Das Strohmann-Argument

Mein Corona-Tagebuch der schönen Gedanken – Teil 8

Heute geht es wieder um Argumentationstheorie und der Gedanke stammt erneu aus dem illustrierten Buch der schlechten Argumente von Ali Almossawi. Genauer gesagt geht es um das Strohmann-Argument.

Xavier Naidoos neurechter Blödsinn

Xavier Naidoo hat sich rassistisch geäußert. Mal wieder. Ich habe dazu schon auf Twitter geschrieben und wiederhole das hier.

Ich habe was zu #Naidoo zu sagen. Es macht mich traurig, dass wir im 21. Jahrhundert rassistisch Gewaltvorurteile tatsächlich wieder argumentativ aushebeln müssen. Dass wir die nicht hinter uns gelassen haben. Aber na gut, dafür bin ich ja da. Naidoo wiederholt einen beliebten neurechten Talkingpoint. Zitat:

„… was, wenn fast jeden Tag ein Mord geschieht, bei dem der Gast dem Gastgeber ein Leben stiehlt …“

Das zeigt nicht nur, dass der „Sänger“ die Propaganda der Neuen Rechten sich ungeprüft zu eigen macht. Es ist auch falsch. 2018 gab es in Deutschland 386 Morde. Diese Zahl ist seit 2001 weitgehend stabil. Es gibt also keinen signifikanten Anstieg seit 2015.

Die Zahl der Morde inklusive Versuche ist in Deutschland seit 1993 zurückgegangen von 1.299 Fälle beziehungsweise 1,6 pro 100.000 Einwohner es 901 Fälle oder 1,1 pro 100.000 im Jahr 2018. Trotz der angeblichen „Überfremdung“ und „Islamisierung“ im gleichen Zeitraum. Bei vollendetem Mord und Totschlag waren 2015 bei 68,4 % Verwandte oder nähere Bekannte tatverdächtig. Also keine Fremden. Keine „Gäste“.

Als Gegenargument bringt die Neue Rechte hier gerne, dass der Anteil von Ausländern an Gewaltkriminalität 38,6 % beträgt, während der Bevölkerungsanteil nur 12,2 % beträgt. Das stimmt. Allerdings beinhalten die 38,6 % auch Touristen oder Geschäftsreisende, die in Deutschland Gewaltverbrechen begehen. Gewaltverbrechen von Deutschen im Ausland tauchen in der Statistik hingegen nicht auf.

Ferner sind 11,4 % Menschen ohne Migrationshintergrund in diesem Land armutsgefährdet, während 27,2 % der Menschen mit Migrationshintergrund armutsgefährdet sind und Armut ein wichtiger Faktor bei der Entstehung von Kriminalität ist.

Abschließend möchte ich die Jenaer Erklärung der Deutschen Zoologischen Gesellschaft zitieren:

„Die Verknüpfung von Merkmalen wie der Hautfarbe mit Eigenschaften oder gar angeblich genetisch fixierten Persönlichkeitsmerkmalen und Verhaltensweisen[…] ist inzwischen eindeutig widerlegt.“

Damit das klar ist.

Der Klassismus von Bibi und Tina

Darüber habe ich neulich schon getwitter. Ich habe nie genug Beachtung geschenkt, wie unglaublich klassistisch „Bibi & Tina“ ist (Danke an Becci, die mich korrigierte, da ich fälschlicherweise von ‚klassizistisch‘ schrieb).

Die eine Hälfte der Protagonist*innen ist so arm, dass sie immer drauf und dran sind, den Pferdehof dicht zu machen. Die andere Hälfte sind die von Falkensteins, denen alles gehört (auch der Hof, den sie an Familie Martin zu einem so horrenden Preis verpachten, dass diese immer an der Pleite kratzt). Es stört den Grafen dabei auch nicht, dass sein Sohn mit der Tochter der Martins in einer langjährigen Beziehung ist und alles darauf hinausläuft, dass die beiden heiraten werden. Trotzdem quetscht er jeden Cent aus seiner zukünftigen Schwiegertochter. Der Sohn ist da keinen Deut besser und versucht nie irgendwas an der Situation seiner angehend Schwiegerfamilie zu ändern.

Zwei Aspekte sind dabei besonders Perfide:

  1. Frau Martin, die Hofpächterin, ist immer zu stolz, Hilfe anzunehmen und zu sagen, dass sie arm ist. Der tollste aller kapitalistischen Tropes: Wenn sich die Unterdrückte aus Stolz selbst um jeden revolutionären Gedanken bringt. Bloß nichts ändern daran, wie es ist. So muss es sein. Das wird dann durch den anderen Aspekt vollends zementiert.
  2. Denn in diese Konstellation kommt ja die Hexe Bibi, die sämtliche Probleme der Familie Martin mit Magie lösen könnte. Doch Frau Martin mag nicht, wenn Bibi zaubert. Das wird auch nie irgendwie begründet. Frau Martin mag das halt nicht. Bibi soll schön die Füße still halten, damit auch noch alle kommenden Kindergenerationen klar vor Augen geführt bekommen, wer hier in der natürlichen Ordnung die Kohle hat und wer nicht, das aber voller Stolz.

Meine Fresse …

Die Philosophie von Fridays for Future

Heute geht es hier um ein Thema, das in aller Munde ist: Friday for Futures. Im Augenblick kann ich ja noch darüber sprechen, so lange uns AKK das noch machen lässt. Aber weil es mir hier um Philosophie geht, möchte ich nicht nur blöd meine Meinung zu FFF rausposaunen, sondern die Philosophie von Fridays for Future ergründen.

Unter philosophischer Betrachtung ist die Bewegung nämlich durchaus spannend. Denn interessant wird Ethik (was Friday for Futures zugrunde liegt) immer dann, wenn ein Wertekonflikt existiert. Dann muss man eine Güterabwägung vornehmen und sich überlegen, welchen Wert man höher einstuft als welchen anderen. Und je nachdem, welchen Wert ich wie gewichte, komme ich zu meinem Urteil über FFF.

Moralisch eindeutige Fragen sind ethisch betrachtet zumeist recht langweilig. Niemand wird ernsthaft diskutieren wollen, ob Danaerys im Recht war, die Bevölkerung von Kings Landing abzufackeln, nachdem diese bereits kapituliert hatte. Hingegen ist es interessanter, ob ich das Recht hatte, eben GoT zu spoilern, um hier ein philosophisches Argument zu machen.

Also wie ist das bei FFF? Was spricht dafür und was dagegen? Oder sollte ich noch einmal einen Schritt zurückgehen und erklären, was FFF überhaupt ist?

Was ist Fridays for Future?

Alles fing an mit Greta Thunberg, die jeden Freitag die Schule bestreikte, um auf die Gefahren des Klimawandels und unser aller Untätigkeit im Klimaschutz aufmerksam zu machen. Das hat sich mittlerweile zu einer internationalen Bewegung gemausert, bei der Schüler*innen Freitags blau machen und für Klimaschutz demonstrieren.

Man könnte sich sehr ausführlich damit beschäftigen, mit welcher Rhetorik FFF in der Öffentlichkeit begegnet wird. Aber das würde hier zu weit führen. Wir wollen das lieber den Experten überlassen. Jedenfalls muss sich Fridays for Future eine ganze Menge Kritik anhören und darunter sind auch ein paar inhaltliche Argumente. Um die geht es mir hier und heute. Eigentlich sollte es doch eine super Sache sein, dass sich Schüler*innen für Umweltschutz engagieren. Also: Was spricht dagegen?

Die Kritik an Fridays for Future

Der Hauptkritikpunkt ist zumeist, dass dieser Protest während der Schulzeit stattfindet. Dass die Kinder doch nur die Schule schwänzen wollen. Aber was ist eigentlich so schlimm daran? Ist die Schule nicht dafür gemacht, geschwänzt zu werden? Nun, dass das so viele Menschen stört, hängt mit der Schulpflicht zusammen.

