Der Beweis der Nichtexistenz

Die Existenz ist ein hinterhältiges kleines Miststück.* Sie kommt ganz unschuldig daher als wäre sie ein Prädikat. Grammatisch gibt es keinen (allzu großen) Unterschied zwischen „Das iPhone 6 verbiegt sich“ und „Das iPhone 6 existiert“. Aber in der logischen Tiefenstruktur sind beide Sätze grundverschieden. Während „sich verbiegen“ eine Eigenschaft, also ein logisches Prädikat ist, ist die Existenz dies nicht. Stattdessen ist die Existenz die Voraussetzung, dass irgendetwas überhaupt Eigenschaften haben kann, in der Logik nennen wir das einen Existenzquantor. Und den Satz „Das iPhone 6 verbiegt sich“ würden wir folgendermaßen aufschlüsseln:

Es existiert ein Ding,
dieses Ding hat die Eigenschaft, iPhone 6 zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft sich zu verbiegen.

Das iPhone muss also überhaupt erst einmal existieren, bevor es sich verbiegen kann. Ausführlich habe ich das schon einmal hier geschrieben, als ich mich mit dem „Nichts“ auseinandersetzte … Jedenfalls ist der Existenzqunator eine Tatsache, die schon dem ollen Anselm von Canterbury auf die Füße fiel, nur dass sein iPhone ein Gott war. Anselm dachte sich nämlich den ontologischen Gottesbeweis aus und behauptete, dass der Begriff „Gott“ der Begriff eines vollkommenen Wesens ist und zur Vollkommenheit gehört eben auch, dass es existiert. Tja, das kritisierte Kant vernünftigerweise, indem er darauf hinwies, dass Gott zunächst einmal existieren muss, bevor er irgendwelche Eigenschaften wie Vollkommenheit haben kann. Dennoch ging – wenn ich das recht verstehe – Gödel einen ziemlich ähnlichen Weg wie Herr von Canterbury, als er seinen Gottesbeweis aufstellte, und von dem hat ja bekanntlich Apple gesagt, dass er stimmt. Oder so ähnlich …

Es ist nicht möglich, die Nichtexistenz eines Dinges zu beweisen

Anyway … Frau Scheinprobleme bat mich doch mal ein paar Sätze zur Nichtexistenz und deren Beweis zu schreiben. Das möchte ich sehr gerne tun, allerdings macht mich die Tatsache, dass sie mir das zutraut so nervös, dass ich hoffe keine Fehler zu machen. @Scheinprobleme wollte, genauer gesagt, einen Text von mir zur Faustformel, dass es nicht möglich ist, die Nichtexistenz eines Dinges zu beweisen. Denn hier hat ein anonymer Wüterich doch tatsächlich behauptet, dass dieser Satz Unsinn sei, was bei Karl Popper bestimmt ein paar Grabrotationen ausgelöst hat …

Aber genug des Namedroppings, denn – man glaubt es nicht – Anonymous Wüterich bringt ein paar ziemlich einleuchtende Argumente. Ja, er oder sie beweisen uns die Nichtexistenz ganze vier Mal!

Es existiert keine Primzahl, die durch vier teilbar ist.

Es existiert keine zweidimensionale Form, die zugleich Rechteck und Kreis ist.
(…)
Es existiert keine belgische Stadt namens Fffffsdafnjkqfenwqkljingen.

Es existiert kein zweiter Erdmond.

Okay, damit wäre die Sache dann gegessen, vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Nun gut, der Witz war zu durchschaubar, das gebe ich zu. Also schauen wir uns diese vier Sätze doch mal etwas genauer an. Zunächst können wir feststellen, dass die ersten beiden Sätze sogenannte analytische Sätze sind, die letzten beiden Sätze sind hingegen sogenannte empirische Sätze. Während sich die Wahrheit – oder in diesem Fall die Falschheit – der ersten beiden Sätze ausschließlich aus der Bedeutung der verwendeten Begriffe ergibt, brauche ich bei den letzten beiden Sätzen Erfahrungswissen um ihre Wahrheit zu prüfen. So verschweigt uns Frau Wüterich auch gar nicht, dass natürlich in der Definition des Begriffes „Primzahl“ schon drinsteckt, dass sie sich nur durch Eins und durch sich selbst teilen lässt, genau wie in der Definition von „Dreieck“ steckt, dass es drei Ecken hat, während ein Kreis hingegen sich nicht so glücklich schätzen darf ganze(!) drei(!) Ecken(!) zu haben …

Im Sinne eines analytischen Satzes kann ich also sehr wohl beweisen, dass etwas nicht existiert und zwar immer dann, wenn sich ein Widerspruch ergibt. Das gibt es von trivial wie „Es gibt keine verheirateten Junggesellen“ bis zu spanend, wie bei Moores Paradoxon: „Es regnet, aber ich glaube es nicht“.

