Aristoteles – Semantik & De Interpretatione

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Daniel
denkt über Bedeutungen nach

Aristoteles – Der Logiker – Folge 6

Heute gehe ich von den Kategorien zu De Interpretatione über – der Lehre vom Satz. Zunächst frage ich mich zusammen mit Aristoteles dabei die Kernfrage der Semantik: Wie kommt Bedeutung zustande. Im Anschluss löse ich mit Ari noch mehrere sehr spannende semantische Rätsel oder verzweifle an ihnen.

Was ist Artikulation?

Was war Semantik noch gleich?  Semantik ist die Theorie über die Bedeutung sprachlicher Zeichen. Die Frage, was Bedeutung überhaupt ist und wie sie zustande kommt. Und diese Frage beantwortet Aristoteles in De Interpretatione. Kleine Einschub am Rande: Ich springe heute immer wieder zwischen De Interpretatione und den Kategorie hin und her und mache das nicht immer explizit. Aber da beide Bücher zusammen nur auf ca. 70 Seiten kommen, snackt einfach beide an einem verregneten Sonntag weg.

Ari sagt jedenfalls, dass Wörter aufgrund von Konventionen ihre Bedeutung erhalten und Bedeutung nicht natürlich entstehe, wie Platon das noch glaubte. Erneute, schamlose Werbung: Schaut/Hört noch einmal meine Folge zu Platons Sprachphilosophie! Aristoteles Argument jedenfalls dafür, dass Bedeutung konventionell ist, lautet: Auch Tiere können artikulierte Laute von sich geben, diese haben aber keine Bedeutung. An dieser Stelle muss ich bereits ein erstes Mal widersprechen als wäre ich ein Faktenchecker, der über jeden zweiten Satz von Armin Laschet verzweifelt. Denn Hadumod Bußmann definiert in ihrem Lexikon der Sprachwissenschaft Artikulation als:

„Zur Bildung von Sprachlauten intentional gesteuerte und koordinierte Bewegung der Sprechwerkzeuge Atemapparat, Kehlkopf, Nasenhöhle und Mundhöhle.“

Tiere sind in der Lage, Töne in Lautstärke und Tonhöhe zu modulieren und zu takten. Aber sie sind gerade nicht der Artikulation fähig, denn die ist der Prozess der Sprachlautbildung. Jemand die oder der in der Lage ist, Knöpfe auf einem Controller zu drücken, ist ja deshalb auch noch nicht in der Lage, Minecraft zu spielen. Es muss hinzukommen, diese Knöpfe auf ganz bestimmte Art und Weise zum Zwecke des Minecraftspielens zu drücken.

Meine Freundin kritisierte, dass meine Definition von Artikulation zu eng gefasst sei. In einem Lexikon der Sprachwissenschaft sei natürlich eine sehr spezifische Auffassung von Artikulation zu finden. Okay. Point taken. Die Wikipedia unterscheidet drei Unterbedeutungen von Artikulation: die Sprachwissenschaftliche (die der von mir wiedergegebenen weitgehend entspricht), die Zahnmedizinische (die ich mal weglassen, denn wer hat schon Bock, sich mit Zahnärztinnen auseinanderzusetzen? Und die musikalische. Schauen wir uns die musikalische Definition mal an:

Unter Artikulation in der Musik wird erstens die Art verstanden, wie ein einzelner Ton stimmlich oder instrumental erzeugt oder gebildet wird; zweitens wie aufeinander folgende Töne miteinander verbunden werden.  … Die zahlreichen Arten, Töne zu verbinden sind ein Gestaltungsmittel zur Charakterisierung der Melodiebewegung.

Auch hier steckt wieder der Aspekt der  Zweckbindung drin. Der Ton wird auf besondere Art angeschlagen, um ihn genauso klingen zu lassen, wie man möchte und Töne werden kombiniert, um meine Melodiebewegung zu charakterisieren

Entsprechend weise ich den Einspruch ab, Frau Anwältin der normalen Sprache!

Das Frege-Prinzip der Bedeutung

Aber schauen wir mal weiter, was Aristoteles schreibt. Ari macht klar, dass Worte immer nur als Ganzes eine bestimmte Bedeutung haben. Wenn wir uns etwa „Hundekuchen“ ansehen, dann hat das Gesamtwort eine andere Bedeutung als es die beiden Teile „Hunde“ und „Kuchen“ haben. Denn beim „Erdbeerkuchen“ sind Erdbeeren im Kuchen, aber beim Hundekuchen keine Hunde.

Was Aristoteles hier beschreibt, ist ein erster Ansatz dessen, was später das Frege-Prinzip der Bedeutung oder auch das Kompositionsprinzip genannt werden wird. Der Name Frege-Prinzip kommt daher, dass der analytische Philosoph und Logiker, dessen Eltern ihn leider besoffen taufen ließen, Gottlob Frege dieses Prinzip ausformuliert hat. Demnach ergibt sich die Bedeutung eines Wortes erst aus dem Kontext der höheren semantischen Einheit. Bei Aristoteles‘ Beispiel ergibt sich die Bedeutung „Für Hunde gemacht“ aus dem Kompositum Hundekuchen. Man könnte aber sogar noch einen Schritt weiter gehen. Denn wenn aus dem Satz oder einem noch größeren semantischen Kontext klar würde, dass wir uns in Ostasien befinden. Dann könnte die Bedeutung von „Hundekuchen“ sich erneut für uns wandeln. Aber da mir Kuchen mit Hunden, Kühen oder Schweinen drin als Vegetarier zu unappetitlich sind, schaue ich doch lieber mal, was Ari sonst noch so schreibt.

Bedeutung als Eindruck der Seele

Nach Aristoteles sind die Äußerungen der Stimme Symbole für Eindrücke der Seele. Das Geschriebene wiederum ist ein Symbol für das Gesprochene. Das sind zwei Sätze, die die Sprachphilosophie noch Jahrtausende lang ganz kirre machen werden! Was die Eindrücke der Seele sind und ob sie wirklich der Grund für sprachliche Bedeutung sind, ist ein wesentliches Beschäftigungsfeld dieser philosophischen Disziplin. Nicht weniger spannend für Sprachphilosophie und Linguistik ist die Frage, in welchem Verhältnis gesprochene Sprache und Schrift stehen. Spoiler: So einfach, wie Aristoteles sich das vorstellt, ist es nicht. Denn es gibt zum Beispiel logographische Sprachen, die ohne den Umweg über die gesprochene Sprache direkt Bedeutungen abbilden.

