#TeamGrundschullehrer

Der Klassenlehrer meiner Tochter (9) sah sich genötigt, einen Brief an die Eltern zu schreiben, in dem er klar macht, dass es in der Grundschule vor allem darum geht, den Kindern Spaß am Lernen zu vermitteln. Manche Eltern hatten sich beschwert, dass die Klasse „zu langsam vorankommt“.

Der Brief las sich wie ein Pamphlet gegen den beschissenen Leistungsdruck, den sich offensichtlich manche Eltern schon in der dritten Klasse wünschen. Ich wollte nach jedem Satz „Fuck, ja!“ schreien.

„Beispiel Deutsch: Das wichtige Ziel des flüssigen uns sinnentnehmenden Lesens wurde für fast alle Kinder erreicht, einige gehen darüber hinaus, lesen freiwillig, leihen Bücher aus etc. Hier Druck auszuüber wäre völlig kontraproduktiv.“

Fuck, ja! Diese Beschwerde von manchen Eltern ist doch die gleiche beschissene Denkfigur, die schon dahinter steht, Kinder bereits im Mutterleib mit Fremdsprachen zu beschallen und in 25 Babykurse am Tag zu schleppen. Seit meine Tochter auf der Welt ist, musste ich immer wieder Gespräche führen, ob sie schon krabbelt, läuft, spricht, fahrradfährt, schwimmt etc. Weil der kleine Ewald-Rüdiger, der kann das schon alles!

Hinter dieser Elternbeschwerde steckt der gleiche Gedanke wie hinter Hartz 4: Wir müssen 50 Jährigen arbeitslosen Stahlarbeiterinnen nur genug Druck machen, dann finden sie schon wieder einen Job! Kinder zum lernen zu zwingen, weil die aus der anderen Grundschule im Viertel immer den ganzen Tag mit Hausaufgaben verbringen statt auf den Spielplatz zu gehen, ist gaaaaanz wichtig, um auf dem Weltmarkt zu bestehen!

Ich bin in dieser Sache voll und ganz #TeamGrundschullehrer

Ballade über den Hades, der keine Unterwelt mehr sein wollte

Agentur für Arbeit
Agentur für Arbeit. Bild von Daniel Brockmeier. Lizenz: CC0.

 

Eines vorweg: Wahrscheinlich geht ihr an diesen Text mit einer Betroffenheit heran, die er nicht verdient. Ich will kein Mitleid, denn dass ich arbeitslos bin, ist nicht schlimm. Es wird zwar allenortes suggeriert, es sei schlimm, aber das stimmt nicht. Im Englischen gibt es die Redewendung, dass man zwischen zwei Jobs ist. Die gibt es hier nicht. Hier ist man arbeitslos. Oh. Endlager. Das ist Blödsinn. Warum? Das werdet ihr gleich lesen.

 

 

Ich habe mich also am Montag arbeitslos gemeldet. Ich saß nur 4 ½ Stunden in der Wartezone der Agentur für Arbeit und wartete auf ein Gespräch mit einem Sachbearbeiter, das dann effektiv 10 Minuten gedauert hat. Der Kern dieses Gespräches war eine Unterschrift, die bezeugte, dass ich tatsächlich ordnungsgemäß anwesend war, andernfalls hätte man mich als Arbeitslosen bestraft durch Geldentzug oder etwas Ähnliches. Ferner wurde mir noch ein Termin mitgeteilt, bei dem dann erst alle Formalitäten geklärt werden.  

  Zweites vorweg: Ich werde hier nicht unterscheiden zwischen Agentur für Arbeit, Jobcenter, Arge, Arbeitslosengeld eins und zwei sowie Harz vier. Das ist verkürzt, das weiß ich. Aber das ist Strategie. Denn diese Klassenbildung übersieht, dass wir Arbeitslose letztlich alle Menschen sind, die eben nur zwischen zwei Jobs stehen, die durch einen Haufen Zufälle gerade nicht selbst für sich sorgen können und die deshalb zum Glück durch unseren – ganz ehrlich und aufrichtig gesprochen – tollen Sozialstaat finanziert werden. Bis sie dann selbst wieder dem Solidaritätsprinzip Rechnung tragend eben jene Rechnung begleichen können indem sie Steuern und Sozialabgaben zahlen. Und irgendwo singt Elton John „Circle of Life“. Aber jetzt los, hier sind meine Gedanken vom Montag:  

 Ich saß also so da und es wollten sich partout weder Wut, noch Frust oder Ärger darüber einstellen, dass ich warten musste. Im Gegensatz zu den anderen – seriös geschätzten – 200 Wartenden, störte ich mich nicht daran, dass im ehemaligen Amt nur eine Vorfeiertagsbesetzung anwesend war oder dass die Sachbearbeiter auch mal Mittags- oder Raucherpause machen. Ich saß da und dachte zurück an meine Erfahrungen mit der Agentur für Arbeit.