Von Bezugnahmegebieten und Erfüllungsgegenständen

Aber schauen wir uns einmal die beiden anderen Sätze an, vielleicht bezog sich der Satz von der unmöglichen Beweisfähigkeit der Nichtexistenz ja auf die … Und da muss ich sagen, war unser cleverer kleiner Wüterich ganz schön … äh … nun, ja … clever.

Dafür muss ich etwas ausholen: Was machen wir denn eigentlich sprachlich, wenn wir über ein Ding wie den Erdmond sprechen? 500 Punkte bekam die Kandidatin, die jetzt antwortete: Eine Bezugnahme und sogar 1000 Punkte diejenige, die sogar wusste, dass es nicht irgendeine Bezugnahme war, sondern eine Denotation. Eine solche Denotation machen wir immer, wenn wir über ein Ding in der Welt sprechen. Das Wort „Mond“ repräsentiert dann das Ding {Mond}, auf das wir uns beziehen. Wie macht das Wort das? Nun, das Wort macht erst einmal gar nichts, es ist ein Wort, kann also nichts machen. Sondern wir machen das, denn wir sind Menschen. Wir eröffnen für unsere Denotation zunächst einmal ein Bezugnahmegebiet, sagen unseren Zuhörern oder Leserinnen also, wo sie suchen müssen, wenn sie unseren Satz auf Wahrheit überprüfen wollen.

Screenshot Google Maps auf der Suche nach Fffffsdafnjkqfenwqkljingen
Screenshot Google Maps auf der Suche nach Fffffsdafnjkqfenwqkljingen

Auch Anonymous Wüterich hat das gemacht: Er sagte uns, die Stadt Fffffsdafnjkqfenwqkljingen sollen wir im Bezugnahmegebiet Belgien suchen und den Mond schränkte er auf die Erde ein, genauer gesagt, auf den Erdorbit. Denn wenn mein Bezugnahmegebiet die Erde wäre, dann würde ich nicht einen, sondern keinen Mond finden, es sei denn, ich suche im Bezugnahmegebiet „Astronomie Fanshop“. Haben wir aber ein Bezugnahmegebiet mal gefunden, suchen wir dann unseren sogenannten Erfüllungsgegenstand, und wenn wir wiederum ihn gefunden haben, dann haben wir erfolgreich ein Ding denotiert. Das alles läuft normalerweise natürlich äußerst implizit ab, beispielsweise nennen wir diese Bezugnahmegebiete schlicht „Kontext“ und nur so Vollhonks wie Philosophen verschwenden überhaupt Gedanken darauf.

Die Frage ist nun, warum war unsere Frau Anonymous Wüterich clever? Weil sie uns extra zwei ziemlich überschaubare Bezugnahmegebiete und zwei ziemlich ikonische Erfüllungsgegenstände präsentiert hat. Doch selbst da ist ihr ein kleiner Denkfehler unterlaufen. Klar, kann ich ziemlich einfach überprüfen, dass es nur einen Mond gibt, wenn ich nachts an den Himmel sehe und auch wenn ich „Fffffsdafnjkqfenwqkljingen“ und „Belgien“ in Google Maps eingebe, komme ich ziemlich schnell darauf, dass diese Stadt nicht existiert. Derzeit. Denn das ist der springende Punkt: Herr Wüterich kann so lange er will, auf dem Punkt herumspringen, es wird ihm nicht gelingen, zu beweisen, dass auch in Zukunft die Erde keinen zweiten Mond haben wird oder eine belgische Gemeinde nicht plötzlich beschließt, sich in Fffffsdafnjkqfenwqkljingen umzubenennen.

