In Memoriam: Die Kassette

Am 07.12.12 ging über Twitter, dass Sony die Produktion von Kassettenspielern einstellt. Ich weiß nicht, ob Sony der letzte Produzent der Magnetbandabspielgeräte war, aber als Manufaktur des legendären Walkmans löste diese Nachricht natürlich einen allgemeinen Abgesang aus, dem ich mich hier anschließen möchte.

 

Sony Walkman: It's Alive!. Bild von Mike Licht, NotionsCapital.com. Lizenz: CC BY 2.0.
Sony Walkman: It’s Alive!. Bild von Mike Licht, NotionsCapital.com. Lizenz: CC BY 2.0.

 

Die Kassette trat im Oktober des Jahres 1991 in mein Leben. Nun, das ist natürlich nicht ganz richtig, meine Kindheit war geprägt von unzähligen TKKG-, „Drei Fragezeichen“- und Alf-Bändern. Aber in ihrer eigentlichen Bestimmungsform ließ die Kassette mich bis ins Jahr 1991 unbehelligt: dem Mixtape.

 

Dann trat sie aber um so krachender, nachhaltiger und prägender auf. Ich kann mich an das Datum noch so gut erinnern, da ich diese meine erste Kassette noch irgendwo hier habe, wenn ich sie auch nicht finden kann. Es ist der ‚Jaakko Mix 91‘. Die Mutter meines Schulfreundes hatte sich die Mühe gemacht, den eingeladenen Kindern als Abschiedsgeschenk nicht länger Gummibärchen, Luftballons oder billiges Plastikspielzeug mitzugeben, sondern eben ein Mixtape. Noch heute verbeuge ich mich im Respekt, wenn ich bedenke, dass sie das gleiche Tape erst zusammenstellen und dann noch ca. 10 Mal überspielen musste. Denn, liebe Postmagnetbandgeneration, ‚copy & paste‘ war nicht möglich bei der guten alten Kassette. Stattdessen musste man mit chirurgischer Präzision die Klaviatur der oftmals schwer zu drückenden Tasten ‚Play‘, ‚Record‘ und ‚Pause‘ beherrschen und dann live dabei sein, während das Band seine 30-45 Minuten Seitenlänge abspielte.

 

 

Ich war 1991 recht spät dran, viele meiner Freunde hatten sich schon 1989 auf dem ‚Wind of Change‘ tragen lassen und zwar in Richtung David Hasselhoff. ‚Looking for Freedom‘, ‚Crazy for you‘ und ‚Limbo Dance‘ waren die Hymnen unserer Präpubertät, immer wieder durchsetzt von den größten Klassikern der EAV. Nur war mein Elternhaus der klassischen Musik verfallen, sodass bei uns andächtig der ‚Zauberflöte‘ gelauscht wurde und nur aus dem Zimmer meines Bruders Depeche Mode drang, wozu ich aber bis heute noch keinen Zugang gefunden habe.

 

Der ‚Jaakko Mix 1991‘ jedenfalls glänzte durch Hammerhits von Dr. Alban, Seal und Roxette, um nur einige zu nennen. Ach, Roxette… Roxette hatte neben Bon Jovi und Brian Adams den größten Einfluss auf meine ersten Schritte ins Universum der Popmusik (Über schreckliche Euro-Dance-Vergehen zwischen ‚Mr. Vain‘ und ‚No Limit‘ breite ich hier den Mantel des Schweigens). So war auch die erste und – soweit ich mich erinnere – einzige Kassette, die ich mir je gekauft habe, von Roxette. Denn die Kassette war nicht zum kaufen geschaffen. Oder doch: man kaufte Leerkassetten um diese dann mit den Schätzen seiner Freunde zu füllen. Oder mit solchen aus dem Radio. Ach ja, das Radio: die Qual der Liveaufnahme. Drei bis fünf Minuten lang vor Angst schwitzen, ob denn der Moderator am Ende des Songs reinquatscht oder fast noch schlimmer: in ein anderes Lied überblendet. So war auch schnell klar, wo ich mich jeden Donnerstagabend einzufinden hatte: vor dem Apparat, wenn die hr3-Hitparade lief, der Garant dafür, dass Lieder ausgespielt und nicht vorzeitig unterbrochen wurden. Dort erfuhr ich, dass Meat Loaf alles für die Liebe tun würde außer „DAS“! – Was ich natürlich nicht verstand (Es geht da um Sex, oder?). Und dass Lauryn Hill von Worten sanft getötet wurde, während ihr Wycleff Jean noch dicke Beats unterschob.

