Warum schrieb Platon Dialoge?

Platon, der Philosophenkönig – Teil 2

Beruflich bedingt kam ich lange nicht dazu, eine neue Folge zu veröffentlichen. Aber, keine Sorge, hier ist noch lange nicht Schluss. Heute kümmern wir uns um die Frage, warum Platon eigentlich ausgerechnet Dialoge schrieb. Wie gewohnt könnt ihr euch das im folgenden Video ansehen. Alternativ könnt ihr auch das darunter stehende Transkript durchlesen.

Platons vollständiges Werk

Wir wissen, dass uns Platons Werk weitestgehend vollständig vorliegt, lediglich von einer Rede wird berichtet, die uns heute fehlt. Im Gegenteil: Wir haben sogar Texte, die offiziell als von Platon verfasst gelten, bei denen aber umstritten ist, ob sie dies wirklich sind. Manchmal möchte ich meine schlechten Texte auch jemand anderem in die Schuhe schieben. Anyway … Ob alle offiziellen Texte wirklich von Platon stammen, ist zwar philosophiegeschichtlich eine spannende Sache, aber für uns nicht so wichtig, denn es besteht insgesamt wenig Zweifel daran, welche philosophischen Thesen Platon zuzuschreiben sind und für die interessieren wir uns hier.

Warum schrieb Platon Dialoge?

Wichtiger ist hingegen, dass Platon fast nur Dialoge schrieb. Wie ich bei Sokrates erzählte, waren das quasi Dramen mit philosophischem Inhalt. Warum schrieb Platon Dialoge? Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass im antiken Griechenland die Form wissenschaftlicher Texte noch nicht so standardisiert war, wie heutzutage. Erst durch Platons Schüler Aristoteles sollte das Traktat, also die Abhandlung zur Norm werden. Die Vorsokratiker Empedokles und Parmenides schrieben beispielsweise Lehrgedichte. Und neben Platon schrieben auch andere Sokratesschüler Dialoge.

Wie ebenfalls auch schon in der Sokrates-Reihe erwähnt, lässt Platon Sokrates in seinen Dialogen immer als einen der Redner auftreten. Die platonischen Dialoge lassen sich in drei Phasen einordnen: die frühen Dialoge – auch sokratische Dialoge genannt, weil sie mit Sicherheit noch dicht an den Lehren von Sokrates sind –; die mittleren Dialoge, die man auch die Meisterdialoge nennt, weil sie stilistisch wie argumentativ formvollendet sind und in ihnen das Herzstück von Platons Philosophie erarbeitet wird. Und schließlich gibt es noch die späten Dialoge, die insgesamt nicht mehr sooo geil sind aber durchaus interessant, weil Platon dort unter anderem damit beginnt, sich selbst zu kritisieren.

Sokrates‘ Einfluss und die Schriftkritik

Aber warum entschied sich Platon jetzt für die Form des Dialogs? Einerseits war natürlich Sokrates’ Einfluss dafür verantwortlich. Ich hatte ja bereits erwähnt, dass Sokrates nie etwas aufgeschrieben hat und dass für ihn Philosophie mehr eine Praxis als eine Lehre war. Diesen Geist wollte Platon wohl einfangen in seinen Dialogen. Andererseits fällt auf, dass Platon selbst nie auftritt in seinen Texten und kaum einmal erwähnt wird. Das gibt ihm den Vorteil, dass er sich von den, in den Dialogen geäußerten Thesen, ein Stück weit distanzieren kann.

Dies führt uns zu einem weiteren wesentlichen Grund für die Dialoge: Platon hat eine berühmte Schriftkritik geschrieben. Ja genau: Er hat AUFGESCHRIEBEN, dass und warum Schrift doof ist. Platons Schriftkritik ist sehr spannend, und auch mit ihr werden wir uns in einem eigenen Text eingehend beschäftigen. Diesbezüglich möchte ich euch noch einmal an Alfred Whiteheads Zitat erinnern:

„Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.“

Und wirklich: In Platons Schriftkritik finden sich viele Argumente, die auch heute noch in der Technikkritik angeführt werden.

Aber auch wenn diese Schriftkritik sehr einflussreich war, ist doch zugleich auffällig, dass es ein krasser Widerspruch ist, die Schrift zu benutzen um zu lehren, dass Schrift doof ist. Dieser Widerspruch im Werk eines der größten Philosophen ist natürlich nicht unbemerkt geblieben ist: Einreseits explizit zu sagen, wer Philosophie aufschreibt, ist doof und andererseits genau das zu machen. Die Dialogform kann man nun vielleicht als einen Kompromiss ansehen, den Platon einging, da sie ja die gesprochene Rede imitiert und da sie, gerade weil Platon nicht selbst auftritt, weniger dogmatisch und mehr als Denkanstoß verstanden werden kann. Wenn ihr mal einen platonischen Dialog gelesen habt, werdet ihr aber auch feststellen, dass das, was ich gerade sagte, sehr verkürzt ist, denn in fast allen Dialogen ist Sokrates der Superstar und was er sagt, ist ganz klar Platons Position.

Denkanstöße und die ungeschriebene Lehre

Aber der Platon-Experte Michael Bordt macht zum Beispiel darauf aufmerksam, dass Platon Sokrates im Dialog Lysis am Ende eingestehen lässt, dass in der Argumentation Fehler gemacht wurden, er aber keinen Bock habe, diese zu korrigieren, da ihm das zu anstrengend sei. Das kann man als ganz klaren Aufruf an die Leserinnen verstehen, sich gefälligst selbst auf die Suche nach diesen Fehlern zu machen.

