Der Akkordeonspieler am Dornbusch

Nördlich der Innenstadt von Frankfurt liegt der Stadtteil Dornbusch. Obwohl er einen biblischen Namen hat, ist dieser etymologisch wohl eher auf das ehemals ortsansäßige Gewächs zurückzuführen. Den Frankfurtern ist der Dornbusch fast ausschließlich ein Begriff, „desterwegen, weil da der HR is“. Manche kennen vielleicht noch den Sinaiipark mit seinem naturbelassenem Dickicht, aber das war es dann schon, was hier irgendwie erwähnenswert wäre.

Am Dornbusch
Typische Kachelästhetik mit Kindergartenkunst am Dornbusch. Lizenz: CC0.

Fast, denn der Frankfurter Dornbusch hat eine U-Bahn-Station, die sich auf den ersten Blick kaum von vielen anderen U-Bahn-Stationen dieser schönen Stadt unterscheidet. Obwohl die U-Bahn in diesem, wie in vielen anderen Teilen Frankfurts unsinnigerweise oberirdisch verläuft, mithin also eher eine O-Bahn ist, muss jeder, der die stählerne Raupe verlassen will, durch eine Unterführung. Denn die Schienen liegen inmitten der vierspurigen Eschersheimer Landstraße, die den Stadtteil von Süd nach Nord durchschneidet wie Aragorn die Kehle eines Orks.

Die Unterführung weist eine triste Kachelästhetik auf. Irgendwann in den 60ern oder 70ern kam wohl irgendein Frankfurter Beamter  auf die glorreiche Idee, dass sich U-Bahnhöfe viel leichter reinigen lassen, wenn man sie komplett kachelt. Dass das ganze dann wirkt, als befände man sich in der Pathologie mithin Drunkene noch dazu animiert, ihr Innerstes nach Außen zu kehren, kam ihm offensichtlich nicht in den Sinn. Die Kacheln am Dornbusch sind noch „aufgehübscht“ durch eine Art Kindergartenkunst, mit der wahrscheinlich irgendjemand mal sehr viel Geld verdient hat. Am nördlichen Ende der Passage weist noch ein Überlebensgroßes Foto darauf hin, dass Anne Frank am Dornbusch geboren wurde.

So weit, so trostlos. Und doch hat der Dornbusch etwas besonderes. Etwas, das ihn einzigartig macht unter all den U-Bahnhöfen dieser Stadt. Wenn man die Unterführung durchschreitet, hört man unweigerlich und zu jeder Tages- und Nachtzeit „I’m sailing“ oder „Let it be“ durch den Tunnel schallen. In den verzerrten Harmonien eines Akkordeons. Das Akkodeon an sich ist für mich das minderwertigste aller Instrumente. Es ist schlichtweg nicht möglich, irgendetwas irgendwie auf dem Akkordeon zu spielen, sodass es sich gut anhört. Das Akkordeon ist quasi der Dieter Bohlen unter den Musikinstrumenten und Akkordeonspieler stehen in der Rangliste der Straßenkünstler nur knapp über den Pantomimen, was bedeutet, dass sie uns eigentlich Geld zahlen müssten dafür, dass sie uns ungefragt die Ohren bluten lassen.

Am Dornbusch aber ist das anders. Nicht das Akkordeonspiel. Gott bewahre! Die von Pfadfindergruppen und Mittelstufenmusikunterricht schon lange zur Volkstümelei verstümmelten Popstückchen zwischen den Beatles und Bob Dylan schallen derart schräg durch die Unterführung, dass sogar noch das gestrige Essen in deinen Innereien wieder zu grummeln beginnt. Aber es ist der Spieler, der den Unterschied macht…

Es ist ein langer, gerader Tunnel unterm Dornbusch und betrittst du ihn, so erblickt dich der Akkordeonspieler und er blickt dir direkt in die Augen. Er nimmt dich mit seinen Augen gefangen. Und lächelt. Er lächelt, als stünde er nur zum Lächeln dort unten. Er lächelt dich an, als wärest du sein alter Freund, der endlich nach viel zu langer Reise zurückgekehrt ist: „Da bist du ja. Wie ist es dir ergangen? Schön dich zu sehen…“ Ich kann nicht am Akkordeonspieler am Dornbusch vorbeigehen, ohne ihm ein paar Münzen in seinen Instrumentenkoffer zu werfen. Aber auch all den hektischen Pendlern, die keine Zeit haben oder die einfach nur vor Scham ob der zutage liegenden Vermögensunterschiede das Haupt gesenkt halten, schenkt er dieses Lächeln, wenn sie nur kurz – ganz verstohlen – aufblicken: Hallo, wie geht’s dir? Schön dich zu sehen…

Im Englischen gibt es einen schönen Ausdruck, der sich nicht verlustfrei übersetzen lässt: Der Akkordeonspieler am Dornbusch made my day. Jedesmal.

Ich bin raus.

„Da, ein dreiköpfiger Affe!“

Dass du alt wirst, merkst du daran, dass deine Wegbegleiter wegsterben, heißt es. Stimmt schon, was mich aber wundert, ist 1. dass das so früh schon losgeht und 2. dass die ersten Opfer der Popkultur entstammen.
Nachdem ich hier vor einigen Wochen bereits das Requiem auf die Kassette geschrieben habe, folgte nun eine weitere Koryphäe meiner Kindheit: Disney hat angekündigt, Lucas Arts dichtzumachen. Mit anderen Worten: Guybrush Threepwood, der mächtige Pirat wird sich wohl nie wieder versuchen, in ein Gebäude einzuschleichen mit der Begründung: „Ich verkaufe diese feinen Lederjacken“ und er wird nie wieder versuchen, seinen Antagonisten abzulenken mit: „Da, ein dreiköpfiger Affe!“

Guybrush Threepwood war der Held meiner ersten Schritte ins Computerspieleuniversum. Seines Zeichens der Protagonist der legendären Computerspielreihe „Monkey Island“, die mittlerweile fünf Teile zählt (Remakes und Special Editions nicht mitgezählt). Ich habe die Teile 1 bis 3 durchgespielt, den missratenen 3D-Versuch Monkey Island 4 aber abgebrochen und der fünfte Teil der Reihe ging dann ganz an mir vorbei. Man wird halt älter.

Ursprünglich getroffen hat mich Armors Pfeil mit Monkey Island 2: LeChucks Revenge. Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, aber ich war mit meinen Eltern und zusammen mit Herrn Dürüm irgendwo im tiefsten Bayern bei Freunden meiner Eltern. Und dort spielte der pubertierende Sohn jener Freunde gerade den zweiten Teil des Epos‘ um den jungen Guybrush, der so gerne ein mächtiger Pirat wäre und sich im dauerhaften Widerstreit mit LeChuck befand. Ich war sofort verliebt in ihn – Guybrush, nicht den pubertierenden Sohn der Freunde meiner Eltern! – und ich halte die Reihe noch immer für eine der intelligentesten in Sachen Story Telling, die die erzählerisch sonst allzu oft maulfaule Computerspielwelt hervorgebracht hat.

Aber, eine Sache ist noch viel wichtiger, denn sie blieb mir im Geist haften, auch nachdem die groben Pixel mit 32 Farben schon längst vor meinen Augen verblasst waren: Mr. Threepwood hat sich in mein Phrasengedächtnis eingegraben neben so vielen anderen Vertretern der Popkultur. Wann immer mich die Frage trifft: „Was machst denn du hier?“, kann ich nicht anders als zu antworten: „Ich verkaufe diese feinen Lederjacken“. Wenn meine Tochter ein Eis ist und ich nicht naschen darf, bringe ich jedes Mal das klassische Ablenkungsmanöver: „Da, ein dreiköpfiger Affe!“ und lange genug hat das tatsächlich funktioniert. Mit mittlerweile fünf Jahren beginnt sie leider an der Existenz dieses Dreiköpfers zu Zweifeln, der immer nur auftaucht, wenn sie gerade nicht hinblickt.

Mögest du in Frieden ruhen, Guybrush. Und sei dir eines gewiss: in mein Walhalla der Popkultur hast du es geschafft, der dreiköpfige Affe, der mächtige Pirat und die schönen Lederjacken stehen direkt neben all den großen und kleinen anderen Zitaten, die sich in mein Gedächtnis gefressen haben. Sei es: „Möge die Macht mit dir sein“, „Ich habe ihm ein Angebot gemacht, dass er nicht ablehnen kann“ oder „Ich habe das Gefühl, wir sind gar nicht mehr in Kansas, Toto“.

