Fortsetzung Kapitel 1.3 Die Geschlechtsidentität: Zirkel und Scheitern der gegenwärtigen Debatte
Christiane und ich besprechen weiter das Kapitel „Die Geschlechtsidentität: Zirkel und Scheitern der gegenwärtigen Debatte“. Heute geht es unter anderem um Humanismus, Geschlechtsidentität als Relation zu den anderen in der Gesellschaft vorhandenen Identitäten. Wir sprechen über Existenzialismus und Strukturalismus, das Spannungsfeld in dem die Geschlechtsidentität sich befindet, Irigarays These vom weiblichen Geschlecht als einem Punkt sprachlicher Abwesenheit. Ist es möglich, Weiblichkeit zu definieren ohne Rückgriff auf Männlichkeit? Butler schärft noch einmal die Unterschiede zwischen Beauvoir und Irigaray und es geht erneut darum, dass „Körper“ immer mit Weiblichkeit assoziiert wird, während Männlichkeit körperlos bleibt. Hegels Herr-Knecht-Dialektik wird ins Spiel gebracht. Und Butler wirft Beauvoir vor, den cartesianischen Geist-Körper-Dualismus unkritisch fortzuschreiben.
Fortsetzung Kapitel 1.3 Die Geschlechtsidentität: Zirkel und Scheitern der gegenwärtigen Debatte
Christiane und ich besprechen weiter das Kapitel „Die Geschlechtsidentität: Zirkel und Scheitern der gegenwärtigen Debatte“. Heute geht es unter anderem darum, dass der hegemoniale Diskurs festlegt, was verhandelt werden darf. Wir machen einen Exkurs, dass im Gegensatz zur Gender-Debatte AfD-Thesen als legitime Diskursbeiträge vom hegemonialen Diskurs akzeptiert werden. Wir besprechen Butlers These, dass die Einschränkung, welche Geschlechter denkbar sind, in unsere Sprache eingeschrieben sind. Weiblichkeit erhält demnach immer nur in Relation zu Männlichkeit Bedeutung. Butler bringt Luce Irigaray ins Spiel. Es geht um die Möglichkeit, die Welt mit der Sprache richtig abzubilden. Daniel schweift ab in das Idealsprachen-Projekt der analytischen Philosophie, warum es aufgegeben wurde und die Versuche der Postmoderne, Sprache nicht mehr als Ganzes zu ändern sondern in einzelnen Facetten so zu verbiegen, dass sagbar wird, was zuvor nicht sagbar war.
Fortsetzung Kapitel 1.3 Die Geschlechtsidentität: Zirkel und Scheitern der gegenwärtigen Debatte
Christiane und ich besprechen weiter das Kapitel „Die Geschlechtsidentität: Zirkel und Scheitern der gegenwärtigen Debatte“. Heute geht es unter anderem um Medientheorie und Butlers These vom Körper als Medium des Genders, um Sprache und sprachliche Repräsentation von Gender sowie um den hegemonialen Diskurs und die machtvolle Aushandlung, welche Gender überhaupt in einer Gesellschaft verhandelbar sind.
Abschluss von Abschnitt 1.2 – Verhältnis von Gender und Sex
Zusammen mit Christiane Attig lese ich „Das Unbehagen der Geschlechter von Judith Butler. Wir wollen uns zusammen den Text erarbeiten. Heute beenden wir den zweiten Abschnitt des ersten Kapitels. Butler präsentiert their erste berühmte These, dass auch Sex (anatomisches Geschlecht) ein Ergebnis von Diskursen ist. Welcher Art diese Diskurse sind und was das mit dem Begriff Gender (Geschlechtsidentität) macht, sind die daran anschließenden Fragestellungen. Am Ende sprechen wir noch einmal allgemeine über die Postmoderne und ihre Tendenz, alles in den Diskurs zu verschieben.
