Verschwörungstheorien widerlegen

Jemand gelangte mit der Suchanfrage „Logische Fehlschlüsse Verschwörungstheorien“ auf mein Blog. Das ist ein spannendes Thema, dem ich mich hier widmen möchte. Doch vorweg muss ich die Suchende enttäuschen, denn die Logik kann uns hier nur bedingt weiterhelfen.

Der Mond
Der Vollmond, fotografiert in Hamois (Belgien). Urheber: Luc Viatour. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Das liegt in ihrer Natur: Die Logik ist die Lehre vom formal richtigen Schließen. Dass heißt, sie untersucht Schlussfolgerungen nur anhand ihrer sprachlichen Form, um zu prüfen, ob in dieser Fehler stecken. Der Inhalt der Äußerung interessiert die Logik dabei überhaupt nicht, sie überlässt es der Empirie, der Wissenschaft, zu prüfen, ob dieser Inhalt wahr ist.

Daraus folgt natürlich, dass ich fantastische Welten ohne einen einzigen logischen Fehler erschaffen kann, die dennoch nicht wahr sind. Ein Beispiel: Mit dem klassischen Syllogismus kann ich beweisen, dass es keine Klimakatastrophe gibt…

P1 Ein Klimawandel ist ein ganz natürlicher, ungefährlicher Vorgang.
P2 Wir erleben gerade einen Klimawandel.

C Wir erleben gerade einen ganz natürlichen ungefährlichen Vorgang.

Mit anderen Worten: Diese Wissenschaftler regen sich ohne Grund auf. Es gibt nichts zu befürchten, tanken Sie bitte voll!

Ich kann Verschwörungstheorien aufbauen, die in sich komplett schlüssig sind, daher ist hier die Logik als Waffe oftmals stumpf. Natürlich bleibt der Satz vom Widerspruch wie immer unser wichtigstes Werkzeug. Denn auch in einer Verschwörungstheorie kann etwas nicht zugleich der Fall sein und nicht der Fall sein. Beispielsweise liegt der Widerspruch offen wie der Quellcode von Linux, wenn Nazis einerseits Arier als Über- und Juden als Untermenschen stilisieren, andererseits aber von einer jüdischen Weltverschwörung sprechen, denn wie soll diese denn gegen die vermeintlichen Übermenschen möglich sein?

Aber, auch wenn solche Dummheiten viele Anhänger finden können, sind die spannenden Verschwörungstheorien eben jene, die logisch schlüssig sind. Und bei diesen begehen Kritiker oft den Fehler, sie logisch widerlegen zu wollen, doch für jeden abgeschlagenen Kopf der Hydra wachsen ihr zwei nach. Nein, wollen wir sie zu Fall bringen, dann müssen wir ihr die Beine wegschlagen. Statt zu prüfen, ob in einer Verschwörungstheorie die richtigen Schlüsse gezogen werden, ist viel erfolgsversprechender, zu prüfen, ob von den richtigen Prämissen ausgegangen wird. Das wiederum ist nicht mehr Sache der Logik, sondern jene von Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie.

Über Gewissheit

Die Wissenschaftstheorie gibt uns eine ganze Reihe von Werkzeugen an dir Hand mit denen wir dem Verschwörungstheoretiker begegnen können. Und um mit meinem Muster zu brechen und meine Texte nicht zu vorhersehbar zu machen, fange ich mal mit Wittgenstein an, statt mit ihm zu enden. Die für uns fruchtbaren Gedanken Wittgensteins finden sich in „Über Gewissheit„. Dort setzt sich Wittgenstein mit erkenntnistheoretischem Skeptizismus auseinander. Das ist kein Skeptizismus im Sinne der GWUP, sondern in gewissem Sinne die Verschwörungstheorie der Philosophie, nämlich die philosophische Lehre, dass Erkenntnis prinzipiell unmöglich ist. Dass wir uns also nie sicher sein können, ob die Welt wirklich existiert oder alles nur in deinem Kopf existiert, Thomas D.

Wittgensteins Antwort darauf lautet, salopp gesprochen: wenn du an allem zweifelst, dann musst du auch dein Maul halten. Denn warum zweifelst du am Rest, wenn du nicht an der Bedeutung deiner Worte zweifelst? Sätze stehen nie so isoliert da wie Will Smith in I am Legend, statt dessen ist der Kontext wichtig. Sie erhalten erst in einem komplexen Geflecht mit anderen Sätzen ihre Bedeutung.

Zurück zu unserem Problem: Wenn der Verschwörungstheoretiker einen Aspekt der Tagesschau-Wikipedia-Realität leugnet, dann liegt auch die Beweislast bei ihm. Er muss zeigen, wie seine Theorie sich in diese Realität einfügt. Und dabei ist es wichtig, dass es seine Theorie ist, die sich einfügen muss. Er kann sich nicht lutherisch hinstellen und nicht anders können. Schon Paul [Carl; korrigiert am 11.10.14] Sagan wusste zu sagen: „Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen außergewöhnlicher Beweise„. Oder in den Worten Spidermans: „Aus großer Kraft entspringt große Verantwortung“. Es reicht nicht, zu sagen: „Du kannst eine außergewöhnliche Sichtung am Loch Ness nicht erklären, also gibt es Nessi!“ Die Fakten sprechen zunächst einmal gegen die Existenz eines Monsters im Loch Ness, wenn du also beweisen willst, dass es doch existiert, reicht nicht ein einziges außergewöhnliches Phänomen. Nein, du musst alle meine Argumente entkräften, denn dein Satz ist es, der nicht ins Sprachspiel passt, nicht meiner.

Zahlen und Fakten statt Anekdoten

Oft verläuft das Plädoyer für eine Verschwörungstheorie wie im Falle der Homöopathie und als Argument dafür wird angeführt: „Also mir hat’s geholfen.“ Das aber ist eine Abduktion. Aus dem Einzelfall einer wie auch immer zustande gekommenen Heilung wird auf die Allaussage, dass Homöopathische Mittel wirken, geschlossen. Das ist kein Fehlschluss, sondern eine Schlussform, die wir im Alltag ständig anwenden und die uns auch meistens gute Dienste leistet. Aber es ist dennoch eine sehr unsichere Schlussform. In einem Experiment hat man mal Wölfen den Geschmack an Schafsfleisch verdorben, indem man diesem ein starkes Abführmittel beifügte. Aus dem einmaligen Magenproblemen schlossen die Tiere falsch, dass Schafsfleisch immer unverträglich ist (Leider finde ich den Lin nicht mehr, weswegen ich das hier mal als Anekdote stehen lasse…). o.O

Ein Einzelfall ist letztlich nichts anderes als eine Anekdote, was uns in einer Diskussion mit einem Verschwörungstheoretiker aber weiterbringt, sind Zahlen und Fakten. Im Falle des Klimawandels wären das zum Beispiel die Menge an Kohlendioxid, die die Menschheit jährlich produziert, der genaue chemische Prozess, wie Kohlendioxid das Klima beeinflusst und das Ausmaß des aktuellen Klimawandels verglichen mit solchen aus der Vergangenheit.

Das besten Mittel, um einen Fakt von einer Anekdote zu unterscheiden, kennt jede, die schon einmal eine Grundlagenvorlesung in empirischer Sozialforschung besucht hat: Reliabilität, Validität und Objektivität. Und weil dieses YouTube-Video das viel besser erklärt, als ich es je könnte, gebe ich das Wort an Stephan Georg:

Ockhams Rasiermesser

Ockhams Rasiermesser wird oft auch englisch Ockham’s Razor oder Occam’s Razor genannt, da es auf den englischen Philosophen William of Ockham zurückgeht, der, da er bereits 1288 zur Welt kam vielleicht auch of Occam hieß. Wer weiß das heute schon so genau. Das Prinzip ist ganz einfach und besagt, dass wir, wenn wir zwei oder mehr Erklärungen für ein Phänomen haben, diejenige bevorzugen sollten, die mit weniger Hypothesen auskommt.

Angenommen

P1 Omas gutes Porzellan ist zerbrochen und den Scherben finden sich Kakaoreste.

Und du hast jetzt die Wahl zwischen

P2 Dein Kind wollte sich einen Kakao machen

C Dein Kind hat die Tasse zerbrochen.

oder

P2 Möglicherweise ist dein Nachbar ein Mafiaboss
P3 Daher wurden Ninjas ausgesandt um ihn zu ermorden
P4 Die Ninjas haben sich in der Wohnung geirrt
P5 Die Ninjas sind in deine Wohnung eingedrungen, ohne Spuren zu hinterlassen
P6 Das Kakaopulver ist eigentlich ein seltenes Gift
P7 Die Ninjas wurden irgendwie gestört
P8 Die Ninjas haben überstürzt den Rückzug angetreten

C  Ninjas haben die Tasse zerbrochen

Welche Erklärung ist dann plausibler? Wichtig ist: Erklärung Nummer Zwei ist nicht ausgeschlossen. Es gibt durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Ninjas das gute Porzellan deiner Oma zerbrochen haben, aber sie ist eben seeeeeeeeeehr klein. Doch warum ist das so? Was macht die einfachere Theorie zur besseren? Nun darüber haben die Philosophen lange und oft diskutiert. Die Antwort, die ich hier geben möchte, führt uns zur letzten und stärksten Waffe gegen Verschwörungstheorien. Quasi zum Herrscherring der Wissenschaftstheorie. Für jede unserer Prämissen muss nämlich gelten: dass sie zumindest prinzipiell auch widerlegbar ist. [Edit: Und mit der Zahl der Prämissen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine davon dem Falsifikationsvorbehalt nicht genügt]

