Platon – Die Anamnesislehre

Heute möchte ich zusammen mit euch den skeptischen Zweifel überwinden, dass Erkenntnis nicht möglich ist, dass wir also nicht zwischen wahr und falsch unterscheiden können und euch stattdessen Platons Ausweg zeigen: Die Anamnesislehre. Hier als Video oder darunter als Text.

Erinnert ihr euch noch an die Mäeutik von Sokrates? Also die Theorie, dass wir Wissen schon in uns tragen und man es nur – zum Beispiel durch geschicktes Fragen – zur Welt bringen muss? Ich hatte damals im dritten Sokrates-Teil die Frage gestellt, wo das Wissen denn herkommt, aber ich hatte euch keine Antwort darauf geliefert nur eine Analogie zu unseren heutigen Auffassungen von impliziten und expliziten Wissen.

Nun, Platon gibt eine Antwort: Dieses Wissen kommt daher, dass unsere Seele vor unserer Geburt die Ideen an einem überhimmlischen Ort, einem topos hyperuranios geschaut hat. Das ist die sogenannte Anamnesis-Lehre. Also die Lehre von der Wiedererinnerung. Implizites Wissen beweist nach Platon sowohl dass die Seele unsterblich ist, als auch, dass Ideen existieren. Hier benutzt er das Bild von der Tafel wieder: Unser Erkenntnisvermögen kommt nicht als leere Tafel (als Tabula Rasa) auf die Welt, auf die dann die Sinneseindrücke eingeprägt werden, stattdessen ist die Tafel bereits vorgeprägt. Sie strukturiert von Anfang an die Sinneseindrücke gemäß ihrer Vorprägung.

Jetzt mal ganz abgesehen von dem ganzen metaphysischen Unterbau. Die Erkenntnis, dass unsere Seele, unser Geist oder unser Gehirn keine Tabula Rasa ist, sondern selbst etwas mitbringt, um die Sinneseindrücke zu strukturieren, ist eine verdammt gute Theorie. Eine Theorie, die noch heute über 2300 Jahre später Bestand hat. Kant macht zum Beispiel klar, dass wir das Kausalitätsprinzip nicht empirisch beweisen können. Denn alle unsere Beweismethoden setzen die Existenz der Kausalität immer schon voraus. Mit anderen Worten: Unser Geist bringt das Konzept der Kausalität hervor. Oder in Platons Worten: Wir haben die Idee der Kausalität geschaut und daher war sie in unsere Seele vorgeprägt.

Ein anderes Beispiel: Der Linguist und Philosoph Noam Chomsky vertritt die Theorie, dass uns die Sprache angeboren ist. Und zwar glaubt er nicht nur, dass dem Menschen ein abstraktes Sprachvermögen angeboren ist, sondern meint, dass wir schon die Grammatik mit auf die Welt bringen und als Kleinkind nur lernen, zu differenzieren, welche der möglichen Grammatiken wir in unserer Sprachgemeinschaft verwenden. Sein Argument dafür ist, dass die Zeit, in der das Kleinkind Sprache lernt, zu kurz ist für die Leistung, die es schon mit 1,5 bis 2 Jahren hervorbringt. Obendrein ist nach Chomsky die Datenmenge, die das Kind als Input bekommt, viel zu gering, um so ein komplexes System wie die Grammatik zu erlernen. Er vergleicht die Komplexität der Grammatik einer Sprache mit der Quantenphysik. Und kein Kleinkind ist in der Lage, Quantenphysik zu lernen, aber alle lernen, zu sprechen.

Schließlich geht auch die Psychologie heute davon aus, dass unsere Gehirne einiges mit auf die Welt bringen, etwa die Fähigkeit, Muster zu erkennen. Ich hoffe, ihr versteht jetzt, dass Platon ein verdammtes Genie war und warum ich meine Platon-Staffel mit dem Zitat Alfred North Whiteheads begonnen habe:

„Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.“ 

Zurück zur Anamnesis-Lehre: In Platons Dialog ‚Menon‘ lässt Sokrates einen Sklaven ohne schulische Ausbildung geometrische Aufgaben lösen. Durch geschicktes Fragen führt Sokrates ihn zur Lösung. Da der Sklave diese Aufgaben nicht in dieser Welt gelernt hat, schließt Platon, dass seine Seele die Lösungen schon vor der Geburt gekannt haben muss und nun bloß dazu gebracht werden muss, sich wieder zu erinnern.

