Aristoteles – Das Problem von Zukunftsaussagen

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Daniel
ist notwendig willensfrei

Aristoteles – Der Logiker – Folge 8

Diesmal müssen wir uns zwischen Wahrheit und Willensfreiheit entscheiden. Oder nicht? Vielleicht findet Aristoteles einen Ausweg. Ich erzähle euch vom Problem der Zukunftsaussagen oder auch vom Problem der zukünftigen Seeschlacht. Wie immer wahlweise als Video, Podcast oder Text.

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Otfried Höffe – Aristoteles: Die Hauptwerke *
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Das Problem der zukünftigen Seeschlacht

Wir pirschen uns weiter an die Logik von Aristoteles heran und wir machen das mit dem Problem der Zukunftsaussage, auch berühmt geworden als das Problem der zukünftigen Seeschlacht. Diesem Problem habe ich mich übrigens schon einmal gewidmet in „Die Philosophie von Steven Bannon„. Da Bannon, das Mastermind der Neuen Rechten in den USA aber kurz vor Veröffentlichung des Videos von Trump gefeuert wurde, ist es nicht unbedingt einer meiner größten Hits geworden. Daher bietet sich an, das Problem der Zukunftsaussagen noch einmal anzugehen.

Denkt noch einmal zurück an die letzte Folge: Kontradiktionen schließen einander aus. Entweder findet Indiana Jones den heiligen Gral oder nicht, aber nichts anderes. Das war der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Aber wie sieht es aus, wenn die Sätze sich nicht auf die Gegenwart beziehen, sondern auf die Zukunft? Zwei kontradiktorische Zukunftsaussagen teilen die Wahrheitswerte ebenfalls untereinander auf. Eine ist wahr, die andere falsch. Aber es steht doch noch nicht fest, welche wahr und welche falsch ist. Oder?

Berühmt wurde, wie gesagt, Aristoteles‘ Beispiel für diese Frage – das Problem der zukünftigen Seeschlacht. Wenn ich sage: „Morgen wird es eine Seeschlacht geben.“, dann ist die Kontradiktion: „Morgen wird es keine Seeschlacht geben“. Gemäß dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten muss einer der beiden Sätze wahr und der andere falsch sein. Aber ist er das schon heute? Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten gibt uns eigentlich keine Alternative, oder? Wenn das aber stimmt, dann handeln wir uns einen harten Determinismus ein.

Determinismus, Kausalkette und freier Wille

Okay hier müssen wir eine kleine Abschweifung machen: Was ist denn eigentlich dieser Determinismus? Wieviele Kameras hat er und? Und hat er auch 5G? Mein kleines philosophisches Wörterbuch* sagt dazu:

„Determinismus (ist) in den Naturwissenschaften die Voraussetzung eines durchgängigen Kausalzusammenhangs aller Vorgänge in der Welt, auch der seelischen Erlebnisse und Willenshandlungen. In der Ethik die Annahme einer Bestimmung des Willens durch innere oder äußere Ursachen, die die Freiheit des Willens ausschließt.“

Wir leben in einer kausalen Welt. Für jede Wirkung gibt es eine Ursache. Aber gilt das auch für den menschlichen Willen? Denn, wenn es so ist, dann liegt darin ein Problem: Wenn es keinen freien Willen gibt, dann ist vollkommen egal, wie ich handle. Ich habe ja keine Wahl. Die Ethik als Disziplin ist dann so egal wie Matt Damon. Denn, wie ich handeln SOLL, wird zur sinnlosen Frage, wenn sowieso schon feststeht, wie ich handeln werde. Auch Gerichtsprozesse und Gefängnisstrafen werden fragwürdig: Der oder die Straftäter*in konnte ja nicht anders handeln. Und die Richter*innen können nicht ein Urteil allein auf Basis der Fakten fällen.

Bevor ihr jetzt sagt: Fuck it, ich schmeiß alles hin und werde olympischer Curling-Spieler! Determinismus wird schon fast so lange in der Philosophie diskutiert wie Aristoteles‘ Bartpflege-Mittel und es gibt viele verschiedene Ansätze, um nicht zu verzweifeln. Wie das so meine Art ist, stelle ich das hier wieder stark verkürzt dar, um erst einmal aufzuzeigen, wo das Problem liegt.

Mit Blick auf Aristoteles‘ Problem der zukünftigen Seeschlacht hieße Determinismus jedenfalls: Es stünde heute schon fest, ob morgen eine Seeschlacht stattfindet. Was soll daran jetzt problematisch sein? Das Problem liegt darin, dass die Logik immer und absolut gilt. Und das heißt, ich könnte auch sagen: In 1.000 Jahren gibt es noch Smoothies. Und wenn in 1.000 Jahren sich herausstellt, dass ich recht hatte, dann stand das schon seit meiner Aussage fest.

Das widerspricht doch komplett unseren Intuitionen, wie es sich wirklich verhält. Es würde überhaupt keinen Sinn machen, dass wir uns bemühen, die Klimakatastrophe zu verhindern. Denn es steht ja schon fest, ob diese stattfinden wird oder nicht. Wir können alle nur noch auf dem Sofa abhängen und Netflix gucken, denn wir tragen keine Verantwortung dafür, wie unser Leben sich entwickeln wird. Beziehungsweise, wir können nicht chillen, sondern müssen weiter täglich ins Büro dackeln, denn das war uns vorherbestimmt.

Wahrheit oder Willensfreiheit?

Okay, wie kommen wir da raus, ohne den Satz vom ausgeschlossenen Dritten aufzuweichen? Denn, dass wir den auf alle Fälle beibehalten wollen, sagte ich ja schon beim letzten Mal (als ich übrigens einen Fehler machte und euch in der Formalisierung den Satz vom Widerspruch – zu dem es bereits eine eigene Folge gibt – als Satz vom ausgeschlossenen Dritten verkaufte. Danke für den Hinweis, FGrimm). Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist eines unser logischen Fundamente. Er ist die Basis für unser Konzept von Wahrheit. Er muss wahr sein!

Die Frage ist also: Wie kommen wir da raus? Wäre ein Ausweg, zu sagen, dass Zukunftsaussagen keinen Wahrheitswert haben? „Morgen wird es eine Seeschlacht geben“ ist also weder wahr noch falsch. Genauso wenig wie die Frage „Wird es morgen eine Seeschlacht geben?“ oder der Befehl „Morgen soll es eine Seeschlacht geben!“ wahr oder falsch sind. Aber auch das ist irgendwie unbefriedigend, deckt sich nicht mit unserem Sprachgebrauch. Denn, wenn am nächsten Tag die Seeschlacht stattfindet, dann kannst du ja sagen: „Siehste, ich hatte recht!“ Wenn ich dann antworte: „Nein hattest du nicht, denn Zukunftsaussagen sind weder wahr noch falsch!“, dann würdest du mich zurecht genauso angucken, wie wenn ich dir sage, dass ich Geld für ein NFT rausgeworfen habe.

Dass Zukunftsaussagen keinen Wahrheitswert haben, kann es ja auch nicht sein, oder? Das widerspricht doch komplett unserem normalen Sprachgebrauch! Wir stehen also vor der Wahl, ob die Welt determiniert ist oder ob die Logik nicht immer und überall gilt. Das ist nichts, wozwischen man sich entscheiden möchte. Das ist, als müsste man sich zwischen Haggis und ahle Worscht als Mittagessen entscheiden! Liebe Kandidatin, Ihre Eine-Millionen-Euro-Frage lautet: Was gibt es nicht? Und die Antworten sind nach Einsatz des 50-50-Jokers: Wahrheit oder Willensfreiheit?

Komplett verzweifelt rufen wir unseren Telefon-Joker Aristoteles an und der sagt… Moment, Herr Jauch, sie haben  die Notwendigkeit vergessen!

