Platon – Was ist eigentlich ein Irrtum?

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Daniel
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Platon – Der Philosophenkönig – Folge 23

Heute möchte ich mich der Frage widmen, was eigentlich ein Irrtum ist. Und ich warne euch vor, das hier ist ein harter Brocken, eine Dehnübung für eure Seele. Aber bleibt dran, am Ende werdet ihr mit zwei schönen Erklärungen belohnt.

 

 

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Platon – Was ist eigentlich ein Irrtum?

Heute möchte ich mich der Frage widmen, was eigentlich ein Irrtum ist. Und ich warne euch vor, das hier ist ein harter Brocken, eine Dehnübung für eure Seele. Aber bleibt dran, am Ende werdet ihr mit zwei schönen Erklärungen belohnt. Wie immer gibt es das hier als Video oder darunter als Transkript:

In meinen Wahrnehmungen kann ich mich irren

Beim letzten Mal hatten wir zusammen mit Platon die These geprüft, ob Wissen Wahrnehmung ist. Platon hatte viele Argumente dagegen präsentiert, das für mich stärkste Argument ist aber: Wissen ist das Gegenteil von Irrtum. In meinen Wahrnehmungen kann ich mich aber irren, daher kann Wissen nicht gleich Wahrnehmung sein. Dieses Argument ist besonders stark, weil der Schluss rein semantisch ist. Die Wahrheit ergibt sich aus der Wortbedeutung. Das nennt man einen analytischen Schluss oder ein analytisches Urteil. Während ich mich bei einem empirischen Schluss irren kann, weil meine Daten über die Welt falsch sein können, ist dies bei einem analytischen Urteil nicht möglich.

Da also Wahrnehmung ausscheidet, machen sich in Platons Dialog Sokrates und Theaitetos sowie dessen dumm daneben stehender Lehrer daran, eine zweite These aufzustellen, was Wissen sein könnte. Beim letzten Mal habe ich erläutert, dass die Definition „Wissen ist Wahrnehmung“ die Geburtsstunde der philosophischen Strömung des Empirismus war. Nun dürfen wir zusehen, wie Platon eine zweite große philosophische Strömung aus der Taufe hebt: Den Rationalismus. Denn wenn Wahrnehmung – also das, was von der Welt auf uns Menschen einströmt – als Kandidat für Wissen gescheitert ist, dann erscheint es doch lohnend, das zu prüfen, was wir Menschen der Welt entgegenbringen: Das Denken.

Die reine Lehre des Rationalismus sollte später werden, dass echte Erkenntnis nur mit voraussetzungsfreiem Denken möglich ist. Bitte bedenkt, dass ich das wieder einmal bewusst extrem verkürzt ausgedrückt habe, bevor ihr mir diese Definition um die Ohren haut. Große Rationalisten sollten später so Philosophen wie Descartes und Leibniz werden. Der reine Rationalismus musste allerdings erst durch Kant und dann durch die moderne Psychologie schwere Schläge einstecken, sodass er in dieser naiven Form nicht mehr vertreten wird. Aber dennoch sind noch heute viele Philosophen von ihm geprägt, insbesondere in meiner Lieblingsströmung, der analytischen Philosophie.

Indirekter Beweis von Wissen ist wahre Meinung

Zurück zu Platon: Der stellt nämlich fest, dass nicht jede Form von Denken als Kandidat für Wissen in Frage kommt. Ich sitze hier gerade und frage mich: „Was mache ich hier eigentlich?“ Diesen Satz kann ich wohl kaum Wissen nennen. Nein, Wissen kann nur die Art von Denken sein, die auch wahr oder falsch sein kann, wie zum Beispiel: „Das Studioset zu ‚Das Fenster zum Hof‘ war das damals größte Set aller Zeiten.“ Entsprechend lautet Platons zweite, zu prüfende Definition: „Wissen ist wahre Meinung“.

Platon lässt Sokrates die Untersuchung dieser These mit einem indirekten Beweis beginnen, indem er fragt, was denn eigentlich falsche Meinung ist. Sokrates macht dies, weil er zeigen will, dass falsche Meinungen existieren, um sie dann im nächsten Schritt den wahren Meinungen gegenüber zu stellen. Das ist eine beliebte Strategie in der Philosophie, wenn man seine These besonders stark machen will: Erst einmal ausschließen, was etwas nicht ist.