Platons Antwort auf die große Frage: Was ist Wissen? Lautet also: Die Wiedererinnerung an die Ideen, die unsere Seele vor ihrer Geburt geschaut hat. Das ist ein eleganter Ausweg aus dem Münchhausen-Trilemma, wenn man zweierlei akzeptiert:

  1. Dass die Ideenlehre stimmt – womit wir schon in Vergangenheit ein Problem hatten.
  2. Dass die Seele unsterblich ist – womit wir vielleicht in der Zukunft ein Problem bekommen werden.

Doch bevor wir uns Platons Unsterblichkeitsbeweisen und anschließend seinem Gottesbeweis zuwenden, werden wir beim nächsten Mal erst noch den Themenblock Erkenntnistheorie abschließen, indem wir uns fragen, was der alte Grieche zum Teilbereich der Wissenschaftstheorie zu sagen hat.

Platons philosophische Einflüsse

Platon – Der Philosophenkönig – Teil 3

Bevor wir beim nächsten Mal endlich anfangen, richtig tief in Platons Philosophie einzutauchen, müssen wir hier und heute noch ein letztes Mal Vorarbeit leisten und die Frage klären, welche philosophischen und gesellschaftlichen Strömungen den größten Einfluss auf Platon hatten. Wie immer könnt ihr das entweder euch als Video anschauen, oder darunter das Transkript lesen …

Sokrates’ Einfluss

Ohne jeden Zweifel übte Platons Lehrer Sokrates den größten Einfluss auf Platon aus. Von Sokrates übernahm Platon das Zentrale Thema seiner Philosophie: Die Suche nach dem Guten. Aber auch den Stil des Philosophierens, der für die kommenden zwei Jahrtausende dominieren sollte, hat Platon von Sokrates übernommen. Ich spreche von der Fokussierung auf logische Argumentation – das war eine Entscheidung die bei den vorsokratischen Sophisten noch nicht getroffen war, die dann aber ausgehend von Sokrates über Platon und Aristoteles zu philosophischem Mainstream wurde.

Das Kernstück von Platons Philosophie ist seine Ideenlehre. Und diese Ideenlehre ist ebenfalls eine direkte Antwort auf Sokrates und seine „Was ist…?“-Frage. Wir erinnern uns: Sokrates war stets bemüht, allgemeine Definitionen zu liefern und endete letztlich immer (natürlich vollkommen bewusst und absichtlich) in Aporien, also im ergebnislosen Abbruch seiner Untersuchungen. Platons Ideenlehre ist ein Ausweg aus diesem sokratischen Dilemma. Wir werden darauf zurückkommen.

Pythagoras

Neben Sokrates hatten Pythagoras und die Pythagoreer einen großen Einfluss auf Platon. Ich erwähnte ja schon, dass Platon in Italien mit ihrer Philosophie in Kontakt kam und dass er seine Akademie nach ihrem Vorbild gründete. Aber auch inhaltlich hatten sie großen Einfluss auf Platon. Die Pythagoreer kombinierten Mathematik und Logik mit sehr viel Mystizismus. Diese eigenwillige Kombination übernahm Platon direkt von ihnen. Aber der folgenschwerste Einschlag der Philosophie von Pythagoras ist die Theorie von der unsterblichen Seele. Pythagoras hatte den Glauben an die unsterbliche Seele auch nicht aus dem Nichts geboren, sondern von der religiösen Sekte der Orphiker übernommen und Platon übernahm ihn dann wiederum von Pythagoras. Platon sollte es aber nicht bei einem Glauben belassen. Denn wir sind Philosophen: Wir glauben nicht – wir beweisen! Entsprechend versuchte auch Platon zu beweisen, dass die Seele unsterblich ist. Ob ihm das gelungen ist, werden wir sehen.