Notwendigkeit, Kontingenz und Unmöglichkeit

Aristoteles führt nämlich zur Lösung dieses Problems den Begriff der Notwendigkeit ein. Etwas, das notwendig wahr ist, kann nicht falsch sein. Das ebenso berühmte wie ermüdende Beispiel, dass alle im Studium lernen, ist: Junggesellen sind unverheiratete Männer. Dieser Satz kann nicht falsch sein. Er ist eine notwendige Wahrheit. Sie ergibt sich rein aus der Wortbedeutung. Notwendig wahre Sätze sind dies aufgrund der inneren Struktur unserer Sprache. Aufgrund der Art und Weise wie wir Sprache verwenden. Es gibt keinen Anwendungsfall, in dem ein Junggeselle auf einen nicht unverheirateten Mann angewandt wird. Weitere Beispiele wären: Wenn ein lehnenloser Stuhl an einer Theke steht, dann ist es ein Barhocker. Homer Simpson ist eine gelbe Comic-Figur mit Überbiss und Glatze, die „Doh“ ruft oder Russell Crowe ist so interessant wie eine Pastinake.

Eine Zukunftsaussage hingegen kann wahr sein, sie muss es aber nicht notwendig sein. Wenn wir morgen feststellen, dass es eine Seeschlacht gibt, dann war meine Äußerung von gestern wahr. Aber kontingent wahr. Auch hier greife ich wieder zu meinem kleinen grünen Büchlein*:

„Allgemein versteht man unter einem kontingenten Sachverhalt einen solchen, der weder notwendigerweise besteht (wie der, dass alle Junggesellen unverheiratet sind [Philosoph*innen sind echt nicht kreativ, wenn es um Beispiele geht, db]), noch notwendigerweise nicht besteht (wie der das 2 + 2 =  5 ist), dessen Bestehen also in diesem Sinne vom Zufall abhängt.“

So können wir, wenn wir Aristoteles hier folgen, die Logik behalten, ohne gleich annehmen zu müssen, dass alles vorherbestimmt ist. Und ich muss sagen, das ist auch nach 2.300 Jahren noch eine extrem elegante Lösung auf dieses Problem. Aristoteles hat das gemacht, was Wittgenstein „die Probleme zum verschwinden bringen“ nennt. Er hat die Eine-Millionen-Euro-Frage nicht beantwortet, er hat dargelegt, dass sie falsch gestellt war.

Sprache und Welt

Gut, Aristoteles hat allerdings auch ein Problem zum Verschwinden gebracht, dass er selbst geschaffen hat, weil er nicht konsequent zwischen Sprache und Welt unterscheidet. Denn ich kann auch den Publikums-Joker „Linguistic Turn“ ziehen und feststellen: Welchen Wahrheitswert meine Aussage „Morgen wird es eine Seeschlacht geben“ hat, hat gar keine Auswirkung auf die Struktur der Welt. Die Unterscheidung zwischen kontingenten und notwendigen Wahrheiten zeigt einen Unterschied in der Struktur unserer Sprache auf, aber nicht in der Struktur der Welt. Die Welt besteht aus einer Kausalkette oder nicht ganz unabhängig davon, ob unsere logischen Folgerungen wahr sind. Es wird auch dann noch unverheiratete Männer geben, wenn der Sprachwandel uns das Wort „Junggeselle“ hat vergessen lassen, genau wie wir immer die Tatsache vergessen, dass Hogwarts in den schottischen Highlands liegt. Aber dennoch jeder und jede Schüler*in von den britischen Inseln erstmal nach London muss, um dann mit einem Zug wieder nach Hogwarts zu fahren.  Anyway … Aristoteles unterscheidet nicht konsequent zwischen Sprache und Welt und dadurch entstehen manche seiner Probleme erst. Wir übersehen das nur allzu gern, da auch wir die Welt immer durch die Brille der Sprache betrachten und ihr so die Struktur der Sprache überstülpen: Aber logische Folgerungen sind keine kausalen Folgerungen.

Das gesagt, bleibt die Unterscheidung zwischen Kontingenz und Notwendigkeit eine extrem elegante Lösung, ein Geniestreich, auch wenn es „nur“ eine Unterscheidung in der Struktur der Sprache ist. Und um die zu vollenden, komplettiere ich sie noch mit dem Begriff der Unmöglichkeit, der oben in meiner Philosophie-Lexikon-Definition schon anklang. Denn Sätze können notwendig wahr sein. Wie zum Beispiel, dass man mit einem Schraubendreher Schrauben drehen kann. Sie können kontigent wahr sein. Wie zum Beispiel, dass Zoe Kravitz und Robert Pattinson das bisher hottest Pärchen auf der Leinwand in 2022 sind und dass drei Stunden Laufzeit dennoch eine demotivierende Ansage für den neuen Batman sind oder sie können unmöglich wahr sein. Wie zum Beispiel, dass NFTs eine gute Idee sind. Okay, den Witz könnten manche falsch verstehen. Unmöglich wahr ist aber, dass 10+10=21 ist. Und NFTs sind trotzdem nur Teil des Krypto-Schneeballsystems. Lasst die Finger davon!

So, das soll es für heute gewesen sein. Ich wünschte, ich könnte euch schon versprechen, dass beim nächsten Mal endlich der klassische Syllogismus drankommt, dem ihr bestimmt alle schon so heftig entgegenfiebert wie dem Ende der Pandemie. Aber … es ist kompliziert. Mal sehen …

 

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Aristoteles – Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten und das logische Quadrat

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Daniel
schließt das Dritte aus

Aristoteles – Der Logiker – Folge 7

Heute geht es um Logik – I f*cking love logic! Ich lege den Satz vom ausgeschlossenen Dritten dar und was er bedeutet. Anschließend quadrieren wir die Logik indem ich mit euch im Detail Kontradiktionen, konträre Gegenteile und den ganzen Kladderadatsch durchgehe. Wie gewohnt habt ihr die Wahl zwischen Video, Podcast oder Text.

Wie kann ein Quadrat logisch sein?

So langsam nähern wir uns der Logik von Aristoteles. Und das machen wir über das sogenannte logische Quadrat. Logisches Quadrat? Das klingt für mich ein bisschen wie ein Spiel in Squid Game. Allerdings steht der Name „logisches Quadrat“ für mehrere logisch-semantische Beziehungen und der Name stammt gar nicht von Aristoteles. Wer genau erstmals auf die quadratische Darstellung kam, ist unklar. Die älteste uns bekannte Erwähnung stammt von Apuleius von Madauros aus dem 2. Jahrhundert nach Christus, also gut 400 Jahre nach Aris Tod.

Aber bevor ich länger kryptisch von irgendwelchen Quadraten und wer sie erfunden hat spreche, als wäre ich in einem Tarantino-Film, sollte ich erst einmal klarmachen, worum es wirklich geht. Aristoteles beschreibt  in der De Interpretatione zwei semantische Beziehungen, die wir dringend brauchen, bevor wir anfangen können, logische Schlüsse zu fällen: konträr und kontradiktorisch.

Nein, ich merke gerade, ich war zu voreilig – ganz wie die BBC, als sie bereits 2016 die 100 besten Filme des 21. Jahrhunderts kürte. Hmmm. Daher muss ich noch einen Schritt zurückgehen. Denn bevor wir uns mit Kontradiktionen und konträren Gegenteilen beschäftigen, müssen wir mit den beiden grundlegendsten Begriffen der Logik anfangen: Ich spreche von den kleinen Begriffen „wahr“ und „falsch“.

Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten

Ari formuliert in De Interpretatione einen der wichtigsten Sätze der Logik überhaupt. Wichtiger noch als „Aus großer Macht folgt große Verantwortung“ oder „Möge die Macht mit dir sein“: Den Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Demnach kann etwas nur wahr oder falsch sein. Aber nichts dazwischen und nicht beides.

Wenn ihr euch für Politik interessiert, euch schon mal mit euren Eltern gestritten habt oder von irgendjemanden den Satz gehört habt: „Man muss Butter unter Nutella schmieren“, dann habt ihr eben bestimmt zischend die Luft zwischen den Zähnen eingesogen und ich werde gleich weiter auf Probleme und Einschränkungen des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten eingehen. Aber folgen wir zunächst einmal Aristoteles, bevor wir anfangen ihn zu kritisieren und schauen was er macht. Denn der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist keine ganz dumme Idee.

In der formalen Logik können wir das durch eine einfache Formalisierung verdeutlichen. Nehmen wir dafür den Satz: „Ein Film der sowohl lustige als auch traurige Anteile hat, ist eine Dramödie“. Diesen Satz formalisieren wir mit der Variable P. Es gibt jetzt nur P oder -P, aber nichts anderes. Es kann kein halbes Minus vor P geben. Gut, in diesem Fall gibt es sogar nur -P und alles andere ist falsch, liebe Kulturpessimist*innen.

