Schmerz des Schlages schon nicht ohne, auch wenn der Angreifer gar nicht so fest zuschlagen wollte.

Auf einer Klassenkonferenz jedenfalls sprach sich die Mehrheit dafür aus, den Stab in die Projektorkabine zu sperren, damit er nicht mehr als Waffe benutzt werden könnte. Ich war dagegen. Ich konnte nicht nachvollziehen, dass wir in der Klassengemeinschaft anscheinend zwar zu dem Konsens kommen konnten, dass das Schlagen mit dem Stab scheiße ist, wir uns aber nicht darauf einigen konnten, es einfach zu lassen. Als ginge eine magische Kraft von diesem Gegenstand aus, die den Träger zwingt, ihn als Waffe zu gebrauchen. Quasi ein tolkienscher Herrscherstab.

Bis heute vertrete ich die extrem liberale Position, dass Probleme im menschlichen Miteinander durch Kommunikation und nicht durch Verbote gelöst werden sollten. So ließ mich ein Update von Watchever unlängst entscheiden, ob ich eine maximale Fernsehdauer für meine Tochter (7) einstellen wolle. Ich entschied mich dagegen, übrigens wie gegen die Option in der Fritzbox jugendgefährdende Webseiten automatisch zu blockieren. Es wäre bequem für mich, per Knopfdruck meiner Tochter diese Verbote auszusprechen, hingegen wähle ich den komplizierten Weg, mit ihr zu diskutieren, warum sie nicht noch eine Folge von „Barbar, der Elefant“ sehen darf und den komplizierten Weg, ihr zu erklären, wie sie sich im Internet bewegen muss, ohne ungewollt auf Pornos oder gar Gewalt zu stoßen.

Allerdings ist diese Position nicht nur unbequemer, sie ist auch nicht ganz unproblematisch. Es ist – meine Überschrift deutete es an – der Slogan der amerikanischen Waffenlobby: Waffen töten keine Menschen, Menschen töten Menschen. Allein, alle Statistiken sagen das Gegenteil. In Europa haben wir viel strengere Waffengesetze und mit ihnen viel weniger Morde. Nun denke ich trotzdem, dass die amerikanische Waffenlobby mit ihrem Slogan im Grunde Recht hat. Allerdings ist ihre Lösung: dem Bad Guy mit einer Knarre einen Good Guy mit einer Knarre entgegenzusetzen, falsch. Die Probleme der amerikanischen Gesellschaft mit Gewalt haben so komplexe Ursachen (soziale Ungleichheit, mangelnde Bildung, Tradition, Sozialisation), dass letztlich wohl nur ein Verbot hier helfen kann. Auch wenn es den USA sicher gut tun würde, die Ursachen und nicht die Mittel zum Zweck zu bekämpfen.

Warum schreibst du das alles, Privatsprache?

Weil Caspar Clemens Mierau Tor verbieten will„, könnte ich sagen, tue ich aber nicht. Stattdessen sage ich: Leitmedium hat den Finger in einer dreckige, eitrige Wunde gelegt und bohrt darin herum. Und das kann er ziemlich gut. Was ist die Wunde in meiner Metapher? Wir haben in der Netzgemeinde ein Problem mit Hatern, mit der Kommentarkultur oder ganz generell mit unseren Umgangsformen.

Kleine Abschweifung: Ich lehne es – ähnlich wie Das Nuf – ab, in diesem Kontext von "Trollen" zu sprechen, da ich finde, dass das Wort Täter verniedlicht. Ein Troll ist jemand, der oder die in einer politischen Diskussion ein Katzenbild postet beziehungsweise der oder die in einem Supportforum jemanden rickrolled. Menschen, die andere Menschen systematisch fertigmachen, die Frauen mit Vergewaltigung drohen oder intime Details des Privatlebens ihrer Opponenten veröffentlichen, sind keine Trolle sondern soziopatische Arschlöcher oder eben Hater.

Aber was genau hat Mierau denn nun gesagt? Er hat darauf hingewiesen, dass der Anonymisierungsdienst Tor von Hatern genutzt werden kann, um sich – etwa im Falle einer Morddrohung – vor der Strafverfolgung zu verbergen. In den Kommentaren des Leitmediums wird noch darauf hingewiesen, dass Tor und ähnliche Anonymisierungsdienste noch zu ganz anderen Straftaten verwendet werden. Das berühmtesten Beispiel ist sicherlich Silk Road, eine Art ebay (auch) für schwere Drogen und sogar ekelige Sachen wie Auftragsmord. Ein Ort, den du tunlichst nur anonym aufsuchen solltest. Also ist ein Verbot von Tor eine logische Sache, wie der Verbot von Waffen, oder? Nun, es ist ein typischer Fall von Liberty Valence (Englisch für Valenz oder Wertigkeit der Freiheit).