Heraklit und Parmenides

Als die letzten großen philosophischen Einflüsse sind schließlich noch Heraklit und Parmenides zu nennen. Von Heraklit kennt ihr sicher alle den Poesiealbum-Spruch: „Alles fließt“. Dahinter steckt die philosophische Theorie, dass die Welt in einem stetigen Wandel ist. Ihr wisst schon:

„Du kannst nicht zweimal in denselben Fluss steigen“.

Platon übernahm all das, beschränkte es in seiner Theorie aber auf die Welt, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können und kombinierte das dann mit Parmenides. Parmenides war der LSD-Fan unter den Vorsokratikern, denn seiner Meinung nach müsse die Welt aus logischen Gründen unveränderbar sein, weswegen all unsere Sinneseindrücke bloße Täuschungen sind. Platon sollte es gelingen, mit seiner Ideenlehre diesen Widerspruch zwischen Heraklit und Parmenides aufzulösen.

Sparta

Zu guter Letzt darf nicht unerwähnt bleiben, dass der Stadtstaat Sparta und seine Verfasstheit großen Einfluss auf Platons politische Utopie hatte. Ausgerechnet Sparta! Die Typen, die Platon dereinst in die Sklaverei verkauft hatten. Die ganzen – nun ja – spartanischen Aspekte an Platons Staatsmodell und überhaupt Platons Ablehnung von sinnlichen Freuden sind ein direkter Einfluss des spartanischen Gesellschaftsideals.

So, nun haben wir aber wirklich den Bauplatz freigeräumt und sind bereit auf ihm Platons phantastischen Philosophie-Palast zu errichten. Da ihr alle das Höhlengleichnis kennt werde ich damit natürlich … nicht anfangen. Denn das Höhlengleichnis ist eigentlich nur eines von drei Gleichnissen, die Platon in seinem Dialog Der Staat vorträgt. Daher beginne ich beim nächsten Mal mit dem Sonnengleichnis.

Vielen Dank dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt. Wenn das hier euch gefällt, dann erzählt doch euren Freundinnen davon.

Literatur

Bilderquellen

Alle Bilder, bei denen keine Quelle angegeben wurde, stammen entweder von mir oder sind gemeinfrei. Die anderen Bilder stammen von:

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Der Geist in der Maschine

Dies ist die Geschichte des Geistes. Die Geschichte, wie die Menschen ihn verloren haben und die Maschinen den Geist vielleicht finden werden. Es geht um die Redewendung vom ‚Geist in der Maschine‘. Wir finden sie in der Popkultur in vielerlei Form, der Anime Ghost in the Shell referenziert sie genau wie der Film Ex Machina, aber auch in I Robot, Brazil, Futurama oder Akte X taucht sie auf. Verwendet wird sie, um auf den Zustand zu verweisen, in dem die künstliche Intelligenz uns ebenbürtig ist. Jüngst machte Furore, dass Googles AlphaGo das äußerst komplexe Spiel Go spielen kann. Aber nicht nur das: Der Computer hat sich das Spiel mittels Deep Learning sogar selbst beigebracht und obendrein kann er intuitiv entscheiden, was der richtige Zug ist. Wenn wir solche Formulierungen wie „selbst beibringen“ und „Intuition“ hören, dann flackert der Geist in der Maschine, den wir bislang nur aus Literatur und Film kannten, in der echten Welt auf. Doch auch wenn diese spezialisierte Intelligenz unglaublich beeindruckend ist, so wird es wohl noch ein paar Jährchen dauern, bis die Maschine einen echten Geist mit allgemeiner Intelligenz, Vernunft, Verstand, Kreativität, Selbstbewusstsein und freien Willen besitzen wird, wenn überhaupt …

Filmplakat zu Ex Machina. Copyright: DNA Films / Film4 Productions
Filmplakat zu Ex Machina. Copyright: DNA Films / Film4 Productions

Denn das Spannende daran ist, dass die Redensart vom „Geist in der Maschine“ sich ursprünglich gar nicht auf Computer und künstliche Intelligenzen bezog, sondern auf uns Menschen! Der Philosoph Gilbert Ryle prägte die Phrase 1949 in seinem Buch Der Begriff des Geistes, um unser menschliches Selbstverständnis zu kritisieren – das, was in der Philosophie der Leib-Seele-Dualismus genannt wird. Denn während wir gerade auf der Suche nach dem Geist für die Maschine sind, haben wir Menschen ihn längst verloren. Und diese Geschichte möchte ich euch erzählen.