In diesem Advent präsentiere ich euch einen kleinen philosophischen Adventskalender. Jeden Tag stelle ich einen philosophischen Begriff vor und mache mir ein paar Gedanken dazu.
Ich habe neulich, als Bernd [sic!] Höcke sein Weltbild vollends entblößt hat, hier geschrieben, dass wir Rechtspopulisten keine Aufmerksamkeit schenken dürfen. Aufmerksamkeit ist in der Mediendemokratie ein kostbares Gut, denn am Ende bleibt bei den Zuschauern und Zuschauerinnen meist nicht die Botschaft hängen, sondern, dass die Meinung relevant genug war, um gesendet zu werden. Um Marshall McLuhan unverantwortlich aus dem Kontext zu reißen: The media is the message.
Rechtspopulisten nutzen genau das aus, indem sie bewusst provokante Äußerungen tätigen, damit Medienpräsenz erlangen und dann im nächsten Schritt auf eine vermeintlich gemäßigtere Position zurückrudern („wir wurden falsch zitiert“, „das wurde aus dem Kontext gerissen“ oder „meine Maus ist ausgerutscht“). Neben der Tatsache, dass sie sich ins Gespräch gebracht haben, schaffen sie mit diesem Spiel noch etwas zweites: Sie verschieben den Diskurs weiter nach rechts, indem sie bislang „unsagbare“ Thesen aufstellen und so überhaupt erst einmal ins Gespräch bringen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es übrigens – um kurz abzuschweifen – schön, dass die SPD mit Martin Schulz anscheinend endlich einen starken Kamzlerkandidaten gefunden hat und so den öffentlichen Diskurs endlich wieder weiter nach links rückt.
Auch bei Höckes vollkommen bekloppten Äußerungen über das Holocaust-Mahnmal ließ sich das Spiel der Rechtspopulisten beobachten. Das geschah dahingehend, dass zum Beispiel der Versuch gestartet wurde, sie zu legitimieren, indem gesagt wurde, dass ja Rudolf Augstein quasiiiiiiii schon mal genau das gleiche gesagt hat. Es handelt sich hierbei um den beliebten Sophismus des Namedroppings. Wenn schon Augstein das gesagt hat, dann kann es doch gar nicht so schlimm sein! Es handelt sich hierbei um einen Sophismus, also eine manipulative Argumentationsfigur, weil der Name Rudolf Augstein nichts über den Inhalt des Satzes aussagt. Was Höcke und Augstein gesagt haben, war antisemitisch und nicht mit unseren Werten vereinbar.
Auch die Diskussion über das Aleppo-Mahnmal in Dresden, schlägt hier übrigens in die gleich Kerbe. Zeigt Sie doch den gleichen Trend auf: Ein Kunstwerk, das Pazifismus exemplifiziert und sich gegen das Verdrängen eines Krieges vor den Toren Europas ausspricht, wird vollkommen irrational scharf angegriffen. Der Diskurs wurde erneut erfolgreich nach rechts verschoben.
Dennoch habe ich mich geirrt! Die Reaktionen auf Höcke waren erfreulich anders, als ich es erwartet hatte. Die Zustimmungswerte für die AfD fallen in den Umfragen, Höcke droht sogar der Parteiausschluss und das Land Hessen überlegt, wie es verhindern kann, dass dieser Revisionist weiter als Geschichtslehrer arbeiten darf. Offensichtlich hatte Sascha Lobo recht, dass Höckes Rede einfach zu entlarvend war. Allerdings prognostiziere ich, dass Höckes Rede noch nicht die letzte Provokation im Wahljahr war. Stattdessen können wir immer wieder damit rechnen, dass die AfD so oder ähnlich agieren wird. Sie selbst haben dies verraten.