Zumindest trägt Aristoteles der Tatsache Rechnung, dass es verschiedene Sprachen und Schriftsysteme gibt, indem er schreibt: Während Schriften und Sprachen sich unterscheiden können, sind die Seeleneindrücke bei allen Menschen gleich. Die Dinge, von denen sie Eindrücke sind, sind ebenfalls gleich. Puh, das ist ein Satz, der mit über 2300 Jahren Abstand ohne Schnaps nur schwer ernstzunehmen ist… Ari sagt, dass die seelischen Eindrücke den Dingen ähnlich sind. Das scheint ein Konzept von inneren Bildern zu sein, Auch wenn Nelson Goodman wegen dieser Ähnlichkeit und Gilbert Ryle wegen der Metapher vom Bild im Kopf gerade in ihren Gräbern rotieren. Was Aristoteles hier macht, ist eine klassische metaphysische Unterstellungen. Ari nimmt diese Seeleneindrücke einfach an und spekuliert wild über sie, aber wirklich begründen tut er das nicht.

Wir müssen uns nur eine Frage stellen, um das ganze so leicht zu Fall zu bringen, als wäre es ein Todesstern des Imperiums: Was ist mit Worten, die nichts Wahrnehmbares bezeichnen? Welchen Seeleneindruck haben die? Wie sieht der Seeleneindruck von „Demokratie“, von „Philosophie“ oder von „Liebe“ aus? Obendrein trampelt Ari einmal über die Qualia-Debatte, als wäre diese Rebel-Scum und der Philosoph ein AT-AT. Woher will er wissen, dass mein Seeleneindruck und deiner gleich sind?

Hier landen wir am Grunde wieder bei Wittgensteins Privatsprachen-Argument. Schaut/Hört euch am besten noch einmal meine Folge dazu an. Aber in Kürze so viel: Wittgenstein entwirft das Bild vom Käfer in der Schachtel. Stell dir vor, deine Seeleneindrücke sind ein Käfer in einer Schachtel. Wesentlich für diesen Käfer ist, dass jede*r nur in ihre*seine Schachtel gucken kann und nur von iher*seiner Schachtel weiß, was ein Käfer ist. Wittgenstein plädiert nun dafür, diesen vertrackten Knoten so zu lösen, dass wir den Käfer einfach aus der Gleichung streichen und andere Erklärungen dafür finden, wie Bedeutung zustande kommt. Denn egal, wie dein oder mein Käfer aussehen. Fakt ist: das Wort „Käfer“ hat eine Bedeutung in unserer Sprache. Aber es sollte noch über 2000 Jahre dauern, bevor Wittgenstein überhaupt geboren wurde, daher kehren wir in die Antike zurück, als wären wir mit Bill und Ted in einer Telefonzelle unterwegs.

Etwas über etwas aussagen und in etwas sein

Aristoteles fährt in der Kategorienschrift mit einer ganzen Reihe Nebenüberlegungen fort. Mir gelingt es nicht, die in eine stringente Erzählung zu packen, aber sie sind auch zu spannend, um sie hier einfach wegzulassen. Daher zähle ich ein paar von ihnen einfach mal auf:

Die nächste wichtige semantische Unterscheidung, die Ari trifft, ist, das es Dinge gibt, die man über ein Subjekt aussagen kann und solche, die sich in dem Subjekt befinden. Ich kann über Frodo sagen, dass er ein Hobbit ist, aber der Hobbit ist nicht in Frodo drin. Mut oder ein gutes Herz wiederum sind in Frodo.

Ari macht das nicht explizit, aber wenn ich mein Beispiel betrachte, dann fällt auf, dass „Hobbit“ eine Substanz ist. Während „Mut“ und „ein gutes Herz“ Qualitäten sind. Die Frage, die sich mir stellt: Sind generell nur Qualitäten in einem Menschen? Beziehungsweise können sie in etwas sein? Denn nicht jede Qualität ist in etwas. Wenn ich rot bin, dann ist die Röte ja nicht in mir, oder? Andererseits ist es ja eine Metapher, dass der Mut in mir ist. Denn zeigen wird sich der Mut erst in meinen Taten. Hmm …

Meine Haus- und Hof-Psychologin hat an dieser Stelle interveniert und sich dagegen ausgesprochen, das In-Mir-Drin-Sein als bloße Metapher abzutun. Denn Mut ist zwar nicht als irgendein Ding in mir drin, aber er ist eine Charaktereigenschaft. Als solche ist der Mut ein relativ stabiles Merkmal, dass sich über einen langen Zeitraum des Lebens in meinen Handlungen zeigen wird. Es ist Teil meiner Persönlichkeit, macht mich aus und ist auch in meinem Gehirn verankert.

Ari will aber auf einen anderen Punkt hinaus. Er betont gerade, dass Substanzen nicht in einem Ding drin sind. Aber von einem Ding ausgesagt werden können. Über mich lässt sich aussagen, dass ich ein Mensch bin. Hoffe ich zumindest …. Aber der Mensch ist nicht in mir drin. Das wird uns in Zukunft noch im Rahmen seiner Metaphysik beschäftigen. Vermute ich … Denn um uns noch komplett zu verwirren, sagt Ari, dass nicht nur Substanzen nicht in den Dingen sind, sondern über sie ausgesagt werden können. Das gelte auch für andere Arten von Prädikaten. Puh, ich weiß wirklich nicht, was ich damit anfangen soll, ich glaube das sind Probleme, die dadurch entstehen, dass die Sprache feiert, um Wittgenstein noch einmal heraufzubeschwören. Und um auch noch den großen Philosophen Herrn Lehman zu zitieren: Das bringt jetzt hier alles nichts.

Okay, wie schon gesagt, mit diesen beschäftigen wir uns intensiver, wenn wir von der Logik zur Metaphysik wechseln. Wie ich schon beim letzten Mal sagte, entstehen hier nämlich Probleme daraus, dass Ari nicht klar zwischen Sprache und Welt unterscheidet. Aber lasst uns schon einmal im Kopf behalten, dass Substanzen wichtig sind. Die anderen Kategorien scheinen überhaupt nur in Abhängigkeit von Substanzen ihre Bedeutung zu erhalten.

Wesen und Akzidenz

Eng damit zusammen hängt die nächste wichtige Unterscheidung, die Aristoteles in den Kategorien fällt, ist die zwischen Wesen und Akzidenz. Es gibt Prädikate, die einem Subjekt wesentliche Eigenschaften zusprechen, die aussagen, was es ausmacht, ein bestimmtes Subjekt zu sein. Hamilton ist ein Musical, weil darin gesungen und getanzt wird und es für Musicals wesentlich ist, dass darin gesungen und getanzt wird. Wenn in einem Film oder Bühnenstückt weder Gesang noch Tanz vorkommen, dann kann es kein Musical sein.

