Aristoteles – Das Problem von Zukunftsaussagen

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Daniel
ist notwendig willensfrei

Aristoteles – Der Logiker – Folge 8

Diesmal müssen wir uns zwischen Wahrheit und Willensfreiheit entscheiden. Oder nicht? Vielleicht findet Aristoteles einen Ausweg. Ich erzähle euch vom Problem der Zukunftsaussagen oder auch vom Problem der zukünftigen Seeschlacht. Wie immer wahlweise als Video, Podcast oder Text.

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Zur weiteren Recherche über Aristoteles

Aristoteles – Die Kategorien *
Aristoteles – De Interpretatione *
Bertrand Russell – Die Philosophie des Abendlandes *
Christof Rapp – Aristoteles *
Otfried Höffe – Aristoteles: Die Hauptwerke *
Eduard Zeller – Die Philosophie der Griechen: Zweiter Teil: Sokrates, Plato, Aristoteles *

Das Problem der zukünftigen Seeschlacht

Wir pirschen uns weiter an die Logik von Aristoteles heran und wir machen das mit dem Problem der Zukunftsaussage, auch berühmt geworden als das Problem der zukünftigen Seeschlacht. Diesem Problem habe ich mich übrigens schon einmal gewidmet in „Die Philosophie von Steven Bannon„. Da Bannon, das Mastermind der Neuen Rechten in den USA aber kurz vor Veröffentlichung des Videos von Trump gefeuert wurde, ist es nicht unbedingt einer meiner größten Hits geworden. Daher bietet sich an, das Problem der Zukunftsaussagen noch einmal anzugehen.

Denkt noch einmal zurück an die letzte Folge: Kontradiktionen schließen einander aus. Entweder findet Indiana Jones den heiligen Gral oder nicht, aber nichts anderes. Das war der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Aber wie sieht es aus, wenn die Sätze sich nicht auf die Gegenwart beziehen, sondern auf die Zukunft? Zwei kontradiktorische Zukunftsaussagen teilen die Wahrheitswerte ebenfalls untereinander auf. Eine ist wahr, die andere falsch. Aber es steht doch noch nicht fest, welche wahr und welche falsch ist. Oder?

Berühmt wurde, wie gesagt, Aristoteles‘ Beispiel für diese Frage – das Problem der zukünftigen Seeschlacht. Wenn ich sage: „Morgen wird es eine Seeschlacht geben.“, dann ist die Kontradiktion: „Morgen wird es keine Seeschlacht geben“. Gemäß dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten muss einer der beiden Sätze wahr und der andere falsch sein. Aber ist er das schon heute? Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten gibt uns eigentlich keine Alternative, oder? Wenn das aber stimmt, dann handeln wir uns einen harten Determinismus ein.

Determinismus, Kausalkette und freier Wille

Okay hier müssen wir eine kleine Abschweifung machen: Was ist denn eigentlich dieser Determinismus? Wieviele Kameras hat er und? Und hat er auch 5G? Mein kleines philosophisches Wörterbuch* sagt dazu:

„Determinismus (ist) in den Naturwissenschaften die Voraussetzung eines durchgängigen Kausalzusammenhangs aller Vorgänge in der Welt, auch der seelischen Erlebnisse und Willenshandlungen. In der Ethik die Annahme einer Bestimmung des Willens durch innere oder äußere Ursachen, die die Freiheit des Willens ausschließt.“

Wir leben in einer kausalen Welt. Für jede Wirkung gibt es eine Ursache. Aber gilt das auch für den menschlichen Willen? Denn, wenn es so ist, dann liegt darin ein Problem: Wenn es keinen freien Willen gibt, dann ist vollkommen egal, wie ich handle. Ich habe ja keine Wahl. Die Ethik als Disziplin ist dann so egal wie Matt Damon. Denn, wie ich handeln SOLL, wird zur sinnlosen Frage, wenn sowieso schon feststeht, wie ich handeln werde. Auch Gerichtsprozesse und Gefängnisstrafen werden fragwürdig: Der oder die Straftäter*in konnte ja nicht anders handeln. Und die Richter*innen können nicht ein Urteil allein auf Basis der Fakten fällen.

Bevor ihr jetzt sagt: Fuck it, ich schmeiß alles hin und werde olympischer Curling-Spieler! Determinismus wird schon fast so lange in der Philosophie diskutiert wie Aristoteles‘ Bartpflege-Mittel und es gibt viele verschiedene Ansätze, um nicht zu verzweifeln. Wie das so meine Art ist, stelle ich das hier wieder stark verkürzt dar, um erst einmal aufzuzeigen, wo das Problem liegt.

Mit Blick auf Aristoteles‘ Problem der zukünftigen Seeschlacht hieße Determinismus jedenfalls: Es stünde heute schon fest, ob morgen eine Seeschlacht stattfindet. Was soll daran jetzt problematisch sein? Das Problem liegt darin, dass die Logik immer und absolut gilt. Und das heißt, ich könnte auch sagen: In 1.000 Jahren gibt es noch Smoothies. Und wenn in 1.000 Jahren sich herausstellt, dass ich recht hatte, dann stand das schon seit meiner Aussage fest.

Das widerspricht doch komplett unseren Intuitionen, wie es sich wirklich verhält. Es würde überhaupt keinen Sinn machen, dass wir uns bemühen, die Klimakatastrophe zu verhindern. Denn es steht ja schon fest, ob diese stattfinden wird oder nicht. Wir können alle nur noch auf dem Sofa abhängen und Netflix gucken, denn wir tragen keine Verantwortung dafür, wie unser Leben sich entwickeln wird. Beziehungsweise, wir können nicht chillen, sondern müssen weiter täglich ins Büro dackeln, denn das war uns vorherbestimmt.

Wahrheit oder Willensfreiheit?

Okay, wie kommen wir da raus, ohne den Satz vom ausgeschlossenen Dritten aufzuweichen? Denn, dass wir den auf alle Fälle beibehalten wollen, sagte ich ja schon beim letzten Mal (als ich übrigens einen Fehler machte und euch in der Formalisierung den Satz vom Widerspruch – zu dem es bereits eine eigene Folge gibt – als Satz vom ausgeschlossenen Dritten verkaufte. Danke für den Hinweis, FGrimm). Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist eines unser logischen Fundamente. Er ist die Basis für unser Konzept von Wahrheit. Er muss wahr sein!

Die Frage ist also: Wie kommen wir da raus? Wäre ein Ausweg, zu sagen, dass Zukunftsaussagen keinen Wahrheitswert haben? „Morgen wird es eine Seeschlacht geben“ ist also weder wahr noch falsch. Genauso wenig wie die Frage „Wird es morgen eine Seeschlacht geben?“ oder der Befehl „Morgen soll es eine Seeschlacht geben!“ wahr oder falsch sind. Aber auch das ist irgendwie unbefriedigend, deckt sich nicht mit unserem Sprachgebrauch. Denn, wenn am nächsten Tag die Seeschlacht stattfindet, dann kannst du ja sagen: „Siehste, ich hatte recht!“ Wenn ich dann antworte: „Nein hattest du nicht, denn Zukunftsaussagen sind weder wahr noch falsch!“, dann würdest du mich zurecht genauso angucken, wie wenn ich dir sage, dass ich Geld für ein NFT rausgeworfen habe.

Dass Zukunftsaussagen keinen Wahrheitswert haben, kann es ja auch nicht sein, oder? Das widerspricht doch komplett unserem normalen Sprachgebrauch! Wir stehen also vor der Wahl, ob die Welt determiniert ist oder ob die Logik nicht immer und überall gilt. Das ist nichts, wozwischen man sich entscheiden möchte. Das ist, als müsste man sich zwischen Haggis und ahle Worscht als Mittagessen entscheiden! Liebe Kandidatin, Ihre Eine-Millionen-Euro-Frage lautet: Was gibt es nicht? Und die Antworten sind nach Einsatz des 50-50-Jokers: Wahrheit oder Willensfreiheit?

