Sokrates – Der Gamechanger – Teil 3: Die Sokratische Wende

Heute bringe ich meine Sokrates-Serie zu einem Abschluss. Nachdem ich im ersten Teil von Sokrates‘ Leben erzählte und im zweiten Teil von seinen Einflüssen und Schülern sprach, stürze ich mich diesmal voll in seine Philosophie. Wir klären noch einmal, was die Sokratische Wende ist, rücken die Mäeutik zurecht und fragen, was Sokrates in der Ethik gelehrt hat. Abschließend stelle ich noch 10 Thesen vor, worin die sokratische Philosophie bestand. Das ganze gibt es, wie immer als Video oder darunter zum nachlesen. Außerdem findet ihr wieder Literaturtipps und die Bilderquellen zum Video auf dieser Seite.

Die Sokratische Wende

Beginnen muss ich mit einem Geständnis. Ich habe euch in den letzten beiden Teilen dieser Reihe ein bisschen aufs Glatteis geführt und zwar mit voller Absicht. Und wisst ihr was, es tut mir noch nicht einmal leid! Stattdessen habe ich einen Metawitz eingebaut und selbst ein bisschen den Sokrates gespielt. Denn wenn ihr einen platonischen Dialog lest, dann werdet ihr feststellen, dass es darin fast immer eine Stufe gibt, in der die Gesprächspartner glauben, zu einem Ergebnis gekommen zu sein und dann lässt Sokrates das Kartenhaus zusammenbrechen. Und genau das habe ich mit euch gemacht. Aber nur ein bisschen … Ich erklär’s euch und hoffe ihr könnt mir verzeihen.

Und zwar geht es um das, was ich die Sokratische Wende genannt habe, oder was auch manchmal die anthropologische Wende genannt wird. Ihr erinnert euch? Cicero, der alte Sack:

„Sokrates hat als erster die Philosophie vom Himmel heruntergerufen, sie in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser hineingeführt und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Schlechten zu forschen.“

Und dann habe ich euch erzählt, dass Sokrates sich nicht für Erkenntnistheorie interessierte, so wie die Naturphilosophen, sondern bloß für Ethik. Und jetzt die kleine Gemeinheit, die ich eingebaut habe: Nämlich einen Widerspruch. Auf der einen Seite habe ich euch erzählt, Sokrates habe sich nicht für Erkenntnistheorie interessiert, aber auf der anderen Seite habe ich euch die ganze Zeit mit erkenntnistheoretischen Konzepte und Methoden von Sokrates gefüttert …

Seht ihr es jetzt? „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“, das Verhältnis von Sprache und Welt, die Frage nach dem Allgemeinen, also die „Was ist …?“-Frage, Definition, Induktion und Mäeutik. Das sind alles erkenntnistheoretische Themen, die ich euch untergejubelt habe. Also hat sich Sokrates doch für die Erkenntnistheorie interessiert? Zumindest indirekt. In der Apologie, also seiner Verteidigungsrede, sagt er an einer Stelle, dass er bei seinen Untersuchungen eigentlich immer nur die Sache selbst prüfen wollte, dass es sich dabei aber ergab dass auch sein Gesprächspartner und er selbst geprüft wurden. Die Sache selbst, das sind ethische Probleme, mit denen er sich herumgeschlagen hat. Aber die Methoden, die er dabei anwendete das waren erkenntnistheoretische und so prüfte er automatische seine eigene Erkenntnis und die seines Gesprächspartners mit.

Die sokratische Wende besteht gar nicht darin, dass Sokrates sich nicht mehr für die Frage „Was ist Wahrheit?“ interessierte. Ganz im Gegenteil: Auf gewisse Art und Weise war er mehr daran interessiert, als jeder seiner Vorgänger. Aber er hat sich einer anderen Teilfrage zugewendet. Statt wie die naturphilosophischen Vorsokratiker zu fragen: Was ist die Welt? Fragte Sokrates: Was kann ich von der Welt erkennen?

So, jetzt ist es raus. Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen, dass ich euch an der Nase herumgeführt habe. Jetzt habe ich euch die Wahrheit erzählt, versprochen! Zumindest, bis ich sie das nächste Mal sokratisch zusammenbrechen lasse.

Die Mäeutik

Kehren wir doch, weil es in der Erkenntnistheorie gerade so kuschelig ist, noch einmal zur Mäeutik zurück. Die hatte ich jetzt zweimal angerissen, als wäre sie das Normalste von der Welt. Aber ist die Vorstellung nicht strange, wenn man sie genau betrachtet? Dass wir das Wissen schon in uns tragen und man es im Gespräch zur Welt bringen kann? Wo soll das Wissen herkommen? War das schon immer in uns drin? Oder ist es etwas, das wir mal wussten und wieder vergessen haben?

So esoterisch sich diese Mäeutik auch anhören mag: Wir haben ein ganz ähnliches Konzept. Wir unterscheiden zwischen impliziten und expliziten Wissen. So bilde ich mir ein, dass ich grob weiß, wann ich im Satz ein Komma zu setzen habe. Aber ich kenne nicht alle drölfzigmillionen Kommaregeln der deutschen Schriftsprache. Dennoch könnte man sie mir vielleicht klarmachen, wenn man mich mit der Nase darauf stößt, wann ich wo ein Komma setze. Ein anderes Beispiel sind Fußballspieler und Fußballtrainer. Lionel Messi kann sicher besser Fußball spielen, als jeder seiner Trainer. Aber er verfügt über dieses Wissen nur implizit. Das heißt, er kann nicht unbedingt erklären, warum er wann was auf dem Feld macht. Aber ein guter Trainer kann eben genau das – er verfügt eben über explizites Wissen. Und mit entsprechender Mäeutik, oder eben schlicht mit Training, kann er Messi so helfen, das Wissen zu gebären.

Allerdings weist der Philosoph Bertrand Russell zurecht darauf hin, dass diese Methode ihre Grenzen hat: Sokrates wäre es bestimmt nicht gelungen, einem Arzt der Antike das Wissen zu entlocken, dass es Bakterien gibt, die die Ursache für Krankheiten sind. Für diese Erkenntnis musste zunächst das Mikroskop erfunden werden. Wir scheinen es hier mit einer anderen Art von Wissen zu tun zu haben. Mit Wissen, das wir nur erlangen können wenn wir unsere Hypothesen mit der Welt vergleichen. Und Russell geht noch weiter: Er meint, dass vielleicht genau das der Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft ist. Dass die Philosophie Fragen beantwortet, die sich mit Mäeutik beantworten lassen und dass die Wissenschaft sich mit den anderen Fragen beschäftigt …

Mit anderen Worten: Philosophen sind Fußballtrainer.

Sokrates‘ Lehren zur Ethik

Anyway … Ich hatte jetzt schon zigfach erwähnt, dass Sokrates eigentlich nur Bock auf Ethik hatte, habe aber zugleich bisher fast nur von Erkenntnis gesprochen. Was hat denn Sokrates nun zur Ethik gesagt? Sokrates hat sich anscheinend Zeit seines Lebens mit der Frage herumgeschlagen, was Tugend ist.

Tu-was? Wenn ich mal einen Blick in mein kleines Philosophie-Lexikon werfe, dann stehen da zu Tugend, beziehungsweise zu Arete, dem entsprechenden griechischen Wort so Dinge wie Tüchtigkeit, Vortrefflichkeit, die Tauglichkeit der Seele, innerer Wert, Ehre. Sokrates wollte wissen, was einen Menschen ausmacht, den wir tugendhaft nennen. Er glaubte, dass die Werte Gerechtigkeit, Tapferkeit, Frömmigkeit, Besonnenheit und Weisheit Teile der Tugend sind. Dass also ein Mensch alle diese Werte besitzen muss um tugendhaft zu sein. Daran schloss sich dann für ihn die Frage an, ob alle diese Werte den gleichen Anteil an der Tugend haben oder ob es vielleicht einen Wert gibt, der wichtiger ist als die anderen. Zum Beispiel bist du sicher nicht tugendhaft, wenn du zwar tapfer aber nicht gerecht bist. Aber bist du auch nicht tugendhaft, wenn gerecht aber nicht tapfer bist? Und was, wenn du gerecht und tapfer aber nicht weise bist?

Sokrates‘ Antwort lautete ganz klar, dass die Weisheit der wichtigste Wert der Tugend ist. Er hielt die verschiedenen Werte für Formen von Wissen: Wenn ich erkannt habe, was tapfer oder gerecht ist, dann bin ich auch tapfer oder gerecht. So wie der Handwerker sein Handwerk verstehen muss, so muss die Gerechte eben die Gerechtigkeit verstehen.

Klingt ziemlich einleuchtend, oder? Ist aber nicht unproblematisch … Denn das impliziert zum Beispiel, dass ungebildete Menschen per se weniger tugendhaft sind als gebildete, denn sie haben ja weniger Wissen. Aber wenn ich zum Beispiel an meine Oma denke, so war sie sicher nicht der gebildetste Mensch der Welt, aber sie hatte das Herz am rechten Fleck, wie man so schön sagt. Hingegen haben die Zocker in den Investmentbanken oft Abschlüsse an Eliteunis erworben, aber anscheinend kein Problem damit, andere auszubeuten … Ist es nicht so, dass ich wissen kann, was gut und richtig ist, ohne auch danach zu handeln? Sokrates glaubte das nicht, er würde immer sagen, dass zum Beispiel die Investmentbanker zwar gut im Investmentbanking ausgebildet sind, aber nicht nicht gut im Wissen um Gerechtigkeit. Das mag zwar sein, ändert aber nichts daran, dass wir im Gegensatz zu Sokrates in der Regel zwischen Wissen und Handeln unterscheiden. Ich weiß genau, dass Tiere sterben mussten, damit ich mein Steak essen kann. Ich weiß auch, dass diese Tiere Angst und Schmerz fühlen konnten. Dennoch esse ich das Fleisch.

Ihr seht, wie kompliziert diese Ethik ist, entsprechend ist es vielleicht nicht die schlechteste Idee, manchmal eine Debatte mit der unterschätzten aber sehr wissenschaftlichen Antwort abzubrechen: Ich weiß es nicht. Auch das lehrt uns ja Sokrates. Es wäre jetzt sehr sokratisch diese Folge einfach abzubrechen, aber stattdessen möchte ich euch lieber als Round-Up zu Sokrates noch zehn Thesen vortragen, worin seine Philosophie bestand. Diese Thesen habe ich bei Wolfgang Pleger gefunden und anhand dieser Thesen möchte ich überprüfen, ob ich in meinen drei Folgen über den Philosophen auch nichts vergessen habe:

1. Sokrates kritisierte den Mythos

Das hatte ich kurz im ersten Teil angerissen. Sokrates hatte eine klassische Ausbildung genossen und sich unter anderem mit Homer auseinandergesetzt. Und die Griechen lasen die Mythen nicht zuletzt deshalb, um sich an den dort aufgeschriebenen moralische Normen zu orientieren. Die strikten Regeln, die „von den Göttern vorgeschrieben“ wurden, wollte Sokrates aber nicht als gegeben hinnehmen, wie wir ja auch an der Anekdote zum Orakel von Delphi sahen. Stattdessen wollte er jede althergebrachte Regel logisch prüfen.

2. Sokrates wendete sich von der Naturphilosophie ab

Die meisten der ganz großen Vorsokratiker wie Thales, Pythagoras, Heraklit oder Parmenides beschäftigten sich mit der Frage: „Was ist die Welt?“ Wie ich das letzte mal erzählt habe, interessierte sich Sokrates, als er noch jung war, für die Philosophie von Anaxagoras. Kam dann aber zu der Erkenntnis, dass die Naturphilosophie ein unlösbares Rätsel ist und wandte sich lieber anderen Fragen zu. Und diese anderen Fragen sind der dritte Aspekt seiner Philosophie:

3. Die anthropologische Wende, oder wie ich es zuvor schon nannte: Die Sokratische Wende

Pleger betont, dass eigentlich die Sophisten diese Wende schon eingeleitet haben, da sie die ersten waren, die sich mit Fragen der Ethik beschäftigten stattt herauszufinden, was die Welt im Innersten zusammenhält. Aber Sokrates hat diese Wende fortsetzt und noch einmal auf ein ganz anderes Niveau gehoben: Er fragte nach den „menschlichen Dingen“, allem voran danach, was die „gut verfasste Seele“ ausmacht, also was den Menschen gut macht. Das ging einher mit der Frage, was wir erkennen können. Dabei legte er den Fokus auf die Beschränktheit unseres Wissens: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

4. Kritik an der Politik

Sokrates kritisierte Gesetze und politische Praktiken, wenn sie nur aus Tradition existierten und gegen die Logik verstießen. Er hatte dafür genau die gleiche Motivation wie für seine Kritik am Mythos: Er wollte stets, dass logische Gründe zu einer Entscheidung führen und nicht irgendwelche Mehrheits- oder Machtverhältnisse.

5. Pädagogik

Wie ich auch schon wiederholt erwähnt habe, war Sokrates Lehrer. Er versuchte seine jugendlichen Schüler zu besseren Menschen zu machen. Und für diesen Zweck machte er mit ihnen genau das, womit ich diesen Artikel einleitete: Er erschütterte ihre Gewissheiten. Im Dialog machte er ihnen klar, dass das, von dem sie bisher glaubte, es sei wahr, in Wirklichkeit zumindest problematisch ist. Dann hielt er sie dazu an, sich in Selbsterkenntnis zu üben und für ihre Handlungen aber auch für ihre Überzeugungen Rechenschaft abzulegen.