Demgegenüber gibt es auch bloß akzidentielle Prädikate. „Daniel sitzt hier im Schlafanzug und tippt diese Worte in sein Handy“ etwa. Die drei hier drin steckenden Prädikate ’sitzend‘, ‚im Schlafanzug‘, ‚Worte ins Handy tippend‘ machen sicher nicht das Wesen von Daniel aus. Gut, es gibt Menschen, die behaupten, dass etwas ins Handy zu tippen wesentlich für mich ist. Aber ich weiß nicht, wie sie darauf kommen!

Die Entdeckung der Relation

Nicht unerwähnt lassen, möchte ich ferner, dass Aristoteles die Relation entdeckt. Bei Platon hatte ich mich ja das eine oder andere Mal aufgeregt, dass er immer nur von absoluten Begriffen spricht. Etwa von der absoluten Größe, was absolut keinen Sinn macht, da etwas immer nur auf etwas anderes groß ist. Ari kritisiert seinen Lehrer hier ebenfalls und macht das schön anhand des Begriffs „voll“ klar. Wenn bei mir in der Wohnung 20 Leute wären würde ich sagen: Oh, Boy, das ist aber voll! Wenn nun die gleichen 20 Leute in einem Theatersaal säßen würden wir diesen hingegen als leer bezeichnen, obwohl sich die absolute Zahl der Menschen ja nicht geändert hat. Voll ist eben ein relativer Begriff und seine Bedeutung ergibt sich erst daraus, dass man angibt, in Bezug auf was etwas voll ist … Gut, Ari schießt dann seinerseits übers Ziel hinaus, wenn er anfängt, auch „Wissenschaft“ als einen relativen Begriff zu interpretieren, aber diesen Teil der Erörterung spare ich uns einfach. Komische Meinungen gibt ja schließlich immer. Es soll sogar Menschen geben, die „Rough Night“ für einen lustigen Film halten.

Substanzen können nicht mehr oder minder sein

Der nächste Punkt ist für mich schon wieder spannende: Ari stellt fest, dass Substanzen nicht mehr oder minder sein können. Man ist zum Beispiel immer 100% Mensch und nicht nur zu einem bestimmten Grad. Das ist eine wichtige Feststellung, an die wir uns noch so manches Mal in der Ethik erinnern sollten. Unser Grundsatz, dass es unveräußerliche Menschenrechte gibt, baut darauf auf. Egal, was du tust, du kannst deine Menschenrechte nicht verlieren. Denn egal, wie du sonst so drauf bist, du bist noch immer ein Mensch.

Rassisten und Sexisten missachten dieses Prinzip massiv, indem sie oft biologistisch argumentieren. Sie sagen dann, dass Menschen bestimmter Nationalität, Ethnie oder Geschlechts weniger Menschen sind als es alte weiße Männer sind und dass ihnen daher weniger Rechte zustehen würden. Hört dazu noch einmal meine Rassismus-Folge (ja, ich weiß, ich wollte zu Neuen Rechten noch mehr Folgen machen und das Nationalismus-Buch steht auch schon seit 1,5 Jahren in meinem Schrank. Corona hatte dem Plan einen Strich durch die Rechnung gemacht. // Drüben in meinem Podcast habe ich eine Folge zu Rassismus veröffentlicht. Hört da doch mal rein.

Bei allem Hurra, dass ich auf diesen einen Satz runterregnen lasse, dürfen wir den naturalistischen Fehlschluss nicht vergessen. Denn aus der Tatsache, dass jede*r immer 100% Mensch ist, folgt nicht zwangsläufig, dass für alle auch die gleichen Rechte gelten sollten. Man kann nicht aus einem Sein auf ein Sollen schließen. Ethik bleibt die Aushandlung der Frage, wie wir leben wollen. Aristoteles nimmt sich das (wenn auch ein weiteres Mal nicht explizit) zu Herzen und spricht alten Weißen Männern in seiner Ethik viele Rechte zu, die er anderen Menschen versagen will. Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Diskretheit und Kontinuen

Einen habe ich noch! Für die Medientheorie wiederum ist Aristoteles‘ Ausführung von Bedeutung, dass Quantitäten diskret oder kontinuierlich sein können. Zahlen und Sprache sind diskret. Das bedeutet in diesem Fall aber nicht, dass sie darüber schweigen, was in Las Vegas geschehen ist, sondern es heißt, sie bestehen aus klar abgegrenzten Einheiten. Die für jedes Sprachverständnis notwendige Fähigkeit unseres Gehirns zur Segmentierung  basiert darauf, dass sprachliche Einheiten diskret sind. So gelingt es unserem Gehirn höchst unterschiedliche akustische Wellen als immer das gleiche Wort zu segmentieren. Das kleine Wörtchen „das“ kann aufgrund von Dialekt, Soziolekt, Akzent und Idiom höchst unterschiedlich klingen, je nachdem, wer es ausspricht. Aber unser Gehirn macht daraus immer das gleiche Wort. Nur so können wir Sprache verstehen.

Längen und Flächen sind hingegen kontinuierlich. Gleiches gilt auch für Zeit und Ort: Sie sind ein Kontinuum. Ohne dass Ari es explizit macht – mal wieder, löst er mit dieser Feststellung das Schildkröten-Paradoxon:

Diesem berühmten Trugschluss des Zenon von Elea zufolge machen Achilles und eine Schildkröte ein Wettrennen. Achilles gibt der Schildkröte einen Vorsprung, weil er sich seines Sieges sicher ist. Doch dieser führt dazu, dass er das Rennen nicht mehr gewinnen kann. Denn bevor Achilles die Schildkröte überholen kann, muss er zuerst ihren Vorsprung einholen. Während er das macht, hat die Schildkröte aber einen neuen, wenn auch kleineren Vorsprung gewonnen. Jetzt muss Achilles den erst einholen. Doch sobald er das geschafft hat, hat die Schildkröte wiederum einen – noch kleineren – Vorsprung gewonnen und so weiter. Der Vorsprung, den die Schildkröte hat, wird demnach zwar immer kleiner, aber dennoch bleibt immer ein Vorsprung.

Das Problem an diesem vermeintlichen Paradoxon ist eben, dass es Längen als diskrete Einheiten auffasst, die nacheinander abgearbeitet werden müssen, so wie Zahlen nacheinander gezählt werden müssen. Aber in Wirklichkeit sind Längen kontinuierlich. Achilles – bekanntermaßen eh nicht die hellste Fackel beim Marathonlauf – denkt zum Glück nicht nach, sondern läuft einfach weiter, ohne sich um die Streckeneinheiten zu kümmern.

