Politische Aufmerksamkeit

Ich habe neulich, als Bernd [sic!] Höcke sein Weltbild vollends entblößt hat, hier geschrieben, dass wir Rechtspopulisten keine Aufmerksamkeit schenken dürfen. Aufmerksamkeit ist in der Mediendemokratie ein kostbares Gut, denn am Ende bleibt bei den Zuschauern und Zuschauerinnen meist nicht die Botschaft hängen, sondern, dass die Meinung relevant genug war, um gesendet zu werden. Um Marshall McLuhan unverantwortlich aus dem Kontext zu reißen: The media is the message.

Rechtspopulisten nutzen genau das aus, indem sie bewusst provokante Äußerungen tätigen, damit Medienpräsenz erlangen und dann im nächsten Schritt auf eine vermeintlich gemäßigtere Position zurückrudern („wir wurden falsch zitiert“, „das wurde aus dem Kontext gerissen“ oder „meine Maus ist ausgerutscht“). Neben der Tatsache, dass sie sich ins Gespräch gebracht haben, schaffen sie mit diesem Spiel noch etwas zweites: Sie verschieben den Diskurs weiter nach rechts, indem sie bislang „unsagbare“ Thesen aufstellen und so überhaupt erst einmal ins Gespräch bringen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es übrigens – um kurz abzuschweifen – schön, dass die SPD mit Martin Schulz anscheinend endlich einen starken Kamzlerkandidaten gefunden hat und so den öffentlichen Diskurs endlich wieder weiter nach links rückt.

Auch bei Höckes vollkommen bekloppten Äußerungen über das Holocaust-Mahnmal ließ sich das Spiel der Rechtspopulisten beobachten. Das geschah dahingehend, dass zum Beispiel der Versuch gestartet wurde, sie zu legitimieren, indem gesagt wurde, dass ja Rudolf Augstein quasiiiiiiii schon mal genau das gleiche gesagt hat. Es handelt sich hierbei um den beliebten Sophismus des Namedroppings. Wenn schon Augstein das gesagt hat, dann kann es doch gar nicht so schlimm sein! Es handelt sich hierbei um einen Sophismus, also eine manipulative Argumentationsfigur, weil der Name Rudolf Augstein nichts über den Inhalt des Satzes aussagt. Was Höcke und Augstein gesagt haben, war antisemitisch und nicht mit unseren Werten vereinbar.

http://uebermedien.de/11997/hoecke-augstein-und-das-denkmal-der-schande/

Auch die Diskussion über das Aleppo-Mahnmal in Dresden, schlägt hier übrigens in die gleich Kerbe. Zeigt Sie doch den gleichen Trend auf: Ein Kunstwerk, das Pazifismus exemplifiziert und sich gegen das Verdrängen eines Krieges vor den Toren Europas ausspricht, wird vollkommen irrational scharf angegriffen. Der Diskurs wurde erneut erfolgreich nach rechts verschoben.

Dennoch habe ich mich geirrt! Die Reaktionen auf Höcke waren erfreulich anders, als ich es erwartet hatte. Die Zustimmungswerte für die AfD fallen in den Umfragen, Höcke droht sogar der Parteiausschluss und das Land Hessen überlegt, wie es verhindern kann, dass dieser Revisionist weiter als Geschichtslehrer arbeiten darf. Offensichtlich hatte Sascha Lobo recht, dass Höckes Rede einfach zu entlarvend war. Allerdings prognostiziere ich, dass Höckes Rede noch nicht die letzte Provokation im Wahljahr war. Stattdessen können wir immer wieder damit rechnen, dass die AfD so oder ähnlich agieren wird. Sie selbst haben dies verraten.

Diesmal ist ihr Spiel nicht aufgegangen. Der Skandal war zu groß, sodass sie die Empörung nicht mehr einfangen konnten. Aber auf Dauer wird dieses Rezept nicht funktionieren. Empörung nutzt sich zu schnell ab. Was uns gestern noch unerhört schien, ist für uns heute schon Normalität

Also was tun? Wie ich das sehe gibt es zwei Strategien. Zum einen ist es – dabei bleibe ich – schlau, den Provokateuren einfach keine Aufmerksamkeit zu schenken und die Provokation so ins leere laufen zu lassen. Wir dürfen nicht über ihre Themen reden sondern über unsere! Lasst uns die Agenda setzen und nicht anderen hinterherlaufen!