Bevor jetzt der eine Logik-Nerd da hinten rechts aufschreit, dass meine Erklärung verkürzt war, hier einmal die richtige formallogische Notation für den Satz vom ausgeschlossenen Dritten:

¬(P∧¬P)

So, jetzt habt ihr das einmal gesehen/gehört und wir können mit dem wichtigen Kram weitermachen!

Einschränkungen des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten

Wichtig sind jetzt schon die Einschränkungen. Wenn du den Satzes vom ausgeschlossen Dritten verstehen willst, musst du wissen, dass Aristoteles von der Satzebene ausgeht. In meiner Formalisierung eben stand P genau für einen Satz. Nicht für mehr und nicht für weniger. Wir sahen bereits in der Folge über die Kategorien, dass es eine wichtige Erkenntnis von Ari war, festzustellen, dass wahr oder falsch nicht einzelne Worte sind, sondern Sätze.

Er schränkt das aber sogar noch weiter ein, denn nicht alle Sätze kommen in Frage, wenn wir sie auf Wahrheit hin prüfen. Genau wie nicht alle Twitter*innen lustig sind. Ja, Ulf, ich meine dich! Deine Tweets sind nicht lustig! Wahr oder falsch können nur faktische, konstatierende Sätzen sein. Zudem müssen wir noch Ceteris paribus beachten. Okay, okay, das hier wird jetzt eine Orgie von Technobabble – ganz als würden Data und Geordi miteinander Smalltalken. Ich mache euch wieder an Beispielen deutlich, was ich meine:

„Auf YouTube gibt es Videos zu Philosophie“. Dieser Satz ist wahr oder falsch, aber nichts drittes. Rosenkohl ist lecker – wahr oder falsch. Nichts drittes. Na gut, manche von euch schreien jetzt vielleicht als hätte Edvard Munch euch gemalt, dass Rosenkohl auch ein bisschen lecker sein kann. Denn hier beim letzten Satz hat sich schon wieder eine Wertung eingeschlichen, es ist kein faktischer Satz. Lasst mich daher mit einem ganz berühmten Beispiel von G. E. Moore, das ihr auch bei Wittgenstein wiederfindet, aufzeigen, welche Art von Sätzen wir auf Wahrheit prüfen können.

Wenn wir einen Satz betrachten, der eine Tatsache über die Welt aussagt, dann ist dieser wahr oder falsch und nichts dazwischen. „Hier ist eine Hand.“ kann wahr oder falsch sein. Aber es kann hier nicht nur ein bisschen eine Hand sein und ein bisschen nicht. „Hier ist eine Hand“ ist ein konstatierender Satz, denn er macht eine Aussage über die Welt. Er stellt etwas fest. Würde unser Satz lauten „Ist hier eine Hand?“, dann könnten wir ihn nicht auf Wahrheit prüfen. Klar, oder?

Erst als ich jetzt die Stelle in De Interpretatione las, in der sich Ari fragt, welche Art von Sätzen wahr oder falsch sein können, fiel es mir wie Gurkenscheiben von den Augen in den Gin, dass John L. Austin sich auf diese Stelle in seiner Theorie der Sprechakte bezieht.

Austin schreibt am Anfang der Theorie der Sprechakte, dass die Performativa (wie er sie nennt), also Sprechakte, mit denen man Handlungen vollzieht, wie Fragen, Bitten und so, zwar schon anderen aufgefallen sind, ihnen aber nicht die angemessene Beachtung geschenkt wurde. Ich zitiere:

„Die Erscheinung, um die es geht, ist sehr weit verbreitet und liegt offen zutage; hier und da müssen sie andere bemerkt haben. Aber ich habe noch niemanden gefunden, der sich richtig darum gekümmert hätte.“

John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte*

Das bezieht sich, wenn man Austins subtilen Humor kennt, klar auf Aristoteles, der in De Interpretatione schreibt, dass beispielsweise Bitten keinen Wahrheitswert haben, das jetzt aber nichts zur Sache tue, er sich nicht darum kümmern werde und sich stattdessen nur auf Aussagen konzentrieren werde. Halten wir also fest: Wahr oder falsch sein, können also nur Aussagesätze oder Konstativa, wie Austin sie nennt. Sätze, die eine Tatsache konstatieren.

Ferner können (mehr oder weniger) nur faktische Sätze wahr oder falsch sein. Ein faktischer Satz sagt aus, dass etwas ist. Würden wir nur die Möglichkeit formulieren: „Hier könnte eine Hand sein.“, würde es mit der Wahrheitsprüfung schon schwieriger werden. Nicht unmöglich, aber komplizierter.

Zu guter Letzt müssen wir auch noch dieses komische Ceteris paribus beachten. Ceteris paribus klingt wie ein Zauberspruch bei Harry Potter, ist aber überraschenderweise Latein und bedeutet „unter sonst gleichen Bedingungen“. Es darf also keine Faktoren geben, die unmöglich machen „Hier ist eine Hand“ auf Wahrheit zu prüfen. Wenn ich beispielsweise das Licht ausschalte und dann sage „Hier ist eine Hand“, lässt sich nicht prüfen, ob der Satz wahr oder falsch ist.

Funfact: diesen kleinen logischen Zauberspruch habe ich auch erst vor kurzem gelernt zu benennen, als meine Haus- und Hof-Psychologin ihrer Disziplin untreu wurde, als wäre die Psychologie Mr. Chow und mir Searles Versuch vortrug, aus einem Sein auf ein Sollen zu schließen. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist jedenfalls eine der wichtigsten und grundlegendsten Wahrheiten, die wir kennen. Habermas spricht ein paar Jahrtausende später vom zwanglosen Zwang des besseren Arguments, das Vernunft und kommunikatives Handeln überhaupt erst ermöglicht. Wenn wir nicht akzeptieren, dass Sätze entweder wahr oder falsch sind, dann verliert das bessere Argument seinen zwanglosen Zwang. Konzepte wie Fakenews, „Alternative Facts“ und Verschwörungsmythen versuchen den Satz vom ausgeschlossenen Dritten aufzuweichen, indem sie behaupten, es gäbe nicht bloß bei Wert- und Geschmacksurteilen mehr als eine wahre Meinung, sondern auch bei Fakten. Aber das ist, wie wir bei Aristoteles lernen, falsch.

Werturteile und Geschmacksurteile

Unsicher erscheint uns der Satz vom ausgeschlossenen Dritten nämlich nur dann, wenn wir  Wert- oder Geschmacksurteile äußern. „Bibi und Tina ist eine schlechte Fernsehsendung“ ist fraglos wahr, aber irgendwie nicht auf die gleiche Weise wie „Hier ist eine Hand“. Der Grund dafür ist, dass dieser Satz extrem voraussetzungsreich ist. Extrem viele andere Sätze muss ich als gegeben annehmen, um diesen einen Satz auf seine Wahrheit hin zu prüfen. Zum Beispiel: Es gibt objektiv ästhetisch Gutes. Oder: Die unkritische Darstellung von Klassenunterschieden als unhinterfragte Normalität ist schlecht. Es ist eben kompliziert.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass es höherwertige Logiken gibt, in denen der Satz vom ausgeschlossenen Dritten vertrackter wird als Aristoteles sich das dachte. Die Fuzzy Logic zum Beispiel beschäftigt sich mit Problemen wie diesem: An Straßen finden sich oft Schilder, die aussagen: Bei Nässe darf nur 80 km/h gefahren werden. Die Frage hier ist: Wie nass muss die  Straße sein, damit die Regel gilt? Gilt sie schon, wenn nur ein einziger Tropfen auf den Asphalt fällt? Wann ist eine Straße eigentlich nass? Die Fuzzy Logic löst diese Art von Problemen so, dass sie nicht nur die Wahrheitswerte 1 = wahr und 0 = falsch annimmt, sondern mit graduellen Abstufungen arbeitet. Dann kann eine Straße eben zu 0,7 nass sein. Aber das ist auch eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Die Existenzbedingung

