Wenn Philosophen wie Nerds wären…

Neulich in einem Epistemologie-Support-Forum …

WillardvOQ: „Hallo Leute, ich habe da ein Problem mit der Sprache, ich wollte mal fragen, ob wir überhaupt sicher sein können, Bedeutungen richtig zu erfassen, wenn von einer Sprache in die andere übersetzen.“

Post-Structure-Jacques: „Alter, Forensuche benutzen!“

Pythgoras hates beans: „Google ist dein Freund!“

Whitehead: „Read the fucking Platon!!!!“

Höhlenmensch: „Hat jemand meinen Namen gesagt? @WillardvOQ Interessante Frage. Vorher sollten wir aber klären, ob Sprache natürlich oder konventionell ist.“

Cunt: „Welche Version benutzt ihr denn? und welches OS? Wenn ihr das nicht sagt, dann kann man euch schon mal gleich gar nicht helfen!“

Betrand, König von Frankreich:@Cunt: Yo Alter, was ist das denn für eine bekloppte Frage? Es gibt nur eine Version: Formale Logik. Und nur ein OS: Idealsprache. Alles andere kannst du in die Tonne kloppen!“

Ludwig schweigt: „Quatsch Betrand. Normalsprache, von allem anderen holst du dir Beulen!“

GEM: „Ludwig hat Recht!“

Austin (not Texas): „Jep…“

Hidagger: „Die Sprache ist das Haus des Seins.“

TheodorFrankfurt1903: „@Hidagger: Du bist wie Hitler!“

Ari [Moderator]: „Leute, bitte mäßigt euch etwas, sonst muss ich hier ein paar Forumssperren verteilen. Vielleicht könnt ihr euch in der Mitte treffen?“

WillardvOQ: „Ja, vielleicht könnten wir zu meiner Frage zurückkehren? @Cunt: Ich benutze Formale Logik, spiele aber auch oft mal mit normaler Sprache rum.“

Übermensch: „Not my Department! Wahrheit ist eh nur ein bewegliches Heer aus Metaphern!“

Noam: „Alter, du hast eine Universalgrammatik im Kopf, du kannst alles übersetzen!“

Höhlenmensch: „Sehe ich ähnlich.“

Michel Fuckold: „Ficken!“

Ari [Moderator]: „DAS REICHT @Michel Fuckold, DU TROLL!!! Das war schon das dritte Mal in dieser Woche, dein Account ist bist zum nächsten Ersten gesperrt!“

JürgenHabermas123:@ARI: Ich finde, du solltest mit @Michel Fuckold in eine Metadiskurs über eure Kommunikationsbedingungen eintreten.“

R0R7Y:@WillardvOQ: Du kannst dir eh nicht sicher sein, ob deine Worte noch die gleiche Bedeutung wie etwa die von Ari haben.“

Hidagger: „Ich schon, von Etymologie verstehe ich was.“

Post-Structure-Jacques: „ROFL!“

Ari [Moderator]: „So Leute, ich mach hier mal dicht. Doppelter Thread! Wie @Whitehead schon sagte, drüben im Sub-Forum vom Höhlenmensch finden sich schon alle Antworten auf die Fragen hier… CLOSED!“

Kognitive Verzerrungen

Casper David Friedrich - Das Eismeer
Caspar David Friedrich: Das Eismeer. Lizenz: Gemeinfrei. via Wikimdedia Commons

Heute werden (vielleicht?) wieder tausende „besorgte Bürger“ und dem Label PEGIDA durch Dresden marschieren, um damit gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ zu demonstrieren. Obwohl in Sachsen nur 0,1 Prozent der Bevölkerung dem muslimischen Glauben anhängen. Das sind in absoluten Zahlen: 4000 Menschen.

Als vor Weihnachten 20.000 Vollpfosten, pardon, „besorgte Bürger“ gegen die Islamisierung demonstrierten, hätten also jeweils vier PEGIphile ein Stuhlbein des Stuhls tragen können, auf dem ein Moslem sitzt, während ein fünfter ihn liebevoll mit Lebkuchen füttert (noch so einer schrecklichen Sache aus dem „Morgenland“). Und doch glaubt sogar eine „Undercover Agent“ von RTL, dass auf den Straßen „überall Türken rumlaufen“.

Doch woher kommt diese dramatische Fehleinschätzung der PEGIrasten?

Hier liegt ofenbar eine kognitive Verzerrung vor. Eine koginitve Verzerrung, oder cognitive bias ist eine systematische Fehlleistung unseres Gehirns, bei der Informationen auf bestimmte und immer gleiche Weise falsch interpretiert werden, sodass wir immer zu einem falschen Ergebnis kommen. Dieser Prozess läuft komplett unterbewusst ab. Wir können ihn aber reflektieren und wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, den Fehler entdecken.

Ich weiß, das klingt alles ziemlich vage und kryptisch. Ein Klassiker, den alle Studierende bei der Einfühung in die empirische Sozialforschung kennenlernen, ist die Scheinkorrelation. Zwei Ereignisse lassen sich beobachten und die beobachtende Person glaubt daher an einen Kausalzusammenhang, also dass das eine stattfand weil das andere passierte. Die Erstsemesterinnen aus der Soziologie hören dann immer die Geschichte von den Störchen: Geburtenraten sind in der Regel in jenen Gegenden höher, in denen es auch mehr Störche gibt. Ganz klar: Störche bringen die Kinder! In Wirklichkeit geht beides eher auf ländliche Regionen zurück, in denen sowohl mehr Kinder geboren werden als in Städten als auch mehr Störche leben.

Ich glaube aber, hier liegt eine andere Verzerrung vor, wenngleich die Scheinkorrelation möglicherweise mit hineinspielt. Ich glaube, wir beobachten bei PEGIDA einen Bestätigungsfehler. Ein Bestätigungsfehler ist die Neigung, denen empirischen Daten mehr Relevanz zuzuschreiben, die die eigene Theorie bestätigen. Klassiker sind hier der Freitag der 13. Wenn uns an einem solchen Freitag ein Unglück geschieht, dann nehmen wir das als Beweis dafür, dass dies ein Unglückstag ist. Hingegen beziehen wir all die 13. Freitage nicht in unsere Beobachtung mit ein, die ereignislos verlaufen und somit unsere These widerlegen würden.

Ein anderes Beispiel hierfür sind Schlafprobleme bei Vollmond. Menschen müssen schlafen, aber können es manchmal nicht. Wer ist schuld? Der Mond. Gut, wir können zwar in den verschiedensten Nächten nicht schlafen und finden dafür dann andere Erklärungen. Aber jede schlaflose Nacht, in der der Vollmond am Himmel steht, werten wir als Beweis dafür, dass unsere These, dass wir bei Vollmond nicht schlafen können, stimmt.

