Ich habe einen Tag auf digtitale Technik verzichtet. Dies ist mein Reisebericht ins Offland.
Beim 29C3 hielten Frank Rieger und Ron den Vortrag Security Nightmares 2012. Im Zuge dieses kurzweiligen Vortrags unterbreiteten die beiden den Vorschlag, man solle doch mal einen Paperday machen, um zu testen, ob man dazu noch in der Lage sei. Die Idee fand ich gut und wollte sie unbedingt durchführen. Es ist aber schon bezeichnend, dass ich das Vorhaben seit Dezember 2012 vor mir herschob und erst jetzt im November 2013 dazu kam, ihn durchzuführen, den Paperday.
Die Regeln für meinen Paperday
Die Regeln für meinen Paperday habe ich mir ganz subjektiv und willkürlich zurechtgelegt. Zunächst konnte nur ein Wochenendtag dafür herhalten. Denn unter der Woche verdiene ich mein Geld mit dem Internet und mein Chef hätte sicher wenig Verständnis dafür, wenn ich ihm sagte, ich will einfach mal einen Tag mit Stift und Papier arbeiten. Um aber nicht in totale Agonie zu verfallen und den ganzen Tag auf dem Sofa dahinzuvegetieren, habe ich einen Tag gewählt, an dem meine kleine Familie und ich zu meinen Eltern reisten.
Verzichtet habe ich an diesem Tag auf jegliche Digitaltechnik: Natürlich das Internet, Computer, mein Smartphone und das Tablet. Konventionelle Technik wie Strom, Radio und CD (also ein bisschen geschummelt), Uhren (auch digitale) die halt in der Welt so rumhängen und unser Auto habe ich zugelassen und natürlich jede Menge Papier: Ich trug ein Notizbuch bei mir, in das ich meine Gedanken zu jenem Tag kritzelte und Notizen, die ich normalerweise getwittert hätte…
Das Protokoll
8:30 Uhr – Ich habe mein Vorhaben im Halbschlaf gleich vergessen und setze nach dem Blick aus dem Fenster erst einmal einen Tweet ab.
Der November versucht an den großen Erfolg der vergangenen Jahre anzuknüpfen, indem er sein Patentrezept wiederholt: Nebel und Regen.
— Privatsprache (@Privatsprache) November 2, 2013
Daran, dass ich mein Gedächtnis heute nicht auf diese Art und Weise externalisieren wollte, erinnert mich die Dame pflichtschuldig. Offlinerin, die sie ist, freut sie sich anscheinend schon auf den Tag, an dem ich gänzlich in ihre Sphäre wechsle. Normalerweise hätte ich den Morgen Kaffeetrinkend und Blogs lesend im Bett verbracht. Statt dessen liege ich dort und lese Band 9 der Eis-und-Feuer-Reihe. Das Buch liegt seit einem halben Jahr auf meinem Nachttisch, weil ich es nicht gut finde, mich aber nicht überwinden kann, es aufzugeben. Wahrscheinlich beschließe ich wieder, die Reihe nicht weiterzulesen, bis die nächste Staffel Game of Thrones läuft und ich wieder angefixt werde…
9:30 Uhr – Meine Tochter (6) möchte „Yellow Submarine“ hören. Die Dame meint zwar, dass wir irgendwo die CD haben, aber da unsere große CD-Sammlung faktisch nie benutzt wird, ist sie in keiner Weise sortiert. Ohne Suchfunktion stöbere ich gefühlte drei Stunden nach der CD, finde sie aber nicht, sondern speise meine Tochter (6) mit irgendeiner anderen Beatles-CD ab. Allerdings bleibt anzufügen, dass sie das nicht sonderlich stört, denn Sie will eigentlich nur „Rockstar“ spielen (Also mit dem Fotostatif vor dem spiegelnden Fernseher stehen und Playback singen).
9:50 Uhr – Jetzt möchte meine Tochter (6), dass ich ihre Rockshow filme. Zwar hat die Dame noch eine alte Videokamera, aber ich weiß weder wo sie ist, noch könnte ich sie bedienen. So bleibt die Liveshow ungefilmt…
10:30 Uhr – Aus einem Reflex heraus möchte ich das Handy auf dem Nachttisch auf Statusmeldungen hin überprüfen. Dann fällt mir ein, dass heute der Paperday ist und ich lasse es halt bleiben.
10:40 Uhr – Im Bad hätte ich normalerweise einen Podcast gehört. Nun steige ich aufs Radio um. Der Bericht behandelt den Lobbyeinfluss bei den Koalitionsverhandlungen. Durchaus ein Informationsgewinn, den ich sonst nicht gehabt hätte.
11:00 Uhr – Beim Frühstück erzählt die Dame eine Anekdote vom Friseur „Director’s Cut“, der als Logo die Silhouette eines dicken Mannes mit Vogel auf der Schulter hat. Wir spekulieren, ob es Hitch ist und womöglich sogar das Plakat von „Die Vögel“. Normalerweise hätte ich das jetzt gegoogelt. So bleibt die Frage ungeklärt.
11:20 Uhr – Im weiteren Verlauf des Frühstücks kommt die Frage auf, wann Stanislav Lem gelebt hat. Ohne Google gibt der Klappentext der Sterntagebücher Auskunft.
11:30 Uhr – Immer noch Frühstück: Wir besprechen, dass ich mit dem Kater zum Tierarzt muss. Normalerweise hätte ich das in Wunderlist notiert. So kommt es in mein Notizbuch.