Es ist schon bemerkenswert, wie die Popkultur mein Gedächtnis okkupiert hat und dies noch fortwährend tut. Wann immer mir jemand Curry anbietet, kann ich nicht anders, als mit Alf zu entgegnen: „Curry ist gut, da wachsen dir die Haare in den Ohren.“, immer wenn mich jemand „und warum?“ fragt, antworte ich unheilig: „nur für den Kick für den Augenblick“. Wenn ich eine Arbeit erfolgreich vollbracht habe, folgt obligatorisch: „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert“. Auf die Plattitüde meines Gesprächspartners: „Nichts ist unmöglich“, plärre ich unvermeidlich: „Toyota!“

Und während Guybrush Threepwood in meinem Kopf mit dem dreiköpfigen Affen immer noch Paris bleibt, fährt Harry für den, dessen Name nicht genannt werden darf, schon einmal den Wagen vor, während die Telefonlawine in Rocky Beach kein anderes Ergebnis erbrachte, als, dass Karl, der Computer ein Berliner ist. Ich will so bleiben wie ich bin und darf es auch, denn nicht alle Tränen sind von übel und manche die sterben, verdienen zu leben, kannst du es ihnen geben? Nein? You say „good bye, and I say hello!“

42.

Ich bin raus.

Ein Buch auf Reisen…

Ich habe – um hier mal ein bisschen Platz zu schaffen – zum ersten Mal ein Buch mit Bookcrossing.com auf Reisen geschickt. Ich bin gespannt, was daraus wird.

Es war Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel

Nicht gerade mein Liebligsbuch, manchmal etwas langatmig, aber für jeden, der Verschwörungstheroien mag, durchaus spannend…

Mehr Infos gibt es bei Bookcrossing.

Quer durch – mein Roadtrip

Da ich gerade einfach keine Zeit finde zum Schreiben, habe ich mal wieder einen alten Text von mir herausgekramt. Den habe ich einst für einen Wettbewerb geschrieben. Ich habe nicht gewonnen oder bin auch nur irgendwie in die engere Wahl gekommen. Dass er aber trotzdem eines der besten Stücke ist, die ich je geschrieben habe, sagt wohl viel über mein Talent aus, was?

Der Text stammt von 2003, was meine Einwürfe zum Einwegpfand, zu den Staatsfinanzen und zur „Verschandelung der Landschaft“ verständlicher macht. Viel Spaß…

Quer durch

Wenn du mit vier wildfremden Menschen in einem viel zu kleinen Toyota mit Stufenheck einmal quer durch die Republik fährst, stellen sich dir eine Reihe merkwürdiger Fragen: Wer bist du? Woher kommst du? Wie bist du hierher gekommen? Und warum, zum Geier, musst ausgerechnet du hinten in der Mitte sitzen?

Beim Autofahren aus dem Fenster blicken
Der Blick nach vorne

Ich hatte 14 Tage in der Hauptstadt verbracht, in jener einzigen Metropole dieser Republik. Doch irgendwann muss jeder mal den Gang nach Canossa oder vielmehr zurück in die Provinz antreten. Jetzt befand ich mich also auf dem Rückweg in die westlichste Stadt des Landes.

Wie an jedemTag in den letzten zwei Wochen bin ich auch an jenem Sonntag bereits breit und eine wohl kultivierte Abschiedsmelancholie macht sich in mir breit, als ich die S-Bahn Richtung Ostbahnhof betrete. Wir reden kaum und wenn, dann meist belanglosen Quatsch. Alles in allem benehmen wir uns wie von Grönemeyer klischeetisierte Männer: Emotionen unterdrücken, vernebeln, ausblenden. Am Ostbahnhof schleppe ich meine viel zu schwere Tasche zum Taxistand.

Zehn Minuten müssen wir warten, bis meine Mitfahrgelegenheit.de sich zu erkennen gibt. Den ganzen Weg hierher hatte ich gehofft, dass noch jemand mitfährt. Diese Hoffnung sollte sich bald in Ihr Gegenteil verkehren. Dann tritt er auf den Plan: Seinen Namen habe ich im Gegenteil zu seiner E-Mail-Adresse (Toyotafan1984@hastenichgesehn.de) bereits wieder vergessen, na ja, macht nichts, sowieso nur ein „portionierter Freund“. Er ist ganz in schwarz gekleidet, mit seifenblasig verspiegelter Radfahrerbrille und auf dem Kopf trägt er einen gescheiterter Blondierversuch. Möglicherweise ist das typische Orange sogar gewollt.

Seine erste Frage: „Redest du viel?“

Freut mich auch ihn kennen zu lernen: „Kommt drauf an, warum?“

Er könne schließlich nicht Zeitunglesen während der Fahrt. Das Grinsen in den Gesichtern meiner Freunde, die mindestens genauso breit wie ich sind, wächst zusehends. Als wir zum Auto kommen, stehen dort zwei andere Mitfahrer, beides Zecken, gut. Ich lade meine Tasche ins Auto und unternehme noch einen letzten verzweifelten Versuch an mein Buch zu kommen. Doch unter dem skeptischen Blick des offensiv kommunikativen Fahrer muss ich einsehen, dass ich nur noch an das nicht mehr ganz so gelbe Reclambüchlein komme. Statt französischer Gesellschaftskritik soll ich mich nun mit Sprachhandlungen abspeisen lassen… Nun gut.

Nun warten wir noch auf den vierten (!) Mitfahrer und meine Freunde verabschieden sich. Der Fahrer verlangt noch vor erbrachter Leistung, bezahlt zu werden.

Auf: „Wollen wir jetzt das mit dem Geld machen?!“

Entgegne ich noch mal: „waren das 22 Euro?“

Es sind noch immer 22, trotz vier Mitfahrern in einem viel zu kleinen Wagen. Dann kommt der vierte Mitfahrer, der sich als Mitfahrerin entpuppt. Eine kleine, durchaus attraktive Mitfahrerin mit dunklem Teint und kurzen schwarzen Locken.

Als gerade die Rangelei um die besten Plätze (hinten) losgehen soll, erweise ich mich als Spielverderber indem ich, nur halbherzig mit „zu wenig Schlaf“ rechtfertigend, mich hinten (immerhin) in der Mitte niederlasse. Die vergiftete Antwort: „Wir haben alle wenig geschlafen!“ ignoriere ich und schließlich wird Mitfahrerin Fünf nach vorne geschoben, trotz verhaltener Proteste. Sie darf nun den Fahrer wach halten, aber nichts zu essen mehr einkaufen. Der Fahrer will das „unterwegs“ machen. Die kleine weibliche Zecke, die typisch rheinisch redet, aber – wie ich später erfahre – ursprünglich aus Bayern kommt, versteht meinen Vermittlungsversuch nicht und alle quetschen sich zur gleichen Tür rein wie ich. Ich muss durchrutschen und die Wahlkölnerin mittig sitzen. Pech für sie.

Die Sonne steht schon tief, der Sommer ist vorbei, als wir den Weg nach Westen einschlagen. Pflichtbewusst erkunde ich mich smalltalktechnisch, ob mit vielen Staus zu rechnen ist. Die Antworten widersprechen sich, aber alle sind sich ganz sicher bei der ihren, denn sie fahren ja öfter um diese Zeit diese Strecke. Als ich dann, während wir noch durch die Hauptstadt kurven, die sich im weichen Altweiber-Sonnenlicht von ihrer schönsten Seite zeigt, die angestoßene Konversation über Verkehrsregularitäten vertiefen möchte und noch mal nachfrage, wo denn mit Staus zu rechnen ist, mich dabei noch dahingehend oute, dass ich nicht einmal weiß, dass wir nicht durch Dortmund fahren sondern daran vorbei und die Antwort des Fahrers nicht nur vorhersehbar, sondern auch Wortkarg ausfällt, betrachte ich meine kommunikative Pflicht als erledigt. Ich lehne mich zurück, schließe meine Augen so weit, dass das Sonnenlicht durch meine Wimpern in seine Spektralfarben zerlegt wird und chille. Die anderen sollen durchaus den Eindruck haben, ich schlafe. Um meine Absichten schließlich unmissverständlich mitzuteilen, verschränke ich noch demonstrativ meine Arme vor der Brust und vermeide Blickkontakt. Man kann schließlich nicht nicht kommunizieren.

Die Stadtautobahn ist nach einer Dreiviertelstunde erreicht. Der Fahrer hat seine Beifahrerin schon konservatorisch gefangen genommen mit der obligatorischen Frage: „Und was machst du so in…“ Sie arbeite in der Medienstadt aber als Sozialpädagogin in Krisenfamilien. Kurze Inhaltsangabe ihres Berufsalltag folgt genau wie das ebenso obligatorische: „Und Du?“.

