Die Geschichte der Philosophie auf den Punkt gebracht

Neulich stieß ich dank @fxneumann auf diese wunderbare Übersicht über die Geschichte der Philosophie, komprimiert aufs Wesentliche. So toll das ist, so muss ich doch sagen, dass ich für mich einige andere Erkenntnisse aus meinem Philosophiestudium gezogen habe. Daher meine Zusammenfassung der Philosophiegeschichte:

Thales von Milet (624-546 v.Chr.): Die ganze Welt besteht nur aus Wasser!
Anaximenes (585-524 v. Chr.): Luft!
Pythagoras (570-510 v. Chr.): Zahlen!
Heraklit (520-460 v. Chr.): Stimmt nicht: Feuer!
Parmenides (520-455 v. Chr.): Überhaupt habt ihr euch alle nur einen Trip gefahren, denn es gibt keine Veränderung.
Protagoras (490-411 v. Chr.): Nur ich habe recht.
Gorgias: (480–380 v. Chr.): Nichts existiert!
Sokrates (469-399 v. Chr.): Ich weiß von nichts.
Platon (427-347 v. Chr.): Das ist doch logisch. Und im Übrigen suckt die Demokratie gewaltig!
Aristoteles (384-322 v. Chr.): Egal was, nimm immer die Mitte. Und wie hieß noch gleich das Buch im Regal hinter der Physik?
Epikur (341-270 v. Chr.): Ficken! Aber in Maßen…
Augustinus (354-430): Aristoteles hat Recht, also reden wir über Gott. Ach ja, übrigens kann ich mich daran erinnern, wie ich das Sprechen gelernt habe.
Thomas von Aquin (1225-1274): Reden wir noch immer über Gott?
William of Ockham (1288-1347): Wo ist mein Rasiermesser?
Niccolo Macchiavelli (1469-1527): Herr Fürst, Moral ist scheiße!
René Descartes (1596-1650): Der Dämon, von dem ich besessen bin, hat mir gesagt, dass ich existiere.
Thomas Hobbes (1588-1679): Eigentlich sind wir alle Wölfe.
John Locke (1632-1704): Menschen sind von Natur aus brutale Arschlöcher, daher müssen wir ihre Gewalt teilen.
Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716): Unsere Welt ist viel cooler als all die anderen.
George Berkeley (1685-1753): Ich habe hier einen Topf mit heißem Wasser und einen mit kaltem und da stecken wir jetzt unsere Hände rein!
David Hume (1711-1776): Woher soll ich denn wissen, ob morgen die Sonne aufgeht?
Jean-Jacques Rousseau (1712-1778): Lasst uns die Gewalt weiter teilen!
Adam Smith (1723-1790): Die unsichtbare Hand kümmert sich schon darum…
Immanuel Kant (1724-1804): An sich gibt es Dinge, aber ich kann euch nichts darüber sagen. Außerdem darfst du jeden Blödsinn machen, solange du es gut gemeint hast.
Johann Gottfried Herder (1744-1803): Wie sind alle solche Loser. Aber immerhin können wir sprechen.
Jeremy Bentham (1748-1832): Wenn ihr zu dritt in einem Boot sitzt, ist es total okay, wenn zwei den dritten aufessen…
Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831): Ich habe den Weltgeist jetzt wirklich lange genug herumgeschleppt, nimm du ihn mal.
Arthur Schopenhauer (1788-1860): Ey Hegel, dein Geist ist eigentlich ein Wille!
Charles Sanders Peirce (1839-1914): Wenn wir nur lange genug laufen, kommen wir zur letzten Meinung.
Friedrich Nietzsche (1844-1900): Der Stärkste hat Recht!
Gottlob Frege (1848-1925): Der Morgenstern und der Abendstern haben die gleiche Bedeutung aber nicht den gleichen Sinn.
Max Weber (1864-1920): Politik ist vom Teufel besessen.
Bertrand Russell (1872-1970): Es ist mit Sicherheit kein Elefant im Zimmer!
George Edward Moore (1873-1958): Hier ist eine Hand und hier ist eine andere.
Ludwig Wittgenstein (1889-1951): Vom Philosophieren ist mein Käfer schon ganz verbeult.
Martin Heidegger (1889-1976): Das Nichts nichtet!
Erich Fromm (1900-1980): Früher war alles besser.
Hans-Georg Gadamer (1900-2002): Lasst uns im Kreis drehen, bis wir schlauer sind.
Karl Popper (1902-1994): Solange mir keiner das Gegenteil beweist, kann ich aus der Geschichte nichts lernen.
Theodor W. Adorno (1903-1969): Die Aufklärung ist schuld!
Jean-Paul Sartre (1905-1980): Es gibt weder Gott noch Außerirdische.
Hannah Arendt (1906-1975): Die amerikanische Revolution war viel cooler als die französische.
Nelson Goodman (1906-1998): Bilder sind zwar manchmal traurig aber nie ähnlich.
Willard Van Orman Quine (1908-2000): Man kann sich nie sicher sein, was diese Ureinwohner jetzt schon wieder meinen…
John Langshaw Austin (1911-1960): Ich rede am Grab schlecht über den Verstorbenen und ich taufe Pinguine.
John Rawls (1921-2002): Mit kollektiver Amnesie wären wir alle viel nettere Menschen.
Paul Watzlawick (1921-2007): Ich wünschte, ihr würdet wenigstens einmal die Fresse halten!
Karl Otto Apel (1922): Und wenn wir dann alles wissen, werden wir wie Engel.
Michel Foucault (1926-1984): Ficken ist Macht.
Noam Chomsky (1928): Wir haben alle ein Wörterbuch und eine Grammatik im Kopf. Außerdem weigere ich mich Steuern zu zahlen.
Jürgen Habermas (1929): Herrschaften, wir können doch über alles reden!
Jacques Derrida (1930-2004): Versucht bloß nicht, mich zu verstehen…
Richard Rorty (1931-2007): Die Philosophie ist tot.

Das ist die ultimative Erkenntnis, die man aus einem Philosophiestudium ziehen kann. Natürlich könnt ihr zu anderer Erkenntnis gelangt sein, aber dann irrt ihr euch eben…

Brecht, Rawls, Fefe

Fefe empört sich über das Narrativ, dass sich keiner für den NSA-Skandal interessieren würde. Ich habe meinen Verdacht, warum das so ist, ja bereits hier niedergeschrieben. Gibt es da eigentlich mittlerweile Umfrageergebnisse dazu?

Nun, dass Fefe empört ist, ist ja nichts besonderes, auch wenn er, wie so oft, allen Grund dazu hat. Aber, was ich spannend fand, war dieses Absatz:

Dass die Leute weiterhin die CDU und SPD wählen, liegt an der Bedürfnispyramide. Dinge wie Versammlungsfreiheit, Postgeheimnis, Unverletzlichkeit der Wohnung, das hat für die Menschen eine viel niedrigere Priorität als ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Teller haben. Hier hat die Merkel zwar keine Besserung gebracht, aber sie hat das nächstbeste getan und Griechenland in Schutt und Asche gelegt. Das hat die Deutschen daran erinnert, wie gut sie es haben und wie schnell es zivilisatorisch bergab gehen kann.

Quelle: Fefes Blog

Das ist ja das Brechtsche Diktum: Erst das Fressen, dann die Moral.* Interessant ist das vor allem, da John Rawls in seinem Gedankenexperiment „Schleier des Nichtswissens“ meint, die Menschen würden sich, wenn sie sich auf einen Gesellschaftsvertrag einigen würden, ohne dass sie wissen, welche Position sie in dieser Gesellschaft einnehmen, sich zunächst auf unveräußerliche Menschenrechte einigen. Klar, der Überlebenswille steht immer über dem, aber geht es den Menschen in Deutschland wirklich so schlecht, dass sie Angst um ihr täglich Brot haben müssen? Sodass sie keine Zeit dafür finden, Angst um ihre Freiheit zu haben? Und wenn das so ist, könnte man ketzerisch fragen: Hat dann Friedrich nicht vielleicht sogar Recht, dass Sicherheit das Supergrundrecht ist (im Sinne von Recht auf Überleben)?

 

Ich habe keine Antwort daruaf und es ist nun Zeit für mich zu gehen, aber Ihr seid noch jung und könnt weiter darüber nachdenken. Wenn ihr eine Antwort habt, dann lasst sie mich wissen…

Literatur

Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit.*

 

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Entspannter Twittern

Twitter ist unser aller Lieblingsort im Netz. Das liegt an einer Reihe ganz spezieller Faktoren, die Twitter besonders machen. Zunächst ist Twitter interessengetrieben. Wenn du zum ersten Mal Twitter besuchst, wirst du das alles nicht verstehen, doch nach kurzer Zeit stellst du dann fest, dass du dort Menschen und Institutionen folgen kannst, die Inhalte twittern, die dich interessieren und dass du dir so einen ganz persönlichen Nachrichtenfeed zusammenstellen kannst. Das unterscheidet Twitter wesentlich von Facebook, wo deine „Freunde“ zum überwiegenden Teil tatsächliche Bekannte aus dem Leben afk sind. Was die auf Facebook posten, ist dann eben oft uninteressant. Zwar bietet Facebook auch Möglichkeiten des Feintunings deiner Timeline an, aber die sind eher so „mittelgut“, um es mal höflich auszudrücken. Die Ausrichtung bleibt: Facebook ist beziehungszentriert, Twitter hingegen interessenzentriert. Auf Google+ rollt das Tumbleweed und auf Xing richtet man sich die Krawatte.

 

Permanentes Stand-up-Comedyprogramm

Natürlich kannst du deinen Nachrichtenstream auch per RSS einrichten, aber dann fehlt dir die soziale Komponente komplett. Denn Twitter macht als zweiten Faktor besonders, dass es ein Hybrid ist: Twitter ist sowohl Microblogging-Plattform als auch soziales Netzwerk. Einerseits zeigt sich sein Blog-Geist, indem viele Twitterer ihre 140 Zeichen nutzen, um ein permanentes Stand-up-Comedyprogramm durchzuziehen, andere Accounts sind themenspezifisch: So gibt es zum Beispiel eine Reihe historischer Accounts, die berichten, was an diesem Jahrestag im zweiten Weltkrieg vorgefallen ist oder ähnliches. Andererseits ist Twitter auch ein soziales Netz: Du folgst nicht nur einseitig anderen, andere können auch dir folgen. Du kannst Inhalte retweeten, also mit deinen Followern teilen, du kannst Inhalte favorisieren und du kannst auf Inhalte antworten.

Selbstbeweihräucherung ist ein ganz normales Phänomen

Und der dritte Faktor, der Twitter so speziell macht, ist seine Größe: Twitter hat so viele Nutzer, dass für jeden etwas dabei ist. Jeder findet seinen Kreis, jeder kann sich seine Timeline aus dem großen Buffet zusammenstellen. So hat App.net zum Beispiel versucht, ein besseres Twitter zu machen, aber (zumindest bislang) das Problem, dass es zu klein ist. Das führt dazu, dass die Nutzerschaft sehr homogen, nämlich technikinteressiert ist, dass dort Postings nicht wie auf Twitter durchrauschen, sondern eher tröpfeln und dass man das Gefühl hat, das jeder zweite Post davon handelt, wie viel toller ADN doch als Twitter ist. Diese Selbstbeweihräucherung ist zwar ein ganz normales Phänomen von sozialen Kreisen, es ist auf Twitter nicht weniger anzutreffen, allerdings fällt es aufgrund der erwähnten Masse an Tweets nicht so ins Gewicht.

Abschiede mit großer Geste und alberne Comebacks

Soviel zur Theorie. In der Praxis zeigen sich allerdings einige Abweichungen von der reinen Lehre. So scheint Twitter vielen Menschen eine ganze Menge Stress zu bereiten. Ständig gibt es Streit auf Twitter darüber wem man folgen soll oder darf und wem nicht. Ob und wie man auf einen Tweet antworten darf. Und welche Tweets man wie mit wem teilen sollte oder nicht. Regelmäßig verabschieden sich große Twitterer mit großer Geste vom Medium, als hätten sie gerade ihre Karriere beendet und viele kehren nach einiger Zeit mit einem albernen Comeback zurück.