Screenshot: The Man Who Shot Liberty Valance
Screenshot: The Man Who Shot Liberty Valance. Copyright: Paramount. Hier als Blueray bei Amazon*.

Noch eine kleine Abschweifung: Im Jahr 1962 drehte John Ford mit "Der Mann der Liberty Valance erschoss" ein Schlusskapitel zum Western. Ein großartiger Film, der schon mit epischen Vorausdeutungen wie der Eisenbahn und dem Automobil beginnt und damit endet, dass John Wayne an Altersschwäche stirbt. John Wayne! Im Bett! Ohne Schuhe! Im Film wird verhandelt, dass die Zeit der Outlaws vorbei ist und die Epoche der Anwälte und Politiker beginnt. Und es wird darauf verwiesen, dass mit der aufkommenden Sicherheit vor Gangstern eben auch ein Stück Freiheit dahin geht und kein Westernheld mehr am Ende in den Sonnenuntergang reitet. Freiheit ist eben ambivalent, verstehta?!

Freiheit und Sicherheit sind zwei widerstreitende Werte. Du kannst den einen nicht im gleichen Maße wie den anderen haben. Sie müssen stets in Balance gehalten werden. Absolute Freiheit ist Anarchie. Und das ist letztlich nur ein Naturzustand ohne Leviathan, in dem das Recht des Stärkeren gilt. Auf der anderen Seite pervertiert absolute Sicherheit zu Staatssicherheit und damit zum Totalitarismus. Denn wenn alles geregelt ist, brauchst du auch eine totale Überwachung um die Einhaltung dieser Regeln zu gewährleisten und drakonische Strafen, um Regelübertritte zu verhindern.

Nun hat sich seit 2001 die Balance in der Gesellschaft immer mehr in Richtung Sicherheit verschoben. In der gleichen Zeit jedoch wurde das Internet zum Massenmedium und hat sich seinen freiheitlichen Charakter noch weitgehend bewahrt. Und in diesem Spannungsfeld steht nun Mieraus Gedankenspiel zu einer Reglementierung von Tor. Er selbst spricht auch den Dual Use von Tor an, ohne jedoch auszusprechen, worin denn die zweite Seite besteht. Das möchte ich gerne nachholen: Im Schatten der Totalüberwachung durch Geheimdienste ist ein Mittel, um sich vor dieser zu schützen, vielleicht keine so schlechte Idee. Zwar weist CCM richtig darauf hin, dass die NSA keine Vergewaltigungsdruhungen verschickt und auch unsere Demokratie macht einen recht stabilen Eindruck, aber wir sollten nie vergessen, dass die zukünftige Geschichte noch nicht geschrieben ist, dass es keine Regeln oder Gesetze im Weltgeschehen gibt, aus denen abzuleiten wäre, dass unser Rechtsstaat auch morgen noch da ist: Improbable things happen. Vielleicht sehen wir uns in Kürze schon wieder mit einem Totalitarismus konfrontiert, der obendrein auch noch eine perfekte Überwachungsinfrastruktur vorfinden wird. Wollen wir da wirklich unsere Mittel zur Abwehr aus der Hand geben? Zudem gibt es auf dieser Welt schon heute viele totalitäre Regime, in denen Dissidenten, Widerstandskämpferinnen oder sogar komplette Zivilgesellschaften auf die Nutzung von Tor angewiesen sind, da sie ansonsten in Lebensgefahr sind.

Ich will hier nicht die psychische Unversehrtheit der einen gegen die physische der anderen aufwiegen, sondern den guten Usecase von Tor ausformulieren. Abschließend möchte ich zu bedenken geben, dass ich nicht glaube, dass ein Verbot oder eine Reglementierung von Tor einen gewünschten Effekt auf den Anstand der Hater hätte. Wäre es so, dann müsste das in seinen Klarnamenzwängen gefangene Facebook ein Hort der glücklichen Einhörner sein, doch auch dort sind Hass, Bedrohungen und psychische Gewalt an der Tagesordnung. Genauso wenig glaube ich, dass sich Menschen, wie der erst kürzlich von der FAZ portraitierte Uwe Ostertag überhaupt für Tor interessieren. Sie predigen ihre menschenverachtenden Botschaften auch trotz langer Features inklusive Klarnamennennungen.

Ich glaube auch im Fall der Hater ist die Antwort kein Knopf zum Abschalten und kein Projektorraum zum Wegsperren, sondern der komplizierte Weg der Kommunikation. Wir müssen die aufklären und überzeugen, dass wir einen anderen Umgangston im Netz brauchen, die mit sich reden lassen und wir müssen denen die Plattformen und die Toleranz vorenthalten, die lernresistent sind. Das ist schwer! Das ist nichts, was sich von heute auf morgen ändern wird! Das ist nervenaufreibend! Aber das ist möglich!

Gesellschaftliche Änderungen sind schon früher eingetreten und sie werden sich auch in Zukunft erkämpfen lassen…