Kehren wir zu Ari zurück, denn der macht eine weitere wichtige Regel auf: Um zu beurteilen, ob ein Satz wahr oder falsch ist, muss das Subjekt existieren. „Sören Eddie Johanna von und zu Bibiundtinaingen ist 1,80 Meter groß.“ lässt sich nur auf Wahrheit hin prüfen, wenn ein Ding namens Sören Eddie Johanna von und zu Bibiundtinaingen existiert. Erneut lässt sich das formalisieren (was Ari allerdings noch nicht macht):

Es existiert ein x

Für x gilt: Es ist Sören Eddie Johanna von und zu Bibiundtinaingen und es ist 1,80m groß

∃x

x (Sören Eddie Johanna von und zu Bibiundtinaingen) ∧ (1,80m groß)

Das stellt uns natürlich vor das Problem, ob wir sagen können, dass der Satz „Einhörner haben genau ein Horn“ wahr ist. Er scheint wahr zu sein, aber nach Ari lässt er sich nicht auf Wahrheit hin prüfen, da Einhörner nicht existieren. Ja, ich weiß, das ist ein Schock. Aber irgendjemand musste es mal sagen. Dass ich Einhörnern Eigenschaften zuschreiben kann, diese aber logisch nicht auf Wahrheit prüfen, sollte sehr viel später Willard Van Orman Quine viele Kopfschmerzen bereiten. Da soll noch einmal jemand sagen, Philosophie habe keinen praktischen Nutzen! Eine von Robert Brandom inspirierte Auflösung könnte übrigens sein, dass sich die Wahrheit von „Einhörner haben genau ein Horn“ aus unserem Sprachgebrauch ergibt, indem wir uns nicht auf ein Ding in der Welt beziehen, sondern auf das, was wir aus Literatur gelernt haben. Aber das ist jetzt wirklich eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Die Kontradiktion

Unser nächster Abschnitt führt uns nun endlich zum angekündigten logischen Quadrat: Ari stellt fest, dass alles, was sich bejahen lässt auch verneinen lässt. Es gibt also zu jeder Aussage genau eine Negation dieser Aussage. Das folgt aus dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Ich kann jeden Satz durch „nicht“ in seine Negation umwandeln:

„Es macht mehr Mühe eine Knoblauchpresse zu reinigen, als es Mühe macht, den Knoblauch gleich mit einem Messer zu hacken“. Lässt sich in „Es macht nicht mehr Mühe eine Knoblauchpresse zu reinigen, als es Mühe macht, den Knoblauch gleich mit einem Messer zu hacken“ umwandeln.

Die Aussage und ihre Negation schließen sich gegenseitig aus. Marlene Dietrich war entweder die Hauptdarstellerin in ‚Der Blaue Engel‘ oder sie war es nicht. Beides gleichzeitig ist nicht möglich. Wir sagen dazu: Die Negation einer Aussage ist ihre Kontradiktion. Nachdem wir nun „kontradiktorisch“ abgehakt haben, können wir uns „konträr“ widmen.

Das konträre Gegenteil

Denn die Kontradiktion scheint zu implizieren, dass es keine zwei verschiedenen Negationen zu einer Aussage geben kann. Klar, oder? Aber was ist mit: „Alle Menschen in Filmen sind Schauspieler*innen“. Diesen Satz kann ich doch auf zwei Arten verneinen: „Nicht alle Menschen in Filmen sind Schauspieler*innen“ und „Kein Mensch ins Filmen ist Schauspieler*in“. Da nenn mich einer 1 Pimmel! Haben wir etwa gerade den Satz vom ausgeschlossenen Dritten widerlegt?

Aristoteles sagt dazu, dass wir unterscheiden müssen zwischen Aussagen über Individuen, etwa Marlene Dietrich im Beispiel eben, und allgemeinen Aussagen. Etwa: Alle Schauspielerinnen. Später wurde diese Unterscheidung in der Logik noch weiter präzisiert. Demnach gibt es Existenzaussagen oder auch Partikularaussagen.

Es gibt ein X, dieses X ist Marlene Dietrich und dieses X ist die Schauspielerin in „Der blaue Engel. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Allaussagen: Für alle x gilt, wenn sie in Filmen mitspielen, dann sind sie Schauspieler*innen.

Und beim letzten Fall können wir einerseits die Allaussage negieren. Also sagen, dass das Prädikat zwar ganz knorke ist, aber eben nicht auf alle X zutrifft, so wie das Metaverse möglicherweise eine gute Idee ist, aber äh … Nein, sorry, mir fällt kein Fall ein, indem Marcs  – Oh, hi Marc – Metaverse eine Gute Idee ist …

Hingegen können wir durchaus zu dem Schluss kommen, dass nicht alle X in Filmen Schauspieler*innen sind. Andererseits können wir aber auch sagen, „wenn X in Filmen mitspielen, dann sind sie keine Schauspieler*innen.  In diesem Fall sprechen wir noch immer über alle X, sagen aber diesmal, dass das Prädikat diesen X niemals nicht zugesprochen werden kann. Aristoteles nennt diesen letzten Fall das konträre Gegenteil.

Eine kleine Nebenbemerkung noch an dieser Stelle, um noch einmal die Metaphysik anzuteasern … Denn hier steckt noch ein weiterer Unterschied drin, der uns dann in der Metaphysik noch viele Schwierigkeiten machen wird: „Marlene Dietrich“ gehört zur Kategorie der Substanzen und sie ist ein Individuum. „Schauspielerin“ gehört ebenfalls zur Kategorie der Substanzen, aber es ist ein Gattungsbegriff in Aris Terminologie. Der Begriff bezeichnet also eine Gruppe von Individuen. Behaltet diese Unterscheidung schon einmal im Hinterkopf, denn sie wird noch sehr wichtig werden.

Halten wir für die Logik fest: Allaussagen oder allgemeine Aussagen in der Terminologie Aristoteles‘ haben sowohl ein konträres Gegenteil. Das konträre Gegenteil von „Mark Forster macht immer gute Musik“ – was offensichtlich falsch ist – ist: „Mark Forster macht nie gute Musik“

Diese Sätze haben aber auch eine Kontradiktion: Mark Forster macht nicht immer aber manchmal gute Musik. Nein, dieses Beispiel ist selbst den Philosoph*innen zu unrealistisch. Nehmen wir lieber:

Alle Menschen in Filmen sind Schauspieler*innen.

Und

Nicht alle Menschen in Filmen sind Schauspieler*innen.

Ein wichtiger Unterschied zwischen einer kontradiktorischen Beziehung und einer konträren ist, dass bei der Kontradiktion immer genau ein Satz wahr und ein Satz falsch sein muss. Während bei konträren Aussagen zwar nicht beide Sätze wahr sein können, wohl aber beide falsch. Um euch mit einem Standard-Beispiel der Philosophie zu quälen: Sowohl „Alle Schwäne sind weiß“, als auch „Kein Schwan ist weiß“ sind falsch, denn wahr ist „Einige Schwäne sind weiß“. Es müssen aber auch nicht beide Sätze falsch sein, wie das Mark-Forster-Beispiel gezeigt hast.

Allaussagen und Partikularaussagen

Schauen wir, was es noch für logische Relationen in diesem Quadrat gibt: Die Kontradiktion einer Allaussage ist immer die Negation einer Partikularaussage. Denn wenn es nur einen Menschen in Filmen gibt, der nicht Schauspieler ist, dann kann die Allaussage nicht wahr sein. Entsprechend ist die Kontradiktion zu:

Kein Mensch in Filmen ist Schauspieler*in.

(Mindestens) Ein Mensch in Filmen ist Schauspieler*in.

Denn ein einziger Mensch reicht, damit die Aussage nicht wahr sein kann. Wie sieht es aus mit einer Partikularaussage und ihrer Negation? Da wir schon gelernt haben, dass es genau eine Kontradiktion gibt, können die beiden sich nicht ausschließen. Die Negation der Allaussage ist ja bereits die Kontradiktion der Partikularaussagen. Und genauso ist es auch! Beide sind wahr:

Einige Menschen sind  Schauspieler*in.

Einige Menschen sind nicht  Schauspieler*in.

Die beiden Sätze sind kein Widerspruch, sie können sich ja auf verschiedene Menschen beziehen. Man nennt dieses Verhältnis auch subkonträr.