Wir können und werden noch weitere Beziehungen von Prädikaten zueinander ausmachen. Doch damit kommen wir zum sogenannten logischen Quadrat und mit ihm – der Name deutet es an – der Logik jetzt schon so nahe, dass ich es auf die nächste Folge verschieben möchte. Insgesamt bleibt mir aber zu sagen, dass in den wenigen Seiten der Kategorienschrift und von De Interpretatione noch viel mehr steckt, was ich weggelassen habe, da es hier den Rahmen sprengen würde. Schaut in die Texte rein und nicht nur Youtube/hört nicht nur Podcasts ist wohl ein Rat, den man immer geben sollte.

Was natürlich nicht heißen soll, dass ihr hier nicht mehr weiter schauen/hören sollt: Damit ihr die nächste Folge nicht verpasst, solltet ihr dringend diesen Kanal/Podcast abonnieren. Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt.

Mehr Philosophie-Videos:

Zur weiteren Recherche über Aristoteles:

*Das ist ein Affiliate-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Qualia

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Daniel
sieht nach dem dritten Joint rot

Adventskalender Türchen 17

In diesem Advent präsentiere ich euch einen kleinen philosophischen Adventskalender. Jeden Tag stelle ich einen philosophischen Begriff vor und mache mir ein paar Gedanken dazu.

Heute geht es um Qualia.

Über Privatsprache und den Käfer in der Schachtel habe ich hier schon einmal geschrieben.

 

 

Der Geist in der Maschine

Dies ist die Geschichte des Geistes. Die Geschichte, wie die Menschen ihn verloren haben und die Maschinen den Geist vielleicht finden werden. Es geht um die Redewendung vom ‚Geist in der Maschine‘. Wir finden sie in der Popkultur in vielerlei Form, der Anime Ghost in the Shell referenziert sie genau wie der Film Ex Machina, aber auch in I Robot, Brazil, Futurama oder Akte X taucht sie auf. Verwendet wird sie, um auf den Zustand zu verweisen, in dem die künstliche Intelligenz uns ebenbürtig ist. Jüngst machte Furore, dass Googles AlphaGo das äußerst komplexe Spiel Go spielen kann. Aber nicht nur das: Der Computer hat sich das Spiel mittels Deep Learning sogar selbst beigebracht und obendrein kann er intuitiv entscheiden, was der richtige Zug ist. Wenn wir solche Formulierungen wie „selbst beibringen“ und „Intuition“ hören, dann flackert der Geist in der Maschine, den wir bislang nur aus Literatur und Film kannten, in der echten Welt auf. Doch auch wenn diese spezialisierte Intelligenz unglaublich beeindruckend ist, so wird es wohl noch ein paar Jährchen dauern, bis die Maschine einen echten Geist mit allgemeiner Intelligenz, Vernunft, Verstand, Kreativität, Selbstbewusstsein und freien Willen besitzen wird, wenn überhaupt …

Filmplakat zu Ex Machina. Copyright: DNA Films / Film4 Productions
Filmplakat zu Ex Machina. Copyright: DNA Films / Film4 Productions

Denn das Spannende daran ist, dass die Redensart vom „Geist in der Maschine“ sich ursprünglich gar nicht auf Computer und künstliche Intelligenzen bezog, sondern auf uns Menschen! Der Philosoph Gilbert Ryle prägte die Phrase 1949 in seinem Buch Der Begriff des Geistes, um unser menschliches Selbstverständnis zu kritisieren – das, was in der Philosophie der Leib-Seele-Dualismus genannt wird. Denn während wir gerade auf der Suche nach dem Geist für die Maschine sind, haben wir Menschen ihn längst verloren. Und diese Geschichte möchte ich euch erzählen.

SF65 - Her

Dieser Post ist Teil einer umfassenden Auseinandersetzung mit Spike Jonzes Film Her, in dem sich der Mensch Theo in die künstliche Intelligenz Samantha verliebt. In meinem Podcast Spätfilm habe ich bereits mit meiner Co-Hostin Paula und unserem Gast Christian über die Darstellung der Liebe zwischen Mensch und Maschine in Her gesprochen. In Christians Podcast Second Unit war ich zu Gast zur Diskussion über die Frage, ob die in Her gezeichnete Welt eine Utopie oder eine Dystopie ist. Und demnächst erscheint noch eine Folge des Podcasts Enough Talk, in der Paula und ich zusammen mit unserem Gastgeber Arne durch die Filmgeschichte reisen und uns fragen, welche Geschichten wir rund um künstliche Menschen gewöhnlich erzählt bekommen.

Wie wir Menschen den Geist fanden

Natürlich beginnt unsere Geschichte mit Platon. So, wie fast alles in der Philosophie mit Platon beginnt. Denn die Idee, dass der Mensch einen Geist hat, stammt ursprünglich vom griechischen Philosophen, auch wenn er noch gar nicht vom Geist sondern von der Seele sprach. Genauso natürlich werden jetzt manche einwenden, dass es vor Platon schon andere gab, wie die Pythagoreer oder die Orphiker, die davon sprachen, dass der Mensch eine Seele hat. Das stimmt, Platons Geist hat diese Idee nicht spontan hervorgebracht, sondern war kulturell geprägt. Aber dennoch ist Platon der Ausgangspunkt dieser Geschichte und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist er der erste, von dem ums komplette Texte mit zusammenhängenden Argumentationen erhalten geblieben sind. Zum anderen war sein Konzept vom Leib-Seele-Dualismus enorm wirkungsträchtig. Das zeigt nichts besser, als die Tatsache, dass das Christentum ursprünglich keine Seele kannte. Das hört sich für uns heute absurd an, aber ursprünglich glaubte das Christentum an die „Wiederauferstehung des Fleisches“. Man glaubte also, dass der Körper eines Menschen am Tag des jüngsten Gerichts wieder zum Leben erwachen und zwar nicht im Sinne einer Zombieapokalypse sondern so wie dies Jesus an Ostern vorgemacht haben soll. Erst als im Mittelalter die sogenannten Kirchenväter Platon gelesen hatten, tröpfelte die Idee vom Leib-Seele-Dualismus schließlich ins Christentum ein.

Aber was genau stellte sich Platon unter der Seele vor und in welchem Verhältnis steht sie zum Körper? Platon bezeichnet den Körper als das Gefäß für die Seele, ja, manchmal sogar als ihr Gefängnis. Seiner Vorstellung nach schwappen die Seelen an einem „überhimmlischen Ort“ in einer Art Eintopf rum und wenn dann ein Körper geboren wird, dann flutscht eine Seele in den Körper hinein. Nach dem Tod darf sie dann wieder in den überhimmlischen Eintopf zurückkehren. Nach Platon besteht die Seele aus drei Teilen. Zum ersten gibt es die Begierden, die natürlichen Triebe wie Hunger, Durst und der Sexualtrieb. Der zweite Teil ist die Vernunft und der dritte Teil sind die Gefühle, die Emotionen. An manchen Stellen sagt Platon übrigens, dass nur der vernünftige Teil der Seele unsterblich ist, an anderen bezeichnet er auch unsere innere Stimme, die wir beim Denken hören, als die Seele. Interessant ist, dass Platon die Seele nicht unbedingt im Kopf verortet, stattdessen ist irgendwie der ganze Körper von der körperlosen Seele beseelt.