Er arbeitet bei Toyota in der Fertigung von Motoren für Formel-1-Boliden. Als was, sagt er nicht, nur dass er Mathematik studiert habe, was man ihm – mit Verlaub – nicht ansieht. Da bin ich oberflächlich, sicher. Wir nähern uns unaufhaltsam Magdeburg, die Börde langweilt mich: flaches Land, soweit das Auge reicht. Ich freue mich schon auf Westfalen. Konstant auf der linken Spur fahrend spricht der Mathematiker fasziniert von der „akribischen Arbeit“, den „immensen Kosten“ und dem „ungeheuren Zeitaufwand“. Ich stehe vor der schwierigen Entscheidung ob ich mal einen Blick auf den Tacho werfen soll oder nicht. Der Nachteil: ich müsste meine Defensivhaltung aufgeben. Die mittige Wahlkölnerin ist eingeschlafen. Sie ist ein wenig stämmig, nicht dick, aber hat sich für die Linksneigung entschieden. Das bedeutet, dass sie ihr Gewicht immer so lange auf mir lasten lässt, bis ihr Kopf nach vorne kippt und sie zuckend wieder Haltung annimmt. Mein rechtes Bein schwitz, da es mangels Platz gegen das ihre gepresst ist.

Der unsichtbare Dritte macht sich unleserliche Notizen in ein abgegriffenes Heft. Ansonsten ist er still, mischt sich nicht ins Gespräch zwischen dem links fahrenden Mathematiker und der kleinen Pädagogin, das mittlerweile ein echter Dialog geworden ist. Nachdem der linksfahrende Mathematiker erzählt hatte, dass es ihn eigentlich nach Japan gezogen habe, aber da nichts zu machen sei und man als Europäer in dem Land sowieso keine Chance hat, stieß die Pädagogin ein Gespräch über die japanische Kultur an. Jetzt exemplifiziert sie anhand der Asiaten, mit denen sie während des Studiums zusammen gewohnt habe, die arrogante Verschlossenheit in deren Kultur. Der links fahrende Mathematiker meint sich da besser auszukennen und ermahnt sie, nicht alle Asiaten in einen Topf zu werfen (womit er sicher recht hat). Chinesen seien Europäern gegenüber mehr aufgeschlossen als Japaner(n). Die seinem Idiom zu verdankende Doppeldeutigkeit löst er nicht auf und ich frage nicht nach. Die Pädagogin geht ein bisschen in Deckung mit dem Einwand: „Ich kann nur aus meinen eigenen Erfahrungen schließen. Und das sind die Erfahrungen die ich gemacht habe.“ Super: eine Vollblut-Empiristin.

Die Art und Weise, wie sie das sagt, lässt darauf schließen, dass die kleine Pädagogin den Satz oft bringt, wahrscheinlich beruflich. Jetzt agitiert der links fahrende Mathematiker zaghaft gegen Türken, denen er nicht die Fähigkeit einräumt, sich in die Deutsche Gesellschaft eingliedern zu können. Doch die kleine Pädagogin mit dunklem Teint gibt sich als Türkin zu erkennen und die beiden scheinen sich stillschweigend auf Unentschieden zu einigen.

Während wir uns Hannover nähern, nutzt die mittige Wahlkölnerin die eingetretene Stille um sich beim rechtssitzenden unsichtbaren Dritten über ihr verschwitztes linkes Bein zu beschweren, das dauerhaften Kontakt mit dem meinen hat. Er beschwichtigt, dafür könne keiner von uns was. Sehe ich ähnlich, würde allerdings noch anhängen: „Außer dem Fahrer!“.

Die Wahlkölnerin verlangt nun nach einer Pinkelpause, doch der Mathematiker vertröstet sie, während er konstant links fährt: „Ich will erst an Hannover vorbei! Noch ’ne halbe Stunde.“ Die Zeit bis zur ersten und letzten Rast nutzt die Pädagogin um über Verdienst, im Sinne von Einkommen und Verdienst, im Sinne von Wertschätzung zu sinnieren. Ihrer Meinung nach korreliert beides und ihr geringes Einkommen führt sie auf mangelnden Respekt des Staates gegenüber ihrer Kaste zurück. Vielleicht hat sie da recht, vielleicht auch nicht, schließlich ist der Staat pleite…

Als wir auf den Rasthof abbiegen, steht die Sonne bereits dicht über dem Horizont. Die Wirkung der Droge ist nur noch eine schwache Ahnung und meine Synapsen schreien nach Nikotin, während mein Mund vor Trockenheit schmerzt. Also erst mal rein in die Raststätte, doch die verschiedenen Erfrischungsgetränke sind allesamt mit Einwegpfand beladen, den ich nie wieder sehen würde. Ich entscheide mich schließlich für Kakao ohne Pfand. Die Flasche unter den Arm geklemmt, verlasse ich Zigarette drehend die Raststätte und überlege, ob das im Netz annoncierte „Nichtraucher“ sich lediglich auf den Konsum im Wagen bezog, oder ob ich mich durch meine Sucht zur Weiterfahrt disqualifiziere. Doch als ich zum Wagen komme, steht dort der unsichtbare Dritte und raucht ebenfalls das Kraut. Die Pädagogin erfährt auf Nachfrage, dass der stille Raucher ebenfalls Pädagoge ist: in der Erwachsenenbildung. Sie nutzt diesen glücklichen Zufall um noch einmal die Diskussion ums Gehalt anzuschneiden. Die Wahlkölnerin kommt und raucht ebenfalls. Als der Fahrer kommt, freut er sich kurz über die Strecke die wir bereits hinter uns haben und will gleich „das nächste Stück in Angriff nehmen“.

Die Sitzplatzdiskussion beginnt erneut, jedoch in Variation: Jetzt wollen beide Frauen vorne sitzen. Die energischere Wahlkölnerin setzt sich durch und ich mich auf Bitten der Pädagogin in die Mitte. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, das letzte Tageslicht zu nutzen und doch noch zu lesen, entscheide mich aber dagegen. Die Pädagogin sitzt jetzt links von mir und erkundigt sich nach meiner Lektüre. Ich schmeiße ihr ein paar Brocken hin und sie bestätigt mir, dass es sie nicht wirklich interessiert. Im Gegensatz zum Fahrer, der zwar konstant links, aber wie ich jetzt sehen kann, nur 140 fährt. Das hat auch zur Folge, dass im Laufe des Abends hinter uns der ein oder andere Porsche oder Mercedes die Lichthupe betätigt oder schlicht rechts überholt.
Der Fahrer meint noch, nachdem er sich über die Sprechakttheorie erkundigt und mein Studienfach erfragt hat, was ich denn damit machen will…

…Nein, welch’ kreative Frage, hab ich ja noch nie gehört…

Ich spiele kurz mit dem Gedanken, meine Standardantwort auf die Standardfrage zu geben: „Ist doch klar – ich werde UN-Generalsekretär!“ Doch eine kurze, erneute Musterung sagt mir, dass er das missverstehen könnte – also ernst nehmen. Und ich versuche ja noch immer, mich bei sämtlichen Dialogen wie Sokrates’ Gesprächspartner bei Platon zu verhalten. Also antworte ich wahrheitsgemäß: „Schreiben.“ Da wir unterwegs in die Medienstadt sind, ist fast garantiert, dass eine solche Antwort unkommentiert bleibt – bleibt sie auch. Danke.

Endlich Westfalen! Gerade noch rechtzeitig fahren wir durch die Pforte. Die Sonne küsst bereits die Rücken, Grate und Hänge des Hügellandes. Jetzt ist es nicht mehr weit in den Pott. Nachts fährt es sich gut von Dortmund zur Medienstadt – wenn links und rechts große Lichterseen kommen und gehen.

Und bin ich erst mal dort, in der Medienstadt, dann muss ich nur noch eine Stunde Zug fahren. Allein, in Ruhe durchs Rheinland, wieder flach so weit das Auge reicht, aber es reicht ja – Gott sei dank – nicht weit in der Nacht. Der letzte Höhepunkt wird dann jener überdimensionale Schaufelbagger, der sich im Flutlicht durch die Landschaft gräbt. Bald darauf, kurz vor dem Ziel, kommen dann noch ein paar Windräder: so viel zur Verschandelung der Landschaft. Aber das ist eine andere Geschichte…

 

Ich bin raus.

Der Kater

Meine Tochter (5) bat mich, mal was über den Kater in dieses Internet zu schreiben. Also tue ich ihr doch diesen Gefallen und liefere hier mal etwas von dem berühmt-berüchtigten Cat-Content.

Beute gemacht. Foto von Daniel Brockmeier. Lizenz: CC0.
Beute gemacht. Foto von Daniel Brockmeier. Lizenz: CC0.

Gewiss, das ist leichter gesagt als getan. Denn um der Wahrheit die Ehre zu geben: der Kater ist unglaublich langweilig. Er ist weder ein süßes kleines Kätzchen noch in irgendeinem Sinne eine Lolcat.