SF65 - Her

Dieser Post ist Teil einer umfassenden Auseinandersetzung mit Spike Jonzes Film Her, in dem sich der Mensch Theo in die künstliche Intelligenz Samantha verliebt. In meinem Podcast Spätfilm habe ich bereits mit meiner Co-Hostin Paula und unserem Gast Christian über die Darstellung der Liebe zwischen Mensch und Maschine in Her gesprochen. In Christians Podcast Second Unit war ich zu Gast zur Diskussion über die Frage, ob die in Her gezeichnete Welt eine Utopie oder eine Dystopie ist. Und demnächst erscheint noch eine Folge des Podcasts Enough Talk, in der Paula und ich zusammen mit unserem Gastgeber Arne durch die Filmgeschichte reisen und uns fragen, welche Geschichten wir rund um künstliche Menschen gewöhnlich erzählt bekommen.

Wie wir Menschen den Geist fanden

Natürlich beginnt unsere Geschichte mit Platon. So, wie fast alles in der Philosophie mit Platon beginnt. Denn die Idee, dass der Mensch einen Geist hat, stammt ursprünglich vom griechischen Philosophen, auch wenn er noch gar nicht vom Geist sondern von der Seele sprach. Genauso natürlich werden jetzt manche einwenden, dass es vor Platon schon andere gab, wie die Pythagoreer oder die Orphiker, die davon sprachen, dass der Mensch eine Seele hat. Das stimmt, Platons Geist hat diese Idee nicht spontan hervorgebracht, sondern war kulturell geprägt. Aber dennoch ist Platon der Ausgangspunkt dieser Geschichte und zwar aus zwei Gründen: Zum einen ist er der erste, von dem ums komplette Texte mit zusammenhängenden Argumentationen erhalten geblieben sind. Zum anderen war sein Konzept vom Leib-Seele-Dualismus enorm wirkungsträchtig. Das zeigt nichts besser, als die Tatsache, dass das Christentum ursprünglich keine Seele kannte. Das hört sich für uns heute absurd an, aber ursprünglich glaubte das Christentum an die „Wiederauferstehung des Fleisches“. Man glaubte also, dass der Körper eines Menschen am Tag des jüngsten Gerichts wieder zum Leben erwachen und zwar nicht im Sinne einer Zombieapokalypse sondern so wie dies Jesus an Ostern vorgemacht haben soll. Erst als im Mittelalter die sogenannten Kirchenväter Platon gelesen hatten, tröpfelte die Idee vom Leib-Seele-Dualismus schließlich ins Christentum ein.

Aber was genau stellte sich Platon unter der Seele vor und in welchem Verhältnis steht sie zum Körper? Platon bezeichnet den Körper als das Gefäß für die Seele, ja, manchmal sogar als ihr Gefängnis. Seiner Vorstellung nach schwappen die Seelen an einem „überhimmlischen Ort“ in einer Art Eintopf rum und wenn dann ein Körper geboren wird, dann flutscht eine Seele in den Körper hinein. Nach dem Tod darf sie dann wieder in den überhimmlischen Eintopf zurückkehren. Nach Platon besteht die Seele aus drei Teilen. Zum ersten gibt es die Begierden, die natürlichen Triebe wie Hunger, Durst und der Sexualtrieb. Der zweite Teil ist die Vernunft und der dritte Teil sind die Gefühle, die Emotionen. An manchen Stellen sagt Platon übrigens, dass nur der vernünftige Teil der Seele unsterblich ist, an anderen bezeichnet er auch unsere innere Stimme, die wir beim Denken hören, als die Seele. Interessant ist, dass Platon die Seele nicht unbedingt im Kopf verortet, stattdessen ist irgendwie der ganze Körper von der körperlosen Seele beseelt.

