Ich hatte heute Morgen eine Diskussion auf Twitter mit Christoph Kappes. Hier möchte ich meine Gedanken, die ich heute morgen auf jeweils 140 Zeichen beschränken musste, etwas weiter ausführen.
Alles fing an, mit diesem Text von Anatol Stefanowitsch. In dem „AS, wortstark wie stets“ 😉 gegen das Argument des „inneren Unbehagens“ in der aktuellen Debatte um die Rechte homosexueller Menschen anschrieb. Anatol (ich bleibe hier mal beim Twitter-Du) tat dies aufbrausend und durchaus polemisch, zwei Eigenschaften, die ich an seinen Texten sehr mag, da sie die Lektrüre sehr erfrischend machen. Unter anderem schrieb er dort:
„Ich will Merkel, Matussek, Lewitscharoff und ihren Brüdern und Schwestern im Geiste ihr Unbehagen nicht verbieten. Sie sollen es sogar äußern dürfen – aber bitte dort, wo es hingehört: Gegenüber ihren Gesprächstherapeuten, die ihnen dann helfen können, dieses Unbehagen zu verstehen und hoffentlich eines Tages zu überwinden.“
Das wiederum missfiel Christoph Kappes, der auf Mario Sixtus‘ Tweet:
Was @astefanowitsch sagt. http://t.co/pv21oqpH6d
— Mario Sixtus (@sixtus) 12. März 2014
Antwortete:
…ist Pseudorationalität. “@sixtus: Was @astefanowitsch sagt. http://t.co/H8qYXKLB9b — Christoph Kappes (@ChristophKappes) 12. März 2014
Daraufhin antwortete ich Christoph, dass ich Anatols Argument, dass Emotionen nicht als Letztbegründungen dienen können, durchaus plausibel finde und Christoph entgegnete folgendes:
@Privatsprache @astefanowitsch nein, ich interveniere, weil die Pathologisierung für mich nicht akzeptabel ist. „Gesprächstherapeuten“ — Christoph Kappes (@ChristophKappes) 12. März 2014
Woraufhin sich eine Diskussion zwischen Christoph, mir und später auch Julia Schramm entspann. Wer mehr wissen möchte kann das gerne in unserer Timeline nachlesen.
Mir geht es hier darum, etwas ausschweifender zu erläutern, warum Emotionen nicht als Letztbegründung herhalten können. Denn, ich stimme Christoph zwar zu, dass man Matussek und Co. nicht pathologisieren sollte, schon allein weil man ihnen damit auch die Verantwortung für ihre teilweise wirklich menschenverachtenden Äußerungen absprechen würde. Aber, wenn ich hier mal etwas AS-Exegese betreiben darf, dann ist der Kern von Anatols Argument ein anderer. Wenn ich etwas weniger wortgewaltig an das Thema herangehen möchte, würde ich statt „Therapeut“, „Freund“ oder „Ehefrau“ sagen. Denn all diesen Gesprächssituationen ist etwas gemein: Sie sind privat.
Es ist in einem privaten Gespräch vollkommen angebracht, zu sagen, wie man sich fühlt:
„Maria, mir ist etwas unwohl in der Magengegend.“ „Oh, du hast dir bestimmt eine Homophobie eingefangen, Matthias.“
— Privatsprache (@Privatsprache) 12. März 2014
Aber Matussek, Merkel und Lewitscharoff haben etwas anderes getan, als bloß ihre Gefühle artikuliert. Sie haben nicht über Gefühle gesprochen, wie man es tut, wenn man etwa smalltalkt: „Der Sieg der Bayern hat mich begeistert!“, oder wenn man eben mit seinem Therapeuten redet.
Ihre Gefühlsartikulation spielte eine gewisse Rolle im Sprachspiel. Ein schlauer Mann namens John Langshaw Austin hat die sogenannte Sprechakttheorie aus der Wiege gehoben. Nach dieser hat jede Äußerung, die ich von mir gebe, gewissermaßen drei Dimensionen: Lokution, Illokution und Perlokution. Oder etwas weniger „akademisch“ ;-): Der Inhalt der Äußerung, ihre Rolle und ihre angestrebte Wirkung.