Ein Lied davon kann Noam Chomsky singen. Der hatte sich nämlich dereinst den schönen Satz „Colorless green ideas sleep furiously“ ausgedacht, als Beweis für einen Satz, der zwar grammatisch korrekt ist, aber semantisch unsinnig. Und ihr ahnt es: Nicht zuletzt weil Chomsky nicht irgendein anonymer Wüterich war sondern eben Noam „Fucking“ Chomsky, machten sich etliche Menschen daran, sich sinnvolle Verwendungen für diesen Satz auszudenken und spätestens als er als Protestplakat auf einem Parteitag der britischen Konservativen zu lesen war, hatte er plötzlich eine sinnvolle Verwendung.

Kehren wir zurück zu unserem Satz: „Es ist nicht möglich, die Nichtexistenz von einem Ding zu beweisen.“ Ja, Frau Wüterich, Sie haben Recht, ganz pauschal stimmt dieser Satz nicht. Aber im Normalfall wird der Satz weder auf so spezifische Fälle wie Ihre Beispiele angewendet, noch auf bloß analytische Sätze. Es geht um sehr viel allgemeinere Aussagen, zum Beispiel: „Es gibt keine zwei Schneeflocken, die identisch sind.“ – das kann ich nicht beweisen. Warum?

Hier kommt nun Popper ins Spiel, damit er endlich aufhören kann, sich im Grab zu drehen. Ihr erinnert euch hoffentlich: Unser oberstes Prinzip in der Wissenschaft ist der Falsifikationsvorbehalt. Wahr (im Sinne von „empirisch wahr“) kann nur sein, was auch falsch sein kann. Meine Theorie ist nur so lange wahr, wie sie nicht widerlegt worden ist.

Und daraus folgt: Es ist sehr schwer zu beweisen, dass ein existierendes Ding, nicht existiert. Beispielsweise müsste ich, wenn ich behaupten würde, dass Schafe nicht existieren, jedem einzelnen Schaf auf der Erde unter die Wolle gucken und sagen: „Nope, kein Schaf.“ Hingegen ist es – zumindest prinzipiell – sehr einfach, zu beweisen, das nichtexistierende Dinge doch existieren. Ich muss nur zwei lausige Schneeflocken finden, die gleich sind. Und da ich eben nie ausschließen kann, dass das irgendjemandem irgendwann gelingt, kann ich eben die Nichtexistenz eines Dinges nicht beweisen …

Eine Anmerkung noch zum letzten Absatz unseres Wüterichs

Genau wie oben beschrieben lässt sich übrigens die folgende Aussage beweisen: “Es existiert kein allmächtiger, allgütiger Schöpfer des Universums. Aber dazu ein andermal mehr …”

Na, da bin ich aber mal gespannt … Denn das erscheint mir so, als habe da jemand seinen Kant nicht gelesen. Denkt noch einmal kurz zurück an die Denotation mit ihren Bezugnahmegebieten und Erfüllungsgegenständen und sagt mir dann, in welchem Bezugnahmegebiet ihr euch auf der Suche nach eurem Erfüllungsgegenstand „Gott“ machen wollt? Und wenn ihr nicht einmal das Bezugnahmegebiet kennt, wie wollt ihr dann etwas beweisen oder widerlegen?

Zum Vertiefen dieser Themen empfehle ich:

Noam Chomsky: Syntactic Structures (Bei Amazon)**.
Rene Descartes: Meditationes de prima philosophia (Legal und umsonst bei Zeno.org).
Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft (Legal und umsonst bei Zeno.org).
G. E. Moore: Selected Writings (Unbezahlbar bei Amazon)**.
Karl Popper: Logik der Forschung (bei Amazon)**.
Bertrand Russell: On denoting (Leider nur als PDF legal und umsonst bei der Uni München).

*Tschuldigung, das war ein Philosophenwitz. Denn ich habe in diesem Satz je gerade aus der Existenz ein Prädikat gemacht. Wenn ich das Explizit mache, habe ich ja quasi gesagt:

Es existiert ein Ding,
dieses Ding hat die Eigenschaft, Existenz zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft hinterhältig zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft klein zu sein,
Und dieses Ding hat die Eigenschaft ein Miststück zu sein.

**Hinterhältiger Afilliate-Link: Kauft ihr das Buch, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

5 Gedanken zu „Der Beweis der Nichtexistenz“

  1. Um das lesen zu müssen braucht man sich nicht einmal der Produkte seines eigenen Verdauungsvorganges zu
    entledigen.

      1. Der Sogt, des is mäh als Scheißhauslektüre.

        Falls ich was anmerken darf: Die Argumentation ruht auf dem Unterschied zwischen Analytisch – Synthetisch.
        Was ist mit Quine?

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