Schulpflicht? Was ist denn das nun wieder? A long time ago in a galaxy far far away… Beziehungsweise vor ein paar Jahrhunderten auf diesem Kontinent. Im Zuge von Reformation und Aufklärung entstand der Gedanke, dass der Staat dafür zu sorgen habe, allen Kindern eine Grundbildung zu verschaffen. Diese Entwicklung beschleunigte sich durch die Industrialisierung und führte in Deutschland dazu, dass es seit der Weimarer Republik eine allgemeine Schulpflicht gibt.

Doch warum gibt es die, was soll das? Zunächst einmal hat eine Gesellschaft ein generelles Interesse daran, dass ihre Mitglieder Zugang zu Bildung haben. Wenn es niemand gäbe, die Ärztin werden könnte, wäre das schön doof, oder? Der Aufklärungsphilosoph Jean-Jacques Rousseau brachte die Idee hervor, dass es so etwas, wie einen Gesellschaftsvertrag gibt. Menschen leben in Gesellschaften zusammen, da sie sich davon versprechen, dass diese Gesellschaft das Wohl aller vergrößert. Die Details von Rousseaus Philosophie können wir außer Acht lassen, wichtig ist hier, dass so ein Gesellschaftsvertrag nur funktioniert, wenn sich mehr oder weniger alle mehr oder weniger an ihn halten.

Und hier kommt dann erstmals die Schulpflicht ins Spiel. Denn es gibt zu ihr noch ein Gegenstück. Alle Schüler*innen haben die Pflicht zur Schule zu gehen. Dies ist ihr Beitrag zur Einhaltung des Gesellschaftsvertrags. Doch auch der Staat hat eine Pflicht: Die Beschulungspflicht. Diese resultiert darin, dass Bildungseinrichtungen zu den größten Institutionen des Staates gehören. Egal, ob du in einer Großstadt wohnst, in einem Dorf in der Eifel, auf einer Alm in den Alpen, auf einer Nordseeinsel oder sogar in Katzenelnbogen. Der Staat sorgt dafür, dass du Zugang zu schulischer Bildung hast und möchte im Gegenzug, dass du diese auch wahrnimmst.

Okay, soviel zu den Pflichten. Aber niemand würde die Einhalten, wenn er oder sie nicht auch etwas davon hätte. Was spricht denn für die Schulpflicht? Was macht sie zu einer nicht ganz doofen Idee? Dafür müssen wir noch einmal zum Ziel von Rousseaus Gesellschaftsvertrags zurückkehren: Er soll das Wohl aller vergrößern. Damit das geschehen kann, muss es eine weitere Grundbedingung geben: Es muss Gerechtigkeit herrschen. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sich wirklich für alle das Wohl mehr oder weniger vergrößert, sonst haben sie keine Veranlassung, den Gesellschaftsvertrag einzuhalten.

Das ist nun wieder ein riiiiiiiiesiges Fass, das ich gar nicht richtig aufmachen will, aber eine kleine Tasse möchte ich zumindest daraus schöpfen: Denn eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für Gerechtigkeit ist Chancengleichheit. Und an dieser Stelle kommt wieder die Schulpflicht ins Spiel. Die Idee dahinter ist, dass es egal ist, ob deine Eltern Millionäre oder Hartzer sind: Alle sollen die gleiche Ausgangssituation haben. Durch den gleichen Zugang zu Bildung soll ihnen ermöglicht werden, als Erwachsene den Beruf zu ergreifen, den sie möchten und so ihr persönliches Wohl zu mehren. Selbst wenn sie sich am Ende entscheiden, SPD-Spitzenkandidaten zu werden.

Aber würde es hier nicht reichen, dass der Staat einfach die Schulen hinstellt? Wer Lust hat, später fett Kohle zu verdienen, geht halt hin und wem das egal ist, lässt es bleiben? Nun, ohne jemanden hier zu nahe treten zu wollen: Schüler*innen wissen vielleicht nicht immer, was das Beste für sie ist und leben im hier und jetzt. Und Ja: Mir ist klar, wie absurd dieses Argument ist gegen Demonstrationen, die sich nur um die Zukunft drehen. Aber ich zumindest habe die Schule allzu oft lieber geschwänzt und mit Freunden rumgehangen als dass ich dem Unterricht aufmerksam gefolgt bin. Und seht, was aus mir geworden ist! Darüber hinaus spielt das Elternhaus hier eine große Rolle: Wenn deinen Eltern wichtig ist, dass du dich in der Schule anstrengst, wirst du es wahrscheinlicher tun, als wenn deine Eltern eher für „Netflix & chill“ sind.

Damit die Menschen unabhängig vom Engagement ihrer Eltern Chancengleichheit haben, gibt es die Schulpflicht. Es gibt sogar noch einen anderen Grund für die Schulpflicht. Früher gab es den Feudalismus, das war das Gesellschaftssystem vor der Aufklärung. Damals gab es Grundbesitzer – den Adel – die den ganzen Tag rumhingen, chillten und andere für sich arbeiten ließen. Diese Anderen waren die Leibeigenen und wie der Name schon sagt gehörten die buchstäblich dem Adel. Damals war es vollkommen Normal, dass Kinder mitarbeiteten, sobald sie dazu in der Lage waren. Mit der Industrialisierung verschärfte sich dieser Zustand sogar noch, als mehr und mehr Menschen, in die Städte zogen, um für einen Hungerlohn in Fabriken zu arbeiten. Damals war es total normal, dass Kinder mitarbeiten, um die Familie zu ernähren. Den Menschen blieb schlichtweg nichts anderes übrig.

Die Schulpflicht hat jetzt den äußerst wünschenswerten Nebeneffekt, dass sie Kinderarbeit faktisch ausschließt. Denn wer zur Schule gehen muss, kann nicht gleichzeitig arbeiten. Und wir Gutmenschen glauben heute, dass die Kindheit etwas Besonderes und Schützenswertes ist. Dass jedes Kind ein Recht auf eine Kindheit frei von Arbeit hat. Das spricht also gegen FFF. Wobei ich gleich dazu sagen muss, dass meine Darstellung hier äußerst idealisiert und vom Geist der Aufklärung geprägt ist. Michel Foucault zum Beispiel sah das eher so:

„Schulen haben die gleichen sozialen Funktionen wie Gefängnisse und Irrenhäuser – sie definieren, klassifizieren, verwalten und regulieren Menschen.“

Michel Foucault – Überwachen und Strafen.

Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden. Denn nachdem ich euch nun erzählt habe, was gegen Fridays for Future spricht,  muss ich natürlich auch noch darüber reden, was dafür spricht. Und das möchte ich aufspalten. In zwei Fragen. Denn einerseits ist interessant, was die Motive für FFF sind. Andererseits muss aber auch ein Blick darauf geworfen werden, ob die jungen Leute ™ die richtigen Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ergriffen haben.

Es gibt den menschengemachten Klimawandel

Auch wenn es mich traurig macht, so muss ich doch zunächst einmal klarstellen, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt, selbst wenn ein paar Lunatics das bezweifeln. Wenn ihr mir das nicht glaubt, dann fragt einfach mal bei Scientists for Future nach oder lutscht an eurem Diesel oder was euch sonst feuchte Träume beschert.

Wen also unsere Prämissen sind, dass es dem Klimawandel gibt und dass wir ihn beeinflussen können, dann folgt daraus aber noch nicht, dass wir das auch sollten. Aus der Tatsache des Klimawandels kann man nicht zwingend darauf schließen, dass Umweltschutz erstrebenswert ist. Dies ist eine ethische Entscheidung, die wir treffen müssen. Die Antwort auf die Frage, wie wir leben wollen, die jeder Ethik immer zugrunde liegt. Wir könnten auch sagen: Fuck it! No Future! Mir sind meine Mercedes S-Klasse und der Wochenendtrip nach Malle wichtiger!