11:50 Uhr – Ich bin heute dran mit dem samstäglichen Wohnungsputz. Meine In-Ear-Kopfhörer dämpfen normalerweise den Staubsaugerlärm sehr gut, sodass ich beim Saugen Musik oder Podcasts hören kann. Ohne Handy fällt die Option weg und das Putzen ist sehr viel langweiliger. Das ist das erste Mal, das ich mein Handy wirklich vermisse.
13:10 Uhr – Wir wollen also zu Opa und Oma fahren. Ich habe gepackt und bin abfahrbereit. Allerdings brauchen die Dame und meine Tochter (6) noch Zeit. Mein Buch ist schon verpackt. Da mir das Checken der Timeline heute versagt bleibt, bleibt nur Langeweile.
13:20 Uhr – Autofahren ohne Navi ist kein Problem, da ich die Strecke kenne.
14:20 Uhr – Kaffeetrinken bei meinen Eltern. Der Smalltalk langweilt mich stellenweise und ich erwische mich dabei, dass ich auf mein Handy blicken möchte. Aber das liegt ganz unten im Gepäck verstaut.
14:50 Uhr – Wir wollen im Garten arbeiten. Mein Vater will auf „dem Regenradar“ checken, ob sich das lohnt oder gleich der nächste Schauer kommt. Ich will nicht schummeln, dennoch haben wir Glück und bleiben trocken.
16:20 Uhr – Meine Tochter (6) sitzt am Tisch und spielt. Sie hat die Haare zu Zöpfen geflochten und sieht bezaubernd aus. Ich ärgere mich, dass ich kein Foto machen kann.
16:40 Uhr – Zu meinen Routineaufgaben im elterlichen Haushalt gehört, auf dem Laptop meiner Mutter sämtliche Updates durchzuführen. Das verschieben wir dann aber auf morgen.
17:00 Uhr – Ich erzähle vom Paperday. Mein Vater behauptet, er habe mich zuvor auf mein Handy blicken sehen. Das ist allerdings unmöglich, da das Handy noch immer im Gepäck verstaut ist und bestätigt nur meine These, dass die nach Mustern suchenden Gehirne der Offliner jederzeit bereit sind, ihr Klischee zu bestätigen, dass ich Netzbewohner ja dauernd auf mein Handy gucke.
18:00 Uhr – Noch einmal erwische ich mich dabei, dass ich im Gespräch outgezoned bin und überlegt habe, welche Statusmeldungen ich wohl bekommen habe. Am Tag danach stelle ich übrigens fest, dass außer ein paar Favs, Retweets, einer Direktnachricht und zwei E-Mails nichts los war in meinen sozialen Netzen, sodass ich nichts verpasst habe.
19:00 Uhr – Es ist dunkel geworden und die Beleuchtung im Wohnzimmer von Oma und Opa erzeugt eine schöne Stimmung. Statt auf einem Foto muss ich das eben im Gedächtnis behalten.
19:15 Uhr – Seit einer halben Ewigkeit höre ich mal wieder Fußball im Radio, was durchaus Spaß macht. Beim Abendessen wird das Radio dann aber ausgestellt und ich kann nicht nachlesen, wie meine Eintracht gespielt hat.
21:40 Uhr – Im Gespräch kommen wir auf die Frage, woher der Begriff „Fehlerteufel“ kommt. Sie bleibt unbeantwortet.
22:00 Uhr – Meine Eltern gehen ins Bett. Normalerweise hätte ich jetzt noch eine Folge „Misfits“ geguckt, so lese ich eben noch ein bisschen.
23:00 Uhr – Einschlafen ohne Podcast im Ohr geht erstaunlich gut. Ich habe keine Sorgen, die mich davon abhalten und außerdem Wein im Blut…
Der Morgen danach – Natürlich bleibt es nicht unkommentiert, dass ich wieder mein Handy zur Hand habe. Aber wenn ich so ein Trara wie einen Paperday veranstalte, braucht mich das nicht zu verwundern…
Fazit
Mein Paperday fiel mir überaus leicht. Ich hatte keine Entzugserscheinungen von meiner „Internetsucht“. Im Laufe des gesamten Tages hatte ich nur fünf Mal den Impuls, meine Timeline zu checken. Sechs Gedankengänge, die ich normalerweise getwittert hätte, habe ich diesmal auf Papier festgehalten – ein Verhalten das die Offliner offensichtlich nicht so sehr stört wie der Griff zum Handy. Vielleicht behalte ich es daher bei. Weiterhin ist mir positiv aufgefallen, dass ich zwar insgesamt weniger, aber mehr in meinem Roman gelesen habe. Ich habe mir vorgenommen, wieder aktiver Bücher zu lesen und weniger Artikel und Blogs. Dem gegenüber steht aber, dass das Leben wesentlich grauer ist ohne die Vorzüge der Digitalität. Sowohl meine Tochter (6) als auch meine Mutter mussten sich in Verzicht üben und langweilige Tätigkeiten wie Putzen, Warten oder Gartenarbeit sind ohne Kopfhörer noch langweiliger. Auch empfinde ich es als absoluten Gewinn, jederzeit schöne Situationen und Eindrücke mit dem Fotohandy festhalten zu können. Dennoch werde ich den Paperday nächstes Jahr wiederholen. Mal schauen, was sich dann ändert.
Spannender Selbstversuch! Vielen Dank, dass du deine Erfahrungen zum Papiertag in digitaler Form geteilt hast ;o)
Na ja, auf Papier hätte der Erfahrungsbericht nicht so eine Reichweite gehabt… 😉