Türsteher vor meiner Filterblase

Der jüngste Streit dreht sich um einen winzigen Account mit Namen @blockempfehlung. Ein „Block“ ist die Einstellung in Twitter, dass man selbst nichts mehr über die und von der geblockten Person hört. @blockempfehlung spricht nun, wie der Name sagt, Empfehlungen aus, wenn man blocken soll. Da ich mir gerne selbst meine Meinung bilde und ein eher gespaltenes Verhältnis zu Türstehern habe, werde ich dem Account nicht folgen, denn ich möchte keinen Türsteher vor meiner Filterblase. Damit ist die Sache für mich gegessen. Für andere hingegen nicht: Sie schimpfen über Zensur, Denunziation und sogar Faschismus. So viel Aufregung ist nicht nötig. Man kann Twitter auch ganz unverkrampft nutzen. Man muss sich nur mal ein paar Sachen bewusst machen. Daher folgt hier ein Leitfaden, wie ihr alle Twitter entspannter nutzen könnt:

140 Zeichen

Ein Tweet ist beschränkt auf 140 Zeichen. Dies ist für viele Sätze der deutschen Sprache schon zu kurz. Das macht einerseits den Reiz aus, ich muss kurz und prägnant formulieren. Andererseits erfordert es aber auch – zwangsläufig – Verkürzung. Ich kann nicht abwägen, sondern muss knallhart ohne ‚Wenn‘ und ‚Aber‘ formulieren. Deshalb sollte jeder Empfänger, bevor er sich echauffiert, sich vielleicht mal kurz besinnen, ob der Tweet nicht auch anders gemeint sein kann. Und ob ein einziger Tweet, der vielleicht nicht in Ordnung war, es gleich wert ist, zu den Waffen zu greifen. Oder ob man nicht lieber einfach darüber hinwegscrollen sollte und beobachten, ob auch in Zukunft unangebrachte Inhalte kommen. Denn – das sollte sich jeder immer klar machen – es kann auch ganz anders gemeint gewesen sein. Andererseits sollte sich jeder Sender auch fragen, ob wirklich jeder Tweet geschrieben werden muss. Ob er oder sie es nicht vielleicht auch einfach mal lassen soll, denn das führt uns zum zweiten Punkt.

Der Fav

Wenn mir ein Tweet gut gefällt, verteile ich einen Stern, ich favorisiere ihn. Die Seite Favstar hat daraus die inoffiziellen Twittercharts gemacht. Das führt dazu, dass viele auf der Jagd nach Sternen keinen Witz für zu billig halten. Wovon sich wiederum andere gestört fühlen. Und obendrein gibt es auch noch Neid: Hans hat mehr Follower als Peter obwohl Franks Tweet viel schlechter ist als Walters. Mein Rat: hört auf, euch mit anderen zu vergleichen, sondern freut euch, wenn jemand euch versteht und daher besternt. Außerdem komponiert lieber wenige gute Tweets, als mit einem Dauerfeuer von Geschmacklosigkeiten eure Quote zu erreichen.

Der Tweetklau

Auf der Jagd nach Sternen gehen manche den Weg des geringsten Widerstands und kopieren, was andere bereits geschrieben haben. Machen sie dies mit der von Twitter vorgesehenen Funktion, handelt es sich um einen Retweet mitsamt Quellenangabe und alle sind glücklich.  Doch gelegentlich schmückt sich jemand mit fremden Federn. Das wird auf Twitter nicht gerne gesehen und Täter werden mit Bissen beziehungsweise Shitstorms aus dem Rudel vertrieben. Natürlich ist es unglaublich verwerflich jemandes „geistiges Eigentum“ zu „stehlen“. Oder wie Peter Breuer es ausgedrückt hat:


Und vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht, ist dein Tweet auch nicht so kreativ gewesen, dass er nicht noch jemandem anderen einfallen konnte. Zumindest einen Tweet aus den Favstar-Best-Of lernte ich schon Jahre zuvor auf belauscht.de kennen. So etwas nehme ich zur Kenntnis, schüttele vielleicht den Kopf über den Geltungswahn des Twitterers aber deswegen veranstalte ich doch keinen Exorzismus…

Replies und Mentions

Wenn man auf Twitter jemanden in einem Tweet erwähnt, wird dieser umgehend darüber informiert. Immer wenn jemand @Privatsprache schreibt, vibriert mein Handy. Das ist eine Mention. Setze ich den Namen an den Beginn des Tweets, kann dieser Tweet nur noch von mir, dem/der Erwähnten und unseren gemeinsamen Followern gelesen werden. Das ist dann eine Reply. Zumindest war das früher so, mittlerweile hat Twitter so merkwürdige Linien eingeführt um Konversationen zu kennzeichnen, die das Prinzip modifizieren…

Hier schlägt jetzt wieder der janusköpfige Aufbau Twitters zurück. Menschen, die Twitter als Microblog nutzen, um eine möglichst große Reichweite zu generieren, mögen keine Replys und Mentions und viele äußern ihr Verachten oft lautstark. Natürlich verstehe ich, dass es anstrengend wird, wenn bei 20.000 Followern auch nur jeder 20. auf einen meiner Tweets antwortet, weil das Rauschen dann zu groß wird. Aber jedes Mal genervt zu reagieren ist auch albern, denn die Menschen, über die du dich da aufregst, sind deine Fans. Ohne sie wärst du auf Twitter nichts, also behandele sie mit Respekt. Und wenn jemand wirklich nervt, kann man ihn auch Blocken. Was natürlich doof ist, wenn man nur nach Quote geht…

Der Block

Ein anderes Problem ergibt sich, wenn man kontroverse Tweets absetzt. Ein Shitstorm kann schon sehr belastend sein. Da hilft ein Block um sich selbst zu schützen. Aber man sollte auch vorsichtig sein, dass man nicht voreilig andere blockt, die ja vielleicht doch wieder nur ungeschickt in 140 Zeichen gefangen sind. Außerdem hat mal (ich glaube) @Linuzifer bei WMR etwas über Blogposts gesagt, das erst recht für Twitter gilt: Man liest sie mit der eigenen inneren Hassstimme. Vielleicht war:

Im Sturm nicht als das gemeint:


Sondern eher als das:

Und für die andere Seite gilt: Ja, ein Block ist eine narzisstische Kränkung. Ja, ich habe diese auch schon erfahren. Und ja: Ich konnte das damals auch nicht verstehen, aber deswegen bin ich nicht gleich verbal Amok gelaufen. @mspros Thesen vom Kontrollverlust und von der Filtersouveränität erklären sehr gut, warum man mit gutem Recht jemanden blocken darf. Und das ist keine Zensur! Deine Meinungsfreiheit wird nicht eingeschränkt, dadurch, dass eine Person sagt: ich will mir das nicht anhören. So wie ich für mich entschieden habe, nicht die Bildzeitung zu lesen. Damit zensiere ich aber die Bild nicht.

Entfolgen

Was fürs Blocken gilt, gilt auch fürs Entfolgen. Ihr erinnert euch an meine Eingangsthese: Twitter ist interessengetrieben. Also kann dieses Interesse auch enden und hat nichts damit zu tun, dass die Person, die euch nun nicht mehr folgt, euch beleidigen will oder was ihr da sonst noch alles hineininterpretiert. Seht das alles einfach etwas entspannter, dann bleibt Twitter für euch und uns alle der schönste Ort im Netz, abgesehen natürlich von diesem Blog.


Und wisst ihr was? Immer wenn Twitter euch nervt, gibt es eine einfache Lösung: Einfach mal das Handy beiseite legen und den Browsertab schließen. Ihr müsst ja nicht gleich so etwas Verrücktes machen wie offline gehen! Ihr könnt einfach etwas entspannter Twittern.

 

 

 

 

 

Ich bin raus.

Harry Potter und die Löcher des Plots

Gleis 9 3/4.
Gleis 9 3/4. Foto von SoxFan. Lizenz: CC-BY-SA-3.0.

Ich bin ein riesiger Harry-Potter-Fan. Ich habe die ganze Reihe schon mindestens drei Mal gelesen und mich mit der Dame gestritten, wer unserer Tochter (6) die Geschichte vom kleinen Zauberer mit der Blitznarbe vorlesen darf. Ich habe den Streit gewonnen. Mit dem Expelliarmus-Spruch. Natürlich. In diesem Advent war es endlich so weit. Meine Tochter (6) hatte endlich die geistige Reife erreicht, es mit den Schrecken und Freuden des ersten Bandes auf sich zu nehmen.

Das stellt uns natürlich vor ein Problem der künstlichen Verknappung: Wir haben damals Joanne K. Rowlings Schreibprozess mitbekommen. Kinder der 90er wuchsen gemeinsam mit Harry auf und konnten so die allmähliche Verschärfung der Story gewissermaßen natürlich miterleben. Kinder von heute hingegen stehen vor dem Problem, dass sie nach Band 1 unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht, Band 2 und vielleicht auch 3 noch verkraften könnten, aber spätestens mit dem Ende von Band 4 die Geschichte so düster zu werden beginnt, dass ich sie noch nicht einer Sechsjährigen zumuten würde. Daher haben wir – meine Tochter und ich – die Vereinbarung getroffen, dass wir jedes halbe Jahr ein Buch lesen.

Spoiler Alert

Falls du, lieber Leser, in den letzten zwanzig Jahren tatsächlich unter einem Stein gelegen hast, beachte bitte: Ich werde spoilern…

Der Janusköpfige Auftakt des Epos

Diesen Advent ging es also los mit „Der Stein der Weisen“*. Und wisst ihr was? Es ist wahrlich verwunderlich, dass HP nach diesem Auftakt ein solcher Welterfolg wurde. Dem überdrehten Beginn mit den Dursleys, die sich den Briefen aus Hogwarts verweigern, kann ich noch einiges abgewinnen, auch wenn er stilistisch eigentümlich aus der Reihe rausfällt und eher zu Kishon, Tucholsky oder Lem passen würde. Das Buch wirkt wie zwei Geschichten: Erst die Satire um die spießige Familie, die das Waisenkind in grimmscher Manier schlecht behandelt. Jedoch kommen die Dursleys ihrer Vernachlässigung auf so überzogene Art und Weise nach, dass nicht recht Kummer über Harrys grausames Schicksal aufkommen mag. Dann kommt plötzlich der Umschwung, Harry taucht in die magische Welt ein und das Buch verliert jede Form von Satire, sondern nimmt sich und seine Protagonisten mit einem Mal sehr ernst.
Aber wie gesagt: Das finde ich zwar bemerkenswert aber nicht verwerflich. Was mich hingegen wahrlich stört, ist das Finale. Es steckt so voller Plottlöchern, dass ich es nicht ernst nehmen kann und dass es J. K. Rowling auch nicht würdig ist – zumal sie einige sehr schöne epische Vorausdeutungen auf den großen Erzählbogen in den ersten Band packt.

Wibbly Wobbly Timey Wimey

Fangen wir an: Der Stein der Weisen wurde nach Hogwarts gebracht, weil er in Gefahr ist. Woher Dumbledore und Nicholas Flamel (der Besitzer des Steins) das wissen, wird uns vorenthalten, denn der erste Versuch den Stein zu stehlen, findet ja erst statt, nachdem er aus der Bank Gringotts geholt wurde, um ihn noch sicherer aufzubewahren. Gut, das könnte ich noch akzeptieren, bei Doctor Who würde das mit „Wibbly Wobbly Timey Wimey“ begründet.

Aber warum wird der Stein nach Hogwarts gebracht? Ist eine Schule wirklich der beste Ort um ein Objekt aufzubewahren, auf das es jemand (mutmaßlich der gefährlichste Schwarzmagier aller Zeiten) abgesehen hat? Hagrid liefert uns die Begründung, dass Hogwarts „der sicherste Ort der Welt“ wäre. Fragt sich, wie schrecklich diese Welt ist. Denn so unglaublich sicher kann es in Hogwarts nicht sein, wenn da zum Beispiel einfach mal ein Troll ausgesetzt werden kann… Ich meine: so einen Troll bringst du ja nicht mal eben in der Hosentasche mit, oder? Irgendwo muss das Vieh doch herkommen… Und keiner hat’s gesehen?!?
Im weiteren Verlauf der Reihe erfahren wir zwar noch von Zauberbännen und ähnlichem (Wibbly Wobbly Timey Wimey) Gedöns, das Hogwarts schützt, aber nicht im ersten Band. Da steht erstmal nur, dass Hogwarts so unglaublich sicher ist. Doch die Sicherheitsvorkehrungen, die wir dann im Laufe des Buches kennenlernen, sind alle so billig, dass Erstklässler sie überwinden können. WTF?
Der ganze Plott des Heist of the Stone ist – so wird uns erzählt – überhaupt nur möglich, weil Dumbledore nicht da ist, sondern mit seinem Besen zum Ministerium geflogen ist. Dorthin wurde er gelockt durch eine falsche Nachricht. Mensch, wäre das praktisch, wenn Dumbledore hätte schneller reisen können. Etwa mit so etwas ausgefuchsten, wie einem Netzwerk von Kaminen oder wenn er sich gar hätte beamen können („apparieren“ im Potter-Jargon). Man merkt hier wie öfter mal, dass Rowling sich so manches Element ihrer Welt erst „on the fly“, im Laufe der Jahre beim Schreiben ausgedacht hat. Making up the rules as we go along. Zwar könnte man den Beginn des Buches und Dumbledores allererstes Erscheinen so deuten, als hätte er sich appariert, aber ich glaube nicht, dass Rowling den Satz:

„An der Ecke, die sie beobachtet hatte, erschien ein Mann, so jäh und lautlos, als wäre er geradewegs aus dem Boden gewachsen.“

wirklich schon so meinte, dass sie dort das Apparieren andeutet, das sie dann aber erst in Band 5 einführt. Ich glaube eher, der Satz sollte in die Stimmung etwas Wibbly Wobbly Timey Wimey reinbringen. Wir haben mit Dumbledore natürlich das klassische Superheldenproblem: Er wird uns als nahezu allmächtig beschrieben. Also muss seine Macht irgendwie künstlich begrenzt werden, damit überhaupt eine spannende Geschichte möglich wird. Zu dieser Begrenzung – Dumbledores Kryptonit – erwählt Rowling seine Abwesenheit. Aber genau das finde ich eben höchst unplausibel…

