Platon – Erziehung und Zensur

Heute beginne ich, mich in Platons politische Philosophie hineinzustürzen. Bevor wir die Verfasstheit von Platons idealem Staat kennenlernen, beschäftigen wir uns zunächst mit den Grundbedingungen. Welche Maßnahmen müssen in der Erziehung getroffen werden, um den idealen Staat vorzubereiten? Das heißt für Platon vor allem eines: Zensur. Ihr könnt das als Video ansehen oder darunter das Transkript lesen.

Der Staat

Wir hatten den Dialog über die Frage verlassen, was Gerechtigkeit ist und werden über diese auch wieder zu ihm zurückkehren. In „Der Staat“ werden noch viele klassische Probleme und Thesen der Ethik besprochen: So zum Beispiel die später noch oft vertretene These, dass die Menschen von Natur aus egoistisch sind und sich nur deshalb auf gerechte Gesetze geeinigt haben, um zu verhindern, dass sie selbst einen Nachteil erleiden.

Doch, wie gesagt, für uns wird es nun Zeit, mal langsam in Platons Utopie hineinzuschauen. Also in Platons Vision für einen idealen Staat. Dieser Dialog ist übrigens die erste aller uns bekannten Utopien. Es ist also das erste Mal, dass das Modell einer idealen Gesellschaftsform entworfen wurde. Alle großen Entwürfe der Politikwissenschaft von Aristoteles über Machiavelli, Hobbes, Locke, Montesquieu und natürlich Thomas Morus bis hin zu Hegel, Marx und John Rawls stehen in seiner Tradition. Die Frage ist nur, ist dieser, Platons Staat auch wirklich so ideal? Lasst uns in den Text reinschauen:

Nachdem die Gesprächsrunde in Kephalos‘ Haus nicht so recht vorankommt mit ihrer Untersuchung, was denn Gerechtigkeit ist, macht Sokrates schließlich einen Vorschlag: Manchmal lassen sich Probleme besser klären, wenn man einen Schritt zurücktritt und versucht, das große Ganze zu betrachten. Statt zu sagen, was den einzelnen Menschen gerecht macht, lässt sich ja vielleicht klären, was für einen gerechten Staat wesentlich ist.

Wie das so seine Art ist, legt Platons Sokrates aber wieder einmal nicht gleich die Karten auf den Tisch, sondern dreht eine Extrarunde, ganz als ob er Kilometergeld bekommen würde. Bevor er beginnt, die Institutionen des idealen Staates zu beschreiben, fragt Sokrates sich also zunächst, was denn die Grundvoraussetzungen sind, unter denen ein solcher Staat überhaupt möglich ist. Dabei kommt er ganz schnell darauf, dass man bei Bildung und Erziehung ansetzen müsse, wenn man überhaupt irgendwas erreichen will.

Zensur

Diesen Ausgangspunkt nutzt Platon, um mal so richtig schön tief in die Kiste des Konservatismus zu greifen und auch ordentlich im Regal des Reaktionismus zu kramen. Denn Platon hielt es für problematisch, dass bereits Kinder in den Schulen Griechenlands mit Schundliteratur in Kontakt kamen oder zumindest dem, was Platon dafür hielt. Das erinnert mich übrigens sehr an meine Schulzeit und die Einstellung von so manchem Lehrer. Überhaupt ist es spannend, wie Kulturpessimisten in ihren Argumenten immer wieder zu Platon zurückkehren. Aber das nur am Rande, wir werden in einer anderen Folge darauf zurückkommen. Aus seiner Analyse heraus, dass es zu viel literarischen Schrott gibt, zog Platon jedenfalls die Schlussfolgerung, dass es für die Etablierung eines ideale Staates eine strenge Zensur von Literatur und Musik geben müsse. Mütter, Ammen und Lehrerinnen sollten Kindern nur von der Zensur genehmigte Geschichten oder Lieder vortragen dürfen, um sicherzustellen, dass sie die Erziehung nicht von vornherein versauen. Ich hoffe, euch wird bei diesen Worten ähnlich mulmig zumute wie mir.