Laut der Papiere aus dem Tierheim soll er jetzt neun Jahre alt sein. Meine Schwester, ihres Zeichens Tierärztin, schätzt ihn hingegen auf mindestens 25 3/4. Das Bemerkenswerteste am Kater ist wahrscheinlich seine Bodenhaftung. Als er 2010 zu uns kam, baute die Dame ihm eine fantastische Kletterwelt. Diese bestückten wir mit Leckerlis, damit er auch initiales Interesse zeigen würde. Er tat dies nicht. Er schaute den Kletterbaum nicht mit dem Arsch an. Genausowenig interessiert ihn irgendein Möbelstück unserer Wohnung außer Bett und Sofa.

Ich habe vor dem Kater schon vier Katzen besessen (nicht gleichzeitig zum Glück) und jede sprang wenigstens gelegentlich mal irgendwo drauf, um zu checken, was da so zu sehen ist. Der Kater nicht. Er steht, er geht, er sitzt (im Winter vorzugsweise mit dem Gesicht direkt vor dem Heizkörper) hauptsächlich liegt er, aber wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, springt er nicht. Sogar die dicke Katze meiner Eltern, die im Winter nicht vier Pfotenspuren im Schnee hinterließ sondern die Schleifspur ihres Bauches, sprang von Zeit zu Zeit auf ein Möbelstück, etwa um die Butter oder das Spanferkel zu fressen. Der Kater nicht. Nie.

Das Leben des Katers ist hauptsächlich geprägt durch schlafen. Und er schnarcht. Er schnarcht so laut, dass ich den Fernseher lauter stellen muss, um Dialoge zu verstehen. Allerdings hat er eine geheime Superkraft. Der Kater kann laut schnarchend auf dem Sofa im Wohnzimmer liegen, wenn ich die Küche betrete, wird er automatisch neben seinen Futternapf gebeamt und fängt an zu plärren. Und das ist die einzig wahre Bezeichnung dafür. Der Kater macht nicht „Miau“, nicht „Mauz“ sondern „Pläääääääär!“. Dieses Verhalten: Herrchen betritt die Küche, Kater muss also um Fressen betteln, hat er so verinnerlicht, dass er gelegentlich sogar plärrt, obwohl sein Napf gefüllt ist.

Manchmal, aber nur ganz manchmal packt ihn morgens um fünf – und dies kann ausschließlich morgens um fünf passieren – der Rappel, die Erinnerung an eine lang vergangene Jugend, und er fängt an 13,5 Minuten lang durch die Wohnung zu sprinten und dabei zu grölen, als wäre er ein Hells Angel der die Route 66 befährt. Anschließend legt er sich wieder zu uns in Bett und schnarcht. Bis mein Wecker klingelt und ich die Küche betrete…

In Memoriam: Die Kassette

Am 07.12.12 ging über Twitter, dass Sony die Produktion von Kassettenspielern einstellt. Ich weiß nicht, ob Sony der letzte Produzent der Magnetbandabspielgeräte war, aber als Manufaktur des legendären Walkmans löste diese Nachricht natürlich einen allgemeinen Abgesang aus, dem ich mich hier anschließen möchte.

 

Sony Walkman: It's Alive!. Bild von Mike Licht, NotionsCapital.com. Lizenz: CC BY 2.0.
Sony Walkman: It’s Alive!. Bild von Mike Licht, NotionsCapital.com. Lizenz: CC BY 2.0.

 

Die Kassette trat im Oktober des Jahres 1991 in mein Leben. Nun, das ist natürlich nicht ganz richtig, meine Kindheit war geprägt von unzähligen TKKG-, „Drei Fragezeichen“- und Alf-Bändern. Aber in ihrer eigentlichen Bestimmungsform ließ die Kassette mich bis ins Jahr 1991 unbehelligt: dem Mixtape.

 

Dann trat sie aber um so krachender, nachhaltiger und prägender auf. Ich kann mich an das Datum noch so gut erinnern, da ich diese meine erste Kassette noch irgendwo hier habe, wenn ich sie auch nicht finden kann. Es ist der ‚Jaakko Mix 91‘. Die Mutter meines Schulfreundes hatte sich die Mühe gemacht, den eingeladenen Kindern als Abschiedsgeschenk nicht länger Gummibärchen, Luftballons oder billiges Plastikspielzeug mitzugeben, sondern eben ein Mixtape. Noch heute verbeuge ich mich im Respekt, wenn ich bedenke, dass sie das gleiche Tape erst zusammenstellen und dann noch ca. 10 Mal überspielen musste. Denn, liebe Postmagnetbandgeneration, ‚copy & paste‘ war nicht möglich bei der guten alten Kassette. Stattdessen musste man mit chirurgischer Präzision die Klaviatur der oftmals schwer zu drückenden Tasten ‚Play‘, ‚Record‘ und ‚Pause‘ beherrschen und dann live dabei sein, während das Band seine 30-45 Minuten Seitenlänge abspielte.

 

 

Ich war 1991 recht spät dran, viele meiner Freunde hatten sich schon 1989 auf dem ‚Wind of Change‘ tragen lassen und zwar in Richtung David Hasselhoff. ‚Looking for Freedom‘, ‚Crazy for you‘ und ‚Limbo Dance‘ waren die Hymnen unserer Präpubertät, immer wieder durchsetzt von den größten Klassikern der EAV. Nur war mein Elternhaus der klassischen Musik verfallen, sodass bei uns andächtig der ‚Zauberflöte‘ gelauscht wurde und nur aus dem Zimmer meines Bruders Depeche Mode drang, wozu ich aber bis heute noch keinen Zugang gefunden habe.

 

Der ‚Jaakko Mix 1991‘ jedenfalls glänzte durch Hammerhits von Dr. Alban, Seal und Roxette, um nur einige zu nennen. Ach, Roxette… Roxette hatte neben Bon Jovi und Brian Adams den größten Einfluss auf meine ersten Schritte ins Universum der Popmusik (Über schreckliche Euro-Dance-Vergehen zwischen ‚Mr. Vain‘ und ‚No Limit‘ breite ich hier den Mantel des Schweigens). So war auch die erste und – soweit ich mich erinnere – einzige Kassette, die ich mir je gekauft habe, von Roxette. Denn die Kassette war nicht zum kaufen geschaffen. Oder doch: man kaufte Leerkassetten um diese dann mit den Schätzen seiner Freunde zu füllen. Oder mit solchen aus dem Radio. Ach ja, das Radio: die Qual der Liveaufnahme. Drei bis fünf Minuten lang vor Angst schwitzen, ob denn der Moderator am Ende des Songs reinquatscht oder fast noch schlimmer: in ein anderes Lied überblendet. So war auch schnell klar, wo ich mich jeden Donnerstagabend einzufinden hatte: vor dem Apparat, wenn die hr3-Hitparade lief, der Garant dafür, dass Lieder ausgespielt und nicht vorzeitig unterbrochen wurden. Dort erfuhr ich, dass Meat Loaf alles für die Liebe tun würde außer „DAS“! – Was ich natürlich nicht verstand (Es geht da um Sex, oder?). Und dass Lauryn Hill von Worten sanft getötet wurde, während ihr Wycleff Jean noch dicke Beats unterschob.

 

Die Kassette hatte einen langen und langsamen Niedergang in meinem Leben. Zunächst sah alles prächtig für sie aus: der einfache Spieler wurde durch ein Doppelkassettendeck ersetzt, was die unsägliche Radioliveaunahme epochal vereinfache:. Erst die ganze Sendung aufnehmen und dann zurechtschneiden. Der Walkman – der echte(!) von Sony(!!) – fand seinen Weg zu mir und bescherte mir zahlreiche Wiedergaben von „Love is all around me“, mein Bruder zog aus und hinterließ mir seine Kassettensammlung sodass sich mein musikalischer Horizont über das Programm der Formatradios hinaus erweitern konnte. Schließlich kaufte ich mir vom Ersparten sogar einen Player, der Schnick Schnack beherrschte wie zum nächsten Lied vorspulen und Repeat-A-B. ‚Father and Son‘, ‚Sie ist weg‘ und ‚In The Ghetto‘ konnten so in Endlosschleifen laufen.

 

 

Doch der CD-Player machte auch vor mir nicht halt: Weihnachten 1993 schon bekam ich den ersten geschenkt zusammen mit einer David-Hasselhoff-CD, ach Elten, vier Jahre zu spät! „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“ (Kettcar). Ende der 90er kam dann noch die Minidisc hinzu. Mein Bruder hatte mich zwar gewarnt, dass sie sich nicht durchsetzen werde, aber ich konnte mich der Fusion aus Tape und CD nicht entziehen. Und ich bin noch heute der Meinung, dass sie hätte groß werden können, wenn das Janusköpfige Haus Sony nicht Elektronikkonzern und Musiklabel in einem gewesen wäre und als letzteres einen Kampf gegen die Windmühle der mp3 geführt hätte.