Platons Leben

Mehr zu Platon könnt ihr auf meinem YouTube-Kanal sehen. In einer ausführlichen Staffel werde ich mich unter anderem auch mit Platons Seelenvorstellungen und seinen Unsterblichkeitsbeweisen beschäftigen.

Der menschliche Körper ist wie ein Uhrwerk nur schleimiger

Doch genug zu Platon, denn hier soll es doch eigentlich um die Idee vom Geist in der Maschine gehen. Die Frage ist also: Wie wurde aus der Seele der Geist? Dafür sorgte ein anderer großer Name in der Philosophie: René Descartes. Er machte aus dem Leib-Seele-Dualismus den Geist in der Maschine und er verlagerte den Geist auch endgültig in den Kopf.

Warum? Was war in der Zwischenzeit geschehen? Die Rennaisance und mit ihr der Beginn der philosophischen Epoche der Neuzeit! Die Rennaisance hatte vor allem zwei Innovationen gebracht, die unser Bild vom Leib-Seele-Dualismus maßgeblich beeinflussten. Zum einen war dies die Anatomie. Zwar hatten schon in der Antike Ärzte tote Menschen aufgeschlitzt, doch im Mittelalter war dieser Zweig der Medizin größtenteils als Sünde verboten gewesen. Männer wie Leonardo da Vinci oder Andreas Vesalius begannen nun wieder zu untersuchen, wie der menschliche Körper aufgebaut ist und hatten dabei große Schwierigkeiten, eine Seele zu finden. Stattdessen fanden sie etwas anderes, nämlich das Gehirn. Und dies kombiniert mit der zweiten großen Innovation sorgten für das Bild vom Geist in der Maschine. Diese zweite Innovation war das Mechanistische Weltbild. Dafür sorgten so Menschen wie Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler, Galileo Galilei und Francis Bacon. Mmmmh, Bacon … Äh, Tschuldigung! Das mechanistische Weltbild war dadurch geprägt, dass die Menschheit mehr und mehr erkannte, dass die Welt anscheinend kausal aufgebaut ist. Jede Wirkung in der Welt hat eine Ursache. Sei es nun im kleinen Maßstab, wo geschickte Ingenieurskunst dieses Prinzip nutzte um zahnrädergetriebene Uhrwerke zu entwickeln oder sei es im Großen, wo die Planeten sich auch nur deshalb bewegen, weil ursächliche Kräfte auf sie einwirken.

Die Entdeckungen der Anatomen passten nun hervorragend in dieses Weltbild. Anscheinend war der Mensch auch nichts anderes, als ein perfekt funktionierendes Uhrwerk, nur ein bisschen schleimiger. Aber war der Mensch das wirklich? Unser alltägliches Leben scheint uns etwas anderes zu erzählen. Während ein Uhrwerk solange das Gleiche macht, bis es kaputt geht, ist der Mensch kreativ. Wir verfügen über die Gabe der Spontaneität. Während in der mechanischen Welt alles inklusive unseres Körpers durch die Prinzipien der Kausalität bestimmt ist, ist unser Geist frei, nicht an die Gesetze von Ursache und Wirkung gebunden. Ich kann mich zum Beispiel jederzeit entscheiden, ob ich diesen Text weiterschreibe oder

 

Tumbleweed

 

Da bin ich wieder, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, beim freien Willen. Unsere ganze Welt von der Erziehung über unsere Rechtssprechung bis zur Entscheidung, wo wir nach dem Tod die Ewigkeit verbringen, basiert auf der Idee, dass wir uns frei entscheiden können. Der freie Wille ist eine Idee, die scheinbar überhaupt nicht zusammenpasst mit dieser kausal-mechanischen Welt. Das motivierte Descartes dazu an Platons Dualismus festzuhalten: Wir besitzen nicht nur einen Körper, der dem Kausalitätsprinzip unterliegt, sondern in unserem Kopf sitzt zudem unser Geist, der nicht gebunden ist an die mechanische Welt.

Dies war lange Zeit die herrschende Lehre und auch heute noch, da sie schon lange bröckelt, zweifeln wir im Alltag nicht im geringsten an ihr, auch wenn sie uns manchmal auf den Geist geht. Wir sprechen von der Welt des Geistes, wenn wir uns mit Kunst, Literatur oder Musik beschäftigen. Die Geisteswissenschaften behandeln alles, was sich nicht ins starre Kausalraster der Naturwissenschaften pressen lässt. Und unser Geist kann krank oder behindert sein. Auch Descartes wichtigste und berühmteste Erkenntnis, das „Ich denke, also bin ich“ basiert auf der Idee des Geistes und auf jener, dass wir einen priveligierten Zugang zu ihm haben: Alles außer der eigene Geist ist ungewiss.

Aber am wichtigsten ist und bleibt der freie Geist für die Ethik. Unser Gehirn komplett dem Kausalitätsprinzip zu unterwerfen, bedeutet, die Unterscheidung von Gut und Böse aufzugeben. Die Vorstellung, dass die Nazis nicht anders handeln konnten, dass sich der Holocaust kausal notwendig ereignen musste, bereitet hoffentlich nicht nur mir Schmerzen. Die Idee, dass alles seit dem Urknall einer unbeeinflussbaren ewigen Kettenreaktion folgt, ist im Grunde nur eine mechanistische Variante des Schicksalsglauben.

Unser Geist ist nicht ganz sabberfrei

Andererseits ist die Idee des Geistes in der Maschine wohl nicht aufrechtzuerhalten, wie wir sehen, wenn wir darauf blicken, was in den Jahrhunderten nach Descartes geschah. Vor allem ab dem späten 19. Jahrhundert ergaben sich in der Verhaltensforschung und der Psychologie entscheidende Erkenntnisse, die das Bild vom freien Geist in der determinierten Maschine in Frage stellten. Allem voran brachte Pawlow in seinen Experimenten Hunde zum sabbern. Und schon bald stellte sich heraus, dass auch der menschliche Geist nicht ganz sabberfrei ist. Anscheinend unterliegt er ebensovielen Regeln und Gesetzen wie der Körper. Dies führte zur psychologischen Theorie des Behaviorismus. In seiner radikalen Ausprägung sagt der Behaviorismus, dass jedes menschliche Verhalten eine Reiz-Reaktions-Kette ist.

