Ich war auf der Post. Ja, ich weiß, das war ein Fehler. Ich war da, weil ich für den „E-Post-Brief“ beweisen musste, dass ich ich bin. Ja, ich weiß, was auch immer folgt, Sie werden jetzt sagen, es ist die gerechte Strafe für ein solch törichtes Unterfangen und Sie haben ja Recht.
Aber sehen Sie: Ich möchte sehen. Nämlich Filme ab 18 bei einem Videostreamingdienst, der mir noch immer keinen Werbevertrag angeboten hat, obwohl ich ständig über ihn spreche, weswegen ich seine Identität nun verschleiern werde und ihn einfach mal „Guckste-immer“ nennen werde.
Guckste-immer will nun aber von mir die Bestätigung, dass ich ich bin, sonst darf ich keine Filme ab 18 gucken. Und Guckste-immer forderte mich daher auf, mich mit dem „E-Post-Brief“ selbst der Volljährigkeit zu bezichtigen.
Ich also alles schnell durchgeklickt bis ich irgendwann an den Punkt gelangte, wo ich ein Formular ausdrucken sollte. Auf Papier! Und mit diesem sollte ich dann zur nächsten Postfiliale gehen, um zu beweisen, dass ich ich bin. Gesagt, getan. Nun gut: Gesagt – 11 Monate lang prokrastiniert – getan. Heute aber erschien mir die Gelegenheit günstig, weshalb ich den Zentimeter dicken Staub kurzerhand vom Dokument pustete und nach dem darauf folgenden Hustenanfall auch sogleich losmarschierte. Zur Post.
Auf der Filiale angekommen, geriet ich zunächst einmal in eine Raum-Zeit-Singularität, denn die obligatorische Warteschlange fehlte! Selbst nach intensiver Prüfung konnte ich keinen anderen Kunden vor mir ausmachen. Ich vermute, dass ich vorübergehend in eine andere Dimension (möglicherweise eine Art Post-Apokalypse) gerutscht bin, denn der folgende Dialog kann nicht von dieser Welt sein.
Doch zunächst war ich noch guter Dinge, als ich schwungvoll an den Tresen herantrat, der mir die neuesten Postwaren feilbot. Jenseits des polierten Holzimitats erwartete mich eine gedrungene Frau mittleren Alters mit einer vorbildlich „frechen“ Föhnfrisur, wie man sie zu solchen Gelegenheiten an dieserlei Orten im so called Real Life anzutreffen erwartet.
„Werte Damen, ich wünsche meine Registrierung für den „E-Post-Brief“ abzuschließen.“,trillerte ich fröhlich wie ein Spatz im Mai und schob der Dame meinen Perso mitsamt dem entrollten Pergament, das meine E-Post-Identität beweisen sollte, über den Tresen.
„Hrmpf, einen Moment“, schallte es mir entgegen. Die Postangestellte wandte sich mir ab und suchte aus einem Stapel von Broschüren, Faltblättern und sonstigen Informations- und Registrierungsunterlagen einen jener nicht zu verwechselnen sonnengelben Trypticha der Post, auf denen kein noch so robuster Stift jemals zu schreiben vermochte. Die für den Beamtenstatus zu spät geborene Frau verlangte dennoch von mir, das Formular auszufüllen. Doch nach kurzem prüfendem Blick fiel mir auf, dass dort noch einmal alle Informationen abgefragt wurden, die ich doch bereits auf der lieblichen Webseite der Goldgelben Hornträger angegeben hatte: „Verzeihung, gnädige Frau, aber ich habe diese Informationen schon online hinterlassen, habe diesen Ausdruck hier erhalten und wurde aufgefordert nur noch abschließend meine Existenz in einer Postfiliale zu beweisen.“
„Hrmpf. Na gut.“, stieß sie hervor. Und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen ein kleines Rauchwölkchen und Schwefelgeruch wären ihren Nüstern entfahren. Die Tresenbedienstete jedoch griff zu ihrem Scanner und versuchte den Code einzuscannen.