Erstklässlerhindernisparkour

Kommen wir zu den Fallen, die den Stein schützen: Dumbledores Trick mit dem Spiegel, das Schachbrett von McGonagall und Hagrids dreiköpfiger Hund sind die einzig würdigen Schutzmechanismen. Alle anderen sind einfach nur billig. Unsere drei Protagonisten kommen an dem Hund vorbei, weil sie dem naivem Hagrid das Geheimnis entlockt haben, dass das Vieh einschläft, sobald es Musik hört. Sogar wenn diese Musik von ungeübten Flötenspielern stammt. Daraufhin treffen Harry, Ron und Hermine auf Professor Sprouts Falle: Eine Pflanze, deren Bekämpfung auf dem Lehrplan für das erste Schuljahr steht. Ernsthaft? In der ganzen magische Welt mit ihren Drachen und schrumpfhörnigen Schnarchkacklern gab es nichts gefährlicheres als diese olle Teufelsschlinge, die jeder Zauberer mit ein bisschen Feuer überwinden kann? Ich meine, wenn ich Zauberer und gefangen in einer Schlingpflanze wäre, dann wäre Feuer wahrscheinlich einer der ersten Tricks, die ich einfach mal auf gut Glück ausprobieren würde…
Kaum hat Hermine ihre praktische Prüfung bestanden, kommt das Trio Infernale zu Professor Flitwicks Falle. Diese besteht faktisch nur aus einer Tür. Okay, eine Tür, die sich magisch nicht öffnen lässt. Das wäre eigentlich ein ziemlich cooler Schutzmechanismus, aber was macht Flitwick? Er legt den Schlüssel vor die Tür. Okay, okay, der Schlüssel fliegt mit einem Haufen anderer Schlüssel, rum, damit man nicht rankommt, außer man hat zufällig einen Besen dabei. Aber nein, das ist auch nicht nötig: denn Flitwick hat im Raum ein ganzes Arsenal von Besen bereitgelegt. Der kleine Zauberlehrer bettelt ja förmlich darum, dass seine Falle überwunden wird. Wäre es nicht cleverer gewesen, den Raum mit den fliegenden Schlüsseln an einem ganz anderen Ort als die Tür zu installieren? Zum Beispiel in Gringotts oder am Südpol? Und wäre es nicht auch cleverer gewesen, dass niemand von den fliegenden Schlüsseln weiß und so auch keinen Besen hat, um den richtigen Schlüssel zu fangen? Das ganze wirkt wie das eindimensionale Dungeon eines Jump-and-Run-Spiels.

Hinter der nächsten Tür des Dungeons finden wir das Schachfeld. Das ist so weit okay, wenn der „Schachcomputer“ stark genug ist, gibt es wohl nicht viele Leute, die daran vorbeikommen. Was passiert, wenn man einfach, ohne zu spielen, am Schachfeld vorbeiläuft, verschweigt Rowling zwar, aber bestimmt „böse Dinge“.
Nun kommen wir wieder mal zu einem Troll, den aber Quirrel dankenswerter Weise schon ausgeschaltet hatte, denn den Trollquest hatten unsere Helden ja schon in der Mitte des Buches bestanden. Woraufhin sie sich im Raum von Snape wiederfinden. Ein cooles Setting: rotes Feuer bildet die Tür um voranzuschreiten, schwarzes Feuer bildet die Tür um zurückzukommen und nur der richtige Zaubertrank lässt einen durchs Feuer treten. Nun gut, auch hier könnten wir wieder ganz dezent fragen: Warum, lieber Severus, müssen die Tränke gleich an Ort und Stelle liegen? Aber geschenkt, denn Snape würzt das ganze ja dadurch, dass neben den richtigen Tränken auch Nieten und sogar Todbringer sich im Raum befinden. Soweit, so gut, er und Dumbledore wissen, welchen Trank sie nehmen sollen, der Stein ist sicher. Sollte man meinen… Aber Snape legt einen Zettel neben die Tränke, auf dem ein billiges kleines Rätsel steht, wie man den richtigen Trank findet. ARE YOU FUCKING KIDDING ME? Du bettelst doch geradezu darum, dass wir dich auslachen, Snape!!!

Zum Schluss kommt dann der Spiegel Nerhegeb (Mirror of Erised) von Dumbledore, der den Stein nur preisgibt, wenn man ihn haben will aber nicht benutzen. Das ist eine coole Idee auch wenn Flamel ihn dadurch nie wiederbekommen könnte. Und technisch betrachtet bleibt auch fragwürdig, ob Flamel Dumbledore bitten könnte, den Stein aus dem Spiegel zu holen, den dann würde Dumbledore ihn ja mit der Intention aus dem Spiegel holen, ihn zu benutzen, wenn auch nicht für sich selbst… Aber ich will hier nicht Haare spalten, das ist halt Wibbly Wobbly Timey Wimey.

Ich bin allerdings froh, dass sich Rowling im weiteren Verlauf der Reihe in ihrer erzählerischen Kraft noch wesentlich steigern wird. Denn trotz dieser gigantischen Plottlöcher bleibt Harry Potter und der Stein der Weisen ein lesenswertes Kinderbuch. Besonders wenn man sich ansieht, gegen welche Konkurrenz Rowling im Bücherregal mit den zeitgenössischen Kindergeschichten so antritt. Aber das ist eine andere Geschichte…

Ich bin raus!

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Das Kabinett der GroKo in Worten, Bildern und Videos

Ganz frisch wurde die zum Wort des Jahres gekürte große Koalition auch vereidigt. Ein feierlicher Staatsakt, der fast vergessen macht, mit wem wir es hier zu tun haben. Na kennt ihr sie, unsere neue Truppe?

Ähm ja?
Quelle: Reactiongifs

Doch unsere Kanzlerin und ihre Minister sind nicht bloß Experten und verantwortungsbewusste Führer (ja, die Konnotation ist mir bewusst) unseres Landes, sie haben auch eine Vergangenheit. Kennt ihr die noch? Oder hat euch der Glanz dieser Zeremonie so geblendet dass ihr die Gurkentruppe, Zensursula und Guantanamo Bay schon vergessen habt. Ah ja, genau, da war noch was…

Lasst uns doch mal einen Blick werfen in die Vergangenheit unseres Kabinetts.

Angela – die ruhige Hand – Merkel

 

Beginnen soll alles mit der Bundeskanzlerin. Erinnert sich noch jemand an ihren Vorgänger? Das war ein Typ namens Gerhard Schröder, der auch gerne mal „Genosse der Bosse“ genannt wurde, weil er trotz SPD nicht so viel mit Sozialpolitik am Hut hatte. Uns Gerhard hatte auch ein paar gute Jahre. In denen wollte er nicht so viel kaputtmachen mit schlechten Ideen wie Regieren oder so. Also erhob er das Nichtstun zur Staatsraison und nannte es: „Die Politik der ruhigen Hand“. Angela Merkel, damals Oppositionschefin sah das freilich ganz anders:

„Der Bundeskanzler drückt sich, statt zu handeln.“

Quelle: Tagesspiegel

Ein paar Jahre später war sie dann selbst an der Macht und musste sich der Frage stellen: soll ich wichtige Reformen angehen und damit dann an alten Besitzständen kratzen? Nun ja, ihr kennt die Antwort… Dass sie damit grandiose Beliebtheitswerte unter den Wählern einstreicht, hängt sicher auch damit zusammen, dass ihre Untergebenen handelnd nicht gerade Glanzlichter sind. Wie zum Beispiel:

Sigmar – Ich mache mir die Welt wide-wie sie mir gefällt – Gabriel

Unser neuer Wirtschafts- und Finanzminister hat sich erst kürzlich in die Herzen der Nation gelogen. Als er auf die Frage, warum er die Voratsdatenspeicherung wieder einführen will, die das Bundesverfassungsgericht als Grundgesetzwidrig erklärt hatte, sich die Welt einfach mal mit folgendem Satz zurechtbog:

„… durch die dortige Vorratsdatenspeicherung, wusste man sehr schnell, wer in Oslo der Mörder war (…). Das hat sehr geholfen.“

Quelle: Zeit

Damit bezieht er sich auf das Attentat in Norwegen von Anders Breivik. Was unser Siggi dabei aber mal ganz aus Versehen unter den Tisch fallen lässt, ist nicht bloß, dass Breivik nicht durch Vorratsdatenspeicherung überführt wurde, sondern weil er auf frischer Tat, blutverschmiert, beim Kinderabmetzeln erwischt wurde. Nein, obendrein vergisst Gabriel auch noch, dass Norwegen damals noch gar keine Vorratsdatenspeicherung hatte.

Dass man es aber mit den Grundrechten in der SPD-Spitze anscheinend eh nicht so eng sieht, sieht man an:

Frank Walter – „Klar, behaltet den Kurnaz ruhig in Guantanamo“ – Steinmeier

Unser neuer Außenminister, der nach einer kleinen Pause den Job wieder antreten darf, legt seinerseits nämlich die Unschuldsvermutung mal gerne etwas großzügig aus. Wir erinnern uns: nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatten die USA das menschen- und völkerrechtswidrige Gefängnis in der Guantanamo Bay auf Kuba gegründet. Sie taten das, um dort Menschen ohne Gerichtsverfahren wegzusperren, die sie als „feindliche Kämpfer“einstuften, weil sie als Kriegsgefangene zu viele Rechte gehabt hätten.

Dumm nur, wenn du zur falschen Zeit am falschen Ort bist. So wie etwa Murat Kurnaz, der nach Auffassung von BND und Verfassungsschutz „nie terroristisch tätig“ war. Gut, ist jetzt dumm gelaufen, dachten sich die Amis und meinten, Schwamm drüber, schicken wir den halt zurück nach Deutschland und das bisschen Folter hat doch (fast) keinem weh getan. Doch da hatten sie die Rechnung ohne den damaligen Kanzleramtsminister Frankyboy gemacht. Denn der wollte Kurnaz nicht wieder nach Deutschland lassen. Scheiß auf „Jeder Mensch gilt als Unschuldig bis zum Beweis seiner Schuld“, scheiß auf den Rechtsstaat und seine ordentlichen Gerichtsverfahren und scheiß auf das Folterverbot. Denn, so Steinmeier:

„Ich würde mich heute nicht anders entscheiden“ Er begründete seine Entscheidung mit der Einstufung von Kurnaz als Sicherheitsproblem durch die deutschen Behörden.“Man muss sich ja nur vorstellen, was geschehen würde, wenn es zu einem Anschlag gekommen wäre“, so der heutige Außenminister, „und nachher stellte sich heraus: Wir hätten ihn verhindern können.“

Quelle: SpOn

Der Steinmeier...
Quelle: Fernsehen. 😉

Gegen solche unverfrorene Verfassungsfeindlichkeit ist der Rest des Kabinetts eigentlich kaum noch der Rede wert.

 

Thomas – Flugsicherheit wird überbewertet und überhaupt waren das nur meine Mitarbeiter – de Maizière

Krieg

Es ist schon bezeichnend, dass der neue und alte (also der vorletzte oder so) Innenminister fast schon einer der Kompetentesten unseres neuen Kabinetts ist. Aber auch der Kumpane hat so seine Leichen im Keller. So war ihm bis vor kurzen nicht klar, dass eine unbemannte Drohne, die so schön vor sich hinfliegen soll, sich an deutsche Gesetze, an so einen Blödsinn wie Flugsicherheit, zu halten hat. Das Ding soll ja bei anderen dafür sorgen, dass sie sich unsicher fühlen, warum soll es dann sicher fliegen können? Als seine Wissenslücke dann aufflog, dachte sich der Thommi: Kein Problem, opfere ich halt ein paar Bauern:

Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat in einer Bewertung der internen Vorgänge zur Drohnen-Affäre in seinem Ressort seine beiden engsten Mitarbeiter heftig kritisiert: „Ich wurde unzureichend eingebunden“

Quelle: SpOn

Ja, das ist natürlich doof, wenn man als Chef unzureichend eingebunden wird in seine eigenen Projekte. Da kann man dann ja auch nichts mehr machen… Also schnell weiter zu:

Heiko – Paintball ist böse – Maas

Das Justizministerium, das aus irgendeinem obskuren Grund nun auch für Verbraucherschutz verantwortlich ist, übernimmt dieser Herr mit dem einfachen Weltbild. Ja gut, was soll man da sagen. Über den Effekt von Ego-Shootern streiten sich die Gelehrten. Aber in manch schlichtem Gemüt sind nicht bloß die, sondern auch Paintball gewaltverherrlichend. Ich frage mich, ob Herr Maas in der Schule Brennball gespielt hat oder Räuber und Gendarm. Das gehört alles verboten!

 

Wolfgang – Ich hätte da noch einen Koffer Bargeld für unser Konto in Liechtenstein – Schäuble

Wenn sich einer mit Finanzen auskennt, dann der Wolfgang, dachte sich die Angie vor vier Jahren. Immerhin hat der schon in den 90ern kräftig Schwarzgeld verschoben und den einen oder anderen Koffer mit Bargeld durch Europa getragen. Doch alles nur für die Partei, denn die hat ja bekanntlich immer recht. und da der Wolle seinen Job so gut macht, darf er auch in den nächsten vier Jahren das Geld des Staates hin- und herschieben.