Was ist also diese falsche Meinung? Platon schlägt vier Kandidaten vor und ich warne euch schon einmal – die vier machen Knoten ins Gehirn. Da wären:

  1. Wenn ich eine falsche Meinung habe, halte ich dann etwas, das ich kenne, für etwas anderes, das ich kenne?
  2. Vielleicht ist falsche Meinung auch, etwas, das ich nicht kenne, für etwas zu halten, das ich ebenfalls nicht kenne?
  3. Natürlich könnte ich auch etwas, das ich kenne, für etwas halten, das ich nicht kenne.
  4. Oder (zu guter Letzt) kann ich etwas, das ich nicht kenne, für etwas halten, das ich kenne.

Platon hält alle vier Möglichkeit für unmöglich. Etwas, dass ich kenne, kann ich nicht verwechseln, da ich es ja kenne. Aber etwas, das ich nicht kenne, kann ich nicht verwechseln, weil ich es eben nicht kenne. Es gibt also keine falsche Meinung.

Alter! Das ist ein typischer Platon-Mindfuck, bei dem dir fast der Schädel platzt, wenn du versuchst, nachzuvollziehen, was um Himmels Willen er überhaupt meint. Bei aller Kritik, muss ich aber auch sagen, dass die Systematik, mit der Platon hier vorgeht, sehr elegant ist. In der Aussagenlogik könnte man die vier Sätze durch Variablen ersetzen und würde sehen, dass Platon tatsächlich alle Möglichkeiten abdeckt.

p = q
-p = -q
p = -q
-p = q

Nur die Schlussfolgerung, dass keine der vier Möglichkeiten in Betracht kommt, ist absurd. Walter Bröcker meint, dass diese Untersuchung überhaupt nur entstehen konnte, weil es im Altgriechischen keine Unterscheidung zwischen „Kennen“ und „Wissen“ gab. Da ich Altgriechisch nicht beherrsche, kann ich das nicht beurteilen. Ich sehe hier aber mal wieder das gleiche Problem, das wir auch schon im Zusammenhang mit dem Prädikat „groß“ hatten: Platon berücksichtigt nicht, dass es mehr als Entweder-Oder-Entscheidungen gibt, dass die Welt voller Kontinuen ist.

Beispielsweise ist es nicht so, dass ich Justin Bieber entweder kenne oder nicht. Ich kann Justin Bieber auch ein bisschen kennen, wenn ich weiß, dass er Popmusiker ist, dass er ein weißes, blondes Bübchen ist, also eben dieser Typ:

PHOTO by Steven L. Shepard, Presidio of Monterey Public Affairs. CC0.

Oh, jetzt habe ich ihn wohl mit irgendjemandem verwechselt. einen anderen Justin, den ich eben auch nur ein bisschen kenne …

Anyway, Platons nächste Definition von falscher Meinung lautet: Falsche Meinung ist, zu meinen, was nicht ist. Doch auch diese Definition scheint zu scheitern, denn nach Platon ist Meinen immer „etwas meinen“. Das ist soweit korrekt. Ich meine, dass Berliner fritierte Teigbällchen mit Marmeladenfüllung sind, die in Puderzucker gewälzt wurden. Also wenn das mal nicht etwas ist! Aber dieses „Etwas“ kann immer nur etwas sein, das existiert, so Platon.

Pfff … Das sind so ontologische Problemchen, von denen ich mit 2000 Jahren Abstand meine, dass du sie einfach nicht mehr ernst nehmen kannst. Natürlich kann ich von Nichtseiendem meinen, dass es ist. Beispiel gefällig? Einhörner existieren. Basta. Außerdem unterscheidet Platon nicht zwischen logischem Subjekt und logischem Prädikat. Ich kann zum Beispiel sagen: Pferde haben die Farbe MÖÖÖÖÖÖÖP. Dann habe ich einem Subjekt, das existiert, nämlich dem Pferd, etwas zugeschrieben, das nicht existiert, nämlich die Farbe MÖÖÖÖÖÖÖP. Ihr seht, Platons Definition ist gleich in mehrere Hinsicht falsch.

Nun gut, Platon sieht das anders und prüft eine dritte Definition: Falsche Meinung ist Verwechslung. Das ist genau unser Fall mit den zwei Justins. Aber Platon lehnt diesen Fall auch wieder ab, da ich bei der Verwechslung etwas, das ich kenne für etwas anderes halte, das ich kenne. Wie schon gesagt, kennt Platon aber kein graduelles Kennen, daher zieht er den absurden Schluss, dass es keine Verwechslung gibt.

