Kinder sind laut, kleben, riechen und stellen unangenehme Fragen

Am Montag fuhr ich auf dem Rad zur Arbeit und hörte dabei den schönen Podcast Der Weisheit. Dort diskutierten die Podcastenden Patricia, Malik und Marcus das Phänomen, dass anscheinend immer mehr Orte zu kinderfreien Zonen erklärt werden. Ein interessantes Thema, bei dem ich – die geneigte Leserin könnte es wissen – möglicherweise nicht ganz unvoreingenommen bin. Interessanterweise berichtete die Dame ebenfalls, dass eine Kollegin zum Urlaub in ein kinderfreies Hotel fährt. Die Dame war sehr aufgebracht darüber, während ich so etwas zwar befremdlich finde aber am Ende des Tages so ein beschissener Liberaler bin, der meint: Sollen sie halt machen wenn es ihnen Spaß macht … die Kackbratzen!

Kind im Museum: Ob es laut ist, klebt, riecht oder unangenehme Fragen stellt, ist nicht überliefert.
Kind im Museum: Ob es laut ist, klebt, riecht oder unangenehme Fragen stellt, ist nicht überliefert.

Allerdings regte mich das Thema dann zum Nachdenken an … Vielleicht irre ich mich, aber früher waren Kinder doch nur an Orten verboten, die für sie gefährlich sind: Baustellen, Kneipen, in denen geraucht wird, Kinosäle, in denen Filme für Erwachsene laufen, am Steuer von Autos oder auf der Brücke der Enterprise. Dass wir Kinder von Orten ausgrenzen, an denen wir sie als störend empfinden, weil wir Erwachsenen unsere Ruhe haben wollen, ist ein neueres Phänomen. Es begegnete mir als erstes, als hier in Frankfurt ein Café medienwirksam Kindern den Zutritt verwehrte. Das gleiche gab es später dann auch in Berlin, wo sie bekanntlich den Trends der Mainmetropole hinterherlaufen.

Die Dame war schnell dabei, diese Ausgrenzung mit Rassismus und Sexismus gleichzusetzen. Und auch in der Weisheit wurde diskutiert, ob das zulässig ist. Mein erster Impuls ist, das problematisch zu finden. Denn Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts diskriminiert werden, machen ja nichts. Sie existieren einfach, und allein diese Existenz stört manche Vollpfosten. Bei Kindern hingegen ist es eher das Verhalten, das andere Menschen stört: Kinder sind laut, kleben, riechen, stellen unangenehme Fragen, gehen dorthin, wo sie nicht hin sollen und nutzen Dinge anders als die gesellschaftliche Konvention es vorsieht … Hmmm … Ein bisschen so wie Nerds, oder?

Egal! Denn auf den zweiten Blick gibt es andere Diskriminierungen, die dieser – wenn ich es eine Diskriminierung nennen will, da bin ich mir noch immer nicht sicher – schon näher kommen: So zum Beispiel die Religionsfreiheit. All die Pegidioten regen sich über den Islam auf, weil Moslems Dinge machen oder lassen, die sie nicht gut finden. Weil sie anders sind. Weil sie sich zum Beten auf einen Teppich knien anstatt die Glotze einzuschalten. Ach was weiß ich, warum rechte Spinner Muslime nicht mögen … Von dort aus kommen wir jedenfalls schnell zu noch anderen Diskriminierungen, die jener (möglichen) von Kindern noch ähnlicher sind. Ich spreche davon geistig behinderte Menschen oder Demenzkranke auszuschließen. Allerdings machen wir letzteres auch tatsächlich oft dann, wenn ihr nicht regelkonformes Verhalten uns stört. Etwa im Kino, im Theater oder in der Oper …