So wird von den besorgten Rechtsauslegern jedes Indiz für ihre „Islamisierungsthese“ – beispielsweise eine Moschee – dramatisch überbewertet, während all jene Aspekte, die gegen ihre Theorie sprechen – Beispielsweise die Realität – ignoriert werden.

Die eigentlich spannende Frage ist: Woher beziehen die PEGIDAnten ihre verzerrten Daten, die ihre These stützen, dass wir von radikalen Islamisten überrannt werden, obwohl die Tatsachen eine andere Sprache sprechen. Nun, vielleicht kommen diese Daten hierher:

Verfassungsschützer über Islamismus: „Wir müssen mit Einzeltätern rechnen, die Schrecklichstes tun“

Spiegel Online

Islamismus: Hilferufe bei der Beratungsstelle Radikalisierung nehmen zu

Spiegel Online

Wir müssen uns wappnen

Der Spiegel

Bruder, Kämpfer, Dschihadist

Der Spiegel

Dschihadisten soll Personalausweis entzogen werden

Süddeutsche Zeitung

Ein Tarnverein für modernen Islamismus

Süddeutsche Zeitung

Salafist mit Stellenzusage für die Polizei

Süddeutsche Zeitung

„Ich kann die Furcht vor der Islamisierung verstehen“

FAZ

Geißler nennt Furcht vor Islamismus „berechtigt“

Die Welt

Salafist Lau verweigert Aussage im Stuttgarter Terrorprozess

Die Welt

Polizei warnt vor den „tickenden Zeitbomben“

Die Welt

„Deutschland im Fadenkreuz des Dschihad-Terrors“

Die Welt

Internet soll im Kampf gegen Islamismus Beitrag leisten

Die Welt

Nachtsichtgeräte bei mutmaßlichen IS-Anhängern beschlagnahmt

Die Welt

Islamforscherin: Moscheen müssen mehr gegen Salafisten tun

Frankfurter Rundschau

Unsere Dschihadisten

Frankfurter Rundschau

Kampf gegen Islamismus: Landtag sieht Aktionstag als Signal

Frankfurter Rundschau

Streit nach Koranverteilaktion

Frankfurter Rundschau

Angst vor den Gotteskriegern

Frankfurter Rundschau

Landtag beschäftigt sich mit Salafisten

Frankfurter Rundschau

Terror-Gefahr in Deutschland groß wie lange nicht!

BILD

Von wegen 70
Warnung vor 240 radikalen Salafisten

BILD

So lockt ISIS junge Mädchen nach Syrien

BILD

Warum sympathisieren so viele Muslime mit ISIS?

BILD

So groß ist die Gefahr in Deutschland
Der große Terror-Check

BILD

Vergesst bitte nicht: Dies ist nur ein verzerrter, nichtrepräsentativer Ausschnitt der gesamten Berichterstattung. Gerade in den letzten Wochen gab es auch viele Berichte über die überzogenen Ängste der PEGIDAstien.
Dennoch lautet meine Arbeitshypothese, dass Presse und Politik radikalen Islamismus in Deutschland, unverhältnismäßig oft thematisieren, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland faktisch keinen islamistischen Terror gibt im Unterschied zu anderen Formen von radikalen Straftaten.
Aber mit Angst lassen sich eben sowohl Klicks generieren als auch Prozente für die nächste Umfrage sammeln…

Harry Potter und die gruseligste Nebensache der Welt

Muggle Quidditch Game in Vancouver
Muggle Quidditch game in Vancouver von Anton Bielousov Lizenz: CC BY-SA 3.0

 

Nach den großen Erfolgen von „Die Löcher des Plots“ und „Kommissar Potter ermittelt“ präsentiere ich euch den dritten Teil meiner Re-Read-Potter-Rezensionsreihe. Zur Erinnerung: Ich lese jedes halbe Jahr mit meiner Tochter (zurzeit 7) einen Potter-Band und erzähle euch anschließend, was mir aufgefallen ist. Aufgefallen ist mir diesmal zunächst, dass ich diesen Post auch so hätte nennen können:

Harry Potter und die Probleme mit einer Zeitreise

Doch fangen wir vorne an: J. K. Rowling hat nun endgültig ihren Stil gefunden. Sie weiß, dass ihre Leserinnen Harry kennen und hält sich nicht mehr mit einer langen Exposition auf, sondern handelt diese in ein paar Sätzen ab:

„Harry Potter war in vielerlei Hinsicht ein höchst ungewöhnlicher Junge. So hasste er zum Beispiel die Sommerferien mehr als jede andere Zeit des Jahres. Zudem wollte er in den Ferien eigentlich gern für die Schule lernen, doch er war gezwungen, dies heimlich und in tiefster Nacht zu tun. Und außerdem war er ein Zauberer.“

Das ist schön, denn das gibt ihr mehr Platz sich mit den Charakteren und der Handlung zu befassen. Außerdem hat sie nun Gefallen am Whodunit gefunden und versorgt uns mit einem Haufen epischen Vorausdeutungen, sodass wir das Rätsel lösen können, bevor sie uns mit der Nase darauf stößt:

„Harry zog mit dem schweren Koffer im Schlepptau durch die nächtlichen Straßen und sank schließlich keuchend auf ein Mäuerchen am Magnolienring.“

Saß nicht auf eben so einem Mäuerchen (ich weiß, es war nicht das selbe) vor zwei Bänden noch Professor McGonagall in ihrer Gestalt als Animagus? Und jetzt ratet mal wen oder was Harry dort zum ersten Mal sieht … Praktischerweise lernen die Schüler und wir auch in diesem Schuljahr, was ein Animagus ist. Und derlei Hinweise liefert Frau Rowling uns sehr viele, sowohl für die Lösung dieses Bandes als auch für jene die da noch kommen werden. So erinnert sie uns noch einmal an das „Gerücht“, dass die Stelle des Lehrers zur Verteidigung gegen die dunklen Künste verhext ist. Gibt uns ein vermeintlich defektes Spickoskop an die Hand, das uns unaufhörlich darauf hinweist, dass einer der Anwesenden lügt. Und Hermine verschwindet ständig vor unseren Augen und taucht wieder auf. Zugleich werden wir durch einen Red Herring aufs Glatteis geführt, indem der vermeintliche Bösewicht den überaus gerfährlich schwarzen Namen „Sirius Black“ trägt.

Andererseits macht J. K. Rowling auch in diesem Band noch ein paar Regeln, as she goes along:

„Wie ist er [Sirius Black] hereingekommen?“
„Vielleicht weiß er, wie man appariert“, sagte ein Ravenclaw in der Nähe. „Einfach aus dem Nichts auftaucht, wisst ihr.“

Huiii … Dieses Apparieren scheint ja eine ziemlich komplizierte und unbekannte Fähigkeit zu sein. Gut, in Band 6 lernt es dann allerdings jedes Kind in der Schule. Vollkommen unglaubwürdig finde ich, dass Harry, nachdem er Sirius das ganze Jahr über für das abgrundtief Böse gehalten hat, schon eine halbe Stunde nachdem er über dessen Unschuld aufgeklärt wurde, bei ihm einziehen will. Der Junge fasst für meinen Geschmack zu schnell Vertrauen. Es wirkt auf mich, als brauchte Rowling eine Vaterfigur, die etwas distanzloser ist als Dumbledore und will die uns mit der Brechstange herbeischaffen.