6. Politisches Interesse

Bei aller Kritik an der Politik, hielt Sokrates sie und den Staat auch für wichtig und fragte, was einen guten Politiker ausmacht. Was einen guten Staat ausmacht und was ein gerechter Staat ist. Sokrates war entsprechend seiner Überzeugung, dass politische Entscheidungen logisch gerechtfertigt sein müssten, ein Gegner davon, Menschen in Ämter zu wählen. Sattdessen war er davon überzeugt, dass der am besten Geeignete, das jeweilige Amt innehaben sollte.

7. Die Frage nach der Sache selbst

Das hatten wir in der letzten Folge: Sokrates wollte immer erforschen, was das Wesen der Dinge ist. Das kommt in der „Was ist …?“-Frage zum Ausdruck. Er bediente sich für diese Frage der Logik.

8. Ethisches Wissen

Das hatte ich eben gerade auch schon angesprochen: Tugend war für Sokrates das Wissen um das was gut (also gerecht, tapfer und so weiter) ist, daraus folgte für ihn direkt die gute Tat. Er glaubte, dass niemand wissentlich Böses tut, sondern dass Menschen, die böse handeln, dies tun, weil sie es nicht besser wissen.

9. Die Dialektik

Das könnt ihr mittlerweile wahrscheinlich gar nicht mehr hören: Der Dialog war für Sokrates der Ort, an dem Philosophie stattfindet. Im Dialog werden philosophische Erkenntnisse errungen. Dabei wird die Sache selbst geprüft, aber auch die Gesprächspartner werden geprüft.

Und schließlich:

10. Das philosophische Leben

Philosophie war für Sokrates eine Lebensweise: Die ständige Suche nach Wahrheit und die Prüfung von allem und jedem an der Wahrheit. Dabei gab er sich aber zugleich nicht der falschen Gewissheit hin, selbst zu wissen, was Wahrheit ist.

Das waren die zehn zentralen Punkte der sokratischen Philosophie. Puh, schwirrt euch jetzt auch der Kopf? Natürlich musste ich alles ganz schön verkürzen. Wenn ihr mehr wissen wollt, findet ihr unten Literaturtipps. Außerdem ist der Wikipedia-Artikel zu Sokrates überdurchschnittlich gut. Fragen könnt ihr natürlich auch in den Kommentaren stellen oder die Kommentare nutzen, um mich zu beschimpfen, weil ich das alles nicht verstanden und total falsch dargestellt habe. Ich freue mich über jedes Feedback.

Wenn euch das hier gefallen hat, dann erzählt euren Freundinnen davon. Als nächstes werde ich mich mit Platon auseinandersetzen und würde mich freuen, wenn ihr mir schreibt, was euch an dessen Philosophie besonders interessieren würde. Enden möchte ich mit einem Sokrates-Zitat aus seiner Verteidigungsrede, in dem es noch einmal um die philosophische Lebensweise geht. Ich sage schon einmal tschüss, vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt und hoffe, ihr schaut mal wieder rein.

Zitat aus der Apologie des Sokrates

Vielleicht aber wird einer sagen: „Also still und ruhig, Sokrates, wirst du nicht imstande sein, nach deiner Verweisung zu leben?“ Das ist nun wohl am allerschwersten manchem von euch begreiflich zu machen. Denn wenn ich sage, das hieße, dem Gotte ungehorsam sein, und deshalb wäre es mir unmöglich, mich ruhig zu verhalten, so werdet ihr mir nicht glauben, als meinte ich etwas anderes, als ich sage. Und wenn ich wiederum sage, dass ja eben dies das größte Gut für den Menschen ist, täglich über die Tugend sich zu unterhalten und über die andern Gegenstände, über welche ihr mich reden und mich selbst und andere prüfen hört, ein Leben ohne Selbsterforschung aber gar nicht verdient, gelebt zu werden, das werdet ihr mir noch weniger glauben, wenn ich es sage. Aber gewiss verhält sich dies so, wie ich es vortrage, ihr Männer; nur euch davon zu überzeugen ist nicht leicht.

Literatur

Als Literaturtipps wiederhole ich alles noch einmal, was ich auch in den letzten beiden Teilen empfohlen habe:

Als einzige neue Quelle habe ich anzubieten:

Bilderquellen

*Hinterhältiger Affiliate-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Sokrates – Der Gamechanger – Teil 2: Der Nichtswisser

Es geht weiter mit Sokrates! Diesmal gehen wir den Fragen nach, warum die Athener von ihm genervt waren, woher wir eigentlich von ihm wissen und was seine philosophischen Einflüsse waren. Unten findet ihr wieder das Transkript für alle, die lieber lesen als sehen, außerdem die Bibliographie und die Bilderquellen.

Pain in the ass

Wenn ihr euch für das Leben von Sokrates interessiert und warum er im Jahre 399 v. Chr. hingerichtet wurde, dann schaut euch doch noch mal meinen ersten Post dazu an. Wenn ihr hingegen erfahren wollt, warum die Athener von Sokrates genervt waren, und woher wir überhaupt von ihm wissen, dann seid ihr hier richtig!

Wir waren stehengeblieben bei der Frage, warum die Athener Sokrates zum schweigen bringen wollten, denn diese Frage führt uns erstmals tief in seine Philosophie. Die Antwort auf die Frage lässt sich wohl am besten verstehen, wenn wir die Anekdote betrachten, die Sokrates selbst zur Verteidigung vorgetragen hatte. Sokrates‘ Freund Chairephon, der übrigens ein Demokrat war, soll das Orakel von Delphi gefragt haben, ob es einen weiseren Menschen als Sokrates gebe und das Orakel habe geantwortet, dass es keinen weiseren gebe. In Delphi saß eine Frau, die man die Pythia nannte über einer Erdspalte, aus der giftige Gase strömten und faselte so vollgedröhnt vor sich hin. Die Griechen glaubten, dass diese bekiffte Tante prophetische Gaben hätte und verkünde, was der Gott Apollon ihr einflüstere.

Jedenfalls war Sokrates verwirrt, dass er der weiseste Mensch auf der Welt sein sollte, denn seiner Meinung nach, wusste er eigentlich nichts besonderes. Daher zog er durch Athen und fing an, Männer zu befragen, die allgemein als weise galten, um den Orakelspruch von Apollon zu widerlegen.

Ihr müsst schon zugeben, dass Sokrates eine coole Sau ist: Da ist er unter anderem wegen Gottlosigkeit angeklagt und verteidigt sich vor Gericht mit einer Geschichte, in der er versucht, zu beweisen, dass der Gott der Weisheit sich geirrt hat. Jedenfalls quatschte er nach eigenen Angaben mit Politikern, Dichtern und angesehenen Handwerkern. Doch keiner der befragten, hielt der Prüfung durch Sokrates stand. Denn sie glaubten zwar immer, besonders weise zu sein. Letztlich stellte sich aber heraus, dass sie eigentlich nichts wussten. So kam Sokrates zu der Erkenntnis, dass er tatsächlich weiser war als alle, die er geprüft hatte. Denn zwar wusste er nichts, aber er bildete sich auch nicht ein, zu wissen. Diese Erkenntnis ist berühmt geworden unter dem Sinnspruch: „Der Klügste ist der, der weiß, dass er nichts weiß“.

Doch der Nebeneffekt war eben, dass alle diese Leute, die als besonders weise oder gebildet galten, entsprechend angepisst waren, nachdem sie von Sokrates entlarvt wurden. Denn die Untersuchungen von Sokrates fanden in aller Öffentlichkeit auf dem Marktplatz von Athen statt. Nach allem was wir wissen, stand immer eine Truppe von Sokrates-Schülern und Schaulustigen dabei, wenn Sokrates mal wieder einen wichtigen Mann entzauberte. Daher suchte das Athener Establishment nach einem Weg, ein für alle Mal Ruhe vor diesem Sokrates und seinen nervigen Fragen zu haben.

Zu diesen öffentlichen Bloßstellungen kam noch ein weiterer Aspekt: Ein Hauptthema von Sokrates‘ philosophischen Gesprächen war die Suche nach Gerechtigkeit. Dabei wies er konsequent auf Missstände in Athen hin. Und es war für den Athener Staat einfacher, Sokrates durch Gift zum Schweigen zu bringen, als die Probleme zu beheben, die er kritisierte. Das also steckte hinter diesem berühmten Gerichtsverfahren vor 2.400 Jahren. Zu klären bleibt als nächstes, ob Sokrates es denn wert war, dass wir uns noch heute an ihn erinnern oder ob er wirklich bloß irgendeine Nervensäge war.

Die Quellenlage

Doch halt! Vorher gilt es noch zu klären, wie es uns heute überhaupt noch möglich ist, uns mit Sokrates zu beschäftigen. Denn das letzte Mal habe ich ja erzählt, dass Sokrates nie etwas aufgeschrieben hat und die Frage gestellt, wie wir denn dann heute noch etwas von ihm wissen können. Mit der Antwort auf diese Frage möchte ich also fortfahren:

Wir haben im Grunde vier Quellen zu Sokrates und seinen Lehren. Die älteste Quelle ist die Komödie „Die Wolken“, in der Sokrates als Sophist dargestellt wird und in der schon alle Vorwürfe auftauchten, die später beim Prozess von der Anklage wieder vorgebracht wurden. Inklusive des Vorwurfes, Sokrates habe gesagt, dass nicht Zeus für den Regen verantwortlich sei, sondern dass dieser aus den Wolken falle. Was für ein Blödsinn! Man sollte diesen Sokrates zum Schweigen bringen! Ach so, hat man dann ja auch getan.

Jedenfalls sind „Die Wolken“ als historische Quelle problematisch, weil ihr Autor Aristophanes eine ganz klare Agenda hat: Zunächst einmal wollte er seine Zuschauer zum Lachen bringen, dann wollte er auch noch diesen neumodischen Kram, diese Wortverdreherei, die sich „Philosophie“ nennt, kritisieren. Dabei legt er sicher nicht allzu viel Wert darauf, Sokrates korrekt darzustellen. Wenigstens berichten die anderen Quellen, dass Sokrates sich nie für Fragen der Naturphilosophie interessiert habe, sondern immer nur am Menschen interessiert war.

Die zweite Quelle, die wir haben, ist der Sokratesschüler und Historiker Xenophon. Na der müsste doch perfekt sein, oder? Ein Historiker! Von dem können wir doch eine zuverlässige Darstellung erwarten! Nun, das Problem an Xenophon ist, dass er wahrscheinlich nicht die hellste Birne in der Leuchtreklame war, zumindest scheint er sich nicht sonderlich für Philosophie interessiert zu haben. Jedenfalls ist sein Sokrates ein so langweiliger und rechtschaffender Typ, dass es überhaupt keinen Sinn ergibt, dass so jemand vor Gericht gestellt wurde. Ernsthaft: Nach Xenophon hat Sokrates nichts anderes gemacht, als den Leuten zu sagen, dass sie zur Schule gehen sollen oder als Händler ihre Bücher anständig führen sollten. Klingt nicht unbedingt nach großer Philosophie, oder?

Kommen wir entsprechend zur dritten Quelle: dem Sokrates-Schüler Platon. Aber hier müsste doch alles klar sein! Diesen Platon hatte ich als den vielleicht größten Philosophen aller Zeiten beschrieben, der müsste uns doch sagen können, was Sokrates gelehrt hat, oder? Nun, ja und nein. Denn bei Platon gleitet das ganze leider ins andere Extrem ab. Das Problem ist, dass Platon keine Abhandlungen schrieb, sondern uns seine Philosophie in Form von Dialogen hinterließ, in philosophischen Dramen, wenn man so will. Und in diesen Dialogen lässt Platon nun immer Sokrates als einen der Gesprächspartner auftreten. Das Problem ist jetzt, zu unterscheiden, wo die Lehren des Sokrates aufhören und wo jene von Platon anfangen. Immerhin hat uns die Platonforschung dafür einen guten Ansatz an die Hand gegeben. Denn am sich wandelnden Stil und den sich verändernden philosophischen Positionen Platons, kann man sein Werk in drei Phasen unterteilen: den frühen, den mittleren und den späten Platon. Und die frühen Dialoge haben jetzt gewisse Eigenarten, die darauf hindeuten, dass sie noch ziemlich nah an der Lehre des Sokrates sein dürften.

Dafür muss ich mal wieder ein wenig ausholen und euch eine erste philosophische Grundlage verklickern: Die Philosophie spaltet sich in drei Unterdisziplinen: die Erkenntnistheorie, die Ästhetik und die Ethik. Die Erkenntnistheorie stellt die Frage: Was ist Wahrheit? Die Ästhetik fragt: Was ist Schönheit? Und die Ethik schließlich: Was ist gut und böse? Und den frühen platonischen Dialogen ist gemein, dass sie sich nur um diese letzte Frage und ihre Teilbereiche drehen. Das deckt sich mit unserer Erkenntnis, dass Sokrates sich nur für die Ethik interessiert hat. Ihr erinnert euch an Ciceros Worte: „Sokrates hat als erster die Philosophie vom Himmel heruntergerufen, sie in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser hineingeführt und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Schlechten zu forschen.“ Denn genau in der Abwendung von der Frage: Was ist Wahrheit? Und ihrer Teilfrage: Was ist die Welt? Und der Hinwendung zur Frage: Was ist gut und böse? bestand die Sokratische Wende von der ich das letzte Mal sprach.