Andrea – singalong – Nahles

Tja, an der ist eigentlich nicht viel auszusetzen. Außer dass sie nicht gerade viel Charisma hat, weswegen sie von den Medien oft Schelte bekommt. Gut, sie hatte noch nicht genug Macht, um richtig Scheiße zu bauen. Aber immerhin kann sie gut singen:

Hans-Peter – Supergrundrecht – Friedrich

 

Supergrundrecht

Quelle: Memegen.de

Das Landwirtschaftsministerium, das ohne den Verbraucherschutz nun wieder zum Selbstbedienungsministerium der Bauern wird, wird von einem Minister geführt, über den böse Zungen dasselbe sagen. Der Hape hat sich besonders bei der Spionageaffäre dieses Jahr (2013) hervorgetan. Erst wollte er sie nicht glauben, denn keiner konnte ihm sagen, woher denn dieser Snowden bitte seine Infos haben sollte. Da half auch nichts, dass NSA und GCHQ ihrerseits Snowdens Veröffentlichungen gar nicht bestritten, Herr Friedrich wollte das nicht glauben. Später dann fuhr er nach Amerika, um nachzufragen und erfuhr, dass der Snowden recht hatte, aber:

„Es geht nicht um ein flächendeckendes Abscannen von, äh, Kommunikation, sondern um eine gezielte, äh, Durchsuchung von einer quantitätsmäßig [sic] begrenzten Anzahl, äh, von, äh, Kommunikations, äh, -strömen. Darum geht es.“

Quelle: Netzpolitik.org

Wie begrenzt diese Überwachung von „äh, Kommunikations, äh, -strömen“ ist, kann man schön auf der Wikipedia nachlesen. Aber das ist ja eh nicht so schlimm, denn schließlich macht man das alles ja nur wegen des „Supergrundrechts“ Sicherheit…

Ursula – Zensursula – von der Leyen

In den Reigen der MinisterInnen, die das mit dem Grundgesetz nicht so eng sehen gehört auch unsere neue Verteidigungsministerin. Allerdings hatte die (damals als Familienministerin) nicht die Keule TERRORISMUS gezückt um Grundrechte einzuschränken, sondern die andere, die als Buzzword auch immer gut ankommt: KINDERPORNOGRAPHIE! Die gute Uschi wollte damals nämlich Internetseiten sperren lassen, wegen Kinderpornographie. Und weil das ja Kinderpronographie war, sollte – so die Träume von Frau von der Leyen – das kein Richter entscheiden, welche Seiten gesperrt werden sollen. Grundrechte und ordentliches Verfahren? So etwas zählt nicht, wenn es um Kinderpornographie geht! Stattdessen sollte den Job des Sperrens das BKA übernehmen und zwar anhand einer geheimen Liste, wegen Kinderpornographie!

Manuela – Zensursula ist knorke – Scheswig

Dafür dass das Thema Internetsperren im Familienministerium bald wieder auf der Tagesordnung stehen könnten, könnte Manuela Scheswig sorgen, denn die fand die Pläne der Kollegin von der Leyen eigentlich spitze, bis auf den ganzen Unsinn mit der Bürokratie und so, dass mit der Zensur muss noch viel schneller gehen!

 

Hermann – Petzi – Gröhe

 

Hermann Gröhe 2010

Quelle: CDU Deutschlands/Laurence Chaperon [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons

Ja, nö, gegen den Herrn Gröhe kann ich nichts sagen. Genau wie Frau Nahles hat der noch keinen kapitalen Bock geschossen. Außerdem sieht er aus wie Petzi Bär!

 

Alexander – Gurkentruppe – Dobrindt

Dafür, dass Ausländer in Zukunft Geld für die Benutzung deutscher Autobahnen und Glasfaserleitungen zahlen müssen, soll der Alex als Verkehrs- und Digitalminister sorgen. Gut, jedem ist klar, dass der europäische Gerichtshof das Gesetz gleich wieder einkassieren wird, aber so ein bisschen Ausländerfeindlichkeit kommt im Wahlkampf immer gut an, denn jeder weiß, dass „der Holländer“ nicht Auto fahren kann und deshalb unsere Autobahnen kaputt macht.

Wenn Herr Dobrindt mal nicht am rechten Rand fischt, dann beschimpft er seinen Koalitionspartner (damals FDP) als „Gurkentruppe“.

Barbara – Margerineindustrie – Hendricks

2:1 in Sachen Unbescholtenheit für die SPD. Über Umwelt- und Bauministerin Frau Hendricks lässt sich nichts spannenderes sagen, als dass sie über „Die Entwicklung der Margerineindustrie am unteren Niederrhein“ promoviert hat.

Johanna – Rechtschreibreform – Wanka

Meine Generation ist diejenige, die zweimal schreiben lernen musste. Erst nach den alten Regeln und dann noch einmal nach den neuen. Unsere alte und neue Bildungs- und Forschungsministerin Wanka hat die damals (mit) durchgedrückt, weshalb sie von vielen Linguisten zu Recht verachtet wird.

Sie selbst wusste auch, was für einen Murks sie da machte, und kommentierte das dann:

„Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.“

Quelle: Wikipedia

Ja, nee, is klar…

Gerd – war das nicht ein Fußballer? – Müller

Gerd Müller 7-7-74

Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-N0716-0314 / Mittelstädt, Rainer /  [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons

Der Entwicklungsminister beweist, dass sogar die CSU mal ein blindes Korn findet und jemanden aufstellen kann, der sich noch nicht zum absoluten Vollhorst (Assoziationen zu lebenden CSU-Politikern sind durchaus beabsichtigt) gemacht hat. Außerdem hat so indirekt der FC Bayern auch einen Minister…

Peter – Elitetwitterer – Altmaier

Und mit unserem neuen Kanzleramtsminister zieht die CDU in Sachen „man kann mehr falsch machen“ wieder mit der SPD gleich. Zudem ist Altmaier dann in Zukunft nicht nur Kontaktmann der Geheimdienste, sondern auch Elitetwitterer. Als solcher kann er dann immer gleich die neuesten Überwachungsmaßnahmen über die sozialen Medien verbreiten. Läuft!

 

Soviel von mir. Ich hoffe, ich konnte euch einen Überblick über unsere neuen Mädels und Jungens geben…

Ich bin raus!

Demut

eine Begriffsbestimmung

[Dieser Blogpost ist so lang, dass du schon wahnsinnig sein musst, wenn du ihn komplett liest. Daher kannst du einfach ans Fazit springen und den ganzen Schmonzes dazwischen auslassen. Dann wirst du feststellen, dass das Fazit so interessant ist, dass du auch das davor lesen willst und insgesamt noch viel mehr Zeit verplempern: Das Zeitreisenparadoxon.]

Zum Fazit springen

Besinnlich wird es zum Advent auch im deutschsprachigen Internet. Da kann es dann auch mal vorkommen, dass sich ein paar Blogger an den Begriff der Demut heranwagen. Ausgelöst wurde die Begriffsbestimmung vom Haltungsturnen, es folgten wirres.net und – logischerweise – Anmut und Demut.

Demut

Demut. Bild von mir. Lizenz: CC BY 3.0.

Ich finde es erstaunlich, dass auf der Klaviatur der ethischen Begriffe ausgerechnet auf diese Taste gedrückt wurde. Und das gleich drei Mal! Ich hätte vermutet, dass der Begriff schon längst vom Strom des Sprachwandels hinfortgespült worden ist. Zumindest in meinem abschließenden Vokabular spielt das Wörtchen keine Rolle mehr. Und fast noch erstaunlicher finde ich, dass alle drei Interpreten den Begriff der Demut positiv deuten, während ich es bei ihm eher mit Nietzsche halte. Doch eines nach dem anderen, schauen wir doch erst einmal, was die drei demütig zu verkünden haben. Denn das ist mein eigentliches Anliegen: hier kann man mal richtig schön Sprachanalyse betreiben und ganz im Sinne Wittgensteins „dem Volk“ aufs Maul schauen. Also: Was ist Demut?

Haltungsturnen + Pferde + Kinder = Demut

Ich musste schon ein wenig Schmunzeln, als ich über der Überschrift „Demut“ den Slogan von Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbachs Seite las: „Niveau sieht nur von unten aus wie Arroganz“. Hmmm… Nicht gerade demütig, oder? Im Gegenteil: Ist nicht gerade das „Unten“ der Ort der Demut? Aber das nur am Rande…

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach geht seine Definition in platonischer Tradition extensional an, indem er sich fragt, was unter den Begriff fällt beziehungsweise was ihn demütig macht:

„Kinder und Pferde machen demütig. Mich jedenfalls. Anderen wird es vielleicht mit anderem so gehen. Aber Kinder und Pferde erinnern mich immer wieder daran, wie zufällig so vieles ist, wie wenig binär, eindeutig, plan- und beherrschbar.“

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach: Demut.

In diesem Absatz stecken schon drei spannende Aspekte des Begriffs:

  1. Demut ist ein innerer Zustand. Anders als zum Beispiel Freiheit hat die Gesellschaft darauf keinen Einfluss. Egal welchen äußeren Einflüssen ich unterliege, ich kann immer demütig sein.
  2. Demut bezieht sich auf etwas. Es ist kein alleinstehender Wert. Wieder verglichen mit der Freiheit zeigt sich der Unterschied. Freiheit ist absolut. Ein unveräußerliches Recht. Es gibt sowohl die Freiheit von etwas, als auch die Freiheit zu etwas. Demut hingegen steht immer in einer Relation zu einem anderen Wert.
  3. Demut hat etwas mit Bewusstmachen zu tun. Luenenbuerger-Reidenbach erinnert sich an etwas, das macht ihn demütig.

So weit, so gut.

Aus dieser ersten Annäherung an den Begriff zieht Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach aber sogleich einen falschen Schluss, indem er technikpositivistischen Menschen und Technokraten Demut abspricht. Aber warum sollte das so sein? Alle drei oben erwähnten Bedeutungsaspekte von Demut kann ich auch auf Technikpositivismus oder Technokratie anwenden. Es gibt keine intrinsischen Bedeutungsaspekte von Technikpositivismus oder Technokratie, die mit Demut im Widerspruch stehen. Ich kann sehr demütig daruf hoffen, dass der Replikator erfunden wird und mit ihm der Hunger der Welt endet. Genauso kann ich als Technokrat vor jeder Regierungsentscheidung Wissenschaftler befragen, um dann ganz demütig zu einer Entscheidung zu kommen. Luenenbuerger-Reidenbach zieht diesen Schluss, um damit implizit einen weiteren, zentralen Bedeutungsaspekt von Demut einzuführen:

„Ob es wirklich und ernsthaft Menschen geben kann, die sich nicht nur einzureden versuchen (ob aus Schwäche und Unsicherheit oder aus Kalkül), sie könnten die Zukunft vertraglich regeln oder die Funktionsweise von irgendwas mit Menschen oder der Natur mithilfe von Gesetzmäßigkeiten erklären und vorhersagen.“

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach: Demut.

Demut ist das Gegenteil von Hybris, Arroganz und Hochmut. Sie ist verwandt mit Bescheidenheit. Allerdings muss ich noch einmal betonen, dass Luenenbuerger-Reidenbach keinerlei Argument liefert, warum Technikpositivismus oder Technokratie nicht auch demütig sein können. Seine vemeintliche Schlussfolgerung ist ein purer Sophismus. Karl Poppers Stückwerk-Sozialtechnik ist ein äußerst technokratischer Ansatz. Aber gerade im Wissen um seine eigene Fehlbarkeit erscheint er mir demütig, in dem Sinne in dem Luenenbuerger-Reidenbach den Begriff verwendet. Letzterer benutzt die Demut hier als nichts anderes, denn als Buzzword um seine Abneigung gegenüber Technokratie und Technikpostivismus zur Schau zu stellen. Technikpositivismus und Technokratie sind böse weil Demut! Eine Begründung lässt er aus.

Aus dieser Einstellung heraus folgt im Haltungsturnen ein Rant über den Begriff des Naturgesetzes, den wir hier vernachlässigen können, weil er m. E. auf einer falschen Definition des Begriffs aufbaut. Interessant ist noch dieses Zitat bevor wir uns den Wirren von wirres.net zuwenden:

„Nur Wesen, die wir gebrochen haben, ergeben sich in die Beherrschbarkeit“

Wolfgang Luenenbuerger-Reidenbach: Demut.

Denn meinem Verständnis nach gibt es noch etwas anderes, das Beherrschbarkeit über Jahrhunderte hinweg ermöglicht hat: Demut. Ich werde das später noch weiter ausführen.

Wahrheit und Fehlbarkeit

„Madame Kovarian: Good men have too many rules.
The Doctor: Good men don’t need rules. Today is not the day to find out why I have so many.“

Doctor Who: A Good Man Goes to War.

Da dieser Text schon jetzt langsam tl;dr wird, möchte ich zu Felix Schwenzel und seinem Demut-Text voranschreiten. Denn dieser bringt mein Problem mit der Demut sogleich auf den Punkt, auch wenn sein Autor es negiert:

„für mich spielt der bedeutungsaspekt [sic! Stellvertretend für jedes kleingeschriebene Substantiv, das noch kommt; db] der unterwürfigkeit weniger eine rolle, als die bescheidenheit. und zwar nicht bescheidenheit im sinne von understatement, sondern im sinne eines eingeständnisses der eigenen fehlbarkeit.“

Felix Schwenzel: Demut.