Der Falsifikationsvorbehalt

David Hume hat uns in seinem „A Treatise of Human Nature“ das Induktionsproblem hinterlassen: Aus der Tatsache, dass die Sonne bis jetzt jeden Morgen aufgegangen ist, kann ich nicht schließen, dass sie bis in alle Ewigkeit jeden Morgen aufgeht. Denn, wenn sie morgen nicht aufgehen sollte, kann ich meinen Schluss in die Tonne kloppen. Andererseits ist aber die Induktion (das ist der Schluss von einer Reihe von Einzelfällen auf eine allgemeine Regel) unser einziges Mittel in der empirischen Wissenschaft, um wirklich neues Wissen zu gewinnen. Wie kann ich denn dann sicher sein, dass ich mich nicht geirrt habe? Die Antwort lautet einfach: gar nicht, aber genau das kann ich zum Prinzip erheben. Um die Induktion sicherer zu machen, muss ich zunächst alle oben angeführten Prinzipien befolgen:

1. Meine Induktion muss sich ins Geflecht bestehenden Wissens einfügen
2. Meine Induktion muss objektiv sein
3. Meine Induktion muss valide sein
4. Meine Induktion muss reliabel sein
5. Ich muss die Komplexität möglichst weit reduzieren

Wenn ich diese Schritte durchgeführt habe, dann habe ich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass mein Schluss richtig ist. Aber er könnte ebenso falsch sein… Daher gilt für ihn der Falsifikationsvorbehalt. Karl Popper hat uns diesen vererbt, indem er das Prinzip einführte, dass eine Theorie nur so lange als wahr gilt, bis ihr Gegenteil bewiesen wurde. Das Beispiel mit den schwarzen Schwänen kennt wahrscheinlich jeder: Lange Zeit war die Aussage wahr: Alle Schwäne sind weiß. Dann schipperte James Cook nach Australien und entdeckt dort den Trauerschwan und – Booooom! – Unsere Wahrheit zerfiel zu Staub wie ein Vampir im Sonnenlicht (nein, die glitzern nicht!). Ein Schwarzer Schwan reicht, um den Satz „Alle Schwäne sind weiß“ zu falsifizieren.

Doch wie können wir Poppers geheime Superkraft gegen unsere Verschwörungstheoretiker zu Felde führen? Ganz einfach: Wie ich schon sagte, wir erheben sie zum Prinzip. Denn wahr kann nur sein, was auch falsch sein kann. Eine Theorie muss widerlegbar sein, sonst ist sie nur noch eine Geschichte ohne jeglichen Wahrheitsanspruch. Brian kann nicht der Messias sein…

Klassisches Beispiel für den Nicht-Theorie-Status ist die Freudsche Psychoanalyse. Eine psychoanalytische Hypothese kann ich prinzipiell nicht widerlegen, denn wann immer ich ein Argument gegen sie anführe, wird mir der Analytiker entgegenhalten, dass ich das jetzt nur sage, weil mein Unterbewusstsein mir einflüstert, dass ich das jetzt sagen soll. Aber das heißt nichts anderes als:

Vielen Dank fürs Mitspielen aber Sie haben sich eben im großen Wahrheitsquiz disqualifiziert, denn wenn Ihre Theorie nicht falsifizierbar ist, dann kann sie auch nicht wahr sein.

In der Verschwörungstheorie kommt das Argument oft in der Gestalt daher, dass ich jedesmal, wenn ich ein Argument gegen die Verschwörung vorbringe, ebenjenes angeblich nur sage, weil ich Teil der Verschwörung bin. Aber das ist eben kein gültiges Argument, es besitzt keinen Wahrheitswert sondern ist rein sophistisch. Doch das ist eine andere Geschichte, der ich mich schon einmal hier gewidmet habe…

Wenn ihr meine Ausführungen mal in der Praxis erleben wollt, empfehle ich euch Hoaxilla. Alexander und Alexa (die Namen zeigen eindeutig, dass sie Teil der Verschwörung sind!!!11einself) haben schon so manche Verschwörungstheorie unter die Lupe genommen.

Literatur:

Ludwig Wittgenstein: Über Gewissheit (bei Amazon)
David Hume: A Treatise of Human Nature (umsonst und legal bei Gutenberg.org)
Karl Popper: Logik der Forschung (bei Amazon)

Update:

Das Buch gibt’s hier.

 

Ich bin raus!

Das macht Sinn!

Zur Ehrenrettung dreier kleiner Wörter

„Das macht Sinn.“ ist eine kurze Phrase, drei kleine Wörter, Subjekt, Prädikat und Objekt. Keine große Nummer in der deutschen Sprache, nicht zu vergleichen mit:

„Ob die Bearbeitung der Erkenntnisse, die zum Vernunftgeschäfte gehören, den sicheren Gang einer Wissenschaft gehe oder nicht, das läßt sich bald aus dem Erfolg beurteilen.“

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft

Und dennoch spaltet „das macht Sinn“ die Gemüter, lässt Zeitgenossen haufenweise die Zornesröte ins Gesicht steigen. Ja, wird fast so heiß diskutiert, wie der richtige Artikel vor Nutella oder gar das gendergerechte Binnen-I.

Der jüngste Fall dieses Hasses auf drei kleine Wörter, die so unschuldig daherkommen, begegnete mir bei der letzten Episode von wir.müssen reden, als Max Winde erklärte, er habe sogar mal für Spreeblick ein Programm geschrieben, das „das macht Sinn“ grammatikgerecht umwandelt.

Aber warum? Was ist so schlimm an diesem kleinen Satz und woher kommt die Verachtung dieser kurzen, allzu kurzen Phrase gegenüber?

Es geht wohl alles zurück auf den Zwiebelfisch, der nicht mehr ganz so populären Kolumne von Bastian Sick, in der er sich auf dem Höhepunkt seines Erfolges, 2003, zu einem Rant (bevor dieser Anglizismus gebräuchlich wurde, den Herr Sick sicherlich ebenfalls verachtet) gegen unsere drei kleinen Wörter aufmachte.

Im Jahr 2003 steckte ich mitten im kommunikationswissenschaftlichen Studium und hatte bereits die Ausfahrt in Richtung Schwerpunkt Linguistik genommen. Und dort, in der Linguistik, schwappte Herrn Sick mindestens soviel Verachtung entgegen, wie sie heute das Machen von Sinn erfährt. Das hatte neben dem ganz profanen Neid auf seinen Erfolg tatsächlich auch einen fachlichen Grund, da Herr Sick vor allem durch gefährliches Halbwissen aus dem Dunstkreis des Vereins Deutsche Sprache glänzt.

Doch zurück zu „Das macht Sinn“, was ist denn nun so schlimm an dieser grammatisch erst einmal korrekten Zusammenstellung dreier deutscher Wörter?

Kritikpunkt 1 von Herrn Sick und seitdem tausendfach nachgesagt:

„That makes sense“ mag völlig korrektes Englisch sein, aber „Das macht Sinn“ ist alles andere als gutes Deutsch.

Sebastian Sick: Zwiebelfisch: Stop making sense!

„Das macht Sinn“ ist also, zumindest seinem Ursprung nach, ein Anglizismus. Das allein ist schon verwerflich genug und keiner von uns würde wagen, solch schändliche Worte wie Internet oder iPhone in den Mund zu nehmen, okay? Äh, ich meine natürlich „in Ordnung“? Sick hat schon Recht, Anglizismen sind eindeutig ein Zeichen des Sprachverfalls, das hätte es zu Thomas Manns Zeiten nicht gegeben! Oder? Nun gut, der gute alte Monsieur Homme schreibt zwar:

„Das ist für mich wie ein Traum, musst du wissen, dass wir so sitzen –
comme un rêve singulièrement profond, …“

Thomas Mann: Der Zauberberg

Aber das ist etwas anderes, weil Französisch! Und wenn ich noch einmal kurz Herr Kant das bestätigen könnte, dass Fremdsprachengebrauch unser Deutsch kaputt macht. Bitte, Immanuel, Sie haben das Wort:

De nobis ipsis silemus: De re autem, quae agitur, petimus: ut homines eam non Opinionem, sed Opus esse cogitent; ac pro certo habeant, non Sectae nos alicuius, aut Placiti, sed utilitatis et amplitudinis humanae fundamenta moliri.

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft.

Nun, das ist mir jetzt ein bisschen unangenehm. Aber immerhin kommt das Französisch in anständigen deutschen Restaurants nicht auf den Tisch und lateinische Wörter sind im deutschen nicht Legion! Oh…

Doch schlimmer ist ja, dass „es macht Sinn“ auf eine falsche Übersetzung zurückgeht, so Sick. Oha! Eine falsche Übersetzung, wie konnte die sich nur so trügerisch ihren Weg in unseren Sprachschatz erschleichen? Nun gut, es gibt da die Fisimatenten, die auf die Napoleonischen Soldaten und ihre Einladung an die Damen-Welt, das eigene Zelt zu besuchen, zurückgehen. Ja gut, es gibt da auch dieses Handy, das auch irgendwie ganz unglücklich den Platz unseres guten alten Mobiltelefons eingenommen hat, aber sonst, ja sonst ist die deutsche Sprache doch sicher komplett frei von so etwas niveaulosem wie Übersetzungsfehlern! Das Menü in unseren Computern, das eigentlich eine Speisekarte ist, lassen wir jetzt einfach mal unter den Tisch fallen…

Sick erklärt uns aber – zum Glück – auch noch, warum es inhaltlich falsch ist, das etwas Sinn macht. Denn Sinn macht man nicht, Sinn hat man, wegen Etymologie und so! Klar. Verstehe ich voll und ganz. Und wo wir schon dabei sind, was ist eigentlich dieses „es“ bei „es regnet“. Macht das Sinn? Und wenn ich „etwas feststelle“, was genau „steht“ dann ? Und wie „fest“? Und warum ist dir kalt? Wo du doch eigentlich ein Kältegefühl hast? Oder bist du es etwa, die kalt ist? Was sagst du, wenn du jemandem Glück wünschst, etwa weil ihm oder ihr eine schwere Operation bevorsteht? Kleiner Tipp: „Herzlichen Glückwunsch“ solltest du lieber nicht sagen!