Doch in den letzten Wochen wurde mir ein zweiter Weg vor Augen geführt, den ich wunderbar effektiv finde: Humor. Das ist natürlich weder ein Geheimnis noch ist es neu. Aber sich über Rechtspopulisten lustig zu machen, scheint tatsächlich zu funktionieren, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Wenn die Witze gut sind, dann nutzen sie sich nicht so ab, wie es die Empörung tut. Und ein rechter Populist wird sich immer wohler fühlen, wenn er dämonisiert wird, als wenn er zum Hampelmann verkommt.

Der Beweis dafür muss natürlich noch erbracht werden, aber was in den letzten Wochen in Amerika abgeht, stimmt mich positiv. Saturday Night Live, Last Week Tonight und Co. sowie der Spott des gesamten Netzes wie zuletzt bei #lastnightinsweden heizen Trump schön ein und dessen Tweets und Äußerungen zeigen genauso wie seine Beliebtheitswerte, dass das an ihm nagt.

https://twitter.com/potzlow/status/833399999362908160

Mein Aufruf im Wahljahr ist: Lasst uns die AfD entweder ignorieren oder über sie lachen.

Platons Ideenlehre

Nun ist es endlich soweit! Nachdem es beim letzten Mal um die Suche nach sicherem Wissen ging, bin ich in meiner kleinen Reise durch Platons Philosophie bei seiner Ideenlehre angelangt. Hier gibt es das Ganze wie gehabt als Video oder darunter als Transkript:

 

Vorbemerkungen zur Ideenlehre

Nachdem ich bis jetzt nur um den heißen Brei herum geredet habe, will ich genau damit weitermachen! Denn zunächst ist es wichtig zu erwähnen, dass es DIE Ideenlehre bei Platon genau genommen nicht gibt. Es gibt von Platon Dialoge über Staatsführung, über das Gute, über richtige Argumentation, über Erkenntnis und sogar über die Liebe. Aber es gibt nicht den einen Ideendialog, in dem Platon dann sagt: Hallo Leute, was ich euch schon immer mal erzählen wollte – ich hab da dieses tolle metaphysische System, das sich die Ideenlehre nennt.

Nein, das, was wir ‚die Ideenlehre‘ nennen, muss aus vielen verschiedenen Dialogen zusammengesucht werden und durch Schlussfolgerungen und womöglich sogar Spekulationen ergänzt werden. Es gibt bei Platon nicht das eine zusammenhängende System, das mit dem Stempel ‚Ideenlehre‘ versehen ist. Im Gegenteil! In seinen späten Dialogen lässt Platon seine Dialogpartner des Öfteren gegen die Ideenlehre argumentieren und auf Ungereimtheiten verweisen. Das führt dazu, dass verschiedene Platon-Experten meinen, man sollte komplett auf den Begriff Ideen-„Lehre“ verzichten.

An dieser Stelle muss ich außerdem erwähnen, dass Platon eigentlich zwischen Ideen und mathematischen Gegenständen unterscheidet. Wir sahen dies bereits im Liniengleichnis. Allerdings leuchtet mir diese Unterscheidung nicht zu 100% ein. Zum einen sind die mathematischen Gegenstände eines der besten Argumente für den Platonismus, wie wir sehen werden. Zum anderen schreibt Platon den mathematischen Gegenständen so ziemlich alle Eigenschaften zu, die er auch den Ideen zuschreibt. Daher werde ich im Folgenden nur von Ideen sprechen und ihr könnt euch „und die mathematischen Gegenstände“ dann immer dazu denken.

Die Ideenlehre

Aber jetzt kommen wir endlich zur berühmten Ideenlehre, nachdem ich mich solange nicht auf sie festlegen wollte, als wäre ich auf der Suche nach einem SPD-Kanzlerkandidaten.