Zu diesem Zeitpunkt brachte dann Gilbert Ryle 1949 sein Buch „Der Begriff des Geistes“ heraus, in dem er den Geist-Körper-Dualismus als „intelektualistische Legende“ entlarvt. Ryles zentrales Argument ist, dass es sich beim Dualismus von Körper und Geist um eine sogenannte Kategorienverwechslung handelt. Er bringt ein Beispiel für eine Kategorienverwechlung: Ich soll einer Gästin die Universität zeigen. Ich zeige ihr die verschiedenen Institute, die Bibliothek, die Mensa, die Verwaltung, den Asta etc. Doch anschließend sagt meine Gästin: „Jetzt hast du mir all diese Orte gezeigt, aber zeige mir doch endlich die Universität!“ Mein Gast glaubt in diesem Fall, dass die Universität vom gleichen logischen Rang ist, eine eigene weitere Kategorie neben den Instituten usw. In seinem Buch zeigt Ryle auf, dass es uns mit dem Geist genauso geht, dass wir ihn nicht als einen Teil des Körpers betrachten, sondern glauben, er sei eine diesem Körper ebenbürtige Kategorie. Ryle zeigt dann an sehr vielen Beispielen auf, in welche Absurditäten uns diese Vorstellung hineinführt, wenn wir sie konsequent durchspielen. Ryles Philosophie ist sehr spannend und zu einem anderen Zeitpunkt einen eigenen Post wert, doch hier würde das jetzt zu weit führen, schreiten wir lieber voran.

Der Dolchstoß als Geisteraustreibung

Denn Gilbert Ryle war noch nicht der Abschluss der Geisteraustreibung. Als nächstes wurde der Computer erfunden. Nun gut, die Idee der Turing-Maschine und der Zuse-Rechner sind älter als Ryles Buch, aber Innovationen brauchen immer eine Weile, bis sie in den philosophischen Diskurs eindringen. Jedenfalls erschien die Metapher des Computers perfekt, um komplett geistlos zu beschreiben, was in unserem Kopf vorgeht. Doch auch wenn ich immer wieder Sätze wie diesen lese:

„Here’s something we know. Building a computer as powerful as the brain is possible—our own brain’s evolution is proof.“

… Möchte ich darauf bestehen, dass das Gehirn kein Computer ist. Es erscheint uns als ein solcher, da es sich mit der Terminologie der Informatik derzeit am besten beschreiben lässt. Aber auch die Seele und der Geist in der Maschine waren das Ergebnis der damals besten Beschreibungsmöglichkeiten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass in einigen Generationen jemand schmunzelnd auf unser komisches Bild vom Computer im Gehirn zurückblicken wird. Wenn uns die Philosophie eines lehrt, dann dass wir immer Gefangene des Zeitgeists sind.

Aber auch mit dem Computer war noch immer nicht Schluss. Den bislang letzten Dolchstoß verpasste dem Geist das Libet-Experiment und seine Nachfolger. Denn dieses und ähnliche Experimente scheinen zu beweisen, dass der freie Wille eine Illusion ist. Demnach fällt das Gehirn schon Entscheidungen, bevor unser Geist oder unser Bewusstsein glaubt, dass es diese Entscheidungen fällt. Sind wir also wirklich nur determinierte Maschinen? Nun, das wird die Zukunft zeigen. Aber wenn wir das Libet-Experiment ernst nehmen würden, dann müssten wir unser Rechtssystem komplett umkrempeln. Denn, wie Bertrand Russell einst sagte: Niemand würde ein Auto, das aufgrund eines Defekts gegen eine Wand gefahren ist, dafür als Strafe jahrelang in die Garage sperren. Doch genau das machen wir mit Straftätern, obwohl sie ohne freien Willen nichts anderes sind als kaputte Maschinen. Andererseits können wir unser Rechtssystem auch nicht ändern, schließlich war es kausal vorbestimmt, das zu werden, was es heute ist. Und schon stecken wir wieder mitten im Schicksalsglauben.

Wie die Maschinen den Geist fanden

So, das war sie, die Geschichte, wie die Menschen den Geist verloren haben. Schauen wir uns doch mal an, wie die Maschinen ihn fanden. Denn, wenn wir heute vom Geist in der Maschine sprechen, meinen wir zumeist künstliche Intelligenz – die denkende Maschine. Denkende Maschinen sind die neueste Version des künstlichen Menschen, einem Wunschtraum, den wir schon seit der Antike haben. Hephaistos, der griechische Gott der Schmiedekunst soll mechanische Dienerinnen gehabt haben und der von den Frauen enttäuschte Bildhauer Pygmalion hat sich in eine seiner Statuen verliebt. Venus fand das wohl so knorke, dass sie sie zum Leben erweckte. Im Mittelalter taucht in der jüdischen Mystik der Golem auf, ein aus Lehm geschaffener und mit Zahlenmystik zum Leben erweckter künstlicher Mensch. Mit Hilfe der Alchemie machte man sich außerdem vergeblich daran den Homunkulus zum Leben zu erwecken. Im mechanischen Zeitalter waren dann zum Beispiel der Schachtürke oder die automatische Tochter Olimpia aus E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“ die neuen Träume.

 

Pygmalion

 

Und heute träumen wir eben den Traum von der K.I. Spannend ist diesbezüglich der Turing-Test, da sich in ihm wieder die behavioristische Geistesaustreibung zeigt. Dieser von Alan Turing entwickelte Test soll beweisen, ob ein Computer intelligent ist. Beim Versuch führt eine Person zwei Gespräche mit Unbekannten, die sie nicht sehen kann. Einer ist ein Mensch der andere ein Computer. Wenn die Testperson nach diesen Gesprächen nicht sagen kann, welcher der Unbekannten der Mensch und wer der Computer ist, dann ist der Test für den Computer bestanden und er gilt als so intelligent wie der Mensch.

Wir sehen, dass der Turing-Test überhaupt nicht nach dem Geist in der Maschine fragt. Ganz im Sinne Ryles bleibt er gänzlich äußerlich, er macht nichts anderes, als nach dem Verhalten der Maschine zu fragen und zu prüfen, ob dieses Verhalten geistreich ist. Natürlich wurde der Test dafür auch kritisiert: John Searle kritisierte, dass der Test nicht beweisen könne, dass die Maschine ein Bewusstsein habe. Oder, wie es im Film Ex Machina gut zusammengefasst wird: Woher weiß ich, dass der Computer nicht bloß besonders clever darauf programmiert ist, mit vorzugaukeln, er könne denken. Diese Frage ist genauso spannend wie im Bild vom Geist in der Maschine gefangen. Denn nach Ryle kann die einzige Antwort darauf die Gegenfrage sein: Wie machen wir das denn bei Menschen?