Wiederum schön ist, dass uns J. K. Rowling mit einem ganzen Haufen von Chekhov’s Guns – einer Chekhov’s Armoury – ausstattet: Ständig wedelt sie uns mit Gegenständen vor der Nase herum, die zunächst als Deko erscheinen, später aber zu mehr oder weniger zentralen Plottpunkten werden: Krätze, die peitschende Weide, die heulende Hütte, die Karte des Rumtreibers, der Feuerblitz. Die zahlreichen Aha-Effekte machen einfach Spaß. A propos Feuerblitz: Bin ich der einzige, der Harrys Erfolge im Quidditch für vollkommen belanglos hält, wenn er immer den besten, schnellsten und teuersten Besen hat? Ooooh, ich kann mit meinem Ferrari schneller fahren als du mit deinem Golf!!!! Kunststück …

Alles Super...
Quelle: Reactiongifs.

Eine nebensächliche Heldenreise

Formal ist die Geschichte wieder als klassische Heldenreise aufgebaut: Harrys Call to Adventure ist diesmal der Ausbruch von Sirius, seine Refusal of the Call, erleben wir dadurch dass Harry nicht einsieht, dass er Black jagen sollte, bis er vom Verrat an seinen Eltern erfährt. Er hat einen neuen Mentor – Lupin – bekommt eine neue Supernatural Aid – die Karte des Rumtreibers – und eine neue Initiation – Einzelunterricht bei Lupin. Schwellen in fremde Welten, Prüfungen und Hindernisse, ein großes Finale, die Weigerung der Rückkehr und dennoch die anschließende Rückkehr sind ja sowieso Standardelemente in Potters Welt.

Kurios ist dabei aber, dass abseits dieser Formalitäten das eigentliche Abenteuer über weite Strecken des Buches keine Rolle spielt. Es verkommt komplett zur Nebensache, während wir Schulalltag erzählt bekommen. Über weite Strecken wird uns die Geschichte mit Sirius nur in kurzen Szenen ins Gedächtnis gerufen – Die fette Dame wird angegriffen, Sirius dringt einmal ins Schlafzimmer ein, ansonsten bekommt Harry nur Gerüchte zu hören, er ist aber nie aktiv involviert. Der dritte Band ist eigentlich ein erster Ausflug ins Coming-of-Age-Genre. Romantische Gefühle werden angedeutet, Fragen nach der eigenen Vergangenheit und Abstammung beantwortet. Schön fand ich Hermines allmähliche und zaghafte Charakterentwicklung von der pedantischen Streberin hin zum Badass, das sie vor allem im letzten Band sein wird.

Etwas anstrengend finde ich aber, dass die Themen Schulrauswurf und Streit zwischen Harry, Ron und Hermine sich bereits jetzt abzunutzen beginnen. Besonders gut gefiel mir hingegen, dass wir mehr Hintergrundwissen zu Harrys Eltern, ihren Freunden und Feinden bekommen, wenngleich Harrys Vater (noch) als allzu strahlender Held erscheint. Die Konkurrenz zu Malfoy und Konsorten wird ausführlich durchdekliniert und so manches für die kommenden Bände vorbereitet. Interessant ist auch, dass Harry in diesem Band seinen Mitschülern nicht besonders in Auge fällt. Während er in Band 1 der Star auf der Schule ist, ist er in Band 2 der Geächtete und auch in den kommenden Bänden wird sich dieses Wechselspiel wierderholen. Aber in diesem Band ragt er nicht sonderlich heraus und die Schule bekommt vom eigentlichen Abenteuer kaum etwas mit.

Dann gibt es noch etwas Außergewöhnliches im Potterversum: Dies ist der einzige Roman, der sich nicht um „Du weist schon wen“ dreht. In allen anderen Büchern ist der Endgegner Voldemort oder einer seiner Horkruxe. Hier nicht. Das Buch ist quasi ein einziger Build-up für die Teile 4 und 5 – was ihn nicht schlechter macht. Im Gegenteil: Man merkt, wie Rowling anfängt, die Geschichte komplexer werden zu lassen. Figuren wir Cedric Diggory und Cho Chang werden ganz nebenbei eingeführt und die ganze Prophezeihungs-Thematik wird ebenfalls eher beiläufig aufs Tapet gebracht.

„War das – war das eine echte Vorhersage?“
Dumbledore schien milde beeindruckt.
„Weißt du, Harry, ich glaube das könnte sein“, sagte er nachdenklich. „Wer hätte das gedacht? Damit steigt die Zahl ihrer wahren Vorhersagen auf zwei. Ich sollte ihr eine Gehaltserhöhung anbieten …“

Das kausale Perpetuum mobile

Kommen wir zum letzten großen Thema: Der Zeitreise. Da hat Rowling ein Fass aufgemacht, das sie vielleicht besser nicht angerührt hätte haben gesollt werden. Denn ich kenne wirklich niemanden, der oder die sich nicht fragt, warum dieses Mittel nicht öfter als ein einziges Mal eingesetzt wird. Gut, wir bekommen eine lausige Erklärung: Gefährlich. Aber anscheinend stört sich nicht einmal Dumbledore daran, wenn es seinen Interessen dient? Hermine meint zwar, man könne verrückt werden, aber glaubt ihr tatsächlich, das würde Voldemort oder einen seiner Todesser davon abhalten, einfach in die Vergangenheit zu reisen und zu verhindern, dass Harry-Baby Voldis Macht bricht?

Are you kiding me?
Quelle: Reactiongifs.

Interessant ist allerdings, wie Rowling die Zeitreise einbaut. Sie verwendet eine von mir noch nicht berücksichtigte Variante des „Geschichte-schreiben-wir-Ansatzes“: Denn die Zeitreise ändert die Zukunft nicht wirklich sondern ist schon Teil der Vergangenheit. Alles was wir im ersten Durchlauf des Finales lesen, geschieht ja nur, weil es noch einen zweiten Durchlauf gibt, der nur geschieht, weil einen ersten Durchlauf gab, der geschieht, weil … Ich werde diesen Ansatz „das kausale Perpetuum mobile“ nennen.

Hach, es hat mir auch bei diesem Band wieder Spaß gemacht, ihn vorzulesen und freue mich schon darauf, in einem halben Jahr Band 4 zu lesen und ein Kleines Mädchen dabei zu beobachten, wie es zwischen Spannung, Lachen und Triumph-Gefühlen hin und her gerissen wird … Ich hoffe, ihr seid dann auch wieder dabei, wenn ich meine Erfahrungen für euch zusammenfasse.