 

Die Kassette hatte einen langen und langsamen Niedergang in meinem Leben. Zunächst sah alles prächtig für sie aus: der einfache Spieler wurde durch ein Doppelkassettendeck ersetzt, was die unsägliche Radioliveaunahme epochal vereinfache:. Erst die ganze Sendung aufnehmen und dann zurechtschneiden. Der Walkman – der echte(!) von Sony(!!) – fand seinen Weg zu mir und bescherte mir zahlreiche Wiedergaben von „Love is all around me“, mein Bruder zog aus und hinterließ mir seine Kassettensammlung sodass sich mein musikalischer Horizont über das Programm der Formatradios hinaus erweitern konnte. Schließlich kaufte ich mir vom Ersparten sogar einen Player, der Schnick Schnack beherrschte wie zum nächsten Lied vorspulen und Repeat-A-B. ‚Father and Son‘, ‚Sie ist weg‘ und ‚In The Ghetto‘ konnten so in Endlosschleifen laufen.

 

 

Doch der CD-Player machte auch vor mir nicht halt: Weihnachten 1993 schon bekam ich den ersten geschenkt zusammen mit einer David-Hasselhoff-CD, ach Elten, vier Jahre zu spät! „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“ (Kettcar). Ende der 90er kam dann noch die Minidisc hinzu. Mein Bruder hatte mich zwar gewarnt, dass sie sich nicht durchsetzen werde, aber ich konnte mich der Fusion aus Tape und CD nicht entziehen. Und ich bin noch heute der Meinung, dass sie hätte groß werden können, wenn das Janusköpfige Haus Sony nicht Elektronikkonzern und Musiklabel in einem gewesen wäre und als letzteres einen Kampf gegen die Windmühle der mp3 geführt hätte.

 

Einen kurzen zweiten Frühling erlebte die Kassette bei mir noch einmal um die Jahrtausendwende, als ich für mein erstes Auto ein gebrauchtes Kassettendeck erwarb und einbaute. Alte Tapes wurden mit neuen Stücken überspielt, zumeist mit deutschem Hip Hop zwischen Freundeskreis und den Beginnern. Ich weiß noch, wie sich eine Klassenkameradin kurz vor dem Abi meinen Wagen lieh und mir etwas verstört die Schlüssel wieder aushändigte, weil am Ende eines Tapes ein alter Track von Marc Oh wieder hervorgespäht hatte.

 

Doch dann kamen das Internet, das Studium, der Indie und die MP3 und es war aus mit dem Tape. Einmal bäumte sich die Kassette noch auf, als ich 2003 so sehr in die Breite gewachsen war, dass ich zu Joggen anfing und meinen alten Walkman wieder hervorkramte. Leider war es ein kurzes Vergnügen, der Gute ging in die ewigen Jagdgründe ein und ich musste im Elektronikmarkt feststellen, dass MP3-Player mittlerweile günstiger waren als ein neuer Walkman.

 


Nirvana — Smells Like Teen Spirit – MyVideo

 

Die Kassetten habe ich freilich aufgehoben aus reiner Nostalgie. 2006 habe ich auf dem Flohmarkt sogar noch einmal einen Kassettenplayer gekauft. Der steht jetzt im Zimmer meiner Tochter. Und wird nie benutzt. Aber irgendwann! Eines Tages hole ich die Kiste mit den Tapes noch einmal hervor und werde noch ein letztes Mal ‚Smells Like Teen Spirit‘ vom verrauschten Tape hören in unheiliger Kombination mit ‚November Rain‘ und gefolgt von ‚I can’t dance’…

 

Ich bin raus.

Ins Internet schreiben

Ich habe die Perspektiefe – den Blog der Privatsprache – hierhin ausgegliedert. Warum? Na ja, wie man leicht sieht, bin ich doch zu WordPress zurückgekehrt. Die Domain läuft mit typo3, doch nachdem ich in den vergangenen Wochen vergeblich daran gebastelt habe, die Kommentar-Funktion zum Laufen zu bringen, und obendrein steht mein E-Book-Blog im Suchmaschinenranking mittlerweile besser da als die Domain – was zwar einerseits am Thema aber andererseits sicher auch am saubereren Code liegt.