Es gibt noch ein gutes Indiz, dass die frühen platonischen Dialoge echte sokratische Dialoge sind: Ich hatte euch ebenfalls bereits erzählt, dass die wichtigste sokratische Erkenntnis war: Ich weiß, dass ich nichts weiß und dass er den Dialog als das wichtigste philosophische Instrument ansah, in welchem er mittels der Mäeutik, der Hebammenkunst, verborgenes Wissen bei seinen Gesprächspartnern ans Licht bringen kann. Zu diesen Aspekten der sokratischen Philosophie passt nun, dass die frühen platonischen Dialoge meist mit einem offenen Ende abgebrochen werden. Irgendwann meint Sokrates immer: „Oh man, ist das schon spät, ich muss weg!“ Das passt ziemlich gut zu seiner skeptischen Sicht auf die Fähigkeit der Menschen überhaupt Wissen erlangen zu können. So werden in diesen Dialogen immer wieder Thesen zum Beispiel zur Frage: Was ist Tapferkeit? aufgestellt, dann von Sokrates mittels geschickter Fragen geprüft und am Ende wieder verworfen. Im Dialog wird sich Erkenntnis so erarbeitet, aber zugleich im Blick behalten das man die Wahrheit ™ niemals wird erreichen können, weswegen irgendwann abgebrochen wird.

Schließlich haben wir noch Aristoteles als eine Quelle sokratischer Philosophie. Natürlich ist der auch problematisch, denn der alte Ari war ein Schüler Platons und seineszeichens hat er Sokrates nicht mehr kennengelernt, sondern berichtet über ihn schon aus einer philosophiehistorischen Perspektive. Allerdings hat das auch Vorteile: Es gibt ihm eine gewisse Distanz zu seinem Untersuchungsgegenstand, die zugleich nicht so groß ist, wie unsere Distanz heute. Wichtig ist Aristoteles besonders, weil er auf einige Unterschiede zwischen den Lehren von Sokrates und Platon hinweist.

Sokrates‘ Erkenntnistheorie

Aristoteles berichtet zum Beispiel, dass auf Sokrates zwei wichtige philosophische Instrumente zurückgehen: Zum einen die allgemeine Definition, zum anderen die Induktion. Viele Dialoge Platons beginnen nach dem gleichen Muster. Sokrates und sein Gesprächspartner kommen nach etwas Vorgeplänkel zum eigentlichen Thema des Dialogs. Dieses Thema fasst Sokrates dann immer in eine „Was ist …?“-Frage, etwa: Was ist Tapferkeit? Darauf antwortet der Dialogpartner dann meist mit einer Reihe von Beispielen: Tapfer sind Soldaten, Feuerwehrmänner, Polizisten, Holzfäller, Whatever … Aber Sokrates will nicht auf diese Sammlung von Einzelfällen hinaus. Stattdessen interessiert ihn stets das Wesen einer Sache, er will eine allgemeine Definition. Und zu der gelangt er eben mit der Induktion. Die Induktion ist neben der Deduktion, der Abduktion und der Analogie einer der vier Möglichkeiten eine Schlussfolgerung zu ziehen: Man schließt von einer Reihe von Einzelfällen auf etwas Allgemeines. Sokrates fragt also, was den Soldaten tapfer macht, was den Feuerwehrmann tapfer macht, was den Polizisten, den Holzfäller etc. Und durch die Entdeckung der Gemeinsamkeiten kommt er so mit Hilfe einer Induktion zu einer Definition von Tapferkeit. Natürlich problematisiert und verwirft er die dann wieder wie ich vorhin das erläuterte, aber das Prinzip steht …

Spannend ist weiterhin, dass Sokrates, wie Aristoteles berichtet, noch keine Semantik hatte. Semantik beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Sprache und Welt und vor Sokrates hatte es durchaus schon Semantiker gegeben. Sokrates ist sogar bei einem in die Schule gegangen, ich komme gleich darauf zurück. Aber Sokrates scheint die Vorstellung abgelehnt zu haben, dass es in unserer Sprache irgendwie verhandelbare Bedeutungen gibt. Er glaubte, dass es die eine, die wahre Bedeutung eines Begriffs gibt: das Allgemeine und dass es nur darauf ankäme, diese mit Hilfe der Mäeutik zu finden. Da möchte ich jetzt noch eine kryptische Bemerkung anhängen, die klarer wird, wenn ich euch von Platon erzählt habe: Laut Aristoteles glaubte Sokrates nicht, dass das Allgemeine eine vom Begriff unabhängige Wesenheit ist. Wie gesagt, merkt euch das einfach mal, wir kommen darauf zurück.

Sokrates‘ philosophische Einflüsse

Bevor wir uns weiter damit beschäftigen, was die wesentlichen Aspekte der sokratischen Philosophie sind, möchte ich noch mal einen Blick zurück werfen und euch von Sokrates Semantik-Lehrer und den anderen Vorgängern erzählen, die Sokrates philosophisch geprägt haben.

Zu Sokrates‘ Lehrern gehörte anscheinend der Sophist Prodikos. Die Sophistik war eine heterogene skeptische Bewegung, die in der Ethik überwiegend relativistische Positionen vertrat, also dass es keine absoluten Werte gibt und in der Erkenntnistheorie wurden wiederum überwiegend skeptische Haltungen vertraten, also dass echte Erkenntnis nicht möglich sei. Die Sophisten verdienten ihren Lebensunterhalt, indem sie gegen Geld Rhetorik und Logik lehrten. Wie wir ja in der letzten Folge sahen, waren insbesondere vor Gericht rhetorische Fähigkeiten unerlässlich, um vor den Laiengerichten des alten Athens den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Berühmt geworden ist Sokrates‘ Kritik daran, dass die Sophisten Geld für ihren Unterricht nahmen. Wie wir aber auch in der letzten Folge sahen, war Sokrates wohl nicht der Ärmste, sodass diese Kritik von einer guten Portion Arroganz zeugt. Prodikos beschäftigte sich neben Rhetorik, also der Kunst des Argumentierens, wohl vor allem mit Semantik, also der Lehre von der Bedeutung der Worte und er war auf der Suche nach eindeutigen Bedeutungen. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht genau, worin dabei der Unterschied zur Sokrates’ Suche nach dem Allgemeinen steht. Denn diese Suche nach der eindeutigen Bedeutung ist meines Erachtens genau das was mit der „Was ist…?“-Frage in den Sokratisch-Platonischen Traditionsstrang der Philosophie einging. Wie ich ja schon sagte, lässt Platon Sokrates in seinen Dialogen immer auf die Suche nach der Antwort von „Was ist …?“-Fragen gehen: Was ist Schönheit, Was ist Erkenntnis, Was ist das Gute? Falls jemand von euch sich mit Prodikos’ Philosophie auskennt, dann wäre ich über mehr Details sehr froh.

Philosophisch geprägt wurde Sokrates auch noch durch zwei andere philosophischen Schulen: Den größten Einfluss dürfte auf ihn Anaxagoras gehabt haben, mit dessen Schüler Archelaos er einmal nach Samos reiste. Anaxagoras beschäftigte sich wie Thales mit der Suche nach dem Prinzip, das der Welt zugrunde liegt. Im Gegensatz zu Thales glaubte er aber nicht, dass es irgendetwas so banales wir Wasser oder ein anderes Element ist, das sich in der Welt zeigt. Stattdessen war er der Überzeugung, dass alle Dinge der Welt alle Elemente beinhalten, aber in verschiedenen Mischungen.

Aber seine einflussreichste Lehre, die über Sokrates und Platon in den Mainstream der Philosophie eintreten sollte, war der Dualismus von Geist und Materie und dass der Geist die Materie beeinflusst. Das klingt alles unglaublich kryptisch, daher will ich es kurz und weitgehend falsch noch einmal zusammenfassen: Ein Stück Holz beinhaltet nach Anaxagoras alle Elemente, aber zum Beispiel ist relativ viel Feuer (was die Griechen für ein Element hielten) in der Mischung, denn es kann brennen. Ein Stein enthält hingegen eher wenig Feuer in der Mischung. Was ist nun wiederum der Unterschied zwischen einem Stein und einer Pflanze? Letztere hat einen Geist, der sie dazu bringt, zu wachsen. Ehrlich gesagt klingt das ziemlich esoterisch, aber eigentlich steckt da noch immer die gleiche logisch-wissenschaftliche Begründung dahinter, die wir schon bei Thales ausmachten, denn die Theorie basiert auf der Beobachtung, dass Pflanzen im Gegensatz zu Steinen wachsen. Und wenn ihr mal den Begriff „Geist“ durch „DNA“ tauscht, dann sind wir plötzlich bei einer modernen Theorie …

Anyway … Hier geht es nicht um Anaxagoras sondern um Sokrates. Der zweite große Einfluss auf ihn hatte die Schule der Pythagoreer. Der pythagoreische Musiktheoretiker Damon gehörte zu Sokrates Lehrern. Pythagoras kennt ihr wieder aus der Schule. Er hat die moderne Mathematik erfunden, so sagt es zumindest Bertrand Russell. Außerdem hat er die Mathematik aber mit Mystizismus verbunden. Pythagoras glaubte, dass die Welt aus Zahlen besteht, aus irgendeinem Grund war er aber auch der Meinung, dass Bohnen teuflische Dinger sind und sie zu essen eine Sünde. Außerdem durften seine Schüler nichts aufheben, was zu Boden gefallen war, nicht auf Landstraßen gehen und er führte einen unerklärlichen Krieg gegen Schwalben. Allerdings glaubte Pythagoras auch an die unsterbliche Seele und dass der Mensch Philosophie und Wissenschaft betreiben solle, da das gut für die Seele sei. Besonders hoch angesehen war bei den Pythagoreern – wie könnte es anders sein – die Auseinandersetzung mit Mathematik, da dies reines Denken sei.

Es ist nicht bekannt, ob Sokrates Beef mit Bohnen oder Schwalben hatte, aber die Auseinandersetzung mit Logik, der unsterblichen Seele und der Philosophie als Lebensziel waren große Einflüsse für ihn. Natürlich war es eine kritische Auseinandersetzung, sonst hätte er heute wohl kaum den Status, den wir ihm zuschreiben.

Last not Least sollen auch zwei Frauen unter Sokrates’ Lehrerinnen gewesen sein: Aspasia soll ihn in Rhetorik unterrichtet haben, außerdem betrieb sie so eine Art philosophischen Salon, in dem Sokrates wohl mit vielen Theorien in Kontakt kam. Und eine gewisse Diotima soll ihn „über den Eros belehrt haben“, if you know what I mean! Nein? Na ich spreche natürlich von dem, was später mal zur platonischen Liebe werden sollte. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden …

Denn heute ist es schon spät und „es ist Zeit, dass wir gehen: ich, um zu sterben, und ihr, um zu leben. Wer aber von uns beiden zu dem besseren Geschäft hingehe, das ist allen verborgen außer nur Gott.“ Ups, Tschuldigung, da wurde ich gerade mitgerissen von der Apologie, der Verteidigungsrede Sokrates’ Dennoch ist es an der Ziet für heute einen Schlussstrich zu ziehen, bevor wir uns beim nächsten Mal noch einmal richtig in Sokrates’ Philosophie reinstürzen.

Literatur

Wie beim letzten Teil gilt:

Zusätzlich für diese Folge sind noch relevant:

Bilderquellen

Alle Bilder ohne Quellenangabe sind entweder gemeinfrei oder stammen von mir.

 

Sokrates – Der Gamechanger – Teil 1: Der Prozess

Endlich geht es weiter mit meiner YouTube-Reihe zur Geschichte der Philosophie. Aber ich habe euch nur deshalb so lange warten lassen, weil ich gleich drei Folgen vorbereitet habe. Für alle, die lieber lesen, als Filme, die eigentlich nur Dia-Shows sind, zu gucken, gibt es unten wieder das Transkript sowie Literaturtipps und die Angaben zu den Bildquellen. Viel Spaß!

Über Sokrates gibt es so viel zu erzählen, dass ich das ganze in drei Teile aufteilen werde: Erst ab dem zweiten Teil werde ich euch von der eigentlichen Philosophie von Sokrates erzählen. Aber – halt – bitte skippt dieses Video nicht, denn hier und heute wird es spannend. In meiner ersten Folge zu Sokrates wird es um einen Kriminalfall gehen. Denn Sokrates wurde im Jahr 399 v. Chr. zum Tode durch den Schierlingsbecher verurteilt. Die Anklage lautete: Dass er die Existenz der Götter geleugnet haben soll, die schwächere Rede zur stärkeren gemacht und obendrein auch noch die Jugend verdorben haben soll. Und wie es dazu kam und ob da vielleicht sogar noch mehr hinter dieser Anklage steckte, davon erzähle ich euch heute.

Teaser Philosophie

Doch bevor ich mit dem Thriller beginne, möchte ich euch noch kurz erklären. Warum dieser Sokrates und sein Tod überhaupt relevant sind. Denn die Frage liegt ja nicht fern, warum wir uns für den Tod eines einzigen Mannes vor 2.400 Jahren interessieren sollten.