Aber auch wenn Ethik immer etwas Kontingentes ist (das bedeutet, nur eine von mehreren verschiedenen Möglichkeiten), so ist sie dennoch nicht willkürlich, sondern in unserer Geschichte, unserer Gesellschaft, unseren Wünschen und Zielen begründet. Schauen wir uns also mal an, woher die Idee kommt, dass Klimaschutz etwas Erstrebenswertes ist.

Die Argumente für Fridays for Future

Der Klimaschutz ist eine Unterkategorie des Umweltschutzes. Und auch der war wieder eine Idee, die im Zuge der Industrialisierung entstand, als das Leben in den Städten durch Umweltverschmutzung teilweise sogar lebensgefährlich wurde. Alleine in London kam es bis 1952 immer wieder zu Smogkatastrophen, bei denen die Abgase aufgrund der Wetterlage nicht mehr aus der Stadt abziehen konnten und es im Zuge dessen zu zahlreichen Todesfällen kam.

In der Romantik kam es zu einer — nun ja — Romantisierung der Natur, in Zuge der sie mehr ins Zentrum der menschlichen Aufmerksamkeit geriet. Die Nazis machten sich diese Mode zu eigen mit ihrem Blut und Boden Schwachsinn. Wahrscheinlich war das auch ein Grund dafür, dass das Thema nach dem Zweiten Weltkrieg erst einmal wieder hintan gestellt wurde. Erst in den 1960er Jahren kam es wieder im Zuge der links-progressiven Jugendbewegungen zurück auf die Tagesordnung. Hier oftmals mit einer stark antikapitalistischen Haltung, bei der Umweltschutz und Kapitalismus als etwas Konträres gesehen wurde. In den 80ern schließlich, als in Deutschland alle Angst vorm Waldsterben hatten, sprangen dann auch die Konservativen mit auf den Zug. Sie kamen auf den Trichter, dass sich Umweltschutz hervorragend religiös begründen lässt: als Bewahrung der Schöpfung. 1994 wurde der Umweltschutz schließlich sogar ins Grundgesetz der BRD aufgenommen. Übrigens unter einer CDU-Regierung, der von Helmut Kohl.

Soviel zur Geschichte. Aber warum ist Umweltschutz so wichtig, dass er sogar offizielles Staatsziel der BRD ist? Warum steht nicht zum Beispiel das Recht auf gesunden Salat im Grundgesetz? Ist Umweltschutz einfach ein Wert an sich, weil Blumen und Kaninchen so schön sind? Oder lässt sich dieser Wert aus einem anderen herleiten? Ich denke, letzteres ist der Fall. Es geht schlicht und einfach darum, dass dieser Planet, so wie er ist, ziemlich ideal für Menschen ist, um darauf zu leben. Eine Erwärmung des Klimas hingegen könnte das Überleben wesentlich schwerer machen. Das Recht auf Leben aber gehört zu einem der ganz wenigen Werte, auf die sich so ziemlich alle Menschen als erstrebenswert einigen können. Denn mal ehrlich: Leben ist schon ziemlich geil, oder?

Ein anderer Wert spielt hier aber noch mit hinein, denn ich und meine Generation können wahrscheinlich pupsende Kühe essen, bis wir umfallen, wir werden nicht mehr erleben, dass unser Planet zum Mad-Max-Fanclub wird. Dieses Schicksal trifft die nachfolgenden Generationen. Der Wert, der also noch zu Umweltschutz und Recht auf Leben hinzukommt, ist die Generationengerechtigkeit. Ich hatte vorhin schon den Gesellschaftsvertrag erwähnt. Dessen Ziel ist soziale Gerechtigkeit. Er versucht zu erreichen, dass es keinem Teil der Gesellschaft so richtig kacke geht. Diese Idee lässt sich jetzt natürlich nicht nur auf die derzeit lebenden Menschen anwenden. Man kann auch noch die Menschen miteinbeziehen, die noch gar nicht geboren sind. Wenn wir sagen, wir wollen nicht, dass zukünftige Generationen unter dem Scheiß zu leiden haben, den wir verbockt haben. Dann ist das Generationengerechtigkeit.

Und jetzt wird es richtig absurd. Denn ihr habt bestimmt schon einmal was von der schwarzen Null gehört. Das ist die Idee, dass sich Deutschland nicht immer weiter Verschulden soll, damit zukünftige Generationen auch noch genug Spielraum mit den Staatsfinanzen haben. Diese Idee ist nichts anderes als Generationengerechtigkeit. Und absurderweise wird sie am vehementesten von den Parteien vertreten, die beim Umweltschutz auf Generationengerechtigkeit scheißen: CDU und SPD. Schon ein bisschen inkonsequent, oder?

Der Wertekonflikt am Grunde von Fridays for Future

Damit haben wir unseren Wertekonflikt beisammen: Wir haben also auf der einen Seite Werte wie die Schulpflicht, den Gesellschaftsvertrag, die Chancengleichheit, das Verbot auf Kinderarbeit und das Recht auf eine Kindheit. Demgegenüber stehen die Werte des Umweltschutzes, der Erhaltung der Schöpfung, die Generationengerechtigkeit und vor allem das Recht auf Leben.

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber wenngleich beide Seiten gute Argumente haben, so habe ich dennoch eine eindeutige Antwort, welcher Wert bei dieser Abwägung am höchsten zu gewichten ist.

Das Mittel zum Zweck von Fridays for Future

Denn wir müssen noch die Frage beantworten, ob das Mittel, das FfF gewählt hat, das richtige ist. Zunächst einmal steht außer Frage, dass die Schüler*innen ein Recht auf die Demos haben. Die Versammlungsfreiheit steht in Artikel 8 des Grundgesetzes. Es ist eines der Grundrechte, der höchsten Rechte, die man in der BRD hat.

Doch müssen die unbedingt während der Schule demonstrieren? Sie könnten das doch auch Samstags machen. Diese gemeinen Schulschwänzer nennen ihre Demos „Streik“. Was ist denn das, ein Streik? Das Wort kommt vom englischen „strike“ und leitet sich wohl ursprünglich von „to strike sails“ her, also „die Segel streichen“. In diesem Satz steckt auch schon die Essenz eines Streiks. Denn dabei nutzen Arbeiter*innen die einzige Macht, die sie ihrem Arbeitgeber gegenüber haben: Die Verweigerung der Arbeitskraft. Doch, Moment: Schüler*innen haben keine Arbeitskraft, die sie durch ihren „Streik“ verweigern können. Wenn sie nicht zur Schule gehen, schaden sie damit niemand anderem als sich selbst.

Nein, „Streik“ ist eigentlich das falsche Wort. Hier ist etwas kategorial anderes im Gange. Die Schüler*innen demonstrieren deshalb während der Schulzeit, um dadurch die Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Und wenn ich mir die Reaktionen von konservativer Seite angucke, funktioniert das auch ganz wunderbar! Dieses Konzept ist nicht ohne Vorbilder: Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King und die indische Unabhängigkeitsbewegung um Mahatma Gandhi haben das Konzept weltberühmt gemacht: Was die Schüler*innen hier durchziehen, ist ziviler Ungehorsam.

Bei zivilem Ungehorsam begeht man einen kalkulierten Regelbruch: in diesem Fall wird die Schulpflicht gebrochen. Dies geschieht aber nicht als Selbstzweck wie beim Schulschwänzen, sondern als Mittel zum Zweck: Um auf ein höheres Gut aufmerksam zu machen. In diesem Fall auf das Recht auf Leben. Wesentlich für zivilen Ungehorsam ist, dass er gewaltlos abläuft, dass die Bestrafung für den Regelverstoß wissentlich in Kauf genommen wird und dass er aus einer Position der Schwäche gegenüber der Staatsmacht geschieht, da den zivil Ungehorsamen kein anderes Mittel zur Verfügung steht. All dies trifft auf FfF zu. Und die Geschichte zeigt, dass ziviler Ungehorsam ein legitimes Mittel sein kann, wenn das Anliegen gewichtig genug ist: Etwa bei der Segregation, der Besetzung Indiens oder eben beim Klimawandel.