 

Einen kurzen zweiten Frühling erlebte die Kassette bei mir noch einmal um die Jahrtausendwende, als ich für mein erstes Auto ein gebrauchtes Kassettendeck erwarb und einbaute. Alte Tapes wurden mit neuen Stücken überspielt, zumeist mit deutschem Hip Hop zwischen Freundeskreis und den Beginnern. Ich weiß noch, wie sich eine Klassenkameradin kurz vor dem Abi meinen Wagen lieh und mir etwas verstört die Schlüssel wieder aushändigte, weil am Ende eines Tapes ein alter Track von Marc Oh wieder hervorgespäht hatte.

 

Doch dann kamen das Internet, das Studium, der Indie und die MP3 und es war aus mit dem Tape. Einmal bäumte sich die Kassette noch auf, als ich 2003 so sehr in die Breite gewachsen war, dass ich zu Joggen anfing und meinen alten Walkman wieder hervorkramte. Leider war es ein kurzes Vergnügen, der Gute ging in die ewigen Jagdgründe ein und ich musste im Elektronikmarkt feststellen, dass MP3-Player mittlerweile günstiger waren als ein neuer Walkman.

 


Nirvana — Smells Like Teen Spirit – MyVideo

 

Die Kassetten habe ich freilich aufgehoben aus reiner Nostalgie. 2006 habe ich auf dem Flohmarkt sogar noch einmal einen Kassettenplayer gekauft. Der steht jetzt im Zimmer meiner Tochter. Und wird nie benutzt. Aber irgendwann! Eines Tages hole ich die Kiste mit den Tapes noch einmal hervor und werde noch ein letztes Mal ‚Smells Like Teen Spirit‘ vom verrauschten Tape hören in unheiliger Kombination mit ‚November Rain‘ und gefolgt von ‚I can’t dance’…

 

Ich bin raus.

Bekenntnis eines Fans

Ich bin Fußballfan und habe nicht das geringste Problem mit schwulen Fußballern. Ich finde das muss mal gesagt werden. Am besten laut und in aller Öffentlichkeit. Aber da die Medien den Fan lieber als Untermenschen darstellen, tue ich es halt. Jetzt und hier.

„Fußballfans sind Menschen, was immer uns die Medien weismachen wollen, […] Die meißten Fußballfans [haben] kein Vorstrafenregister, tragen keine Messer, urinieren nicht in Taschen oder veranstalten sonst irgendwelche von den Dingen, die man ihnen immer nachsagt.“
Nick Hornby: Fever Pitch

Spätestens seit dem anonymen Interview eines schwulen Fußballers geistert das Thema durch die Medien. Dabei wird ein Mythos beschworen, dass der Fußball die letzte harte Männerbastion ist und die bösen Fans das Outing eines Fußballers nicht zulassen würden.

Meine These lautet: Fußballfans werden vorgeschoben als Alibi für eine gesellschaftlich viel weiter verbreitete Homophobie. Letzte Woche hörte ich 10 Minuten eines Interviews mit Lothar Matthäus, in dem dieser ernsthaft sagte, Schwule sollten lieber mit Fußball aufhören als sich zu outen, weil ‚die Fans‘!

Feiernde Fußballfans des Dynamo Dresden. Urheber: Ulrich Häßler. Lizenz: CC-BY-SA-3.0-DE.
Feiernde Fußballfans des Dynamo Dresden. Urheber: Ulrich Häßler.
Lizenz: CC-BY-SA-3.0-DE.

Es passt einfach wunderbar ins Bild des unterentwickelten Proll, der volltrunken im Stadion der Gewalt frönt. Verbal wie physisch. Ich war schon oft im Stadion. Und wisst ihr was? Ich habe mich noch nie bedroht gefühlt. Das Schlimmste an Fangewalt, was ich bisher erlebt habe, war, als in Aachen sich die Fans von meiner Eintracht durch die Alemannen provoziert fühlten und heftig am Zaun wackelten. Sicher gibt es intelligenteres Verhalten, aber in Anbetracht der Tatsache, dass Nazis zehn Jahre mordend durch dieses Land zogen oder auch ’nur‘, dass Frankfurter Polizisten einen Afrodeutschen krankenhausreif schlugen, ist das bisschen Zaunwackeln jetzt nicht unbedingt die Ausgeburt menschlicher Niedertracht.

Sicher, auch ich kenne die Medienberichte über brutale Fans. Aber setzt das mal in Relation: da passiert alle paar Monate mal was. Demgegenüber gehen aber jede Woche mehrere Millionen Menschen in deutsche Stadien. Frankfurt hat nur 600.000 Einwohner und hier passiert täglich mehr.

Eine Situation, die ich bei meinem letzten Waldstadionbesuch erlebte:
Fan 1 sprizt versehentlich Fan 2 am Imbiss Ketchup vom Spender direkt auf die Schuhe.
Fan 1: Oh Mann, das tut mir jetzt leid.
Fan 2: Das ist überhaupt kein Problem.
Fan 1: Nein, ernsthaft, soll ich dir nicht Kohle für die Reinigung geben?
Fan 2: Quatsch, ist doch halb so schlimm, schönes Spiel noch!

Entspricht irgendwie nicht dem Klischee, oder?

Rassismus findet in deutschen Stadien nicht statt

Ich will nicht sagen, dass es gar keine Rassisten unter den Fans gibt. Es gibt Rassisten in deutschen Stadien im gleichen Ausmaß wie in der Gesellschaft. Ich habe hirnlose Sprüche im Stadion nicht öfter oder seltener erlebt wie auf der Straße, in der Bahn oder der Kneipe. Aber in der Organisation der Fans spielt Rassismus keine nennenswerte Rolle. Mir ist nicht ein rassistischer Fangesang bekannt. Warum sollte das mit Homosexuellen Spielern anders sein?

In Stammesmanier werden zwar Bayern die Lederhosen ausgezogen und Bremer in eigenwillige Relationen zu Fisch gesetzt, aber ausländische Spieler werden nicht kollektiv verunglimpft. Ich habe so gut wie nie Kritik unter Fußballfans gehört, dass unsere Nationalmannschaft unsere multikulturelle Gesellschaft widerspiegelt. Hingegen sind die YouTube-Kommentare voll von rassistischen Beschimpfungen. Unter Fans habe ich viel öfter die Meinung angetroffen, dass Boateng, Khedira und Co. seit ihrer Kindheit durch Vereine und DFB gefördert werden, warum sollten sie da nicht für Deutschland spielen? Das hört sich jetzt irgendwie beschissen gönnerhaft an, aber so ist es nicht gemeint, sondern eher so, dass Herrkunft keine Rolle spielt: Wer das Team voranbringt, ist willkommen.

Jugendliche Fußballfans von Rot-Weiß Erfurt. Urheber: Heinz Hirndorf. Lizenz: CC-BY-SA-3.0-DE.
Jugendliche Fußballfans von Rot-Weiß Erfurt. Urheber: Heinz Hirndorf.
Lizenz: CC-BY-SA-3.0-DE.

Fans interessiert, ob einer gut kicken kann

Dafür lieben wir ihn oder hassen ihn, wenn er für die anderen spielt. Ich glaube nicht, dass das bei einem schwulen Spieler soviel anders wäre. Ich will hier nichts beschönigen und kein Idealbild zeichnen, das nicht existiert. ein Homosexueller würde sicherlich im Stadion auch mal als ’schwule Sau‘ oder ähnliches beschimpft, aber ich bezweifle, dass es irgendeine Form von Kampagne gegen ihn geben würde, eben weil es dergleichen auch nicht gegen ausländische Spieler gibt.

Sicher war das nicht immer so, Rassismus war früher in Stadien weiter verbreitet als heute, es war ein langer Weg. Und sicher wird auch ein offen homosexueller Spieler nicht nur mit Flausch empfangen, sondern von den gegnerischen Fans angegangen werden. Aber ich glaube nicht, dass das so menschenverachtend ablaufen würde, wie es von den Medien dargestellt wird. Und ich bin mir sicher, dass wir ihn lieben würden, wenn er für unser Team spielt, für die Nationalmannschaft und wenn er vor allem gut spielt. Denn letztlich wollen wir nur guten Fußball sehen. Wir wollen tolle Spielzüge, ausgefeilte Taktik und fantastische Tore sehen. Was der Spieler dann in seiner Freizeit treibt, interessiert doch Bild, Bams und Glotze mehr als die Fans.