Platons Leben

Mehr zu Platon könnt ihr auf meinem YouTube-Kanal sehen. In einer ausführlichen Staffel werde ich mich unter anderem auch mit Platons Seelenvorstellungen und seinen Unsterblichkeitsbeweisen beschäftigen.

Der menschliche Körper ist wie ein Uhrwerk nur schleimiger

Doch genug zu Platon, denn hier soll es doch eigentlich um die Idee vom Geist in der Maschine gehen. Die Frage ist also: Wie wurde aus der Seele der Geist? Dafür sorgte ein anderer großer Name in der Philosophie: René Descartes. Er machte aus dem Leib-Seele-Dualismus den Geist in der Maschine und er verlagerte den Geist auch endgültig in den Kopf.

Warum? Was war in der Zwischenzeit geschehen? Die Rennaisance und mit ihr der Beginn der philosophischen Epoche der Neuzeit! Die Rennaisance hatte vor allem zwei Innovationen gebracht, die unser Bild vom Leib-Seele-Dualismus maßgeblich beeinflussten. Zum einen war dies die Anatomie. Zwar hatten schon in der Antike Ärzte tote Menschen aufgeschlitzt, doch im Mittelalter war dieser Zweig der Medizin größtenteils als Sünde verboten gewesen. Männer wie Leonardo da Vinci oder Andreas Vesalius begannen nun wieder zu untersuchen, wie der menschliche Körper aufgebaut ist und hatten dabei große Schwierigkeiten, eine Seele zu finden. Stattdessen fanden sie etwas anderes, nämlich das Gehirn. Und dies kombiniert mit der zweiten großen Innovation sorgten für das Bild vom Geist in der Maschine. Diese zweite Innovation war das Mechanistische Weltbild. Dafür sorgten so Menschen wie Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler, Galileo Galilei und Francis Bacon. Mmmmh, Bacon … Äh, Tschuldigung! Das mechanistische Weltbild war dadurch geprägt, dass die Menschheit mehr und mehr erkannte, dass die Welt anscheinend kausal aufgebaut ist. Jede Wirkung in der Welt hat eine Ursache. Sei es nun im kleinen Maßstab, wo geschickte Ingenieurskunst dieses Prinzip nutzte um zahnrädergetriebene Uhrwerke zu entwickeln oder sei es im Großen, wo die Planeten sich auch nur deshalb bewegen, weil ursächliche Kräfte auf sie einwirken.

Die Entdeckungen der Anatomen passten nun hervorragend in dieses Weltbild. Anscheinend war der Mensch auch nichts anderes, als ein perfekt funktionierendes Uhrwerk, nur ein bisschen schleimiger. Aber war der Mensch das wirklich? Unser alltägliches Leben scheint uns etwas anderes zu erzählen. Während ein Uhrwerk solange das Gleiche macht, bis es kaputt geht, ist der Mensch kreativ. Wir verfügen über die Gabe der Spontaneität. Während in der mechanischen Welt alles inklusive unseres Körpers durch die Prinzipien der Kausalität bestimmt ist, ist unser Geist frei, nicht an die Gesetze von Ursache und Wirkung gebunden. Ich kann mich zum Beispiel jederzeit entscheiden, ob ich diesen Text weiterschreibe oder

 

Tumbleweed

 

Da bin ich wieder, wo war ich stehen geblieben? Ach ja, beim freien Willen. Unsere ganze Welt von der Erziehung über unsere Rechtssprechung bis zur Entscheidung, wo wir nach dem Tod die Ewigkeit verbringen, basiert auf der Idee, dass wir uns frei entscheiden können. Der freie Wille ist eine Idee, die scheinbar überhaupt nicht zusammenpasst mit dieser kausal-mechanischen Welt. Das motivierte Descartes dazu an Platons Dualismus festzuhalten: Wir besitzen nicht nur einen Körper, der dem Kausalitätsprinzip unterliegt, sondern in unserem Kopf sitzt zudem unser Geist, der nicht gebunden ist an die mechanische Welt.