Dafür müsst ihr folgendes wissen: In der Geschichte der Philosophie gibt es verschiedene Zeitwenden, in denen die alten Fragen als nicht länger relevant betrachtet wurden und sich der Mainstream der Philosophie stattdessen neuen Fragestellungen zuwandte. Berühmt sind etwa die Kantische Wende oder der Linguistic Turn. Aber eine erste solche Wenden leitete eben Sokrates ein, weswegen wir sie auch „Die Sokratische Wende“ nennen können.

Cicero, der Typ, mit dessen langweiligen Texten ihr alle im Lateinunterricht belästigt wurdet, sagte dazu mal: „Sokrates hat als erster die Philosophie vom Himmel heruntergerufen, sie in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser hineingeführt und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Schlechten zu forschen.“ Mit dieser Aussage hatte er zwar nicht ganz Recht, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden … Doch er hatte eben auch nicht ganz unrecht.

Es gibt viele Aspekte an Sokrates’ Philosophie, die beachtenswert sind, doch der wichtigste Aspekt ist nicht das Was sondern das Wie. Denn Sokrates betrachtete den Dialog als das wichtigste philosophische Instrument. Er glaubte, dass wir die Wahrheit ™ oder das Wissen um die Wahrheit alle bereits in uns tragen, und dass sie nur ans Tageslicht gebracht werden muss. Er selbst betrachtete sich als jemanden, der durch geschicktes Fragen dabei hilft, dieses Wissen ans Licht zu bringen und diese Technik nannte er „Mäeutik“, die Hebammenkunst. Da er dem Dialog solche Bedeutung beimaß, hat er selbst auch nie etwas aufgeschrieben, sondern stets nur mündlich philosophiert.

Ähm, Moment mal? Wenn er nie etwas aufgeschrieben hat, woher wissen wir dann, worin seine philosophische Lehre bestand und welche Methoden er verwendete? Das ist eine der spannenden Fragen, die es zu klären gilt. Mögt ihr mir also folgen ins fünfte Jahrhundert vor Christi Geburt auf den Spuren eines der berühmtesten Kriminalfälle der Geschichte?

Sokrates‘ Leben

Wie kennen Sokrates‘ Lebensdaten, da wir wissen, dass er im Jahr 399 v. Chr. zum Tode verurteilt wurde. Und sein berühmtester Schüler Platon berichtet, dass er zu diesem Zeitpunkt 70 Jahre alt gewesen sein soll. Dieser Platon sollte später übrigens zum vielleicht größten Philosophen aller Zeiten werden, aber – ihr ahnt es schon – das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Sokrates war der Sohn eines Bildhauers und einer Hebamme. Moment da war doch was? Ach ja: Ich sagte eben, dass er seine philosophische Methode mit der Hebammenkunst verglich. Wie er da wohl drauf kam? Und auch die Metapher des Bildhauers, der die Skulptur vom überflüssigen Stein befreit, benutzte Sokrates manchmal wohl für die Philosophie. Sokrates war phänomenal hässlich, was deshalb erwähnenswert ist, da unter seinen Zeitgenossen der Aberglaube vorherrschte, dass man von der äußeren Schönheit auf die innere schließen kann. Und dieser abstoßende kleine Mann sollte die Griechen eines besseren belehren.

Wir wissen, dass Sokrates eine gute Schulbildung genoss, was aber nicht ungewöhnlich war für einen Bürger Athens. Er lernte Lesen und Schreiben, Gymnastik, Musikerziehung, Geometrie und Astronomie. Nicht zuletzt gehörte es zum Standardrepertoire eines gebildeten Griechens, dass er sich mit den Werken der großen Dichter auseinandersetzte, allen voran Homer. Und die Kritik an Homer und anderer Dichter blieb auch eines von Sokrates‘ philosophischen Betätigungsfelder. Allerdings war dies keine Literaturkritik im heutigen Sinne, denn die Griechen lasen Homer noch viel mehr wie ein Geschichtswerk.

Wir wissen außerdem, dass Sokrates während des Peloponnesischen Kriegs an mehreren militärischen Einsätzen beteiligt war. Er soll an der Belagerung von Potidaia 431–429 v. Chr. genauso teilgenommen haben, wie an den Schlachten von Delion 424 v. Chr. und Amphipolis 422 v. Chr. Sein Rang war der eines Hopliten, eines Kämpfers in der Phallanx. Dieser Information können wir auch entnehmen, dass Sokrates nicht ganz arm gewesen sein kann, den ein Hoplit musste seine schwere Ausrüstung selbst beschaffen. Sokrates hat sich wohl einigen Ruhm erworben bei den Schlachten. So berichteten der Feldherr Laches und der Sokrates-Schüler Alkibiades, dass der Philosoph Kälte, Hunger und sonstige Entbehrungen ertragen konnte. Und aus der Schlacht von Delion, in der die Athener verloren, soll er nicht wie viele andere Hals über Kopf geflohen sein, sondern ging „gemessenen Schrittes, jederzeit bereit, sich zu verteidigen“.

Sokrates‘ Entbehrungsfähigkeit zeigte sich auch in seinem restlichen Leben. So soll er im Winter wie im Sommer barfuß unterwegs gewesen sein. Ferner soll er auch seinen Job hingeschmissen haben (er war wie sein Vater Bildhauer), um sich ganz der Philosophie zu widmen. Das ist aber weniger heroisch als es jetzt klingt sondern eher ein Arschloch-Move, denn er hatte Frau und Kinder. In „bester“ frauenfeindlicher Tradition ist uns aber Sokrates‘ Frau Xanthippe nur als sein zänkisches Weib in Erinnerung geblieben und nicht als die Person, die eine Familie durchbringen musste, während ihr Mann auf dem Athener Marktplatz rumstand und mit anderen über Ethik quatschte.

Dieser über Ethik quatschende Typ hatte übrigens auch noch die Eigenschaft manchmal wie erstarrt stehenzubleiben und nachzudenken. Es gibt eine Anekdote, in der er während des Krieges den ganzen Tag so rumstand und die Jonier abends ihre Betten neben ihm aufschlugen, aus Neugier, wann er denn aus seinem tranceartigen Zustand wieder erwachen würde. Sokrates habe noch die ganze Nacht reglos dagestanden und als die Sonne aufging, habe er sein Morgengebet gesprochen und sei dann kommentarlos abmarschiert.

Der Prozess

Doch es wird langsam mal Zeit, uns dem Prozess zu widmen. Denn dieser Prozess ist so etwas wie der Gründungsmythos der Philosophie.

Wie bereits gesagt: Sokrates wurde im Jahr 399 v. Chr. angeklagt, die Jugend zu verderben, die schwächere Rede zur stärkeren zur machen und die Götter zu leugnen, stattdessen solle er neumodische Dämonen predigen. Wie kam es zu dieser Anklage? Schauen wir uns doch zunächst einmal die Ausgangslage an:

Ich sagte beim letzten Mal ja noch, dass die Athener cool waren mit gotteslästerlichem Zeug. Das stimmte auch, mehr oder weniger. Allerdings nur bis zum Jahr 432 v. Chr. Da setzten sich die Konservativen durch, denen das zu weit ging mit diesen neumodischen, radikalen und verlotterten Philosophen, die so komisches Zeug behaupteten, wie dass die Sonne ein glühender Stein sei. Und es wurde ein Gesetz gegen Gottlosigkeit erlassen.

Dann hatte ich ja schon erwähnt, dass Krieg herrschte. Von 431 v. Chr. bis 404 v. Chr. fand der Peleponesische Krieg statt. Und doof für Athen war, dass es am Ende gegen Sparta verlor. Athen war zu jenem Zeit eine Demokratie und das war den Spartanern ein Dorn im Auge. Ich meine: Puuh! Kann man sich was schlechteres vorstellen, als das Volk regieren zu lassen? Daher machten die Spartaner dem Spuk ein Ende und setzten „Dreißig Tyrannen“ ein, die jetzt erst einmal richtig aufräumen sollten in diesem Saustall. Doch bereits ein Jahr später, 404 v. Chr. gelingt es den Athenern, die Demokratie wieder zu reinstallieren und 399 v. Chr. schließlich wird Sokrates angeklagt.

Die Anklage

Die Anklage lautete, wie gesagt: Sokrates verderbe die Jugend, sei ein Worteverdreher und sei gottlos. Was ist da dran? Wenn wir der Darstellung von Platon in der Apologie des Sokrates glauben, dann gar nichts. Anderererseits … Der Anklagepunkt vom Verderben der Jugend ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn man bedenkt, dass gleich drei Schüler des Sokrates antidemokratische Tendenzen zeigten: Alkibiades betrieb erst auf Seiten Athens Kriegstreiberei und wechselte dann mal eben flugs auf die Seite von Sparta, um gegen Athen Krieg zu führen. Kritias gehörte den dreißig Tyrannen an und auch Platon hasste die Demokratie und schrieb später mit dem Dialog „Der Staat“ gewissermaßen die Bibel der Feinde der offenen Gesellschaft.

Sokrates verglich die Politik gerne mit anderen Berufen und meinte, so wie man zum Schuhflicken einen ausgebildeten Schuster brauche, so brauche man zur Staatslenkung auch ausgebildete Staatsmänner und nicht vom Volk gewählte. So plausibel das im ersten Moment klingt, so problematisch ist diese Lehre, die später von Platon ausgebaut wurde. Denn zwar ist da etwas dran: Sicher sollte nur jemand Bundeskanzlerin werden, die auch weiß, wie man Gesetzesentwürfe formal richtig in den Bundestag einbringt. Aber andererseits geht diese Einstellung davon aus, dass es nur eine Art von Wissen gibt. Aber das ist nicht der Fall, denn Politik ist zunächst einmal Ethik: Hinter den allermeisten politischen Entscheidungen steht die Frage, wie wir leben wollen. Und bei der Antwort auf diese Frage gibt es kein richtig oder falsch im gleichen Sinne wie bei der Frage, ob 2 + 2 = 4 ergibt. Wie Sokrates dazu stand, das erzähle ich, wie gesagt, in den nächsten Folgen.

Aber fairerweise muss ich noch erzählen, dass Sokrates aus genau den gleichen Gründen aus denen er die Demokratie kritisierte auch ein Kritiker der 30 Tyrannen war, die er für genauso unqualifiziert hielt wie das Volk. Er soll sich sogar einmal offen einem Befehl der 30 widersetzt haben. Er sollte zusammen mit anderen einen Demokraten verhaften, doch statt dies zu tun ging Sokrates einfach nach Hause und nur der Sturz der Tyrannei ersparte Sokrates wohl einen noch früheren Tod.

Doch zurück zur Anklage: der zweite Vorwurf war, Sokrates würde die schwächere Rede zur stärkeren machen. Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Es gibt eine vorsokratische philosophische Strömung, die „die Sophistik“ genannt wird. Und Sophisten lehrten unter anderem auch Rhetorik. Das war nützlich, da es in Athen keine Anwälte gab, sondern man sich vor Gericht genau wie Sokrates selbst verteidigen musste. Mit den richtigen winkeladvokatischen Kniffen und Tricks konnte man da seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, oder in den Worten der unterlegenen Ankläger: Die schwächere Rede zur stärkeren machen. Von seinen Zeitgenossen wurde Sokrates zu den Sophisten gezählt wie uns das Theaterstück die Wolken berichtet, in dem Sokrates als Sophist eine große Rolle spielt. Und wir wissen auch, dass er unterrichtete, wenngleich er sich anders als die Sophisten nicht dafür bezahlen ließ.

Schließlich ist da noch der Vorwurf der Gottlosigkeit, auch mit dem scheint es im wahrsten Sinne des Wortes nicht allzu weit her zu sein. Zwar legte Sokrates während seines Prozesses in einer sehr sophistischen Argumentation dar, dass er nicht zugleich die Götter leugnen könne und neuartige Dämonen predigen, da jeder wisse dass Dämonen die Kinder der Götter sind. Nachdem dann aber das Todesurteil feststand, offenbarte er uns in seinen Abschlussworten seinen wahren Glauben: Der stets kritische Sokrates war Agnostiker, also nicht sicher, ob es Götter bzw. ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht.

Ein Schauprozess

Also ist alles klar? Sokrates was schuldig im Sinne der Anklage? Nun … Der Punkt ist, dass Sokrates vielleicht formal die Anklagepunkte erfüllte, aber dass diese Anklagepunkte zugleich nur vorgeschoben waren. Denn in Wirklichkeit war Sokrates ein Pain in the Ass, eine echte Nervensäge, die Athener Oberschicht wollte ihn loswerden und suchte einen Grund dafür. Es spricht sogar einiges dafür, dass sie Sokrates gar nicht umbringen wollten, sondern sich mit seiner Verbannung oder einem Versprechen, dass er in Zukunft das Maul hält, zufrieden gegeben hätten: Denn der Prozess hatte zwei Phasen: Im Ersten Teil wurde Sokrates Schuld festgestellt und zwar äußerst knapp: Von 501 Richtern stimmten 281 für schuldig und 220 für unschuldig. Im zweiten Teil der Verhandlung ging es um die Festlegung des Strafmaßes und die Kläger plädierten für die Todesstrafe. Doch mit reuigen Worten und einem Versprechen sich zu bessern, hätte Sokrates bestimmt den Kopf aus der Schlinge ziehen können, oder … äh … den Schierling aus dem Becher. Aber Sokrates plädierte, dass die Strafe für ihn, entweder die Speisung im Prytaneion sein solle. Das war im damaligen Athen eine besondere Ehre und kam der heutigen Ehrenbürgerwürde gleich. Oder man solle ihm eine Geldstrafe von 30 Minen auferlegen. Das war wohl ein so lächerlich niedriger Betrag, dass Sokrates gewusst haben muss, dass die Richter ihn nicht akzeptieren würden.