Klassisches Beispiel ist die Situation, in der ich abends durch die Wohnung rufe: „Das Essen ist fertig!“. Der Inhalt meiner Äußerung ist, dass ich über einem Ding in der Welt „Essen“ eine Eigenschaft zuschreibe: „fertig sein“. Aber die Rolle meiner Aussage ist eine ganz andere: Ich wollte doch wohl kaum eine Aussage über die Welt tätigen, ich wollte meine Familie zu Tisch rufen. Die Rolle ist also eine Aufforderung, eine Bitte oder – in Familien, wo es etwas ruppiger zugeht – ein Befehl. Die angestrebte Wirkung ist nun natürlich, dass meine Familie sich auch um den Esstisch einfindet.
Wenn also Matussek, Merkel und Co. ihr „Unbehagen“ zum Ausdruck bringen, dann ist das zwar auf der Inhaltsebene (Lokution) eine Gefühls-Artikulation, nicht jedoch auch den anderen beiden Ebenen. Denn sie bezwecken ja etwas mit dieser Gefühls-Artikulation. Die Rolle (Illokution), die sie spielt, ist die eines Arguments. „Homosexualität ist schlecht, weil ich mich dabei schlecht fühle“.
Und die Wirkung, die sie erzielen wollen (Perlokution), ist meines Erachtens zweierlei: An die Stammtische geht ein „Das seht ihr doch auch so!“. Hingegen soll an die Intellektuellen die Botschaft gehen, dass dieses Unwohlsein eine Letztbegründung ist. Ein Lutherisches „Hier stehe ich und kann nicht anders“. Das ist zwar ein beliebtes Argument in der Ethik, aber es ist dennoch vollkommen ungeeignet.
Denn mit Gefühlen kann ich alles Begründen. Ich kann sowohl sagen: „Homosexualität ist falsch, weil sie mir Unbehagen bereitet“, als auch: „Homophobie ist falsch, weil sie mir Unbehagen bereitet!“, oder gar: „Brokkoli ist wider die Natur, weil er meiner Tochter (6) Unbehagen bereitet“.
Aber, wenn ich mit einem Argument alles begründen kann, hat es keinen Wahrheitswert. Es ist dann bloße Willkür, kann somit unmöglich wahr sein. Etwas muss prinzipiell widerlegbar sein, um überhaupt die Möglichkeit zu beinhalten, wahr zu sein. Das ist der berühmte Poppersche Falsifikationsvorbehalt. Und das ist ein Unterschied zu bloßer Kontingenz… Kontin-was?
@Privatsprache @astefanowitsch ich bin _prinzipiell_ nicht einverstanden. Sogar das Fundament „Menschenwürde“ ist ein Axiom. Aus gutem Grund
— Christoph Kappes (@ChristophKappes) 12. März 2014
In der Logik ist etwas kontingent, das weder notwendig wahr ist, noch unmöglich wahr ist. Das Problem einer jeden Ethik ist nun, dass sie nie notwendig wahr ist, daran ist der Sein-Sollen-Fehlschluss schuld. Letztlich werden wir immer auf die Frage zurückgeworfen: „Wie wollen wir leben?“. Genauso verhält es sich mit der Menschenwürde.
@Privatsprache drei rationale, unangreifbare Argumente für die Menschenwürde?
— Christoph Kappes (@ChristophKappes) 12. März 2014
Deswegen kann ich diese drei Argumente nicht liefern. Aber! Ein dickes, fettes „Aber“ mit Streuseln obendrauf:
Bloß, weil Menschenwürde kontingent ist, ist sie noch lange nicht willkürlich. Menschenwürde ist das Ergebnis eines tausende Jahre alten Diskurses. Menschenwürde ist deshalb in unserem Grundgesetz, weil Sklaverei, Rassismus, Kriege, Revolutionen, Sexismus und Holocaust zuvor passiert sind, alles bloß „zufällige“ Ereignisse, die nicht notwendig hätten stattfinden müssen. Aber nichtsdestotrotz haben sie stattgefunden. Und es war unter dem frischen Eindruck des Holocausts, dass unser Grundgesetz geschrieben wurde und weshalb die Menschenwürde als oberstes Axiom eingesetzt wurde. Deshalb ist Menschenwürde zwar kontingent, aber nicht willkürlich. Zu sagen, dass man die Menschenwürde bestimmten Menschengruppen abspricht, weil man ein schlechtes Gefühl hat, ist hingegen Willkür.
Ich bin raus!