Zum Tag der deutschen Einheit eine Lobhudelei der deutschen Sprache

Zum Tag der deutschen Einheit möchte ich hier eine Lobhudelei über die deutsche Sprache verfassen. Und zwar möchte ich das – und ich hoffe es gelingt mir – ganz abseits jedweder Deutschtümelei, wie sie allzu oft aus Richtung des VDS herübergepfurzt wird.

Denn ich mag auch andere Sprachen. Ich sehe Filme und Serien gerne auf Englisch, freue mich jedes Mal, wenn ich Gelegenheit habe, ein paar Brocken meines verkümmerten Französisch zu sprechen, ich bereue es nicht, dass ich im Studium Latein nachholen musste, auch wenn das außer zur Lektüre des Bello Gallico zu nix nütze war und ich mag die portugiesischen Lieder, die in der Capoeira gesungen werden.

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

Aber Deutsch ist eben meine Sprache. Das Medium meiner Gedanken. Keine andere Sprache beherrsche ich so gut. Ich kenne die Muttersprachlerfallen und springe behände über sie. Ich breche gerne die eine oder andere Regel, schmeiße mit Kunstwörtern und Anglizismen um mich, seziere ebenso gerne einen Satz von Kant oder Mann wie ich über die schlichte Schönheit einer einfachen Komposition von Wittgenstein oder Goethe staune, ich lache über den Wortwitz von Heine und sogar – noch immer – über jenen von Regener. Ich mag die deutsche Sprache einfach.

„Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.“

Johann Wolfgang von Goethe: Wandrers Nachtlied/Ein gleiches

Ich mag die verschachtelten Sätze, die Mark Twain dereinst zur Weißglut brachten, die man mitunter fünf Mal lesen muss, bevor man sie anfangen kann, auch nur ansatzweise – gewissermaßen mit einem Zeh auf dem Grund des Meeres und dem Nasenloch noch gerade so an der Oberfläche – zu verstehen. Genauso mag ich, dass Deutsch auch kurz ist. Im Deutschen kann man Sachen auf den Punkt bringen. Man kann in kurzen, klaren Sätzen Tatsachen feststellen. Diese Tatsachen stehen dann so fest, dass sie sich nicht verrücken lassen. Nicht einmal von einem Plosiv.

„Und zwischen zwei Kriegen, unberührt und ruhevoll in den Falten seines Schürzenkleidchens und dem Gelock seines weichen Haares, spielt der kleine Johann im Garten am Springbrunnen oder auf dem ‚Altan‘, der eigens für ihn durch eine kleine Säulenestrade vom Vorplatz der zweiten Etage abgetrennt ist, die Spiele seiner 4 1/2 Jahre…“

Thomas Mann: Buddenbrooks

Ich mag die Kontraste zwischen explosionshaften Konsonanten und langen, vollen Vokalen. Ich mag die Friative, die stimmlosen, wie die stimmhaften, wenn sie summen und zischen zwischen Zähnen und Zungen. Und ich mag diese vertrackten Schwalaute, die sich im Text immer als Vokale tarnen.

„Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat. Sie, die Beulen, lassen uns den Wert jener Entdeckung erkennen.“

Wittgenstein: PU119

Ich mag die deutschen Dialekte, die uns präzise im Norden, unfreundlich in Berlin, ein bisschen naiv in Sachsen, schnoddrig in Hessen, ansatzweise vulgär im Rheinland und ein bisschen prollig in Bayern oder Schwaben klingen lassen.

Zu Aachen, im alten Dome, liegt
Carolus Magnus begraben.
(Man muß ihn nicht verwechseln mit Karl
Mayer, der lebt in Schwaben.)

Ich möchte nicht tot und begraben sein
Als Kaiser zu Aachen im Dome;
Weit lieber lebt‘ ich als kleinster Poet
Zu Stukkert am Neckarstrome.

Heinrich Heine: Deutschland ein Wintermärchen

Ich mag die Komposita die sich zu meterlangen undurchschaubardichten Riesenwürgeschlangenwörtergruppen zusammentummeln. Ich mag die Metaphern von Zahlenfeldern über Züge von Luft, Rauch, Bier oder Nackenschmerzen bis hin zu den Netzgemeinden. So toll sind auch die Substantivierungen, die aus dem schnöden Zustand, dass etwas ist, wie es ist, gleich das Sein macht und Philosophen haufenweise über seine Negation grübeln lässt. Ich mag das Umstellen von Sätzen, ja, das Umstellen von Sätzen mag ich.

„‚Was meinen Sie mit bösartig? Wollen Sie den Zollbehörden der Deutschen Demokratischen Republik Bösartigkeit unterstellen?‘
‚Nicht doch.‘
‚Was reden Sie dann von Bösartigkeit?‘
‚Ich meine das Leben im allgemeinen.‘
‚Herr Lehmann!‘
‚Ja?‘
‚Sie faseln.'“

Sven Regener: Herr Lehmann

Und ich mag die Fähigkeit der deutschen Sprache, sich ständig selbst zu erneuern, indem sie neue Wörter in sich aufsaugt und so aus einem „fucked up“ durch ein unerhörtes „ge“ hier und eine  analogische Anpassung da ein „abgefuckt“ macht. Ich mag, dass das Deutsche mal ruppig daherkommt, wenn Behörden oder Versicherungen es in unverständliche unmissverständliche Sätze meißeln. Und dann kommt das Deutsche wieder in einer eleganten Schlichtheit daher, wenn es einem Tweet gelingt, die Essenz richtig einzufangen.

 

Ich mag die Komplexität dieser meiner Sprache, in der ich denke und fühle, die bei mir ist, vom Morgen, wenn ich aufwache bis zum Abend, wenn ich einschlafe. Die da war von meinem ersten maximal kontrastierten „Mama“ bis zu jenen, mir noch unbekannten letzten Worten, die eines Tages meinem Mund entfleuchen werden.

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