Diesmal ist ihr Spiel nicht aufgegangen. Der Skandal war zu groß, sodass sie die Empörung nicht mehr einfangen konnten. Aber auf Dauer wird dieses Rezept nicht funktionieren. Empörung nutzt sich zu schnell ab. Was uns gestern noch unerhört schien, ist für uns heute schon Normalität
Also was tun? Wie ich das sehe gibt es zwei Strategien. Zum einen ist es – dabei bleibe ich – schlau, den Provokateuren einfach keine Aufmerksamkeit zu schenken und die Provokation so ins leere laufen zu lassen. Wir dürfen nicht über ihre Themen reden sondern über unsere! Lasst uns die Agenda setzen und nicht anderen hinterherlaufen!
Doch in den letzten Wochen wurde mir ein zweiter Weg vor Augen geführt, den ich wunderbar effektiv finde: Humor. Das ist natürlich weder ein Geheimnis noch ist es neu. Aber sich über Rechtspopulisten lustig zu machen, scheint tatsächlich zu funktionieren, um ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Wenn die Witze gut sind, dann nutzen sie sich nicht so ab, wie es die Empörung tut. Und ein rechter Populist wird sich immer wohler fühlen, wenn er dämonisiert wird, als wenn er zum Hampelmann verkommt.
Der Beweis dafür muss natürlich noch erbracht werden, aber was in den letzten Wochen in Amerika abgeht, stimmt mich positiv. Saturday Night Live, Last Week Tonight und Co. sowie der Spott des gesamten Netzes wie zuletzt bei #lastnightinsweden heizen Trump schön ein und dessen Tweets und Äußerungen zeigen genauso wie seine Beliebtheitswerte, dass das an ihm nagt.
Ich wollte schon seit längerem ein Stück über Narrative schreiben, da ich den Begriff und seine derzeitige Verwendung sehr spannend finde. Ohne das irgendwie empirisch belegen zu können, habe ich das Gefühl, dass „Der Diskurs“ als zentrales akademisches Leitmotiv vom „Narrativ“ abgelöst wurde.
Während meines Studiums in den Nullerjahren schien sich noch alles um Dikurse zu drehen. Der öffentliche Diskurs wurde geführt, Diskurse lösten sich ab und uns wurden Diskurse aufgezwungen. Ich habe den Begriff im Rahmen von Habermas’ Diskursethik kennengelernt, weiß aber nicht ob er von Habermas auch im Original stammt, oder ob er schon zuvor in der Soziologie gebräuchlich war. Über Hinweise wäre ich sehr dankbar. Soziologisch ist der öffentliche Diskurs eine über Zeit und Raum sich erstreckende Diskussion zu einem Thema, das in der Gesellschaft strittig ist. Beispielsweise sind zwei seit Jahren aktuelle Diskurse der richtige Umgang mit der Eurokrise und der Atomausstieg. Politiker, Zeitungen und andere Massenmedien melden sich in so einem Diskurs genauso zu Wort wie Wissenschaftlerinnen und die kleine Bürgerin, wenn sie zum Demonstrieren auf die Straße geht oder eben blogt.
Diese Diskurse, so mein ganz persönlicher Eindruck, wurden mittlerweile von Narrativen als Buzzword abgelöst. Die Diskurse selbst bleiben ja bestehen, wie ich an den beiden Beispielen oben vorführen wollte, aber die Intellektuellen reden im Metadiskurs weniger über sie und ihre Existenzbedingungen. Stattdessen ist man in der Metabetrachtung vom Diskutieren zum Erzählen übergegangen. Kulturpessimisten könnten das als Symptom dafür ansehen, dass heutzutage weniger miteinander gesprochen oder sich weniger zugehört wird. Stattdessen erzählen alle ihre eigene Geschichte. Aber ganz sachlich betrachtet, liegt der Wechsel des Buzzwords wohl daran, dass Diskurse nur existieren können, wenn es ein Narrativ gibt. Juna im Netz liefert uns hierfür eine knackige Definition:
„Narrative: Meme, die den Diskurs eröffnen und in der Lage sind, auch die Menschen zu erreichen, die bisher nicht daran teilnehmen.“
Wir brauchen also erst einmal eine Erzählung, die geeignete Sprache, um einen Diskurs zu eröffnen. Ich finde eines der eindrücklichsten Beispiele für ein sehr wirkungsmächtiges Narrativ waren die Frankfurter Prozesse. Dort wurden in den 1960er Jahren die Verbrechen von Auschwitz verhandelt und vor allem: weitgehend zum ersten Mal erzählt. Der deutschen Öffentlichkeit wurde von dem Grauen erzählt, das die Nazis in Auschwitz errichtet hatten. Und erst mit dieser öffentlichen Erzählung wurde der öffentliche Diskurs angestoßen. Das Narrativ „Man hat es ja nicht gewusst“ wurde gebrochen. So wurde der gesellschaftliche Wandel eingeleitet, der in die 68er-Generation mündete.