Komplett verzweifelt rufen wir unseren Telefon-Joker Aristoteles an und der sagt… Moment, Herr Jauch, sie haben  die Notwendigkeit vergessen!

Notwendigkeit, Kontingenz und Unmöglichkeit

Aristoteles führt nämlich zur Lösung dieses Problems den Begriff der Notwendigkeit ein. Etwas, das notwendig wahr ist, kann nicht falsch sein. Das ebenso berühmte wie ermüdende Beispiel, dass alle im Studium lernen, ist: Junggesellen sind unverheiratete Männer. Dieser Satz kann nicht falsch sein. Er ist eine notwendige Wahrheit. Sie ergibt sich rein aus der Wortbedeutung. Notwendig wahre Sätze sind dies aufgrund der inneren Struktur unserer Sprache. Aufgrund der Art und Weise wie wir Sprache verwenden. Es gibt keinen Anwendungsfall, in dem ein Junggeselle auf einen nicht unverheirateten Mann angewandt wird. Weitere Beispiele wären: Wenn ein lehnenloser Stuhl an einer Theke steht, dann ist es ein Barhocker. Homer Simpson ist eine gelbe Comic-Figur mit Überbiss und Glatze, die „Doh“ ruft oder Russell Crowe ist so interessant wie eine Pastinake.

Eine Zukunftsaussage hingegen kann wahr sein, sie muss es aber nicht notwendig sein. Wenn wir morgen feststellen, dass es eine Seeschlacht gibt, dann war meine Äußerung von gestern wahr. Aber kontingent wahr. Auch hier greife ich wieder zu meinem kleinen grünen Büchlein*:

„Allgemein versteht man unter einem kontingenten Sachverhalt einen solchen, der weder notwendigerweise besteht (wie der, dass alle Junggesellen unverheiratet sind [Philosoph*innen sind echt nicht kreativ, wenn es um Beispiele geht, db]), noch notwendigerweise nicht besteht (wie der das 2 + 2 =  5 ist), dessen Bestehen also in diesem Sinne vom Zufall abhängt.“

So können wir, wenn wir Aristoteles hier folgen, die Logik behalten, ohne gleich annehmen zu müssen, dass alles vorherbestimmt ist. Und ich muss sagen, das ist auch nach 2.300 Jahren noch eine extrem elegante Lösung auf dieses Problem. Aristoteles hat das gemacht, was Wittgenstein „die Probleme zum verschwinden bringen“ nennt. Er hat die Eine-Millionen-Euro-Frage nicht beantwortet, er hat dargelegt, dass sie falsch gestellt war.

Sprache und Welt

Gut, Aristoteles hat allerdings auch ein Problem zum Verschwinden gebracht, dass er selbst geschaffen hat, weil er nicht konsequent zwischen Sprache und Welt unterscheidet. Denn ich kann auch den Publikums-Joker „Linguistic Turn“ ziehen und feststellen: Welchen Wahrheitswert meine Aussage „Morgen wird es eine Seeschlacht geben“ hat, hat gar keine Auswirkung auf die Struktur der Welt. Die Unterscheidung zwischen kontingenten und notwendigen Wahrheiten zeigt einen Unterschied in der Struktur unserer Sprache auf, aber nicht in der Struktur der Welt. Die Welt besteht aus einer Kausalkette oder nicht ganz unabhängig davon, ob unsere logischen Folgerungen wahr sind. Es wird auch dann noch unverheiratete Männer geben, wenn der Sprachwandel uns das Wort „Junggeselle“ hat vergessen lassen, genau wie wir immer die Tatsache vergessen, dass Hogwarts in den schottischen Highlands liegt. Aber dennoch jeder und jede Schüler*in von den britischen Inseln erstmal nach London muss, um dann mit einem Zug wieder nach Hogwarts zu fahren.  Anyway … Aristoteles unterscheidet nicht konsequent zwischen Sprache und Welt und dadurch entstehen manche seiner Probleme erst. Wir übersehen das nur allzu gern, da auch wir die Welt immer durch die Brille der Sprache betrachten und ihr so die Struktur der Sprache überstülpen: Aber logische Folgerungen sind keine kausalen Folgerungen.

Das gesagt, bleibt die Unterscheidung zwischen Kontingenz und Notwendigkeit eine extrem elegante Lösung, ein Geniestreich, auch wenn es „nur“ eine Unterscheidung in der Struktur der Sprache ist. Und um die zu vollenden, komplettiere ich sie noch mit dem Begriff der Unmöglichkeit, der oben in meiner Philosophie-Lexikon-Definition schon anklang. Denn Sätze können notwendig wahr sein. Wie zum Beispiel, dass man mit einem Schraubendreher Schrauben drehen kann. Sie können kontigent wahr sein. Wie zum Beispiel, dass Zoe Kravitz und Robert Pattinson das bisher hottest Pärchen auf der Leinwand in 2022 sind und dass drei Stunden Laufzeit dennoch eine demotivierende Ansage für den neuen Batman sind oder sie können unmöglich wahr sein. Wie zum Beispiel, dass NFTs eine gute Idee sind. Okay, den Witz könnten manche falsch verstehen. Unmöglich wahr ist aber, dass 10+10=21 ist. Und NFTs sind trotzdem nur Teil des Krypto-Schneeballsystems. Lasst die Finger davon!

So, das soll es für heute gewesen sein. Ich wünschte, ich könnte euch schon versprechen, dass beim nächsten Mal endlich der klassische Syllogismus drankommt, dem ihr bestimmt alle schon so heftig entgegenfiebert wie dem Ende der Pandemie. Aber … es ist kompliziert. Mal sehen …

 

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Die Philosophie von Fridays for Future

Heute geht es hier um ein Thema, das in aller Munde ist: Friday for Futures. Im Augenblick kann ich ja noch darüber sprechen, so lange uns AKK das noch machen lässt. Aber weil es mir hier um Philosophie geht, möchte ich nicht nur blöd meine Meinung zu FFF rausposaunen, sondern die Philosophie von Fridays for Future ergründen.

Unter philosophischer Betrachtung ist die Bewegung nämlich durchaus spannend. Denn interessant wird Ethik (was Friday for Futures zugrunde liegt) immer dann, wenn ein Wertekonflikt existiert. Dann muss man eine Güterabwägung vornehmen und sich überlegen, welchen Wert man höher einstuft als welchen anderen. Und je nachdem, welchen Wert ich wie gewichte, komme ich zu meinem Urteil über FFF.

Moralisch eindeutige Fragen sind ethisch betrachtet zumeist recht langweilig. Niemand wird ernsthaft diskutieren wollen, ob Danaerys im Recht war, die Bevölkerung von Kings Landing abzufackeln, nachdem diese bereits kapituliert hatte. Hingegen ist es interessanter, ob ich das Recht hatte, eben GoT zu spoilern, um hier ein philosophisches Argument zu machen.

Also wie ist das bei FFF? Was spricht dafür und was dagegen? Oder sollte ich noch einmal einen Schritt zurückgehen und erklären, was FFF überhaupt ist?

Was ist Fridays for Future?

Alles fing an mit Greta Thunberg, die jeden Freitag die Schule bestreikte, um auf die Gefahren des Klimawandels und unser aller Untätigkeit im Klimaschutz aufmerksam zu machen. Das hat sich mittlerweile zu einer internationalen Bewegung gemausert, bei der Schüler*innen Freitags blau machen und für Klimaschutz demonstrieren.