Doch hier muss ich noch ein-zwei Worte zur Beschaffenheit dieses Dokuments verlieren. Es befanden sich nämlich deren zwei Codes auf dem Papier: Einmal ein eindimensionaler Strichcode und zum anderen ein zweidimensionaler Code, der einem QR-Code ähnelte, aber auch ein anderer Codierungsdialekt gewesen sein kann. Die Dame jedoch versuchte nur den Strichcode auf meinem Ausdruck zu scannen. Was ihr misslang. Dem 2D-Code schenkte sie hingegen nur Missachtung.
Nun kann ich mich irren, meine aber erkannt zu haben, dass der Scanner fünf rote Punkte zum Zwecke des Zielens auf das Papier warf, gleich als ob er ein Quadrat suche. Und da ja die Versuche der Dame, den Strichcode einzuscannen, fortwährend ohne Erfolg blieben, erdreiste ich mich vorzuschlagen, es doch mal mit dem anderen Code zu probieren.
„Nein, dess iss der nedd!!!“, Fuhr mich die offensichtlich hessische Frau an und begann daraufhin unter Stöhnen die Daten vom Blatt von Hand in ihren fensterbewährten Computer zu übertragen. Während sie dies mit leidender Miene tat, offenbarte sie mir noch: „Wissense, Sie sollten sowas inner Fillial usfülle, um die Post zu erhalte!“
Ich war zunächst vollkommen überfordert mit dieser Information, schließlich wollte ich doch bloß beweisen dass ich ich bin und erwartete keinerlei Post von irgendwem. Weshalb ich mich schüchtern räuspernd erkundigte: „Wie meinen?“
„Ei, wennse des im Innerned mache, werdense nedd die Post erhalte!!“
„Aber – Verzeihung – hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Ich möchte bloß mein Dasein vor Ihnen rechtfertigen und erwarte keinerlei Post.“
„Verdammichnochma. Isch mei doch, des die Fillial sterbe, wenn se so Anmeldung im Innerned mache!“
Die paradoxe Falschheit dieser Behauptung brachte mich komplett aus dem Konzept: Zwar hätte die Dame mir vorwerfen können, dass ich mich überhaupt für den E-Post-Brief anmeldete, der möglicherweise ihren Job gefährden könnte. Wenngleich die miserable User Experience bis zu diesem Zeitpunkt dies nicht befürchten lassen. Aber nein, nicht das war der Beschwerepunkt des verbrieften Rotweilers mir gegenüber, sondern dass ich die Anmeldung zu diesem Online-Dienst skandalöser Weise online getätigt hatte! Eine Anmeldung wohlgemerkt, die ich nur abschließen kann, WENN ICH IN EINE FILLIALE GEHE!!!!!!
Wie gesagt, ich war so aus der Fassung ob dieses Vorwurfs, dass mir einstweilen nichts besseres einfiel als zu entgegen, dass dort – auf Ihrer Webseite – nicht gestanden habe, dass ich die Anmeldung zum Online-Brief auch komplett offline vollziehen könne, sondern dass ich da lediglich gestanden habe, dass ich sie im Leben abseits des Keyboards vollenden müsste.
Den nun folgenden Wortwechsel möchte ich Ihnen ersparen, werte Leser und Leserinnen, denn er war gar unschön aber er endete damit, dass mich die postgelbe Dämonin aufforderte, ein Papier zu unterschreiben, dem ich beim besten Willen nicht ansehen konnte, wozu es diente. Wahrscheinlich habe ich ihr meine Seele überschrieben. Währenddessen zischte mir das Wesen von der anderen Seite entgegen: „Isch will Ihne ja gar kenen Vorwurff mache.“, und dann kaum hörbar anfügend, „Mörder!“
Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich weiß nicht, was gefolgt wäre, wäre ich nicht durch einen Markdurchdringenden Schrei in diese, unsere Welt zurückgeworfen worden: „DER NÄCHSTE BIDDE!“
Ich bin raus.
Ein Gedanke zu „In der Post-Apokalypse“