Meine 15 besten „Meine Tochter“-Tweets 2014

Das Jahr nähert sich dem Ende, allüberall auf den Social-Media-Spitzen, seh ich Jahresrückblicke blitzen. Und einen solchen möchte ich euch auch präsentieren. Das ganz Jahr über twittere ich, was meine Tochter (mittlerweile 7) so von sich gibt. Anhand eurer Retweets und Favoriten habe ich eine Liste meiner 15 besten „Meine Tochter“-Tweets des Jahres 2014 erstellt.

Auf Platz 15 will meine Tochter verhindern, etwas Verrücktes anzuziehen:

Auf Platz 14 unser Besuch in der Winkelgasse:

Auf Platz 13 landet hingegen mein Plan zum Logopäden zu gehen:

Auf Platz 12 das Malz – äh Schmalzbier:

Auf Platz 11 sind traurige Menschen in der Werbung:

Die Top 10 betreten wir mit Twitter und Facebook:

Platz 9 finden wir am Schreibtisch:

Platz 8 fand sich während der Fußball-WM:

Platz 7 sind erneute Ausspracheprobleme meinerseits:

Aber auf Platz 6 sind wir dann wieder in Nerdistan mit Star Wars:

Auf Platz 5 beindet sich das Hühnchen:

Auf Platz 4 finden wir die nette Polizei:

Wir betreten das Treppchen mit de Wochenablauf im Hause Privatsprache auf Platz 3:

Silber geht ans „Langsam fertig machen“ auf Platz 2:

Und auf Platz 1 landet meine Tochter like a rolling stone:

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und lesen Sie auch 2015 meine „Meine Tochter“-Tweets.

Philosophen in der Kneipe

Platon und Popper sprechen über Pegida

Eine verrauchte Eckkneipe irgendwo zwischen London und Athen. An einem Tisch in der Ecke sitzt ein alter Mann mit schütternem Haar und buschigen Augenbrauen. Auf dem Tisch steht ein Wimpel, der verkündet, dass es sich um den Stammtisch handelt. Ein breitschultriger Mann mit Vollbart, der in eine Abolla gewandet ist, betritt die Kneipe, er tritt an den Tisch…

„Herr Popper.“
Popper: „Herr Platon.“
Platon: „Einfach Platon genügt.“
Popper: „Ist das nicht ein wenig zu unaristokratisch für Ihren Geschmack?“
Platon: „Letztlich sind wir doch alle Höhlenmenschen.“
Poppper: „Was zu falsifizieren war.“
Platon: „Was ist das Thema des heutigen Abends?“
Popper: „Pegida.“
Platon: „Was ist das? Doch nicht schon wieder so ein Unsinn des Deutschen Idealismus’…“
Popper: „Deutscher Unsinn freilich schon. Idealismus wohl kaum. Es steht für: ‚Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes‘.“
Platon: Ach, Europa, diese Kopfgeburt. Das klingt mir nach demokratischen Unsinn.“
Popper: „Mitnichten, es sind die Feinde der offenen Gesellschaft! Sie demonstrieren in Sachsen, einem Landstrich mit gerade einmal 0,1% Islamanteil gegen die ‚drohende Ausbreitung des Islamismus in Deutschland und Europa‘.“
Platon: „Das kommt davon, wenn man die Untertanen, ihre Kinder selbst aufziehen lässt!“
Popper: „Ihnen altem Faschisten müsste das doch eigentlich gefallen, immerhin wird Pegida vom ‚mehrfach vorbestraften Lutz Bachmann‘ angeführt.“
Platon: „Wohl kaum ein Angehöriger der Herrscherklasse, kein Philosophenkönig würde je behaupten, dass ‚Asylbewerber in luxuriös ausgestatteten Unterkünften lebten‘. Schließlich sitzen wir doch alle bloß in einer Höhle! Nein, er ist ein Untertan und maßt sich an, zur Schicht der Herrscher zu gehören. Aber Untertanen und Wächter müssen von wahren Philosophenkönigen regiert werden!“
Popper: „Von so jemandem wie Dionysios II?“
Platon: „Ich möchte nicht darüber reden.“
Popper: „Zu Recht! Denn Macht wird immer missbraucht werden, daher muss sie streng begrenzt werden, durch die Möglichkeit der Abwahl.“
Platon: „Ach Demokratie schon wieder. Und was, wenn die Menschen jemanden einfach nicht abwählen wollen? So wie diese Merkel und ihre Gurkentruppe? Nein, nein, nein, ich sage Ihnen, die Demokratie hat schon früher meinen großen Lehrer Sokrates umgebracht und heute foltert sie hemmungslos, wen auch immer sie zwischen die Finger bekommt…“
Popper: „Hmmm… Ich sehe, wir finden keinen Konsens, war ja auch nicht zu erwarten, bei Ihnen alten Historizisten. Aber was machen wir jetzt mit diesen Pegida-Spinnern?“
Platon: „Vielleicht sollten wir ihnen Descartes zweifelhaften Dämonen anhängen.“
Popper: „Oder wir lassen sie sich Beulen holen an Wittgensteins Grenzen der Sprache.“
Platon: „Wie dem auch sei, ich geb erstmal einen aus. Diese Welt ist so frustrierend, da hilft nur Ouzo! Herr Ober…“

Böses WLAN, Böse Schrift

Die FAZ schrieb gestern, dass die SHZ schrieb, dass Hamburg jetzt doch kein Vorreiter sein will in Sachen Digitaltechnik an Schulen. Allein diese Einführung ist so wundervoll, dass sich au dieser Metaebene stundenlang über den Artikel diskutieren ließe.

Caspar David Friedrich: Zwei Männer in Betrachtung des Mondes

Vor allem weil die FAZ mittlerweile maximal intransparent den Artikel schlichtweg durch einen anderen ersetzt hat, der darauf verweist, dass das Projekt doch nicht gestoppt wurde. Hier kann man das schön an an der URL sehen: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wegen-gesundheitsbedenken-hamburg-stoppt-w-lan-an-schulen-13295887.html. Es ist fast so, als habe tatsächlich jemand aus dem Frankfurter Redaktionshaus diesen Artikel gelesen und festgestellt, wie halbseiden er zusammengezimmert worden ist. Das ist sehr schade, da der ursprüngliche Artikel ein Paradebeispiel für eine „Standardsituation der Technologiekritik“ war.