Damit haben wir es, oder? Das ist sie, die Philosophie von Fridays for Futur. Ich hoffe, ihr konntet ein bisschen was mitnehmen …

Die Medien und ihre rechte Schuld

50 Gedanken – Gedanke 5

Sascha Lobo schrieb vor Kurzem in seiner Kolumne „Woran „die Medien“ wirklich schuld sind„:

„Die Medien sind schuld. Das ist die Universalschuldformel geworden, sie wird explizit verwendet oder implizit transportiert. Sie geht rechts wie links und überall dazwischen.“

Es folgt eine differenzierte Auseinandersetzung mit dieser These. Für diese Differenziertheit schätze ich Sascha Lobo sehr und höre auch sehr gerne seinen neuen Debattencast, in dem er sich noch einmal mit den Gegenargumenten, die auf seine Kolumnen folgen, auseinandersetzt. Lobo fährt fort:

„“Lügenpresse“ ist nur die offensichtlichste, aggressivste Ausprägung, mit Trump als Säulenheiligem der Generalschuld der Medien. Eine typische Erzählung von links lautet dagegen, dass die Medien die Schuld tragen am Aufstieg der AfD, zum Beispiel „die Talkshows“.“

Diesen Punkt greift er später wieder auf:

„Sich einfache Erklärungen zu wünschen für komplexe Probleme. Dahinter steht eine geradezu kindliche Hoffnung, denn in der Beschuldigung der Medien schwingt der Glaube mit, dass es eine simple Lösung gebe. Einfach keine AfDler mehr in Talkshows einladen – hurra, alle Probleme mit rechts gelöst!“

Und hier muss ich einhaken. Denn was Lobo wie ein Verschwörungstheorie aussehen lässt, lässt sich mit harten Fakten belegen. Monitor hat alles 141 Talkshows des Jahres 2016 ausgewertet. In 76 von ihnen ging es um Flüchtlinge, Islamismus, Terrrorismus und Rechtspopulismus. Gut, da könnte man mit Lobo jetzt sagen, dass die Medien doch nur der Überbringer der Botschaft sind. Die Welt ist halt so. Aber das ist eine sehr naive und unterkomplexe Weltsicht. Denn wir erschließen uns die Welt mit Hilfe der Medien. Wie viele von euch haben die Flüchtlingskrise, Islamismus, Terrorismus und sogar Rechtsradikalismus im Alltag zu spüren bekommen?

Ich glaube ganz sicher, dass die neuen Migrationsbewegungen ein drängendes Problem des 21. Jahrhunderts sind. Mir macht Terrorismus auch Angst und ich glaube, er wird uns weiter begleiten. Und ich weiß, dass jede von euch, die nicht weiß, männlich, heterosexuell ist, Diskriminierung erfährt. Aber vergleicht das mal mit Themen wie: hohe Mieten, Ärztemangel, schlechte Infrastruktur (Straßen, Bahn und Internet) oder Umweltbelastungen wie schlechte Luft und Klimaerwärmung. Das sind Themen, die wir alle täglich spüren und sie mussten sich mit unzähligen anderen Themen 2016 die 65 verbleibenen Slots in Talkshows teilen, weil in über der Hälfte von rechten Themen gesprochen wurde.

Um Lobo abzuschließen, möchte ich noch erwähnen, dass er später einschränkt: „Und dass Talkshows nicht die Alleinschuld für die AfD tragen heißt keinesfalls, dass nicht eine Mitverantwortung vorliegt, über die debattiert werden muss. “

Die Medien™ haben der AfD und ihren Themen überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit geschenkt und das hat den Betrachtern das Bild vermittelt, dass die AfD Lösungen auf Probleme unserer Zeit hat. Hätte man die Partei zum Klimawandel oder zu bezahlbaren Wohnraum 76-mal befragt, hätten die Wähler/innen gemerkt, dass die Partei keine Antworten hat.

Alles hängt mit allem zusammen

Ich glaube übrigens nicht, dass Die Medien™ das aus bösem Willen gemacht haben. Stattdessen ist es eine Entwicklung, die sich aus einem komplexen Geflecht an Ursachen ergeben hat. Ein Grund ist zum Beispiel das Internet. In diesem gibt es für Medienhäuser nur eine tragbare Einnahmequelle: Werbung. Werbung wiederum fordert hohe Klickzahlen und die werden durch Themen wie Terror besser erreicht als durch Ärztinnenmangel. Die privaten Medien sind daher immer am Rande einer Existenzangst und schimpfen deshalb wiederum auf die öffentlich-rechtlichen und ihre staatliche Finanzierung. Das setzt die Öffis unter einen Rechtfertigungsdruck, dem sie mit hohen Einschaltquoten begegnen. Wie erreichen sie die? Mit Terror …

Es ist zum Weinen.

Kuscheln in der Opferrolle

50 Gedanken – Gedanke 3

Ich fuhr heute Morgen auf meinem Rad am Main entlang zur Arbeit. Über dem Fluß hingen noch vereinzelte Nebelschwaden und die Sonne brach am Horizont durch die rissige Wolkendecke. Ich hörte derweil eine wirklich aufschlussreiche Folge von „This American Life“, die sich um die Neue Rechte in Amerika drehte. Nicht zuletzt weil seit zwei Tagen wieder eine rechtsextreme Partei im deutschen Bundestag sitzt, ist das ein Thema, das mir keine Ruhe lässt. Wie kommt es, dass die Feinde der offenen Gesellschaft überall im Westen auf dem Vormarsch sind? Nach wie vor glaube ich, dass unsere mediale Besessenheit von islamistischem Terror seit 2001 der wichtigste Grund ist. Doch darüber schreibe ein anderes Mal …

… Denn am oben erwähnten Podcast war am allerspannendsten ein Interview mit einem Initiator der rechtsradikalen Demo in Charlottesville – Jason Kessler. In diesem Gespräch kam irgendwann zur Sprache, was ihn denn zu einem White Supremacist hat werden lassen. Und die Antwort ist nahezu unglaublich: Er hat mal eine Stelle nicht bekommen, auf die er sich beworben hat. Stattdessen wurde eine Frau eingestellt. Er ist der Meinung, dass diese Frau weniger qualifiziert war als er und nur genommen wurde, weil sie eine Frau war. Das ließ ihn zu der Überzeugung kommen, dass weiße Männer in den USA unterdrückt werden.

WTF!?! Was für ein erbärmliches Gejammer! Ich kann nicht zählen, wie viele Absagen auf Bewerbungen ich in meinem Leben bekommen habe. Aber ich bin nie auf die absurde Idee gekommen, dass es daran liegt, dass ich ein weißer Mann bin. Wie widerlich diese Haltung ist, zu glauben, die Welt schulde einem etwas und nur weil man das nicht kriegt, mit Hass auf Schwächere zu reagieren! Allein, die unglaubliche Ignoranz dieser Aussage ist verblüffend, denn es gibt ja durchaus Statistiken zur Vergabe von Arbeitsplätzen. Uns diese sagen klipp und klar, dass es sich gerade andersherum verhält. Dass wir weißen Männer eben gerade auf dem Arbeitsmarkt bevorzugt werden! Doch der Typ stellt den Einzelfall seiner narzisstischen Kränkung über die objektiv erhobenen Fakten, die zeigen, wie die Welt wirklich ist.