Hier sehen wir übrigens wieder diesen Unterschied bei den Substanzen, den ich nicht aufhöre, anzuteasern. Denn „Mensch“ war ja eine Substanz genau wie „Marlene Dietrich“. Aber Wir können nicht sagen, dass auch diese beiden Sätze wahr sind:

Marlene Dietrich ist Schauspielerin.

Marlene Dietrich ist nicht Schauspielerin.

Es scheint also innerhalb von Substanzen einen großen Unterschied zu geben. So groß, dass wir uns fragen müssen, ob wirklich beide Kategorien der gleichen Art sin. Ich denke, wir sind hier etwas Großem auf der Spur … Grund genug also, um diese Spur fallen zu lassen und stattdessen zur Logik zurückzukehren. Und ich weiß, dass wird langsam so ermüdend wie ein Film von Terrence Malick. Aber Systematik war eben Aris ganz persönlicher Kink und Logik ohne Systematik ist Schmutz, also lasst es uns nach Hause bringen.

Das logische Quadrat

Das Ganze lässt sich jetzt in unser Quadrat packen, wie ich bereits in der Einleitung anteaserte, falls ihr euch noch daran erinnern könnt.  Meine Folgen haben bald so viele Teaser wie der Abspann eines Marvel-Films. Falls ihr euch nicht mehr an das logische Quadrat erinnern könnt, kann ich es euch nicht verübeln, denn mir raucht auch der Kopf. Aber bleibt noch kurz dran, dann haben wir es geschafft: Wir haben Allaussagen und Partikularaussagen. Diese können wir bejahen oder verneinen.

A sind unsere Allaussagen

I sind Partikularaussagen

E sind die Negation der Allaussagen

Und O die Negation der Partikularaussagen
Das logische Quadrat

Konträr sind Allaussagen A und ihre Negation E:

Alle Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Kein*e Tiktoker*in ist laut und aufgekratzt.

Kontradiktorisch verhalten sich Allaussagen A und die Negation von Partikularaussagen O:

 Alle Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind nicht laut und aufgekratzt.

Sowie die Negation der Allaussagen E und die Partikularaussagen I:

Kein*e Tiktoker*in ist laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Subkonträr sind Partikularaussagen I und ihre Negation O:

Einige Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind nicht laut und aufgekratzt.

Schließlich gibt es noch das Verhältnis Subaltern (das ich bislang noch unerwähnt ließ). Das bedeutet, dass ein Satz einen anderen impliziert. Das also ein Satz schon in einem anderen steckt:

Alle Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind laut und aufgekratzt.

Wenn die Allaussage wahr ist, dann ist notwendig auch die Partikularaussage wahr. Genauso verhält es sich mit der Negation:

Kein*e Tiktoker*in ist laut und aufgekratzt.

Einige Tiktoker*innen sind nicht laut und aufgekratzt.

Beide sind wahr. Alter! Was für ein Hazzle. Ich wünschte ich könnte sagen, das war es jetzt mit dem Stress. Allein: This is just the beginning. Wir stehen erst ganz am Anfang der Logik! Doch damit machen wir beim nächsten Mal weiter. Jetzt haben wir uns erstmal ein Bier verdient! Das ist mal wieder so eine Folge bei der ich mich wundere, ob Leute bis zum Ende aufgepasst haben. Philosophie ist eben nicht immer fluffig und leicht, sondern kann auch anstrengend sein. Wenn ihr es also bis hier hin geschafft habt, dann postet doch mal ohne weitere Erklärung „Marlene Dietrich ist Tiktokerin“ in die Kommentare, damit wir die Crowd da draußen verwirren können …

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Zur weiteren Recherche über Aristoteles

Aristoteles – Die Kategorien *
Aristoteles – De Interpretatione *
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Demut

eine Begriffsbestimmung

[Dieser Blogpost ist so lang, dass du schon wahnsinnig sein musst, wenn du ihn komplett liest. Daher kannst du einfach ans Fazit springen und den ganzen Schmonzes dazwischen auslassen. Dann wirst du feststellen, dass das Fazit so interessant ist, dass du auch das davor lesen willst und insgesamt noch viel mehr Zeit verplempern: Das Zeitreisenparadoxon.]

Zum Fazit springen

Besinnlich wird es zum Advent auch im deutschsprachigen Internet. Da kann es dann auch mal vorkommen, dass sich ein paar Blogger an den Begriff der Demut heranwagen. Ausgelöst wurde die Begriffsbestimmung vom Haltungsturnen, es folgten wirres.net und – logischerweise – Anmut und Demut.

Demut

Demut. Bild von mir. Lizenz: CC BY 3.0.

Ich finde es erstaunlich, dass auf der Klaviatur der ethischen Begriffe ausgerechnet auf diese Taste gedrückt wurde. Und das gleich drei Mal! Ich hätte vermutet, dass der Begriff schon längst vom Strom des Sprachwandels hinfortgespült worden ist. Zumindest in meinem abschließenden Vokabular spielt das Wörtchen keine Rolle mehr. Und fast noch erstaunlicher finde ich, dass alle drei Interpreten den Begriff der Demut positiv deuten, während ich es bei ihm eher mit Nietzsche halte. Doch eines nach dem anderen, schauen wir doch erst einmal, was die drei demütig zu verkünden haben. Denn das ist mein eigentliches Anliegen: hier kann man mal richtig schön Sprachanalyse betreiben und ganz im Sinne Wittgensteins „dem Volk“ aufs Maul schauen. Also: Was ist Demut?

Haltungsturnen + Pferde + Kinder = Demut

Ich musste schon ein wenig Schmunzeln, als ich über der Überschrift „Demut“ den Slogan von Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbachs Seite las: „Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz“. Hmmm… Nicht gerade demütig, oder? Im Gegenteil: Ist nicht gerade das „Unten“ der Ort der Demut? Aber das nur am Rande…

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach geht seine Definition in platonischer Tradition extensional an, indem er sich fragt, was unter den Begriff fällt beziehungsweise was ihn demütig macht:

„Kinder und Pferde machen demütig. Mich jedenfalls. Anderen wird es vielleicht mit anderem so gehen. Aber Kinder und Pferde erinnern mich immer wieder daran, wie zufällig so vieles ist, wie wenig binär, eindeutig, plan- und beherrschbar.“

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach: Demut.

In diesem Absatz stecken schon drei spannende Aspekte des Begriffs:

  1. Demut ist ein innerer Zustand. Anders als zum Beispiel Freiheit hat die Gesellschaft darauf keinen Einfluss. Egal welchen äußeren Einflüssen ich unterliege, ich kann immer demütig sein.
  2. Demut bezieht sich auf etwas. Es ist kein alleinstehender Wert. Wieder verglichen mit der Freiheit zeigt sich der Unterschied. Freiheit ist absolut. Ein unveräußerliches Recht. Es gibt sowohl die Freiheit von etwas, als auch die Freiheit zu etwas. Demut hingegen steht immer in einer Relation zu einem anderen Wert.
  3. Demut hat etwas mit Bewusstmachen zu tun. Luenenbuerger-Reidenbach erinnert sich an etwas, das macht ihn demütig.

So weit, so gut.

Aus dieser ersten Annäherung an den Begriff zieht Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach aber sogleich einen falschen Schluss, indem er technikpositivistischen Menschen und Technokraten Demut abspricht. Aber warum sollte das so sein? Alle drei oben erwähnten Bedeutungsaspekte von Demut kann ich auch auf Technikpositivismus oder Technokratie anwenden. Es gibt keine intrinsischen Bedeutungsaspekte von Technikpositivismus oder Technokratie, die mit Demut im Widerspruch stehen. Ich kann sehr demütig daruf hoffen, dass der Replikator erfunden wird und mit ihm der Hunger der Welt endet. Genauso kann ich als Technokrat vor jeder Regierungsentscheidung Wissenschaftler befragen, um dann ganz demütig zu einer Entscheidung zu kommen. Luenenbuerger-Reidenbach zieht diesen Schluss, um damit implizit einen weiteren, zentralen Bedeutungsaspekt von Demut einzuführen:

„Ob es wirklich und ernsthaft Menschen geben kann, die sich nicht nur einzureden versuchen (ob aus Schwäche und Unsicherheit oder aus Kalkül), sie könnten die Zukunft vertraglich regeln oder die Funktionsweise von irgendwas mit Menschen oder der Natur mithilfe von Gesetzmäßigkeiten erklären und vorhersagen.“

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach: Demut.