Wenn Blogger Geschichten erzählen
Heute, so wird es sich im Internet erzählt, brauchen wir wieder ein solches Narrativ um einen Diskurs anzustoßen, von dem wir alle hoffen, dass er uns in eine bessere Gesellschaft geleitet.
Es soll dahinten in der Ecke ja noch jemanden geben, der oder die die letzte Woche unter einem Stein gelebt und noch nichts von der re:publica mitbekommen hat. Die re:publica ist diese „Bloggerkonferenz“, wie sie in großen Medien noch immer oft genannt wird. Und eines der ganz großen Themen dort war eben die Suche nach neuen Narrativen gegen die Totalüberwachung. Damit wir endlich erfolgreich einen Diskurs anstoßen können.
Am meisten Aufmerksamkeit erhielt Sascha Lobo mit seiner Rede „zur Lage der Nation“, in der er einige streitbare These präsentierte, über die seither — wie jedes Jahr über die Vorträge von Lobo — auch tatsächlich gestritten wird.
Ein Aspekt ist dabei nicht bloß von mir als der wichtigste erkannt worden: Lobo griff das Thema auf, dass wir eine neue Sprache für und über die „Totalüberwachung“ brauchen. Er schlug vor dass wir nicht mehr von „Spähskandal“ oder „Geheimdienstaffäre“ sprechen, weil Affären und Skandale vorübergehen, die Totalüberwachung aber bleibt. Statt dessen wollte Lobo, dass wir andere Begriffe verwenden, die die Situation besser beschreiben: „Spähangriff“, „Spitzelattacke“ oder eben „Totalüberwachung“. Lobo schlägt vor, dass wir Geheimdienste „Spähradikale“ nennen. Wir sollen sie als „antidemokratisch“, „grundrechtsfeindlich“ und „sicherheitsfeindlich“ brandmarken. Geheimdienste „leiden an Kontrollsucht“ und „Spähfanatismus“. Und die unbewiesene, wenn nicht gar widerlegte Wirkung von Überwachung sollen wir als „Sicherheitsesotherik“ entlarven.
Den wichtigsten Talk zu neuen Narrativen hielt allerdings Friedemann Karig, dessen Vortrag mir in der Nacharbeitung neben Lobos so oft wie kein anderer in die Filterblase gepustet wurde.
Karig kritisierte, dass wir die Totalüberwachung noch immer mit veralteten Symbolen wie „1984“, „Stasi“ oder „Gläserner Bürger“ anprangern. Weiterhin hebt Karig hervor, wie wichtig es ist, auch die anscheinend viel wirkvolleren Narrative unserer Gegner zu brechen: „Ich habe doch nichts zu verbergen“, „Supergrundrecht“, „wir sammeln doch nur Metadaten“, „Google, Facebook und Co. sind der Feind“ und „man kann eh nichts tun“.