Dies war lange Zeit die herrschende Lehre und auch heute noch, da sie schon lange bröckelt, zweifeln wir im Alltag nicht im geringsten an ihr, auch wenn sie uns manchmal auf den Geist geht. Wir sprechen von der Welt des Geistes, wenn wir uns mit Kunst, Literatur oder Musik beschäftigen. Die Geisteswissenschaften behandeln alles, was sich nicht ins starre Kausalraster der Naturwissenschaften pressen lässt. Und unser Geist kann krank oder behindert sein. Auch Descartes wichtigste und berühmteste Erkenntnis, das „Ich denke, also bin ich“ basiert auf der Idee des Geistes und auf jener, dass wir einen priveligierten Zugang zu ihm haben: Alles außer der eigene Geist ist ungewiss.

Aber am wichtigsten ist und bleibt der freie Geist für die Ethik. Unser Gehirn komplett dem Kausalitätsprinzip zu unterwerfen, bedeutet, die Unterscheidung von Gut und Böse aufzugeben. Die Vorstellung, dass die Nazis nicht anders handeln konnten, dass sich der Holocaust kausal notwendig ereignen musste, bereitet hoffentlich nicht nur mir Schmerzen. Die Idee, dass alles seit dem Urknall einer unbeeinflussbaren ewigen Kettenreaktion folgt, ist im Grunde nur eine mechanistische Variante des Schicksalsglauben.

Unser Geist ist nicht ganz sabberfrei

Andererseits ist die Idee des Geistes in der Maschine wohl nicht aufrechtzuerhalten, wie wir sehen, wenn wir darauf blicken, was in den Jahrhunderten nach Descartes geschah. Vor allem ab dem späten 19. Jahrhundert ergaben sich in der Verhaltensforschung und der Psychologie entscheidende Erkenntnisse, die das Bild vom freien Geist in der determinierten Maschine in Frage stellten. Allem voran brachte Pawlow in seinen Experimenten Hunde zum sabbern. Und schon bald stellte sich heraus, dass auch der menschliche Geist nicht ganz sabberfrei ist. Anscheinend unterliegt er ebensovielen Regeln und Gesetzen wie der Körper. Dies führte zur psychologischen Theorie des Behaviorismus. In seiner radikalen Ausprägung sagt der Behaviorismus, dass jedes menschliche Verhalten eine Reiz-Reaktions-Kette ist.

Zu diesem Zeitpunkt brachte dann Gilbert Ryle 1949 sein Buch „Der Begriff des Geistes“ heraus, in dem er den Geist-Körper-Dualismus als „intelektualistische Legende“ entlarvt. Ryles zentrales Argument ist, dass es sich beim Dualismus von Körper und Geist um eine sogenannte Kategorienverwechslung handelt. Er bringt ein Beispiel für eine Kategorienverwechlung: Ich soll einer Gästin die Universität zeigen. Ich zeige ihr die verschiedenen Institute, die Bibliothek, die Mensa, die Verwaltung, den Asta etc. Doch anschließend sagt meine Gästin: „Jetzt hast du mir all diese Orte gezeigt, aber zeige mir doch endlich die Universität!“ Mein Gast glaubt in diesem Fall, dass die Universität vom gleichen logischen Rang ist, eine eigene weitere Kategorie neben den Instituten usw. In seinem Buch zeigt Ryle auf, dass es uns mit dem Geist genauso geht, dass wir ihn nicht als einen Teil des Körpers betrachten, sondern glauben, er sei eine diesem Körper ebenbürtige Kategorie. Ryle zeigt dann an sehr vielen Beispielen auf, in welche Absurditäten uns diese Vorstellung hineinführt, wenn wir sie konsequent durchspielen. Ryles Philosophie ist sehr spannend und zu einem anderen Zeitpunkt einen eigenen Post wert, doch hier würde das jetzt zu weit führen, schreiten wir lieber voran.