Dennoch bin ich nicht ganz bereit, mein typo3-Experiment aufzugeben, denn ich sehe durchaus, dass typo3 wesentlich leistungsfähiger ist als WordPress, wenn es nur nicht so kompliziert wäre…

2011 bin ich zu typo3 gekommen, wie das kam, möchte ich kurz berichten. 2005 zog ich in eine WG und konnte mir erstmals DSL leisten. Damals begann meine Textproduktion im Internet. Wir hatten im Freundeskreis ein erstes Blog bei Twoday. Das viel länger lief, als ich es in Erinnerung hatte, die letzten Posts sind von 2010. Allerdings war mir dieses Blog schnell zu unflexibel. Daraufhin landete ich zuerst in einer ganz anderen Ecke: ich trieb mich zwischen 2005 und 2008 sehr viel in Foren rum und schrieb dort meine Texte. Das war auch der Grund, warum ich lange keinen Zugang zu sozialen Netzwerken fand. Denn nachdem ich mich – wie alle – bei StudiVZ angemeldet hatte, fand ich das alles viel zu statisch. Es ging da nur um Selbstdarstellung und es fanden quasi keine Dialoge statt. Jeder aktualisierte nur seine Profile und gründete Gruppen mit doofen Namen, aber wenn ich mal versuchte, etwas in die Gruppen zu schreiben, blieb schlichtweg das Feedback aus. Während man in einem Forum auf eine einfache Frage binnen Minunten zwar keine Antwort aber mindestens fünf Beschimpfungen und 13 Spamkommentare erhielt.

2010 startete ich dann mein nächstes Blog-Experiment. Damals bereits unter dem Namen Perspektiefe. Ich plante über die kognitive Entwicklung von Kindern zu promovieren, weshalb ich diesen Themenkomplex aufgriff. Allerdings wollte ich auch so etwas wie ein Online-Enzyklopädie mit dem Timestream und dem p.Lex (mittlerweile offline; 28.11.13 -db) zum Thema schaffen und nicht „nur“ bloggen. Und für genau diesen Zweck war und ist mir WordPress nicht flexibel genug, das funktioniert mit typo3 einfach besser.

Jetzt hat sich meine „Karriere“ *hüstel* aber in eine andere Richtung entwickelt und ich bin – vorerst – etwas von der kindlichen Entwicklung abgekommen und schreibe wieder vermehrt einfach meine Gedanken in dieses Internet, und das will ich schnell und ohne hohe technische Hürden machen. Daher bin ich wieder hier. Mit WordPress.

 

Ich bin raus.

Deiner Mutter ihre Geschichte!

 

Es war ein Tweet – wie so oft – der Stern.de-Redaktion – eher selten – der im Hause Privatsprache die Frage aufwarf, woher sie eigentlich stammen, die „Deine Mutter“-Witze. Artikuliert wurde die Frage von der Dame und zu ihrem Glück wusste meiner einer eine ausführlichere Antwort zu geben, als die Wikipedia, die sich weitgehend auf die frühesten Anfänge vermutlich in den 60er-Jahren auf US-amerikanischen Schulhöfen, das „Playing the dozens“ beschränkt.

Doch wie fand „Deine Mudder“ von amerikanischen Schulhöfen den Weg auf deutsche Facebookseiten, in deutsche Tweets und deutsche Redaktionen?

Ich habe mich ein wenig umgeschaut und die Erklärungen sind allesamt recht dürftig. Deshalb hier mein Versuch der Einordnung:

Gehen auch wir ein Stückchen zurück und wechseln dabei über den großen Teich auf den amerikanischen Kontinent, nähern uns den USA, der Stadt New York, dem Stadtteil Bronx. Wir befinden uns in den späten 70er und frühen 80er Jahren. Damals waren die Bronx wohl einer der am wenigsten attraktivsten Orte der westlichen Hemisphäre. Gangs bekämpften sich und Gewalt war allgegenwärtig. In dieser Zeit wurde eine neue Musik geboren, die sich schnell zu einer eigenen Kultur entwickelte: Hip Hop. Und um „Die Kinners von der Straße zu holen“ kamen die ersten Stars der Szene auf eine Idee, die sie „Battle“ nannten. Es waren Leute wie Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa, die die ersten Battles veranstalteten. Die Idee war einfach und gut: statt mit Gewalt sollten Konflikte in Wettbewerben ausgetragen werden. DJs traten im Cutting und Backspinning gegeneinander an, B-Boys überboten sich im Breakdance und die ersten Rapper traten im Battle Rap gegeneinander an.