Der Käfer in der Schachtel

Gewiss, wir unterstellen Menschen, dass sie einen Geist haben. Aber, ob es ihn nun jenseits unserer Neuronen gibt oder nicht, wir können ihn nie sehen, hören oder gar berühren. Obwohl … Wir sprechen manchmal davon, dass etwas jemandes Geist berührt, etwa wenn wir über Poesie sprechen. Und das ist auch des Rätsels Lösung: Wenn wir herausfinden wollten, ob ein anderer Mensch einen Geist hat, bliebe uns nichts anderes übrig, als mit ihm oder ihr zu sprechen. Wir würden wahrscheinlich ihren Humor testen und ihren Geschmack, wir würden die andere Person in eine politische Debatte verwickeln und mit ihr über Filme, Bücher und Fußball sprechen. Und wenn die Person bei diesem Gespräch geistreiche Antworten gegeben hätte, dann würden wir ihr einen Geist unterstellen. Mit anderen Worten: Wir würden diese Person einem Turing-Test unterziehen, denn wir haben keinen Zugang zu ihren inneren Vorgängen, was auch immer das sein mag. Ja, wir machen das sogar ständig! Zwar gehen wir selten so weit, jemanden den Geist komplett abzusprechen, aber wenn wir neue Menschen kennenlernen, prüfen wir im Gespräch implizit auch immer ihre Intelligenz mit, damit wir wissen, worüber wir uns mit ihnen unterhalten können. So finden wir dann beispielsweise heraus, dass sich mit dem neuen Kollegen hervorragend über Musik sprechen lässt, dass wir aber besser die Flüchtlingskrise meiden, da er diesbezüglich ein viel zu unterkomplexes Weltbild hat. Das ist im Grunde nichts anderes als ein kleiner Turing-Test.

Die Pointe meiner langen Geschichte ist, dass es letztlich sowohl für den Menschen als auch für die Maschine irrelevant ist, ob sie einen Geist haben. Intelligentes Verhalten zeigt sich nicht an einem mystischen, körperlosen Wesen sondern an unserem alltäglichen Verhalten. Letztlich werden wir auf der Suche nach dem Geist auf Wittgensteins „Käfer in der Schachtel“ verwiesen, der genialen Metapher, mit der Wittgenstein unsere inneren Vorgänge und ihre Relevanz für die Welt und das Menschsein beschreibt:

293. Wenn ich von mir selbst sage, ich wisse nur vom eigenen Fall, was „Schmerz“ bedeutet, – muß ich das nicht auch von den Anderen sagen? Und wie kann ich denn den einen Fall in so unverantwortlicher Weise verallgemeinern?

Nun, ein Jeder sagt es mir von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! – Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir „Käfer“ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. – Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. – Aber wenn nun das Wort „Käfer“ dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? – So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas; denn die Schachtel könnte auch leer sein. – Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann >gekürzt werden<; es hebt sich weg, was immer es ist.

Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindung nach dem Muster von >Gegenstand und Bezeichnung< konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus.

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen I; § 293.

„Die Beschreibung des Unsichtbaren“ – Eine Rezension

Ein gewisser Reinhard Blew schrieb mich unvermittelt auf Facebook an, ich sei doch an Sprache interessiert, da solle ich mal sein Buch lesen:

„Die Beschreibung des Unsichtbaren
Über die Grenzen empirischer Forschung“

Ich antwortete Blew, dass ich sein Buch bespreche, wenn er mir ein kostenloses Rezensionsexemplar zukommen ließe. Das will ich hiermit einlösen. Und da so eine Rezension eine ernste und seriöse Angelegenheit ist, möchte ich auf das übliche „du“ verzichten und Sie diesmal Siezen, werte Leser…

Zunächst möchte ich mich aber an Sie direkt wenden, Herr Blew. Dies wird keine positive Besprechung werden. Ich weiß, Sie haben sich etwas anderes erhofft und ich weiß auch wie sehr Kritik an etwas, das einem am Herzen liegt, schmerzt. Ich bin sehr geschmeichelt, dass Sie mich als Rezensenten auserkoren haben, aber ich bin zunächst einmal meinen Lesern „verpflichtet“ und vielleicht sollten Sie einfach in Betracht ziehen, noch etwas länger über die Sache nachzudenken, über die Sie hier schreiben.

Die Form

Los geht’s! Zunächst etwas zur Form: Blew bietet sein Buch im Grin-Verlag an, der besonders für seine Seite Hausarbeiten.de bekannt ist. Das ist nichts ehrenrühriges und ausgerechnet ich werde bestimmt keine Kritik an unkonventionellen Formen des Publizierens äußern. Hingegen muss ich Kritik am Preis äußern: 9,99€ sind für knapp 30 Seiten ein stolzer Preis. Aber auch das ist nicht Blews Fehler, ich verdiene selbst mit einer Hand voll alter Hausarbeiten ein paar Euro über den Grin-Verlag und weiß daher, dass der Verlag den Preis nach eigenem Ermessen festlegt.

Was allerdings Blews Fehler ist, ist das Layout des Textes. Blew versteigt sich geradezu in Absatzorgien. Setzt teilweise in Sätzen mehrere Absätze:

… Nur …

… ob ihre Katze „träumt“ …

… was sie „denkt“ und ob sie überhaupt „denkt“ …

… das wissen sie immer noch nicht …

… Warum eigentlich nicht???

Das bläht den Text künstlich auf, sodass auch die optimistische Aussage „knapp 30 Seiten“ eine schamlose Übertreibung wäre, würde sich ein professioneller Mediengestalter den Text noch einmal vornehmen. Eine andere Formalität, die mich beim Lesen massiv gestört hat und die man auch im Zitat oben schon sieht, ist Blews exzessiver und vor allem vollkommen unsystematischer Einsatz von Anführungszeichen. Ich weiß beileibe nicht, was uns er Autor damit sagen will. Will er seine eigenen Aussagen dadurch relativieren oder weiß er schlicht nicht, wie man Anführungszeichen verwendet? Beispielsweise verwendet Blew das Wort „Wissenschaftler“ nicht ein einziges Mal ohne Anführungszeichen, obwohl er sich ganz fraglos mit echten, ernstzunehmenden Wissenschaftlern auseinandersetzt…

Bedeutung als Vorstellung

Jetzt aber zum Inhalt! Blew macht auf seinen knapp 30 Seiten ein weites Feld auf. Ein allzu weites: Er beginnt mit einer Bedeutungstheorie, geht über Wissenschaftstheorie zu einer allgemeinen Erkenntnistheorie über und würzt das ganze jederzeit kräftig mit Aphorismen. Manchmal kratzt er ansatzweise an relevanten Theorien: hier schimmert ein bisschen radikaler Konstruktivismus durch, dort lässt sich Quines Übersetzungsproblem erahnen und könnte er mit jenem Absatz nicht Grice‘ Kommunikationstheorie andeuten? Aber insgesamt macht das mehr den Eindruck als schösse Blew mit mehr oder weniger feinem Schrott in den Wald um erst im Nachhinein zu gucken, welches Tier dann tot am Boden liegt. Leider muss ich das Fazit ziehen, dass Blew sich in dem Sujet, über das er schreibt, nicht sonderlich gut auskennt.

Doch das will ich nicht einfach haltlos in den digitalen Raum stellen, sondern argumentativ untermauern. Das zentrale Problem Blews ist, dass die Prämisse all seiner Ausführungen ein absolut unadequater Bedeutungsbegriff ist. Blew versteht den Begriff der Bedeutung als ein zum Wort gehörendes Vorstellungsbild:

Ob aber die Menschen, die „ähnliche“ Geräusche erzeugen, mit diesen Geräuschen auch „gleiche“ oder zumindest „ähnliche“ „Bedeutungen“ verbinden, lässt sich „durch Beobachtung“, also „empirisch“, nicht feststellen.

Wir „sehen“ ja die „Bedeutung“ der Worte nicht!

Wie bitte???

Wenn ich „Tomate“ sage – dann …

… dann kann man doch …

… richtig …

… Tomaten kann man …

… aber …

… Ihre „Vorstellung“ von einer „Tomate“ …

… kann man eben nicht …

… sehen.

Das ist so antiquiert wie es falsch ist und zeigt, dass wenigstens 100 Jahre Bedeutungstheorie an Blew vorbeigegangen sind. Und geradezu ironisch ist, dass Blew sein Werk einer Person zur Rezension vorlegt, die als „Privatsprache“ durch das Netz surft. Denn das zeigt, dass er sich entweder nicht angeguckt habe, was ich so schreibe, oder es nicht verstanden hat. Es ist mir ja schon fast unangenehm, schon wieder mit Wittgenstein daherzukommen, wo es doch viel elaboriertere Bedeutungstheorien gibt. Aber wo so Grundlegendes schief läuft, wie bei Blew, da muss man es mit den Grundlagen wieder geraderücken. Denn Blews Vorstellungsbild der Bedeutung ist natürlich der „Käfer in der Schachtel“:

293. Wenn ich von mir selbst sage, ich wisse nur vom eigenen Fall, was “Schmerz” bedeutet, – muß ich das nicht auch von den Anderen sagen? Und wie kann ich denn den einen Fall in so unverantwortlicher Weise verallgemeinern?Nun, ein Jeder sagt es mir von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! – Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir “Käfer” nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. – Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. – Aber wenn nun das Wort “Käfer” dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? – So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas; denn die Schachtel könnte auch leer sein. – Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann >gekürzt werden<; es hebt sich weg, was immer es ist.Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindung nach dem Muster von >Gegenstand und Bezeichnung< konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus.

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen I; § 293.

Um bei Blews Beispiel zu bleiben: Es ist für das Sprachspiel vollkommen irrelevant, ob ich mir die gleiche Vorstellung vor mein inneres Auge rufe wie Sie. Die Tomate kürzt sich weg. Wir sind nicht isolierte egos auf der Suche nach einem cogito. Wir handeln. Ich sage: „Reichen Sie mir bitte eine Tomate?“ und aus Ihrer nun folgenden Handlung, sehe ich ganz praktisch, ob wir dem Wort „Tomate“ die gleiche Bedeutung zuschreiben. „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache„. Doch vor allem endet das Sprachspiel nicht beim Missverständnis, falls wir wirklich einen verschiedenen Tomatenbegriff haben sollten. Denn wir können mit einander reden, kommunizieren und so unsere Irrtümer ausräumen. Und wissen Sie was? DAS MACHEN WIR JEDEN TAG!

Blews Problem ist nun, dass er an diesem augustinischen Bedeutungsbegriff sämtliche seiner folgenden Theorien messen muss. So muss zwangsläufig ein positivistischer Wissenschaftsbegriff folgen, der sogleich in Probleme gerät, seine Theorien mit der Welt zu vergleichen. Dieser Abschnitt des Textes zeigt, dass Blew den Positivismusstreit nicht kennt, so wie seine Gleichsetzung von „wahrnehmen“ und „sehen“ zeigt, dass er Ryles „Der Begriff des Geistes“ nicht kennt und promt in die Falle tappt, die Metapher vom Vorstellungsbild wörtlich zu nehmen:

Und …

… wann haben sie das letztemal ein „Elektron“ gesehen? Welche „Farbe“ und welche „Form“ hatte es? War es grün oder blau? War es eher rund oder eckig?

Ich hoffe, wir sind uns einig – die „Dinger“ kann man nicht sehen!

Beim „Elektron“ handelt es sich um etwas „Vorgestelltes“ – nicht um etwas „Beobachtetes“!

Es „gibt“ keine „Elektronen“ – so wie es etwa „Radieschen“ „gibt“!

Die falsche Prämisse, dass die Bedeutung ein Vorstellungsbild ist, das wir in unserem Inneren sehen, treibt dabei geradezu absurde Blüten in Blews Text:

… wir können es nicht sehen …

… und damit auch nicht „empirisch“, mittels „Beobachtung“ erforschen!

Die Konsequenz seiner Theorie der Bedeutung als Vorstellung zu der hinzukommt, dass er sich Vorstellung als inneres Bild vorstellt, ist, dass er „empirisch“ mit „sehen“ gleichsetzt. Wäre Blew nur für einen Moment aus dem Elfenbeinturm herabgestiegen, wäre ihm bewusst geworden, dass in seiner Theorie, blinde Menschen keine Erfahrungen machen können.

Natürlich kann ich Sachverhalte empirisch erforschen, die ich nicht sehen kann! Fragen Sie einfach mal einen Chemiker oder Mikrobiologen…

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt von Blews Text, aber der gesamte folgende Text krankt an diesen flaschen Prämissen. Daher möchte ich meinen Lesern ganz klar abraten, Blews Text zu kaufen, der nie über das Niveau einer mittelprächtigen Proseminararbeit hinauskommt. Und dem Autor möchte ich raten, seinerseits noch etwas mehr zu lesen, und dann seine Theorien im Diskurs zu erproben, bevor er das, was er schreib,t für Geld anbietet. So leid mir dieses Urteil tut.

Ich hoffe, ich habe Sie nicht verschreckt, denn wenn Sie einen Text über Sprache oder Philosophie haben, den Sie gerne rezensiert haben würden, dann würde ich mich über eine Mail an info@privatsprache.de freuen.