Nun ist Platon zwar ein weltfremder Philosoph, aber auch nicht ganz doof, weswegen er Theaitetos und Sokrates die Erkenntnis beschert, dass ihr Ergebnis nicht stimmen kann, denn wir alle kennen ja Verwechslungen. Und ich kann euch beruhigen, jetzt wird das alles wieder verständlicher.

Wachstafel und Taubenschlag

Um zu erklären, wie Verwechslungen zustande kommen, entwirft Platon zwei weitere berühmte Gleichnisse: Das Bild von der Wachstafel und das Bild vom Taubenschlag. Um Verwechslungen in der Wahrnehmung – wie bei unseren beiden Justins – zu erklären, dient die Tafel.

Demnach ist unsere Seele (wir können auch Geist oder Gehirn sagen) wie eine Wachstafel und jedes Mal, wenn wir einen Sinneseindruck haben, dann wird dieser in die Tafel im wahrsten Sinne des Wortes eingedrückt (ob daher wohl die Metapher kommt?). Diese Eindrücke sind nun unterschiedlich tief und tragen sich zudem mit der Zeit ab. Wir vergessen, wenn wir einer Erinnerung nicht Nachdruck verleihen.Eine Verwechslung ist nun, wenn wir beispielsweise Timberlake begegnen, ihm aber in unserem Kopf den Eindruck von Bieber zuordnen. Na das ist doch mal eine schöne und verständliche Erklärung gewesen!

Allerdings gibt es auch noch andere Arten von Irrtümern, bei denen uns das Bild von der Wachstafel nicht mehr weiterhilft. Es sind Fälle von falschen Schlussfolgerungen: Etwa bei Fällen, in denen ich mich verrechne. Oder wenn ich zum Beispiel aus der Tatsache, dass eine Gruppe von Muslimen in Köln Frauen massiv belästigt hat, schließe, dass alle Muslime Sexisten sind.

Hierfür entwirft Platon das Bild vom Taubenschlag: Meine Seele, mein Geist oder mein Gehirn ist wie ein Taubenschlag und mein Wissen ist wie die Tauben. Platon unterscheidet nun zwischen dem Besitz von Wissen und dem Haben von Wissen. Beispielsweise besitze ich das Wissen, dass ich von einem Einzelfall nicht auf eine Regel schließen kann. Wenn mir einmal von Schokolade schlecht geworden ist, werde ich doch trotzdem nicht sofort aufhören Schokolade zu essen. Diese Regel fliegt als eine Taube durch meinen Taubenschlag, ich besitze sie. Und im Fall der Schokolade habe ich sie auch erfolgreich gefangen, halte sie in der Hand und habedieses Wissen entsprechend auch.

Wenn nun aber wie im Fall nach der Silvesternacht 2016 in Köln die Situation aufgeheizt ist, alle Medien dauernd berichten und auf Facebook und Twitter rumgeschrien wird, wie schlimm diese Muslime sind, die Tauben quasi wie blöd durch meinen Taubenschlag flattern, dann kann es vorkommen, dass ich die Taube nicht fange, sondern womöglich eine andere greife. Auch dann besitze ich noch das Wissen, also die richtige Meinung, aber ich habe sie nicht mehr. Ich habe dann eine falsche Meinung.

Wie schön, am Ende hat Platon doch noch ein Kontinuum entdeckt! Aber natürlich lässt  Platon Sokrates dieses Ergebnis der Untersuchung umgehend problematisieren, wie es üblich ist in seinem dialektischem Spiel. Sokrates kommt zu dem Ergebnis, dass es ein Fehler war, die Untersuchung mit dem Irrtum zu beginnen, und man sich stattdessen der eigentlichen These zuwenden sollte, dass Wissen wahre Meinung ist.

Natürlich war es aber nicht wirklich ein Fehler. Platon hat eine gescheiterte Argumentation nicht „aus versehen“ in seinem Dialog stehenlassen. Es war stattdessen eine logische Dehnübung, die uns vor Augen führen sollte, wie kompliziert und mitunter verfahren die Lage ist, wenn wir beginnen, zu untersuchen, was unseren alltagssprachlichen Begriffen zugrunde liegt.

Nach dieser Dehnübung ist unsere Seele nun bereit, die These zu prüfen, dass Wissen wahre begründete Meinung ist. Aber weil es schon wieder so spät ist, machen wir das beim nächsten Mal.

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