Außerdem machte er klipp und klar, dass er gar nicht daran denke, in Zukunft nicht mehr seine nervigen Fragen zu stellen. Das führte dazu, dass am Ende sogar 361 Richter für seinen Tod stimmten. Also sogar noch einmal 80, die zuvor noch für unschuldig plädiert hatten. Wir können davon ausgehen, dass Sokrates bewusst war, dass sein Plädoyer auf die Todesstrafe hinauslief. Aber sich vom Tod freizukaufen, empfand er wohl als Eingeständnis seiner Schuld.

Doch selbst nach seiner Verurteilung zum Tode sah es nicht so aus, als wollten die Athener ihn wirklich hinrichten. Zunächst wurde die Hinrichtung aus religiösen Gründen verzögert und dann ermöglichten Verbündete Sokrates sogar noch die Flucht, aber Sokrates lehnte dies aus ethischen Gründen ab. Seiner Auffassung von Gerechtigkeit nach, wäre es Willkür gewesen, sich der Strafe zu entziehen und wenn die Athener der Meinung waren, dass das Urteil ungerecht sei, dann müssten sie die Gesetze ändern. So trank er den Schierlingsbecher und wurde zum ersten Märtyrer der Philosophie.

Aber warum waren die Athener so genervt von Sokrates? Das und noch vieles mehr, wie zum Beispiel die Frage, woher wir eigentlich von Sokrates wissen, wenn er nie etwas aufgeschrieben hat, das klären wir beim nächsten mal …

Literatur

Weitere Literaturangaben gibt es bei den nächsten beiden Teilen.

Bilderquellen

Alle Bilder, die ich verwendet habe und die nicht hier auftauchen, sind entweder gemeinfrei oder stammen von mir persönlich. Alle Angaben in chronologischer Reihenfolge.

*Affiliate-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Andere für mich denken lassen

Ich habe hier ein paar philosophische Artikel in Pocket, die ich schon längere Zeit aufbewahre, um mal irgendetwas damit zu machen. Da mir selbst zurzeit nichts Schlaues dazu einfällt, mache ich halt eine Linkschleuder daraus. ¯\_(ツ)_/¯

Spache und Moral

Hier ein spannender Artikel über empirisch-philosophische Studien zum Zusammenhang von Moral und Sprache:

A brother, who’s using a condom, and his sister, who’s on birth control, decide to have sex. They enjoy it but keep it a secret and don’t do it again. Is their action morally wrong? If they’re both consenting adults and not hurting anyone, can one legitimately criticize their moral judgment?

Die These, die entwickelt wird, lautet, dass wir in unserer Muttersprache ethische Probleme eher emotional angehen und in einer Fremdsprache eher analytisch …

Still, if morally ambiguous scenarios are approached in a second language, that can nudge us toward making decisions consciously and rationally. Speaking in a second language, therefore, may be one of the most moral things you can do.

Metaphysik und so …

Dieser Artikel beginnt mit der Feststellung, dass die zeitgenössische Philosophie metaphysische Fragen hinter sich gelassen hat. Beziehungsweise versucht die Philosophie, metaphysische Probleme auf empirische Ursachen zurückzuführen. Hier noch einmal die Definition von Metaphysik aus der Wikipedia, für alle die den Begriff nicht auf den Schirm haben:

Metaphysische Systementwürfe behandeln in ihren klassischen Formen die zentralen Probleme der theoretischen Philosophie, nämlich die Beschreibung der Fundamente, Voraussetzungen, Ursachen oder „ersten Gründe“, der allgemeinsten Strukturen, Gesetzlichkeiten und Prinzipien sowie von Sinn und Zweck der gesamten Wirklichkeit bzw. allen Seins.

Allerdings scheint der Autor, Justin E. H. Smith, einen weitergefassten Metaphysik-Begriff zu haben, ähnlich dem des frühen Wittgenstein, wonach all das metaphysische Aussagen sind, was sich nicht empirisch beweisen lässt. Anyway … Smith sieht in dieser Abkehr und auf die derzeitige Konzentration der Philosophie auf kognitionswissenschaftliche Erklärungsansätze ein Problem, da dies ein zu einseitiges Bild vom Menschen zeichnet:

Cognitive science, and the philosophy influenced by it, has taken into account the richness I’ve been trying to evoke– that we are not just essentially thinking things, but also thinking things with, for example, a special evolved capacity to notice faces that appear in our natural landscape, and to have stronger reactions to them than to lumps of dirt. But cognitive science by itself is ill-equipped to draw out the full significance of the ineliminable features of human cognition that it registers and describes. Philosophers in other areas of specialization need to join the project.

Stattdessen plädiert er für eine Reintegration von anthropologischen Theorien in die zeitgenössische Philosophie …

Die Welt ist nicht so …

Noch ein schöner Artikel zu einer Studie, wie Sprache unsere Konzepte der Welt beeinflusst …

Wenn Berufe in einer geschlechtergerechten Sprache dargestellt werden (Nennung der männlichen und weiblichen Form, zum Beispiel „Ingenieurinnen und Ingenieure“ statt nur „Ingenieure“) schätzen Kinder typisch männliche Berufe als erreichbarer ein und trauen sich selbst eher zu, diese zu ergreifen.

Wissta bscheid!

Hass im Netz

…. ist ja ein nicht weggehendes Thema und ein Problem. Hier setzt sich der Sozipod damit ausseinander in Bezug auf den rassistischen Terror dieses Jahr, wie er im Netz repräsentiert wird und wie man damit umgehen sollte. Das gleiche Thema hat diese schöne YouTube-Reihe am Beispiel des Gamergates, ebenfalls mit dem Ziel, einen Ansatz zu finden, wie man dergleichen verhindern kann:

Wenn euch das gefallen hat, dann lasst es mich doch in den Kommentaren wissen, mein Pocket quillt über von weiteren Artikeln, die ich gerne mit euch teilen kann …

P.S.:

Der Urgrund der Philosophie

YEAH! PHILOSOPHY BITCH!

Ich habe mich mal an ein anderes Medium herangewagt. Das mit den bewegten Bildern:

Ich würde mich über euer Feedback freuen. Wenn ihr es nicht ganz schlecht fandet, werde ich noch mehr solche Videos produzieren. Gerne nehme ich dazu auch Wünsche entgegen. Alle, denen das da oben zu albern ist, finden hier noch einmal das Transkript:

Der Beginn der Philosophie

Wir können die Geburtsstunde der Philosophie ziemlich genau bestimmen. Die westliche Philosophie begann mit ein paar Typen, die wir heute die „Vorsokratiker“ nennen. Den Namen tragen sie folgerichtig, weil sie schon vor einem anderen Typen mit Namen „Sokrates“ philosophiert haben. Und dieser Sokrates sollte später dann eine ganz große Nummer werden, ein echter Game-Changer. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes mal erzählt werden.

Der erste Philosoph war mit ziemlicher Sicherheit ein gewisser Thales von Milet. Und dieser Thales hat einen Satz gesagt oder wahrscheinlich eher geschrieben, für den ihn heute die Philosophie-Profs noch immer abfeiern. Leider haben wir den Text nicht mehr, denn von den Texten der Vorsokratiker sind uns nur Fragmente und Zitate erhalten geblieben. In den Worten von Aristoteles (der auch so ein Superstar in der Philosophen-Community ist), lautet dieser entscheidende Satz so:

„Thales, der Begründer von solcher Art Philosophie, erklärt als den Urgrund das Wasser“

Aristoteles: Metaphysik I 3 983 b 6 ff.

O – kay … Aber was ist jetzt der Big Deal an diesem Satz? Ich meine Arnold Schwarzenegger hat mal gesagt:

„Ich werde mehr von meinen Vorstellungen gelenkt als von bewußtem Denken.“

Arnold Schwarzenegger

Aber ich bezweifle, dass wir uns in knapp 2.600 Jahren noch daran erinnern werden, obwohl die Worte von Arnie stammen!

Die Antwort auf die Frage, was so toll an Thales Satz ist, lautet: Er ist der erste Beleg von wissenschaftlich-logischem Denken. Dieser Satz von Thales ist die erste wissenschaftliche Hypothese überhaupt. Das ist eine ziemlich steile These, und ich werde sie auch gleich noch begründen, aber zunächst will ich noch einmal einen Schritt zurückgehen und ein paar Worte dazu verlieren, wer dieser Thales überhaupt war.

Zur Person von Thales

Thales lebte in einer Hafenstadt namens Milet. Das lag im damaligen Kleinasien, was die heutige Türkei ist. Mit Blick auf unsere heutige politische Lage eigentlich eine ganz spannender Funfact, dass die europäische Philosophie von einem Griechen aus der Türkei erfunden wurde …

Wie viele Philosophen war Thales ein Rundum-Gelehrter, der auf vielen Gebieten forschte. Beispielsweise kennen wir auch den Zeitraum, in dem er lebte, da er eine Sonnenfinsternis im Jahr 585 v. Chr. voraussagte. Allerdings war diese Voraussage ist für sich genommen noch nicht so super krass, denn Astronomie wurde schon lange, vor allem in Babylon betrieben und die Babylonier hatten auch schon lange herausgefunden, dass Sonnenfinsternisse sich in gewissen Zyklen wiederholen.

Spannender ist da schon, dass Thales auch ein ganz schön gewiefter Mathematiker gewesen sein muss. Auch das ist keine Seltenheit in der Philosophiegeschichte, die Art zu Denken bei Mathematik und Philosophie, ist eben verwandt. Zumindest solange man Heidegger nicht beachtet.

Es gibt die Anekdoten, dass Thales einerseits die Distanz zu einem Schiff errechnet haben soll, indem er es von zwei verschiedenen Landpunkten aus beobachtete. Außerdem soll er die Höhe einer Pyramide anhand der Länge ihres Schattens bestimmt haben. Und wir alle kennen ihn nicht zuletzt, weil wir in der Schule in Mathe den Satz des Thales lernen mussten.

„Konstruiert man ein Dreieck aus den beiden Endpunkten des Durchmessers eines Halbkreises (Thaleskreis) und einem weiteren Punkt dieses Halbkreises, so erhält man immer ein rechtwinkliges Dreieck.“

Thales von Milet

Übrigens soll auch dieses mathematische Gesetz sowohl den Babyloniern als auch den Ägyptern schon bekannt gewesen sein.

Dann gibt es noch zwei Anekdoten über Thales, die eher ins Reich der Propaganda gehören. Propaganda für Philosophie ist wohl die Geschichte, dass er von seinen Mitmenschen gedisst wurde, weil Philosophie eine brotlose Kunst sei. Aber Thales hat dann mithilfe der Sterne herausgefunden, dass es eine fette Olivenernte geben soll und hat alle Olivenpressen der Gegend gekauft, die er dann zu horrenden Preisen vermieten konnte und so schweinereich wurde. Wie gesagt: Bloße Propaganda, denn den Sternen ist die Olivenernte so schnuppe wie dein Horoskop und mit Philosophie hat das schon mal gleich gar nichts zu tun.

Die andere Anekdote ist Propaganda kontra Philosophen: So soll Thales mal von einer „Thrakischen Magd“ ausgelacht worden sein, weil er beim Sternebeobachten in einen Brunnen fiel. Das ist eine typische Geschichte vom „zerstreuten Professor“, wie wir sie auch heute noch erzählen und Thrakien war damals für die Griechen das, was für den Berliner Hipster heute Brandenburg ist, wodurch die Demütigung für Thales natürlich nur noch größer wird.

Warum die Griechen?

Kehren wir zur Frage zurück – What’s the big deal about:

„Thales, der Begründer von solcher Art Philosophie, erklärt als den Urgrund das Wasser“

Aristoteles: Metaphysik I 3 983 b 6 ff.

Die nächste kurze Antwort, die ich euch darauf geben möchte, lautet: Thales hat als erster den Ursprung der Welt nicht dadurch erklärt, dass irgendein Gott sie erschaffen hat. Doch auch jetzt noch belasse ich es erst einmal bei dem Teaser und beantworte die Frage indirekt, indem ich zunächst frage: Warum haben jetzt ausgerechnet die Griechen mit der Philosophie angefangen? Ihr müsst dabei bedenken, dass zu dem Zeitpunkt, als Thales lebte, die Ägypter schon krasse 3.500 Jahre lang eine Hochkultur hatten. Das sind noch mal locker 1.000 Jahre mehr als von Thales zu uns heute. Und dennoch hatte niemand in Ägypten jemals das Bedürfnis gehabt, anzuzweifeln, dass irgendein Gott die Erde erschaffen hat.

Diese Frage wurde früher oft mit dem „Griechischen Genius“ beantwortet. Eine Antwort, die nicht nur gefährlich ist, weil sie auf der „Europäer sind besser als andere“-Welle reitet, sondern auch mit ziemlicher Sicherheit falsch.

Was also war der Grund dafür, dass die Griechen nun plötzlich eine andere Antwort gaben auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest?