Platons Grundthese lautet folgendermaßen: Zusätzlich zu unserer Welt – die er die Welt der Erscheinungen nennt – gibt es noch eine zweite Welt, die Welt der Ideen. Die Erscheinungen stehen zu den Ideen in einem Abbildverhältnis. Platon stellt sich das so ähnlich wie das Verhältnis von Schatten oder Spiegelbildern zu Gegenständen vor. Gäbe es die Idee eines Gegenstandes nicht, dann gäbe es auch nicht seine Erscheinungen in unserer Welt. Ferner gibt es eine doppelte Abhängigkeit unserer Welt von der Welt der Ideen: Erstens ist die Idee der Grund für die Existenz einer Erscheinung und zweitens ist sie der Grund für die Erkennbarkeit der Erscheinung.

Puh, das ist schon wieder so ein Satz, der mir einen Knoten ins Gehirn macht. Auf mich wirkt es nämlich doppelgemoppelt, dass Platon diese beiden Aspekte betont. Folgt denn die Erkennbarkeit nicht aus der Existenz? Nun, die Erkennbarkeit ist Platon zumindest ziemlich wichtig, mindestens so wichtig, wie sein Apfelkuchenrezept. Wahrscheinlich, weil er sie braucht, um seine These von der Unsterblichkeit der Seele zu begründen. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Die Begründung für die Ideenlehre

Okay, das ist also Platons These: Es gibt Ideen und Erscheinungen und Erscheinungen sind die Abbilder von Ideen. Ideen ermöglichen sowohl die Existenz als auch die Erkennbarkeit von Erscheinungen. Aber wie ich beim letzten Mal schon sagte, Thesen reichen uns nicht, denn wir sind Philosophen! Was wollen wir? Richtig: Begründungen! Welches Argument hat denn Platon für die Existenz von Ideen?

Eines der besten Argumente ist der Status von geometrischen Figuren. Ein Kreis lässt sich beispielsweise so definieren: Eine zweidimensionale geometrische Figur, bei der alle Punkte gleich weit vom Mittelpunkt entfernt sind. Das Problem ist nur: Wir werden in der Welt (also in unserer Welt der Erscheinungen) nie einen echten Kreis finden. Die kleinste Unebenheit des Untergrundes oder der kleinste Fehler beim Ziehen können ja schon dafür sorgen, dass nur ein einziger Punkt näher am Mittelpunkt ist oder eben weiter weg. Daraus können wir zwei Schlüsse ziehen: Entweder gibt es keine Kreise in der Welt oder die Definition des Kreises ist falsch. Beides ist ziemlich abwegig, denn wenngleich ein gezogener Kreis nie perfekt ist, wird euch jede Ingenieurin bezeugen können, dass unsere unperfekten Kreise ziemlich gute Arbeit leisten. Genauso wird euch jede Mathematikerin bestätigen, dass man mit der Formel Pi x Durchmesser ganz Spitze den Umfang eines Kreises berechnen kann. Also kann hier etwas nicht stimmen: Wir haben irgendwo einen Fehler gemacht. Unsere Schlussfolgerung, dass es entweder keine Kreise gibt oder die Definitionen, die wir von Kreisen haben, falsch sind, muss fehlerhaft sein. Gibt es vielleicht noch einen dritten Schluss, den wir aus den beiden Erkenntnissen ziehen können? Ja, den gibt es: Unsere Definition bezieht sich auf die Idee des Kreises. Und all die fehlerhaften Kreise in der Welt sind eben nur Abbilder dieser Idee.

Platon nimmt aber nicht nur für mathematische Figuren an, dass sie Abbilder von Ideen sind. Er nimmt dies zum Beispiel auch für Werte an, wie zum Beispiel die Idee des Guten, die ja in den drei Gleichnissen die zentrale Rolle spielte. Wenn wir beurteilen wollen, ob ein Mensch gut ist, dann müssen wir ihn oder sie an der Idee des Guten messen, genauso wie wir den Kreis in der Erscheinungswelt an der Idee des Kreises messen müssen. Und genau wie der Kreis so wird in der Erscheinungswelt auch das Gute nie in Perfektion erscheinen, sondern immer nur ein mehr oder weniger fehlerhaftes Abbild sein. Ich werde das in meinen Folgen zur Ethik von Platon noch weiter begründen. Hier nur so viel: Wenn es keine objektive Idee des Guten gäbe, dann würde daraus folgen, dass jeder Mensch sich seine eigene Ethik machen kann. Das heißt, es würde uns jedes Argument fehlen, um darzulegen, dass etwas Mord, Kindesmissbrauch oder sogar der Holocaust eine schlechte Sache sind beziehungsweise waren. Unser Gegenüber könnte immer sagen: Nun, das ist vielleicht deine Meinung, aber ich sehe das anders.

