Eine Lego-Ritterburg zu Weihnachten

Fünf Weihnachtsfeste – Nummer 1 von 5 – Weihnachten in den 1980ern

Jetzt wird es hier besinnlich! Ich beglücke euch in der Weihnachtswoche mit fünf Geschichten zu Weihnachten aus dreieinhalb Jahrzehnten. Ein ambitionierter Plan und wie so oft werde ich ihn wahrscheinlich nicht einhalten. Aber ich kann es ja mal versuchen. Es soll um Geschenke, Kindheit, Freunde, Teenager, Krankheiten, Familie und Streit gehen. Beginnen werde ich mit einem Weihnachtsfest in den 1980ern und einer Lego-Ritterburg.

Da war sie: Hochglanzdruck auf viel zu dünnem Papier – die Lego-Ritterburg! Wie jedes Jahr kurz vor dem Fest blätterten meine Geschwister und ich im Vedes-Spielzeug-Katalog und träumten davon, was wohl am heiligen Abend unterm Tannenbaum liegen würde. Mein großer Traum in diesem Jahr war die Lego-Ritterburg. Ich weiß nicht mehr genau, ob Lego das Ritterthema erst in jenem Jahr ins Programm nahm oder ob in meiner Grundschulfilterblase die Burg zum neuesten heißen Scheiß ausgerufen worden war. Ich weiß ja nicht einmal mehr genau, welches Jahr es war.

Es gab in der Ritter-Reihe neben kleineren Gebäuden, wie der Schmiede oder den Gasthof, eine kleine und eine große Ritterburg. Und ich wünschte mir nichts sehnlicher als die Große. Doch es war klar, dass ich die nie bekommen würde, daher flehte ich meine Mutter an, dass ich doch bitte, bitte, bitte –mit Streuseln obendrauf – die kleine Burg bekomme. Wir waren nicht arm, sondern eine gut-mittelständige Familie, mit gemietetem Haus, zwei Autos, zwei Katzen drei Kindern und einer Oma, die wir Großma nannten, im Souterrain. Aber wir waren auch nicht reich und im Gegensatz zur Dorfprominenz aus meiner Schule bekam ich nicht alles, was ich mir wünschte. Ich schnitt die kleine Burg aus dem Katalog aus und dazu noch ein paar der anderen kleineren Gebäude. Falls ich die Burg nicht bekommen würde, dann zumindest ein Gebäude mit Zinnen, das in meiner Fantasie zu einer Burg werden konnte.

Weihnachten war in meiner Kindheit immer wundervoll. Meine Mutter schmückte das ganze Haus, wir buken Plätzchen und im Kassettenrecorder liefen Rolf und seine Freunde auf „heavy Rotation“. Irgendwann fuhren dann meine Eltern samstags mal ohne uns Kinder weg in die mittelgroße mittelhessische Metropole, um „sich mit dem Christkind zu treffen“ und wir Kinder wussten: Es wird ernst. Weihnachten ist nicht mehr fern.

Meine Geschwister und ich teilten uns einen Lindt-Advenzkalender, wobei meine Geschwister mir immer den „Vortritt“ ließen, sodass ich zwar immer das erste Törchen öffnen durfte, aber nie die großen am 6. und 24. Die ganze Familie fuhr kurz vor Weihnachten mit dem Bully in den Wald und wir klauten ganz unchristlich eine Tanne. In meiner Erinnerung war natürlich immer alles weiß verschneit. Die Bäume waren hingegen nicht immer die tollsten. Einmal war einer so ungleichmäßig mit Zweigen bestückt, dass mein Vater ein Loch in den Stamm bohrte, dort noch einen zusätzlichen Tannenzweig reinsteckte und festleimte.

Am heiligen Abend war dann immer schon morgens das Wohnzimmer abgeschlossen und sogar die Rolläden wurden herabgelassen. Das geschah nur an diesem Tag, da das Fenster des Wohnzimmers riesig war und der Rolladen entsprechend schwer. Doch diese Mühe gingen meine Eltern lieber ein, als zu riskieren, dass ein Kind sich auf die Terrasse schleicht, um einen so vorzeitigen wie vorwitzigen Blick zu riskieren.

Wir Kinder mussten unsere Zimmer aufräumen, Geschenke für unsere Eltern einpacken. Auch unserer Großma schenkten wir immer was, obwohl sie jedes Mal meinte, das sollten wir lieber lassen, „das lohnt sich doch gar nicht mehr“. Es sollte sich noch mindestens 15 Jahre lohnen und in der Zwischenzeit mussten wir Kinder baden und uns schick machen. Zwischendurch wurde fleißig „Warten aufs Christkind“ geguckt, bevor alle außer meiner Mutter, die noch „was vorbereiten musste“ in die Kirche gingen. Der Pfarrer in meinem mittelhessischen Kaff nahm seine Aufgabe stets sehr ernst und sprach so monoton, dass auch garantiert jedes Kind nur von der Bescherung träumte. Obwohl wir alle nicht getauft waren, sang meine Schwester immer im Kirchenchor, in einem Jahr sogar mit einem gebrochenen Fuß.

Nach der Kirche war es dann endlich soweit: Wir gingen alle noch einmal in unsere Zimmer um unsere Geschenke für Eltern und Großma zu holen und versammelten uns anschließend wieder vor der Wohnzimmertür. Das dauerte alles immer quälend lange. Aber irgendwann klingelte dann endlich ein Glöckchen und für uns Kinder stand fest: Das Christkind war da gewesen!

Die Türen öffneten sich und überall im Wohnzimmer brannten Kerzen – natürlich auch am Baum. Lichterketten kamen erst im Laufe meiner Kindheit dazu und dann auch immer nur als Ergänzung, nie als Ersatz der Kerzen. Und unter dem Baum lagen Geschenkehaufen, mysteriös mit Tüchern abgedeckt. Denn zuerst mussten wir Kinder noch etwas vortragen: Singen, ein Gedicht aufsagen oder Flöte spielen. Doch schließlich war es so weit: Meine Mutter zog die Tücher weg und wir durften uns über unsere Geschenke hermachen. Ich schnappte mir ein mittelgroßes, das gewiss kein Buch oder Kleidungsstück war und riss schnell das Papier auf. Meine großen Augen erblickten die Lego-Schmiede und ich war verzückt. Ich weiß noch, dass ich mich überschwenglich bei meinen Elten bedankte – offensichtlich hatte ich schon durchschaut, vom wem die Geschenke kamen – und sagte, dass ich die Burg gar nicht mehr brauche. Hinten auf den Anleitungen waren immer Vorschläge, was man sonst noch aus dem gelieferten Legostein-Satz bauen konnte, damit ließ sich bestimmt etwas anfangen, das burgähnlich war. Aber der Abend war noch nicht zu Ende und als ich mir ein weiteres Paket schnappte und aufriss, war sie tatsächlich da: Die Lego-Ritterburg! Natürlich nicht die große, damit hatte ich nicht gerechnet, aber „trotzdem“ der ganz große Traum.

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