Der Dolchstoß als Geisteraustreibung

Denn Gilbert Ryle war noch nicht der Abschluss der Geisteraustreibung. Als nächstes wurde der Computer erfunden. Nun gut, die Idee der Turing-Maschine und der Zuse-Rechner sind älter als Ryles Buch, aber Innovationen brauchen immer eine Weile, bis sie in den philosophischen Diskurs eindringen. Jedenfalls erschien die Metapher des Computers perfekt, um komplett geistlos zu beschreiben, was in unserem Kopf vorgeht. Doch auch wenn ich immer wieder Sätze wie diesen lese:

„Here’s something we know. Building a computer as powerful as the brain is possible—our own brain’s evolution is proof.“

… Möchte ich darauf bestehen, dass das Gehirn kein Computer ist. Es erscheint uns als ein solcher, da es sich mit der Terminologie der Informatik derzeit am besten beschreiben lässt. Aber auch die Seele und der Geist in der Maschine waren das Ergebnis der damals besten Beschreibungsmöglichkeiten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass in einigen Generationen jemand schmunzelnd auf unser komisches Bild vom Computer im Gehirn zurückblicken wird. Wenn uns die Philosophie eines lehrt, dann dass wir immer Gefangene des Zeitgeists sind.

Aber auch mit dem Computer war noch immer nicht Schluss. Den bislang letzten Dolchstoß verpasste dem Geist das Libet-Experiment und seine Nachfolger. Denn dieses und ähnliche Experimente scheinen zu beweisen, dass der freie Wille eine Illusion ist. Demnach fällt das Gehirn schon Entscheidungen, bevor unser Geist oder unser Bewusstsein glaubt, dass es diese Entscheidungen fällt. Sind wir also wirklich nur determinierte Maschinen? Nun, das wird die Zukunft zeigen. Aber wenn wir das Libet-Experiment ernst nehmen würden, dann müssten wir unser Rechtssystem komplett umkrempeln. Denn, wie Bertrand Russell einst sagte: Niemand würde ein Auto, das aufgrund eines Defekts gegen eine Wand gefahren ist, dafür als Strafe jahrelang in die Garage sperren. Doch genau das machen wir mit Straftätern, obwohl sie ohne freien Willen nichts anderes sind als kaputte Maschinen. Andererseits können wir unser Rechtssystem auch nicht ändern, schließlich war es kausal vorbestimmt, das zu werden, was es heute ist. Und schon stecken wir wieder mitten im Schicksalsglauben.

Wie die Maschinen den Geist fanden

So, das war sie, die Geschichte, wie die Menschen den Geist verloren haben. Schauen wir uns doch mal an, wie die Maschinen ihn fanden. Denn, wenn wir heute vom Geist in der Maschine sprechen, meinen wir zumeist künstliche Intelligenz – die denkende Maschine. Denkende Maschinen sind die neueste Version des künstlichen Menschen, einem Wunschtraum, den wir schon seit der Antike haben. Hephaistos, der griechische Gott der Schmiedekunst soll mechanische Dienerinnen gehabt haben und der von den Frauen enttäuschte Bildhauer Pygmalion hat sich in eine seiner Statuen verliebt. Venus fand das wohl so knorke, dass sie sie zum Leben erweckte. Im Mittelalter taucht in der jüdischen Mystik der Golem auf, ein aus Lehm geschaffener und mit Zahlenmystik zum Leben erweckter künstlicher Mensch. Mit Hilfe der Alchemie machte man sich außerdem vergeblich daran den Homunkulus zum Leben zu erwecken. Im mechanischen Zeitalter waren dann zum Beispiel der Schachtürke oder die automatische Tochter Olimpia aus E. T. A. Hoffmanns „Der Sandmann“ die neuen Träume.

 

Pygmalion

 

Und heute träumen wir eben den Traum von der K.I. Spannend ist diesbezüglich der Turing-Test, da sich in ihm wieder die behavioristische Geistesaustreibung zeigt. Dieser von Alan Turing entwickelte Test soll beweisen, ob ein Computer intelligent ist. Beim Versuch führt eine Person zwei Gespräche mit Unbekannten, die sie nicht sehen kann. Einer ist ein Mensch der andere ein Computer. Wenn die Testperson nach diesen Gesprächen nicht sagen kann, welcher der Unbekannten der Mensch und wer der Computer ist, dann ist der Test für den Computer bestanden und er gilt als so intelligent wie der Mensch.