Diese letzte Disziplin, der Battle Rap geht nun seinerseits aus dem oben erwähnten „Playing the dozens“ hervor. Dabei geht es um eine testosteronschwangere Selbstbeweiräucherung bei zeitgleicher Herabwürdigung des Gegners. Leidlich bekannt wurde das Prinzip durch den Film 8 Mile. Nun ist es kein Geheimnis, dass Hip Hop oft und insbesondere Battle Rap hochgradig sexistisch sind. In seinen patriarchischen Strukturen wird der Mythos vom starken Mann gepflegt, der seinen Konkurrenten in allen Aspekten seiner Männlichkeit überlegen ist. Frauen hingegen sind „alles Bitches außer Muddi“.

 

 

In der Tat findet im Rap eine oft schon ödipal anmutende Beweihräucherung der eigenen Mutter statt. Und vor diesem Hintergrund wird im Spiel des Battle Raps, wo es ja gerade um nichts anderes geht, als den Gegner fertigzumachen eben der Diss seiner Mudder zum größtmöglichen, den man sich vorstellen kann.

Kleine Randnotiz: der oftmals wegen seiner Homophobie geschmähte Eminem hat durchaus seine Verdienste für den Hip Hop, indem er immer wieder die Traditionen und Rituale der Kultur durchschaute und ironisierte. So auch in seiner eigenen Hymne an die Mutter.

 


EMINEM – Cleaning out my closet von garyvanderlinden

Doch wie kam nun deine Mutter nach Deutschland?

In den 90ern fand Hip Hop seinen Weg endgültig in unsere Breitengrade und mit ihm all seine Codes und Symbole. Nun traf der Hip Hop, eine Kultur der afroamerikanischen Unterschicht in Deutschland auf eine reiche Gesellschaft und eine gebildete Mittelschicht, die sich seiner bediente aber ihn zugleich ironisierte — zumindest in der ersten und zweiten Generation kommerziell erfolgreicher Rapper Stuttgarter und Hamburger Prägung. Aus dem im amerikanischen Hip Hop allgegenwärtigen „Nigga“ wurde hamburgerisch eingefärbt „Digga“ und auch der „Deine Mudder“-Diss wurde mit weniger Feindseligkeit etabliert, als es im US-Rap noch der Fall gewesen war.

Und so kam es, dass „in Hamburg, zwischen Sam und Tocotronic“ Ende der 90er, Anfang der 2000er irgendwo sich wohl die ersten Sprüche an den Kopf geworfen wurden. Wie und wann das genau geschah kann ich nicht rekonstruieren, nur dass Fünf Sterne Deluxe daraus dann einen ihrer größten Hits formten.

 

Die Geburt des Mems

So wurde die Stilfigur auf einem Schlag prominent und fand sich in vielen deutschen Kinderzimmern wieder. Während der Hip Hop in Deutschland mit dem Boom um die Jahrtausendwende seine Ironie einbüßte und fortan auch hierzulande mehr und mehr das Harter-Mann-Image pflegte, wurde „deine Mudder“ konserviert. In der gleichen Zeit, in der aus den Kindern der Jahrtausendwende Leute wurden, etablierte sich in Deutschland auch ein neues Medium: dieses ominöse Internet.

Und spätestens seit dieses Internet ums Jahr 2005 herum durch den Boom von MySpace und den Verzeichnissen, die später von Twitter, Facebook und Google+ abgelöst wurden, zum „Web 2.0“ erklärt wurde, etablierte sich in diesem ein Spiel, das sich „Mem“ oder „Meme“ nannte.

Denn dieses Internet tendiert dazu, sich die komischsten Dinge einzuverleiben.

Seien es Katzen…

Unnamed Kitty - lolcats.com

 

…Mario Balotelli…


See more on Know Your Meme

 

… Kim Jong Il …


See more on Know Your Meme

 

…oder eben „Deine Mudder“. In  Mems werden sie weitergetragen und vervielfacht. Warum es nun ausgerechnet „Deine Mudder“-traf, kann ich nicht sagen, kann vielleicht keiner und wenn doch, dann nur her damit!

So jedenfalls kam deine Mutter von amerikanischen Schulhöfen in deinen Computer.

 

 

Ich bin raus.