Ich möchte auch nicht unerwähnt lassen, dass es in der Platonforschung die These von der ungeschriebenen Lehre gibt. Dass also die Schriftkritk einer von mehreren Hinweisen ist, dass es außer den Texten noch eine Lehre Platons gab, die er nur mündlich mit den Schülern in seiner Akademie durchquatschte. Manche Platonforscher gehen sogar so weit, dass sie behaupten, man könne die Dialoge nur vor dem Hintergrund der ungeschriebenen Lehre verstehen und stellen großartige Spekulationen an, worin die ungeschriebene Lehre bestanden habe.

Diese Haltung finde ich problematisch. Die ungeschriebene Lehre ist ein spannendes Thema für Philosophiehistoriker und Umberto Eco hätte bestimmt einen tollen Roman daraus stricken können. Nach Ecos Abgang muss jetzt wohl leider Dan Brown ran … Aber die ungeschriebene Lehre eignet sich nicht für Philosophie, wie ich sie verstehe. Für mich ist Philosophie eine große Debatte, die sich über Raum und Zeit erstreckt. Platons Beitrag zu dieser Debatte waren – ob er das wollte oder nicht – seine Dialoge. Und das war ein ganz großartiger Beitrag, an dem sich hunderte, wenn nicht tausende anderer Philosophen abgearbeitet haben. Es macht überhaupt keinen Sinn, zu sagen, dass dieser Beitrag ungültig war, weil Platon ihn so nicht gemeint habe, denn Platon hat längst schon die Deutungshoheit über seine eigenen Theorien eingebüßt.

Daher lasst uns bei den kommenden Teilen dieser Reihe weniger fragen, was Platon wirklich meinte, als vielmehr, wie wir seine Worte verstehen können, damit sie für uns heute einen spannenden Beitrag zur Philosophischen Debatte dartellen.

Bevor wir damit beginnen werden,  möchte ich beim nächsten Mal aber noch einen kurzen Blick auf die Philosophen werfen, die den größten Einfluss auf Platon hatten.

Literatur

Bilderquellen

Alle Bilder, die hier nicht aufgeführt sind, sind entweder gemeinfrei oder stammen von mir selbst. Alle anderen Bilder in chronologischer Reihenfolge:

 

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Prolog zu Platon

Hier bekommt ihr einen kleinen Prolog zur nun startenden Platon-Staffel meines YouTube-Kanals. Unter dem Video findet ihr, wie immer ein Transkript und die Angaben zu den Bilderquellen.

Na, dachtet ihr schon, ich hätte dieses Projekt aufgegeben? Nein? Gut so, denn ich habe das Gegenteil getan, ich war sehr fleißig und habe für euch 32 Folgen zu Platon vorbereitet. Ja, ihr habt richtig gehört: 32 Folgen und vielleicht ergibt es sich unterwegs, dass ich noch die eine oder andere Folge einschieben muss. Natürlich ist das ein gewaltiger Sprung von vier Folgen zu Sokrates auf 32 Folgen zu Platon. Aber dass muss so, den Platon ist nicht bloß der erste Philosoph, von dem wir fast das komplette Lebenswerk überliefert bekommen haben, er war auch ein verdammtes Genie und ich hatte ihn in der Sokrates-Staffel nicht ohne Grund den „Philosophenkönig“ genannt.

Platons Bedeutung für die westliche Philosophie lässt sich gar nicht überschätzen. Der Philosoph Alfred North Whitehead brachte dies einmal prägnant mit folgendem Zitat auf den Punkt:

„Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.“

Platon ist für die Philosophie das, was Pelé für den Fußball war, Michael Jordan für den Basketball, Churchill für den zweiten Weltkrieg, Leonardo da Vinci für die Kunst, Counter Strike für die Egoshooter, Tempo für die Taschentücher oder Sascha Lobo für die Netzgemeinde.

Es gibt Philosophen, die ich lieber mag, aber keinen Philosophen, der wichtiger ist. Einige Fachmenschen schätzen Aristoteles‘ Beitrag zur Philosophie noch höher ein, aber niemand kann bestreiten, dass schon Ari viele seiner Theorien nur als Antwort auf Platon entwickelt hat.

Wir werden bei weitem nicht alle philosophischen Themen hier angucken, mit denen Platon sich auseinandergesetzt hat, aber wir werden die wichtigsten Stationen nacheinander kennenlernen und ihr werdet sehen, wie ein ums andere Mal Platons geniale Gedanken der Ausgangspunkt waren für Debatten, die bis heute anhalten.

Ich werde erzählen, was wirklich hinter Klassikern wie dem Höhlengleichnis und der Platonische Liebe steckt, wir werden Platons Beitrag zu den drei großen Disziplinen der Philosophie besprechen: der Erkenntnistheorie, der Ethik und der Ästhetik. Wir werden eingehend die bahnbrechende Ideenlehre von Platon anschauen und ich werde Platons politische Philosophie hart kritisieren. Wir werden sehen, ob es Platon gelingt, zu beweisen, dass die Seele unsterblich ist oder dass Gott existiert, wir werden seine Sprachphilosophie, seine Schriftkritik und sogar so etwas abwegiges wie den Atlantis-Mythos unter die Lupe nehmen. Aber beginnen möchte ich in der nächsten Folge wie schon bei Sokrates mit dem Lebenslauf, denn schon der ist so kurios, dass ich auf eine Verfilmung durch die Coen-Brothers warte.

Bilderquellen

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