Was er macht ist eine beliebte Strategie unter Rechtsextremen: Ich habe dies schon früher „Kuscheln in der Opferrolle“ genannt. Der Rechtsextremist verdreht die Fakten so, dass er nicht mehr Täter (geistiger Brandstifter, der anderen Menschenrechte aberkennt) ist, sondern Opfer – weil wir anderen seine persönliche Sonderstellung nicht anerkennen. Achtet mal darauf, es ist wirklich ein beliebter Sophismus in der Neuen Rechten.

 

Leben ist mehr wert als Arbeit

50 Gedanken – Gedanke 2

Ich verblogge 50 Gedanken, dies ist der zweite. Dieser Gedanke ist sicher nicht neu und ich maße mir nicht an, ihn als erstes gedacht zu haben. Alles, was ich bescheiden zur Diskussion stellen möchte, ist, dass er wahr ist.

Im Diesel-Skandal werde in der öffentlichen Diskussion viele verschiedene Aspekte in die Waagschale gelegt, um zu entscheiden, wie weiter vorgegangen werden soll. Doch die Hauptkonfliktlinie ist die Frage, wer die Kosten tragen soll für den Skandal. Die eine Seite sagt, dass die Autofahrerinnen nicht belastet werden dürfen, denn sie sind nicht schuld an der Misere. Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass der Industrie nicht zu hohe Kosten aufgetragen werden dürfen, denn das gefährde Arbeitsplätze.

Ich nehme mal für einen Augenblick an, dass die Industrie nicht kompletten Kokolores verzapft (was sie tut), dann hat sie ein gar nicht mal so schlechtes Argument: Während die Dieselwagenfahrer eine sicherlich harte finanzielle Belastung erfahren, weil sie ihr Auto aufgeben oder es für viel Geld umrüsten müssten, wäre der Verlust der Arbeit der Angestellten in der Autoindustrie tatsächlich das höhere Gut. Nicht nur finanziell wäre die Einbuße höher als der Gegenwert eines Autos. Hinzu käme auch noch der Verlust der sozialen Dimension von Arbeit, die wir nicht unterschätzen dürfen. Wie gesagt, ich glaube, die Industrie erzählt hier kompletten Bullshit und jede/r weiß es. Aber ich spiele das Spiel der Politik mal kurz mit und behandle das als valides Argument.

Denn der Punkt, auf den ich hinaus möchte, ist folgender: Dies ist bloßes Schattenboxen. Hier geht es gar nicht um die Verhandlung der Werte Autos vs. Arbeit. Es ist eine Nebelkerze, die von der eigentlichen Verhandlung ablenken soll: Arbeit vs. Leben. Denn, was ist denn der eigentliche Dieselskandal? Doch nicht irgendwelche abstrakten Grenzwerte auf irgendwelchen Prüfstationen für Autos. Sondern, dass die Luft in unseren Städten so scheiße ist, dass Menschen krank werden und früher sterben. Und obgleich Arbeit in unserer Gesellschaft ein hoher Wert ist, ist das Leben ein ungleich höherer. Daher kann die einzige moralisch vernünftige Forderung nur heißen: Fahrverbot für alle Dieselfahrzeuge bis zu einer effektiven Umrüstung – wer auch immer die bezahlt.

Die Philosophie von Steve Bannon

In den letzten Wochen und Monaten waren mir die kruden geschichtsphilosophischen Ansichten von Steve Bannon des Öfteren begegnet, ohne dass jemand sie logisch widerlegt hatte. Ich habe das mal übernommen. Ihr könnt euch das als Video anschauen oder darunter lesen.

Es geht heute um den Mann, der seit ein paar Monaten der mächtigste in Amerika ist. Nein nicht um Donald Trump! Um Steve Bannon! Derzeit gilt Steve Bannon zwar als entmachtet, aber manchmal kommen sie wieder!!! Daher erzähle ich heute von der Philosophie von Steve Bannon.

Steve Bannon ist der prominenteste Vertreter einer rechtsradikalen politischen Strömung in den USA, die sich „Alt-Right“ nennt. Und falls jemand aus der neuen Rechten das hier liest: Stellt euch nicht an wie Eltern, die von ihrem Kind beim Sex erwischt wurden! Ihr seid rechts, eure Ideen sind radikal: Natürlich seid ihr rechtsradikal!

Steve Bannon jedenfalls war Chefredakteur der ebenfalls rechtsradikalen Webseite Breitbart (ja, ich habe es schon wieder gesagt: rechtsradikal!). Bannon schloss sich dann dem Wahlkampfteam von Donald Trump an und ist nun Chefstratege von Trump im weißen Haus. Er soll der Kopf sein, der hinter Executive Orders wie dem Muslim Ban steckt. Das ist das Einreiseverbot in die USA für Muslime aus einer Reihe von Ländern. Es wurde mittlerweile von mehreren Gerichten als unvereinbar mit der amerikanischen Verfassung abgeurteilt.

Bannons merkwürdige Vorstellungen

Steve Bannon vertritt viele Thesen, die sich in der amerikanischen Rechten im besonderen und der internationalen Rechten im Allgemeinen tummeln, als handele es sich um ein Bordell in Kingslanding. Er verehrt sexy Ronald Reagen und glaubt heutzutage gäbe es nur noch korrupte Politiker, die den anständigen weißen Mittelklasse-Arbeiter mit Hilfe internationaler Konzerne ausbeuten. Die Verstrickung von Politik und internationaler Wirtschaft nennt er „die Partei von Davos“. Zugleich nennt er sich selbst einen Hardcore-Kapitalisten und kritisiert den „Sozialismus“, den Obama-Care für Arme bereitstellt – wiederum auf Kosten der Mittelschicht. Die Politik und die Finanzelite haben Amerika an den Rande des Ruins getrieben, während sie sich selbst bereicherten. Diese Politiker gilt es in Bannons Weltsicht genauso zu bekämpfen wie den Islam, der den christlichen Westen bedroht. Bannon träumt von einer rechtskonservativen Revolution und verglich sich selbst mit Lenin – dahingehend, dass er den amerikanischen Staat zerstören wolle, wie Lenin das mit dem Russischen getan hat. Nur ein Schock – so seine Weltsicht – könne den ich Niedergang des Systems aufhalten.

In diesem Kartoffelsalat an zusammengeklauten Ideologien stecken schon so viele ungesunde Zusatzstoffe, dass ich über jeden eine eigenn Folge machen könnte, aber mich interessiert heute nur der letzte Aspekt (der heilsame Schock) und der theoretische Unterbau dazu: Einer der wichtigsten philosophischen Einflüsse auf Steve Bannon ist das Buch The Fourth Turning* von William Strauss und Neil Howe. Ein Werk, das nicht nur klingt wie eine Gangschaltung bei Star Wars sondern auch ebenso sinnlos ist. Doch der Reihe nach …

Im Buch “The Fourth Turning” wird die Theorie aufgestellt, dass sich die amerikanische Geschichte wiederholt. Sie bewege sich in 80-100 Jahre-Zyklen. Jeder Zyklus endet dann mit einem kathartischen Crash, auf den ein Neubeginn folgt – die Generation Zero*, wie Bannon es in einer von ihm produzierten Dokumentation nennt. Bannon meint, dass der letzte Crash durch die Finanzkrise 2008 eingeleitet wurde. Die Obama-Administration das System aber über seine natürliche Lebensdauer hinaus am Leben erhalten habe. Offensichtlich hat Bannon also kein Problem mit aktiver Sterbehilfe.

The Fourth Turning

Doch, ich will mal einen Moment ernst bleiben und der Reihe nach gehen: Die beiden Urheber dieser (in Ermangelung eines besseren Wortes) Theorie, glauben an eine feste Folge von Generationen. Gemäß William Strauss und Neil Howe gehören alle Menschen einer Generation an, die in etwa in einem 20-Jahre-Korridor geboren wurden. Sie haben wichtige Ereignisse der Geschichte in etwa in der gleichen Lebensphase erlebt und teilen daher das gleiche Set an Werten, Glaubenssätzen und Verhaltensweisen. Strauss und Howe glauben, dass es eine historische Gesetzmäßigkeit gibt, wonach vier Genrationen zumindest in Amerika immer aufeinander folgen: „The High“, „The Awakening“, „The Unraveling“ und „The Crisis“.