Insbesondere die Klassiker von Homer und Hesiod wollte Platon verbieten, weil sie die Götter zu negativ darstellen. Platon lehnte das klassische polytheistischen Weltbild der alten Meister ab. In Griechenlands Vielgötterreligion gab es quasi für jedes Phänomen auf der Erde einen passenden Gott. Platon vertrat hingegen die Ansicht, dass die Götter nur für das Gute in der Welt verantwortlich sind und die Menschen das Schlechte selbst zu verantworten haben. Meinungen zu verbreiten, die davon abweichen, hielt er für schädlich, weswegen Platon Gotteslästerung unter Strafe stellen wollte. Insbesondere war ihm die griechische Vorstellung ein Dorn im Auge, dass der Hades ein schlechter Ort ist. Die Erziehung müsse darauf abzielen, dass sich der Einzelne bereitwillig auf dem Schlachtfeld opfert, weswegen keine Angst vor dem Tod gelehrt werden dürfe.

Diese religiöse Zwecklehre, die Menschen zu Kriegsmaterial reduziert, ist schon schlimm genug, dennoch ist Platon noch nicht am Ende. Er beginnt vollkommen abzudrehen und will alles von der Zensur verbieten lassen, das nicht seinen persönlichen Idealvorstellungen entspricht. Zum Beispiel kritisiert er Homer, der schreibt, die Götter würden lachen. Das muss verboten werden, denn der Anstand verbietet lautes Gelächter! Außer den Regenten soll es ferner jedem verboten sein, zu lügen. Die Regenten dürfen gegenüber Feinden des Staates lügen. Aber die normalen Bürger nicht.

Die Funktion von Sprache

An dieser Stelle muss ich einhaken, meine moralische Empörung mal kurz beiseite legen und einfach mal bitten, euch vorzustellen, wie ein absolutes Lügenverbot in der Praxis aussehe. Sie würde beispielsweise zu folgenden Dialogen führen:

 

„Wie hat dir mein Essen geschmeckt?“

„Es war das widerlichste, was ich je gegessen habe!“

 

„War es für dich so gut, wie für mich?“

„Nein, du bist ein grauenhafter Liebhaber!“

 

„Mein Vater ist gestorben.“

„Zum Glück, der war ja ein Riesenarschloch!“

 

Platon hat hier eine komplett eindimensionale Vorstellung von Sprache. Die Wahrheit ist für ihn das einzige Gut im Gespräch. Dass es auch andere Ideale gibt, dass Sprache zum Beispiel auch eine soziale Funktion hat, übersieht er vollkommen.

Verbotswahn

Aber Platon geht in seinem Verbotswahn noch weiter als selbst ein CSU-Mitglied in der Einschränkung von Bürgerrechten: In der Literatur – so Platon, nicht die CSU – darf keine Textstelle vorkommen, in der jemand einen Vorgesetzten kritisiert, da dies zu ungehorsam gegenüber dem Staat führen könnte. Okay, vielleicht könnte das doch auch von der CSU kommen …

Anyway: Platon war außerdem, wie wir schon mehrfach gesehen haben, ein riesiger Lustfeind. Deswegen gehören Beschreibungen von Trunkenheit und Sex natürlich auch zensiert. Helden in Geschichten dürften ihre Heldentaten nicht gegen Geld anbieten, so fährt er fort, und es darf keine Geschichten geben, in denen der Schlechte glücklich, der Gute aber unglücklich ist.

Zu guter Letzt kritisiert Platon noch direkte Rede in Epen und Dramen. Und ich kann wirklich nur noch WTF sagen! Platon findet die direkte Rede kacke, weil bei ihr nachgeahmt wird. Das ist für ihn schon widerlich genug, erinnert es doch an die Welt der Erscheinungen, die die Ideen nur „nachahmt“. Was für Platon bedeutet, dass sie nicht wahr ist.

Am besten ist es also, wenn auf Nachahmung ganz verzichtet wird, aber wenn sie sich nicht komplett verbieten lassen, dann sollen in Dramen zumindest nur gute Menschen vorkommen, damit niemand in die Verlegenheit kommt, schlechte Menschen schauspielen zu müssen. Die Forderung nach griechischen Dramen, in denen alle lieb und artig sind, ist ungefähr so sinnvoll, als würden wir verlangen, dass heutzutage nur noch Horrorfilme mit einer Altersfreigabe ab 6 Jahren gedreht werden dürfen.