Zum Glück gibt es ja die Wayback Machine... Und so steht uns nach wie vor dieses argumentative Kunstwerk zur Verfügung. Also schauen wir doch noch einmal, was die FAZ gestern noch schrieb, aber vor allem, wie sie es schrieb. Hamburg habe sein Pilotprojekt gestoppt, weil…

„…Fragen wegen möglicher Strahlenbelastung durch die hierfür benötigten W-Lan-Verbindungen nicht völlig geklärt seien“

Es werden zwar auch noch „datenschutzrechtliche“ und „andere juristische Probleme“ erwähnt, aber im Fortlauf konzentriert sich die FAZ auf den Gesundheitsaspekt. Wobei die Argumentation, so wie sie dann in der FAZ folgt, maximal verworren ist. Die FAZ tritt dem parteilosen Bürgerschaftsabgeordneten Walter Scheuerl zur Seite, der „mit mehreren Gutachten Kritik geübt“ habe. Anscheinend stammen diese Gutachten vom „Ärztearbeitskreis Digitale Medien Stuttgart“. Hier sind wir mal wieder beim Sophismus des Namedroppings. Ärzte haben gesagt, dass Strahlen gefährlich sind, dann muss es ja stimmen! Doch die FAZ hält sich nicht lange mit dem gedropten Arbeitskreis auf, sondern wechselt gleich zum nächsten „großen“ Namen, der bei der Netzgemeinde freilich regelmäßig für kollektives Nackenhaareaufstellen sorgt: Manfred Spitzer. Spitzer wird zitiert mit…

„Die Korrelation des Anstiegs von Überforderung, Kopfschmerzen, ADHS und psychischen Erkrankungen mit der wachsenden Nutzung der digitalen Medien ist besorgniserregend“

Hier schmeißt die FAZ zwei Aspekte wild durcheinander. Zumindest meines bescheidenen Wissens nach geht es Spitzer gewöhnlich nicht um die gefährliche Strahlung des WLANs, sondern um den Inhalt der digitalen Medien. Glaubt man der FAZ, so habe ich allerdings Spitzer bislang immer falsch verstanden, denn er sagt laut den Frankfurter Qualitätsjournalisten:

„Daneben könne die Belastung nachweislich auch zu Spermienschädigungen und sogar DNA-Strangbrüchen führen, also das Erbgut verändern“.

Schließlich wird das Triptychon des Namedroppings noch mit einer Sprecherin des Bundes für Umwelt- und Naturschutz komplettiert, die

„die Schädlichkeit der W-Lan-Nutzung belegten; insbesondere die gebündelte und ‚körpernahe‘ Nutzung durch Dutzende Schüler sei bedenklich.“

Ich kann nicht beurteilen, ob WLAN in irgendeiner Weise schädlich ist. Aber ich kann eine gute Argumentation erkennen, wenn ich eine sehe. Und fast genauso gut kann ich Humbug ausmachen. Daher verlasse ich mich lieber auf den gut argumentierenden Joachim Schulz, der schreibt:

„DNA-Strangbrüche treten bei radioaktiver Bestrahlung und Röntgenstrahlung auf. Hierbei werden die Molekülbindungen in der DNA, dem Erbgut tragenden Molekül, aufgebrochen. Um solch eine kovalente Molekülbindung aufzubrechen ist Energie nötig. Diese Energie kann im Photoeffekt nur von einem einzelnen Photon aufgebracht werden. Die Photonenenergie der Strahlung, die im WLAN verwendet wird, liegt bei etwa 10 Mikroelektronenvolt. Um eine kovalente Bindung aufzubrechen braucht es mehrere Elektronenvolt, also einige 10.000 mal mehr Energie, als die 2,4 Gigahertz-WLAN-Strahlung aufbringen kann. DNA-Strangbrüche durch WLAN sind physikalisch unmöglich.“

Mich interessiert, wie gesagt, vor allem, wie die Menschen argumentieren, denn das kann ich gut beurteilen. Und diesbezüglich sehe ich hier das fast schon panische Plädoyer für zwei sehr alte menschliche Ängste: Zum einen die Angst vor Strahlen. Strahlen und ihre Verwandte wie „Etwas im Trinkwasser“ sind Ausdruck der tief in uns verwurzelten Angst vor Dingen, die wir nicht wahrnehmen können, die uns aber dennoch krank machen oder gar töten. Eine Angst, die spätestens mit der Entdeckung von Krebs massentauglich wurde. Schließlich können und wollen wir uns nicht mit dem Gedanken abfinden, dass unser eigener Körper sich gegen uns wendet. Daher brauchen wir eine Erklärung dafür und da es offensichtliche Korrelationen etwa zwischen Rauchen und Krebs gibt, versuchen wir eben jene Fälle der Krankheit, die wir nicht erklären können, auf Unsichtbares wie Stahlen zu schieben. Und was bei Krebs klappt, klappt auch bei Unfruchtbarkeit, „Überforderung, Kopfschmerzen, ADHS und psychischen Erkrankungen“.

Schließlich aber ist der Artikel vor allem ein Ausdruck des Kulturpessimismus. Und das ist ja quasi die Paradedisziplin der FAZ. Kathrin Passig hat in ihrem bekanntesten Text, den ihr sicher alle kennt, neun Standardargumente der Technologiekritik zusammengefasst:

  1. Wozu soll das denn gut sein?
  2. Wer will denn so was?
  3. Nur seltsame Gestalten oder privilegierte Minderheiten wollen das Neue.
  4. Vielleicht geht es wieder weg.
  5. Dadurch ändert sich gar nichts
    5a Es ist nur ein Spielzeug
    5b Damit ist kein Geld zu verdienen
    5c Die Nutzer haben einander nichts mitzuteilen.
  6. Das Neue ist nicht gut genug
  7. Schwächere können nicht damit umgehen
  8. Schlechte Manieren
  9. Schädlicher Einfluss auf das Denken, Schreiben und Lesen

Hier in überarbeiteter Form.

und was die FAZ hier vertritt ist quasi das siebte Argument in Reinform, denn schließlich geht es ja um Kinder:

„Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss man sich Gedanken darüber machen, was das Neue in den Köpfen von Kindern, Jugendlichen, Frauen, der Unterschicht und anderen leicht zu beeindruckenden Mitbürgern anrichtet. „Schwächere als ich können damit nicht umgehen!“, lautet Argument sieben.“

Kombiniert wird dies durch die Instanz von Manfred Spitzer mit dem neunten Argument:

„Hat die neue Technik mit Denken, Schreiben oder Lesen zu tun, dann verändert sie ganz sicher unsere Denk-, Schreib- und Lesetechniken zum Schlechteren.“

Ich möchte euch nicht verschweigen, dass Passig ihre Position später selbst kritisiert hat:

„Bitte denken Sie also beim nächsten Teil meines Vortrags daran, dass alles, was ich sage, falsch ist.“

Und diesen kritischen Standpunkten Standardsituationen des Technikoptimismus entgegengesetzt hat. Denenzufolge bringen neue Techniken:

  1. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, garantierte Redefreiheit
  2. Weltfrieden
  3. Lernen wird ganz einfach
  4. Ende der Knappheit
  5. Ende des Verbrechens
  6. Überwindung des Todes