Nach einer Krise beginnt ein neuer Zyklus wieder mit The High – der Hochphase. Dieses Hoch zeichnet sich dadurch aus, dass der Staat von starken Institutionen geprägt wird, während der Individualismus schwach ist. Die Gesellschaft ist sich einig, in welche Richtung sie sich entwickeln sollte. Die letzte Hochphase erlebten die USA demnach nach dem zweiten Weltkrieg.

Die zweite Phase ist The Awakening – das Erwachen. In diesem Turning werden die Institutionen angegriffen durch individuelle oder spirituelle Kräfte. The Awakening tritt ausgerechnet dann ein, wenn die Gesellschaft auf dem Höhepunkt des kollektiven Fortschritts ist. Dann erscheint der jungen Generation das High als Ära der kulturellen oder spirituellen Armut und sie wollen sich selbst entdecken und spirituelle Erfahrungen machen. Das letzte Awakening begann wohl nach Kennedys Tod mit den Studentenbewegungen der 1960er.

Es folgt als nächstes das Unravelling – die Phase der Auflösung. Institutionen sind schwach, Menschen Misstrauen ihnen und feiern ihren Individualismus. Die Gesellschaft zersplittert und jeder interessiert sich nur noch für sich selbst. Diese Phase begann der Theorie nach zuletzt in den 1980ern.

Schließlich kommt The Crisis. In dieser Krise wird die Gesellschaft bedroht. Etwa durch einen Krieg. Die Institutionen werden in so einer Krise zerschlagen. Die letzte Krise war die Weltwirtschaftskrise von 1929, die im zweiten Weltkrieg endete. Und an dieser Stelle landen wir wieder bei Steve Bannon. Denn wenn ihr gut aufgepasst habt, dann ist euch aufgefallen, dass die 20 Jahre des letzten Niedergangs schon um sind. Wir also eigentlich schon in der Krise stecken müssten.

Wie schon gesagt, glaubt Bannon, dass The Krisis eigentlich durch die Finanzkrise 2008 eingeleitet wurde, dass es die Obama-Administration aber verpasst hat, das aktuelle politisch-wirtschaftliche System einzureißen, um damit den Weg für die nächste Hochphase zu ebnen. Deswegen unterstützt er Trump, damit dieser diesen Prozess vorantreibt. Das wird das aktuelle System zum Einsturz bringen und Platz machen für das nächste High Amerikas.

Ein nach Mustern suchendes Gehirn

Was haltet ihr davon? Ich muss euch ehrlich sagen, auf mich wirkt das wie das möchtegern-prophetische Fantasy-Konstrukt von nach Mustern suchenden Gehirnen. Dass Bannon seinen Dokumentarfilm mit den Worten „Winter is Coming“ enden lässt, macht es auch nicht unbedingt besser. Und ich muss leider sagen, Steve, es liegt an dir und nicht an mir, dass deine Theorie keinen Sinn ergibt. Steve, deine Theorie ist in etwa so glaubwürdig wie eine Werbekampagne, in der uns McDonalds erklärt, wie gesund ihre Burger sind.  Aber ich will das ganze noch nicht gleich komplett als Quatschkram abtun, sondern zunächst einmal überlegen, ob da nicht vielleicht doch etwas dran  sein  könnte.

Immerhin sind William Strauss, Neil Howe und Steve Bannon nicht allein in dem Versuch, aus der Geschichte Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Und mal ehrlich, eigentlich ist die Überlegung gar nicht so doof: Wir leben in einer kausalen Welt, in der jede Wirkung eine Ursache hat. Warum sollte es in der Menschheitsgeschichte anders sein? So wie wir Jahreszeiten oder Sonnenfinsternisse Vorherbestimmen können, so können wir doch vielleicht auch Ereignisse wie Krisen vorherbestimmen. Berühmte Vorgänger in dieser Art zu denken waren etwa Hegel und Marx.

Hegel vertrat zum Beispiel den Standpunkt, dass in der Weltgeschichte und im Aufkommen und Untergehen einzelner Staaten der „Weltgeist“ zum Ausdruck kommt. Die Geschichte strebe dem Endziel entgegen, in dem sich der Geist und die Natur vereinen. Ich weiß, dass klingt super-abgehoben und ich kann es euch nicht runterbrechen ohne etliche Folgen zu Hegels Philosophie zu machen. Das letzte werden wir eines fernen Tages angehen, versprochen! Aber jetzt ist erst einmal wichtig, dass Hegel genau wie Strauss und Howe  geschichtliche Ereignisse analysierte. Er meinte, daraus ablesen zu können, dass die menschlichen Gesellschaften sich gesetzmäßig zu immer mehr Freiheit hinentwickeln würden.

Ganz ähnlich verhält es sich bei Marx und doch ganz anders. Marx glaubte Gesetzmäßigkeiten darin zu erkennen, dass die materiellen Verhältnisse der Menschen in der Geschichte zu bestimmten Ideen führten. Das Ziel dieser Entwicklung sei natürlich der Kommunismus, der zwangsläufig kommen werde um die – wie er es nannte – Vorgeschichte der Menschheit beenden werde.

Hmm, mittlerweile haben wir 2017 und der Kommunismus macht derzeit in etwa soviel Welle wie ein Quietscheentchen, nachdem ein Panzer über es hinweggerollt ist. Auch Hegels Vorstellung, dass wir immer freier werden, wird gerade irgendwo zwischen Terrorangst und Nationalismus zermalmt. Ist die Idee, dass wir aus der Geschichte Gesetze ableiten können also genauso bekloppt, wie sie sich anhört?

Die Prognosen der Sozialwissenschaften

Nun, wir müssen bedenken, dass wir solche Gesetze aus der Geschichte ständig ableiten. „Wenn die Wirtschaft boomt, sinkt die Arbeitslosigkeit“ – das ist gewissermaßen ein historisches Gesetz. Denn es hat sich in der Geschichte gezeigt, dass es sich so verhält. „Länder, die miteinander Handel treiben, führen keinen Krieg gegeneinander“, ist ein anderes. Und „In Großstädten wählen die Menschen links-liberaler als auf dem Land“, ist ein drittes. Sätze wie diese sind in den Sozialwissenschaften an der Tagesordnung und sie sind im gewissen Sinne historische Gesetze. Worin unterscheiden sie sich von denen von Hegel, Marx und Strauss und Howe?

Mir erscheinen zwei Unterschiede wichtig. Zum einen sind die Sätze der Sozialwissenschaften Thesen mit einem bedingten Geltungsanspruch. Niemand geht so weit, zu behaupten, dass wirtschaftliches Wachstum bis in alle Ewigkeit für geringe Arbeitslosigkeit sorgen wird. Wenn erst einmal die Maschinen wirklich intelligent sind, dann ist es wahrscheinlich vorbei damit. Die Sozialwissenschaften beobachten die Welt und passen ihre Theorien dann der Welt an. Aber wenn Steve Bannon meint, Obama habe es versäumt, die Crisis einzuleiten, dann versucht es die Welt seiner Theorie anzupassen.