Ein anderer Aspekt schlich sich im Zuge dieser Gedanken noch in mein Bewusstsein, als wäre er der Häuptling der Apachen: Vielleicht irre ich mich, aber was Menschen meist an Kindern kritisieren, ist der Lärm, den sie machen. Allerdings ist Lärm ganz unabhängig von Dezibelzahlen etwas sehr subjektives. Denkt einfach mal an einen Actionfilm, den ihr gut findet, bei dem die Explosionen krachen im Vergleich zu einem bedrückenden Horrorfilm, bei dem ihr in gleicher Lautstärke Menschen schreien hört oder noch Schlimmeres … Oder denkt daran, einen Song zu hören, den ihr richtig mögt im Gegensatz zu der Plörre, die aus dem Musikantenstadel rausgelaufen kommt. Gibt es das eigentlich noch? Hoffentlich, denn das passt gut zu meiner These …

Wir sollten alleine mal überlegen, welchen Lärm wir in Kauf nehmen, nur weil wir des Deutschen liebstes Kind in unsere Städte lassen: Das Auto! Ich frage mich, wie oft ein Spezialsympath seinen Kaffee im kinderlosen Café in aller Ruhe genießt, während davor ein SUV oder ein Porsche vorbeiknattert oder ein Lastwagen laut piepend rückwärts fährt. Ernsthaft: Wer sich über Kinderlärm aufregt, aber kein Problem mit Autos hat, der oder die macht sich einfach nur lächerlich.

Wenn Lärm subjektiv ist, warum ordnen wir dann Kinderlärm in den störenden Teil des Lärmspektrums ein? Hier meine These: Das liegt an unserer überalternden Gesellschaft, in der Kinder immer mehr zur Ausnahme werden. Autolärm ist allgegenwärtig, daher fällt er uns überhaupt nicht auf. Dass immer mehr Leute immer ablehnender auf Kinderlärm reagieren, liegt daran, dass es ihn immer seltener gibt. Es handelt sich um einen Ausdruck unserer kinderlosen Gesellschaft. Obendrein ist es ein kleines Stellrädchen in einem sich selbst verstärkenden Prozess. Zwar pumpt unser Staat viel Geld in Eltern, aber die Rahmenbedingungen stimmen trotzdem nicht, weil viele Faktoren in unserem Land schlichtweg kinderfeindlich sind. Womit ich nicht sagen will, dass du uns nicht noch mehr Geld geben darfst, lieber Staat! Aber Kinder von Orten des öffentlichen Lebens auszusperren, ist einer dieser Faktoren, die das Poppen mit Endprodukt unattraktiver machen. Und es ist obendrein einfach nur dumm! Denn selbst wenn du Kinder hasst, brauchst du sie. Einen Unterschied zu den oben erwähnten anderen Arten von Diskriminierung gibt es nämlich noch: Kinder bleiben nicht immer Kinder. Sie werden erwachsen. Auch wenn du diese kleinen, lauten Menschen, die kleben, riechen und unangenehme Fragen stellen, hasst, solltest du ihnen vielleicht das Leben nicht allzu schwer machen. Denn eines Tages wirst du 60, 80 oder 100 Jahre alt sein und alle dein Freunde auch. Und dann brauchst du jemanden, der oder die für dich den Müll abholt, die Toilette putzt oder den Kaffee in deinem kinderlosen Café ausschenkt.