Man könnte sich sehr ausführlich damit beschäftigen, mit welcher Rhetorik FFF in der Öffentlichkeit begegnet wird. Aber das würde hier zu weit führen. Wir wollen das lieber den Experten überlassen. Jedenfalls muss sich Fridays for Future eine ganze Menge Kritik anhören und darunter sind auch ein paar inhaltliche Argumente. Um die geht es mir hier und heute. Eigentlich sollte es doch eine super Sache sein, dass sich Schüler*innen für Umweltschutz engagieren. Also: Was spricht dagegen?

Die Kritik an Fridays for Future

Der Hauptkritikpunkt ist zumeist, dass dieser Protest während der Schulzeit stattfindet. Dass die Kinder doch nur die Schule schwänzen wollen. Aber was ist eigentlich so schlimm daran? Ist die Schule nicht dafür gemacht, geschwänzt zu werden? Nun, dass das so viele Menschen stört, hängt mit der Schulpflicht zusammen.

Schulpflicht? Was ist denn das nun wieder? A long time ago in a galaxy far far away… Beziehungsweise vor ein paar Jahrhunderten auf diesem Kontinent. Im Zuge von Reformation und Aufklärung entstand der Gedanke, dass der Staat dafür zu sorgen habe, allen Kindern eine Grundbildung zu verschaffen. Diese Entwicklung beschleunigte sich durch die Industrialisierung und führte in Deutschland dazu, dass es seit der Weimarer Republik eine allgemeine Schulpflicht gibt.

Doch warum gibt es die, was soll das? Zunächst einmal hat eine Gesellschaft ein generelles Interesse daran, dass ihre Mitglieder Zugang zu Bildung haben. Wenn es niemand gäbe, die Ärztin werden könnte, wäre das schön doof, oder? Der Aufklärungsphilosoph Jean-Jacques Rousseau brachte die Idee hervor, dass es so etwas, wie einen Gesellschaftsvertrag gibt. Menschen leben in Gesellschaften zusammen, da sie sich davon versprechen, dass diese Gesellschaft das Wohl aller vergrößert. Die Details von Rousseaus Philosophie können wir außer Acht lassen, wichtig ist hier, dass so ein Gesellschaftsvertrag nur funktioniert, wenn sich mehr oder weniger alle mehr oder weniger an ihn halten.

Und hier kommt dann erstmals die Schulpflicht ins Spiel. Denn es gibt zu ihr noch ein Gegenstück. Alle Schüler*innen haben die Pflicht zur Schule zu gehen. Dies ist ihr Beitrag zur Einhaltung des Gesellschaftsvertrags. Doch auch der Staat hat eine Pflicht: Die Beschulungspflicht. Diese resultiert darin, dass Bildungseinrichtungen zu den größten Institutionen des Staates gehören. Egal, ob du in einer Großstadt wohnst, in einem Dorf in der Eifel, auf einer Alm in den Alpen, auf einer Nordseeinsel oder sogar in Katzenelnbogen. Der Staat sorgt dafür, dass du Zugang zu schulischer Bildung hast und möchte im Gegenzug, dass du diese auch wahrnimmst.

Okay, soviel zu den Pflichten. Aber niemand würde die Einhalten, wenn er oder sie nicht auch etwas davon hätte. Was spricht denn für die Schulpflicht? Was macht sie zu einer nicht ganz doofen Idee? Dafür müssen wir noch einmal zum Ziel von Rousseaus Gesellschaftsvertrags zurückkehren: Er soll das Wohl aller vergrößern. Damit das geschehen kann, muss es eine weitere Grundbedingung geben: Es muss Gerechtigkeit herrschen. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sich wirklich für alle das Wohl mehr oder weniger vergrößert, sonst haben sie keine Veranlassung, den Gesellschaftsvertrag einzuhalten.

Das ist nun wieder ein riiiiiiiiesiges Fass, das ich gar nicht richtig aufmachen will, aber eine kleine Tasse möchte ich zumindest daraus schöpfen: Denn eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für Gerechtigkeit ist Chancengleichheit. Und an dieser Stelle kommt wieder die Schulpflicht ins Spiel. Die Idee dahinter ist, dass es egal ist, ob deine Eltern Millionäre oder Hartzer sind: Alle sollen die gleiche Ausgangssituation haben. Durch den gleichen Zugang zu Bildung soll ihnen ermöglicht werden, als Erwachsene den Beruf zu ergreifen, den sie möchten und so ihr persönliches Wohl zu mehren. Selbst wenn sie sich am Ende entscheiden, SPD-Spitzenkandidaten zu werden.

Aber würde es hier nicht reichen, dass der Staat einfach die Schulen hinstellt? Wer Lust hat, später fett Kohle zu verdienen, geht halt hin und wem das egal ist, lässt es bleiben? Nun, ohne jemanden hier zu nahe treten zu wollen: Schüler*innen wissen vielleicht nicht immer, was das Beste für sie ist und leben im hier und jetzt. Und Ja: Mir ist klar, wie absurd dieses Argument ist gegen Demonstrationen, die sich nur um die Zukunft drehen. Aber ich zumindest habe die Schule allzu oft lieber geschwänzt und mit Freunden rumgehangen als dass ich dem Unterricht aufmerksam gefolgt bin. Und seht, was aus mir geworden ist! Darüber hinaus spielt das Elternhaus hier eine große Rolle: Wenn deinen Eltern wichtig ist, dass du dich in der Schule anstrengst, wirst du es wahrscheinlicher tun, als wenn deine Eltern eher für „Netflix & chill“ sind.

Damit die Menschen unabhängig vom Engagement ihrer Eltern Chancengleichheit haben, gibt es die Schulpflicht. Es gibt sogar noch einen anderen Grund für die Schulpflicht. Früher gab es den Feudalismus, das war das Gesellschaftssystem vor der Aufklärung. Damals gab es Grundbesitzer – den Adel – die den ganzen Tag rumhingen, chillten und andere für sich arbeiten ließen. Diese Anderen waren die Leibeigenen und wie der Name schon sagt gehörten die buchstäblich dem Adel. Damals war es vollkommen Normal, dass Kinder mitarbeiteten, sobald sie dazu in der Lage waren. Mit der Industrialisierung verschärfte sich dieser Zustand sogar noch, als mehr und mehr Menschen, in die Städte zogen, um für einen Hungerlohn in Fabriken zu arbeiten. Damals war es total normal, dass Kinder mitarbeiten, um die Familie zu ernähren. Den Menschen blieb schlichtweg nichts anderes übrig.

Die Schulpflicht hat jetzt den äußerst wünschenswerten Nebeneffekt, dass sie Kinderarbeit faktisch ausschließt. Denn wer zur Schule gehen muss, kann nicht gleichzeitig arbeiten. Und wir Gutmenschen glauben heute, dass die Kindheit etwas Besonderes und Schützenswertes ist. Dass jedes Kind ein Recht auf eine Kindheit frei von Arbeit hat. Das spricht also gegen FFF. Wobei ich gleich dazu sagen muss, dass meine Darstellung hier äußerst idealisiert und vom Geist der Aufklärung geprägt ist. Michel Foucault zum Beispiel sah das eher so:

„Schulen haben die gleichen sozialen Funktionen wie Gefängnisse und Irrenhäuser – sie definieren, klassifizieren, verwalten und regulieren Menschen.“

Michel Foucault – Überwachen und Strafen.

Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden. Denn nachdem ich euch nun erzählt habe, was gegen Fridays for Future spricht,  muss ich natürlich auch noch darüber reden, was dafür spricht. Und das möchte ich aufspalten. In zwei Fragen. Denn einerseits ist interessant, was die Motive für FFF sind. Andererseits muss aber auch ein Blick darauf geworfen werden, ob die jungen Leute ™ die richtigen Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ergriffen haben.

Es gibt den menschengemachten Klimawandel

Auch wenn es mich traurig macht, so muss ich doch zunächst einmal klarstellen, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt, selbst wenn ein paar Lunatics das bezweifeln. Wenn ihr mir das nicht glaubt, dann fragt einfach mal bei Scientists for Future nach oder lutscht an eurem Diesel oder was euch sonst feuchte Träume beschert.

Wen also unsere Prämissen sind, dass es dem Klimawandel gibt und dass wir ihn beeinflussen können, dann folgt daraus aber noch nicht, dass wir das auch sollten. Aus der Tatsache des Klimawandels kann man nicht zwingend darauf schließen, dass Umweltschutz erstrebenswert ist. Dies ist eine ethische Entscheidung, die wir treffen müssen. Die Antwort auf die Frage, wie wir leben wollen, die jeder Ethik immer zugrunde liegt. Wir könnten auch sagen: Fuck it! No Future! Mir sind meine Mercedes S-Klasse und der Wochenendtrip nach Malle wichtiger!

Aber auch wenn Ethik immer etwas Kontingentes ist (das bedeutet, nur eine von mehreren verschiedenen Möglichkeiten), so ist sie dennoch nicht willkürlich, sondern in unserer Geschichte, unserer Gesellschaft, unseren Wünschen und Zielen begründet. Schauen wir uns also mal an, woher die Idee kommt, dass Klimaschutz etwas Erstrebenswertes ist.

Die Argumente für Fridays for Future

Der Klimaschutz ist eine Unterkategorie des Umweltschutzes. Und auch der war wieder eine Idee, die im Zuge der Industrialisierung entstand, als das Leben in den Städten durch Umweltverschmutzung teilweise sogar lebensgefährlich wurde. Alleine in London kam es bis 1952 immer wieder zu Smogkatastrophen, bei denen die Abgase aufgrund der Wetterlage nicht mehr aus der Stadt abziehen konnten und es im Zuge dessen zu zahlreichen Todesfällen kam.

In der Romantik kam es zu einer — nun ja — Romantisierung der Natur, in Zuge der sie mehr ins Zentrum der menschlichen Aufmerksamkeit geriet. Die Nazis machten sich diese Mode zu eigen mit ihrem Blut und Boden Schwachsinn. Wahrscheinlich war das auch ein Grund dafür, dass das Thema nach dem Zweiten Weltkrieg erst einmal wieder hintan gestellt wurde. Erst in den 1960er Jahren kam es wieder im Zuge der links-progressiven Jugendbewegungen zurück auf die Tagesordnung. Hier oftmals mit einer stark antikapitalistischen Haltung, bei der Umweltschutz und Kapitalismus als etwas Konträres gesehen wurde. In den 80ern schließlich, als in Deutschland alle Angst vorm Waldsterben hatten, sprangen dann auch die Konservativen mit auf den Zug. Sie kamen auf den Trichter, dass sich Umweltschutz hervorragend religiös begründen lässt: als Bewahrung der Schöpfung. 1994 wurde der Umweltschutz schließlich sogar ins Grundgesetz der BRD aufgenommen. Übrigens unter einer CDU-Regierung, der von Helmut Kohl.

Soviel zur Geschichte. Aber warum ist Umweltschutz so wichtig, dass er sogar offizielles Staatsziel der BRD ist? Warum steht nicht zum Beispiel das Recht auf gesunden Salat im Grundgesetz? Ist Umweltschutz einfach ein Wert an sich, weil Blumen und Kaninchen so schön sind? Oder lässt sich dieser Wert aus einem anderen herleiten? Ich denke, letzteres ist der Fall. Es geht schlicht und einfach darum, dass dieser Planet, so wie er ist, ziemlich ideal für Menschen ist, um darauf zu leben. Eine Erwärmung des Klimas hingegen könnte das Überleben wesentlich schwerer machen. Das Recht auf Leben aber gehört zu einem der ganz wenigen Werte, auf die sich so ziemlich alle Menschen als erstrebenswert einigen können. Denn mal ehrlich: Leben ist schon ziemlich geil, oder?

Ein anderer Wert spielt hier aber noch mit hinein, denn ich und meine Generation können wahrscheinlich pupsende Kühe essen, bis wir umfallen, wir werden nicht mehr erleben, dass unser Planet zum Mad-Max-Fanclub wird. Dieses Schicksal trifft die nachfolgenden Generationen. Der Wert, der also noch zu Umweltschutz und Recht auf Leben hinzukommt, ist die Generationengerechtigkeit. Ich hatte vorhin schon den Gesellschaftsvertrag erwähnt. Dessen Ziel ist soziale Gerechtigkeit. Er versucht zu erreichen, dass es keinem Teil der Gesellschaft so richtig kacke geht. Diese Idee lässt sich jetzt natürlich nicht nur auf die derzeit lebenden Menschen anwenden. Man kann auch noch die Menschen miteinbeziehen, die noch gar nicht geboren sind. Wenn wir sagen, wir wollen nicht, dass zukünftige Generationen unter dem Scheiß zu leiden haben, den wir verbockt haben. Dann ist das Generationengerechtigkeit.

Und jetzt wird es richtig absurd. Denn ihr habt bestimmt schon einmal was von der schwarzen Null gehört. Das ist die Idee, dass sich Deutschland nicht immer weiter Verschulden soll, damit zukünftige Generationen auch noch genug Spielraum mit den Staatsfinanzen haben. Diese Idee ist nichts anderes als Generationengerechtigkeit. Und absurderweise wird sie am vehementesten von den Parteien vertreten, die beim Umweltschutz auf Generationengerechtigkeit scheißen: CDU und SPD. Schon ein bisschen inkonsequent, oder?

Der Wertekonflikt am Grunde von Fridays for Future

Damit haben wir unseren Wertekonflikt beisammen: Wir haben also auf der einen Seite Werte wie die Schulpflicht, den Gesellschaftsvertrag, die Chancengleichheit, das Verbot auf Kinderarbeit und das Recht auf eine Kindheit. Demgegenüber stehen die Werte des Umweltschutzes, der Erhaltung der Schöpfung, die Generationengerechtigkeit und vor allem das Recht auf Leben.

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber wenngleich beide Seiten gute Argumente haben, so habe ich dennoch eine eindeutige Antwort, welcher Wert bei dieser Abwägung am höchsten zu gewichten ist.

Das Mittel zum Zweck von Fridays for Future

Denn wir müssen noch die Frage beantworten, ob das Mittel, das FfF gewählt hat, das richtige ist. Zunächst einmal steht außer Frage, dass die Schüler*innen ein Recht auf die Demos haben. Die Versammlungsfreiheit steht in Artikel 8 des Grundgesetzes. Es ist eines der Grundrechte, der höchsten Rechte, die man in der BRD hat.

Doch müssen die unbedingt während der Schule demonstrieren? Sie könnten das doch auch Samstags machen. Diese gemeinen Schulschwänzer nennen ihre Demos „Streik“. Was ist denn das, ein Streik? Das Wort kommt vom englischen „strike“ und leitet sich wohl ursprünglich von „to strike sails“ her, also „die Segel streichen“. In diesem Satz steckt auch schon die Essenz eines Streiks. Denn dabei nutzen Arbeiter*innen die einzige Macht, die sie ihrem Arbeitgeber gegenüber haben: Die Verweigerung der Arbeitskraft. Doch, Moment: Schüler*innen haben keine Arbeitskraft, die sie durch ihren „Streik“ verweigern können. Wenn sie nicht zur Schule gehen, schaden sie damit niemand anderem als sich selbst.