Demut ist das Gegenteil von Hybris, Arroganz und Hochmut. Sie ist verwandt mit Bescheidenheit. Allerdings muss ich noch einmal betonen, dass Luenenbuerger-Reidenbach keinerlei Argument liefert, warum Technikpositivismus oder Technokratie nicht auch demütig sein können. Seine vemeintliche Schlussfolgerung ist ein purer Sophismus. Karl Poppers Stückwerk-Sozialtechnik ist ein äußerst technokratischer Ansatz. Aber gerade im Wissen um seine eigene Fehlbarkeit erscheint er mir demütig, in dem Sinne in dem Luenenbuerger-Reidenbach den Begriff verwendet. Letzterer benutzt die Demut hier als nichts anderes, denn als Buzzword um seine Abneigung gegenüber Technokratie und Technikpostivismus zur Schau zu stellen. Technikpositivismus und Technokratie sind böse weil Demut! Eine Begründung lässt er aus.

Aus dieser Einstellung heraus folgt im Haltungsturnen ein Rant über den Begriff des Naturgesetzes, den wir hier vernachlässigen können, weil er m. E. auf einer falschen Definition des Begriffs aufbaut. Interessant ist noch dieses Zitat bevor wir uns den Wirren von wirres.net zuwenden:

„Nur Wesen, die wir gebrochen haben, ergeben sich in die Beherrschbarkeit“

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach: Demut.

Denn meinem Verständnis nach gibt es noch etwas anderes, das Beherrschbarkeit über Jahrhunderte hinweg ermöglicht hat: Demut. Ich werde das später noch weiter ausführen.

Wahrheit und Fehlbarkeit

„Madame Kovarian: Good men have too many rules.
The Doctor: Good men don’t need rules. Today is not the day to find out why I have so many.“

Doctor Who: A Good Man Goes to War.

Da dieser Text schon jetzt langsam tl;dr wird, möchte ich zu Felix Schwenzel und seinem Demut-Text voranschreiten. Denn dieser bringt mein Problem mit der Demut sogleich auf den Punkt, auch wenn sein Autor es negiert:

„für mich spielt der bedeutungsaspekt [sic! Stellvertretend für jedes kleingeschriebene Substantiv, das noch kommt; db] der unterwürfigkeit weniger eine rolle, als die bescheidenheit. und zwar nicht bescheidenheit im sinne von understatement, sondern im sinne eines eingeständnisses der eigenen fehlbarkeit.“

Felix Schwenzel: Demut.

Hier haben wir also drei weitere Bedeutungsaspekte von Demut:

1. Unterwürfigkeit
2. Bescheidenheit
3. Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit

Schwenzel fährt fort, indem er auch wieder die innere Haltung ins Spiel bringt, kombiniert mit Toleranz und Respekt:

„eine haltung, die den austausch und die kommunikation mit anderen menschen erleichtert, aber auch den umgang mit und das verständnis der welt.“

Felix Schwenzel: Demut.

Dann macht er etwas spannendes, nämlich die epistemologische Wende des Begriffs der Demut:

„…sogenannten wahrheiten immer differenziert, skeptisch und mit demut zu begegnen. denn ich bin überzeugt davon, dass menschen, die glauben im besitz der wahrheit zu sein, die welt zur hölle machen.“

Felix Schwenzel: Demut.

Er setzt hier Demut in Relation zu Skepsis und differenzierter Betrachtung in Bezug auf die Wahrheit. Das begründet er dann moralisch. Menschen, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen, werden zu Tyrannen. Das ist ein spannender Punkt, den ich partiell teile, wenngleich ich ihn wesentlich vorsichtiger formulieren würde. Denn ich glaube nicht, dass die Gewissheit, dass ich jetzt eine Hand hochhalte, mich in die Gefahr bringt, tyrannisch zu werden. Da ich Felix Schwenzel auch nicht unterstellen möchte, dass er so weit gehen würde, ist mit der Gewissheit, also dem Besitz der Wahrheit, auf den er sich bezieht, wohl etwas anderes gemeint. Eine besondere Form der Gewissheit: das Wissen darum, was moralisch richtig ist. Menschen, die sich dessen gewiss sind, die ihre Handlungen nicht hinterfragen, sind gefährlich. Sie sind nicht demütig.

„das eingeständnis von fehlbarkeit bedeutet keinesfalls, dass man nicht felsenfest von etwas überzeugt sein kann. solange man diese überzeugung, wie ein guter wissenschaftler, als hypothese betrachtet, die durch neue fakten, andere blickwinkel oder perspektiven neu evaluiert oder formuliert werden muss.“

Felix Schwenzel: Demut.

So fährt Schwenzel fort. Auch das ist wieder ein sehr schöner Gedanke, denn er versteht Demut hier als moralische Falsifikation. Aber auch hier geht er wieder zu weit, indem er dann folgert:

„genaugesehen sind alle unsere urteile vorurteile. wir können versuchen unsere urteile auf eine möglichst breite basis zu stellen, aber niemals ausschliessen, dass wir etwas übersehen oder vergessen haben.“

Felix Schwenzel: Demut.

Es gibt vier Arten von Urteilen:

  1. die Abduktion (Schluss von einem Einzelfall auf etwas Allgemeines)
  2. die Induktion (Schluss von einer Reihe von Einzelfällen auf etwas Allgemeines)
  3. die Deduktion (Schluss vom Allgemeinen auf einen Einzelfall)
    und
  4. die Analogie (Schluss von einem Einzelfall auf einen anderen Einzelfall aufgrund einer Ähnlichkeit)

Und nur 1. und mit Einschränkungen noch 2. sind Vorurteile. Nicht hingegen, dass Sokrates sterblich ist, wenn er ein Mensch ist und alle Menschem sterben (3.). Oder dass die 1. Person singular im Futur I von „möpen“ „ich werde möpen“ lautet, weil die 1. Person singular im Futur I von „sagen“ genau so gebildet wird (4.).

Doch das nur am Rande, denn Felix Schwenzel liefert uns noch weitere Bedeutungsaspekte von Demut:

„demut muss man lernen. sie ist ein erkenntnisprozess und nichts schwermütiges oder trübsinniges.“

Felix Schwenzel: Demut.

Während er den Lernaspekt mit der Abduktion seiner eigenen Kindheit begründet, lässt Schwenzel den zweiten Teil der Hypothese etwas wirr unbegründet stehen. Das ist schade, denn das sind genau die Konnotationen von Demut, die mir den Begriff unangenehm machen. Genau diese Argumentation wäre also für mich die eigentlich spannende gewesen.

Platz halten: Demut!


Kommen wir zum letzten Teil unseres Triptychons: anmut und demut. Benjamin Birkenhake beginnt seinen Beitrag zur Demut etwas konfus:

„Im Titel dieses Blogs verwende ich „demut“ in zwei Bedeutungen: Zum einen als Platzhalter für alles Gute und Wahre – im Zusammenspiel mit „anmut“ als Platzhalter für alle Schöne und Faszinierende. Obschon mir die Demut eigentlich eine relative Tugend scheint, weil man jemandem, oder anderen gegenüber demütig ist, im Zweifel im Verhältnis zu seinem vorherigen Ich, scheint sie mir eine Primärtugend zu sein. Man kann nicht demütig sein und zugleich ein KZ führen. Sie ist eine der Tugenden, die uns vor der Barbarei rettet.“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Zum einen fehlt mir das „zum anderen“ hier und zum anderen macht Birkenhake mehr als zwei Bedeutungen auf:

  1. Demut ist Platzhalter für alles Gute und Wahre. Hat also irgendetwas mit Erkenntnis und Moral zu tun.
  2. Demut ist eine relative Tugend – den Aspekt hatten wir oben schon bei Luenenbuerger-Reidenbach. Doch anders als beim Haltungsturnen wird hier die Demut nicht in Relation zu einem anderen Wert sondern zu einer anderen Person gesetzt. Sofern ich diesen wirklich konfusen Satz richtig auslege, kann die andere Person auch man selbst in der Vergangenheit sein. Was auch immer das bedeuten mag.
    Da Benjamin Birkenhake uns sicher nicht das Zeitreisenparadoxon erklären will, scheint er wohl zu sagen, dass man sich demütig gegenüber Positionen zeigen soll, die man selbst früher mal vertreten hat. Oder bin ich total auf dem Holzweg? Mir erschließt sich das überhaupt nicht: Wenn ich zu einer neuen Erkenntnis gelangt bin, etwa dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist, warum soll ich dann Demut vor meinem Ich haben, das noch dem Irrglauben verhaftet ist, dass unsere Erde Pizzagestalt hat? Vielleicht meint er wohl doch das Zeitreisenparadoxon…
  3. Demut ist eine Primärtugend
  4. Demut schützt vor Barbarei

Spannend ist wohl vor allem 3. und die Frage, was Birkenhake unter „Primärtugend“ versteht. Leider lässt er den Begriff hier ganz isoliert ohne Erläuterung stehen. Möglicherweise meint er Kardinaltugend, aber das ist ein weiteres Mal bloße Spekulation. Und ein Blick in die Wikipedia genügt, um festzustellen, dass die Demut gerade nicht dafür bekannt ist, eine Kardinaltugend zu sein. Allerdings schreibt Birkenhake ja, dass sie für ihn eine Primärtugend ist. Jedoch ergibt sich daraus ein anderes Problem, dem ich mich gleich noch widmen werde.