Ich finde es zwar schön, dass Kathrin Passig  ihre Position durch falsche optimistische Prognosen ergänzte, dennoch finde ich, dass sie mit sich selbst zu hart ins Gericht geht, wenn sie sagt, ihre Auffassung war falsch, dass bestimmte Kritiken immer wiederkehren, sondern dass es eben nur diese sind, die uns überliefert wurden. Denn wichtig ist ja auch die Frage, warum sie uns überliefert wurden. Und ich denke nicht, dass dies immer nur aus Spott gegenüber konservativen Positionen geschah, sondern auch, weil Kulturpessimismus für viele Menschen schlichtweg attraktiv ist. Schließlich wissen wir alle, dass früher alles besser war. Und besonders dann ist dieses Gefühl für uns attraktiv, wenn sich gerade große Umwälzungen ereignen wie beispielsweise ein Medienwandel. Einen solchen Medienwandel erleben wir gerade mit der Digitalisierung, aber schon in den fast 2500 Jahre alten Texten von Platon lassen sich Passigs Argumente finden, und zwar gegen die Technik des Schreibens:

„Dieses Mißliche nämlich, o Phaidros, hat doch die Schrift, und sie ist darin der Malerei gleich. Denn die Erzeugnisse auch dieser stehen wie lebendig da; wenn du sie aber etwas fragst, schweigen sie sehr vornehm.“

Zu Platons Zeit war die Alphabetschrift quasi der neue heiße Scheiß. Gewissermaßen „gerade erst erfunden“, und mit ihr die erste gewissermaßen vollständig demokratische Schrift*. Ein Schriftsystem, das so einfach zu lernen war, dass es nicht mehr bloß Eliten, sondern breiten Massen zur Verfügung stand.

Das führte in Platon zu einer entsprechenden pessimistischen Haltung die er im Dialog Phaidros und im berühmten siebten Brief festgehalten hat. Er kritisierte an der Schrift folgende Punkte:

  1. Schrift schwäche das Gedächtnis
  2. Schrift sei zur Vermittlung von Wissen ungeeignet, da die Schüler keine Rückfragen stellen könnten
  3. Der Leser bilde sich ein, etwas begriffen zu haben, ohne dass er es wirklich verstanden hat (weil er es nicht im Dialog erlernte, wo ihn der Lehrer ermahnen könne)
  4. Schreiben sei nur ein mangelhaftes Abbild des Redens
  5. Text könne sich nicht gegen unberechtigte Kritik zur Wehr setzen
  6. Text könne nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Leser eingehen

Wieder sind es die Argumente sieben und neun von Passig, die sich hier herauslesen lassen. Wie später noch so oft, etwa gegenwärtig von Spitzer, hat Platon damals wirklich existierende Schwächen des Mediums schamlos übertrieben und verallgemeinert, zugleich aber die positiven Seiten unter den Tisch fallen lassen. Denn natürlich kann (oder in Zeiten von Textmessagern besser: konnte) man mit der Schrift in keinen Dialog treten. Aber dafür können wir aufgrund von Platons performativen Widerspruch (Ein Widerspruch der dadurch entstand, dass er seine Schriftkritik aufschrieb!) noch heute Platons Kritik lesen. Denn die Schrift bietet gegenüber dem gesprochenen Wort den großen Vorteil, beständig, persistent, zu sein, während das gesprochene Wort sich ephemer wie ein FAZ-Artikel von gestern verhält und kaum ist es geäußert, auch schon wieder verschwunden ist…

Das verschwundene Medium

„Was aber wäre, wenn die digitale Kopie die Idee des Datenträgers obsolet gemacht hätte?“

Dirk von Gehlen: Das Ende des Datenträgers.

DvG setzt sich in einem sehr kurzen, knackigen Blogpost mit einem Zitat von Gabor Steingart auseinander. Steingart sagt unter anderem, dass das Medium für den Journalisten und die Journalistin egal sei, einzig der Inhalt zähle. Dirk von Gehlen führt aus, dass diese Idee zu kurz greift, weil, wie ich es hier schon mal im Anschluss an Sybille Krämer schrieb, am Inhalt, „die Spur des Mediums“ haftet.

Dabei geht von Gehlen meines Erachtens aber einen Schritt zu weit, wenn er sagt, dass die Idee des Datenträgers obsolet geworden ist. Denn wir sollten den Datenträger nicht aus dem Blick verlieren, da wir schon das Glück haben, dass er uns einmal in diesen hineingeraten ist. Ich verstehe, was DvG sagen will, aber wir sollten nicht vergessen, dass hinter den „fließenden Inhalten“ noch immer ein Datenträger wie ein Flussbett steht.

Denn, wenn wir das vergessen, wachen wir vielleicht eines Tages auf, und merken, dass wir nicht über die Welt sprechen, oder über unsere Gedanken, sondern über unsere Sprache. Oder wir merken, dass wir eigentlich gar keine Sprachwissenschaft betreiben, sondern in Wirklichkeit Schriftwissenschaft*.

 

*Hinterhältiger Affili-Link: Kauft ihr das Buch, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich

Alles verbieten!

fordert im Zeit-Blog Velophilstrengere Strafen für Falschparker„. Sie ist, wie der Titel ihres Blogs verrät für die gute Sache, nämlich die der Radfahrer unterwegs und trägt gewichtige Argumente vor:

„Viele Eltern beispielsweise lassen ihre Kinder nicht zu Fuß zur Schule gehen oder mit dem Rad fahren, weil sie den Schulweg gefährlich finden. Gerade vor den Schulen zwingen Falschparker Kinder immer wieder dazu, auf die Straße auszuweichen.“

Wer könnte etwas dagegen sagen? Für unsere Kinder! Da muss sie doch Recht haben. Das Wohl der Kinder ist ein perfides Totschlagargument, quasi der Antihitler. Denn du kannst ja nicht ernsthaft dagegen sein, ARSCHLOCH!?!

Reaction Gif Zorn

Daher argumentieren Politiker auch so gerne mit Kinderpornographie um mehr Überwachung und Reglementierung im beziehungsweise für das Internet zu fordern. Aber wir waren ja gerade beim Radfahren.

Ich bin selbst überzeugter Radfahrer, fahre jeden Tag zwischen 12 und 20 Kilometer durch Frankfurt. Und auch mich nerven Autos ungemein. Auch ich verstehe nicht, warum Autofahrer glauben, es sei eine unzumutbare Behinderung für andere Autofahrer, wenn sie mal eben ™ auf der Straße halten, aber das gleiche für absolut legitim halten, wenn sie sich einmal quer über Radweg oder Bürgersteig stellen. Sodass im schlimmsten Fall jemand mit Kinderwagen noch auf die Straße ausweichen muss. DAS KOTZT MICH AN!!!!!111!11!