Nein, „Streik“ ist eigentlich das falsche Wort. Hier ist etwas kategorial anderes im Gange. Die Schüler*innen demonstrieren deshalb während der Schulzeit, um dadurch die Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Und wenn ich mir die Reaktionen von konservativer Seite angucke, funktioniert das auch ganz wunderbar! Dieses Konzept ist nicht ohne Vorbilder: Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King und die indische Unabhängigkeitsbewegung um Mahatma Gandhi haben das Konzept weltberühmt gemacht: Was die Schüler*innen hier durchziehen, ist ziviler Ungehorsam.

Bei zivilem Ungehorsam begeht man einen kalkulierten Regelbruch: in diesem Fall wird die Schulpflicht gebrochen. Dies geschieht aber nicht als Selbstzweck wie beim Schulschwänzen, sondern als Mittel zum Zweck: Um auf ein höheres Gut aufmerksam zu machen. In diesem Fall auf das Recht auf Leben. Wesentlich für zivilen Ungehorsam ist, dass er gewaltlos abläuft, dass die Bestrafung für den Regelverstoß wissentlich in Kauf genommen wird und dass er aus einer Position der Schwäche gegenüber der Staatsmacht geschieht, da den zivil Ungehorsamen kein anderes Mittel zur Verfügung steht. All dies trifft auf FfF zu. Und die Geschichte zeigt, dass ziviler Ungehorsam ein legitimes Mittel sein kann, wenn das Anliegen gewichtig genug ist: Etwa bei der Segregation, der Besetzung Indiens oder eben beim Klimawandel.

Damit haben wir es, oder? Das ist sie, die Philosophie von Fridays for Futur. Ich hoffe, ihr konntet ein bisschen was mitnehmen …

Die Philosophie von Steve Bannon

In den letzten Wochen und Monaten waren mir die kruden geschichtsphilosophischen Ansichten von Steve Bannon des Öfteren begegnet, ohne dass jemand sie logisch widerlegt hatte. Ich habe das mal übernommen. Ihr könnt euch das als Video anschauen oder darunter lesen.

Es geht heute um den Mann, der seit ein paar Monaten der mächtigste in Amerika ist. Nein nicht um Donald Trump! Um Steve Bannon! Derzeit gilt Steve Bannon zwar als entmachtet, aber manchmal kommen sie wieder!!! Daher erzähle ich heute von der Philosophie von Steve Bannon.

Steve Bannon ist der prominenteste Vertreter einer rechtsradikalen politischen Strömung in den USA, die sich „Alt-Right“ nennt. Und falls jemand aus der neuen Rechten das hier liest: Stellt euch nicht an wie Eltern, die von ihrem Kind beim Sex erwischt wurden! Ihr seid rechts, eure Ideen sind radikal: Natürlich seid ihr rechtsradikal!

Steve Bannon jedenfalls war Chefredakteur der ebenfalls rechtsradikalen Webseite Breitbart (ja, ich habe es schon wieder gesagt: rechtsradikal!). Bannon schloss sich dann dem Wahlkampfteam von Donald Trump an und ist nun Chefstratege von Trump im weißen Haus. Er soll der Kopf sein, der hinter Executive Orders wie dem Muslim Ban steckt. Das ist das Einreiseverbot in die USA für Muslime aus einer Reihe von Ländern. Es wurde mittlerweile von mehreren Gerichten als unvereinbar mit der amerikanischen Verfassung abgeurteilt.

Bannons merkwürdige Vorstellungen

Steve Bannon vertritt viele Thesen, die sich in der amerikanischen Rechten im besonderen und der internationalen Rechten im Allgemeinen tummeln, als handele es sich um ein Bordell in Kingslanding. Er verehrt sexy Ronald Reagen und glaubt heutzutage gäbe es nur noch korrupte Politiker, die den anständigen weißen Mittelklasse-Arbeiter mit Hilfe internationaler Konzerne ausbeuten. Die Verstrickung von Politik und internationaler Wirtschaft nennt er „die Partei von Davos“. Zugleich nennt er sich selbst einen Hardcore-Kapitalisten und kritisiert den „Sozialismus“, den Obama-Care für Arme bereitstellt – wiederum auf Kosten der Mittelschicht. Die Politik und die Finanzelite haben Amerika an den Rande des Ruins getrieben, während sie sich selbst bereicherten. Diese Politiker gilt es in Bannons Weltsicht genauso zu bekämpfen wie den Islam, der den christlichen Westen bedroht. Bannon träumt von einer rechtskonservativen Revolution und verglich sich selbst mit Lenin – dahingehend, dass er den amerikanischen Staat zerstören wolle, wie Lenin das mit dem Russischen getan hat. Nur ein Schock – so seine Weltsicht – könne den ich Niedergang des Systems aufhalten.

In diesem Kartoffelsalat an zusammengeklauten Ideologien stecken schon so viele ungesunde Zusatzstoffe, dass ich über jeden eine eigenn Folge machen könnte, aber mich interessiert heute nur der letzte Aspekt (der heilsame Schock) und der theoretische Unterbau dazu: Einer der wichtigsten philosophischen Einflüsse auf Steve Bannon ist das Buch The Fourth Turning* von William Strauss und Neil Howe. Ein Werk, das nicht nur klingt wie eine Gangschaltung bei Star Wars sondern auch ebenso sinnlos ist. Doch der Reihe nach …

Im Buch “The Fourth Turning” wird die Theorie aufgestellt, dass sich die amerikanische Geschichte wiederholt. Sie bewege sich in 80-100 Jahre-Zyklen. Jeder Zyklus endet dann mit einem kathartischen Crash, auf den ein Neubeginn folgt – die Generation Zero*, wie Bannon es in einer von ihm produzierten Dokumentation nennt. Bannon meint, dass der letzte Crash durch die Finanzkrise 2008 eingeleitet wurde. Die Obama-Administration das System aber über seine natürliche Lebensdauer hinaus am Leben erhalten habe. Offensichtlich hat Bannon also kein Problem mit aktiver Sterbehilfe.

The Fourth Turning

Doch, ich will mal einen Moment ernst bleiben und der Reihe nach gehen: Die beiden Urheber dieser (in Ermangelung eines besseren Wortes) Theorie, glauben an eine feste Folge von Generationen. Gemäß William Strauss und Neil Howe gehören alle Menschen einer Generation an, die in etwa in einem 20-Jahre-Korridor geboren wurden. Sie haben wichtige Ereignisse der Geschichte in etwa in der gleichen Lebensphase erlebt und teilen daher das gleiche Set an Werten, Glaubenssätzen und Verhaltensweisen. Strauss und Howe glauben, dass es eine historische Gesetzmäßigkeit gibt, wonach vier Genrationen zumindest in Amerika immer aufeinander folgen: „The High“, „The Awakening“, „The Unraveling“ und „The Crisis“.

Nach einer Krise beginnt ein neuer Zyklus wieder mit The High – der Hochphase. Dieses Hoch zeichnet sich dadurch aus, dass der Staat von starken Institutionen geprägt wird, während der Individualismus schwach ist. Die Gesellschaft ist sich einig, in welche Richtung sie sich entwickeln sollte. Die letzte Hochphase erlebten die USA demnach nach dem zweiten Weltkrieg.