Der andere Unterschied ist, dass die Theorien der Sozialwissenschaften nur Teilaspekte menschlicher Gesellschaften untersuchen und Thesen dazu aufstellen: Die Arbeitslosigkeit, internationale Beziehungen oder das Wahlverhalten von Großstädtern in den Beispielen oben. Hegel, Marx, Strauss und  Howe versuchen hingegen allumfassende, sogenannte holistische Theorien aufzustellen, gültig entweder für die ganze Menschheit oder zumindest für ganz Amerika! Das Problem dabei ist, dass hier unglaublich viele Einflüsse auf das beobachtete System wirken, sodass die für Wissenschaft nötige Reduzierung der Komplexität leicht zu Fehlschlüssen führen kann. Zum Beispiel definieren Strauss und Howe eine Generation als 20 Jahre und sagen, dass Menschen in diesem Lebensabschnitt die gleichen Erfahrungen teilen, was zu dem gleichen Set an Werten, Glaubenssätzen und Verhaltensweisen führt. Das ist eine verdammt steile These. Mein Bruder ist nur sechs Jahre älter als ich, aber – so lieb ich ihn habe – seine Werte, Glaubenssätzen und Verhaltensweisen unterscheiden sich massiv von meinen. Aber 20 Jahre? Ich habe den 11. September im Alter von 20 miterlebt. Wie alle, die diese Erfahrung mit mir teilen, weiß ich noch genau, wo ich war: Im Raucherabteil eines RegionalExpress nach Aachen. Zu meiner Generation sollen aber Menschen gehören, die an diesen Tag noch Babys waren, geschweige denn wissen, dass man früher in Zügen rauchen durfte! Seht ihr das Problem? Und dabei habe ich noch nicht einmal berücksichtigt, dass außer dem Alter noch ganz andere Faktoren Einfluss auf Werte, Glaubenssätze und Verhaltensweisen haben.

Poppers Widerlegung des Historizismus

Karl Popper, einer meiner Lieblingsphilosophen nennt die Art zu Denken von Strauss und Howe „Historizismus“ und er hat eine simple aber zwingende Widerlegung ihres Wahrheitsanspruchs. Sein Argument geht wie folgt:

(P1) Der Ablauf der Geschichte wird durch das Anwachsen des menschlichen Wissens stark beeinflusst.
(P2) Wir können mit rationalen oder Wissenschaftlichen Methoden das zukünftige Wachstum unserer Wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vorhersagen.
(C) Daher können wir den zukünftigen Verlauf der menschlichen Geschichte nicht vorhersagen.

Das ist ein klassischer Syllogismus. Wenn man  das menschliche Wissen nicht vorhersagen kann und wenn das menschliche Wissen einen starken Einfluss auf den Verlauf der Geschichte hat, dann folgt daraus zwingend, dass wir die Geschichte nicht vorhersagen können. Mit anderen Worten: Die Theorie vom Fourth Turning ist zwingend falsch. Sie kann nicht wahr sein. Unter keinen Umständen.

Die Popular Vote hat Bannon also verloren, wie sieht es mit der Anzahl der Wahlmänner aus? Nun, die Schlussfolgerung, dass die Theorie von Fourth Turning falsch ist, ist logisch zwingend, daran kann ein Verfechter diesee Theorie nichts ändern und wenn er sich auf den Kopf stellt. Aber wo die Konklusion unumstößlich ist, da rücken die Prämissen in den Fokus des Interesses. Um Bannon und seine kruden Ideen doch noch wahr werden zu lassen, müssten unsere Ausgangsbehauptungen falsch sein. Lasst uns einen Blick darauf werfen.

Wissen und Geschichte

Liegt es im Rahmen des Möglichen, dass die menschliche Geschichte nicht durch das menschliche Wissen beeinflusst wird? Nun es spricht ziemlich viel dafür, dass es zwischen Wissen und menschlicher Entwicklung eine kausale Beziehung besteht. Wir hatten schon bei Thales gesehen, wie stark die griechische Geschichte von Sprache, Alphabet und Seefahrt beeinflusst wurden. Andere Beispiele gibt es zuhauf: Ohne die Erfindung des Buchdrucks und die Möglichkeit, Schriften schnell und günstig zu vervielfältigen, wären die Reformation und die Aufklärung nicht möglich geworden. Ohne Vordenker wie Friedrich August von Hayek und Ayn Rand würde der Neoliberalismus die Wirtschaftspolitik der USA nicht seit der Präsidentschaft von Reagan beeinflussen. Und ohne das Internet und Social Media wäre Trump jetzt nicht Präsident. Ich denke beim Einfluss des Wissens kann ich Poppers Schlussfolgerung nicht knacken.

Wie sieht es aus, mit der These, dass sich der Zuwachs des menschlichen Wissens nicht vorhersagen lässt? Ich fürchte hier sieht es sogar noch übler für Bannon aus. Nehmen wir mal für einen Moment an, es gäbe eine neue Wissenschaft, die sich mit der Vorhersage der Wissensentwicklung befassen würde. Gehen wir weiter davon aus, dass diese Wissenschaft voraussagen könnte, wann die Physik das Beamen entdeckt. Dann müsste unsere prophetische Wissenschaft auch erklären können, wie Beamen funktioniert, sonst könnte sie nicht beweisen, dass ihre Prognose wahr ist. Wenn das aber möglich wäre, dann bräuchten wir keine Physik mehr. Wir bräuchten überhaupt keine andere Wissenschaft mehr, sondern müssten alle unsere Ressourcen nur noch auf die prophetische Wissenschaft werfen. Dies wird aber nicht gemacht, sondern nur die Einzelwissenschaften können Fortschritte erzielen. Es deutet also alles darauf hin, dass prophetische Wissenschaft nicht möglich ist.

Tja, es sieht also schlecht aus für die Theorie von Strauss und Howe. In ihr steckt in etwa soviel Wahrheit wie in Alien Covenant. Obwohl, wenn ich es recht bedenke, missachtet Ridley Scott in seinen Filmen zumindest nicht die Gesetze der Wissenschaft.

Notwendigkeit und Kontingenz

Aber auf einen Punkt muss ich noch eingehen: Was ist eigentlich, wenn morgen tatsächlich die Krise ausbricht, die Strauss und Howe vorhergesagt haben?  Zumindest in einem Punkt hat Bannon ja durchaus recht: Der internationale Finanzkapitalismus ist die Pest und die Zocker in den Investmentbanken haben durch die letzte Krise nichts gelernt. Daher ist es jederzeit wieder möglich, dass uns der ganze Laden um die Ohren fliegt. Ist die Theorie vom Fourth Turning dann am Ende doch wahr? Obwohl sie falsch sein müsste? Wir haben schließlich eben bewiesen, dass die Theorie von Strauss und Howe falsch ist.

Am Grund dieser Frage liegt ein philosophisches Problem, über das sich schon Aristoteles den Kopf zerbrochen hat.  Aristoteles formulierte das Problem damals so: Wenn ich gestern vorausgesagt habe, dass heute eine Seeschlacht stattfindet und heute die Schlacht wirklich stattfindet, war mein Satz gestern dann schon wahr?

Haben Zukunftsaussagen in gleichem Maße Wahrheitswerte wie Beschreibungen der Welt? Der Satz „Donald Trump hatte eine Audienz beim Papst“ ist wahr. Aber wie ist es heute, am 23. Mai 2017 mit dem Satz „Morgen wird Donald Trump etwas Dummes tun“. …. Äh …. Okay, vergesst diesen Satz, der ist noch einmal ein Sonderfall. Nehmen wir lieber: „Angela Merkel wird die Bundestagswahl gewinnen.“ Ist dieser Satz heute auch schon in gleicher Weise wahr? Im normalen Sprachgebrauch würden wir das nie sagen. Wir würden sagen, dass der Satz möglich, wahrscheinlich oder sogar ziemlich sicher ist. Aber wir sprechen Prognosen nie Wahrheit zu. Und dennoch, wenn im September Angela Merkel wiedergewählt werden sollte, dann erscheint uns der Satz retrospektiv als wahr. Wie können wir diesen Widerspruch auflösen?