Einer der wichtigsten Gründe war sicherlich, dass es in Griechenland eine reiche Bürgerschicht gab: Alte, weiße Männer, die es sich leisten konnten, ihre Zeit mit Philosophie zu verschwenden, während Frauen und Sklaven für sie arbeiteten. Aber das kann noch nicht der einizige oder gar entscheidende Grund gewesen sein, den Aristokratien, die ihren Reichtum auf Sklaven aufbauten, gab es in der Antike zur Genüge. Aber Philosophie zunächst nur in Griechenland.

Nein, der wichtigste Grund für das Erwachen der Philosophie war wohl die Art und Weise, wie der griechische Staat und die griechische Gesellschaft damals aufgebaut waren. Ihr wisst das bestimmt: Es gab keinen starken Zentralstaat wie in Ägypten oder später in Rom. Stattdessen gab es jede Menge kleiner Stadtstaaten. Und dort gab es sehr repressive Stadtstaaten, so wie zum Beispiel Sparta, aber es gab auch andere, wie zum Beispiel Athen oder Milet, die ihren Bürgern (also den alten, weißen Männern) viele Freiheiten einräumten und die sich entsprechend auch nicht daran störten, wenn diese Bürger dann so gotteslästerliches Zeug von sich gaben.

Außerdem hatte dieses Stadtstaaten-Ding den Vorteil, dass du als aufsässiger Denker mal eben den Staat wechseln konntest, wenn das Kopfsteinpflaster unter deinen Füßen mal zu heiß wurde. Und diese Stadtstaaten-Struktur hatte noch weitere Vorteile. Dafür müssen wir uns ansehen, wie Griechenland aussieht: Griechenland ist bergig. Nicht ohne Grund sitzen die griechischen Götter auf einem Berg. Und die verschiedenen Stadtstaaten saßen zumeist, in fruchtbaren Tälern mit Meerzugang. Statt mühsam über die Berge zu kraxeln, bot es sich da an, mit dem Schiff zu fahren. So wurde Griechenland zu einer großen Seefahrernation und Seefahrt und Seehandel brachten viele kulturelle Einflüsse und andere Arten zu denken aus dem ganzen Mittelmeerraum – So etwas ist ein sehr fruchtbares Klima für innovatives Denken. Es ist kein Zufall, dass im gleichen Zeitraum in Griechenland auch die Geschichtsschreibung, die Mathematik und die Naturwissenschaften durch die Decke gingen.

Aber auch das war noch nicht alles: Es musste noch mehr hinzukommen, denn große Seefahrer waren zum Beispiel auch die Phönizier. Es mussten noch zwei Schäufelchen oder drei draufgelegt werden, damit die Griechen zu Philosophen werden konnten. Das erste Schäufelchen war dabei mit Sicherheit die griechische Sprache. Denn die hatte eine Tendenz zum Abstrahieren. So kann man im Griechischen ganz ähnlich wie im Deutschen ziemlich leicht aus den verschiedensten Worten Substantive machen. Und über den Sinn des Adjektives „wahr“ lässt sich eben nicht halb so gut spekulieren wie über den des sakralen Substantives „Wahrheit“.

Das zweite Schäufelchen war dann bestimmt die Alphabetschrift. Zwar hatte es Schriftsysteme schon lange vor den Griechen gegeben, aber keine der älteren Schriften war so vielseitig und leicht zu lernen gewesen, wie die griechische Alphabetschrift. So können wir heute mit Sicherheit sagen, dass die Mehrheit der griechischen Bürger (also der alten weißen Männer) lesen und schreiben konnte. Und das führte zu einigen spannenden Konsequenzen.

Eine dieser Konsequenzen war sicher, dass so Typen wie Hesiod und Homer anfingen die religiösen Mythen aufzuschreiben. Bis dahin waren diese Geschichten immer mündlich weitergegeben worden. Und ein mündlicher Vortrag hat die Eigenschaft und zugleich soziale Funktion, dass er angepasst werden kann. Wenn etwas aufgeschrieben wurde, dann steht es hingegen fest. Schwarz auf weiß. Jeder kann es hervorholen und mit der Welt vergleichen. Und möglicherweise ergeben sich einige Widersprüche zwischen dem, was in den Büchern über die Götter und die Welt steht und dem, was man selbst wahrnimmt. Fest steht zumindest, dass die Griechen nicht sehr hoch von ihren Göttern dachten. Wenn ihr Homer oder Hesiod lest, dann sind die Olympier ein ziemlich rüder Haufen.

Nun werfe man in diese Situation die schon erwähnte Seefahrt mit all ihren fremdartigen Einflüssen. Da war es kein Wunder, dass in Griechenland Sekten aus dem Boden schossen, die andere, neue Religionen versprachen. Die berühmtesten waren sicher der Dionysos-Kult und die daraus hervorgehenden Orphiker. Und in diesem Klima wirkt jemand wie Thales, der statt die einen Götter durch andere zu ersetzen, die Götter einfach durch ein abstraktes Prinzip wie Wasser ersetzt, vielleicht nicht ganz so überraschend. Und damit kommen wir nun endlich zur Beantwortung der Frage:

What’s the big deal?

Ich sagte schon, dass Thales mit seinem Spruch, dass der Urgrund der Welt Wasser ist, das logisch-wissenschaftliche Denken gewissermaßen erfunden hat. Außerdem sagte ich, dass er erstmals den Ursprung der Welt nicht mit Religion begründet hat. Aber das sind ja nun ersteinmal nichts weiter als Worthülsen. Was bedeutet das? Schauen wir uns den Schöpfungsmythos der Griechen doch einmal an: Da ist am Anfang das Chaos. Aber das ist nicht das, was wir heute darunter verstehen, auch wenn es gewisse Eigenschaften teilt. Stattdessen wurde dieses Chaos von den Griechen als ein denkendes, fühlendes Wesen gedacht, das dann folgerichtig auch ein Kind gebären kann: Gaia, die Erde. Auch Gaia ist wiederum beseelt. Wir nennen diese Art zu denken Animismus, dass also Dinge wie die Erde denken können, denen wir heute kein Bewusstsein zuschreiben. Dem gegenüber meint nun Thales, dass die Welt einfach aus Wasser entstanden ist. Ohne dass er Wasser irgendeine Seele oder ähnliches zuschreibt. Und diese Antwort unterschiedet sich auch zum Beispiel vom jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos, in dem zwar die Erde nicht beseelt ist, aber von einem denkenden und fühlenden Gott geschaffen wurde.

Aber noch etwas ist anders zwischen Thales’ Antwort und jener der Religionen: Es handelt sich um eine Hypothese, die sich überprüfen lässt. Religion hingegen ist ein Dogma. Alle Fragen werden etwa im Christentum einfach mit „Es steht in der Bibel“ beantwortet. Das kann die Philosophie im besonderen und die Wissenschaft im Allgemeinen nicht. An die Stelle von „Steht in der Bibel“ muss nachdenken und beobachten treten. Natürlich geht aus Aristoteles Zitat nicht hervor, wie Thales seine Hypothese begründet hat, aber er hat damit eine Tradition begündet, in der eben dieses logische Begründungsspiel gespielt wird.

Schließlich ist noch ein dritter Aspekt an Thales Hypothese spannend. Denn er hat damit ein Frage gestellt, ein Thema eröffnet, dem wie in Philosophie, Physik und Biologie noch immer hinterherjagen. Eine der großen Fragen: Was ist das Prinzip oder der Ursprung der Welt, des Lebens etc.? Thales Antwort ist natürlich nicht sonderlich spannend oder auch nur kreativ. Ich sagte ja schon, dass er in einer Stadt lebte, die im höchsten Maße abhängig vom Meer war. Nein, Thales Hypothese war nicht ausgereift, aber sie regte zu weiterem Nachdenken an. Sie war eben der Urgrund der Philosophie.

Quellen

Zur Recherche habe ich verwendet:

* Hinterhältiger Afiliate-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Bildquellen

Die Slides wurden erstellt mit dem Programm SketchBookExpress. Alle Quellenangaben in chronologischer Reihenfolge. Alle Bilder, für die keine Quelle angegeben wurde, stammen entweder von mir oder sind gemeinfrei.

Der Beweis der Nichtexistenz

Die Existenz ist ein hinterhältiges kleines Miststück.* Sie kommt ganz unschuldig daher als wäre sie ein Prädikat. Grammatisch gibt es keinen (allzu großen) Unterschied zwischen „Das iPhone 6 verbiegt sich“ und „Das iPhone 6 existiert“. Aber in der logischen Tiefenstruktur sind beide Sätze grundverschieden. Während „sich verbiegen“ eine Eigenschaft, also ein logisches Prädikat ist, ist die Existenz dies nicht. Stattdessen ist die Existenz die Voraussetzung, dass irgendetwas überhaupt Eigenschaften haben kann, in der Logik nennen wir das einen Existenzquantor. Und den Satz „Das iPhone 6 verbiegt sich“ würden wir folgendermaßen aufschlüsseln:

Es existiert ein Ding,
dieses Ding hat die Eigenschaft, iPhone 6 zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft sich zu verbiegen.

Das iPhone muss also überhaupt erst einmal existieren, bevor es sich verbiegen kann. Ausführlich habe ich das schon einmal hier geschrieben, als ich mich mit dem „Nichts“ auseinandersetzte … Jedenfalls ist der Existenzqunator eine Tatsache, die schon dem ollen Anselm von Canterbury auf die Füße fiel, nur dass sein iPhone ein Gott war. Anselm dachte sich nämlich den ontologischen Gottesbeweis aus und behauptete, dass der Begriff „Gott“ der Begriff eines vollkommenen Wesens ist und zur Vollkommenheit gehört eben auch, dass es existiert. Tja, das kritisierte Kant vernünftigerweise, indem er darauf hinwies, dass Gott zunächst einmal existieren muss, bevor er irgendwelche Eigenschaften wie Vollkommenheit haben kann. Dennoch ging – wenn ich das recht verstehe – Gödel einen ziemlich ähnlichen Weg wie Herr von Canterbury, als er seinen Gottesbeweis aufstellte, und von dem hat ja bekanntlich Apple gesagt, dass er stimmt. Oder so ähnlich …

Es ist nicht möglich, die Nichtexistenz eines Dinges zu beweisen

Anyway … Frau Scheinprobleme bat mich doch mal ein paar Sätze zur Nichtexistenz und deren Beweis zu schreiben. Das möchte ich sehr gerne tun, allerdings macht mich die Tatsache, dass sie mir das zutraut so nervös, dass ich hoffe keine Fehler zu machen. @Scheinprobleme wollte, genauer gesagt, einen Text von mir zur Faustformel, dass es nicht möglich ist, die Nichtexistenz eines Dinges zu beweisen. Denn hier hat ein anonymer Wüterich doch tatsächlich behauptet, dass dieser Satz Unsinn sei, was bei Karl Popper bestimmt ein paar Grabrotationen ausgelöst hat …

Aber genug des Namedroppings, denn – man glaubt es nicht – Anonymous Wüterich bringt ein paar ziemlich einleuchtende Argumente. Ja, er oder sie beweisen uns die Nichtexistenz ganze vier Mal!

Es existiert keine Primzahl, die durch vier teilbar ist.

Es existiert keine zweidimensionale Form, die zugleich Rechteck und Kreis ist.
(…)
Es existiert keine belgische Stadt namens Fffffsdafnjkqfenwqkljingen.

Es existiert kein zweiter Erdmond.

Okay, damit wäre die Sache dann gegessen, vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Nun gut, der Witz war zu durchschaubar, das gebe ich zu. Also schauen wir uns diese vier Sätze doch mal etwas genauer an. Zunächst können wir feststellen, dass die ersten beiden Sätze sogenannte analytische Sätze sind, die letzten beiden Sätze sind hingegen sogenannte empirische Sätze. Während sich die Wahrheit – oder in diesem Fall die Falschheit – der ersten beiden Sätze ausschließlich aus der Bedeutung der verwendeten Begriffe ergibt, brauche ich bei den letzten beiden Sätzen Erfahrungswissen um ihre Wahrheit zu prüfen. So verschweigt uns Frau Wüterich auch gar nicht, dass natürlich in der Definition des Begriffes „Primzahl“ schon drinsteckt, dass sie sich nur durch Eins und durch sich selbst teilen lässt, genau wie in der Definition von „Dreieck“ steckt, dass es drei Ecken hat, während ein Kreis hingegen sich nicht so glücklich schätzen darf ganze(!) drei(!) Ecken(!) zu haben …

Im Sinne eines analytischen Satzes kann ich also sehr wohl beweisen, dass etwas nicht existiert und zwar immer dann, wenn sich ein Widerspruch ergibt. Das gibt es von trivial wie „Es gibt keine verheirateten Junggesellen“ bis zu spanend, wie bei Moores Paradoxon: „Es regnet, aber ich glaube es nicht“.

Von Bezugnahmegebieten und Erfüllungsgegenständen

Aber schauen wir uns einmal die beiden anderen Sätze an, vielleicht bezog sich der Satz von der unmöglichen Beweisfähigkeit der Nichtexistenz ja auf die … Und da muss ich sagen, war unser cleverer kleiner Wüterich ganz schön … äh … nun, ja … clever.