Wir sehen, dass der Turing-Test überhaupt nicht nach dem Geist in der Maschine fragt. Ganz im Sinne Ryles bleibt er gänzlich äußerlich, er macht nichts anderes, als nach dem Verhalten der Maschine zu fragen und zu prüfen, ob dieses Verhalten geistreich ist. Natürlich wurde der Test dafür auch kritisiert: John Searle kritisierte, dass der Test nicht beweisen könne, dass die Maschine ein Bewusstsein habe. Oder, wie es im Film Ex Machina gut zusammengefasst wird: Woher weiß ich, dass der Computer nicht bloß besonders clever darauf programmiert ist, mit vorzugaukeln, er könne denken. Diese Frage ist genauso spannend wie im Bild vom Geist in der Maschine gefangen. Denn nach Ryle kann die einzige Antwort darauf die Gegenfrage sein: Wie machen wir das denn bei Menschen?

Der Käfer in der Schachtel

Gewiss, wir unterstellen Menschen, dass sie einen Geist haben. Aber, ob es ihn nun jenseits unserer Neuronen gibt oder nicht, wir können ihn nie sehen, hören oder gar berühren. Obwohl … Wir sprechen manchmal davon, dass etwas jemandes Geist berührt, etwa wenn wir über Poesie sprechen. Und das ist auch des Rätsels Lösung: Wenn wir herausfinden wollten, ob ein anderer Mensch einen Geist hat, bliebe uns nichts anderes übrig, als mit ihm oder ihr zu sprechen. Wir würden wahrscheinlich ihren Humor testen und ihren Geschmack, wir würden die andere Person in eine politische Debatte verwickeln und mit ihr über Filme, Bücher und Fußball sprechen. Und wenn die Person bei diesem Gespräch geistreiche Antworten gegeben hätte, dann würden wir ihr einen Geist unterstellen. Mit anderen Worten: Wir würden diese Person einem Turing-Test unterziehen, denn wir haben keinen Zugang zu ihren inneren Vorgängen, was auch immer das sein mag. Ja, wir machen das sogar ständig! Zwar gehen wir selten so weit, jemanden den Geist komplett abzusprechen, aber wenn wir neue Menschen kennenlernen, prüfen wir im Gespräch implizit auch immer ihre Intelligenz mit, damit wir wissen, worüber wir uns mit ihnen unterhalten können. So finden wir dann beispielsweise heraus, dass sich mit dem neuen Kollegen hervorragend über Musik sprechen lässt, dass wir aber besser die Flüchtlingskrise meiden, da er diesbezüglich ein viel zu unterkomplexes Weltbild hat. Das ist im Grunde nichts anderes als ein kleiner Turing-Test.

Die Pointe meiner langen Geschichte ist, dass es letztlich sowohl für den Menschen als auch für die Maschine irrelevant ist, ob sie einen Geist haben. Intelligentes Verhalten zeigt sich nicht an einem mystischen, körperlosen Wesen sondern an unserem alltäglichen Verhalten. Letztlich werden wir auf der Suche nach dem Geist auf Wittgensteins „Käfer in der Schachtel“ verwiesen, der genialen Metapher, mit der Wittgenstein unsere inneren Vorgänge und ihre Relevanz für die Welt und das Menschsein beschreibt:

293. Wenn ich von mir selbst sage, ich wisse nur vom eigenen Fall, was „Schmerz“ bedeutet, – muß ich das nicht auch von den Anderen sagen? Und wie kann ich denn den einen Fall in so unverantwortlicher Weise verallgemeinern?

Nun, ein Jeder sagt es mir von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! – Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir „Käfer“ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. – Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. – Aber wenn nun das Wort „Käfer“ dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? – So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas; denn die Schachtel könnte auch leer sein. – Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann >gekürzt werden<; es hebt sich weg, was immer es ist.

Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindung nach dem Muster von >Gegenstand und Bezeichnung< konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus.

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen I; § 293.