Sprache ist auf der Wortebene nicht logisch, sie macht dort oft keinen Sinn. Das ist ein grundsätzliches Missverständnis bei der Kritik an „das macht Sinn“. Gottlob wusste schon Frege, dass das Wort erst im Satzzusammenhang Bedeutung erhält. Abendstern und Morgenstern mögen mir verzeihen, dass ich hier so schamlos Sinn und Bedeutung in einen Topf werfe. Sicks Artikel streift übrigens auch einmal linguistische Realität, allerdings nur aus Versehen, da ironisch:

Die breite Masse der „macht Sinn“-Sager denkt sich nichts dabei, vielleicht hält sie die Redewendung sogar für korrektes Deutsch. Schließlich hört man es doch täglich im Fernsehen … Ob nun richtig oder falsch, was „macht“ das schon, solange es jeder versteht.

Sebastian Sick: Zwiebelfisch: Stop making sense!

Denn die spannende Frage ist und bleibt, wie denn das Wort im Satzzusammenhang seine Bedeutung erhält, wie denn „Das macht Sinn“ sinnvoll wird. Alle, die schon manchmal hier reingelesen haben, ahnen es schon: Ludwig Wittgenstein gibt uns eine Antwort darauf.

Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.

Ludwig Wittgenstein: PU 43

Sprache ist eine zutiefst demokratische Institution. Das Volk macht sie, die Sprachgemeinschaft. Was die Sprachgemeinschaft sagt und wieder sagt und immer wieder sagt, das ist richtig. Deswegen überhören wir „Kids“ als normalen Ausdruck, runzeln aber die Stirn, wenn der VDS will, dass wir „Rangen“ sagen. Der Sprachwandel hat uns längst von letzterem zu ersterem hingetrieben. Schon Ferdinand de Saussure wusste zu sagen, dass eine der treibenden Kräfte für den Sprachwandel die Analogie ist, der Ähnlichkeitsschluss. Wir kennen sprachliche Regeln in der Regel nicht, wir wenden sie ganz automatisch an, wenn ein Ausdruck einem anderen ähnelt. Und warum sollte das auf genuin deutsche Phrasen beschränkt sein, wenn es auch mit „das macht Sinn“ ganz wunderbar funktioniert?

Nun, der naheliegende Einwand ist, dass „das macht Sinn“ eben ein falscher Freund ist. Dass es nur übernommen wurde, weil es so ähnlich klingt. Aber wir ja auch tunlichst nicht das deutsche Gift mit dem englischen gift verwechseln sollten, genauso wenig wie wir become mit bekommen übersetzen sollten.

Aber es gibt da einen gewaltigen Unterschied zu „das macht Sinn“. Letzteres hat eben – ganz typisch für ein Fremdwort eine semantische Lücke besetzt. Denn Fremdwörter verweilen nur im Deutschen, wenn sie ein Platz im Sprachgefüge finden, der noch frei ist, wenn sie zumindest eine Konnotation haben, die vom gängigen Gebrauch abweicht, weshalb es sich lohnt, etwa Download oder Laptop zu sagen. Und vielleicht sollten wir „das macht Sinn“ mal unter diesem Aspekt betrachten. Vielleicht ist am Sinn viel mehr machen als besitzen.

Schließlich machen erst einmal sprachliche Äußerungen Sinn und die sind vor allem auch Handlungen. Eine Schlussfolgerung kann sinnvoll sein. Aber ich muss etwas machen, um das zu erkennen, nämlich diesen Schluss auch ziehen. Und vielleicht erscheint uns ein Kunstwerk, eine Fremdsprache, eine Formel oder ein Code auf den ersten Blick sinnlos, aber wenn wir uns damit beschäftigt haben, damit auseinandergesetzt, damit gerungen, kurz: wenn wir gehandelt haben, dann macht es, sie, er verdammt noch einmal Sinn!

Drei Schlussanmerkungen

  1. Mein Prof. sagte mal, die deutsche Sprache verdaut Fremdwörter und scheidet am Ende alles wieder aus, was sie nicht mehr braucht. Und er hat prognostiziert, dass nach den Anglizismen das Chinesische die nächste Invasion starten wird.
  2. Ich glaube, @astefanowitsch hat mal geschrieben, dass die deutsche Sprache schon erwachsen ist und keinen Aufpasser braucht.
  3. Aus alledem folgt natürlich auch – leider – dass das Doofen-Apostroph höchstwahrscheinlich eines Tages korrektes Deutsch sein wird. Es hat schon begonnen…

 

Ich bin raus!

Der Akkordeonspieler am Dornbusch

Nördlich der Innenstadt von Frankfurt liegt der Stadtteil Dornbusch. Obwohl er einen biblischen Namen hat, ist dieser etymologisch wohl eher auf das ehemals ortsansäßige Gewächs zurückzuführen. Den Frankfurtern ist der Dornbusch fast ausschließlich ein Begriff, „desterwegen, weil da der HR is“. Manche kennen vielleicht noch den Sinaiipark mit seinem naturbelassenem Dickicht, aber das war es dann schon, was hier irgendwie erwähnenswert wäre.

Am Dornbusch
Typische Kachelästhetik mit Kindergartenkunst am Dornbusch. Lizenz: CC0.

Fast, denn der Frankfurter Dornbusch hat eine U-Bahn-Station, die sich auf den ersten Blick kaum von vielen anderen U-Bahn-Stationen dieser schönen Stadt unterscheidet. Obwohl die U-Bahn in diesem, wie in vielen anderen Teilen Frankfurts unsinnigerweise oberirdisch verläuft, mithin also eher eine O-Bahn ist, muss jeder, der die stählerne Raupe verlassen will, durch eine Unterführung. Denn die Schienen liegen inmitten der vierspurigen Eschersheimer Landstraße, die den Stadtteil von Süd nach Nord durchschneidet wie Aragorn die Kehle eines Orks.

Die Unterführung weist eine triste Kachelästhetik auf. Irgendwann in den 60ern oder 70ern kam wohl irgendein Frankfurter Beamter  auf die glorreiche Idee, dass sich U-Bahnhöfe viel leichter reinigen lassen, wenn man sie komplett kachelt. Dass das ganze dann wirkt, als befände man sich in der Pathologie mithin Drunkene noch dazu animiert, ihr Innerstes nach Außen zu kehren, kam ihm offensichtlich nicht in den Sinn. Die Kacheln am Dornbusch sind noch „aufgehübscht“ durch eine Art Kindergartenkunst, mit der wahrscheinlich irgendjemand mal sehr viel Geld verdient hat. Am nördlichen Ende der Passage weist noch ein Überlebensgroßes Foto darauf hin, dass Anne Frank am Dornbusch geboren wurde.

So weit, so trostlos. Und doch hat der Dornbusch etwas besonderes. Etwas, das ihn einzigartig macht unter all den U-Bahnhöfen dieser Stadt. Wenn man die Unterführung durchschreitet, hört man unweigerlich und zu jeder Tages- und Nachtzeit „I’m sailing“ oder „Let it be“ durch den Tunnel schallen. In den verzerrten Harmonien eines Akkordeons. Das Akkodeon an sich ist für mich das minderwertigste aller Instrumente. Es ist schlichtweg nicht möglich, irgendetwas irgendwie auf dem Akkordeon zu spielen, sodass es sich gut anhört. Das Akkordeon ist quasi der Dieter Bohlen unter den Musikinstrumenten und Akkordeonspieler stehen in der Rangliste der Straßenkünstler nur knapp über den Pantomimen, was bedeutet, dass sie uns eigentlich Geld zahlen müssten dafür, dass sie uns ungefragt die Ohren bluten lassen.

Am Dornbusch aber ist das anders. Nicht das Akkordeonspiel. Gott bewahre! Die von Pfadfindergruppen und Mittelstufenmusikunterricht schon lange zur Volkstümelei verstümmelten Popstückchen zwischen den Beatles und Bob Dylan schallen derart schräg durch die Unterführung, dass sogar noch das gestrige Essen in deinen Innereien wieder zu grummeln beginnt. Aber es ist der Spieler, der den Unterschied macht…

Es ist ein langer, gerader Tunnel unterm Dornbusch und betrittst du ihn, so erblickt dich der Akkordeonspieler und er blickt dir direkt in die Augen. Er nimmt dich mit seinen Augen gefangen. Und lächelt. Er lächelt, als stünde er nur zum Lächeln dort unten. Er lächelt dich an, als wärest du sein alter Freund, der endlich nach viel zu langer Reise zurückgekehrt ist: „Da bist du ja. Wie ist es dir ergangen? Schön dich zu sehen…“ Ich kann nicht am Akkordeonspieler am Dornbusch vorbeigehen, ohne ihm ein paar Münzen in seinen Instrumentenkoffer zu werfen. Aber auch all den hektischen Pendlern, die keine Zeit haben oder die einfach nur vor Scham ob der zutage liegenden Vermögensunterschiede das Haupt gesenkt halten, schenkt er dieses Lächeln, wenn sie nur kurz – ganz verstohlen – aufblicken: Hallo, wie geht’s dir? Schön dich zu sehen…

Im Englischen gibt es einen schönen Ausdruck, der sich nicht verlustfrei übersetzen lässt: Der Akkordeonspieler am Dornbusch made my day. Jedesmal.

Ich bin raus.

„Da, ein dreiköpfiger Affe!“

Dass du alt wirst, merkst du daran, dass deine Wegbegleiter wegsterben, heißt es. Stimmt schon, was mich aber wundert, ist 1. dass das so früh schon losgeht und 2. dass die ersten Opfer der Popkultur entstammen.
Nachdem ich hier vor einigen Wochen bereits das Requiem auf die Kassette geschrieben habe, folgte nun eine weitere Koryphäe meiner Kindheit: Disney hat angekündigt, Lucas Arts dichtzumachen. Mit anderen Worten: Guybrush Threepwood, der mächtige Pirat wird sich wohl nie wieder versuchen, in ein Gebäude einzuschleichen mit der Begründung: „Ich verkaufe diese feinen Lederjacken“ und er wird nie wieder versuchen, seinen Antagonisten abzulenken mit: „Da, ein dreiköpfiger Affe!“

Guybrush Threepwood war der Held meiner ersten Schritte ins Computerspieleuniversum. Seines Zeichens der Protagonist der legendären Computerspielreihe „Monkey Island“, die mittlerweile fünf Teile zählt (Remakes und Special Editions nicht mitgezählt). Ich habe die Teile 1 bis 3 durchgespielt, den missratenen 3D-Versuch Monkey Island 4 aber abgebrochen und der fünfte Teil der Reihe ging dann ganz an mir vorbei. Man wird halt älter.

Ursprünglich getroffen hat mich Armors Pfeil mit Monkey Island 2: LeChucks Revenge. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, aber ich war mit meinen Eltern und zusammen mit Herrn Dürüm irgendwo im tiefsten Bayern bei Freunden meiner Eltern. Und dort spielte der pubertierende Sohn jener Freunde gerade den zweiten Teil des Epos‘ um den jungen Guybrush, der so gerne ein mächtiger Pirat wäre und sich im dauerhaften Widerstreit mit LeChuck befand. Ich war sofort verliebt in ihn – Guybrush, nicht den pubertierenden Sohn der Freunde meiner Eltern! – und ich halte die Reihe noch immer für eine der intelligentesten in Sachen Story Telling, die die erzählerisch sonst allzu oft maulfaule Computerspielwelt hervorgebracht hat.

Aber, eine Sache ist noch viel wichtiger, denn sie blieb mir im Geist haften, auch nachdem die groben Pixel mit 32 Farben schon längst vor meinen Augen verblasst waren: Mr. Threepwood hat sich in mein Phrasengedächtnis eingegraben neben so vielen anderen Vertretern der Popkultur. Wann immer mich die Frage trifft: „Was machst denn du hier?“, kann ich nicht anders als zu antworten: „Ich verkaufe diese feinen Lederjacken“. Wenn meine Tochter ein Eis ist und ich nicht naschen darf, bringe ich jedes Mal das klassische Ablenkungsmanöver: „Da, ein dreiköpfiger Affe!“ und lange genug hat das tatsächlich funktioniert. Mit mittlerweile fünf Jahren beginnt sie leider an der Existenz dieses Dreiköpfers zu Zweifeln, der immer nur auftaucht, wenn sie gerade nicht hinblickt.

Mögest du in Frieden ruhen, Guybrush. Und sei dir eines gewiss: in mein Walhalla der Popkultur hast du es geschafft, der dreiköpfige Affe, der mächtige Pirat und die schönen Lederjacken stehen direkt neben all den großen und kleinen anderen Zitaten, die sich in mein Gedächtnis gefressen haben. Sei es: „Möge die Macht mit dir sein“, „Ich habe ihm ein Angebot gemacht, dass er nicht ablehnen kann“ oder „Ich habe das Gefühl, wir sind gar nicht mehr in Kansas, Toto“.

Es ist schon bemerkenswert, wie die Popkultur mein Gedächtnis okkupiert hat und dies noch fortwährend tut. Wann immer mir jemand Curry anbietet, kann ich nicht anders, als mit Alf zu entgegnen: „Curry ist gut, da wachsen dir die Haare in den Ohren.“, immer wenn mich jemand „und warum?“ fragt, antworte ich unheilig: „nur für den Kick für den Augenblick“. Wenn ich eine Arbeit erfolgreich vollbracht habe, folgt obligatorisch: „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert“. Auf die Plattitüde meines Gesprächspartners: „Nichts ist unmöglich“, plärre ich unvermeidlich: „Toyota!“

Und während Guybrush Threepwood in meinem Kopf mit dem dreiköpfigen Affen immer noch Paris bleibt, fährt Harry für den, dessen Name nicht genannt werden darf, schon einmal den Wagen vor, während die Telefonlawine in Rocky Beach kein anderes Ergebnis erbrachte, als, dass Karl, der Computer ein Berliner ist. Ich will so bleiben wie ich bin und darf es auch, denn nicht alle Tränen sind von übel und manche die sterben, verdienen zu leben, kannst du es ihnen geben? Nein? You say „good bye, and I say hello!“

42.

Ich bin raus.

Die drei Paradigmen der Philosophie

Ich habe lange nicht mehr gebloggt, was daran hängt, dass ich zurzeit jede freie Minute auf mein Buch verwende. Doch gerade muss ich auf die Arbeit anderer warten, bevor ich mich endlich an die Veröffentlichung machen kann. Und so habe ich kurzerhand Evernote geöffnet und das erste der 45 noch zu verbloggenden Themen gewählt:

Wilhelm von Humboldt. Urheber unbekannt. Gemeinfrei (CC-PD-Mark).

Die Drei Paradigmen der Philosophie

Auf diese Idee kam ich, als ich eine Folge Vorgedacht gehört habe. „Vorgedacht“ ist ein toller Podcast, in dem Stephanie Dahn über Philosophie spricht. Genauer gesagt spricht sie über die Geschichte der Philosophie und noch genauer über die Vorsokratiker (ich nehme an, sie wird auch den Rest der Philosophiegeschichte noch drannehmen). Ganz toll ist auch die Form von Vorgedacht: Die einzelnen Episoden sind immer kurz und prägnant, gerade so lang, dass man nicht in Gedanken davondriftet.

Und da Vorgedacht gerade bei den Vorsokratikern steckt, geht es da eben ziemlich viel um „das Seiende“ und „das Nichts“ und um „Prinzipien“ und so ein Gedöns. Das sind jetzt so Begriffe, die der Mensch und im besondern der Deutsche (daran ist Heidegger schuld) mit Philosophie verbindet und die den Menschen dieses Bild von dem komplett abgehobenen Geriesel der Philosophie vermitteln. Und obwohl Philosophie total abgehoben ist, ist sie es – zumindest in der Strömung, der ich anhänge – auf eine komplett andere Art und Weise.

Um dies zu erklären, möchte ich euch einen kurzen, allzu kurzen Überblick über die drei Paradigmen der Philosophie bieten. Doch bevor ich das tue, muss ich erst einmal mein Vokabular auf die Reihe kriegen und zwei Fragen beantworten:

  1. Was ist denn eigentlich Philosophie?
  2. Und was zum Geier ist ein Paradigma?

Was ist Philosophie?

Philosophie lässt sich jetzt irgendwie total Knorke aus dem Griechischen herleiten und heißt in etwa „Liebe zur Weisheit“, was ich selbstverständlich auch im Namen meiner Tochter verwurschtelt habe. Natürlich könnte ich einen ganzen Blogpost damit füllen, was Philosophie ist, denn schließlich braucht ihr dafür nur in die Buchhandlung eurer Wahl gehen, euch vor das entsprechende Regal zu stellen und schon seht ihr, wie viele Bücher man mit dieser Begriffsdefinition füllen kann. Aber ich werde das Ganze stark verkürzen und euch einfach sagen, dass die Philosophie seit rund 2500 Jahren versucht, drei Fragen zu beantworten:

  1. Was ist das Gute?
    Hierum kümmert sich die Ethik
  2. Was ist Schönheit?
    Die Leitfrage der Ästhetik
  3. Was ist Wahrheit?
    Dieses Problem erörtert schließlich die Erkenntnistheorie oder Epistemologie. Und wenn ich die drei Paradigmen der Philosophie erörtere, dann kümmere ich mich dabei nur um diese letzte Frage.

Was zum Geier ist ein Paradigma?

Die Wikipedia sagt:

„Ein Paradigma ist eine grundsätzliche Denkweise. Im engeren Sinn ist es eine bestimmte Lehrmeinung oder Weltanschauung. Die Ersetzung eines Paradigmas durch ein anderes heißt Paradigmenwechsel.“

Berühmt sind die Paradigmenwechsel in der Physik, wo das geozentrische Weltbild (Die Erde ist der Mittelpunkt) durch das heliozentrische (Die Sonne ist der Mittelpunkt) abgelöst wurde. Oder wo die Physik Newtons, in der die ganze Zeit irgendwelche Äpfel fallen von der Einsteins mit ihren krummen Räumen abgelöst wurde.

Aber auch in der Philosophie gab es solche Paradigmenwechsel und um diese geht es mir hier.

Was ist die Welt?

Die Frage „Was ist Wahrheit?“ kann ich nun mit einigen Reibungsverlusten umformulieren in „Was ist Erkenntnis?“, schließlich heißt die Disziplin ja auch Erkenntnistheorie. Und wie die Philosophen so sind, interessiert sie weniger die Erkenntnis, wie lange man ein Ei kochen muss, sondern gleich die Frage nach dem großen Ganzen. So kam es eben, dass die Vorsokratiker sich nicht mehr mit den Erklärungen der Religion abgeben wollten, woher die Welt stammt und was die Naturphänomene auslöst, sondern dass sie die Frage ganz neu stellten: „Was ist die Welt?“ Und das lange bevor Platon – dessen Fußnote ja bekanntlich die restliche abendländische Philosophie ist – die Frage in „Was ist Wahrheit?“ abstrahierte.

Der Clou ist, dass die altgriechischen Philosophen eben noch glaubten, dass sie prinzipiell erkennen könnten, „Was die Welt im Innersten zusammenhält“, wenn sie nur gründlich genug darüber nachdenken würden. Platon bringt uns das mit seinem Höhlengleichnis sehr schön nahe. Ihr wisst schon, da sitzen ein Haufen Typen und Ilsen in so einer unterirdischen masochistischen Schattentheatervorführung, bei der sie auch noch alle gefesselt sind und denken: „Das ist die Welt“. Unser Superheld Philo Man befreit sich nun von den Fesseln, dreht sich um, sieht den Projektor und entdeckt den Schwindel. Philo Man kraxelt dann die Höhle hoch und kommt an die Oberfläche, wo er – nachdem er zu Beginn vom Licht der Erkenntnis geblendet ist – erkennt, wie die Welt wirklich ist.

Das mit dem Blenden wird übrigens bei Matrix zitiert, nachdem Neo aus ebenjener befreit wurde.

Aber worauf ich hinaus will: nachdem Philo Man seinen Quest gelöst hat, kann er die Frage beantworten: „Was ist die Welt?“.

Was kann ich erkennen?

Nach Platon kam bekanntlich sein Schüler Aristoteles und der gute alte Ari hat aus seinen Theorien einen Kanon gemacht, der eigentlich das ganze Mittelalter hindurch nachgebetet wurde, während man sich in der Philosophie um das Wesen Gottes und wie es zu beweisen ist, kümmerte.

Dann kam die Renaissance, mit ihr rückte das Individuum in den Vordergrund und damit der erste Paradigmenwechsel der Philosophie. An Stelle der Frage „Was ist die Welt?“ trat die Frage „Was kann ich erkennen?“. Und zwar, ohne dass die erste Frage beantwortet wurde, denn das ist das Wesen von Paradigmenwechseln. Das spiegelt sich sehr schön in Descartes Cogito wieder: „Ich denke, also bin ich“. Auf der Suche nach dem einen Ding, dessen er sich gewiss sein kann, findet Descartes sein Denken. Mit ihm beginnt sodann die philosophische Epoche der Neuzeit.

Aber den eigentlichen Turn vollzog dann Kant, weshalb dieser Paradigmenwechsel auch „Die kantische Wende“ oder in Anlehnung an die Physik „die kopernikanische Wende Kants“ genannt wird. Kant kommt jetzt nämlich auf den Trichter, dass der Mensch schlichtweg nicht erkennen kann, was die Welt ist. Das „Ding an sich“ bleibt dem Menschen für immer verborgen, da unsere Sinne uns nicht die ganze Welt zeigen, sondern nur einen Ausschnitt ihrer. Aber noch weiter: Auch unsere Vernunft, auf die Platon noch seine ganze Hoffnung gesetzt hatte, kann die Welt nicht erkennen, denn schon bevor wir anfangen zu denken, müssen wir ein paar Sachen als gegeben annehmen und können nicht überprüfen, ob sie wirklich existieren: etwa Raum, Zeit oder Kausalität. Folglich ging es nach dem ollen Kant nur noch um die Beantwortung der Frage: Was kann ich erkennen? Beziehungsweise: hätte es gehen sollen. Denn, wenn man sich den deutschen Idealismus (Kants Nachfolger) anguckt, schwappt der geradezu über von metaphysischen Unsinn in Bezug auf das, was die Welt dann wieder irgendwie nicht ist oder doch…?

Was kann ich sagen?

Dieses zweite Paradigma wurde aber schließlich auch abgelöst. Das Ganze fing eigentlich schon mit Wilhelm von Humboldt an, den man zurzeit eher kennt, weil er ein „Bildungsideal“ hatte, das jetzt irgendwie futsch ist. Jetzt wisst ihr auch endlich, warum er gütig auf diesen Blogpost herabblickt. Aber der gute alte Willy hatte ja bekanntlich einen Bruder, namens Alex, der die Welt vermessen hat und der Willy eine ganze Menge Infos über andere Sprachen mitbrachte. Da Willy ein Talent für Sprachen hatte, erkannte er schließlich, dass Sprache unser Weltbild prägt. Nun, der gute alte Willy war seiner Zeit aber etwas voraus, sodass der Mainstream der Philosophie sich noch nicht wirklich dafür interessierte, sondern mehr für Hegels durchgeknallten Weltgeist. Es blieb dann an den analytischen Philosophen der ersten und zweiten Generation hängen, den „Linguistic Turn“ zu vollziehen, der leider noch immer allzu oft falsch mit „Linguistische Wende“ übersetzt wird, da er die „Sprachkritische Wende“ oder die „Sprachphilosophische Wende“ ist. Das waren so Leute wie Frege, Russel, Moore und Wittgenstein. Dieser Wittgenstein bringt den Linguistic Turn sehr gut auf den Punkt mit:

„Und eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen“

(PU19)

Der Gag des Linguistic Turns ist, dass ich eben nicht nur nicht alles denken kann, weil meinem Denken Grenzen gesetzt sind, sondern weil dieses Denken auch immer in einem Medium stattfinden muss: in der Sprache (Ja, ja, man kann auch in Bildern denken…. Dann fang schon mal damit an, die Principia Mathematica aufzumalen!) Diese Sprache ist nun ihrerseits Regeln unterworfen, die unser Denken einschränken. So zum Beispiel die grundlegende Struktur von Subjekt, Prädikat und Objekt mit der wir die Welt beschreiben. Aber vielleicht ist die Welt gar kein Objekt sondern eher ein Ereignis, was wir nur nicht richtig mit unser Sprache fassen können.

Diese sprachanalytische Philosophie ist zwar jetzt auch abgehoben, aber auch viel cooler als der ganz metaphysiche Dummquatsch. Denn mit ihr kann man auch sehr gut Sprachanalyse betreiben und zum Beispiel so, wie ich es hier ab und an tue, das ein oder andere Argument des öffentlichen Diskurses zu Hackfleisch verarbeiten.

Leider haben nicht alle Philosophen die Paradigmenwechsel mitgemacht und gerade hier in Deutschland hatte etwa Heidegger einen viel zu großen Einfluss auf die Philosophie und das Bild der Philosophie in der Öffentlichkeit. Aber Heidegger mit seinem ganzen Sein und Nichtsein und seiner Verdinglichung des Nichts gebraucht die Sprache in Wittgensteins Worten ‚missbräuchlich‘, bricht ganz einfache Regeln und holt sich so nichts weiter als Beulen an den Grenzen der Sprache:

„Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und die Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat. Sie, die Beulen, lassen uns den Wert jener Entdeckung erkennen.“

(PU 119)

Ich bin raus!

P.S.: Ich habe gerade keine Lust mehr, jetzt noch — wie sonst — Literaturempfehlungen rauszusuchen, entweder hole ich das nach, oder ihr macht es in den Kommentaren.

Ein Buch auf Reisen…

Ich habe – um hier mal ein bisschen Platz zu schaffen – zum ersten Mal ein Buch mit Bookcrossing.com auf Reisen geschickt. Ich bin gespannt, was daraus wird.

Es war Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel

Nicht gerade mein Liebligsbuch, manchmal etwas langatmig, aber für jeden, der Verschwörungstheroien mag, durchaus spannend…

Mehr Infos gibt es bei Bookcrossing.

Quer durch – mein Roadtrip

Da ich gerade einfach keine Zeit finde zum Schreiben, habe ich mal wieder einen alten Text von mir herausgekramt. Den habe ich einst für einen Wettbewerb geschrieben. Ich habe nicht gewonnen oder bin auch nur irgendwie in die engere Wahl gekommen. Dass er aber trotzdem eines der besten Stücke ist, die ich je geschrieben habe, sagt wohl viel über mein Talent aus, was?

Der Text stammt von 2003, was meine Einwürfe zum Einwegpfand, zu den Staatsfinanzen und zur „Verschandelung der Landschaft“ verständlicher macht. Viel Spaß…

Quer durch

Wenn du mit vier wildfremden Menschen in einem viel zu kleinen Toyota mit Stufenheck einmal quer durch die Republik fährst, stellen sich dir eine Reihe merkwürdiger Fragen: Wer bist du? Woher kommst du? Wie bist du hierher gekommen? Und warum, zum Geier, musst ausgerechnet du hinten in der Mitte sitzen?

Beim Autofahren aus dem Fenster blicken
Der Blick nach vorne

Ich hatte 14 Tage in der Hauptstadt verbracht, in jener einzigen Metropole dieser Republik. Doch irgendwann muss jeder mal den Gang nach Canossa oder vielmehr zurück in die Provinz antreten. Jetzt befand ich mich also auf dem Rückweg in die westlichste Stadt des Landes.

Wie an jedemTag in den letzten zwei Wochen bin ich auch an jenem Sonntag bereits breit und eine wohl kultivierte Abschiedsmelancholie macht sich in mir breit, als ich die S-Bahn Richtung Ostbahnhof betrete. Wir reden kaum und wenn, dann meist belanglosen Quatsch. Alles in allem benehmen wir uns wie von Grönemeyer klischeetisierte Männer: Emotionen unterdrücken, vernebeln, ausblenden. Am Ostbahnhof schleppe ich meine viel zu schwere Tasche zum Taxistand.

Zehn Minuten müssen wir warten, bis meine Mitfahrgelegenheit.de sich zu erkennen gibt. Den ganzen Weg hierher hatte ich gehofft, dass noch jemand mitfährt. Diese Hoffnung sollte sich bald in Ihr Gegenteil verkehren. Dann tritt er auf den Plan: Seinen Namen habe ich im Gegenteil zu seiner E-Mail-Adresse (Toyotafan1984@hastenichgesehn.de) bereits wieder vergessen, na ja, macht nichts, sowieso nur ein „portionierter Freund“. Er ist ganz in schwarz gekleidet, mit seifenblasig verspiegelter Radfahrerbrille und auf dem Kopf trägt er einen gescheiterter Blondierversuch. Möglicherweise ist das typische Orange sogar gewollt.

Seine erste Frage: „Redest du viel?“

Freut mich auch ihn kennen zu lernen: „Kommt drauf an, warum?“

Er könne schließlich nicht Zeitunglesen während der Fahrt. Das Grinsen in den Gesichtern meiner Freunde, die mindestens genauso breit wie ich sind, wächst zusehends. Als wir zum Auto kommen, stehen dort zwei andere Mitfahrer, beides Zecken, gut. Ich lade meine Tasche ins Auto und unternehme noch einen letzten verzweifelten Versuch an mein Buch zu kommen. Doch unter dem skeptischen Blick des offensiv kommunikativen Fahrer muss ich einsehen, dass ich nur noch an das nicht mehr ganz so gelbe Reclambüchlein komme. Statt französischer Gesellschaftskritik soll ich mich nun mit Sprachhandlungen abspeisen lassen… Nun gut.

Nun warten wir noch auf den vierten (!) Mitfahrer und meine Freunde verabschieden sich. Der Fahrer verlangt noch vor erbrachter Leistung, bezahlt zu werden.

Auf: „Wollen wir jetzt das mit dem Geld machen?!“

Entgegne ich noch mal: „waren das 22 Euro?“

Es sind noch immer 22, trotz vier Mitfahrern in einem viel zu kleinen Wagen. Dann kommt der vierte Mitfahrer, der sich als Mitfahrerin entpuppt. Eine kleine, durchaus attraktive Mitfahrerin mit dunklem Teint und kurzen schwarzen Locken.

Als gerade die Rangelei um die besten Plätze (hinten) losgehen soll, erweise ich mich als Spielverderber indem ich, nur halbherzig mit „zu wenig Schlaf“ rechtfertigend, mich hinten (immerhin) in der Mitte niederlasse. Die vergiftete Antwort: „Wir haben alle wenig geschlafen!“ ignoriere ich und schließlich wird Mitfahrerin Fünf nach vorne geschoben, trotz verhaltener Proteste. Sie darf nun den Fahrer wach halten, aber nichts zu essen mehr einkaufen. Der Fahrer will das „unterwegs“ machen. Die kleine weibliche Zecke, die typisch rheinisch redet, aber – wie ich später erfahre – ursprünglich aus Bayern kommt, versteht meinen Vermittlungsversuch nicht und alle quetschen sich zur gleichen Tür rein wie ich. Ich muss durchrutschen und die Wahlkölnerin mittig sitzen. Pech für sie.

Die Sonne steht schon tief, der Sommer ist vorbei, als wir den Weg nach Westen einschlagen. Pflichtbewusst erkunde ich mich smalltalktechnisch, ob mit vielen Staus zu rechnen ist. Die Antworten widersprechen sich, aber alle sind sich ganz sicher bei der ihren, denn sie fahren ja öfter um diese Zeit diese Strecke. Als ich dann, während wir noch durch die Hauptstadt kurven, die sich im weichen Altweiber-Sonnenlicht von ihrer schönsten Seite zeigt, die angestoßene Konversation über Verkehrsregularitäten vertiefen möchte und noch mal nachfrage, wo denn mit Staus zu rechnen ist, mich dabei noch dahingehend oute, dass ich nicht einmal weiß, dass wir nicht durch Dortmund fahren sondern daran vorbei und die Antwort des Fahrers nicht nur vorhersehbar, sondern auch Wortkarg ausfällt, betrachte ich meine kommunikative Pflicht als erledigt. Ich lehne mich zurück, schließe meine Augen so weit, dass das Sonnenlicht durch meine Wimpern in seine Spektralfarben zerlegt wird und chille. Die anderen sollen durchaus den Eindruck haben, ich schlafe. Um meine Absichten schließlich unmissverständlich mitzuteilen, verschränke ich noch demonstrativ meine Arme vor der Brust und vermeide Blickkontakt. Man kann schließlich nicht nicht kommunizieren.

Die Stadtautobahn ist nach einer Dreiviertelstunde erreicht. Der Fahrer hat seine Beifahrerin schon konservatorisch gefangen genommen mit der obligatorischen Frage: „Und was machst du so in…“ Sie arbeite in der Medienstadt aber als Sozialpädagogin in Krisenfamilien. Kurze Inhaltsangabe ihres Berufsalltag folgt genau wie das ebenso obligatorische: „Und Du?“.

Er arbeitet bei Toyota in der Fertigung von Motoren für Formel-1-Boliden. Als was, sagt er nicht, nur dass er Mathematik studiert habe, was man ihm – mit Verlaub – nicht ansieht. Da bin ich oberflächlich, sicher. Wir nähern uns unaufhaltsam Magdeburg, die Börde langweilt mich: flaches Land, soweit das Auge reicht. Ich freue mich schon auf Westfalen. Konstant auf der linken Spur fahrend spricht der Mathematiker fasziniert von der „akribischen Arbeit“, den „immensen Kosten“ und dem „ungeheuren Zeitaufwand“. Ich stehe vor der schwierigen Entscheidung ob ich mal einen Blick auf den Tacho werfen soll oder nicht. Der Nachteil: ich müsste meine Defensivhaltung aufgeben. Die mittige Wahlkölnerin ist eingeschlafen. Sie ist ein wenig stämmig, nicht dick, aber hat sich für die Linksneigung entschieden. Das bedeutet, dass sie ihr Gewicht immer so lange auf mir lasten lässt, bis ihr Kopf nach vorne kippt und sie zuckend wieder Haltung annimmt. Mein rechtes Bein schwitz, da es mangels Platz gegen das ihre gepresst ist.

Der unsichtbare Dritte macht sich unleserliche Notizen in ein abgegriffenes Heft. Ansonsten ist er still, mischt sich nicht ins Gespräch zwischen dem links fahrenden Mathematiker und der kleinen Pädagogin, das mittlerweile ein echter Dialog geworden ist. Nachdem der linksfahrende Mathematiker erzählt hatte, dass es ihn eigentlich nach Japan gezogen habe, aber da nichts zu machen sei und man als Europäer in dem Land sowieso keine Chance hat, stieß die Pädagogin ein Gespräch über die japanische Kultur an. Jetzt exemplifiziert sie anhand der Asiaten, mit denen sie während des Studiums zusammen gewohnt habe, die arrogante Verschlossenheit in deren Kultur. Der links fahrende Mathematiker meint sich da besser auszukennen und ermahnt sie, nicht alle Asiaten in einen Topf zu werfen (womit er sicher recht hat). Chinesen seien Europäern gegenüber mehr aufgeschlossen als Japaner(n). Die seinem Idiom zu verdankende Doppeldeutigkeit löst er nicht auf und ich frage nicht nach. Die Pädagogin geht ein bisschen in Deckung mit dem Einwand: „Ich kann nur aus meinen eigenen Erfahrungen schließen. Und das sind die Erfahrungen die ich gemacht habe.“ Super: eine Vollblut-Empiristin.

Die Art und Weise, wie sie das sagt, lässt darauf schließen, dass die kleine Pädagogin den Satz oft bringt, wahrscheinlich beruflich. Jetzt agitiert der links fahrende Mathematiker zaghaft gegen Türken, denen er nicht die Fähigkeit einräumt, sich in die Deutsche Gesellschaft eingliedern zu können. Doch die kleine Pädagogin mit dunklem Teint gibt sich als Türkin zu erkennen und die beiden scheinen sich stillschweigend auf Unentschieden zu einigen.

Während wir uns Hannover nähern, nutzt die mittige Wahlkölnerin die eingetretene Stille um sich beim rechtssitzenden unsichtbaren Dritten über ihr verschwitztes linkes Bein zu beschweren, das dauerhaften Kontakt mit dem meinen hat. Er beschwichtigt, dafür könne keiner von uns was. Sehe ich ähnlich, würde allerdings noch anhängen: „Außer dem Fahrer!“.

Die Wahlkölnerin verlangt nun nach einer Pinkelpause, doch der Mathematiker vertröstet sie, während er konstant links fährt: „Ich will erst an Hannover vorbei! Noch ’ne halbe Stunde.“ Die Zeit bis zur ersten und letzten Rast nutzt die Pädagogin um über Verdienst, im Sinne von Einkommen und Verdienst, im Sinne von Wertschätzung zu sinnieren. Ihrer Meinung nach korreliert beides und ihr geringes Einkommen führt sie auf mangelnden Respekt des Staates gegenüber ihrer Kaste zurück. Vielleicht hat sie da recht, vielleicht auch nicht, schließlich ist der Staat pleite…

Als wir auf den Rasthof abbiegen, steht die Sonne bereits dicht über dem Horizont. Die Wirkung der Droge ist nur noch eine schwache Ahnung und meine Synapsen schreien nach Nikotin, während mein Mund vor Trockenheit schmerzt. Also erst mal rein in die Raststätte, doch die verschiedenen Erfrischungsgetränke sind allesamt mit Einwegpfand beladen, den ich nie wieder sehen würde. Ich entscheide mich schließlich für Kakao ohne Pfand. Die Flasche unter den Arm geklemmt, verlasse ich Zigarette drehend die Raststätte und überlege, ob das im Netz annoncierte „Nichtraucher“ sich lediglich auf den Konsum im Wagen bezog, oder ob ich mich durch meine Sucht zur Weiterfahrt disqualifiziere. Doch als ich zum Wagen komme, steht dort der unsichtbare Dritte und raucht ebenfalls das Kraut. Die Pädagogin erfährt auf Nachfrage, dass der stille Raucher ebenfalls Pädagoge ist: in der Erwachsenenbildung. Sie nutzt diesen glücklichen Zufall um noch einmal die Diskussion ums Gehalt anzuschneiden. Die Wahlkölnerin kommt und raucht ebenfalls. Als der Fahrer kommt, freut er sich kurz über die Strecke die wir bereits hinter uns haben und will gleich „das nächste Stück in Angriff nehmen“.

Die Sitzplatzdiskussion beginnt erneut, jedoch in Variation: Jetzt wollen beide Frauen vorne sitzen. Die energischere Wahlkölnerin setzt sich durch und ich mich auf Bitten der Pädagogin in die Mitte. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, das letzte Tageslicht zu nutzen und doch noch zu lesen, entscheide mich aber dagegen. Die Pädagogin sitzt jetzt links von mir und erkundigt sich nach meiner Lektüre. Ich schmeiße ihr ein paar Brocken hin und sie bestätigt mir, dass es sie nicht wirklich interessiert. Im Gegensatz zum Fahrer, der zwar konstant links, aber wie ich jetzt sehen kann, nur 140 fährt. Das hat auch zur Folge, dass im Laufe des Abends hinter uns der ein oder andere Porsche oder Mercedes die Lichthupe betätigt oder schlicht rechts überholt.
Der Fahrer meint noch, nachdem er sich über die Sprechakttheorie erkundigt und mein Studienfach erfragt hat, was ich denn damit machen will…

…Nein, welch’ kreative Frage, hab ich ja noch nie gehört…

Ich spiele kurz mit dem Gedanken, meine Standardantwort auf die Standardfrage zu geben: „Ist doch klar – ich werde UN-Generalsekretär!“ Doch eine kurze, erneute Musterung sagt mir, dass er das missverstehen könnte – also ernst nehmen. Und ich versuche ja noch immer, mich bei sämtlichen Dialogen wie Sokrates’ Gesprächspartner bei Platon zu verhalten. Also antworte ich wahrheitsgemäß: „Schreiben.“ Da wir unterwegs in die Medienstadt sind, ist fast garantiert, dass eine solche Antwort unkommentiert bleibt – bleibt sie auch. Danke.

Endlich Westfalen! Gerade noch rechtzeitig fahren wir durch die Pforte. Die Sonne küsst bereits die Rücken, Grate und Hänge des Hügellandes. Jetzt ist es nicht mehr weit in den Pott. Nachts fährt es sich gut von Dortmund zur Medienstadt – wenn links und rechts große Lichterseen kommen und gehen.

Und bin ich erst mal dort, in der Medienstadt, dann muss ich nur noch eine Stunde Zug fahren. Allein, in Ruhe durchs Rheinland, wieder flach so weit das Auge reicht, aber es reicht ja – Gott sei dank – nicht weit in der Nacht. Der letzte Höhepunkt wird dann jener überdimensionale Schaufelbagger, der sich im Flutlicht durch die Landschaft gräbt. Bald darauf, kurz vor dem Ziel, kommen dann noch ein paar Windräder: so viel zur Verschandelung der Landschaft. Aber das ist eine andere Geschichte…

 

Ich bin raus.

Abschließendes Vokabular

„Alle Menschen tragen ein Sortiment von Wörtern mit sich herum, das sie zur Rechtfertigung ihrer Handlungen, Überzeugungen und ihres Lebens einsetzen. Es sind Wörter, in denen wir das Lob unserer Freunde, die Verachtung für unsere Feinde, unsere Zukunftspläne, unsere innersten Selbstzweifel und unsere kühnsten Hoffnungen formulieren. Mit diesen Wörtern erzählen wir, manchmal vorausgreifend und manchmal rückwärtsgewandt, unsere Lebensgeschichte. Ich werde sie das ‚abschließende Vokabular‘ einer Person nennen.“

Richard Rorty: Kontingenz, Ironie und Solidarität. Suhrkamp. Frankfurt am Main 1992. S. 127.

 

Durch die deutschen Feuilletons fegt ein Sturm

Oder, um die Metapher perfekt zu machen: durch deutsche Feuilletons fegt der Besen der kleinen Hexe. Der Thienemann Verlag hat angekündigt, dass er in der Neuauflage des Kinderbuchs „Die kleine Hexe“ von Otfried Preußler auf das Wort „Negerlein“ verzichten werde. Dies geschah im Übrigen mit Einverständnis des Autors. Dennoch ist die Aufregung groß. Die Schlagzeilen bilden ein Spektrum zwischen „Modernisierte Klassiker“ (taz), über „Die ‚bösen Wörter‘ von Otfried Preußler“, (Berliner Zeitung) und „Wir wollen vorlesen und nichts erklären müssen“ (FAZ) bis hin zu „Die kleine Hexenjagd“ (Die Zeit). Die Front verläuft zwischen dem Wunsch überkommenen Rassismus hinter uns zu lassen und der Angst vor Zensur.

Warum ist der Streit so heftig? Sind wir tief in unserem Herzen Rassisten, die es sich gemütlich im Taka-Tuka-Land eingerichtet haben und uns vor der Moderne fürchten? Oder kämpfen wir in Helms Klamm gegen den Untergang des Abendlandes, den uns die Armeen der Zensur in unseren Klassikern bereiten?

 

Wohl Kant gelesen, oder was?

Mit abschließendem Vokabular hat Richard Rorty einen Terminus gefunden, der sehr passend den Aufbau unseres Weltbildes beschreibt. Den Löwenanteil unserer Werte und Normen tragen wir nicht in Theorien mit uns herum, sondern in Vokabeln. Begriffe wie „geistiges Eigentum“, „soziale Gerechtigkeit“ aber auch „Liebe“ sind für uns mit einem Kaleidoskop von Bedeutungen aufgeladen, die unsere Sicht auf die Welt konstruieren. Einige dieser abschließenden Vokabeln sind sehr flexible Worthülsen wie „Freiheit“ die sich im Fluss der öffentlichen Debatte ständig wandeln, je nachdem ob ich gerade über Waffenbesitz oder Mohammed-Karikaturen sprechen. Andere Vokabeln sind hart wie der Felsen um den der Fluss strömt. Wie „Mutterliebe“.

Worauf Rorty hinaus will, ist, dass wir alle eine Vorstellung von „Demokratie“ haben, viele von uns „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ noch einordnen können, aber die wenigsten wissen, was in den anderen 145 Paragraphen des Grundgesetzes steht. Genauso verhält es sich mit dem „kategorischen Imperativ“, „Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu“ und der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten oder in der aktuellen Debatte beliebt „Neusprech“, „Big Brother is watching you“ und Orwells 1984.

Das Problem mit unseren abschließenden Vokabularen ist jetzt aber, dass wir sie in den seltensten Fällen hinterfragen, dass die einzelnen Begriffe nicht nur eine klar abgegrenzte Bedeutung tragen und dass wir eine ganze Menge Ballast mit ihnen herumtragen, von dem wir nicht einmal wissen, dass er da ist. Jedem von uns wird das sofort klar, wenn wir die in ihrer Wortbedeutung anscheinend unverfängliche Phrase „Arbeit macht frei“ betrachten. Der Ballast, den sie mitschleppt, hat sich tief in unser kollektives Gedächtnis gegraben, sodass wir sie nicht unbefangen verwenden können. Doch diesen Ballast tragen eben sehr viele, wenn nicht alle unserer abschließenden Vokabeln mit sich.

Wenn wir dann mal einen Schritt zurücktreten und einen Blick auf unser abschließendes Vokabular werfen, geschieht dies – wenn ihr nicht gerade Philosophen oder Psychotherapeuten seid – in der Regel, weil uns eine Debatte von außen aufgedrängt wurde. Und dieses Hinterfragen meines abschließenden Vokabulars ist, das verdeutlicht Rorty, eine brutale Sache. Ein Weltbild ist nichts, was wir wechseln können wie einen Anzug. Ein Weltbild, unsere Sicht auf die Welt, ist ein Teil von uns, etwas was mich als Persönlichkeit formt, mich zu dem macht, was ich bin. Erlebnisse wie Glaubens- oder Sinnkrisen sind die Folge von nicht länger aufrechtzuerhaltenden Weltbildern. Und, um es noch einmal ganz deutlich zu sagen,: unser abschließendes Vokabular ist das Fundament, auf dem unser Weltbild erbaut ist.

 

„Klassiker“, „Rassismus“ und „Zensur“

Das ist der Grund, warum die aktuelle Debatte um die kleine Hexe so hitzig geführt wird. Und das spannende daran ist, dass „Neger“ nicht einmal zu unserem abschließenden Vokabular gehört. dieses Wort wurde längst von der Zeit davon gespült. Nein, die abschließenden Vokabeln, die in der Debatte neu verhandelt werden, sind „Klassiker“, „Rassismus“ und „Zensur“. Und das erklärt natürlich die Heftigkeit die sich besonders in den Kommentaren unter den Artikeln austobt. Denn, sich die Frage zu stellen, ob man ein Rassist ist, weil man „Die kleine Hexe“ all die Jahre unkritisch vorgelesen hat ist natürlich eine genauso heftige Erschütterung wie der Vorwurf, man zensiere und ausgerechnet noch einen Klassiker, obwohl man doch eigentlich nur eine Gruppe unserer Gesellschaft umarmen und nicht länger vom Genuss dieses Buches ausschließen wollte.

Und noch etwas: es ist gut, dass wir diese Debatte führen und auch die Leidenschaft darin ist wichtig. Streit ist nicht immer etwas schlechtes, wie es uns abschließende Vokabeln wie „Fraktionsdisziplin“ glauben machen wollen. Gerade in diesem Land haben wir eine traurige Tradition die eben sowohl Rassismus als auch Zensur miteinschloss und deshalb sollten wir diese Debatte führen und uns nicht leichtfertig auf die eine oder andere Seite schlagen.

Literatur:

Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Umsonst im Internet (gemeinfrei) oder als Reclam. Stuttgart 1986. Bei Amazon.

George Orwel: 1984. (Ist in Australien bereits gemeinfrei, werde ich aber aus rechtlichen Gründen nicht verlinken) 33. Auflage. Ulltein. Berlin 2009. Bei Amazon.

Otfried Preußler: Die kleine Hexe. 65. Auflage. Thienemann.Stuttgart 2005.

Richard Rorty: Kontingenz, Ironie und Solidarität. Suhrkamp. Frankfurt am Main 1992.

 

Der Exklusionsfehlschluss

Zwischen den Jahren kochte rund um den 29C3 mal wieder die netzfeministische Debatte hoch. Und wie bereits in der Vergangenheit, eignet sich diese Debatte – jedenfalls macht es auf mich den Eindruck – hervorragend dazu, um falsche Argumentationsstrukturen aufzuzeigen.

Ich habe diesem Fehlschluss den Namen „Exklusionsfehlschluss“ verliehen, es kann aber durchaus sein, dass das Phänomen unter einem anderen Namen bereits bekannt ist. Getreu nach John Austin:

„Die Erscheinung, um die es geht, ist sehr weit verbreitet und liegt offen zutage; hier und da müssen andere sie bemerkt haben. Aber ich habe noch niemanden gefunden, der sich richtig darum gekümmert hätte.“

Der Exklusionsfehlschluss besagt Folgendes: Wenn du nicht Teil einer Sache/Institution/Gemeinschaft bist, dann darfst du auch nicht für oder gegen diese Sache Partei ergreifen.

In der feministischen Debatte erscheint dieser Fehlschluss – wie so oft – nur implizit, indem sich gerne lustig gemacht wird, über Männer, die für den Feminismus Partei ergreifen. Die Argumente dagegen sind zumeist folgender Art: „Die (männlichen Feministen) hoffen doch nur, dass sie, wenn sie für die Frauen eintreten, auch mal eine ins Bett kriegen“. Abgedroschen wie dieses Klischee ist, so ist es doch nicht totzukriegen. Zuletzt begegnete es mir hier, in der sonst ziemlich guten Folge von „Wer Redet Ist Nicht Tot“ mit Malte Welding.

Wenn ich dieses Argument seziere, finde ich zwischen seiner Leber und Niere eben den oben angeführten Schluss:

Wenn du keine Frau bist, dann darfst du nicht für den Feminismus Partei ergreifen.

Ich wette, zumindest ein Teil derjenigen, die gerne Witze über männliche Feministen machen, würden schon jetzt, wenn sie den nackten Kern ihres Spottes sehen, dem nicht mehr zustimmen. Und doch steckt genau dieser Schluss hinter jeder Kritik an männlichen Feministen, der nicht über die Tatsache hinausgeht, dass jemand Feminist und Mann ist.

Schauen wir uns diesen Satz als nächstes mal genauer an. Zwei Dinge erscheinen mir an ihm bemerkenswert.

1. Zunächst ist es ein Konditional: Wenn du keine Frau bist, dann darfst du nicht für den Feminismus Partei ergreifen.

2. Ferner haben wir hier mal wieder diese vertrackte Situation, dass wir einen faktischen Vordersatz haben und normativen Folgesatz: Wenn du keine Frau bist, dann darfst du nicht für den Feminismus Partei ergreifen.

 

2. habe ich mich bereits früher gewidmet. Zusammengefasst: Aus einem Zustand, der ist kann niemals automatisch ein Zustand folgen, der sein sollte. Wir müssen uns immer die Frage stellen: „Wollen wir so leben?“

1. hat eine knackige Pointe. Formal betrachtet ist nämlich ein Konditional immer dann wahr, wenn der Folgesatz wahr ist und dann falsch, wenn ebenjener Folgesatz falsch ist. Dabei ist der Vordersatz so egal wie der katholischen Kirche wissenschaftliche Kriterien bei der Aufklärung von Missbrauchsskandalen.

Was heißt das für uns? Kurz gesprochen, dass wir nur prüfen müssen, ob der Satz „Du darfst nicht für den Feminismus Partei ergreifen“ wahr ist. Womit wir natürlich wieder zurückgeworfen werden auf unseren Sein-Sollen-Fehlschluss, denn ein normativer, ein ethischer Satz kann ja nicht wahr sein, sondern nur beantwortet werden mit „Wollen wir so leben?“

Die Antwort auf diese Frage ist nun schon so banal, dass sie fast langweilig ist: natürlich gehört die Redefreiheit zu einem der höchsten Güter unserer Gesellschaft, weswegen wir niemandem einfach so das Wort verbieten würden, oder? Zumindest kommen die Redefreiheitsapologeten immer dann aus ihren Löchern gekrochen, wenn sie die freie Rede mal wieder durch den Islam bedroht sehen.

Auf mich scheint es so, als liege der Kritik an männlichen Feministen gerade das Eingeständnis zugrunde, dass es eine unterschiedliche Verteilung von Privilegien zwischen Frauen und Männern gibt, ferner, dass dies für Männer wünschenswert ist und ein Mann folglich schön blöd, wenn er sich selbst seiner Rechte beschneiden will.

Ich persönlich finde diese Haltung schlichtweg kleingeistig und dies lässt sich am besten zeigen, indem wir den Exklusionsfehlschluss auf andere Bezugnahmegebiete anwenden.

 

Dem Argument:

Wenn du keine Frau bist, dann darfst du nicht für den Feminismus Partei ergreifen.

Liegt die gleiche Struktur zugrunde wie den folgenden Argumenten:

Wenn du nicht schwarz bist, dann darfst du nicht gegen Rassismus sein.

Wenn du kein Moslem bist, dann darfst du keine Kritik am Islam äußern.

Wenn du kein Hartzer bist, dann darfst du das Arbeitslosengeld II nicht schlecht finden.

Wenn du kein Bayernfan bist, dann darfst du die Bayern nicht doof finden.

Wenn du nicht in der NPD bist, dann darfst du nicht über ihr Verbot nachdenken.

Wenn du keine Kinder hast, dann darfst du keine Kritik an Kindesmissbrauch äußern.

Und wenn ihr diesen Schlüssen allesamt zustimmt, solltet ihr euch Gedanken machen, ob ihr wirklich in der richtigen Gesellschaft lebt.

 

Ich bin raus

 

Literatur: John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words). 2. Bibliograpisch ergänzte Ausgabe. Reclam. Stuttgart 2002.

Der Kater

Meine Tochter (5) bat mich, mal was über den Kater in dieses Internet zu schreiben. Also tue ich ihr doch diesen Gefallen und liefere hier mal etwas von dem berühmt-berüchtigten Cat-Content.

Beute gemacht. Foto von Daniel Brockmeier. Lizenz: CC0.
Beute gemacht. Foto von Daniel Brockmeier. Lizenz: CC0.

Gewiss, das ist leichter gesagt als getan. Denn um der Wahrheit die Ehre zu geben: der Kater ist unglaublich langweilig. Er ist weder ein süßes kleines Kätzchen noch in irgendeinem Sinne eine Lolcat.

Laut der Papiere aus dem Tierheim soll er jetzt neun Jahre alt sein. Meine Schwester, ihres Zeichens Tierärztin, schätzt ihn hingegen auf mindestens 25 3/4. Das Bemerkenswerteste am Kater ist wahrscheinlich seine Bodenhaftung. Als er 2010 zu uns kam, baute die Dame ihm eine fantastische Kletterwelt. Diese bestückten wir mit Leckerlis, damit er auch initiales Interesse zeigen würde. Er tat dies nicht. Er schaute den Kletterbaum nicht mit dem Arsch an. Genausowenig interessiert ihn irgendein Möbelstück unserer Wohnung außer Bett und Sofa.

Ich habe vor dem Kater schon vier Katzen besessen (nicht gleichzeitig zum Glück) und jede sprang wenigstens gelegentlich mal irgendwo drauf, um zu checken, was da so zu sehen ist. Der Kater nicht. Er steht, er geht, er sitzt (im Winter vorzugsweise mit dem Gesicht direkt vor dem Heizkörper) hauptsächlich liegt er, aber wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, springt er nicht. Sogar die dicke Katze meiner Eltern, die im Winter nicht vier Pfotenspuren im Schnee hinterließ sondern die Schleifspur ihres Bauches, sprang von Zeit zu Zeit auf ein Möbelstück, etwa um die Butter oder das Spanferkel zu fressen. Der Kater nicht. Nie.

Das Leben des Katers ist hauptsächlich geprägt durch schlafen. Und er schnarcht. Er schnarcht so laut, dass ich den Fernseher lauter stellen muss, um Dialoge zu verstehen. Allerdings hat er eine geheime Superkraft. Der Kater kann laut schnarchend auf dem Sofa im Wohnzimmer liegen, wenn ich die Küche betrete, wird er automatisch neben seinen Futternapf gebeamt und fängt an zu plärren. Und das ist die einzig wahre Bezeichnung dafür. Der Kater macht nicht „Miau“, nicht „Mauz“ sondern „Pläääääääär!“. Dieses Verhalten: Herrchen betritt die Küche, Kater muss also um Fressen betteln, hat er so verinnerlicht, dass er gelegentlich sogar plärrt, obwohl sein Napf gefüllt ist.

Manchmal, aber nur ganz manchmal packt ihn morgens um fünf – und dies kann ausschließlich morgens um fünf passieren – der Rappel, die Erinnerung an eine lang vergangene Jugend, und er fängt an 13,5 Minuten lang durch die Wohnung zu sprinten und dabei zu grölen, als wäre er ein Hells Angel der die Route 66 befährt. Anschließend legt er sich wieder zu uns in Bett und schnarcht. Bis mein Wecker klingelt und ich die Küche betrete…