Dafür muss ich etwas ausholen: Was machen wir denn eigentlich sprachlich, wenn wir über ein Ding wie den Erdmond sprechen? 500 Punkte bekam die Kandidatin, die jetzt antwortete: Eine Bezugnahme und sogar 1000 Punkte diejenige, die sogar wusste, dass es nicht irgendeine Bezugnahme war, sondern eine Denotation. Eine solche Denotation machen wir immer, wenn wir über ein Ding in der Welt sprechen. Das Wort „Mond“ repräsentiert dann das Ding {Mond}, auf das wir uns beziehen. Wie macht das Wort das? Nun, das Wort macht erst einmal gar nichts, es ist ein Wort, kann also nichts machen. Sondern wir machen das, denn wir sind Menschen. Wir eröffnen für unsere Denotation zunächst einmal ein Bezugnahmegebiet, sagen unseren Zuhörern oder Leserinnen also, wo sie suchen müssen, wenn sie unseren Satz auf Wahrheit überprüfen wollen.

Screenshot Google Maps auf der Suche nach Fffffsdafnjkqfenwqkljingen
Screenshot Google Maps auf der Suche nach Fffffsdafnjkqfenwqkljingen

Auch Anonymous Wüterich hat das gemacht: Er sagte uns, die Stadt Fffffsdafnjkqfenwqkljingen sollen wir im Bezugnahmegebiet Belgien suchen und den Mond schränkte er auf die Erde ein, genauer gesagt, auf den Erdorbit. Denn wenn mein Bezugnahmegebiet die Erde wäre, dann würde ich nicht einen, sondern keinen Mond finden, es sei denn, ich suche im Bezugnahmegebiet „Astronomie Fanshop“. Haben wir aber ein Bezugnahmegebiet mal gefunden, suchen wir dann unseren sogenannten Erfüllungsgegenstand, und wenn wir wiederum ihn gefunden haben, dann haben wir erfolgreich ein Ding denotiert. Das alles läuft normalerweise natürlich äußerst implizit ab, beispielsweise nennen wir diese Bezugnahmegebiete schlicht „Kontext“ und nur so Vollhonks wie Philosophen verschwenden überhaupt Gedanken darauf.

Die Frage ist nun, warum war unsere Frau Anonymous Wüterich clever? Weil sie uns extra zwei ziemlich überschaubare Bezugnahmegebiete und zwei ziemlich ikonische Erfüllungsgegenstände präsentiert hat. Doch selbst da ist ihr ein kleiner Denkfehler unterlaufen. Klar, kann ich ziemlich einfach überprüfen, dass es nur einen Mond gibt, wenn ich nachts an den Himmel sehe und auch wenn ich „Fffffsdafnjkqfenwqkljingen“ und „Belgien“ in Google Maps eingebe, komme ich ziemlich schnell darauf, dass diese Stadt nicht existiert. Derzeit. Denn das ist der springende Punkt: Herr Wüterich kann so lange er will, auf dem Punkt herumspringen, es wird ihm nicht gelingen, zu beweisen, dass auch in Zukunft die Erde keinen zweiten Mond haben wird oder eine belgische Gemeinde nicht plötzlich beschließt, sich in Fffffsdafnjkqfenwqkljingen umzubenennen.

Ein Lied davon kann Noam Chomsky singen. Der hatte sich nämlich dereinst den schönen Satz „Colorless green ideas sleep furiously“ ausgedacht, als Beweis für einen Satz, der zwar grammatisch korrekt ist, aber semantisch unsinnig. Und ihr ahnt es: Nicht zuletzt weil Chomsky nicht irgendein anonymer Wüterich war sondern eben Noam „Fucking“ Chomsky, machten sich etliche Menschen daran, sich sinnvolle Verwendungen für diesen Satz auszudenken und spätestens als er als Protestplakat auf einem Parteitag der britischen Konservativen zu lesen war, hatte er plötzlich eine sinnvolle Verwendung.

Kehren wir zurück zu unserem Satz: „Es ist nicht möglich, die Nichtexistenz von einem Ding zu beweisen.“ Ja, Frau Wüterich, Sie haben Recht, ganz pauschal stimmt dieser Satz nicht. Aber im Normalfall wird der Satz weder auf so spezifische Fälle wie Ihre Beispiele angewendet, noch auf bloß analytische Sätze. Es geht um sehr viel allgemeinere Aussagen, zum Beispiel: „Es gibt keine zwei Schneeflocken, die identisch sind.“ – das kann ich nicht beweisen. Warum?

Hier kommt nun Popper ins Spiel, damit er endlich aufhören kann, sich im Grab zu drehen. Ihr erinnert euch hoffentlich: Unser oberstes Prinzip in der Wissenschaft ist der Falsifikationsvorbehalt. Wahr (im Sinne von „empirisch wahr“) kann nur sein, was auch falsch sein kann. Meine Theorie ist nur so lange wahr, wie sie nicht widerlegt worden ist.

Und daraus folgt: Es ist sehr schwer zu beweisen, dass ein existierendes Ding, nicht existiert. Beispielsweise müsste ich, wenn ich behaupten würde, dass Schafe nicht existieren, jedem einzelnen Schaf auf der Erde unter die Wolle gucken und sagen: „Nope, kein Schaf.“ Hingegen ist es – zumindest prinzipiell – sehr einfach, zu beweisen, das nichtexistierende Dinge doch existieren. Ich muss nur zwei lausige Schneeflocken finden, die gleich sind. Und da ich eben nie ausschließen kann, dass das irgendjemandem irgendwann gelingt, kann ich eben die Nichtexistenz eines Dinges nicht beweisen …

Eine Anmerkung noch zum letzten Absatz unseres Wüterichs

Genau wie oben beschrieben lässt sich übrigens die folgende Aussage beweisen: “Es existiert kein allmächtiger, allgütiger Schöpfer des Universums. Aber dazu ein andermal mehr …”

Na, da bin ich aber mal gespannt … Denn das erscheint mir so, als habe da jemand seinen Kant nicht gelesen. Denkt noch einmal kurz zurück an die Denotation mit ihren Bezugnahmegebieten und Erfüllungsgegenständen und sagt mir dann, in welchem Bezugnahmegebiet ihr euch auf der Suche nach eurem Erfüllungsgegenstand „Gott“ machen wollt? Und wenn ihr nicht einmal das Bezugnahmegebiet kennt, wie wollt ihr dann etwas beweisen oder widerlegen?

Zum Vertiefen dieser Themen empfehle ich:

Noam Chomsky: Syntactic Structures (Bei Amazon)**.
Rene Descartes: Meditationes de prima philosophia (Legal und umsonst bei Zeno.org).
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (Legal und umsonst bei Zeno.org).
G. E. Moore: Selected Writings (Unbezahlbar bei Amazon)**.
Karl Popper: Logik der Forschung (bei Amazon)**.
Bertrand Russell: On denoting (Leider nur als PDF legal und umsonst bei der Uni München).

*Tschuldigung, das war ein Philosophenwitz. Denn ich habe in diesem Satz je gerade aus der Existenz ein Prädikat gemacht. Wenn ich das Explizit mache, habe ich ja quasi gesagt:

Es existiert ein Ding,
dieses Ding hat die Eigenschaft, Existenz zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft hinterhältig zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft klein zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft ein Miststück zu sein.

**Hinterhältiger Afilliate-Link: Kauft ihr das Buch, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Wenn Philosophen wie Nerds wären…

Neulich in einem Epistemologie-Support-Forum …

WillardvOQ: „Hallo Leute, ich habe da ein Problem mit der Sprache, ich wollte mal fragen, ob wir überhaupt sicher sein können, Bedeutungen richtig zu erfassen, wenn von einer Sprache in die andere übersetzen.“

Post-Structure-Jacques: „Alter, Forensuche benutzen!“

Pythgoras hates beans: „Google ist dein Freund!“

Whitehead: „Read the fucking Platon!!!!“

Höhlenmensch: „Hat jemand meinen Namen gesagt? @WillardvOQ Interessante Frage. Vorher sollten wir aber klären, ob Sprache natürlich oder konventionell ist.“

Cunt: „Welche Version benutzt ihr denn? und welches OS? Wenn ihr das nicht sagt, dann kann man euch schon mal gleich gar nicht helfen!“

Betrand, König von Frankreich:@Cunt: Yo Alter, was ist das denn für eine bekloppte Frage? Es gibt nur eine Version: Formale Logik. Und nur ein OS: Idealsprache. Alles andere kannst du in die Tonne kloppen!“

Ludwig schweigt: „Quatsch Betrand. Normalsprache, von allem anderen holst du dir Beulen!“

GEM: „Ludwig hat Recht!“

Austin (not Texas): „Jep…“

Hidagger: „Die Sprache ist das Haus des Seins.“

TheodorFrankfurt1903: „@Hidagger: Du bist wie Hitler!“

Ari [Moderator]: „Leute, bitte mäßigt euch etwas, sonst muss ich hier ein paar Forumssperren verteilen. Vielleicht könnt ihr euch in der Mitte treffen?“

WillardvOQ: „Ja, vielleicht könnten wir zu meiner Frage zurückkehren? @Cunt: Ich benutze Formale Logik, spiele aber auch oft mal mit normaler Sprache rum.“

Übermensch: „Not my Department! Wahrheit ist eh nur ein bewegliches Heer aus Metaphern!“

Noam: „Alter, du hast eine Universalgrammatik im Kopf, du kannst alles übersetzen!“

Höhlenmensch: „Sehe ich ähnlich.“

Michel Fuckold: „Ficken!“

Ari [Moderator]: „DAS REICHT @Michel Fuckold, DU TROLL!!! Das war schon das dritte Mal in dieser Woche, dein Account ist bist zum nächsten Ersten gesperrt!“

JürgenHabermas123:@ARI: Ich finde, du solltest mit @Michel Fuckold in eine Metadiskurs über eure Kommunikationsbedingungen eintreten.“

R0R7Y:@WillardvOQ: Du kannst dir eh nicht sicher sein, ob deine Worte noch die gleiche Bedeutung wie etwa die von Ari haben.“

Hidagger: „Ich schon, von Etymologie verstehe ich was.“

Post-Structure-Jacques: „ROFL!“

Ari [Moderator]: „So Leute, ich mach hier mal dicht. Doppelter Thread! Wie @Whitehead schon sagte, drüben im Sub-Forum vom Höhlenmensch finden sich schon alle Antworten auf die Fragen hier… CLOSED!“

Philosophen in der Kneipe

Platon und Popper sprechen über Pegida

Eine verrauchte Eckkneipe irgendwo zwischen London und Athen. An einem Tisch in der Ecke sitzt ein alter Mann mit schütternem Haar und buschigen Augenbrauen. Auf dem Tisch steht ein Wimpel, der verkündet, dass es sich um den Stammtisch handelt. Ein breitschultriger Mann mit Vollbart, der in eine Abolla gewandet ist, betritt die Kneipe, er tritt an den Tisch…

„Herr Popper.“
Popper: „Herr Platon.“
Platon: „Einfach Platon genügt.“
Popper: „Ist das nicht ein wenig zu unaristokratisch für Ihren Geschmack?“
Platon: „Letztlich sind wir doch alle Höhlenmenschen.“
Poppper: „Was zu falsifizieren war.“
Platon: „Was ist das Thema des heutigen Abends?“
Popper: „Pegida.“
Platon: „Was ist das? Doch nicht schon wieder so ein Unsinn des Deutschen Idealismus’…“
Popper: „Deutscher Unsinn freilich schon. Idealismus wohl kaum. Es steht für: ‚Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes‘.“
Platon: Ach, Europa, diese Kopfgeburt. Das klingt mir nach demokratischen Unsinn.“
Popper: „Mitnichten, es sind die Feinde der offenen Gesellschaft! Sie demonstrieren in Sachsen, einem Landstrich mit gerade einmal 0,1% Islamanteil gegen die ‚drohende Ausbreitung des Islamismus in Deutschland und Europa‘.“
Platon: „Das kommt davon, wenn man die Untertanen, ihre Kinder selbst aufziehen lässt!“
Popper: „Ihnen altem Faschisten müsste das doch eigentlich gefallen, immerhin wird Pegida vom ‚mehrfach vorbestraften Lutz Bachmann‘ angeführt.“
Platon: „Wohl kaum ein Angehöriger der Herrscherklasse, kein Philosophenkönig würde je behaupten, dass ‚Asylbewerber in luxuriös ausgestatteten Unterkünften lebten‘. Schließlich sitzen wir doch alle bloß in einer Höhle! Nein, er ist ein Untertan und maßt sich an, zur Schicht der Herrscher zu gehören. Aber Untertanen und Wächter müssen von wahren Philosophenkönigen regiert werden!“
Popper: „Von so jemandem wie Dionysios II?“
Platon: „Ich möchte nicht darüber reden.“
Popper: „Zu Recht! Denn Macht wird immer missbraucht werden, daher muss sie streng begrenzt werden, durch die Möglichkeit der Abwahl.“
Platon: „Ach Demokratie schon wieder. Und was, wenn die Menschen jemanden einfach nicht abwählen wollen? So wie diese Merkel und ihre Gurkentruppe? Nein, nein, nein, ich sage Ihnen, die Demokratie hat schon früher meinen großen Lehrer Sokrates umgebracht und heute foltert sie hemmungslos, wen auch immer sie zwischen die Finger bekommt…“
Popper: „Hmmm… Ich sehe, wir finden keinen Konsens, war ja auch nicht zu erwarten, bei Ihnen alten Historizisten. Aber was machen wir jetzt mit diesen Pegida-Spinnern?“
Platon: „Vielleicht sollten wir ihnen Descartes zweifelhaften Dämonen anhängen.“
Popper: „Oder wir lassen sie sich Beulen holen an Wittgensteins Grenzen der Sprache.“
Platon: „Wie dem auch sei, ich geb erstmal einen aus. Diese Welt ist so frustrierend, da hilft nur Ouzo! Herr Ober…“

Böses WLAN, Böse Schrift

Die FAZ schrieb gestern, dass die SHZ schrieb, dass Hamburg jetzt doch kein Vorreiter sein will in Sachen Digitaltechnik an Schulen. Allein diese Einführung ist so wundervoll, dass sich au dieser Metaebene stundenlang über den Artikel diskutieren ließe.