Reaction-Gif: Zorn

Aber deshalb strengere Strafen fordern? Ich weiß nicht… Ich bin immer etwas skeptisch, wenn jemand den Just Cause ausgerechnet mit Verboten und Strafen durchsetzen will, das schrieb ich ja neulich schon. In diesem speziellen Fall ist es zudem noch so, dass unsere Gesetze durchaus Mittel zur Verfügung stellen, sich gegen Falschparkerinnen zu wehren, die dafür sorgen, dass Kinder auf die Straße ausweichen müssen. Man kann ein solches Auto nämlich völlig zu Recht abschleppen lassen. Allein, das kostet Zeit, Mühen und am Ende entscheidet der herbeigerufene Polizist vielleicht sogar, dass das alles gar nicht so schlimm ist.

Im Fall des Straßenverkehrs bin ich zudem noch deshalb skeptisch, da du als Teilnehmer insgesamt und als Radfahrerin im besonderen mit Adrenalin vollgepumpt bist, wenn du daran teilnimmst. Das ist wichtig, da es deine Sinne schärft und deine Konzentration erhöht. Ich erlebe mehrmals wöchentlich Situationen in denen Autofahrer meine Gesundheit, ach was, mein Leben riskieren. Da ist es überlebenswichtig, unter Strom zu stehen und schnell reagieren zu können. Aber zugleich ist Adrenalin ein extrem schlechter Ratgeber, weswegen man mir besser keine Bazuka in die Hände drücken sollte, wenn mich mal wieder ein Auto geschnitten hat!!!!

Versteht mich nicht falsch, Radfahren ist auf alle Fälle besser als Autofahren. Ich meine, Autos sind laut, sie stinken, sie machen durch ihre Abgase die Umwelt kaputt und deine Mitmenschen krank. Außerdem machen sie dich mangels Bewegung krank. Und sie sind gefährlich. Wenn ich mit meinem Fahrrad gegen ein Auto fahre, hat es im schlimmsten Fall eine Beule, wenn ein Auto mit seinen 1,5 Tonnen Kampfgewicht gegen mich fährt, bin ich Mus. Fahrräder sind außerdem leise (bis auf meine Vorderradbremse), halten dich fit und stehen nie im Weg…

Fahrräder im Weg
Bild: Münster. Urheber: Bundesarchiv. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE

Fahrradfahrerinnen sind also eindeutig bessere Menschen als Autofahrerinnen. Ausnahme bilden lediglich die paar Idioten, die, wenn meine Tochter (7) ihr Rad an eine städtischen Radstange oder einen Laternenpfahl anschließt, meinen, sie könnten ihr Rad noch über das Rad hinweg an der gleichen Stange anschließen, weil es ja nur ein kleines Rad ist, oder so… Aber ich habe Mittel und Wege, diesen paar Irrlichtern, ihren Irrtum ruhig und sachlich darzulegen.

Dalí hat hier sein Rad abgestellt
Dalí hat hier sein Rad abgestellt

Obwohl ich als Radfahrer also glaube, dass Radfahrer die besseren Menschen sind, bin ich dennoch gegen strengere Strafen für Autofahrer und zwar, weil ich nicht weiß, 0b ich nicht letzten Endes nur deshalb dafür bin, weil ich Radfahrer bin und nicht etwa, weil es wirklich gerechter wäre. Dem Problem der Motivation bei ethischen Begründungen hat sich John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit ausführlich gewidmet und den berühmt gewordenen ‚Schleier des Nichtwissens‘ als Gedankenexperiment erfunden. Rawls vertritt die Ansicht, dass wahre Gerechtigkeit eine Verfahrensgerechtigkeit ist. Dass also ein gerechtes Verfahren gefunden werden muss, um zu gesellschaftlichen Entscheidungen zu kommen, von denen wir dann sagen können, sie sind gerecht.

„Irgendwie muß man die Wirkung von Zufälligkeiten beseitigen, die die Menschen in ungleiche Situationen bringen und zu dem Versuch verführen, gesellschaftliche oder natürliche Umstände zu ihrem Vorteil auszunutzen.“

John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit.*

Und genau das ist hier der nicht der Fall, ich bin als Radfahrer eben in einer solchen ungleichen Situation, die ich immer versucht bin, zu meinem Vorteil auszunutzen…

„Zu der Entscheidung, wie eine wahrhaft gerechte Gesellschaft aussehen würde, könnte ich erst kommen, wenn ich nicht wüsste, welche Position ich in dieser Gesellschaft einnehme. Und genau das ist die Situation von der das Gedankenexperiment des Schleiers ausgeht. Sie nimmt an, dass sich Vertreter aller Gesellschaftsschichten zu einer Verhandlung treffen. Sie sollen entscheiden, wie ihre zukünftige Gesellschaft aussehen soll. Der Clou ist jetzt, dass alle Teilnehmer an einer temporären Amnesie leiden: Sie wissen nicht, welche Positionen sie später in dieser Gesellschaft einnehmen werden.“

Schamloses Eigenzitat.* Hervorhebung von mir. Mindfuck kostenlos dazu… 😉

Wenn ich also entscheiden müsste, ob Falschparker strenger bestraft werden müssen, müsste ich gerade von meiner Position als Radfahrer abstrahieren. Und das ist mir für einen Montagabend nun wirklich zu anstrengend, da rege ich mich lieber weiterhin über Autofahrer auf, spreche mich aber zugleich gegen härtere Strafen aus…

 

 

*Hinterhältiger: Affili-Link: Kauft ihr das Buch, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Mitreisende

Seit meine Tochter (7) zur Schule geht, bin ich kein Pendler mehr, sondern kann ganz gemütlich mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Am Freitag fuhr unsere nicht mehr ganz so kleine Familie dann aufs Land. Mit der Bahn. Zur Rush Hour. Ein interessanter Perspektivwechsel, denn jetzt konnte ich mal aus der Rolle des Touristen heraus all die gestressten Pendler beobachten.

Da war zum Beispiel die 20er-Jahre-Schönheit, die sich sehr viel Mühe mit ihrem Styling gegeben hatte und wahrscheinlich jede einzelne ihrer großen Locken von Hand gelegt hatte. Sie guckte die ganze Fahrt über demonstrativ genervt. Unter anderem, weil wir scheiß Touris mit unserem Kinderwagen mehrere Notsitze blockierten, sodass sie sich nicht setzen konnte.

Ein Klassiker unter den Pendlern war auch vertreten: Der Typ, der gar nicht einsieht, seine Tasche auf den Boden neben seinen Sitz zu stellen oder auf seinen Schoß zu nehmen. Nein, seine Tasche braucht einen eigenen Sitzplatz in der überfüllten Bahn. Selbst als er von der Schaffnerin mit nordhessisch rollenden „Rs“ dazu aufgefordert wurde, den Platz freizumachen, lamentierte er noch, dass die Tasche im Gang doch den Notausgang blockieren würde – was sie nicht tat. Letztlich musste er sich aber geschlagen geben, als die Schaffnerin einen bemitleidenswerten Stehreisenden quasi auf den Sitz nötigte.

