Deiner Mutter ihre Geschichte!

 

Es war ein Tweet – wie so oft – der Stern.de-Redaktion – eher selten – der im Hause Privatsprache die Frage aufwarf, woher sie eigentlich stammen, die „Deine Mutter“-Witze. Artikuliert wurde die Frage von der Dame und zu ihrem Glück wusste meiner einer eine ausführlichere Antwort zu geben, als die Wikipedia, die sich weitgehend auf die frühesten Anfänge vermutlich in den 60er-Jahren auf US-amerikanischen Schulhöfen, das „Playing the dozens“ beschränkt.

Doch wie fand „Deine Mudder“ von amerikanischen Schulhöfen den Weg auf deutsche Facebookseiten, in deutsche Tweets und deutsche Redaktionen?

Ich habe mich ein wenig umgeschaut und die Erklärungen sind allesamt recht dürftig. Deshalb hier mein Versuch der Einordnung:

Gehen auch wir ein Stückchen zurück und wechseln dabei über den großen Teich auf den amerikanischen Kontinent, nähern uns den USA, der Stadt New York, dem Stadtteil Bronx. Wir befinden uns in den späten 70er und frühen 80er Jahren. Damals waren die Bronx wohl einer der am wenigsten attraktivsten Orte der westlichen Hemisphäre. Gangs bekämpften sich und Gewalt war allgegenwärtig. In dieser Zeit wurde eine neue Musik geboren, die sich schnell zu einer eigenen Kultur entwickelte: Hip Hop. Und um „Die Kinners von der Straße zu holen“ kamen die ersten Stars der Szene auf eine Idee, die sie „Battle“ nannten. Es waren Leute wie Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa, die die ersten Battles veranstalteten. Die Idee war einfach und gut: statt mit Gewalt sollten Konflikte in Wettbewerben ausgetragen werden. DJs traten im Cutting und Backspinning gegeneinander an, B-Boys überboten sich im Breakdance und die ersten Rapper traten im Battle Rap gegeneinander an.

Diese letzte Disziplin, der Battle Rap geht nun seinerseits aus dem oben erwähnten „Playing the dozens“ hervor. Dabei geht es um eine testosteronschwangere Selbstbeweiräucherung bei zeitgleicher Herabwürdigung des Gegners. Leidlich bekannt wurde das Prinzip durch den Film 8 Mile. Nun ist es kein Geheimnis, dass Hip Hop oft und insbesondere Battle Rap hochgradig sexistisch sind. In seinen patriarchischen Strukturen wird der Mythos vom starken Mann gepflegt, der seinen Konkurrenten in allen Aspekten seiner Männlichkeit überlegen ist. Frauen hingegen sind „alles Bitches außer Muddi“.

 

 

In der Tat findet im Rap eine oft schon ödipal anmutende Beweihräucherung der eigenen Mutter statt. Und vor diesem Hintergrund wird im Spiel des Battle Raps, wo es ja gerade um nichts anderes geht, als den Gegner fertigzumachen eben der Diss seiner Mudder zum größtmöglichen, den man sich vorstellen kann.

Kleine Randnotiz: der oftmals wegen seiner Homophobie geschmähte Eminem hat durchaus seine Verdienste für den Hip Hop, indem er immer wieder die Traditionen und Rituale der Kultur durchschaute und ironisierte. So auch in seiner eigenen Hymne an die Mutter.

 


EMINEM – Cleaning out my closet von garyvanderlinden

Doch wie kam nun deine Mutter nach Deutschland?

In den 90ern fand Hip Hop seinen Weg endgültig in unsere Breitengrade und mit ihm all seine Codes und Symbole. Nun traf der Hip Hop, eine Kultur der afroamerikanischen Unterschicht in Deutschland auf eine reiche Gesellschaft und eine gebildete Mittelschicht, die sich seiner bediente aber ihn zugleich ironisierte — zumindest in der ersten und zweiten Generation kommerziell erfolgreicher Rapper Stuttgarter und Hamburger Prägung. Aus dem im amerikanischen Hip Hop allgegenwärtigen „Nigga“ wurde hamburgerisch eingefärbt „Digga“ und auch der „Deine Mudder“-Diss wurde mit weniger Feindseligkeit etabliert, als es im US-Rap noch der Fall gewesen war.

Und so kam es, dass „in Hamburg, zwischen Sam und Tocotronic“ Ende der 90er, Anfang der 2000er irgendwo sich wohl die ersten Sprüche an den Kopf geworfen wurden. Wie und wann das genau geschah kann ich nicht rekonstruieren, nur dass Fünf Sterne Deluxe daraus dann einen ihrer größten Hits formten.

 

Die Geburt des Mems

So wurde die Stilfigur auf einem Schlag prominent und fand sich in vielen deutschen Kinderzimmern wieder. Während der Hip Hop in Deutschland mit dem Boom um die Jahrtausendwende seine Ironie einbüßte und fortan auch hierzulande mehr und mehr das Harter-Mann-Image pflegte, wurde „deine Mudder“ konserviert. In der gleichen Zeit, in der aus den Kindern der Jahrtausendwende Leute wurden, etablierte sich in Deutschland auch ein neues Medium: dieses ominöse Internet.

Und spätestens seit dieses Internet ums Jahr 2005 herum durch den Boom von MySpace und den Verzeichnissen, die später von Twitter, Facebook und Google+ abgelöst wurden, zum „Web 2.0“ erklärt wurde, etablierte sich in diesem ein Spiel, das sich „Mem“ oder „Meme“ nannte.

Denn dieses Internet tendiert dazu, sich die komischsten Dinge einzuverleiben.

Seien es Katzen…

Unnamed Kitty - lolcats.com

 

…Mario Balotelli…


See more on Know Your Meme

 

… Kim Jong Il …


See more on Know Your Meme

 

…oder eben „Deine Mudder“. In  Mems werden sie weitergetragen und vervielfacht. Warum es nun ausgerechnet „Deine Mudder“-traf, kann ich nicht sagen, kann vielleicht keiner und wenn doch, dann nur her damit!

So jedenfalls kam deine Mutter von amerikanischen Schulhöfen in deinen Computer.

 

 

Ich bin raus.

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