Ich habe lange nicht mehr gebloggt, was daran hängt, dass ich zurzeit jede freie Minute auf mein Buch verwende. Doch gerade muss ich auf die Arbeit anderer warten, bevor ich mich endlich an die Veröffentlichung machen kann. Und so habe ich kurzerhand Evernote geöffnet und das erste der 45 noch zu verbloggenden Themen gewählt:
Die Drei Paradigmen der Philosophie
Auf diese Idee kam ich, als ich eine Folge Vorgedacht gehört habe. „Vorgedacht“ ist ein toller Podcast, in dem Stephanie Dahn über Philosophie spricht. Genauer gesagt spricht sie über die Geschichte der Philosophie und noch genauer über die Vorsokratiker (ich nehme an, sie wird auch den Rest der Philosophiegeschichte noch drannehmen). Ganz toll ist auch die Form von Vorgedacht: Die einzelnen Episoden sind immer kurz und prägnant, gerade so lang, dass man nicht in Gedanken davondriftet.
Und da Vorgedacht gerade bei den Vorsokratikern steckt, geht es da eben ziemlich viel um „das Seiende“ und „das Nichts“ und um „Prinzipien“ und so ein Gedöns. Das sind jetzt so Begriffe, die der Mensch und im besondern der Deutsche (daran ist Heidegger schuld) mit Philosophie verbindet und die den Menschen dieses Bild von dem komplett abgehobenen Geriesel der Philosophie vermitteln. Und obwohl Philosophie total abgehoben ist, ist sie es – zumindest in der Strömung, der ich anhänge – auf eine komplett andere Art und Weise.
Um dies zu erklären, möchte ich euch einen kurzen, allzu kurzen Überblick über die drei Paradigmen der Philosophie bieten. Doch bevor ich das tue, muss ich erst einmal mein Vokabular auf die Reihe kriegen und zwei Fragen beantworten:
- Was ist denn eigentlich Philosophie?
- Und was zum Geier ist ein Paradigma?
Was ist Philosophie?
Philosophie lässt sich jetzt irgendwie total Knorke aus dem Griechischen herleiten und heißt in etwa „Liebe zur Weisheit“, was ich selbstverständlich auch im Namen meiner Tochter verwurschtelt habe. Natürlich könnte ich einen ganzen Blogpost damit füllen, was Philosophie ist, denn schließlich braucht ihr dafür nur in die Buchhandlung eurer Wahl gehen, euch vor das entsprechende Regal zu stellen und schon seht ihr, wie viele Bücher man mit dieser Begriffsdefinition füllen kann. Aber ich werde das Ganze stark verkürzen und euch einfach sagen, dass die Philosophie seit rund 2500 Jahren versucht, drei Fragen zu beantworten:
- Was ist das Gute?
Hierum kümmert sich die Ethik - Was ist Schönheit?
Die Leitfrage der Ästhetik - Was ist Wahrheit?
Dieses Problem erörtert schließlich die Erkenntnistheorie oder Epistemologie. Und wenn ich die drei Paradigmen der Philosophie erörtere, dann kümmere ich mich dabei nur um diese letzte Frage.
Was zum Geier ist ein Paradigma?
„Ein Paradigma ist eine grundsätzliche Denkweise. Im engeren Sinn ist es eine bestimmte Lehrmeinung oder Weltanschauung. Die Ersetzung eines Paradigmas durch ein anderes heißt Paradigmenwechsel.“
Berühmt sind die Paradigmenwechsel in der Physik, wo das geozentrische Weltbild (Die Erde ist der Mittelpunkt) durch das heliozentrische (Die Sonne ist der Mittelpunkt) abgelöst wurde. Oder wo die Physik Newtons, in der die ganze Zeit irgendwelche Äpfel fallen von der Einsteins mit ihren krummen Räumen abgelöst wurde.
Aber auch in der Philosophie gab es solche Paradigmenwechsel und um diese geht es mir hier.
Was ist die Welt?