Die zweite Phase ist The Awakening – das Erwachen. In diesem Turning werden die Institutionen angegriffen durch individuelle oder spirituelle Kräfte. The Awakening tritt ausgerechnet dann ein, wenn die Gesellschaft auf dem Höhepunkt des kollektiven Fortschritts ist. Dann erscheint der jungen Generation das High als Ära der kulturellen oder spirituellen Armut und sie wollen sich selbst entdecken und spirituelle Erfahrungen machen. Das letzte Awakening begann wohl nach Kennedys Tod mit den Studentenbewegungen der 1960er.

Es folgt als nächstes das Unravelling – die Phase der Auflösung. Institutionen sind schwach, Menschen Misstrauen ihnen und feiern ihren Individualismus. Die Gesellschaft zersplittert und jeder interessiert sich nur noch für sich selbst. Diese Phase begann der Theorie nach zuletzt in den 1980ern.

Schließlich kommt The Crisis. In dieser Krise wird die Gesellschaft bedroht. Etwa durch einen Krieg. Die Institutionen werden in so einer Krise zerschlagen. Die letzte Krise war die Weltwirtschaftskrise von 1929, die im zweiten Weltkrieg endete. Und an dieser Stelle landen wir wieder bei Steve Bannon. Denn wenn ihr gut aufgepasst habt, dann ist euch aufgefallen, dass die 20 Jahre des letzten Niedergangs schon um sind. Wir also eigentlich schon in der Krise stecken müssten.

Wie schon gesagt, glaubt Bannon, dass The Krisis eigentlich durch die Finanzkrise 2008 eingeleitet wurde, dass es die Obama-Administration aber verpasst hat, das aktuelle politisch-wirtschaftliche System einzureißen, um damit den Weg für die nächste Hochphase zu ebnen. Deswegen unterstützt er Trump, damit dieser diesen Prozess vorantreibt. Das wird das aktuelle System zum Einsturz bringen und Platz machen für das nächste High Amerikas.

Ein nach Mustern suchendes Gehirn

Was haltet ihr davon? Ich muss euch ehrlich sagen, auf mich wirkt das wie das möchtegern-prophetische Fantasy-Konstrukt von nach Mustern suchenden Gehirnen. Dass Bannon seinen Dokumentarfilm mit den Worten „Winter is Coming“ enden lässt, macht es auch nicht unbedingt besser. Und ich muss leider sagen, Steve, es liegt an dir und nicht an mir, dass deine Theorie keinen Sinn ergibt. Steve, deine Theorie ist in etwa so glaubwürdig wie eine Werbekampagne, in der uns McDonalds erklärt, wie gesund ihre Burger sind.  Aber ich will das ganze noch nicht gleich komplett als Quatschkram abtun, sondern zunächst einmal überlegen, ob da nicht vielleicht doch etwas dran  sein  könnte.

Immerhin sind William Strauss, Neil Howe und Steve Bannon nicht allein in dem Versuch, aus der Geschichte Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Und mal ehrlich, eigentlich ist die Überlegung gar nicht so doof: Wir leben in einer kausalen Welt, in der jede Wirkung eine Ursache hat. Warum sollte es in der Menschheitsgeschichte anders sein? So wie wir Jahreszeiten oder Sonnenfinsternisse Vorherbestimmen können, so können wir doch vielleicht auch Ereignisse wie Krisen vorherbestimmen. Berühmte Vorgänger in dieser Art zu denken waren etwa Hegel und Marx.

Hegel vertrat zum Beispiel den Standpunkt, dass in der Weltgeschichte und im Aufkommen und Untergehen einzelner Staaten der „Weltgeist“ zum Ausdruck kommt. Die Geschichte strebe dem Endziel entgegen, in dem sich der Geist und die Natur vereinen. Ich weiß, dass klingt super-abgehoben und ich kann es euch nicht runterbrechen ohne etliche Folgen zu Hegels Philosophie zu machen. Das letzte werden wir eines fernen Tages angehen, versprochen! Aber jetzt ist erst einmal wichtig, dass Hegel genau wie Strauss und Howe  geschichtliche Ereignisse analysierte. Er meinte, daraus ablesen zu können, dass die menschlichen Gesellschaften sich gesetzmäßig zu immer mehr Freiheit hinentwickeln würden.

Ganz ähnlich verhält es sich bei Marx und doch ganz anders. Marx glaubte Gesetzmäßigkeiten darin zu erkennen, dass die materiellen Verhältnisse der Menschen in der Geschichte zu bestimmten Ideen führten. Das Ziel dieser Entwicklung sei natürlich der Kommunismus, der zwangsläufig kommen werde um die – wie er es nannte – Vorgeschichte der Menschheit beenden werde.

Hmm, mittlerweile haben wir 2017 und der Kommunismus macht derzeit in etwa soviel Welle wie ein Quietscheentchen, nachdem ein Panzer über es hinweggerollt ist. Auch Hegels Vorstellung, dass wir immer freier werden, wird gerade irgendwo zwischen Terrorangst und Nationalismus zermalmt. Ist die Idee, dass wir aus der Geschichte Gesetze ableiten können also genauso bekloppt, wie sie sich anhört?

Die Prognosen der Sozialwissenschaften

Nun, wir müssen bedenken, dass wir solche Gesetze aus der Geschichte ständig ableiten. „Wenn die Wirtschaft boomt, sinkt die Arbeitslosigkeit“ – das ist gewissermaßen ein historisches Gesetz. Denn es hat sich in der Geschichte gezeigt, dass es sich so verhält. „Länder, die miteinander Handel treiben, führen keinen Krieg gegeneinander“, ist ein anderes. Und „In Großstädten wählen die Menschen links-liberaler als auf dem Land“, ist ein drittes. Sätze wie diese sind in den Sozialwissenschaften an der Tagesordnung und sie sind im gewissen Sinne historische Gesetze. Worin unterscheiden sie sich von denen von Hegel, Marx und Strauss und Howe?

Mir erscheinen zwei Unterschiede wichtig. Zum einen sind die Sätze der Sozialwissenschaften Thesen mit einem bedingten Geltungsanspruch. Niemand geht so weit, zu behaupten, dass wirtschaftliches Wachstum bis in alle Ewigkeit für geringe Arbeitslosigkeit sorgen wird. Wenn erst einmal die Maschinen wirklich intelligent sind, dann ist es wahrscheinlich vorbei damit. Die Sozialwissenschaften beobachten die Welt und passen ihre Theorien dann der Welt an. Aber wenn Steve Bannon meint, Obama habe es versäumt, die Crisis einzuleiten, dann versucht es die Welt seiner Theorie anzupassen.

Der andere Unterschied ist, dass die Theorien der Sozialwissenschaften nur Teilaspekte menschlicher Gesellschaften untersuchen und Thesen dazu aufstellen: Die Arbeitslosigkeit, internationale Beziehungen oder das Wahlverhalten von Großstädtern in den Beispielen oben. Hegel, Marx, Strauss und  Howe versuchen hingegen allumfassende, sogenannte holistische Theorien aufzustellen, gültig entweder für die ganze Menschheit oder zumindest für ganz Amerika! Das Problem dabei ist, dass hier unglaublich viele Einflüsse auf das beobachtete System wirken, sodass die für Wissenschaft nötige Reduzierung der Komplexität leicht zu Fehlschlüssen führen kann. Zum Beispiel definieren Strauss und Howe eine Generation als 20 Jahre und sagen, dass Menschen in diesem Lebensabschnitt die gleichen Erfahrungen teilen, was zu dem gleichen Set an Werten, Glaubenssätzen und Verhaltensweisen führt. Das ist eine verdammt steile These. Mein Bruder ist nur sechs Jahre älter als ich, aber – so lieb ich ihn habe – seine Werte, Glaubenssätzen und Verhaltensweisen unterscheiden sich massiv von meinen. Aber 20 Jahre? Ich habe den 11. September im Alter von 20 miterlebt. Wie alle, die diese Erfahrung mit mir teilen, weiß ich noch genau, wo ich war: Im Raucherabteil eines RegionalExpress nach Aachen. Zu meiner Generation sollen aber Menschen gehören, die an diesen Tag noch Babys waren, geschweige denn wissen, dass man früher in Zügen rauchen durfte! Seht ihr das Problem? Und dabei habe ich noch nicht einmal berücksichtigt, dass außer dem Alter noch ganz andere Faktoren Einfluss auf Werte, Glaubenssätze und Verhaltensweisen haben.