Mythos Männlichkeit

Kommen wir zum letzten Mythos: der Männlichkeit. Vielleicht ist es ein Schock für euch, aber ich kenne niemanden, der Messut Özil als Ausgeburt der Männlichkeit ansieht, genauso wenig wählen wir einen Phillip Lahm oder einen Marco Reuß zum männlichen Rollenbild des Jahres. Das ist Quatsch. Wir lieben Özil für seine Spielintelligenz, Lahm für seine Zerstörungskraft der gegnerischen Angriffe und Reuß für seine brillante Technik, nicht weil wir sie für besonders männlich halten, nicht weil sie heterosexuelle Ideale sind. Klar herrschen im Stadion nicht immer die sittlichsten Verhältnisse, aber es ist nicht so, dass da eine Horde Kerle auf den Rängen ihrer Männlichkeit frönt. Es geht in erster Linie um Fußball und in zweiter Linie um das Stadionerlebnis, um die Gesänge und das Gruppengefühl, um die Stimmung und auch um die Party. So wie man auch in oder vor Discos auf rassistische oder homophobe Trottel trifft, so kann dies auch im Stadion passieren, aber das sind nicht die Fans.

Ich kann und will einfach nicht glauben, dass ich als einziger so denke, dass ich eine total verzerrte Wahrnehmung habe und deshalb finde ich, liebe Leser, ist es an der Zeit für einen Aufstand der Anständigen. Das Aufstehen der toleranten Fans vermisse ich. Steht auf und sagt, dass ihr Fußballfans seid und dass euch die sexuelle Orientierung von Spielern einfach schnuppe ist! Zeigt mir und der Welt, dass ich nicht alleine bin. Schreibt auf eure Blogs, auf Facebook und Twitter, haut es mit Edding an die Wände und singt es in den Stadien. Das Bild, das die Medien von uns zeichnen ist falsch!

Ich bin Fan und habe kein Problem mit schwulen Spielern.

Das Rezeptionsverhalten intellektuell überreifer Großstädter

Ich schmökerte kürzlich in Christoph Kochs Medienspeisekarte, wo Menschen erzählen, welche Medien sie wie rezipieren. Und weil ich aufgrund meiner netzweiten Bedeutungslosigkeit wohl nie dazu eingeladen werde, ich zugleich aber mein eigenes CMS habe, dachte ich mir, ich schreib das selbst mal auf.

Arbeiter beim Lesen einer Zeitung. 1952. Urheber: Roger Rössing. Deutsche Fotothek. Lizenz: CC-BY-SA-3.0-DE.
Arbeiter beim Lesen einer Zeitung. 1952. Urheber: Roger Rössing. Deutsche Fotothek. Lizenz: CC-BY-SA-3.0-DE.

Morgens beginne ich meinen Tag meist mit der Lektüre in der App der Frankfurter Rundschau und damit zeigt sich auch gleich der gewaltige Medienwandel in meinem Haus, denn eine Zeitung habe ich abonniert, seit ich bei meinen Eltern auszog, ausgenommen nur die Zeit, da ich sie abbestellen musste, weil ein freundlicher Nachbar sie mir immer klaute. Doch seit einem halben Jahr bin ich auf die App der FR umgestiegen, ganz einfach, weil wir eine der Frankfurter Zeitungen haben wollten und das Abo der FR inklusive des Tablets genauso viel kostet wie das Abo der Printausgabe. Meine Tochter besteht immer auf eine ausführliche Präsentation der „Bilder des Tages“ am Frühstückstisch. In der Regel checke ich dann noch kurz, was „meine Barbaren“ so machen, ein Strategiespiel und zugleich das einzige Spiel auf dem Tablet, das mich bislang länger binden konnte. Anschließend nimmt die Dame das Brett mit zur Arbeit.

Bücherwand
Bücherwand

Während ich morgens auf meine Tochter warte – und ich muss viel warten: Anziehen, fertig Frühstücken, Badezimmerspaß und Weg zum Kindergarten absolviert sie in einer Seelenruhe, die ich mir nur wünschen kann – checke ich das erste Mal meine Twitter-Timeline, da zur früher Stunde meist noch nicht so viel los ist, lese ich also nach, was die Nachtschicht so schrieb. Dabei, wie überhaupt den ganzen Tag lang schiebe ich spannende Links in meine Systemübergreifende Später-Lese-App Pocket.

Nachdem ich meine Tochter im Kindergarten abgegeben habe, höre ich seit geraumer Zeit bei eintönigen Tätigkeiten wie Einkaufen Podcasts. Ich habe sehr viele mir mal mit der Zufallsfunktion meiner Podcastapp abonniert und bin noch immer am ausmisten. Was ich regelmäßig und gerne höre ist: Erlebte Geschichte von WDR5, das WDR5-Zeitzeichen, ARD-Radiofeatures (also Reportagen), CRE, wir.müssen reden, Hoaxilla und Braincast. Ach ja, und seit kurzem auch Medienradio.

Danach setze ich mich zuhause an meinen PC und produziere erst einmal selbst anstatt zu rezipieren. Erst am Nachmittag, wenn die Dame von der Arbeit kommt, beginnt die Rezeption wieder. Dann lese ich auf dem Tablet die spannendsten Artikel, die ich in Pocket geschoben habe, checke wieder die Timeline und meine Barbaren.

In der Druckerei
In der Druckerei

Regelmäßig gehe ich mit meiner Tochter und der Dame in die Bibliothek, allerdings leihe ich für mich dort nur Hörbücher oder Filme aus, jedoch tonnenweise Bücher für meine Tochter. Das letzte Hörbuch, das ich mir lieh und hörte war von Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler. Brillant! So wie Haffner überhaupt immer. Der letzte aus der Bibliothek geliehene Film, den ich sah, war Martin Scorseses „Shutter Island“. Äußerst beklemmend aber genauso gut.

Radio höre ich ausschließlich zum Kochen und da ausschließlich hr info, weil ich Radiomusik nicht leiden kann. Leider ist hr info im 20-Minuten-Rhytmus sehr schnell getaktet, sodass ich beim Kochen jede Nachricht ungefähr drei Mal höre und mich zurücksehne nach der Qualität von WDR5. Wenn ich Auto fahre, was selten vorkommt, höre ich nur dann Radio, wenn ich alleine fahre, was noch seltener vorkommt. In der Regel fahre ich, wenn überhaupt, mit meiner Tochter im Wagen und dann müssen wir Kinderhörspiele und -bücher hören oder die Fahrt wird sehr anstrengend. Dabei habe ich gelernt, dass Benjamin Blümchen grenzdebil ist, Bibi Bloxberg hingegen durchaus lustig. Dass aber nach wie vor nichts über Astrid Lindgren geht.

Wenn ich alleine Bahn fahre, was ich öfter beruflich mache, lese ich meist Romane, seltener Sachbücher und das zumeist noch immer auf Papier. Auch wenn ich die elektronischen Bücher selbst mache. Zwar finde ich Bücher sehr dekorativ, aber natürlich mag ich auch E-Books sehr gerne, dass ich sie unterwegs nicht lese, hat den einfachen Grund, dass in meinem Haushalt nur ein Tablet vorhanden ist, welches die Dame – wie oben geschrieben – tagsüber nutzt. Allerdings werde ich nicht drum herum kommen, mir demnächst mal ein ganze Sammlung von verschiedenen E-Readern anzulegen, da die Darstellung von E-Books leider noch so stark variiert wie bei den Browsern in den 90ern und ich derzeit ja keinen Arbeitgeber habe, auf dessen Devices ich zurückgreifen könnte. Der letzte Roman, den ich las, respektive lese, denn ich quäle mich noch immer durch, ist einer aus der „Eis und Feuer“-Reihe von George R. R. Martin. Ich finde ihn schlecht, aber ich kann noch schlechter mitten in Romanen aufhören, ich muss sie immer zu Ende lesen, das ist meine persönliche Geißelung. Das letzte Sachbuch, das ich las, war „Die kulturelle Entwicklung des menschlichen Denkens“ von Michael Tomasello. Ein Superbuch, unbedingt lesen!

Wenn ich meine Tochter ins Bett bringe, lese ich ihr vor. Mal sucht sie das Buch aus, mal ich. Obwohl sie erst fünf ist, lesen wir schon Bücher für wesentlich ältere Kinder, da sie ein Talent dafür hat (hört sich komisch an, ist aber so) und am liebsten, den ganzen Tag nur vorgelesen bekommen möchte. Zur Zeit lesen wir ‚Alice im Wunderland‚.