Auch für die Musik, die Justiz, die Medizin und sogar für das Essen hatte Platon ähnlich rigorose Vorstellungen. Aber darauf möchte nicht so detailliert eingehen. Insgesamt entsteht ein Bild von Erziehung und Kultur, mit dem sich auch der IS sehr gut anfreunden könnte. Platons Vorstellungen zur Zensur der Literatur aber finde ich mit am niederträchtigsten.

Die eigenen Existenzbedingungen ignorieren

Und zwar weil ich mich von Platon persönlich betrogen fühle. Denn was er hier tut und was noch viele Philosophen und Autorinnen nach ihm tun werden, ist, seine eigenen Existenzbedingungen zu ignorieren. Er selbst war ein Produkt der liberalen griechischen Kultur. Er selbst konnte seine Philosophie nur betreiben, weil es keine derartige Zensur gab. Und er selbst hatte in Syrakus am eigenen Leib gespürt, was es bedeutet, wenn Freidenker unterdrückt werden.

Dennoch macht er sich massiv für Zensur stark, solange es nur seine Zensur ist. Platon glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Irrtum ausgeschlossen. Im Namen der Gerechtigkeit darf er bestimmen, was andere zu sagen, ja sogar zu denken haben. Platon vertritt einen moralischen Doppelstandard: Das, was er für sich selbst einfordert, nämlich die herrschenden Verhältnisse zu kritisieren, das will er anderen nicht zugestehen, sobald er erst einmal an der Macht ist.

Das ist eine Denkweise, die heutzutage die AfD immer wieder an den Tag legt. Wenn sie die Errungenschaften der liberalen Demokratie wie Asylrecht, Gleichberechtigung der Frau oder ein geeintes friedliches Europa immer und immer wieder in Frage stellt, dann nutzt sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung über die Grenze des Erträglichen aus. Zugleich beschimpft sie die politischen Gegner, sobald diese das gleiche Recht für sich in Anspruch nimmt. Jammert über Meinungsdiktatur, sobald ihr klar wird, dass die Mehrheit in diesem Land anders denkt und will Religionen verbieten, Politikerinnen ausweisen und was weiß ich nicht noch alles.

Platon Motivation freilich war eine andere als der stumpfe Nationalismus der AfD: Er wollte das echte, wahre Gute erreichen und glaubte nur mit diesen Mitteln einen idealen Staat durchsetzen zu können. Aber seine angestrebten Mittel waren dabei die gleichen, wie sie später immer und immer wieder von reaktionären Kräften missbraucht wurden. Platon, der in einem freien Land ohne viel Zensur lebte, wollte die Zensur einführen, wodurch es unmöglich würde, so frei zu denken und zu reden, wie er selbst es tat. Vielen Dank fürs Mitspielen, Herr Platon, aber so nicht!

Die Freiheit unserer Kinder

Beim letzten WRINT Realitätsabgleich rantete Holgi gegen die Eltern von heute, die ihren Kindern keine Bewegungsfreiheit mehr lassen. Das hatte ich schon fast wieder vergessen, da spülte mir Twitter als Nachtisch eine Grafik in die Timeline, in der man sieht, wie sich der Aktionsradius von Kindern innerhalb von vier Generationen verkleinert hat. Das ganze basiert auf EINER Stichprobe, ist also nicht gerade aussagekräftig, aber nehmen wir das einfach mal als Ausgangsbasis … Ist es wirklich so, dass wir unsere Kinder überbeschützen? War früher alles besser? Waren wir „in allem schon mal weiter“, wie Holgi sagte? Oder gibt es vielleicht Gründe, unsere Kindern nicht mehr herumstreunern zu lassen wie früher? Gründe, die vielleicht gar nicht so doof und so helikopterelterlich sind?

Kind auf Wiese. Bild von mir.
Kind auf Wiese. Bild von mir.

Am Anfang war die Anekdote

In meiner Erinnerung hatte ich enorm viel Bewegungsfreiheit in meiner Kindheit. Ich bin allein zur Schule gegangen, zu meinen Freunden, ins Kino, zum Spielen in den Wald, ins Freibad und ich bin mit dem Fahrrad in den Nachbarort gefahren. Ich bin ganze Wochenenden lang herumgetromert und nur zum Essen und Schlafen heimgekommen, ich habe Pfennige von Zügen auf Bahnschienen plätten lassen und einmal bin ich sogar einen Nachmittag nackt durch den Ort gelaufen, weil ich Robinson Crusoe spielte – fragt mich bitte nicht, warum Robinson Crusoe unbedingt nackt sein musste …

Aus dieser Aufzählung lässt sich aber vor allem eines erkennen: Wie wir unsere eigene Kindheit verklären. Denn ich habe  nicht den blassesten Schimmer, wie alt ich bei den jeweiligen Erinnerungen war, ob meine Eltern wirklich nicht wussten, wo ich war (denn ich habe auch Erinnerungen, in denen ich Ärger aus genau diesem Grund bekam) und vor allem war ich klein, weswegen mir die Welt viel größer vorkam. Ich habe mir mal den Spaß gemacht, meine erinnerten Strecken nachzumessen:

  • Zu meinem besten Freund = 600 Meter
  • Ins Kino = 800 Meter
  • Zur Schule  = 850 Meter
  • In den Wald = 1 Kilometer
  • Ins Freibad = 1,9 Kilometer

Bewegungsfreiheit vs. persönliche Freiheit

Das sind jetzt alles nicht gerade Marathonstrecken, besonders wenn ich sie mit denen meiner Tochter (7) vergleiche. Aber dazu später, denn zuvor noch etwas anderes: Wie man der Anekdote entnehmen kann, bin ich auf dem Land aufgewachsen, doch heute lebe ich in der Stadt. Und das ist kein Zufall. Ich bin nicht hier gelandet, weil es der Job diktierte oder ähnliches, sondern weil ich das Landleben gehasst habe! Der Bewegungsfreiheit stand dort nämlich eine persönliche Unfreiheit gegenüber, erzeugt durch gedachte Schubladen, in die du gesteckt wurdest, erzeugt von Nachbarn, die sich Mäuler zerreißen und von der Hordenmoral, wo jeder jede kennt und alles verurteilt, das anders ist!
Das wollte ich für meine Kinder nie und daher bin ich in die Stadt gezogen, wo sie vor den Schubladen in Nischen flüchten können, wo alles bunter ist, wo ich israelische, türkische, arabische, persische, spanische, ukrainische und italienische Freunde und Bekannte habe. Wo du den Menschen aus dem Weg gehen kannst, die dich verurteilen, wenn du als Frau eine Frau oder als Mann einen Mann liebst genau wie jenen, die sich schon an der falschen Frisur oder den falschen Klamotten stören. Ist dafür weniger Bewegungsfreiheit nicht ein geringer Preis?

Die Wege meiner Tochter

Aber nicht zu schnell. Machen wir zunächst die Gegenprobe: Meine Tochter (7) geht alleine zur Schule (850 Meter), von der Schule zum Hort (1,2 Kilometer), vom Hort nach Hause (650 Meter). Das ist doch gar kein so großer Unterschied … Es wirkt nur kleiner, weil ich jetzt größer bin und weil Frankfurt größer ist. Ich will auch nicht verschweigen, dass sie nicht überall alleine hin darf: Wir bringen sie zum Gesangsunterricht (obwohl der nur 300 Meter entfernt ist) weil der abends stattfindet und wir nicht wollen, dass sie im Winter alleine durchs Dunkel läuft. Morgens ist es zwar auch dunkel, aber da sind hunderte Kinder unterwegs. Abends nicht. Und wir bringen sie zum Capoeira, weil das eine typische Frankfurter Strecke von 4,7 Kilometern ist.

Die Freiheit der Kinder

Jetzt könntet ihr natürlich sagen: „Ja du, du machst das so, aber andere nicht!“ Und wisst ihr was? Ihr habt recht. Wenn ich meine Tochter (7) mal zur Schule bringe, dann sehe ich da auch immer Autokolonnen vorfahren, aber woher soll ich denn wissen, welchen Schulweg deren Kinder haben? Denn dass meine Tochter sich so frei bewegen kann, liegt an unserer recht ungewöhnlichen Wohnsituation. Wir wohnen in einer ziemlich ruhigen Ecke im Frankfurter Gallus.

Kleine Abschweifung: Das Gallus

Das Gallus hat zwar einen sehr schlechten Ruf in Frankfurt, aber der ist ziemlich ungerechtfertigt. Erstens kommt der daher, dass das Viertel ans Bahnhofsviertel grenzt, das in Frankfurt das Rotlichtviertel ist. Und daher treiben sich in Bahnhofsnähe auch eine ganze Reihe Junkies rum. Zweitens ist die S-Bahnstation „Galluswarte“ ein verlauster Straßenköter, der an seiner eigenen Kotze zu ersticken droht. Dort ist es unsäglich laut, schmutzig und bevölkert mit Alkoholikern. Drittens war das Gallus wohl in den 90ern mal ein sozialer Brennpunkt, aber seit damals hat die Stadt sehr viel Kohle ins Viertel gepumpt und ein problematischer Güterbahnhof ist verschwunden. Aber vor allem viertens: Das Gallus ist groß. Es hat über 30.000 Einwohner und damit mehr als doppelt so viel wie die Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin. Und in diesem großen Bezirk wohnen wir eben in einer familiengerecht ruhigen Ecke.

Aber ich schweife ab. Worauf ich eigentlich hinaus wollte, war, dass wir zuvor in Sachsenhausen direkt am Südbahnhof gewohnt haben. Und ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich da meiner Tochter die gleiche Freiheit gelassen hätte: Dort fuhren Busse, Trams, S-, U-Bahnen und Züge ab und an. Dort hetzten morgens die gestressten Pendler zum Bahnhof oder weg von ihm. Da blockierten Autos immer wieder den Bürgersteig, sodass man auf die vierspurige Straße ausweichen musste. Da war es mit anderen Worten verdammt quirlig. Und da soll ich eine Siebenjährige rumlaufen lassen, die die meiste Zeit des Tages ihren Träumen und Gedankenwelten nachhängt? Ich weiß nicht …

Das Wohl der Kinder

Jetzt komme ich nämlich zum letzten Akt. Ich glaube, ich hätte das nicht getan, denn ich will das beste für meine Kinder und ich glaube, damit bin ich nicht allein. So geht es vielen, wenn nicht gar den meisten Eltern. Ich denke, das beste für seine Kinder zu wollen, ist normal. Und ich glaube, das war es auch früher schon, aber die Lebensumstände waren andere.

Ich glaube nicht, dass unsere Welt gefährlicher geworden ist, hier habe ich zumindest einen Artikel gefunden, der das Gegenteil sagt. Sicher haben wir heute mehr Verkehr als fürher, und vielleicht wird auch jeder Kindesentführung oder „Familientragödie“ mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Aber ich glaube nicht, dass das der wesentliche Unterschied ist. Ich glaube am meisten hat sich die Zahl der Kinder verändert.

Denn, haben unsere Eltern und Großeltern ihren Kindern mehr Freiheiten gelassen, weil sie im tiefsten Inneren davon überzeugt waren, dass das wichtig und richtig ist? Oder war es nicht vielleicht so, dass eine Mutter von 3,4 oder 5 Kindern, deren Mann den ganzen Tag malochen geht, es einfach nicht leisten konnte, ein Kind zum Sportunterricht zu fahren? Weil dann vier andere Kinder kein Essen, keine saubere Wäsche, keine Hausaufgabenkontrolle bekommen hätten? War es nicht vielleicht das beste für die Kinder, zuhause zu bleiben?

Und heute muss die gleiche zur Verfügung stehende Zeit eben oft nur auf ein oder zwei Kinder verteilt werden. Zugleich gibt es auch mehr Väter – so wie ich –, die sich an der Kindererziehung beteiligen. Vorausgesetzt, dass Eltern schon immer das beste für ihre Kinder wollten, war vielleicht früher einfach das beste zuhause zu bleiben, sich um die Kinder zu kümmern, von denen ich weiß, dass sie jetzt meine Hilfe brauchen und jene Kinder streunern zu lassen, denen ich zutrauen kann, dass sie wieder nach Hause finden. Heute hingegen bringe ich meinen Kindern nicht mehr Aufmerksam entgegen, ich muss diese Aufmerksamkeit nur weniger verteilen. Ist es da nicht vernünftig, mein Kind zu fahren, zu begleiten und zu beschützen, wenn ich davon ausgehe, dass ich das beste für ebendieses Kind will? Klar kann ich das übertreiben und zum Helikopter werden. Aber wir sollten auch nicht ins andere Extrem verfallen und „die Eltern von heute“ verurteilen, die so viel Angst haben, nur weil früher bekanntlich alles besser war …