„Zum anderen ist sie mir – wie ich oben schon erwähnt habe – vor allem eine Mahnung.“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Ahhh, da ist „das andere“. Da schlägt jemand lange Bögen – das mag ich. Aber was lernen wir von ihm hier über die Demut? Demut ist eine Mahnung oder Lektion. Die Demut wird von ihm erneut in Relation zum Erinnern gesetzt. Aber Birkenhake erinnert nicht – wie oben Luenenbuerger-Reidenbach – ein Drittes an Demut. Stattdessen muss er sich selbst an sie, die Demut, erinnern: ermahnen. Demut ist ferner ein Prozess, eine Persönlichkeitsentwicklung. Allerdings er schließt an, dass diese Entwicklung nie abgeschlossen ist. Da stellt sich mir die Frage, ob man dann wirklich von einer „Entwicklung“ sprechen kann. Gehört es nicht zum Begriff der Entwicklung, dass sie irgendwann abgeschlossen ist? Zumindest wenn sie nicht gestört wird. Was Benjamin Birkenhake hier anspricht scheint eher ein innerer Kampf zu sein. Es gibt einen demütigen und einen hochmütigen Aspekt meines Charakters, die sich bekämpfen und ich muss mich zeitlebens bemühen, dass der Hochmut nicht gewinnt.

Mit Anmut und Demut fährt Benjamin Birkenhake fort, dass die Demut für ihn eine „säkulare“ Tugend ist. Diese Idee führt ihn stilistisch zur anfänglichen Konfusion zurück, denn Demut sei eine Überzeugung, nicht rational sondern ein Glaube. Er meint sogar, aus rationalen Gründen demütig zu sein, sei quatsch. Aber – und hier schreit die Kontradiktion schriller als Oskar Matzerath – die Demut sei ein „säkularer Glaube“.

„Es bedarf keiner Metaphysik, keinen religiösen Elementen, um Demut als Position zu wählen. Und das Praktizieren von Demut erfordert weder Glauben, noch Ritaule. Demut ist neben der Selbstbeurteilung zuerst ein Verhaltensmuster anderen gegenüber.“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Sorry Herr Birkenhake, aber bitte kriegen Sie mal Ihre Terminologie auf die Reihe!

Zum ersten: Welchen Metaphysikbegriff hat er? Es liest sich so, als würde er „Metaphysik“ mit „Religion“ gleichsetzen, das aber ist eine steile These. Ich bediene mich hier mal der Wikipedia, die die Fragestellungen der Metaphysik folgendermaßen wiedergibt:

„Gibt es einen letzten Sinn, warum die Welt überhaupt existiert? Und dafür, dass sie gerade so eingerichtet ist, wie sie es ist? Gibt es einen Gott/Götter und wenn ja, was können wir über ihn/sie wissen? Was macht das Wesen des Menschen aus? Gibt es so etwas wie „Geistiges“, insbesondere einen grundlegenden Unterschied zwischen Geist und Materie (Leib-Seele-Problem)? Besitzt der Mensch eine unsterbliche Seele, verfügt er über einen Freien Willen? Verändert sich alles oder gibt es auch Dinge und Zusammenhänge, die bei allem Wechsel der Erscheinungen immer gleich bleiben?“

Wikipedia: Metaphysik.

Wie wir sehen, umfasst Metaphysik weit mehr als bloß Fragestellungen der Religion. Ferner widerspricht sich Birkenhake indem er plötzlich behauptet, Demut erfodere keinen Glauben. Also Demut ist ein Glaube erfordert aber keinen Glauben? Ich glaube wir sind hier wieder beim Zeitreisenparadoxon angelangt…

Statt dessen wird Demut in anmut und demut nun als Selbstbeurteilung und Verhaltensmuster anderen gegenüber erklärt. Dafür gibt es einen Terminus in der Philosophie: Ein Wert oder – wie es oben schon stand – eine Tugend. Nix mit Glaube oder so. Das sind zwei Paar Schuhe. Ich glaube… aber das ist einmal mehr bloße Spekulation … dass Benjamin Birkenhake hier auf die Letztbegründungsproblematik hinaus will. Ich kann eine Ethik nicht letztbegründen. Warum das so ist, habe ich bereits hier und hier ausgeführt. Den Weg, den die theistischen Religionen gehen, um ihre Ethik zu begründen ist das Dogma. Sie begründen jeden Wert und jede Norm mit: „Weil Gott es so will“. Möglicherweise versucht uns Birkenhake zu sagen, dass er auf diese Letztbegründung verzichten will, stattdessen will er die Demut selbst als letzten Grund ansetzen. Das wäre natürlich logisch keinen Deut besser als Gott, denn damit erhebt er sich selbst zum Maß aller Dinge. Und der belesene Platonkenner weiß, dass daraus der performative Widerspruch folgt. Aber das möchte ich hier nicht weiter ausführen, denn wie gesagt, ist das bloße Spekulation und ich habe nicht einen blassen Schimmer ob es das ist, was Birkenhake uns sagen will, oder ob er auf etwas ganz anderes hinaus will. Schauen wir mal, was er sonst noch zu sagen hat.

„Ich denke hinter der Demut steht vor allem die Überzeugung und Erfahrung, dass eine ganze Reihe von Glücksversprechen mit denen wir aufwachsen nichts als Irrlichter sind. Karriere, Wohlstand, Ansehen, Macht …“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Hier kommen wieder die Bescheidenheit und die Skepsis zum Vorschein. Demut sei ein Wegweiser, der auf die kleinen Freuden im Leben verweise. Weniger ist mehr, mit anderen Worten: Genügsamkeit wird hier als ein Bedeutungsaspekt von Demut hervorgehoben. Birkenhake fährt fort, dass demütig Interagieren mit anderen bedeutet, „Rücksicht und Gnade“ walten zu lassen. Und schließlich charakterisiert er die Demut als diejenige Tugend, die hinter Rawls „Schleier des Nichtwissens“ steckt.
Puuuh… That’s a tough one. Denn Rawls Schleier basiert ja auf der Idee, dass alle Akteure in einer Gesellschaft zunächst einmal nicht demütig sondern egoistisch agieren. Erst wenn sie nicht wissen, wo sie in der Gesellschaft stehen, sind sie bereit anderen Güter zukommen zu lassen, aus Angst selbst benachteiligt zu werden. Aber das heißt ja nicht, dass Birkenhake unrecht hat. Gewissermaßen könnte man den Schleier als Metapher für die Demut verstehen. Das würde Demut eine altruistische Bedeutungskomponente geben…

Benjamin Birkenhake schließt, indem er zu Luenenbuerger-Reidenbachs Kindern und Pferden zurückgekehrt. Er übersetzt diese, indem er demütig noch einmal darauf hinweist, dass er (und ich möchte ergänzen: „und ich und du“) nur einer (drei) Menschen von sieben Milliarden sind.

Die Quintessenz: Was ist Demut?

So, nun haben wir die drei Blogposts erfolgreich analysiert. Schauen wir also mal, was hinten raustropft, wenn wir den Begriff der Demut auswringen. Welche Bedeutungsaspekte hat „Demut“?