Poppers Widerlegung des Historizismus

Karl Popper, einer meiner Lieblingsphilosophen nennt die Art zu Denken von Strauss und Howe „Historizismus“ und er hat eine simple aber zwingende Widerlegung ihres Wahrheitsanspruchs. Sein Argument geht wie folgt:

(P1) Der Ablauf der Geschichte wird durch das Anwachsen des menschlichen Wissens stark beeinflusst.
(P2) Wir können mit rationalen oder Wissenschaftlichen Methoden das zukünftige Wachstum unserer Wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vorhersagen.
(C) Daher können wir den zukünftigen Verlauf der menschlichen Geschichte nicht vorhersagen.

Das ist ein klassischer Syllogismus. Wenn man  das menschliche Wissen nicht vorhersagen kann und wenn das menschliche Wissen einen starken Einfluss auf den Verlauf der Geschichte hat, dann folgt daraus zwingend, dass wir die Geschichte nicht vorhersagen können. Mit anderen Worten: Die Theorie vom Fourth Turning ist zwingend falsch. Sie kann nicht wahr sein. Unter keinen Umständen.

Die Popular Vote hat Bannon also verloren, wie sieht es mit der Anzahl der Wahlmänner aus? Nun, die Schlussfolgerung, dass die Theorie von Fourth Turning falsch ist, ist logisch zwingend, daran kann ein Verfechter diesee Theorie nichts ändern und wenn er sich auf den Kopf stellt. Aber wo die Konklusion unumstößlich ist, da rücken die Prämissen in den Fokus des Interesses. Um Bannon und seine kruden Ideen doch noch wahr werden zu lassen, müssten unsere Ausgangsbehauptungen falsch sein. Lasst uns einen Blick darauf werfen.

Wissen und Geschichte

Liegt es im Rahmen des Möglichen, dass die menschliche Geschichte nicht durch das menschliche Wissen beeinflusst wird? Nun es spricht ziemlich viel dafür, dass es zwischen Wissen und menschlicher Entwicklung eine kausale Beziehung besteht. Wir hatten schon bei Thales gesehen, wie stark die griechische Geschichte von Sprache, Alphabet und Seefahrt beeinflusst wurden. Andere Beispiele gibt es zuhauf: Ohne die Erfindung des Buchdrucks und die Möglichkeit, Schriften schnell und günstig zu vervielfältigen, wären die Reformation und die Aufklärung nicht möglich geworden. Ohne Vordenker wie Friedrich August von Hayek und Ayn Rand würde der Neoliberalismus die Wirtschaftspolitik der USA nicht seit der Präsidentschaft von Reagan beeinflussen. Und ohne das Internet und Social Media wäre Trump jetzt nicht Präsident. Ich denke beim Einfluss des Wissens kann ich Poppers Schlussfolgerung nicht knacken.

Wie sieht es aus, mit der These, dass sich der Zuwachs des menschlichen Wissens nicht vorhersagen lässt? Ich fürchte hier sieht es sogar noch übler für Bannon aus. Nehmen wir mal für einen Moment an, es gäbe eine neue Wissenschaft, die sich mit der Vorhersage der Wissensentwicklung befassen würde. Gehen wir weiter davon aus, dass diese Wissenschaft voraussagen könnte, wann die Physik das Beamen entdeckt. Dann müsste unsere prophetische Wissenschaft auch erklären können, wie Beamen funktioniert, sonst könnte sie nicht beweisen, dass ihre Prognose wahr ist. Wenn das aber möglich wäre, dann bräuchten wir keine Physik mehr. Wir bräuchten überhaupt keine andere Wissenschaft mehr, sondern müssten alle unsere Ressourcen nur noch auf die prophetische Wissenschaft werfen. Dies wird aber nicht gemacht, sondern nur die Einzelwissenschaften können Fortschritte erzielen. Es deutet also alles darauf hin, dass prophetische Wissenschaft nicht möglich ist.

Tja, es sieht also schlecht aus für die Theorie von Strauss und Howe. In ihr steckt in etwa soviel Wahrheit wie in Alien Covenant. Obwohl, wenn ich es recht bedenke, missachtet Ridley Scott in seinen Filmen zumindest nicht die Gesetze der Wissenschaft.

Notwendigkeit und Kontingenz

Aber auf einen Punkt muss ich noch eingehen: Was ist eigentlich, wenn morgen tatsächlich die Krise ausbricht, die Strauss und Howe vorhergesagt haben?  Zumindest in einem Punkt hat Bannon ja durchaus recht: Der internationale Finanzkapitalismus ist die Pest und die Zocker in den Investmentbanken haben durch die letzte Krise nichts gelernt. Daher ist es jederzeit wieder möglich, dass uns der ganze Laden um die Ohren fliegt. Ist die Theorie vom Fourth Turning dann am Ende doch wahr? Obwohl sie falsch sein müsste? Wir haben schließlich eben bewiesen, dass die Theorie von Strauss und Howe falsch ist.

Am Grund dieser Frage liegt ein philosophisches Problem, über das sich schon Aristoteles den Kopf zerbrochen hat.  Aristoteles formulierte das Problem damals so: Wenn ich gestern vorausgesagt habe, dass heute eine Seeschlacht stattfindet und heute die Schlacht wirklich stattfindet, war mein Satz gestern dann schon wahr?

Haben Zukunftsaussagen in gleichem Maße Wahrheitswerte wie Beschreibungen der Welt? Der Satz „Donald Trump hatte eine Audienz beim Papst“ ist wahr. Aber wie ist es heute, am 23. Mai 2017 mit dem Satz „Morgen wird Donald Trump etwas Dummes tun“. …. Äh …. Okay, vergesst diesen Satz, der ist noch einmal ein Sonderfall. Nehmen wir lieber: „Angela Merkel wird die Bundestagswahl gewinnen.“ Ist dieser Satz heute auch schon in gleicher Weise wahr? Im normalen Sprachgebrauch würden wir das nie sagen. Wir würden sagen, dass der Satz möglich, wahrscheinlich oder sogar ziemlich sicher ist. Aber wir sprechen Prognosen nie Wahrheit zu. Und dennoch, wenn im September Angela Merkel wiedergewählt werden sollte, dann erscheint uns der Satz retrospektiv als wahr. Wie können wir diesen Widerspruch auflösen?

Ganz einfach, die Logik kennt nicht bloß den Unterschied zwischen wahr und falsch sondern auch jenen zwischen kontingent und notwendig. Wenn die Entwicklung des Wissens der Menschheit sich nicht vorhersagen lässt und zugleich dieses Wissen die Geschichte beeinflusst, dann lässt sich die Geschichte notwendig nicht vorhersagen. Daraus folgt, dass eine Theorie, die behauptet, dass die Geschichte gesetzmäßig immer in vier aufeinander folgenden Phasen abläuft, notwendig falsch ist. Aber wenn demnächst ein Tweet von Donald Trump die USA in eine Staatskrise stürzt, dann war Bannons Vorhersage, dass dies geschehen wird, eben nur kontingent wahr.