Das ist ein spannender Punkt aber vielleicht noch wichtiger ist, dass Karig als einer der ganz wenigen mal mit empirischen Studien auf die Frage eingeht, warum Überwachung schlecht ist. Die meisten von uns sprechen immer davon, dass Überwachung schlecht ist. Für uns ist das klar, wir sind davon überzeugt und brauchen das gar nicht weiter zu begründen. Aber für die Bürger da draußen ist das nicht so klar, wie ich in der Vergangenheit schon einmal geschrieben habe. Daher sind die Antworten von Karig auf das
„Warum ist Überwachung schlecht?“ so wichtig:
Überwachung macht krank
Überwachung macht verletzlich (das Individuum und die Gesellschaft)
Für die ausführliche Begründung dieser Thesen lege ich euch ganz dringend ans Herz, den Vortrag Karigs anzuhören!
Der von mir sehr verehrte Felix Schwenzel läutete dann noch während der re:publica die Nachbearbeitung ein und griff in seinem sehr aktuellen Beitrag beide oben genannten Vorträge auf:
Er machte noch einmal klar, dass eines der wichtigsten aktuellen Narrativen „Angst“ ist. Der Staat hat Angst vor Terror, die Sicherheitsbehörden haben Angst vor Versagen und wir haben Angst vorm Staat. Schwenzel sagt, dass niemand den Satz: „Überwachung gefährdet die Demokratie“ mehr hören will, da die Menschen nicht daran glauben. Wir sehen doch, dass die Demokratie läuft, obwohl es die Totalüberwachung gibt.
Als Gegenentwurf präsentiert Schwenzel die Macht der Bilder am Beispiel der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und verwies auf vier parallelen zwischen der Bürgerrechtsbewegung und der Antiüberwachungsbewegung:
Wenig gesellschaftlicher Rückhalt
Wenig politische Unterstützung
Viel Kritik aus den eigenen Reihen
Und die These: Wer nicht schwarz ist, hat auch nichts zu befürchten
Weiter sieht Schwenzel ein Problem darin, dass wir die Überwachung zu sehr aufbauschen, also gewissermaßen zu starke Narrative beschwören, dass wir nicht klar genug definiert haben, wer unsere Gegner sind und dass uns drittens die geeigneten Symbole fehlen. Gegen die Wirkungsmächtigen Bilder vom „Kampf gegen den Terror“ kommen wir mit angestaubten Begriffen wie „Datenschutz“, „Privatsphäre“ und erneut „Gläserner Bürger“ nicht an. Schwenzel fährt fort, dass wir auch umdenken müssen und die Konzepte von Privatsphäre und Freiheit neu denken müssen. Wir sollten weniger schwarz malen, sondern mehr Pragmatismus an den Tag legen. Wir sollen das System bespielen.
Schwenzels Forderung sind der Dreiklang:
provozieren
(Täter) benennen
und verspotten
Go, tell it on the mountain…
Die Nachbearbeitung der re:publica griff sodann Anatol Stefanowitsch auf, indem er sich mit Sascha Lobos Suche nach neuen Begriffen auseinandersetzte. Stefanowitsch hält die Angriffsmetaphern, die Lobo vorschlug, für ungeeignet und betont, dass das Besondere der Gefahr ist, dass sie unsichtbar ist, dass wir sie nicht bemerken.
„Stattdessen bräuchten wir einen Frame, der zu einer unsichtbaren Gefahr passt, die jahrelang unbemerkt und folgenlos bleiben und dann plötzlich akut werden kann. Mir fallen spontan zwei solche Frames ein, die beide gut in deutschen Angstdiskursen verankert sind: Der VERUNREINIGUNGS-Frame und der KRANKHEITS-Frame.“
Stefanowitsch schlägt daher Begriffe wie „Spähgeschwür“ und „Spitzelparasiten“ vor. Die Verunreinigungsmetapher in Form von Radioaktivität bereitet ihm dann aber selbst in der Umsetzung einige Probleme:
„Allerdings ist Radioaktivität selbst nur schwer fassbar, und Wörter wie Spähradioaktivität oder Spitzelstrahlung klingen deshalb sehr konstruiert und unverständlich.“
Als Nachtrag unterbreitet Anatol Stefanowitsch dann auch noch Dierk Haasis’ Vorschlag Raubtiermetaphern zu verwenden.