Die Frage „Was ist Wahrheit?“ kann ich nun mit einigen Reibungsverlusten umformulieren in „Was ist Erkenntnis?“, schließlich heißt die Disziplin ja auch Erkenntnistheorie. Und wie die Philosophen so sind, interessiert sie weniger die Erkenntnis, wie lange man ein Ei kochen muss, sondern gleich die Frage nach dem großen Ganzen. So kam es eben, dass die Vorsokratiker sich nicht mehr mit den Erklärungen der Religion abgeben wollten, woher die Welt stammt und was die Naturphänomene auslöst, sondern dass sie die Frage ganz neu stellten: „Was ist die Welt?“ Und das lange bevor Platon – dessen Fußnote ja bekanntlich die restliche abendländische Philosophie ist – die Frage in „Was ist Wahrheit?“ abstrahierte.
Der Clou ist, dass die altgriechischen Philosophen eben noch glaubten, dass sie prinzipiell erkennen könnten, „Was die Welt im Innersten zusammenhält“, wenn sie nur gründlich genug darüber nachdenken würden. Platon bringt uns das mit seinem Höhlengleichnis sehr schön nahe. Ihr wisst schon, da sitzen ein Haufen Typen und Ilsen in so einer unterirdischen masochistischen Schattentheatervorführung, bei der sie auch noch alle gefesselt sind und denken: „Das ist die Welt“. Unser Superheld Philo Man befreit sich nun von den Fesseln, dreht sich um, sieht den Projektor und entdeckt den Schwindel. Philo Man kraxelt dann die Höhle hoch und kommt an die Oberfläche, wo er – nachdem er zu Beginn vom Licht der Erkenntnis geblendet ist – erkennt, wie die Welt wirklich ist.
Das mit dem Blenden wird übrigens bei Matrix zitiert, nachdem Neo aus ebenjener befreit wurde.
Aber worauf ich hinaus will: nachdem Philo Man seinen Quest gelöst hat, kann er die Frage beantworten: „Was ist die Welt?“.
Was kann ich erkennen?
Nach Platon kam bekanntlich sein Schüler Aristoteles und der gute alte Ari hat aus seinen Theorien einen Kanon gemacht, der eigentlich das ganze Mittelalter hindurch nachgebetet wurde, während man sich in der Philosophie um das Wesen Gottes und wie es zu beweisen ist, kümmerte.
Dann kam die Renaissance, mit ihr rückte das Individuum in den Vordergrund und damit der erste Paradigmenwechsel der Philosophie. An Stelle der Frage „Was ist die Welt?“ trat die Frage „Was kann ich erkennen?“. Und zwar, ohne dass die erste Frage beantwortet wurde, denn das ist das Wesen von Paradigmenwechseln. Das spiegelt sich sehr schön in Descartes Cogito wieder: „Ich denke, also bin ich“. Auf der Suche nach dem einen Ding, dessen er sich gewiss sein kann, findet Descartes sein Denken. Mit ihm beginnt sodann die philosophische Epoche der Neuzeit.
Aber den eigentlichen Turn vollzog dann Kant, weshalb dieser Paradigmenwechsel auch „Die kantische Wende“ oder in Anlehnung an die Physik „die kopernikanische Wende Kants“ genannt wird. Kant kommt jetzt nämlich auf den Trichter, dass der Mensch schlichtweg nicht erkennen kann, was die Welt ist. Das „Ding an sich“ bleibt dem Menschen für immer verborgen, da unsere Sinne uns nicht die ganze Welt zeigen, sondern nur einen Ausschnitt ihrer. Aber noch weiter: Auch unsere Vernunft, auf die Platon noch seine ganze Hoffnung gesetzt hatte, kann die Welt nicht erkennen, denn schon bevor wir anfangen zu denken, müssen wir ein paar Sachen als gegeben annehmen und können nicht überprüfen, ob sie wirklich existieren: etwa Raum, Zeit oder Kausalität. Folglich ging es nach dem ollen Kant nur noch um die Beantwortung der Frage: Was kann ich erkennen? Beziehungsweise: hätte es gehen sollen. Denn, wenn man sich den deutschen Idealismus (Kants Nachfolger) anguckt, schwappt der geradezu über von metaphysischen Unsinn in Bezug auf das, was die Welt dann wieder irgendwie nicht ist oder doch…?
Was kann ich sagen?
Dieses zweite Paradigma wurde aber schließlich auch abgelöst. Das Ganze fing eigentlich schon mit Wilhelm von Humboldt an, den man zurzeit eher kennt, weil er ein „Bildungsideal“ hatte, das jetzt irgendwie futsch ist. Jetzt wisst ihr auch endlich, warum er gütig auf diesen Blogpost herabblickt. Aber der gute alte Willy hatte ja bekanntlich einen Bruder, namens Alex, der die Welt vermessen hat und der Willy eine ganze Menge Infos über andere Sprachen mitbrachte. Da Willy ein Talent für Sprachen hatte, erkannte er schließlich, dass Sprache unser Weltbild prägt. Nun, der gute alte Willy war seiner Zeit aber etwas voraus, sodass der Mainstream der Philosophie sich noch nicht wirklich dafür interessierte, sondern mehr für Hegels durchgeknallten Weltgeist. Es blieb dann an den analytischen Philosophen der ersten und zweiten Generation hängen, den „Linguistic Turn“ zu vollziehen, der leider noch immer allzu oft falsch mit „Linguistische Wende“ übersetzt wird, da er die „Sprachkritische Wende“ oder die „Sprachphilosophische Wende“ ist. Das waren so Leute wie Frege, Russel, Moore und Wittgenstein. Dieser Wittgenstein bringt den Linguistic Turn sehr gut auf den Punkt mit:
„Und eine Sprache vorstellen heißt, sich eine Lebensform vorstellen“
(PU19)
Der Gag des Linguistic Turns ist, dass ich eben nicht nur nicht alles denken kann, weil meinem Denken Grenzen gesetzt sind, sondern weil dieses Denken auch immer in einem Medium stattfinden muss: in der Sprache (Ja, ja, man kann auch in Bildern denken…. Dann fang schon mal damit an, die Principia Mathematica aufzumalen!) Diese Sprache ist nun ihrerseits Regeln unterworfen, die unser Denken einschränken. So zum Beispiel die grundlegende Struktur von Subjekt, Prädikat und Objekt mit der wir die Welt beschreiben. Aber vielleicht ist die Welt gar kein Objekt sondern eher ein Ereignis, was wir nur nicht richtig mit unser Sprache fassen können.
Diese sprachanalytische Philosophie ist zwar jetzt auch abgehoben, aber auch viel cooler als der ganz metaphysiche Dummquatsch. Denn mit ihr kann man auch sehr gut Sprachanalyse betreiben und zum Beispiel so, wie ich es hier ab und an tue, das ein oder andere Argument des öffentlichen Diskurses zu Hackfleisch verarbeiten.
Leider haben nicht alle Philosophen die Paradigmenwechsel mitgemacht und gerade hier in Deutschland hatte etwa Heidegger einen viel zu großen Einfluss auf die Philosophie und das Bild der Philosophie in der Öffentlichkeit. Aber Heidegger mit seinem ganzen Sein und Nichtsein und seiner Verdinglichung des Nichts gebraucht die Sprache in Wittgensteins Worten ‚missbräuchlich‘, bricht ganz einfache Regeln und holt sich so nichts weiter als Beulen an den Grenzen der Sprache:
„Die Ergebnisse der Philosophie sind die Entdeckung irgendeines schlichten Unsinns und die Beulen, die sich der Verstand beim Anrennen an die Grenze der Sprache geholt hat. Sie, die Beulen, lassen uns den Wert jener Entdeckung erkennen.“
(PU 119)
Ich bin raus!
P.S.: Ich habe gerade keine Lust mehr, jetzt noch — wie sonst — Literaturempfehlungen rauszusuchen, entweder hole ich das nach, oder ihr macht es in den Kommentaren.