  1. Demut ist ein innerer Zustand
  2. Demut ist eine Relation, kein alleinstehender Wert
  3. Zur Demut gehört, sich etwas bewusst machen
  4. Demut ist das Gegenteil von Hybris, Arroganz und Hochmut
  5. Zur Demut gehört Bescheidenheit
  6. Unterwürfigkeit
  7. Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit
  8. Skepsis
  9. Differenzierte Betrachtung in Bezug auf die Wahrheit
  10. Zweifel, was moralisch richtig ist
  11. moralische Falsifikation
  12. Demut muss man lernen
  13. Demut ist Platzhalter für alles Gute und Wahre. Hat also irgendetwas mit Erkenntnis und Moral zu tun.
  14. Demut kann eine Relation zu einem anderen Wert oder zu einer anderen Person sein
  15. Demut ist eine Primärtugend
  16. Demut schützt vor Barbarei
  17. Demut ist eine Mahnung oder Lektion
  18. Demut ist ein Prozess, eine Persönlichkeitsentwicklung oder ein innerer Kampf
  19. Eine Überzeugung
  20. Ein Glaube
  21. Selbstbeurteilung und Verhaltensmuster anderen gegenüber
  22. Ein Wegweiser
  23. Genügsamkeit
  24. demütig Interagieren mit anderen bedeutet, „Rücksicht und Gnade“ walten zu lass
  25. Rawls „Schleier des Nichtwissens“
  26. Altruismus

Diese allzu unordentlich Liste kann man in drei Bedeutungsfelder einteilen:

Zunächst einmal haben alle drei Autoren Bedeutungsaspekte hervorgearbeitet, die allgemein für Werte gelten und die die Demut im Wertespektrum verordnen. Das gilt allem voran für „Demut schützt vor Barbarei“. Uns vor Barbarei zu schützen, ist die grundsätzliche Aufgabe einer jeden Ethik. Die Decke der Zivilisation ist äußerst dünn und allen voran der Nationalsozialismus aber auch – in jüngerer Zeit – der Bosnien-Krieg oder der Völkermord in Ruanda haben gezeigt, wie leicht sie abgestreift ist. Ethische Regeln haben genau diese Aufgabe: Die zivilisatorische Decke schön festzurrren, um somit Barbarei möglichst zu verhindern. Dass Demut ein Wegweiser und eine Überzeugung ist, eine Mahnung oder Lektion, dass man sie lernen muss, dass sie eine Selbstbeurteilung und Verhaltensmuster anderen gegenüber ist und in ihrer Unbegründbarkeit sogar einem Glauben ähnelt, teilt die Demut mit allen anderen normativen Sätzen. Eben das machen sie zu einem Wert, einer Norm, einer Tugend. Demut als einen Prozess, eine Persönlichkeitsentwicklung oder ein innerer Kampf zu charakterisieren bedeutet genau ihren Kern als Tugend (und wie wir mit Tugenden umgehen) zu definieren.
Kommen wir zur Einordnung der Tugend im Wertespektrum: Als Tugend bezieht sich die Demut dann auf einen inneren Zustand. Sie verhält sich da genau wie etwa der Verzicht auf Neid, Missgunst oder Hass. Sie gibt weniger konkrete Handlungsanweisungen im Miteinander mit anderen Menschen wie die Gerechtigkeit oder die Freiheit (im Sinne vom Zugestehen von Freiheiten) sondern bezieht sich auf unsere Gefühle unsere Einstellungen der Welt und unseren Mitmenschen gegenüber. Das kombiniert die Demut mit ihrem relationalem Charakter. Man ist in Bezug auf etwas oder jemanden demütig. Was dieses andere ist, demgegenüber man demütig ist, ist nun sehr schwer zu fassen, denn es scheint weitgehend eine subjektive Entscheidung zu sein.

Diese subjektive Entscheidung spiegelt sich im zweiten Bedeutungsfeld, das unsere Autoren aufgemacht haben, in dem sie sich mit den Zweifeln und der Bewusstmachung herumgeschlagen haben. Auf der Suche nach etwas, demgegenüber ich demütig sein sollte oder sein kann, muss ich zunächst meine eigene Fehlbarkeit eingestehen. Das ist eine Krux, denn das impliziert natürlich auch, dass der Wert der Demut ein Irrtum sein kann. Ich muss gegenüber meinen eigenen Überzeugungen und gegenüber den (moralischen) Gewissheiten anderer immer Skepsis an den Tag legen. Ich muss stets bereit sein, vermeintliche Wahrheiten differenziert zu betrachten, Zweifel haben, was moralisch richtig ist und in eben diesem Zweifel meine moralischen Werte auch falsifizieren.

Und diese Einstellung, der Zweifel und die Vorsicht führen uns dann zum dritten Bedeutungsfeld der Demut. Denn aus ihnen folgt die Bescheidenheit, die Genügsamkeit und der Altruismus. Ich muss mich vor der eigenen Hybris, Arroganz und dem eigenen Hochmut in Acht nehmen. Meinen Mitmenschen gegenüber „Rücksicht und Gnade“ walten lassen, auch wenn es sich arg mittelalterlich-christlich anhört. Doch genau das führt uns zu der letzten Bedeutungskomponente der Demut, die zweifellos da ist, auch wenn sie wie das ungeliebte Kind in den Keller gesperrt wird. Vielleicht wird sie sogar nur von der Demut konnotiert, doch sie lässt sich nicht verleugnen, selbst wenn unsere Autoren betonen, dass sie ihnen nicht so wichtig ist. Zur Demut gehört eben auch die Unterwürfigkeit. Und sie ist die „dunkle Seite der Macht“. Sie ist genau jener Aspekt an der Demut der mich stört und der sie aus meinem abschließenden Vokabular verbannt hat.

Doch bevor ich zu diesem letzten Kapitel dieses langen, allzu langen, Textes voranschreite, möchte ich noch eines zur Bedeutung der Demut sagen: Aus alldem – besonders aus der Relationseigenschaft und dem inneren Wert, schließe ich, dass die Demut gerade keine Primär- oder Kardinaltugend ist, sondern immer nur gut und wichtig, wenn sie richtig eingesetzt wird.

Demut und Unterwürfigkeit

Die Dame und meine Tochter (6) lesen gerade „Der Kleine Ritter Trenk und fast das ganze Leben im Mittelalter“* von Kirsten Boje. Meine Tochter erzählte mir daraufhin, dass die meisten Menschen im Mittelalter so arm waren, dass sie sich nicht einmal Feuerholz leisten konnten und im Winter frieren mussten.

Darauf ich so: Warum sind sie dann nicht einfach in den Wald gegangen und haben Holz gesammelt.
Sie so: Weil der Wald dem Fürsten gehört.
Ich so: Wenn sie keine Bäume fällen, sondern einfach sammeln, was am Boden liegt, merkt der Fürst das doch gar nicht.
Sie so: Aber der Fürst ist doch von Gottes Gnaden. Das darf man deshalb nicht.

Das ist Demut. Das ist die Unterwürfigkeit, die mit der Demut einhergeht. Das ist der Grund, warum Nietzsche das Christentum „Sklavenmoral“ nannte. Demut bedeutet nämlich auch immer, sich mit den herrschenden Verhältnissen zu arrangieren. Bloß nicht aufbegehren, sondern bescheiden sein. Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch demütig auf ein besseres Leben im Jenseits hoffen. Natürlich ist das kein Problem wenn alle kategorisch-imperativ demütig wären.

Aber wissta was? Die Welt ist nicht so.

Wir können uns nicht hinstellen, guten Willens demütig sein und uns dann wundern, dass die Welt dafür noch nicht bereit ist. Wir müssen verantwortungsethisch auch damit rechnen, dass es in der Welt auch Arschlöcher gibt, die versuchen die Ethik der Anständigen auszunutzen. Und dann heißt es aufstehen und dagegen rebellieren. Doch diese Rebellion ist eben nicht mit Demut vereinbar. Daher möchte ich auf die Demut verzichten. Skepsis, Zweifel, Altruismus, Genügsamkeit, Bescheidenheit sind Teil meines abschließenden Vokabulars, aber eben nicht die Demut. Weil Demut Unterwürfigkeit zumindest konnotiert.

Ich bin raus.

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