Abends schaue ich öfter Filme oder Serien. Spiele oft Brettspiele und sehr selten Computerspiele. Letzteres finde ich schade, weil es wirklich großartige Computerspiele gibt, wenngleich die meisten in Sachen Storytelling Nachhilfe bei meiner fünfjährigen Tochter nehmen sollten. Aber ich habe kaum Zeit zum spielen und noch weniger Geduld. Vor wenigen Wochen habe ich mir Diablo 3 gekauft, weil ich in die ersten beiden Teile vernarrt war, es aber bislang kaum gespielt.

Neulich in der Bücherei
Neulich in der Bücherei

Ich habe eine große DVD-Sammlung und schaue Filme, wenn sie gut sind auch gerne öfter. Auch Serien sind in meinem Besitz. Ich habe erst sehr selten einen Spielfilm über maxdome oder iTunes ausgeliehen und noch nie gekauft, da ich das bisher noch sehr teuer und wenig komfortabel finde. Serien schaue ich manchmal im Stream. Dort zeige ich dann das Verhalten, das Filesharer immer als Apologie für sich behaupten. Ich gucke Serien anfangs online, wenn sie gut sind, kaufe ich sie auf DVD. Denn ich will sie dann auch besitzen. Ich fileshare darüber hinaus nicht. Nie. Ich habe es – wie wahrscheinlich jeder – früher manchmal gemacht, aber nie im großen Stil. Ich weiß noch wie ich ums Jahr 2000 herum im Kino „The Hurricane“ sah, das gleichnamige Lied von Bob Dylan unglaublich toll fand und es haben wollte. Sofort. Ich habe es dann mit meinem 56k Modem die halbe Nacht von Napster runtergeladen und es war dadurch viel teurer als es auf CD gewesen wäre. Aber das war mir egal, ich hätte auch online Geld dafür bezahlt, nur gab es damals die Möglichkeit noch nicht. Irgendwann habe ich für mich beschlossen, dass ich Filesharing nicht mag. Ich glaube, als ich mal ein Lied von Adam Green haben wollte und im Torrent nur das gesamte Lebenswerk angeboten wurde. Ich will nicht jedes Lied von einem Künstler klauen. Wenn ich ihn gut finde, will ich ihn auch unterstützen. Ich kaufe manchmal einzelne Lieder bei iTunes und Sonderangebote bei anderen Anbietern.

Das letzte Album, das ich erwarb, war Blunderbuss von Jack White. Als Download bei Amazon, was ebenfalls äußerst unkomfortabel war. In der Regel kaufe ich noch immer CDs. Die importiere ich zuhause zwar gleich in iTunes und höre sie hauptsächlich auf dem Handy beim Joggen oder Fahrradfahren und überhaupt immer, wenn es geht. Aber die CDs hebe ich gewissermaßen als Backup auf. Ich tausche Musik auch mit Freunden auf USB-Stick oder CD gebrannt, so wie ich früher Mixtapes getauscht habe. Die Dame und ich machen uns auch oft gegenseitig Playlists mit Liedern, die wir zur Zeit gut finden.

Ich lese oft Blogs, aber keinen regelmäßig, sondern allesamt aus meiner Twittertimeline heraus empfohlen. Wer mein Lieblingstwitterer ist, kann ich nicht sagen, das wechselt ständig. Kann man irgendwo sehen, wen man am häufigsten favorisiert hat? Ich bin maximal 10 Minuten am Tag auf Facebook und nur um dort Links zu verbreiten und kurz zu gucken, ob einer meiner Offlinefreunde mich angeschrieben hat. Andere Soziale Netzwerke nutze ich nicht, auch wenn ich noch den ein oder anderen Account habe. Ich lese regelmäßig SpOn (wer nicht?), SZ.de und FR online, seltener die Onlineauftritte von Zeit, TAZ und FAZ. Die Seiten des Springerverlags meide ich wie der Teufel das Weihwasser und bin sehr sauer, wenn jemand auf Twitter einen Bildlink postet ohne diesen als solchen zu kennzeichnen. Okay, als die Welt einen meiner Tweets abgedruckt hat, war ich dann doch auf ihrer Seite. Ich Opportunist. Ansonsten schaue ich noch regelmäßig die Spotschau auf Kress.

Das dürfte es gewesen sein. So sieht mein Rezeptionsverhalten aus. Und deines? Das fände ich spannend, zu erfahren. Schreib es doch in deinen Blog und sag mir bescheid, dann verlinke ich es hier. Oder du haust es in die Kommentare…

Service-, na ja, „Wüste“ würde ich es nicht nennen, es ist eher so die Tundra

Ich brauche gebügelte Hemden, wegen eines wichtigen Termins, wegen der Karriere und so. Leider gehöre ich noch immer zur Fraktion der poststudentischen Amateurwäscher mit anhaltendem Bügelverweigerungshintergrund. In meinem letzten Job spielte das zum Glück keine Rolle. Wenn man mal von der einmaligen Situation absieht, als ich von meinem ‚Sonst stört mich das ja nicht’-Chef dazu aufgefordert wurde, ob des Auftritts diverser Bewerber zu einem nämlichen Gespräch, dann doch mal auf meine Kleidung zu achten. Aber man weiß ja nicht, ob das alle so sehen und wenn irgendwie Geld im Hintergrund ist, will man ja auch nicht den schlechtesten Eindruck hinterlassen.

Genossenschaftsmitglied Anna Einfinger an der Schleuder. Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst - Zentralbild. Urheber unbekannt. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.
Genossenschaftsmitglied Anna Einfinger an der Schleuder. Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild. Urheber unbekannt. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.

Zum Glück gibt es für solche Fälle Wäschereien.

Es ist schon erstaunlich, wie tunnelartig, selektiv unser nach Mustern suchendes Gehirn Uninteressantes einfach ausblendet. Würdet ihr mich jetzt nach dem nächsten Versicherungsbüro fragen, so müsste ich euch eine Antwort schuldig bleiben, hingegen ich sämtliche Bäckereien, Möglichkeiten nach 20 Uhr noch Bier zu kaufen oder Spielplätze im Umkreis von locker 2 Kilometern aus dem Stehgreif aufsagen könnte. In alphabetischer Reihenfolge oder gereimt, wie ihr wünscht.

Zu meinem Glück selektierte ein bekanntes Gehirn nach anderen Mustern, sodass es mir sagen konnte, wo denn in der Nähe ein Etablissement zur professionellen Reinigung von Textilien ist. Ich also drei Hemden eingepackt – man will schließlich auch wählen können – und hingedackelt.

Am Orte meiner putzteuflischen Sehnsucht angekommen, betrat ich das Ladenlokal. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Ständer hinter Ständer reihten sich die frisch gewaschenen und gebügelten Stoffe von seifenblasenleichtem, durchsichtigem Plastik umhüllt und auf glänzenden, durch eleganten Schwung grazil geformten Einwegkleiderbügeln. Hatte man diese Galerie der vollbrachten Leistung durchschritten, kam man zu einer Ladentheke wohinter in großen Wäschekörben sich die verwahrlosten, unzüchtigen Textilverwandten lümmelten und noch nicht ahnten durch welche Mangel sie alsbald gedreht würden.

Dahinter nun wieder eröffnete sich dem Blick durch eine lukenartige Tür ein Raum, erhellt nur durch schummeriges Licht, wo man Walken sich balgen hörte, Dämpfe aufstiegen, es zischte und raschelte. Links und rechts rahmten die Flucht des Blickes Maschinen, Ständer und Wäscheberge ein bis sie im hintersten Winkel, am Fluchtpunkt, im Schein glänzenden Lichtes stand: die Wäscherin.

Eine kleine, dicke Frau mit Kittel, die bügelt.

Nun hatte bei meinem eintreten das elektronisch virtualisierte Glöckchen herzallerliebst ‚Ding-Dong’ geläutet, jedoch die feiste Wäscherin – und dies war die einzige Eigenschaft, die sie mit des Werten Kollegens @Naumburger Herzdame teilte – zeigte keinerlei Regung. Nun gut, wahrscheinlich war die Marschmusik des Waschmaschineraums lauter gewesen als das engelsgleiche Tönelein der Tür. Daher entfleuchte meiner Kehle ein zaghaftes ‚Hallo‘. Doch die bügelnde Waschexpertin deutete mit keinem Fingerzeig an, dass sie mich gehört haben könnte.