Einen habe ich noch: Michael Seemann geht diverse Talks durch und warnt vor allem vor unangebrachten Metaphern. Leider begründet er das insgesamt zu wenig, , wenn er etwa sagt, dass es geschmacklos ist, die Totalüberwachung mit der AIDS-Epedemie zu vergleichen. Besonders kann ich folgendes nicht nachvollziehen:
„Ebenso unpassend ist der Vergleich mit der rassistischen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung im Amerika der 60er Jahre, den Felix Schwenzel bemüht.“
Denn Felix Schwenzel hatte die amerikanische Bürgerrechtsbewegung nicht in ihrer moralischen Tragweite oder in der Form der Unterdrückung mit der Totalüberwachung vergleichen, sondern sie ja lediglich als Beispiel für eine erfolgreiche Agenda verwendet, in der eine unbeachtete Bevölkerungsgruppe sich und ihrem Problem erfolgreich Aufmerksamkeit verschafft hat.
Seemann schließt damit, dass er nicht glaubt, dass fehlende Narrative das Problem sind, sondern dass unser Überwachungsbegriff kaputt ist und verweist auf seinen eigenen Beitrag für Deutschlandradio Kultur.
Das Warum und die alten Narrative
So, und was mache ich jetzt mit dieser vorläufigen Chronik? Mir Gedanken! Ich glaube schon, dass die Sache mit den Narrativen Teil des Problems ist. Klar ist Sprache nie die alleinige Lösung, aber ohne Sprache können wir unser Problem einfach nicht artikulieren.
Ich finde in den Vorträgen und Artikeln oben, kommen noch zwei Aspekte zu kurz. Auch wenn sie hier und dort anklingen. Zum einen, und damit hat Karig begonnen, aber wir müssen es weiterführen, müssen wir erklären, warum Überwachung doof ist. Wir versteifen uns fast immer zu sagen, dass es so ist. Aber, ich wiederhole es noch einmal, glaube ich nicht, dass die Mehrheit der Menschen unsere Ansicht teilt. Daher müssen wird erklären, warum es scheiße ist, wenn die Geheimdienste unsere Mails lesen und durch unsere Webcams gucken, auch wenn wir deshalb nicht mit einem Dronestrike zu rechnen haben.
Der zweite und noch wichtigere Punkt ist, dass wir nicht bloß neue Narrative setzen müssen, sondern auch eines brechen müssen. Wir müssen das Narrativ vom Kampf gegen den Terror zermürben. Denn mit dem Buzzword „Terror“ wird seit 2001 jede nationalstaatliche Sauerei gerechtfertigt.
Aus dem Buzzword „Terror“ ist noch nie etwas Gutes entstanden.
Daher müssen wir den Leuten klar machen, dass der Terror nicht unser Problem ist, dass fettiges Essen gefährlicher ist als Bomben und dass Geheimdienste Anschläge wie den in Boston eben trotz dem Backup all unser Passwörter nicht verhindern können. Als unglaublich wertvolles Lehrstück empfehle ich hier übrigens den Roman von Maj Sjöwall, Per Wahlöö: Die Terroristen*, in dem genau dieses Szenario aufgeführt wird: trotz massiver Polizeimaßnahmen kann dort ein Terroranschlag nicht verhindert werden. Warum, sag ich mal nicht, um nicht das Ende zu spoilern. Daher müssen wir den Kampf gegen den Terror beenden und mit dem Kampf für unsere Grundrechte beginnen, indem wir anfangen, die richtigen Geschichten zu erzählen…