 

 

Das Amt, das kein Amt mehr sein will, ist noch immer eines. Das ist die wichtigste Erkenntnis in meinem Umgang mit der Agentur für Arbeit. Wenn ich oben den Sozialstaat gelobt habe, so gilt dies nicht für den Hades Agentur für Arbeit. Ich bin zum zweiten Mal arbeitslos. Das ist nicht schlimm sondern die Realität in einem Arbeitsmarkt, der flexibilisiert wurde wie ein Theraband. Ich weiß das, aber das Amt weiß das noch nicht. Ich weiß, was mich in der nächsten Zeit erwarten wird: mir werden Sachbearbeiter immer wieder erklären, dass alles erstens aussichtslos ist, und ich zweitens jetzt mal endlich meinen Arsch in Bewegung setzen muss, sonst werde ich noch langzeitarbeitslos und dann kann ich eigentlich nur noch Einwegpfand sammeln.

 

 

Und ich weiß, dass ich dann doch einen neuen Job finden werde, der mir hoffentlich sehr viel Spaß machen wird und höchstwahrscheinlich ganz anders sein wird, als ich es mir jetzt so vorstelle. Darüber hinaus habe ich auch noch andere Eisen im Feuer, aber das ist eine andere Geschichte, die ich aber schon bald erzählen werde.  

  Ich bin einer dieser Menschen, die eine Geisteswissenschaft studiert haben und wie all die anderen Geisteswissenschaftler, die nicht das Glück hatten, ein Vermögen in der Matratze eingenäht zu haben, um damit nach dem Studium den studentischen Lebensstil aufrecht zu erhalten, musste ich mit meinem Examen in der Hand frisch, fromm, fröhlich, frei zum ersten Mal aufs Amt.  

 Damals hatte ich Glück. Meinen Sachbearbeiter habe ich nur drei Mal gesehen: beim ersten Mal erklärte er mir, dass er nun wirklich nicht die Ressourcen habe, sich um Akademiker zu kümmern, das müsse ich schon selbst tun. Beim zweiten Mal kam er zum vereinbarten Termin aus seinem Büro, sagte: „bin gleich wieder da“, kam zehn Minuten später, nach Kippenrauch riechend, wieder, um mir dann einen Vortrag zu halten, dessen Kernaussage darin bestand, dass ich das alles zu locker nehme, faul bin und jetzt gefälligst einen Job finden solle. Anschließend druckte er mir drei Jobangebote aus, für die ich nicht einmal ansatzweise qualifiziert war, auf die ich mich dann aber bewerben musste, sonst wäre ich bestraft worden. Egal, die Bewerbungen hat das Amt bezahlt. Also ihr. Mit euren Steuern und Sozialabgaben. Beim dritten Mal segnete er schließlich ein Praktikum ab, das ich ergattert hatte und das anschließend in ein Volontariat mündete. Dass mir das Amt während des Praktikums, entgegen der zuvor gemachten Zusagen, urplötzlich den Status als Arbeitsloser kappte und ich auf einmal ohne Krankenversicherung dastand: geschenkt.

 

 

Denn ich habe andere Storys gehört und gesehen, die geradezu drollig waren. Das fängt mit vollkommen sinnlosen „Maßnahmen“ also Fortbildungen an. Wobei „Maßnahmen“ der ideale Ausdruck dafür ist, denn in der Regel handelt es sich um bloßen Aktionismus, der die Statistik bereinigen soll. Weil ich nicht als arbeitslos gezählt werde, solange ich in einer „Maßnahme“ stecke. Da gibt es etwa Anfängerenglischkurse für Akademiker zu denen man dann aber gehen muss, sonst wird man bestraft. Die Drolligkeit des ehemaligen Arbeitsamtes hört mit der Hotline, bei der man sich arbeitssuchend melden muss, noch lange nicht auf.

 

 

Die Hotline ist kostenpflichtig. Zwar nur 4 Cent, könnte man sagen, aber wenn man dann 2 Stunden in der Warteschleife hängt und zwischendurch mehrmals aus der Leitung geschmissen wird, sind auch das plötzlich fünf Euro, die man da für eine Formalität abkassiert. Denn ich habe noch von niemandem gehört, der direkt im Anschluss an ein beendetes Beschäftigungsverhältnis ein neues gefunden hat, weil in der Onlinemaske ein Sachbearbeiter den Schalter auf „suchend“ gestellt hat.  

  Eine Freundin hat sich da mal angemeldet mit folgenden Worten: „Mein Name ist Schiller. Wie der Dichter.“ Der Sachbearbeiter gab zu verstehen, dass Name und Dichter ihm bekannt seien. Als später die Unterlagen per Post kamen, war als Name angegeben: Schillernder. Kann man ja mal verwechseln, die großen Dichter Friedrich Schiller und Fritze Schillernder.  

 Selbe Freundin bezweifelte dem Sachbearbeiter gegenüber, dass sie sich auch am Wochenende beim Amt abmelden müsse, wenn sie die Stadt verlasse. Da diskutiere er nicht drüber, da sei er Verwaltungsmensch, sagte der Sachbearbeiter und behielt Unrecht.

 

 

Aber am schönsten fand ich, als eine hochqualifizierte Bekannte bei der Beratung von ihrem Sachbearbeiter gefragt wurde, was sie denn machen wolle. Sie sagte, sie habe ihre Magisterarbeit über Umweltbewusstsein in China geschrieben. Und da dies ein Zukunftsthema sei, hoffe sie diesbezüglich etwas zu finden. Der Sachbearbeiter schaute kurz in seine Datenbank und antwortete dann: Ich hätte hier einen Job in einem Chinarestaurant.

 

 

Ich bin raus.