Der Klassismus von Bibi und Tina

Darüber habe ich neulich schon getwitter. Ich habe nie genug Beachtung geschenkt, wie unglaublich klassistisch „Bibi & Tina“ ist (Danke an Becci, die mich korrigierte, da ich fälschlicherweise von ‚klassizistisch‘ schrieb).

Die eine Hälfte der Protagonist*innen ist so arm, dass sie immer drauf und dran sind, den Pferdehof dicht zu machen. Die andere Hälfte sind die von Falkensteins, denen alles gehört (auch der Hof, den sie an Familie Martin zu einem so horrenden Preis verpachten, dass diese immer an der Pleite kratzt). Es stört den Grafen dabei auch nicht, dass sein Sohn mit der Tochter der Martins in einer langjährigen Beziehung ist und alles darauf hinausläuft, dass die beiden heiraten werden. Trotzdem quetscht er jeden Cent aus seiner zukünftigen Schwiegertochter. Der Sohn ist da keinen Deut besser und versucht nie irgendwas an der Situation seiner angehend Schwiegerfamilie zu ändern.

Zwei Aspekte sind dabei besonders Perfide:

  1. Frau Martin, die Hofpächterin, ist immer zu stolz, Hilfe anzunehmen und zu sagen, dass sie arm ist. Der tollste aller kapitalistischen Tropes: Wenn sich die Unterdrückte aus Stolz selbst um jeden revolutionären Gedanken bringt. Bloß nichts ändern daran, wie es ist. So muss es sein. Das wird dann durch den anderen Aspekt vollends zementiert.
  2. Denn in diese Konstellation kommt ja die Hexe Bibi, die sämtliche Probleme der Familie Martin mit Magie lösen könnte. Doch Frau Martin mag nicht, wenn Bibi zaubert. Das wird auch nie irgendwie begründet. Frau Martin mag das halt nicht. Bibi soll schön die Füße still halten, damit auch noch alle kommenden Kindergenerationen klar vor Augen geführt bekommen, wer hier in der natürlichen Ordnung die Kohle hat und wer nicht, das aber voller Stolz.

Meine Fresse …

Die Schönheit eines Liedes

Heute möchte ich mich einem Capoeira-Lied widmen.

Por favor não maltraté esse nego

Por favor não maltraté esse nego
Esse nego foi quem me ensinou
Esse nego na calça rasgada, camisa furada
Ele e meu proféssór

Es ist ein kleines Lied, vier Zeilen, nichts besonderes. Keine ausufernde Ballade und dennoch erzählt es viel. Grob von mir übersetzt, bedeutet es:

Bitte misshandelt nicht diesen Schwarzen
Diesen Schwarzen, der mir alles beigebracht hat
Dieser Schwarze mit zerrissener Hose und löchrigem Hemd
Er ist mein Lehrer

Mein Capoeira-Lehrer singt es gerne, wenn sein Lehrer in der Roda spielt. Also dem eigentlichen Spiel der Capoeira, wenn alle im Kreis stehen, singen und klatschen, während in der Mitte zwei Capoeirista den Kampftanz ausführen. Gesungen wird es dann klassisch, wenn der Lehrer einen „auf die Fresse“ bekommen hat“ Das muss nicht buchstäblich sein. Wenn du Capoeira ein Weilchen machst, siehst du, wer in der Roda dominiert, auch wenn beide sich nicht berühren. In diesem Kontext ist das Lied ein ironischer Kommentar des Sängers auf das Geschehen in der Roda: „Hey du, sei nett zu dem Typen da, der hat mir alles beigebracht!“

Was das Lied für mich gerade schön macht, ist der doppelte Boden, der oft in Capoeira-Liedern steckt. Denn es ist ja der Kampfsport der brasilianischen Sklaven. Und mit diesem Wissen bekommt das Lied etwas tragisch Schönes:

Jemand nicht weiter benanntes wird gebeten, einen Schwarzen nicht zu misshandeln. Dass der Sklaventreiber angesprochen wird, ist eine nicht zu fern liegende Interpretation. Mit ihm wird sich aber nicht lange aufgehalten. Stattdessen wendet sich das Lied „diesem Schwarzen“ zu:

Er hat mir alles beigebracht, wird da gesagt. Er mag nicht nach viel aussehen, da seine Kleidung zerschlissen ist. Die Assoziations-Tür zur täglichen Sklavenarbeit auf der Plantage wird mit dieser einen Zeile weit aufgerissen: „Dieser Schwarze mit zerrissener Hose und löchrigem Hemd„. Aber, egal, wie er aussieht, er ist mein Lehrer. Er ist jemand, der Respekt verdient. Bitte misshandle ihn nicht.

Dass das Lied also im Ritual der Capoeira eher in einem locker-ironischen Kontext gesungen wird und zugleich den Jahrhunderte alten Schmerz eines unterdrückten Volks transportiert, verleiht ihm etwas bittersüß Wunderschönes.

Abschließend möchte ich noch als „Warnung“ ausgeben, dass ich Capoeira zwar schon ein paar Jahre mache, aber nur ein kleiner Aluno (ein Schüler) bin. Da draußen gibt es unzählige Menschen, die viel mehr als ich wissen und vielleicht etwas ganz anderes über dieses Lied erzählen können. Wenn du einer von ihnen bist, würde ich mich über einen Kommentar sehr freuen.

Wesen, Familienähnlichkeit, Charakter

Ich hatte hier auf dem Blog mal eine Reihe angefangen: „50 Gedanken„. Das ist genauso schnell wieder versandet, wie ich es gestartet habe. Dies ist ein zweiter Versuch. Angedachte Fragmente, die mir durch den Kopf schwirren.

1. Gedanke

Aristoteles suchte in allem das Wesen, das, was ein Individuum im Innersten ausmacht. Das, wenn man es ändert, die Identität zum Verschwinden bringt. Wittgenstein zog in Zweifel, dass es dieses Wesen gibt. Er entwarf das Konzept der Familienähnlichkeit: Was, wenn die Dinge einer Kategorie kein Wesen gemeinsam haben, sondern sich ähneln wie die Mitglieder einer Familie?

Wenn man diesen Gedanken auf das Ich ausdehnt, dann gibt es kein Element, dass dich ausmacht, sondern nur ein Geflecht von Eigenschaften, die dich zu der Person machen, die du bist. Das heißt, dass du jede dieser Eigenschaften ändern kannst und dennoch der*die Gleiche bleibst. Lediglich wenn sich diese Eigenschaften rapide ändern, wie bei einem Unfall, einer Krankheit oder Demenz, erscheint es und, als ginge das Ich verloren.

Doch was sagt die Psychologie dazu? Was ist Charakter?