Die Theorie vom Fourth Turning hat aber den Anspruch immer und zwingend wahr zu sein. Diesem Anspruch kann sie nicht gerecht werden. Die Geschichte der Zukunft ist noch nicht geschrieben.

 

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Kontingenz und Willkür

Ich hatte heute Morgen eine Diskussion auf Twitter mit Christoph Kappes. Hier möchte ich meine Gedanken, die ich heute morgen auf jeweils 140 Zeichen beschränken musste, etwas weiter ausführen.

Alles fing an, mit diesem Text von Anatol Stefanowitsch. In dem „AS, wortstark wie stets“ 😉 gegen das Argument des „inneren Unbehagens“ in der aktuellen Debatte um die Rechte homosexueller Menschen anschrieb. Anatol (ich bleibe hier mal beim Twitter-Du) tat dies aufbrausend und durchaus polemisch, zwei Eigenschaften, die ich an seinen Texten sehr mag, da sie die Lektrüre sehr erfrischend machen. Unter anderem schrieb er dort:

„Ich will Merkel, Matussek, Lewitscharoff und ihren Brüdern und Schwestern im Geiste ihr Unbehagen nicht verbieten. Sie sollen es sogar äußern dürfen – aber bitte dort, wo es hingehört: Gegenüber ihren Gesprächstherapeuten, die ihnen dann helfen können, dieses Unbehagen zu verstehen und hoffentlich eines Tages zu überwinden.“

Das wiederum missfiel Christoph Kappes, der auf Mario Sixtus‘ Tweet:

 

 

Antwortete:  

 

 

Daraufhin antwortete ich Christoph, dass ich Anatols Argument, dass Emotionen nicht als Letztbegründungen dienen können, durchaus plausibel finde und Christoph entgegnete folgendes:

 

 

Woraufhin sich eine Diskussion zwischen Christoph, mir und später auch Julia Schramm entspann. Wer mehr wissen möchte kann das gerne in unserer Timeline nachlesen.

Mir geht es hier darum, etwas ausschweifender zu erläutern, warum Emotionen nicht als Letztbegründung herhalten können. Denn, ich stimme Christoph zwar zu, dass man Matussek und Co. nicht pathologisieren sollte, schon allein weil man ihnen damit auch die Verantwortung für ihre teilweise wirklich menschenverachtenden Äußerungen absprechen würde. Aber, wenn ich hier mal etwas AS-Exegese betreiben darf, dann ist der Kern von Anatols Argument ein anderer. Wenn ich etwas weniger wortgewaltig an das Thema herangehen möchte, würde ich statt „Therapeut“, „Freund“ oder „Ehefrau“ sagen. Denn all diesen Gesprächssituationen ist etwas gemein: Sie sind privat.

Es ist in einem privaten Gespräch vollkommen angebracht, zu sagen, wie man sich fühlt:

 

 

Aber Matussek, Merkel und Lewitscharoff haben etwas anderes getan, als bloß ihre Gefühle artikuliert. Sie haben nicht über Gefühle gesprochen, wie man es tut, wenn man etwa smalltalkt: „Der Sieg der Bayern hat mich begeistert!“, oder wenn man eben mit seinem Therapeuten redet.

Ihre Gefühlsartikulation spielte eine gewisse Rolle im Sprachspiel. Ein schlauer Mann namens John Langshaw Austin hat die sogenannte Sprechakttheorie aus der Wiege gehoben. Nach dieser hat jede Äußerung, die ich von mir gebe, gewissermaßen drei Dimensionen: Lokution, Illokution und Perlokution. Oder etwas weniger „akademisch“ ;-): Der Inhalt der Äußerung, ihre Rolle und ihre angestrebte Wirkung.

Klassisches Beispiel ist die Situation, in der ich abends durch die Wohnung rufe: „Das Essen ist fertig!“. Der Inhalt meiner Äußerung ist, dass ich über einem Ding in der Welt „Essen“ eine Eigenschaft zuschreibe: „fertig sein“. Aber die Rolle meiner Aussage ist eine ganz andere: Ich wollte doch wohl kaum eine Aussage über die Welt tätigen, ich wollte meine Familie zu Tisch rufen. Die Rolle ist also eine Aufforderung, eine Bitte oder – in Familien, wo es etwas ruppiger zugeht – ein Befehl. Die angestrebte Wirkung ist nun natürlich, dass meine Familie sich auch um den Esstisch einfindet.

Wenn also Matussek, Merkel und Co. ihr „Unbehagen“ zum Ausdruck bringen, dann ist das zwar auf der Inhaltsebene (Lokution) eine Gefühls-Artikulation, nicht jedoch auch den anderen beiden Ebenen. Denn sie bezwecken ja etwas mit dieser Gefühls-Artikulation. Die Rolle (Illokution), die sie spielt, ist die eines Arguments. „Homosexualität ist schlecht, weil ich mich dabei schlecht fühle“.

Und die Wirkung, die sie erzielen wollen (Perlokution), ist meines Erachtens zweierlei: An die Stammtische geht ein „Das seht ihr doch auch so!“. Hingegen soll an die Intellektuellen die Botschaft gehen, dass dieses Unwohlsein eine Letztbegründung ist. Ein Lutherisches „Hier stehe ich und kann nicht anders“. Das ist zwar ein beliebtes Argument in der Ethik, aber es ist dennoch vollkommen ungeeignet.

Denn mit Gefühlen kann ich alles Begründen. Ich kann sowohl sagen: „Homosexualität ist falsch, weil sie mir Unbehagen bereitet“, als auch: „Homophobie ist falsch, weil sie mir Unbehagen bereitet!“, oder gar: „Brokkoli ist wider die Natur, weil er meiner Tochter (6) Unbehagen bereitet“.

Aber, wenn ich mit einem Argument alles begründen kann, hat es keinen Wahrheitswert. Es ist dann bloße Willkür, kann somit unmöglich wahr sein. Etwas muss prinzipiell widerlegbar sein, um überhaupt die Möglichkeit zu beinhalten, wahr zu sein. Das ist der berühmte Poppersche Falsifikationsvorbehalt. Und das ist ein Unterschied zu bloßer Kontingenz… Kontin-was?

 

 

In der Logik ist etwas kontingent, das weder notwendig wahr ist, noch unmöglich wahr ist. Das Problem einer jeden Ethik ist nun, dass sie nie notwendig wahr ist, daran ist der Sein-Sollen-Fehlschluss schuld. Letztlich werden wir immer auf die Frage zurückgeworfen: „Wie wollen wir leben?“. Genauso verhält es sich mit der Menschenwürde.

 

 

Deswegen kann ich diese drei Argumente nicht liefern. Aber! Ein dickes, fettes „Aber“ mit Streuseln obendrauf:

Bloß, weil Menschenwürde kontingent ist, ist sie noch lange nicht willkürlich. Menschenwürde ist das Ergebnis eines tausende Jahre alten Diskurses. Menschenwürde ist deshalb in unserem Grundgesetz, weil Sklaverei, Rassismus, Kriege, Revolutionen, Sexismus und Holocaust zuvor passiert sind, alles bloß „zufällige“ Ereignisse, die nicht notwendig hätten stattfinden müssen. Aber nichtsdestotrotz haben sie stattgefunden. Und es war unter dem frischen Eindruck des Holocausts, dass unser Grundgesetz geschrieben wurde und weshalb die Menschenwürde als oberstes Axiom eingesetzt wurde. Deshalb ist Menschenwürde zwar kontingent, aber nicht willkürlich. Zu sagen, dass man die Menschenwürde bestimmten Menschengruppen abspricht, weil man ein schlechtes Gefühl hat, ist hingegen Willkür.

Ich bin raus!