Wie gesagt, zur Ethik kommen wir noch ausführlich. Nun zurück zur Ideenlehre, denn Platon geht noch weiter, indem er sagt, dass es von allen physischen Gegenständen ebenfalls Ideen gibt. Und zwar sowohl von natürlichen Dingen wie Steine, Berge, Pflanzen, Seen etc. als auch von artifiziellen Gegenständen, also solchen, die von uns Menschen geschaffen wurden.

Also das ist doch wirklich crazy shit! Das klingt für mich viel unglaubwürdiger als die Annahme von der Idee des Kreises. Es soll von menschengemachten Dingen Ideen geben? Denn ihr müsst bedenken, für Platon sind die Ideen ewig und schon immer dagewesen. Sie können weder werden noch vergehen. Das heißt, sie existieren zwangsläufig schon bevor die entsprechenden Dinge in der Erscheinungswelt erfunden wurden.

Das klingt total durchgeknallt, ist aber auch gar nicht sooo doof wie es zunächst wirkt, da es ein vieldiskutiertes Erkenntnisproblem löst: Denkt mal an alle Stühle, die ihr in eurem Leben je gesehen habt. Ihr werdet mir sicher zugestehen, dass sie höchst unterschiedlich waren. Aber dennoch konntet ihr sie in der Regel als Stühle erkennen. Oder? Warum ist das so? Was ist all diesen Stühlen gemeinsam? Nicht alle Stühle haben vier Beine. Nicht alle Stühle haben eine Rückenlehne. Es gibt sogar Stühle, die nicht einmal eine richtige Sitzfläche haben. Wieso können wir dann Stühle immer als Stühle erkennen? Platon sagt: Alle diese Stühle sind Abbilder der Idee des Stuhles. Und wir können sie in der Erscheinungswelt überhaupt nur deshalb erkennen, weil es auch die Idee des Stuhls gibt. Die Idee des Stuhls ermöglicht uns seine Erkenntnis. Merkt ihr jetzt, warum er die Erkennbarkeit so betont hat?

Im Dialog Symposion definiert Platon ferner die Idee des Schönen. Er schreibt dort, dass die Idee des Schönen göttlich ist. Sie entsteht nicht und vergeht nicht, sie wächst und schwindet nicht, sie ist immer mit sich identisch und unvergänglich. Sie ist nicht nur in einer Hinsicht schön aber in einer anderen nicht, nicht jetzt schön, aber später nicht mehr. Die Idee ist nicht im Vergleich zu etwas anderem schön, sondern an sich. Sie ist auch nicht bloß die Eigenschaft von etwas anderem, sondern ist an und für sich und für immer schön.

Was fällt euch auf an dieser Definition? Augenscheinlich ist, dass Platon die Idee vor allem darüber definiert, was sie nicht ist: nicht vergänglich, nicht veränderlich, nicht vergleichbar mit etwas anderem und so weiter. Viele ihrer Eigenschaften sind Negationen von Eigenschaften wahrnehmbarer Gegenstände der Erscheinungswelt. Allerdings ist diese negative Charakterisierung der Idee des Schönen auch nicht verwunderlich, denn unsere Sprache entstand ja dadurch, dass wir mit ihr auf Dinge in unserer Welt der Erscheinungen referenzierten. Und diese Welt ist nun einmal dadurch charakterisiert, dass in ihr alles am Werden und Vergehen ist, alles relational und graduell ist.

Aber aus Platons Aufzählung negativer Eigenschaften wird noch etwas anderes deutlich: Wir haben eigentlich keine Ahnung, was Ideen sind. Und das führt uns zu unserem nächsten Punkt: Den Problemen der Ideenlehre. Allerdings werden wir den dann erst beim nächsten Mal besprechen.

Literatur

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