Es gab den Feierabendbiertrinker und den Fastfoodesser. Beides Phänotypen, denen nicht bewusst ist, dass gestresste Mitreisende weniges noch weniger brauchen als den Geruch von Alkohol oder fettigem Essen. Dann gab es da noch den Typen mit dem unvorteilhaften Gesicht, der trotz brütender Heizungsluft seine Mütze aufbehielt, dann aber sich die nötige Ventilation durch einen offenstehenden Mund verschaffte. Es war jene Sorte Mensch, die andere unverhohlen anstarren, als wären sie zu ihrer persönlichen Unterhaltung da. Solchen Starrenden möchte ich gerne ins Gesicht schreien: „Hast du kein Smartphone, auf das du glotzen kannst?!“

Neben diesen paar Zeitgenossen, die durch ihre pendlerische Unangepasstheit auffallen, gab es noch eine große Gruppe von Normalos, die das tat, was man sinnvollerweise in der Bahn tut: Lesen. So etwa, der junge Mann mit der 80er-Digitaluhr, der Oben wie Unten Jeans trug und seinen Notsitz für unseren Kinderwagen geräumt hatte und ganz unaufgeregt auf einem anderen Platz mit Hilfe seines neuen iPhones weiterlas. Ihm gleich tat es der Mitvierziger in der Jacke eines Highscholl-Quaterbacks, der mit glänzend zurückgegelten Haaren auf sein Windows-Tablet blickte. Oder auch die brav gekleidete Frau mit dem freundlichen Rundgesicht, die „Der Fänger im Roggen“ auf Papier las und davon träumte, selbst eine rebellische Jugendliche in den 50er Jahren zu sein.

Ein schönes Phänomen bei längeren Bahnfahrten sind auch immer jene Zeitgenossen, die – sobald die Ansage erklingt, dass „in Kürze“ der nächste Bahnhof erreicht werde – schon einmal aufstehen und sich brav an der Tür anstellen. Schließlich weiß jeder, dass tagtäglich Millionen von Menschen verlorengehen, weil sie es nicht schaffen, rechtzeitig den Zug zu verlassen. Entsprechend panisch ist auch das Rennen und Drängen hinaus, sobald sich einmal die Türen geöffnet haben. Diese Panik wird nur noch überboten von jenen Menschen, die von der Angst erfüllt sind, nicht rechtzeitig in den Zug hineinzukommen und daher versuchen, jede noch so kleine Lücke im Strom der Hinausdrängenden zu nutzen für den rettenden Sprung in die Bahn.

Bleibt abschließend mir nur noch die Pflicht, mich bei dem genervten Piloten zu entschuldigen, dass wir die Dreistigkeit besaßen uns mit unserem Kinderwagen in SEINEN Fahrstuhl zu drängen, obwohl wir doch sehen konnten, dass er und seine Aktentasche diesen schon vollends ausfüllten! Es tut uns leid.

Was beweist Don Alphonsos Post?

Don Alphonso hat einen Blogpost geschrieben, darüber, dass Feministinnen schlechte Menschen sind. Dieser Post geht gerade viral und viele lassen sich von seinen Argumenten überzeugen. Amüsant fand ich zum Beispiel, dass sich Fefe schockieren ließ:

„Aber alleine die Liste an menschenverachtenden Tweets, die er da verlinkt, die hat mich gerade ein bisschen sprachlos gemacht.“

Fefe ist ja selbst kein Kind von Traurigkeit und zurückhaltender Sprache, aber das ist eine andere Geschichte. Mir geht es mal wieder nicht um den Inhalt einer Debatte, sondern um die Form, in der diese geführt wird. Die Frage, die für mich spannend ist, lautet: Was beweist Don Alphonsos Post?

Die Antwort:

Nichts. Er bestätigt nur die vorgefertigte Meinung von Menschen, die gerne in dieser Meinung bestätigt werden möchte. Warum ist das so? Weil D.A. anekdotisch argumentiert. Eine Anekdote eignet sich zwar, um die Stimmung zu heben, aber sie ist kein Beweis. Würde hier nicht über Feminismus diskutiert, sondern über Homöopathie, dann würde Herr Alphonso immer wieder Variationen von „Also mir hat’s geholfen“ schreiben. Er reißt Tweets mit markiger Ausdrucksweise aus dem Kontext einer langen Debatte unf reiht sie aneinander. Das würzt er mit Blogposts, bei denen er durch anteasern darauf setzt, dass nur die Überschrift gelesen und dann kopfnickend in der Lektüre des Don fortgefahren wird.

Aber so zu verfahren ist höchst manipulativ, oder wie ich es gerne nenne: sophistisch. Denn man kann fast alles damit beweisen. Ich kann euch diese These beweisen, denn ihr werdet in den folgenden Zeilen selbst lesen können, was für ein schlechter Mensch dieser Don Alphonso ist. Aber nie vergessen: Das ist eigentlich einfach nur ein tendenziöser Artikel, der nichts beweist…

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch, denn ganz offensichtlich bezahlt DA Menschen für Kommentare, …

… um den Verkauf von Anne Wizoreks Buch zu sabotieren.

Und nicht nur das, Don Alphonso ist auch ein schlechter Mensch, weil er irgendwelche ekeligen Sachen in anderer Leute Briefkästen schmeißt, während sie im Urlaub sind:

Und zwar ist es Torte!

Das ist doch widerlich! Das verklebt doch die komplette Post, die sich im Urlaub ansammelt!

Da seht ihr, was Don Alphonso für ein schlechter Mensch ist! Gott sei Dank, gibt es offenbar Zustellungsprobleme:

Dass Don Alphonso ein schlechter Mensch ist, sieht man zudem daran, dass er Drogen nimmt! So hatte er bei seinem letzten Berlinbesuch Probleme, sich seine Drogen zu besorgen:

Don Alphonso ist ein schlechter Mensch! Aber immerhin erkennt er seine eigenen Defizite:

Anscheinend besteht noch Hofnung für ihn, denn er sieht ein, dass solche Tweets …

… doch sehr infantil sind:

Positiv ist auch, dass er einsieht, dass sein Hass auf Jaron Lanier bei seinem eigenen Körper und Geist nicht angemessen ist:

Ich denke das reicht. Nicht vergessen: Ich weiß nicht, ob Don Alphonso wirklich ein schlechter Mensch ist, aber ich weiß, dass so zu argumentieren, manipulativ ist…

Ich bin zwar auch kein Fan von überhitzten Debatten, bei denen die verschiedenen Seiten versuchen, sich durch lauteres Schreien zu übertönen. Aber noch schlimmer finde ich manipulative Artikel, die versuchen durch Rosinenpickerei ihre Widersacher zu diskreditieren. Besonders, wenn sie von einem von uns weißen, heterosexuellen Männern stammen, der sich darüber beschwert, wie schlecht wir ™ behandelt werden. Wie sagte Louis C. K. einst so schön:

https://www.youtube.com/watch?v=qg48ZZ2wYfM