3 Gedanken zu „Kinder sind laut, kleben, riechen und stellen unangenehme Fragen“

  1. Schöner Text. Ich spiele aber trotzdem kurz den Relativierungsklaus, wenn es um die Gründe geht:
    These wegen des Lärms, ich behaupte einfach mal, dass wir Kinderstimmen weniger gut filtern können. Während wir ein neben einer voll besetzten Kneipe immer noch ein Gespräch führen können, wenn wir uns konzentrieren (ein Mikrofonaufnahme, die ja nicht filtern kann wäre dort vollkommen unverständlich). Aber wir werden auch aus einem Punk Moshpit noch ein Kinderschrei heraus hören. Weil das 50 Tausend Jahre mal echt gut im Hirn verdrahtet wurde. Wir sind so gebaut.
    Überalterte Gesellschaft. Das impliziert ja, dass die Toleranz früher höher war. Aber, heute, in Ländern mit einem radikal anderer Bevölkerungsstruktur gibt es aber auch genug Orte, an dem Kinder nicht existieren. Wenn Kinder da sind, dann gleich ganze Rudel und nicht so einzelnd hinterher geschleifte Knirpse.
    Und ist der Opa, der sich über die aufmüpfigen Kinder beschwert nicht schon eine Figur aus dem Kaiserreich?
    Nachdenkliche Grüße

    1. Dank für die nachdenklichen Grüße. Dass wir Kinderstimmen nicht so gut filtern können, ist ein guter Einwand. Ja, meine These lautet: Die Toleranz war früher höher. Das Nuf erwähnt in der Weisheit einen Campingplatz, der Kinder verboten hat. Gerade Campingplätze waren früher die Familienurlaubsziele, da sie schön günstig waren. Wenn ein Campingplatz sich erlauben kann, Kinder rauszuweren, liegt das sicher daran, dass er auf diese Zielgruppe nicht mehr angewiesen ist. Zu anderen Ländern muss ich immer an die absolut nicht aussagekräftige Anekdote denken, als ich meine Schwester in Madrid besucht habe, als sie damals da lebte. Dort war es das normalste der Welt, dass Abends Kinder durch die Kneipe sprangen … Und der meckernde Opa ist natürlich ein altes Mem. Aber früher gab es weniger davon, deshalb hatten sie auch weniger Macht.

  2. Der kraeuterzucker hat Recht, Kindergeschrei lässt sich wirklich nicht so leicht ausblenden wie andere Geräusche. Es gibt auch Studien, die besagen, dass die genetisch eingebaute Alarmreaktion bei Eltern hormongesteuert noch intensiviert wird; wobei dies im Umkehrschluss nahelegt, dass Kinderlose eigentlich unempfindlicher sein sollten. Das hat dann wohl doch hauptsächlich was mit Toleranz zu tun.

    Ohne Augenmaß geht es nicht: junge Mütter haben es im Studium z.B. nicht leicht, aber wenn der Säugling im Hörsaal dafür sorgt, dass 300 Studenten nicht folgen können, sprengt das die Verhältnismäßigkeit. Kinder willkürlich in öffentlichen Räumen zu ‚verbieten‘, weil jemand ’seine Ruhe haben will‘, schlägt in die andere Richtung über die Grenze.

    Es gibt definitiv Kinderhass, der auch öffentlich zelebriert wird. Vor wenigen Tagen habe ich bei Facebook unfreiwillig die Gruppe „kinderfrei“ entdeckt, die ich versuchte, als Satire zu zu begreifen. Nachdem ich einige der Beiträge gelesen hatte, wollte mir das aber nich mehr gelingen. Ich empfand dabei vor allem Traurigkeit: Was muss man für soziale, emotionale Defizite haben, um das Bedürfnis zu verspüren, in dieser Form zu kompensieren?

    Wenn man nicht aufrichtig den Wunsch verspürt, Kinder großzuziehen, sollte man das, finde ich, um Himmels willen sein lassen. Es leiden zu viele Menschen unter Eltern, die keine sein wollen oder vielleicht keine sein sollten. Aber von dort bis zu aktiver Hetze gegen Kinder und Familien ist es noch ein weiter Schritt.

    Zur nationalen Frage: Ich wünschte wirklich, ich könnte etwas anderes sagen, aber ich habe im Ausland bisher nur positive Erlebnisse in Sachen Kinderfreundlichkeit zu verzeichnen. Die Deutschen kommen da nicht gut weg, die Ursachen dafür sind wieder eine andere Frage…

    Lass dich von den Kinderhassern jedenfalls nicht ärgern 😉

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