Hier haben wir also drei weitere Bedeutungsaspekte von Demut:

1. Unterwürfigkeit
2. Bescheidenheit
3. Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit

Schwenzel fährt fort, indem er auch wieder die innere Haltung ins Spiel bringt, kombiniert mit Toleranz und Respekt:

„eine haltung, die den austausch und die kommunikation mit anderen menschen erleichtert, aber auch den umgang mit und das verständnis der welt.“

Felix Schwenzel: Demut.

Dann macht er etwas spannendes, nämlich die epistemologische Wende des Begriffs der Demut:

„…sogenannten wahrheiten immer differenziert, skeptisch und mit demut zu begegnen. denn ich bin überzeugt davon, dass menschen, die glauben im besitz der wahrheit zu sein, die welt zur hölle machen.“

Felix Schwenzel: Demut.

Er setzt hier Demut in Relation zu Skepsis und differenzierter Betrachtung in Bezug auf die Wahrheit. Das begründet er dann moralisch. Menschen, die sich im Besitz der Wahrheit wähnen, werden zu Tyrannen. Das ist ein spannender Punkt, den ich partiell teile, wenngleich ich ihn wesentlich vorsichtiger formulieren würde. Denn ich glaube nicht, dass die Gewissheit, dass ich jetzt eine Hand hochhalte, mich in die Gefahr bringt, tyrannisch zu werden. Da ich Felix Schwenzel auch nicht unterstellen möchte, dass er so weit gehen würde, ist mit der Gewissheit, also dem Besitz der Wahrheit, auf den er sich bezieht, wohl etwas anderes gemeint. Eine besondere Form der Gewissheit: das Wissen darum, was moralisch richtig ist. Menschen, die sich dessen gewiss sind, die ihre Handlungen nicht hinterfragen, sind gefährlich. Sie sind nicht demütig.

„das eingeständnis von fehlbarkeit bedeutet keinesfalls, dass man nicht felsenfest von etwas überzeugt sein kann. solange man diese überzeugung, wie ein guter wissenschaftler, als hypothese betrachtet, die durch neue fakten, andere blickwinkel oder perspektiven neu evaluiert oder formuliert werden muss.“

Felix Schwenzel: Demut.

So fährt Schwenzel fort. Auch das ist wieder ein sehr schöner Gedanke, denn er versteht Demut hier als moralische Falsifikation. Aber auch hier geht er wieder zu weit, indem er dann folgert:

„genaugesehen sind alle unsere urteile vorurteile. wir können versuchen unsere urteile auf eine möglichst breite basis zu stellen, aber niemals ausschliessen, dass wir etwas übersehen oder vergessen haben.“

Felix Schwenzel: Demut.

Es gibt vier Arten von Urteilen:

  1. die Abduktion (Schluss von einem Einzelfall auf etwas Allgemeines)
  2. die Induktion (Schluss von einer Reihe von Einzelfällen auf etwas Allgemeines)
  3. die Deduktion (Schluss vom Allgemeinen auf einen Einzelfall)
    und
  4. die Analogie (Schluss von einem Einzelfall auf einen anderen Einzelfall aufgrund einer Ähnlichkeit)

Und nur 1. und mit Einschränkungen noch 2. sind Vorurteile. Nicht hingegen, dass Sokrates sterblich ist, wenn er ein Mensch ist und alle Menschem sterben (3.). Oder dass die 1. Person singular im Futur I von „möpen“ „ich werde möpen“ lautet, weil die 1. Person singular im Futur I von „sagen“ genau so gebildet wird (4.).

Doch das nur am Rande, denn Felix Schwenzel liefert uns noch weitere Bedeutungsaspekte von Demut:

„demut muss man lernen. sie ist ein erkenntnisprozess und nichts schwermütiges oder trübsinniges.“

Felix Schwenzel: Demut.

Während er den Lernaspekt mit der Abduktion seiner eigenen Kindheit begründet, lässt Schwenzel den zweiten Teil der Hypothese etwas wirr unbegründet stehen. Das ist schade, denn das sind genau die Konnotationen von Demut, die mir den Begriff unangenehm machen. Genau diese Argumentation wäre also für mich die eigentlich spannende gewesen.

Platz halten: Demut!


Kommen wir zum letzten Teil unseres Triptychons: anmut und demut. Benjamin Birkenhake beginnt seinen Beitrag zur Demut etwas konfus:

„Im Titel dieses Blogs verwende ich „demut“ in zwei Bedeutungen: Zum einen als Platzhalter für alles Gute und Wahre – im Zusammenspiel mit „anmut“ als Platzhalter für alle Schöne und Faszinierende. Obschon mir die Demut eigentlich eine relative Tugend scheint, weil man jemandem, oder anderen gegenüber demütig ist, im Zweifel im Verhältnis zu seinem vorherigen Ich, scheint sie mir eine Primärtugend zu sein. Man kann nicht demütig sein und zugleich ein KZ führen. Sie ist eine der Tugenden, die uns vor der Barbarei rettet.“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Zum einen fehlt mir das „zum anderen“ hier und zum anderen macht Birkenhake mehr als zwei Bedeutungen auf:

  1. Demut ist Platzhalter für alles Gute und Wahre. Hat also irgendetwas mit Erkenntnis und Moral zu tun.
  2. Demut ist eine relative Tugend – den Aspekt hatten wir oben schon bei Luenenbuerger-Reidenbach. Doch anders als beim Haltungsturnen wird hier die Demut nicht in Relation zu einem anderen Wert sondern zu einer anderen Person gesetzt. Sofern ich diesen wirklich konfusen Satz richtig auslege, kann die andere Person auch man selbst in der Vergangenheit sein. Was auch immer das bedeuten mag.
    Da Benjamin Birkenhake uns sicher nicht das Zeitreisenparadoxon erklären will, scheint er wohl zu sagen, dass man sich demütig gegenüber Positionen zeigen soll, die man selbst früher mal vertreten hat. Oder bin ich total auf dem Holzweg? Mir erschließt sich das überhaupt nicht: Wenn ich zu einer neuen Erkenntnis gelangt bin, etwa dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist, warum soll ich dann Demut vor meinem Ich haben, das noch dem Irrglauben verhaftet ist, dass unsere Erde Pizzagestalt hat? Vielleicht meint er wohl doch das Zeitreisenparadoxon…
  3. Demut ist eine Primärtugend
  4. Demut schützt vor Barbarei

Spannend ist wohl vor allem 3. und die Frage, was Birkenhake unter „Primärtugend“ versteht. Leider lässt er den Begriff hier ganz isoliert ohne Erläuterung stehen. Möglicherweise meint er Kardinaltugend, aber das ist ein weiteres Mal bloße Spekulation. Und ein Blick in die Wikipedia genügt, um festzustellen, dass die Demut gerade nicht dafür bekannt ist, eine Kardinaltugend zu sein. Allerdings schreibt Birkenhake ja, dass sie für ihn eine Primärtugend ist. Jedoch ergibt sich daraus ein anderes Problem, dem ich mich gleich noch widmen werde.

„Zum anderen ist sie mir – wie ich oben schon erwähnt habe – vor allem eine Mahnung.“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Ahhh, da ist „das andere“. Da schlägt jemand lange Bögen – das mag ich. Aber was lernen wir von ihm hier über die Demut? Demut ist eine Mahnung oder Lektion. Die Demut wird von ihm erneut in Relation zum Erinnern gesetzt. Aber Birkenhake erinnert nicht – wie oben Luenenbuerger-Reidenbach – ein Drittes an Demut. Stattdessen muss er sich selbst an sie, die Demut, erinnern: ermahnen. Demut ist ferner ein Prozess, eine Persönlichkeitsentwicklung. Allerdings er schließt an, dass diese Entwicklung nie abgeschlossen ist. Da stellt sich mir die Frage, ob man dann wirklich von einer „Entwicklung“ sprechen kann. Gehört es nicht zum Begriff der Entwicklung, dass sie irgendwann abgeschlossen ist? Zumindest wenn sie nicht gestört wird. Was Benjamin Birkenhake hier anspricht scheint eher ein innerer Kampf zu sein. Es gibt einen demütigen und einen hochmütigen Aspekt meines Charakters, die sich bekämpfen und ich muss mich zeitlebens bemühen, dass der Hochmut nicht gewinnt.

Mit Anmut und Demut fährt Benjamin Birkenhake fort, dass die Demut für ihn eine „säkulare“ Tugend ist. Diese Idee führt ihn stilistisch zur anfänglichen Konfusion zurück, denn Demut sei eine Überzeugung, nicht rational sondern ein Glaube. Er meint sogar, aus rationalen Gründen demütig zu sein, sei quatsch. Aber – und hier schreit die Kontradiktion schriller als Oskar Matzerath – die Demut sei ein „säkularer Glaube“.

„Es bedarf keiner Metaphysik, keinen religiösen Elementen, um Demut als Position zu wählen. Und das Praktizieren von Demut erfordert weder Glauben, noch Ritaule. Demut ist neben der Selbstbeurteilung zuerst ein Verhaltensmuster anderen gegenüber.“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Sorry Herr Birkenhake, aber bitte kriegen Sie mal Ihre Terminologie auf die Reihe!

Zum ersten: Welchen Metaphysikbegriff hat er? Es liest sich so, als würde er „Metaphysik“ mit „Religion“ gleichsetzen, das aber ist eine steile These. Ich bediene mich hier mal der Wikipedia, die die Fragestellungen der Metaphysik folgendermaßen wiedergibt:

„Gibt es einen letzten Sinn, warum die Welt überhaupt existiert? Und dafür, dass sie gerade so eingerichtet ist, wie sie es ist? Gibt es einen Gott/Götter und wenn ja, was können wir über ihn/sie wissen? Was macht das Wesen des Menschen aus? Gibt es so etwas wie „Geistiges“, insbesondere einen grundlegenden Unterschied zwischen Geist und Materie (Leib-Seele-Problem)? Besitzt der Mensch eine unsterbliche Seele, verfügt er über einen Freien Willen? Verändert sich alles oder gibt es auch Dinge und Zusammenhänge, die bei allem Wechsel der Erscheinungen immer gleich bleiben?“

Wikipedia: Metaphysik.

Wie wir sehen, umfasst Metaphysik weit mehr als bloß Fragestellungen der Religion. Ferner widerspricht sich Birkenhake indem er plötzlich behauptet, Demut erfodere keinen Glauben. Also Demut ist ein Glaube erfordert aber keinen Glauben? Ich glaube wir sind hier wieder beim Zeitreisenparadoxon angelangt…

Statt dessen wird Demut in anmut und demut nun als Selbstbeurteilung und Verhaltensmuster anderen gegenüber erklärt. Dafür gibt es einen Terminus in der Philosophie: Ein Wert oder – wie es oben schon stand – eine Tugend. Nix mit Glaube oder so. Das sind zwei Paar Schuhe. Ich glaube… aber das ist einmal mehr bloße Spekulation … dass Benjamin Birkenhake hier auf die Letztbegründungsproblematik hinaus will. Ich kann eine Ethik nicht letztbegründen. Warum das so ist, habe ich bereits hier und hier ausgeführt. Den Weg, den die theistischen Religionen gehen, um ihre Ethik zu begründen ist das Dogma. Sie begründen jeden Wert und jede Norm mit: „Weil Gott es so will“. Möglicherweise versucht uns Birkenhake zu sagen, dass er auf diese Letztbegründung verzichten will, stattdessen will er die Demut selbst als letzten Grund ansetzen. Das wäre natürlich logisch keinen Deut besser als Gott, denn damit erhebt er sich selbst zum Maß aller Dinge. Und der belesene Platonkenner weiß, dass daraus der performative Widerspruch folgt. Aber das möchte ich hier nicht weiter ausführen, denn wie gesagt, ist das bloße Spekulation und ich habe nicht einen blassen Schimmer ob es das ist, was Birkenhake uns sagen will, oder ob er auf etwas ganz anderes hinaus will. Schauen wir mal, was er sonst noch zu sagen hat.

„Ich denke hinter der Demut steht vor allem die Überzeugung und Erfahrung, dass eine ganze Reihe von Glücksversprechen mit denen wir aufwachsen nichts als Irrlichter sind. Karriere, Wohlstand, Ansehen, Macht …“

Benjamin Birkenhake: Demut.

Hier kommen wieder die Bescheidenheit und die Skepsis zum Vorschein. Demut sei ein Wegweiser, der auf die kleinen Freuden im Leben verweise. Weniger ist mehr, mit anderen Worten: Genügsamkeit wird hier als ein Bedeutungsaspekt von Demut hervorgehoben. Birkenhake fährt fort, dass demütig Interagieren mit anderen bedeutet, „Rücksicht und Gnade“ walten zu lassen. Und schließlich charakterisiert er die Demut als diejenige Tugend, die hinter Rawls „Schleier des Nichtwissens“ steckt.
Puuuh… That’s a tough one. Denn Rawls Schleier basiert ja auf der Idee, dass alle Akteure in einer Gesellschaft zunächst einmal nicht demütig sondern egoistisch agieren. Erst wenn sie nicht wissen, wo sie in der Gesellschaft stehen, sind sie bereit anderen Güter zukommen zu lassen, aus Angst selbst benachteiligt zu werden. Aber das heißt ja nicht, dass Birkenhake unrecht hat. Gewissermaßen könnte man den Schleier als Metapher für die Demut verstehen. Das würde Demut eine altruistische Bedeutungskomponente geben…

Benjamin Birkenhake schließt, indem er zu Luenenbuerger-Reidenbachs Kindern und Pferden zurückgekehrt. Er übersetzt diese, indem er demütig noch einmal darauf hinweist, dass er (und ich möchte ergänzen: „und ich und du“) nur einer (drei) Menschen von sieben Milliarden sind.

Die Quintessenz: Was ist Demut?

So, nun haben wir die drei Blogposts erfolgreich analysiert. Schauen wir also mal, was hinten raustropft, wenn wir den Begriff der Demut auswringen. Welche Bedeutungsaspekte hat „Demut“?

  1. Demut ist ein innerer Zustand
  2. Demut ist eine Relation, kein alleinstehender Wert
  3. Zur Demut gehört, sich etwas bewusst machen
  4. Demut ist das Gegenteil von Hybris, Arroganz und Hochmut
  5. Zur Demut gehört Bescheidenheit
  6. Unterwürfigkeit
  7. Eingeständnis der eigenen Fehlbarkeit
  8. Skepsis
  9. Differenzierte Betrachtung in Bezug auf die Wahrheit
  10. Zweifel, was moralisch richtig ist
  11. moralische Falsifikation
  12. Demut muss man lernen
  13. Demut ist Platzhalter für alles Gute und Wahre. Hat also irgendetwas mit Erkenntnis und Moral zu tun.
  14. Demut kann eine Relation zu einem anderen Wert oder zu einer anderen Person sein
  15. Demut ist eine Primärtugend
  16. Demut schützt vor Barbarei
  17. Demut ist eine Mahnung oder Lektion
  18. Demut ist ein Prozess, eine Persönlichkeitsentwicklung oder ein innerer Kampf
  19. Eine Überzeugung
  20. Ein Glaube
  21. Selbstbeurteilung und Verhaltensmuster anderen gegenüber
  22. Ein Wegweiser
  23. Genügsamkeit
  24. demütig Interagieren mit anderen bedeutet, „Rücksicht und Gnade“ walten zu lass
  25. Rawls „Schleier des Nichtwissens“
  26. Altruismus

Diese allzu unordentlich Liste kann man in drei Bedeutungsfelder einteilen:

Zunächst einmal haben alle drei Autoren Bedeutungsaspekte hervorgearbeitet, die allgemein für Werte gelten und die die Demut im Wertespektrum verordnen. Das gilt allem voran für „Demut schützt vor Barbarei“. Uns vor Barbarei zu schützen, ist die grundsätzliche Aufgabe einer jeden Ethik. Die Decke der Zivilisation ist äußerst dünn und allen voran der Nationalsozialismus aber auch – in jüngerer Zeit – der Bosnien-Krieg oder der Völkermord in Ruanda haben gezeigt, wie leicht sie abgestreift ist. Ethische Regeln haben genau diese Aufgabe: Die zivilisatorische Decke schön festzurrren, um somit Barbarei möglichst zu verhindern. Dass Demut ein Wegweiser und eine Überzeugung ist, eine Mahnung oder Lektion, dass man sie lernen muss, dass sie eine Selbstbeurteilung und Verhaltensmuster anderen gegenüber ist und in ihrer Unbegründbarkeit sogar einem Glauben ähnelt, teilt die Demut mit allen anderen normativen Sätzen. Eben das machen sie zu einem Wert, einer Norm, einer Tugend. Demut als einen Prozess, eine Persönlichkeitsentwicklung oder ein innerer Kampf zu charakterisieren bedeutet genau ihren Kern als Tugend (und wie wir mit Tugenden umgehen) zu definieren.
Kommen wir zur Einordnung der Tugend im Wertespektrum: Als Tugend bezieht sich die Demut dann auf einen inneren Zustand. Sie verhält sich da genau wie etwa der Verzicht auf Neid, Missgunst oder Hass. Sie gibt weniger konkrete Handlungsanweisungen im Miteinander mit anderen Menschen wie die Gerechtigkeit oder die Freiheit (im Sinne vom Zugestehen von Freiheiten) sondern bezieht sich auf unsere Gefühle unsere Einstellungen der Welt und unseren Mitmenschen gegenüber. Das kombiniert die Demut mit ihrem relationalem Charakter. Man ist in Bezug auf etwas oder jemanden demütig. Was dieses andere ist, demgegenüber man demütig ist, ist nun sehr schwer zu fassen, denn es scheint weitgehend eine subjektive Entscheidung zu sein.

Diese subjektive Entscheidung spiegelt sich im zweiten Bedeutungsfeld, das unsere Autoren aufgemacht haben, in dem sie sich mit den Zweifeln und der Bewusstmachung herumgeschlagen haben. Auf der Suche nach etwas, demgegenüber ich demütig sein sollte oder sein kann, muss ich zunächst meine eigene Fehlbarkeit eingestehen. Das ist eine Krux, denn das impliziert natürlich auch, dass der Wert der Demut ein Irrtum sein kann. Ich muss gegenüber meinen eigenen Überzeugungen und gegenüber den (moralischen) Gewissheiten anderer immer Skepsis an den Tag legen. Ich muss stets bereit sein, vermeintliche Wahrheiten differenziert zu betrachten, Zweifel haben, was moralisch richtig ist und in eben diesem Zweifel meine moralischen Werte auch falsifizieren.

Und diese Einstellung, der Zweifel und die Vorsicht führen uns dann zum dritten Bedeutungsfeld der Demut. Denn aus ihnen folgt die Bescheidenheit, die Genügsamkeit und der Altruismus. Ich muss mich vor der eigenen Hybris, Arroganz und dem eigenen Hochmut in Acht nehmen. Meinen Mitmenschen gegenüber „Rücksicht und Gnade“ walten lassen, auch wenn es sich arg mittelalterlich-christlich anhört. Doch genau das führt uns zu der letzten Bedeutungskomponente der Demut, die zweifellos da ist, auch wenn sie wie das ungeliebte Kind in den Keller gesperrt wird. Vielleicht wird sie sogar nur von der Demut konnotiert, doch sie lässt sich nicht verleugnen, selbst wenn unsere Autoren betonen, dass sie ihnen nicht so wichtig ist. Zur Demut gehört eben auch die Unterwürfigkeit. Und sie ist die „dunkle Seite der Macht“. Sie ist genau jener Aspekt an der Demut der mich stört und der sie aus meinem abschließenden Vokabular verbannt hat.

Doch bevor ich zu diesem letzten Kapitel dieses langen, allzu langen, Textes voranschreite, möchte ich noch eines zur Bedeutung der Demut sagen: Aus alldem – besonders aus der Relationseigenschaft und dem inneren Wert, schließe ich, dass die Demut gerade keine Primär- oder Kardinaltugend ist, sondern immer nur gut und wichtig, wenn sie richtig eingesetzt wird.

Demut und Unterwürfigkeit

Die Dame und meine Tochter (6) lesen gerade „Der Kleine Ritter Trenk und fast das ganze Leben im Mittelalter“* von Kirsten Boje. Meine Tochter erzählte mir daraufhin, dass die meisten Menschen im Mittelalter so arm waren, dass sie sich nicht einmal Feuerholz leisten konnten und im Winter frieren mussten.

Darauf ich so: Warum sind sie dann nicht einfach in den Wald gegangen und haben Holz gesammelt.
Sie so: Weil der Wald dem Fürsten gehört.
Ich so: Wenn sie keine Bäume fällen, sondern einfach sammeln, was am Boden liegt, merkt der Fürst das doch gar nicht.
Sie so: Aber der Fürst ist doch von Gottes Gnaden. Das darf man deshalb nicht.

Das ist Demut. Das ist die Unterwürfigkeit, die mit der Demut einhergeht. Das ist der Grund, warum Nietzsche das Christentum „Sklavenmoral“ nannte. Demut bedeutet nämlich auch immer, sich mit den herrschenden Verhältnissen zu arrangieren. Bloß nicht aufbegehren, sondern bescheiden sein. Wenn das Volk kein Brot hat, soll es doch demütig auf ein besseres Leben im Jenseits hoffen. Natürlich ist das kein Problem wenn alle kategorisch-imperativ demütig wären.

Aber wissta was? Die Welt ist nicht so.

Wir können uns nicht hinstellen, guten Willens demütig sein und uns dann wundern, dass die Welt dafür noch nicht bereit ist. Wir müssen verantwortungsethisch auch damit rechnen, dass es in der Welt auch Arschlöcher gibt, die versuchen die Ethik der Anständigen auszunutzen. Und dann heißt es aufstehen und dagegen rebellieren. Doch diese Rebellion ist eben nicht mit Demut vereinbar. Daher möchte ich auf die Demut verzichten. Skepsis, Zweifel, Altruismus, Genügsamkeit, Bescheidenheit sind Teil meines abschließenden Vokabulars, aber eben nicht die Demut. Weil Demut Unterwürfigkeit zumindest konnotiert.

Ich bin raus.

*hinterhältiger Affili-Link

Anamnesebogen für Zahnärzte

Zahnärzte sind ein Geldgieriges Pack. Sorry, aber das muss mal gesagt werden. Ja, ich weiß, ich verallgemeinere und es gibt auch total gute Zahnärzte und wahrscheinlich sind die ganzen kostenpflichtigen Zusatzleistungen auch so geil, dass einem dabei die Sonne aus dem Arsch schein und BLAH!

Aber die Dame hat mal Marketing für Zahnärzte gemacht und was ich da teilweise für Storys gehört habe, war schon gruselig. Und auch ich bin mehr als enttäuscht seit ich meinen letzten guten Arzt in Aachen hinter mir ließ. Das fing an bei einem Arzt, der mir erst die Betäubungsspritze ins Zahnfleisch gehauen hat und dann anfing, mich über meine „Optionen“ aufzuklären. Da wäre zum einen die beschissene Kassenfüllung, die ich auf jeden Fall alle zwei Jahre erneuern lassen muss (Ich habe sie seit drei Jahren und laut der Vorsorgeuntersuchung eben sieht die noch immer richtig knorke aus)! Zum anderen gäbe es da noch die total geile unsäglich teure Füllung, die aber handsigniert ist. Ein anderer Zahnarzt hat sich mal geweigert meinen Zahnstein ganz schnöde abzuschmirgeln, wie ich das gewohnt bin, weil da eh „nur die professionelle Zahnreinigung“ helfe. Und die kostet ja auch nur so viel wie ein Kleinwagen.

Jetzt komme ich ganz frisch von dem nächsten Kandidaten, den ich schon danach ausgewählt hatte, dass seine Webseite einen 90er-Look hat, er also anscheinend keinen großen Wert auf Marketing legt. Doch bei diesem netten Herrn bekomme ich mit dem Anamnesebogen („Und dann brauche ich da noch eine Unterschrift von Ihnen“) einen Wisch vorgelegt, in dem steht, dass ich in Zukunft immer die teure Füllung will und nicht die Arme-Leute-Kassenfüllung. Ich frage mich wirklich, wie viele Rentner und Menschen, die schlecht lesen können oder dieses formalisierte Deutsch nicht raffen, er damit schon über den Tisch gezogen hat.

„Wieso beschweren Sie sich denn? Sie haben hier doch unterschrieben, dass Sie die teure Füllung wollen!“

Na ja, immerhin hat man mich nicht der Praxis verwiesen, als ich mich weigerte, den Wisch zu unterschreiben. Deshalb möchte ich mich bedanken und als Gegenleistung dieses kleine Formular für alle Zahnärzte anbieten, das ihnen die Arbeit in Zukunft erleichtern soll:

Anamnesebogen für Zahnärzte
Anamnesebogen für Zahnärzte

Welterklären

Bei meiner Tochter (6) ist der Wissensdurst ausgebrochen. Sie möchte sich nicht mehr bloß an den kleinen und großen Wundern dieser Welt unkritisch erfreuen, sie möchte jetzt Antworten auf die großen Fragen. Sie möchte wissen, warum alles so ist, wie es ist. Zu dumm nur, dass sich diese Fragen auch stellen, wenn mal kein Erwachsener in der Nähe ist. Oder noch schlimmer: Die Erwachsenen  sind oft ignorant und haben keine sinnige Antwort parat sondern mal wieder keine Zeit… Aber alles kein Problem, denn sie hat sich einfach selbst ein Erklärungsmuster zurechtgelegt.

Winterabend

Clever, wie sie ist, überträgt sie die teleologische Erklärung aus ihrer Alltagswelt einfach auf die Natur. Die Frage, warum etwas ist, wie es ist, beantwortet sie also mit dem Zweck oder Ziel der beziehungsweise das dahinter steht. Das ist clever, weil sie damit ein Muster, das sie kennengelernt hat, auf eine neue Sphäre anwendet.

„Warum muss ich Die Zähne putzen?“
„Damit du kein Karies bekommst.“

„Warum muss ich mein Zimmer aufräumen?“
„Damit du nicht über dein Spielzeug stolperst und dir dann wehtust.“

„Warum gibt es Spinnen?“
„Damit die Vögel etwas zu fressen haben.“

Damit ist sie in guter Gesellschaft, denn die Teleologie war in der griechisch-antiken Philosophie eine knorke und weit akzeptierte Erklärungsart. Sogar der große Aristoteles (unbestätigten Gerüchten zufolge nannten ihn seine Freunde „Ari“) hat sich ihrer bedient. Dann kann sie doch nicht falsch sein! Mit den vier Elementen hat er doch auch Recht gehabt, oder? Ähh… Aber auch wir bedienen uns der Teleologie, wenn wir nicht aufpassen. Wir tun dies immer dann, wenn wir Fragen stellen wie: „Was hat sich die Natur dabei nur gedacht?“.

Vor allem ist so eine teleologische Erklärung aber auch viel einleuchtender als die fantastischen (kausal begründeten) Geschichten, die der Papa meiner Tochter (6) immer von sich gibt:

„Warum gibt es den Winter?“

Damit zu beantworten:

„Damit danach der Frühling kommen kann und mit dem Frühling die Tiere genug zu Essen finden, damit sie ihre Kinder großziehen können.“

Ist doch viel einleuchtender als den Blödsinn, den ihr Papa immer so verzapft:

„Die Erde fliegt auf eine Bahn um die Sonne. Aber die Achse zwischen Nord- und Südpol der Erde ist im Verhältnis zu dieser Bahn geneigt. Daher sind wir, im Norden der Erde, mal näher an der Sonne und mal weiter weg. Und wenn wir näher an der Sonne sind, dann ist Sommer. Wenn wir aber weiter weg sind, dann ist Winter.“

Sorry, aber wer glaubt denn mit 6 Jahren noch an solche Märchen?

Metaphysische Spuren an performanten Medien

Oder kurz: Medientheorie

Wenn du ins Internet über Sprache schreibst, kommt früher oder später immer jemand, der oder die behauptet, dass es doch total egal ist, ob wir etwa „Zigeunersauce“ oder „Negerkuss“ sagen. Wichtig wäre doch allein, was wir meinen oder denken und es sei doch ganz klar, dass sie keine Rassisten seien, bloß weil sie Worte verwenden, die so klingen. Eine beliebte Variante dieses Arguments ist auch gerne die Marxsche Wende, dass es doch egal ist, was wir sagen. Statt dessen zählten allein unsere Handlungen.

Ein Fernseher ist ein Medium. Zeigt er Loriot, ist er sogar ein gutes Medium.
Ein Fernseher ist ein Medium. Zeigt er Loriot, ist er sogar ein gutes Medium.

Einmal ganz davon abgesehen, dass diese Einstellung übersieht, dass eine sprachliche Äußerung immer auch eine Handlung ist (womit ich mich zu anderer Zeit noch einmal auseinandersetzen werde), ist sie auch deswegen falsch, weil die Sprache das Medium meiner Gedanken ist. Somit ist wesentlich für meine Weltsicht, meine Lebensform, meine Wünsche, Träume und Überzeugungen, welche Worte ich verwende.

Ich möchte und werde diesen Gedanken in Zukunft weiter ausführen, doch um ihn zu verstehen, muss ich zunächst einmal erklären, was ein Medium ist. Denn der Begriff des Mediums ist selbst so kompliziert weil so unscharf in unserer alltäglichen Verwendung, dass ich für seine Bestimmung einen ganzen Blogpost brauchen werde.

Wie immer gilt: was ich hier schreibe ist nicht auf meinen Mist gewachsen. Es geht auf viele schlaue Köpfe zurück, die ich im Laufe des Textes und als Literaturtips am Ende auch nennen werde. Allerdings werde ich nicht Zitate im einzelnen belegen, dies ist ein Blogpost, den ich an einem grauen Novembernachmittag runterschreibe und keine wissenschaftliche Arbeit.

Von der Metaphysik zurück zum Alltag

Wie fange ich an? Gemäß Wittgenstein am besten damit, dass ich den Begriff von seiner metaphysischen wieder in seine alltägliche Sphäre zurückführe und mal schaue, wie wir ihn verwenden. Wir alle benutzen das Wort „Medium“ ständig. Es ist von alten und neuen Medien die Rede, von Massenmedien, vom Medium Zeitung, Internet, Fernsehen oder Radio. Wir alle haben extensional eine ziemlich exakte Vorstellung davon, was der Begriff umfasst, ohne dass wir ihn im einzelnen intensional definieren können. Versuchen wir es, kommen wir schnell auf Begriffe wie Sender und Empfänger, Symbole, Botschaften, Bilder oder Sprache.

Diese stümperhafte, stichprobenartige Analyse unseres alltäglichen Medienbegriffs stößt uns gleich auf eine erste Unterscheidung. Es gibt einen weiten und einen engen Medienbegriff. In der weiten Verwendung meint der Begriff des Mediums immer etwas das als Träger oder Mittel für etwas anderes dient. Wir sprechen dann vom Licht als Medium des Sehens, vom Wasser als Medium des Schwimmens, vom Auto als Medium der Fortbewegung und vielleicht sogar vom Kran als Medium des Hochhausbaus.
Demgegenüber steht die enge Verwendung des Medienbegriffs. In dieser hat ein Medium immer etwas mit einer Botschaft (im Sinne von Message nicht im Sinne von Spionage), mit einem Symbolsystem zu tun. Die Zeitung bringt uns die Nachrichten, das Internet bringt uns Meme, im Fernsehen läuft die Daily Soap und im Radio laufen die aktuellen Charts.

Ich bevorzuge diesen engen Medienbegriff aus zweierlei Gründen. Zum einen kommt er meines Erachtens dem alltäglichen Gebrauch des Wortes „Medium“ näher und das sollte immer unsere Basis sein. Die weite Verwendung erscheint mir eher wie eine Metapher. Erst wenn ich anhand von Büchern, Filmen, Comics, CDs etc. verstanden habe, was ein Medium ist, kommt es mir überhaupt in den Sinn soetwas wie Licht oder ein Auto Medium zu nennen.

Zum anderen ist ein Begriff ein Terminus und in diesem steckt der lateinische Ausdruck für Grenze oder Grenzpunkt. Ein Begriff begrenzt immer eine Bedeutung, indem er sie von anderen Begriffen mit anderen Bedeutungen unterscheidet. Daher sind Begriffe, die letztlich alles bedeuten können, sinnlos. Ich habe so den Eindruck, als würde genau das auf unseren weiten Medienbegriff zutreffen.

The medium is the message

Einer der berühmtesten Medientheoretiker war Marshall McLuhan, der für genau zwei Sachen berühmt ist: 1. Den Satz „The medium is the message“ und 2. seinen Gastauftritt in Woody Allens Annie Hall:

Ich habe McLuhan zwar in meinem Studium gelesen, aber das ist so lange her, dass ich mich kaum daran erinnern kann. Daher kann ich nicht genau sagen, was er mit seinem Zitat meinte, aber ich kann zumindest sagen, was in der Rezeption, besonders in der popkulturellen allzu oft daraus gemacht wurde: Nämlich die Behauptung, dass die Botschaft gar keine (gesonderte) Rolle mehr spiele, dass sie im Medium aufgehe und nicht von dem Medium losgelöst werden könne. Das ist in etwa das diametrale Gegenteil der Position der oben erwähnten Anhänger einer strikten Unterscheidung von Sagen, Denken und Handeln. Und ich denke, es ist zumindest in diesem Extremismus genauso falsch.

Spielen wir dafür mal folgendes Sprachspiel durch:

Ein Land, nennen wir es „Gondor“ wird von einem verfeindeten Land, nennen wir es „Mordor“ angegriffen. Gondor möchte nun seinen Verbündeten mit dem hypothetischen Namen „Rohan“ zu Hilfe rufen. Gondor möchte also die Botschaft „Hilfe“ mit einem Medium nach Rohan transportieren. Wären Medium und Botschaft eine nicht zu trennende Einheit, könnte Gondor das nur mit dem hypothetischen Medium „Zettel in der Hand eines Boten machen“. Es ist nun leicht einzusehen, dass Gondor statt dessen noch ganz andere Möglichkeiten hat: Raben mit Zettel versehen, Telefon, Whatsapp oder so etwas weit hergeholtes wie Leuchtfeuer.

Worauf ich hinaus will ist also, dass ein Medium weder unlösbar mit einer Botschaft verbunden ist, noch sich komplett neutral gegenüber der Botschaft verhält.

Die symbolisierende Performanz

Mein ehemaliger Prof. Christian Stetter vertritt die Auffassung vom Medium als symbolisierender Performanz. Dieser Medienbegriff hat eine ganze Reihe Vorteile, aber auch ein paar Nachteile. Was meint „symbolisierende Performanz“?

Zum einen steckt da wieder der Enge Medienbegriff drin: Medien haben immer etwas mit Symbolen zu tun. Sie erzeugen oder transportieren Symbole. Zum anderen steckt die Performanz drin, die uns vor allem aus der Kunst oder dem Tanz in irgendwelchen Castingshows bekannt ist. Eine Performanz ist ein Vollzug, eine Handlung, etwas, das zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindet und dann wieder vorbei ist. Wie hängt das nun mit unserem Medium zusammen? Ganz einfach: Ein Medium transportiert Symbole, aber es ist kein Ding, sondern ein Vollzug.

Das erscheint zunächst einmal kontraintuitiv, besonders wenn wir uns wieder an der alltäglichen Verwendung abarbeiten. Aber es ist gar nicht so kontraintuitiv, wenn man darüber nachdenkt: Eine Zeitung ist nur dann ein Medium für Nachrichten, wenn ich sie lese. Wenn ich hingegen mein Geschirr bei einem Umzug damit polstere, ist es bloß noch ein Ding, das ich als austauschbares Mittel zu irgendeinem Zweck einsetze. Mit Büchern kann ich hervorragend Blumen oder Herbstlaub pressen, aber das macht sie nicht zum Medium für einen Roman. Erst das Lesen macht sie dazu. Das iPad könnte ich als Brettchen zum Hacken von Kräutern benutzen, aber erst wenn ich etwa damit im Internet surfe, wird es zu einem Medium fürs Internet. Und ich hatte mal ein Handy, mit dem ich hervorragend Bierflaschen öffnen konnte. Aber erst wenn ich damit telefonierte, wurde es zum Medium für meine Gespräche.

Christian Stetter verdeutlicht diesen Punkt, indem er den Begriff des Mediums von dem des Mittels abgrenzt. Ein Mittel ist eine Handlung zu einem bestimmten Zweck, die diesem Zweck vorausgeht und die austauschbar ist. Mein Zweck ist es, unversehrtes Geschirr in meiner neuen Wohnung zu haben, das Mittel ist die Polsterung dieses Geschirrs. Aber ich kann außer mit Zeitungen auch mit Luftpolsterfolie polstern. Will ich hingegen einen Roman lesen, so muss ich zum Buch greifen und das Lesen der Geschichte funktioniert auch nur solange ich das Buch zur Hand habe. Lege ich das Medium weg, so steht mir meine Botschaft nicht mehr zur Verfügung. Ein Mittel ist hinreichende Bedingung zur Erreichung eines Zwecks. Das Medium hingegen ist notwendige Bedingung.

Diese pragmatische Wendung des Medienbegriffs weg vom Ding hin zur Handlung ist meines Erachtens eine clevere Näherung an den Begriff, allerdings hat sie auch ein Problem: Denn sie kann nicht den Unterschied zwischen ephemer und persistent erklären, den Stetter in der Sprachwissenschaft selbst aus Tapet brachte: Ein wesentlicher medialer Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache ist, dass gesprochene Sprache ephemer ist, vergänglich, ja flüchtig. Ausgesprochen ist das Wort auch schon wieder verschwunden. Die geschriebene Sprache ist hingegen persistent. Das geschriebene Wort steht wie eine Skulptur auf dem Papier, dem Stein oder dem Bildschirm und kann jederzeit wieder betrachtet werden. Diesen Unterschied kann ich aber nicht erklären, wenn ich das Medium selbst als Performanz verstehe. Denn Performanzen sind Handlungen, Ereignisse, also per se immer ephemer. Es muss zur Performanz also noch etwas anderes hinzukommen: ein physisches Substrat. Aber das nur am Rande, denn mein Studium liegt jetzt auch schon ein paar Jährchen zurück und ich kenne die neuesten Entwicklungen in der Medientheorie nicht.

Die Spur des Mediums

Kommen wir lieber zurück zur These, dass das Medium die Botschaft ist. Sybille Krämer hat eine sehr elegante Lösung gefunden zwischen dem Widerstreit in der Position, dass das Medium und die Botschaft unlösbar voneinander sind und jener, dass das Medium gar keinen Einfluss auf die Botschaft hat. Sie löst dieses Problem aristotelisch, indem sie feststellt, dass Medium und Botschaft zwar durchaus zwei getrennte Phänomene sind (ob Dinge oder Handlungen, lass ich jetzt mal dahingestellt), dass aber der Botschaft „die Spur des Mediums“ anhaftet.

Eine wunderbar Metapher, wie ich finde. Sie wird auch jedem sogleich verständlich, der schon einmal die Verfilmung eines Buches gesehen hat, das er zuvor gelesen hat. Im Grunde erzählen beide die gleiche Geschichte: Etwa dass Frodo einen Ring in einen Vulkan schmeißen soll. Aber dem Buch steht dabei alle Zeit der Welt zur Verfügung. Romane, für die ich hunderte Stunden Lesezeit brauche, sind kein Problem im Medium des Buches. Hingegen ist das Medium Spielfilm diesbezüglich beschränkt. Es kann nicht jeden bekloppt vor sich hin singenden und tanzenden Nebencharakter eine Stunde Screentime gewähren. Auch funktionieren manche Dinge im Film überhaupt nicht, die im Buch hervorragend klappen. Lady in the Lake hat uns gezeigt, dass ein Film mit Ich-Erzähler nicht funktioniert. Hintergrundgeschichten und innere Monologe sind andere Probleme des Films. Aber der Film kann anderes schaffen: Bilder. Er zeigt uns, wie ein Balrog aussieht, nimmt uns mit zum Mond oder lässt in der Matrix die Schwerkraft nur als eine Option erscheinen.

Ich schaue gerade die Serie Six Feed Under und an dieser sieht man hervorragend, wie das Medium Internet das Medium Serie verändert hat. Die Serie ist von 2001, also aus einer Zeit, in der Streaming noch keinerlei Rolle spielte und auch die DVD gerade erst dabei war, das Video abzulösen. Damals wurden Serien noch fast ausschließlich im Fernsehen gesehen. Pro Woche eine Episode. Das zeigt sich in Six Feed Under am Intro, das geschlagene 1:39 Minuten dauert.

Das ist kein Problem, wenn ich es bloß einmal in der Woche sehe, denn es ist ein sehr gut gemachtes Intro. Aber wenn ich Serien streame und mir eine Folge nach der anderen angucke, nervt das ungemein. Dem gegenüber stammt die Serie Breaking Bad von 2008. DVDs waren da schon ein alter Hut. Streaming allgegenwärtig und den Machern war vollkommen bewusst, dass die Zuschauer eine Folge nach der anderen hintereinander weggucken werden. Was dazu führt, dass das Intro sechs Akkorde und ein Grillenzirpen lang ist, 17 Sekunden.

An dem Medium Serie haftet die Spur des Internets… Nebenbei zeigt es auch, dass Medien in Medien in Medien verschachtelt sind…

Soweit soll das genügen. Jetzt habe ich meinen Medienbegrif vorgestellt und kann nun demnächst mal abbiegen in Richtung „Die Sprache ist das Medium meiner Gedanken“. Aber ich kann auch genauso betrachten, inwiefern das Medium Internet Botschaften verändert, die ehedem uns anders übermittelt wurden.

Ich bin raus. vorerst…

 

Literatur:

 

*hinterhältiger Affili-Link, danke fürs Klicken!

Paperday

Ich habe einen Tag auf digtitale Technik verzichtet. Dies ist mein Reisebericht ins Offland.

 

Der 2. November 2013 war mein Paperday.
Der 2. November 2013 war mein Paperday.

 

Beim 29C3 hielten Frank Rieger und Ron den Vortrag Security Nightmares 2012. Im Zuge dieses kurzweiligen Vortrags unterbreiteten die beiden den Vorschlag, man solle doch mal einen Paperday machen, um zu testen, ob man dazu noch in der Lage sei. Die Idee fand ich gut und wollte sie unbedingt durchführen. Es ist aber schon bezeichnend, dass ich das Vorhaben seit Dezember 2012 vor mir herschob und erst jetzt im November 2013 dazu kam, ihn durchzuführen, den Paperday.

 

 

Die Regeln für meinen Paperday

Die Regeln für meinen Paperday habe ich mir ganz subjektiv und willkürlich zurechtgelegt. Zunächst konnte nur ein Wochenendtag dafür herhalten. Denn unter der Woche verdiene ich mein Geld mit dem Internet und mein Chef hätte sicher wenig Verständnis dafür, wenn ich ihm sagte, ich will einfach mal einen Tag mit Stift und Papier arbeiten. Um aber nicht in totale Agonie zu verfallen und den ganzen Tag auf dem Sofa dahinzuvegetieren, habe ich einen Tag gewählt, an dem meine kleine Familie und ich zu meinen Eltern reisten.
Verzichtet habe ich an diesem Tag auf jegliche Digitaltechnik: Natürlich das Internet, Computer, mein Smartphone und das Tablet. Konventionelle Technik wie Strom, Radio und CD (also ein bisschen geschummelt), Uhren (auch digitale) die halt in der Welt so rumhängen und unser Auto habe ich zugelassen und natürlich jede Menge Papier: Ich trug ein Notizbuch bei mir, in das ich meine Gedanken zu jenem Tag kritzelte und Notizen, die ich normalerweise getwittert hätte…

Das Protokoll

8:30 Uhr – Ich habe mein Vorhaben im Halbschlaf gleich vergessen und setze nach dem Blick aus dem Fenster erst einmal einen Tweet ab.

 

Daran, dass ich mein Gedächtnis heute nicht auf diese Art und Weise externalisieren wollte, erinnert mich die Dame pflichtschuldig. Offlinerin, die sie ist, freut sie sich anscheinend schon auf den Tag, an dem ich gänzlich in ihre Sphäre wechsle. Normalerweise hätte ich den Morgen Kaffeetrinkend und Blogs lesend im Bett verbracht. Statt dessen liege ich dort und lese Band 9 der Eis-und-Feuer-Reihe. Das Buch liegt seit einem halben Jahr auf meinem Nachttisch, weil ich es nicht gut finde, mich aber nicht überwinden kann, es aufzugeben. Wahrscheinlich beschließe ich wieder, die Reihe nicht weiterzulesen, bis die nächste Staffel Game of Thrones läuft und ich wieder angefixt werde…

9:30 Uhr – Meine Tochter (6) möchte „Yellow Submarine“ hören. Die Dame meint zwar, dass wir irgendwo die CD haben, aber da unsere große CD-Sammlung faktisch nie benutzt wird, ist sie in keiner Weise sortiert. Ohne Suchfunktion stöbere ich gefühlte drei Stunden nach der CD, finde sie aber nicht, sondern speise meine Tochter (6) mit irgendeiner anderen Beatles-CD ab. Allerdings bleibt anzufügen, dass sie das nicht sonderlich stört, denn Sie will eigentlich nur „Rockstar“ spielen (Also mit dem Fotostatif vor dem spiegelnden Fernseher stehen und Playback singen).

9:50 Uhr – Jetzt möchte meine Tochter (6), dass ich ihre Rockshow filme. Zwar hat die Dame noch eine alte Videokamera, aber ich weiß weder wo sie ist, noch könnte ich sie bedienen. So bleibt die Liveshow ungefilmt…

10:30 Uhr – Aus einem Reflex heraus möchte ich das Handy auf dem Nachttisch auf Statusmeldungen hin überprüfen. Dann fällt mir ein, dass heute der Paperday ist und ich lasse es halt bleiben.

10:40 Uhr – Im Bad hätte ich normalerweise einen Podcast gehört. Nun steige ich aufs Radio um. Der Bericht behandelt den Lobbyeinfluss bei den Koalitionsverhandlungen. Durchaus ein Informationsgewinn, den ich sonst nicht gehabt hätte.

11:00 Uhr – Beim Frühstück erzählt die Dame eine Anekdote vom Friseur „Director’s Cut“, der als Logo die Silhouette eines dicken Mannes mit Vogel auf der Schulter hat. Wir spekulieren, ob es Hitch ist und womöglich sogar das Plakat von „Die Vögel“. Normalerweise hätte ich das jetzt gegoogelt. So bleibt die Frage ungeklärt.

11:20 Uhr – Im weiteren Verlauf des Frühstücks kommt die Frage auf, wann Stanislav Lem gelebt hat. Ohne Google gibt der Klappentext der Sterntagebücher Auskunft.

11:30 Uhr – Immer noch Frühstück: Wir besprechen, dass ich mit dem Kater zum Tierarzt muss. Normalerweise hätte ich das in Wunderlist notiert. So kommt es in mein Notizbuch.

11:50 Uhr – Ich bin heute dran mit dem samstäglichen Wohnungsputz. Meine In-Ear-Kopfhörer dämpfen normalerweise den Staubsaugerlärm sehr gut, sodass ich beim Saugen Musik oder Podcasts hören kann. Ohne Handy fällt die Option weg und das Putzen ist sehr viel langweiliger. Das ist das erste Mal, das ich mein Handy wirklich vermisse.

13:10 Uhr – Wir wollen also zu Opa und Oma fahren. Ich habe gepackt und bin abfahrbereit. Allerdings brauchen die Dame und meine Tochter (6) noch Zeit. Mein Buch ist schon verpackt. Da mir das Checken der Timeline heute versagt bleibt, bleibt nur Langeweile.

13:20 Uhr – Autofahren ohne Navi ist kein Problem, da ich die Strecke kenne.

14:20 Uhr – Kaffeetrinken bei meinen Eltern. Der Smalltalk langweilt mich stellenweise und ich erwische mich dabei, dass ich auf mein Handy blicken möchte. Aber das liegt ganz unten im Gepäck verstaut.

14:50 Uhr – Wir wollen im Garten arbeiten. Mein Vater will auf „dem Regenradar“ checken, ob sich das lohnt oder gleich der nächste Schauer kommt. Ich will nicht schummeln, dennoch haben wir Glück und bleiben trocken.

16:20 Uhr – Meine Tochter (6) sitzt am Tisch und spielt. Sie hat die Haare zu Zöpfen geflochten und sieht bezaubernd aus. Ich ärgere mich, dass ich kein Foto machen kann.

16:40 Uhr – Zu meinen Routineaufgaben im elterlichen Haushalt gehört, auf dem Laptop meiner Mutter sämtliche Updates durchzuführen. Das verschieben wir dann aber auf morgen.

17:00 Uhr – Ich erzähle vom Paperday. Mein Vater behauptet, er habe mich zuvor auf mein Handy blicken sehen. Das ist allerdings unmöglich, da das Handy noch immer im Gepäck verstaut ist und bestätigt nur meine These, dass die nach Mustern suchenden Gehirne der Offliner jederzeit bereit sind, ihr Klischee zu bestätigen, dass ich Netzbewohner ja dauernd auf mein Handy gucke.

18:00 Uhr – Noch einmal erwische ich mich dabei, dass ich im Gespräch outgezoned bin und überlegt habe, welche Statusmeldungen ich wohl bekommen habe. Am Tag danach stelle ich übrigens fest, dass außer ein paar Favs, Retweets, einer Direktnachricht und zwei E-Mails nichts los war in meinen sozialen Netzen, sodass ich nichts verpasst habe.

19:00 Uhr – Es ist dunkel geworden und die Beleuchtung im Wohnzimmer von Oma und Opa erzeugt eine schöne Stimmung. Statt auf einem Foto muss ich das eben im Gedächtnis behalten.

19:15 Uhr – Seit einer halben Ewigkeit höre ich mal wieder Fußball im Radio, was durchaus Spaß macht. Beim Abendessen wird das Radio dann aber ausgestellt und ich kann nicht nachlesen, wie meine Eintracht gespielt hat.

21:40 Uhr – Im Gespräch kommen wir auf die Frage, woher der Begriff „Fehlerteufel“ kommt. Sie bleibt unbeantwortet.

22:00 Uhr – Meine Eltern gehen ins Bett. Normalerweise hätte ich jetzt noch eine Folge „Misfits“ geguckt, so lese ich eben noch ein bisschen.

23:00 Uhr – Einschlafen ohne Podcast im Ohr geht erstaunlich gut. Ich habe keine Sorgen, die mich davon abhalten und außerdem Wein im Blut…

Der Morgen danach – Natürlich bleibt es nicht unkommentiert, dass ich wieder mein Handy zur Hand habe. Aber wenn ich so ein Trara wie einen Paperday veranstalte, braucht mich das nicht zu verwundern…

Fazit

Mein Paperday fiel mir überaus leicht. Ich hatte keine Entzugserscheinungen von meiner „Internetsucht“. Im Laufe des gesamten Tages hatte ich nur fünf Mal den Impuls, meine Timeline zu checken. Sechs Gedankengänge, die ich normalerweise getwittert hätte, habe ich diesmal auf Papier festgehalten – ein Verhalten das die Offliner offensichtlich nicht so sehr stört wie der Griff zum Handy. Vielleicht behalte ich es daher bei. Weiterhin ist mir positiv aufgefallen, dass ich zwar insgesamt weniger, aber mehr in meinem Roman gelesen habe. Ich habe mir vorgenommen, wieder aktiver Bücher zu lesen und weniger Artikel und Blogs. Dem gegenüber steht aber, dass das Leben wesentlich grauer ist ohne die Vorzüge der Digitalität. Sowohl meine Tochter (6) als auch meine Mutter mussten sich in Verzicht üben und langweilige Tätigkeiten wie Putzen, Warten oder Gartenarbeit sind ohne Kopfhörer noch langweiliger. Auch empfinde ich es als absoluten Gewinn, jederzeit schöne Situationen und Eindrücke mit dem Fotohandy festhalten zu können. Dennoch werde ich den Paperday nächstes Jahr wiederholen. Mal schauen, was sich dann ändert.