Ganz einfach, die Logik kennt nicht bloß den Unterschied zwischen wahr und falsch sondern auch jenen zwischen kontingent und notwendig. Wenn die Entwicklung des Wissens der Menschheit sich nicht vorhersagen lässt und zugleich dieses Wissen die Geschichte beeinflusst, dann lässt sich die Geschichte notwendig nicht vorhersagen. Daraus folgt, dass eine Theorie, die behauptet, dass die Geschichte gesetzmäßig immer in vier aufeinander folgenden Phasen abläuft, notwendig falsch ist. Aber wenn demnächst ein Tweet von Donald Trump die USA in eine Staatskrise stürzt, dann war Bannons Vorhersage, dass dies geschehen wird, eben nur kontingent wahr.

Die Theorie vom Fourth Turning hat aber den Anspruch immer und zwingend wahr zu sein. Diesem Anspruch kann sie nicht gerecht werden. Die Geschichte der Zukunft ist noch nicht geschrieben.

 

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Politische Aufmerksamkeit

Ich habe neulich, als Bernd [sic!] Höcke sein Weltbild vollends entblößt hat, hier geschrieben, dass wir Rechtspopulisten keine Aufmerksamkeit schenken dürfen. Aufmerksamkeit ist in der Mediendemokratie ein kostbares Gut, denn am Ende bleibt bei den Zuschauern und Zuschauerinnen meist nicht die Botschaft hängen, sondern, dass die Meinung relevant genug war, um gesendet zu werden. Um Marshall McLuhan unverantwortlich aus dem Kontext zu reißen: The media is the message.

Rechtspopulisten nutzen genau das aus, indem sie bewusst provokante Äußerungen tätigen, damit Medienpräsenz erlangen und dann im nächsten Schritt auf eine vermeintlich gemäßigtere Position zurückrudern („wir wurden falsch zitiert“, „das wurde aus dem Kontext gerissen“ oder „meine Maus ist ausgerutscht“). Neben der Tatsache, dass sie sich ins Gespräch gebracht haben, schaffen sie mit diesem Spiel noch etwas zweites: Sie verschieben den Diskurs weiter nach rechts, indem sie bislang „unsagbare“ Thesen aufstellen und so überhaupt erst einmal ins Gespräch bringen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es übrigens – um kurz abzuschweifen – schön, dass die SPD mit Martin Schulz anscheinend endlich einen starken Kamzlerkandidaten gefunden hat und so den öffentlichen Diskurs endlich wieder weiter nach links rückt.

Auch bei Höckes vollkommen bekloppten Äußerungen über das Holocaust-Mahnmal ließ sich das Spiel der Rechtspopulisten beobachten. Das geschah dahingehend, dass zum Beispiel der Versuch gestartet wurde, sie zu legitimieren, indem gesagt wurde, dass ja Rudolf Augstein quasiiiiiiii schon mal genau das gleiche gesagt hat. Es handelt sich hierbei um den beliebten Sophismus des Namedroppings. Wenn schon Augstein das gesagt hat, dann kann es doch gar nicht so schlimm sein! Es handelt sich hierbei um einen Sophismus, also eine manipulative Argumentationsfigur, weil der Name Rudolf Augstein nichts über den Inhalt des Satzes aussagt. Was Höcke und Augstein gesagt haben, war antisemitisch und nicht mit unseren Werten vereinbar.

http://uebermedien.de/11997/hoecke-augstein-und-das-denkmal-der-schande/

Auch die Diskussion über das Aleppo-Mahnmal in Dresden, schlägt hier übrigens in die gleich Kerbe. Zeigt Sie doch den gleichen Trend auf: Ein Kunstwerk, das Pazifismus exemplifiziert und sich gegen das Verdrängen eines Krieges vor den Toren Europas ausspricht, wird vollkommen irrational scharf angegriffen. Der Diskurs wurde erneut erfolgreich nach rechts verschoben.

Dennoch habe ich mich geirrt! Die Reaktionen auf Höcke waren erfreulich anders, als ich es erwartet hatte. Die Zustimmungswerte für die AfD fallen in den Umfragen, Höcke droht sogar der Parteiausschluss und das Land Hessen überlegt, wie es verhindern kann, dass dieser Revisionist weiter als Geschichtslehrer arbeiten darf. Offensichtlich hatte Sascha Lobo recht, dass Höckes Rede einfach zu entlarvend war. Allerdings prognostiziere ich, dass Höckes Rede noch nicht die letzte Provokation im Wahljahr war. Stattdessen können wir immer wieder damit rechnen, dass die AfD so oder ähnlich agieren wird. Sie selbst haben dies verraten.

Diesmal ist ihr Spiel nicht aufgegangen. Der Skandal war zu groß, sodass sie die Empörung nicht mehr einfangen konnten. Aber auf Dauer wird dieses Rezept nicht funktionieren. Empörung nutzt sich zu schnell ab. Was uns gestern noch unerhört schien, ist für uns heute schon Normalität

Also was tun? Wie ich das sehe gibt es zwei Strategien. Zum einen ist es – dabei bleibe ich – schlau, den Provokateuren einfach keine Aufmerksamkeit zu schenken und die Provokation so ins leere laufen zu lassen. Wir dürfen nicht über ihre Themen reden sondern über unsere! Lasst uns die Agenda setzen und nicht anderen hinterherlaufen!

Doch in den letzten Wochen wurde mir ein zweiter Weg vor Augen geführt, den ich wunderbar effektiv finde: Humor. Das ist natürlich weder ein Geheimnis noch ist es neu. Aber sich über Rechtspopulisten lustig zu machen, scheint tatsächlich zu funktionieren, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Wenn die Witze gut sind, dann nutzen sie sich nicht so ab, wie es die Empörung tut. Und ein rechter Populist wird sich immer wohler fühlen, wenn er dämonisiert wird, als wenn er zum Hampelmann verkommt.

Der Beweis dafür muss natürlich noch erbracht werden, aber was in den letzten Wochen in Amerika abgeht, stimmt mich positiv. Saturday Night Live, Last Week Tonight und Co. sowie der Spott des gesamten Netzes wie zuletzt bei #lastnightinsweden heizen Trump schön ein und dessen Tweets und Äußerungen zeigen genauso wie seine Beliebtheitswerte, dass das an ihm nagt.

https://twitter.com/potzlow/status/833399999362908160

Mein Aufruf im Wahljahr ist: Lasst uns die AfD entweder ignorieren oder über sie lachen.

Aufmerksamkeit

Etwas, das Sie rechtspopulistischen und rechtsextremen Politikern und Politikerinnen in Sozialen Netzwerken auf keinen Fall schenken dürfen. Egal, wie menschenverachtend, rassistisch oder extrem ihre Forderungen und Thesen sind!

Es handelt sich um einen instrumentalisierten Tabubruch, um Ihre Empörung hervorzurufen. Damit erreicht der oder die rechtsextreme Politiker/in eine Aufmerksamkeitsspirale, die sie oder ihn in die Massenmedien bringt. Anschließend wird die These von jemandem relativiert und abgeschwächt: „Das ist falsch rüber gekommen“, „Ich bin falsch zitiert worden“, „Ich wollte provozieren, um in Bewusstsein zu holen, dass es einen anderen Missstand gibt“ oder „Ich bin auf der Maus ausgerutscht“.

Die bittere Wahrheit ist, dass die Äußerung, die Sie so empört hat, in zwei Wochen niemanden mehr interessiert. Aber die rechtsextreme oder rechtpopulistische Partei im Nachgang dieser Äußerung noch mehr Sendezeit gewonnen hat, um noch mehr Menschen dazu zu bringen, im September das Kreuzchen an die entsprechende Stelle zu setzen.

Dieses Spiel werden die Rechstextremen und Rechtspopulisten im Wahljahr 2017 immer und immer wieder spielen. Spielen Sie nicht mit! Sprechen Sie statt dessen über etwas anderes. Wenn es sein muss, über das Wetter. Am besten aber über ihre eigenen Werte und Visionen.

Und wenn Sie schon über den Rechtsextremen sprechen müssen, dann nennen Sie ihn wenigstens „Bernd“.