„Wahrscheinlich ist sie in einer schweren Operation, verpasst einer Anzugshose eine Präzisionsfalte oder entknittert gerade einen Crinkle-Optik-Look.“, so dachte ich bei mir und wartete geduldig am Tresen. Mein Auge wich nicht von der – so maße ich mir an zu Urteilen – wenig begeisterten, bügelnden Wäscherin. Schließlich stellte diese ihr heißes Eisen beiseite und ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Doch anstatt nun zu mir in die Verkaufsstube zu treten, nahm sie in einer Seelenruhe mit der sie Papst Benedikt harte Konkurrenz machen würde, das nächste Stück Gewebe um es zu eisenglätten. Und ich gestehe ein, dass ich nun durchaus etwas erzürnt bei mir dachte: „Aber sie muss mich doch gehört haben!“

Meine Augen wanderten zu dem Schilde über der Theke, das in Majuskeln liebreizend erklärte: ‚UM VORKASSE WIRD GEBETEN!!!’ Im Gegenzug bäte ich dann aber auch um Vorzug gegenüber irgendeinem Stück Stoff. Doch der Gram in meinem Herzen wandelte sich alsbald wieder in Zweifel: im Maschinenraum war es fraglos lauter als hier vorne, auch hatte ich schon von widrigen akustischen Umständen gehört, die menschliche Stimmen mitunter im Gewirr derer der Apparate untergehen ließen. Also versuchte ich es noch einmal, ein Fünkchen lauter: „Guten Ta-hag!“ Hatte sich da eventuell kurz eine der buschigen Augenbrauen gehoben, oder hatte mir meine von Hoffnung getragene Phantasie bloß einen Streich gespielt? Sicher hatte die gute Dame, am Ende ihres Arbeitslebens, der Rente nicht mehr fern, einen Großteil ihres Hörvermögens dem Schleudergang geopfert, weshalb ich ein energisches „ENTSCHULDIGUNG?!“ hinterher schob wie sie das Eisen über den Stoff.

In senkrechter Habachtstellung

Schließlich und endlich brachte sie das Plätteisen wieder in senkrechte Habachtstellung, stöhnte sachte, die Hände in den Rücken gestemmt und setzte sich dampfend wie eine Walze und zugleich schwankend wie ein Kahn auf dem unweiten Main in Bewegung. In meine Richtung! Heureka! Nun gut, sie ließ es sich nicht nehmen, über diesen Stoff noch einmal liebenswürdig zu streicheln und jener Apparatur noch einmal ein paar Befehle einzugeben, während sie sich mir so langsam aber beständig näherte wie uns allen der Tag im Kalender, an dem uns wieder auffällt, dass wir ja noch immer keine Weihnachtsgeschenke haben.

Die Dame möge entschuldigen, ob sie mir denn sagen könne, was die Reinigung eines Hemdes in diesem, ihrem werten Etablissement kosten würde, so begann ich die Feilscherei geschickt, wie ich gedacht hatte. Es war jedoch taktisch vollkommen unklug, wie sich alsbald herausstellen sollte. Denn an die Preisauskunft von 2,50€ pro Hemd – was ich für einen durchaus nicht unvernünftigen Preis hielt und halte – schloss die Dame in wenig eloquenter Art und Weise einen dennoch recht langen Vortrag an, dass es sich bei ihrem Service um Handarbeit handele und „nix Billigwäscherei“. Dass überhaupt diese Billigwäschereien den Markt kaputt machen würden und sie auch sehen müsse, wo sie bleibe.

Derweil sie weiter zum besten gab, was sie vom Markt, der Konkurrenz und sich selbst hielt, entglitt mir meine Aufmerksamkeit und meine Gedanken wanderten, zunächst zu jenem seltsamen Geschick, dass zwar immer irgendwo irgendwer den Markt kaputt macht, er zugleich aber irgendwie auch nicht totzukriegen ist. Dann eilten meine Gedanken weiter und folgten meinen Augen zu einem zweiten Schild über der Theke, das die Qualitätsarbeit der Wäscherin wohl mit einem markanten Statement untermauern sollte: ‚FÜR VERLORENE KNÖPFE KANN NICHT GEHAFTET WERDEN!!!’

ZWEIFUFZIG ODER RAUS!

Schließlich fiel mir auf, dass die Frau geendet hatte und mich mit leisem Knurren anstarrte. Verlegen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was nun folgen sollte, da ich outgezoned war, als hätte ich während eines Gesprächs ’nur mal schnell‘ die Timeline gecheckt, versuchte ich es mit einem Scherz: „Also Sie sollten an Ihrem Stil arbeiten, sonst schaffen Sie es nie in die Twitterelite“. Ein Fehler. Viel zu jovial, das sah ich schon ein. So entgegnete mir die Dame nur mit einer gewissen Röte im Gesicht, die schon shades of blue annahm: „ZWEIFUFZIG ODER RAUS!“. Ich willigte ein und gab sogar zu verstehen, dass ich sogar drei Hemden in ihre fürsorglichen Hände übergeben würde. Schließlich hatte ich ja nie gehadert mit dem Preis, dem Service oder der Existenz der Wäscherin und wollte auch pflichtschuldig wie „GEBETEN“, „VORKASSE“ leisten, jedoch mein Geldschein war dem Pitbull unter den Textilreinigungskräften dann doch zu groß. Weshalb sie, während eine potente Ader auf ihrer Stirn bedrohlich für uns beide pulsierte, mir einen Zettel ausfüllte, um anschließend offenbar in Parsel zu zischen, ich könne die Hemden am Dienstagabend abholen.

Ich musste wirklich meinen letzten Rest Mut aufbringen, als ich entgegnete: „Ich bitte um Verzeihung, aber das ist zu spät. Ich hatte nicht erwartet, dass diese doch wohl recht simple Operation eine ganze Woche dauern würde.“

„Nix ganze Woche! Heute ist schon Donnerstagabend! Dienstagmittag! Früher geht nicht!“ – erst Stunden später, als ich mein Herz meiner Dame ausschüttete, machte sie mich darauf aufmerksam, dass es eigentlich Mittwoch am frühen Nachmittag gewesen war.

„Nun werte Dame, ich bitte gnädigst um Verzeihung, aber ich habe am Montagmittag einen Termin zu dem ich eigentlich ein gebügeltes Hemd tragen müsste. Zumindest aber ein Hemd, ob nun gebügelt oder nicht, das müssen Sie doch einsehen. Ich kann doch nicht zu einem Gespräch, das über das täglich Brot für meine Tochter entscheidet barbusig erscheinen. Daher bitte ich um Verzeihung, muss ich leider vom Vertrage zurücktreten und bitte um die Rückerstattung meiner gar schmutzigen Hemden…“

„Nix verstehen müssen! Nix Montag Mittag!“, sprach – nein, ich muss es gestehen – schrie sie und der Geifer spritze auf – zum Glück – durch Plastik geschütztes frisch Gereinigtes und – zum Unglück – ungeschütztes mich, warf mir meine Hemden zu, lies den Beleg durch einen Fluch zu Asche zerfallen und verwies mich des Ladens mit weiteren Flüchen, die ich mich nicht getraue wiederzugeben, unter denen aber wenigstens einmal der Cruciatus klar herauszuhören war.

Ich nahm meine Hemden, ging traurig nach Hause und griff selbst zu Maschine und Eisen in der Hoffnung, dass man es mir am Montag zwar vielleicht an- jedoch auch nachsehen werde.

 

Ich bin raus.

Meine hippste Bewerbung

Als ich vor 2 1/2 Jahren das letzte Mal auf Arbeitssuche war, fand ich eine Stellenausschreibung von einem so unglaublich coolen Unternehmen, dass ich mir folgenden Text für das Anschreiben nicht verkneifen konnte:

Aachen, 18. Juni 2010

Hey Leute,

ich habe so viel Pfeffer im Hintern, man könnte glatt meinen, ich bin ein von Hand gefangener Hase! Bei Euch gibt’s Action – ich sage: Yippie-Ya-Yeah, Schweinebacke! Ich bin ein solcher Macher, mich nennt man auch die Machete! Und meine Ideen zünden so sehr, dass sich das Mädchen im Struwwelpeter vor mir fürchtet!

ich habe Kommunikationswissenschaft an der Exellenz-Uni RWTH Aachen studiert. Habe durch meine Arbeit in der studentischen Vertretung und durch meine Nebenjobs gelernt sowohl selbstständig, als auch im Team zu arbeiten. Bin so online-affin wie das Bindemetall zum Kohlenstoff. Und im Umgang mit Office bin ich sicher wie Fort Knox. Englisch beherrsche ich fließend wie der Rhein und Deutsch kann ich besser schreiben und sprechen als viele Zeitgenossen es denken können. Nicht zuletzt weil meine Schreibe so fresh ist, dass ich lieber nicht den Kaffee auf das Anschreiben stellen würde …

Nur meine Startup-Erfahrungen beschränken sich auf das Existenzgründerseminar „EXISTENZIA“ der GründerRegion Aachen. Dennoch glaube ich fest daran: I’ve got EVERYTHING, what it takes!

 

Überraschenderweise habe ich den Job nicht bekommen…