Caspar David Friedrich: Zwei Männer in Betrachtung des Mondes

Vor allem weil die FAZ mittlerweile maximal intransparent den Artikel schlichtweg durch einen anderen ersetzt hat, der darauf verweist, dass das Projekt doch nicht gestoppt wurde. Hier kann man das schön an an der URL sehen: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wegen-gesundheitsbedenken-hamburg-stoppt-w-lan-an-schulen-13295887.html. Es ist fast so, als habe tatsächlich jemand aus dem Frankfurter Redaktionshaus diesen Artikel gelesen und festgestellt, wie halbseiden er zusammengezimmert worden ist. Das ist sehr schade, da der ursprüngliche Artikel ein Paradebeispiel für eine „Standardsituation der Technologiekritik“ war.

Zum Glück gibt es ja die Wayback Machine... Und so steht uns nach wie vor dieses argumentative Kunstwerk zur Verfügung. Also schauen wir doch noch einmal, was die FAZ gestern noch schrieb, aber vor allem, wie sie es schrieb. Hamburg habe sein Pilotprojekt gestoppt, weil…

„…Fragen wegen möglicher Strahlenbelastung durch die hierfür benötigten W-Lan-Verbindungen nicht völlig geklärt seien“

Es werden zwar auch noch „datenschutzrechtliche“ und „andere juristische Probleme“ erwähnt, aber im Fortlauf konzentriert sich die FAZ auf den Gesundheitsaspekt. Wobei die Argumentation, so wie sie dann in der FAZ folgt, maximal verworren ist. Die FAZ tritt dem parteilosen Bürgerschaftsabgeordneten Walter Scheuerl zur Seite, der „mit mehreren Gutachten Kritik geübt“ habe. Anscheinend stammen diese Gutachten vom „Ärztearbeitskreis Digitale Medien Stuttgart“. Hier sind wir mal wieder beim Sophismus des Namedroppings. Ärzte haben gesagt, dass Strahlen gefährlich sind, dann muss es ja stimmen! Doch die FAZ hält sich nicht lange mit dem gedropten Arbeitskreis auf, sondern wechselt gleich zum nächsten „großen“ Namen, der bei der Netzgemeinde freilich regelmäßig für kollektives Nackenhaareaufstellen sorgt: Manfred Spitzer. Spitzer wird zitiert mit…

„Die Korrelation des Anstiegs von Überforderung, Kopfschmerzen, ADHS und psychischen Erkrankungen mit der wachsenden Nutzung der digitalen Medien ist besorgniserregend“

Hier schmeißt die FAZ zwei Aspekte wild durcheinander. Zumindest meines bescheidenen Wissens nach geht es Spitzer gewöhnlich nicht um die gefährliche Strahlung des WLANs, sondern um den Inhalt der digitalen Medien. Glaubt man der FAZ, so habe ich allerdings Spitzer bislang immer falsch verstanden, denn er sagt laut den Frankfurter Qualitätsjournalisten:

„Daneben könne die Belastung nachweislich auch zu Spermienschädigungen und sogar DNA-Strangbrüchen führen, also das Erbgut verändern“.

Schließlich wird das Triptychon des Namedroppings noch mit einer Sprecherin des Bundes für Umwelt- und Naturschutz komplettiert, die

„die Schädlichkeit der W-Lan-Nutzung belegten; insbesondere die gebündelte und ‚körpernahe‘ Nutzung durch Dutzende Schüler sei bedenklich.“

Ich kann nicht beurteilen, ob WLAN in irgendeiner Weise schädlich ist. Aber ich kann eine gute Argumentation erkennen, wenn ich eine sehe. Und fast genauso gut kann ich Humbug ausmachen. Daher verlasse ich mich lieber auf den gut argumentierenden Joachim Schulz, der schreibt:

„DNA-Strangbrüche treten bei radioaktiver Bestrahlung und Röntgenstrahlung auf. Hierbei werden die Molekülbindungen in der DNA, dem Erbgut tragenden Molekül, aufgebrochen. Um solch eine kovalente Molekülbindung aufzubrechen ist Energie nötig. Diese Energie kann im Photoeffekt nur von einem einzelnen Photon aufgebracht werden. Die Photonenenergie der Strahlung, die im WLAN verwendet wird, liegt bei etwa 10 Mikroelektronenvolt. Um eine kovalente Bindung aufzubrechen braucht es mehrere Elektronenvolt, also einige 10.000 mal mehr Energie, als die 2,4 Gigahertz-WLAN-Strahlung aufbringen kann. DNA-Strangbrüche durch WLAN sind physikalisch unmöglich.“

Mich interessiert, wie gesagt, vor allem, wie die Menschen argumentieren, denn das kann ich gut beurteilen. Und diesbezüglich sehe ich hier das fast schon panische Plädoyer für zwei sehr alte menschliche Ängste: Zum einen die Angst vor Strahlen. Strahlen und ihre Verwandte wie „Etwas im Trinkwasser“ sind Ausdruck der tief in uns verwurzelten Angst vor Dingen, die wir nicht wahrnehmen können, die uns aber dennoch krank machen oder gar töten. Eine Angst, die spätestens mit der Entdeckung von Krebs massentauglich wurde. Schließlich können und wollen wir uns nicht mit dem Gedanken abfinden, dass unser eigener Körper sich gegen uns wendet. Daher brauchen wir eine Erklärung dafür und da es offensichtliche Korrelationen etwa zwischen Rauchen und Krebs gibt, versuchen wir eben jene Fälle der Krankheit, die wir nicht erklären können, auf Unsichtbares wie Stahlen zu schieben. Und was bei Krebs klappt, klappt auch bei Unfruchtbarkeit, „Überforderung, Kopfschmerzen, ADHS und psychischen Erkrankungen“.

Schließlich aber ist der Artikel vor allem ein Ausdruck des Kulturpessimismus. Und das ist ja quasi die Paradedisziplin der FAZ. Kathrin Passig hat in ihrem bekanntesten Text, den ihr sicher alle kennt, neun Standardargumente der Technologiekritik zusammengefasst:

  1. Wozu soll das denn gut sein?
  2. Wer will denn so was?
  3. Nur seltsame Gestalten oder privilegierte Minderheiten wollen das Neue.
  4. Vielleicht geht es wieder weg.
  5. Dadurch ändert sich gar nichts
    5a Es ist nur ein Spielzeug
    5b Damit ist kein Geld zu verdienen
    5c Die Nutzer haben einander nichts mitzuteilen.
  6. Das Neue ist nicht gut genug
  7. Schwächere können nicht damit umgehen
  8. Schlechte Manieren
  9. Schädlicher Einfluss auf das Denken, Schreiben und Lesen

Hier in überarbeiteter Form.

und was die FAZ hier vertritt ist quasi das siebte Argument in Reinform, denn schließlich geht es ja um Kinder:

„Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss man sich Gedanken darüber machen, was das Neue in den Köpfen von Kindern, Jugendlichen, Frauen, der Unterschicht und anderen leicht zu beeindruckenden Mitbürgern anrichtet. „Schwächere als ich können damit nicht umgehen!“, lautet Argument sieben.“

Kombiniert wird dies durch die Instanz von Manfred Spitzer mit dem neunten Argument:

„Hat die neue Technik mit Denken, Schreiben oder Lesen zu tun, dann verändert sie ganz sicher unsere Denk-, Schreib- und Lesetechniken zum Schlechteren.“

Ich möchte euch nicht verschweigen, dass Passig ihre Position später selbst kritisiert hat:

„Bitte denken Sie also beim nächsten Teil meines Vortrags daran, dass alles, was ich sage, falsch ist.“

Und diesen kritischen Standpunkten Standardsituationen des Technikoptimismus entgegengesetzt hat. Denenzufolge bringen neue Techniken:

  1. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, garantierte Redefreiheit
  2. Weltfrieden
  3. Lernen wird ganz einfach
  4. Ende der Knappheit
  5. Ende des Verbrechens
  6. Überwindung des Todes

Ich finde es zwar schön, dass Kathrin Passig  ihre Position durch falsche optimistische Prognosen ergänzte, dennoch finde ich, dass sie mit sich selbst zu hart ins Gericht geht, wenn sie sagt, ihre Auffassung war falsch, dass bestimmte Kritiken immer wiederkehren, sondern dass es eben nur diese sind, die uns überliefert wurden. Denn wichtig ist ja auch die Frage, warum sie uns überliefert wurden. Und ich denke nicht, dass dies immer nur aus Spott gegenüber konservativen Positionen geschah, sondern auch, weil Kulturpessimismus für viele Menschen schlichtweg attraktiv ist. Schließlich wissen wir alle, dass früher alles besser war. Und besonders dann ist dieses Gefühl für uns attraktiv, wenn sich gerade große Umwälzungen ereignen wie beispielsweise ein Medienwandel. Einen solchen Medienwandel erleben wir gerade mit der Digitalisierung, aber schon in den fast 2500 Jahre alten Texten von Platon lassen sich Passigs Argumente finden, und zwar gegen die Technik des Schreibens:

„Dieses Mißliche nämlich, o Phaidros, hat doch die Schrift, und sie ist darin der Malerei gleich. Denn die Erzeugnisse auch dieser stehen wie lebendig da; wenn du sie aber etwas fragst, schweigen sie sehr vornehm.“

Zu Platons Zeit war die Alphabetschrift quasi der neue heiße Scheiß. Gewissermaßen „gerade erst erfunden“, und mit ihr die erste gewissermaßen vollständig demokratische Schrift*. Ein Schriftsystem, das so einfach zu lernen war, dass es nicht mehr bloß Eliten, sondern breiten Massen zur Verfügung stand.

Das führte in Platon zu einer entsprechenden pessimistischen Haltung die er im Dialog Phaidros und im berühmten siebten Brief festgehalten hat. Er kritisierte an der Schrift folgende Punkte:

  1. Schrift schwäche das Gedächtnis
  2. Schrift sei zur Vermittlung von Wissen ungeeignet, da die Schüler keine Rückfragen stellen könnten
  3. Der Leser bilde sich ein, etwas begriffen zu haben, ohne dass er es wirklich verstanden hat (weil er es nicht im Dialog erlernte, wo ihn der Lehrer ermahnen könne)
  4. Schreiben sei nur ein mangelhaftes Abbild des Redens
  5. Text könne sich nicht gegen unberechtigte Kritik zur Wehr setzen
  6. Text könne nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Leser eingehen

Wieder sind es die Argumente sieben und neun von Passig, die sich hier herauslesen lassen. Wie später noch so oft, etwa gegenwärtig von Spitzer, hat Platon damals wirklich existierende Schwächen des Mediums schamlos übertrieben und verallgemeinert, zugleich aber die positiven Seiten unter den Tisch fallen lassen. Denn natürlich kann (oder in Zeiten von Textmessagern besser: konnte) man mit der Schrift in keinen Dialog treten. Aber dafür können wir aufgrund von Platons performativen Widerspruch (Ein Widerspruch der dadurch entstand, dass er seine Schriftkritik aufschrieb!) noch heute Platons Kritik lesen. Denn die Schrift bietet gegenüber dem gesprochenen Wort den großen Vorteil, beständig, persistent, zu sein, während das gesprochene Wort sich ephemer wie ein FAZ-Artikel von gestern verhält und kaum ist es geäußert, auch schon wieder verschwunden ist…

Das verschwundene Medium

„Was aber wäre, wenn die digitale Kopie die Idee des Datenträgers obsolet gemacht hätte?“

Dirk von Gehlen: Das Ende des Datenträgers.

DvG setzt sich in einem sehr kurzen, knackigen Blogpost mit einem Zitat von Gabor Steingart auseinander. Steingart sagt unter anderem, dass das Medium für den Journalisten und die Journalistin egal sei, einzig der Inhalt zähle. Dirk von Gehlen führt aus, dass diese Idee zu kurz greift, weil, wie ich es hier schon mal im Anschluss an Sybille Krämer schrieb, am Inhalt, „die Spur des Mediums“ haftet.

Dabei geht von Gehlen meines Erachtens aber einen Schritt zu weit, wenn er sagt, dass die Idee des Datenträgers obsolet geworden ist. Denn wir sollten den Datenträger nicht aus dem Blick verlieren, da wir schon das Glück haben, dass er uns einmal in diesen hineingeraten ist. Ich verstehe, was DvG sagen will, aber wir sollten nicht vergessen, dass hinter den „fließenden Inhalten“ noch immer ein Datenträger wie ein Flussbett steht.

Denn, wenn wir das vergessen, wachen wir vielleicht eines Tages auf, und merken, dass wir nicht über die Welt sprechen, oder über unsere Gedanken, sondern über unsere Sprache. Oder wir merken, dass wir eigentlich gar keine Sprachwissenschaft betreiben, sondern in Wirklichkeit Schriftwissenschaft*.

 

*Hinterhältiger Affili-Link: Kauft ihr das Buch, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich