Wer hat denn nun eigentlich Recht: Die Wissenschaft oder die Religion?

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Daniel
zieht sich an den Haaren aus dem Sumpf

Ein episches Battle von Weltbildern

Heute widme ich mich der Unmöglichkeit, Religion mithilfe der Wissenschaft zu widerlegen. Was wiederum mit der Unmöglichkeit von Letztbegründungen zusammenhängt.

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Platons Gottesbeweis

Heute machen wir heute nichts Wichtiges, wir beweisen nur mal eben die Existenz Gottes. Das könnt ihr euch als Video ansehen oder darunter das Transkript lesen.

Der sich selbst bewegende Beweger

Platons Gottesbeweis ist eine Variante des Arguments, für das sein Schüler Aristoteles berühmt werden sollte und das wir den „unbewegten Beweger“ nennen. Bei Platon ist es hingegen der sich selbst bewegende Beweger. Ich frage mich, ob Platon heute angepisst wäre, wenn er wüsste, dass das Beweger-Argument immer in einem Atemzug mit Aristoteles genannt wird. Es ist ein bisschen so, wie die Kiddies, die Stranger Things cool finden, aber Steven King und Stephen Spielberg nicht kennen.

Anyway … In Platons Variante geht das Argument vom sich selbst bewegenden Beweger so: Es gibt Bewegung in der Welt. Ich hoffe, ihr stimmt dieser provokanten These zu!  Diese Bewegung kann nun entweder aus sich selbst entstehen oder sie wird angestoßen. Uh, da scheiden sich schon die Geister. Doch weiter: Dinge, die sich aus eigenem Antrieb bewegen können, haben eine Seele – also alle Tiere, uns Menschen eingeschlossen. Aber was ist mit den unbeseelten Dingen? Sie bewegen sich aufgrund des Kausalitätsprinzips.

An dieser Stelle wird es richtig kompliziert. Wenn wir uns eines Tages mit der Determinismus-Debatte und dem Libet-Experiment auseinandersetzen, werden wir sehen, dass die These, wonach sich Menschen und Tiere von selbst, ohne kausale Ursache bewegen können, nicht unumstritten ist. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Das Kausalitätsprinzip und der infinite Regress

Zurück zu Platons unbewegtem Beweger: Das Kausalitätsprinzip ist eine unserer Grundannahmen über die Welt und besagt, dass es für jede Wirkung auch eine Ursache geben muss. Wenn die Erde sich um die Sonne bewegt, dann muss sie irgendwann irgendetwas mal angestoßen haben. Das Ding aber, dass die Erde angestoßen hat, muss selbst irgendwann mal angestoßen worden sein und so weiter. So ergibt sich eine Kausalitätskette. Diese Kausalitätskette wiederum bringt das Problem des infiniten Regresses mit sich, denn diese Kette kann im Gegensatz zu Netflix-Binge-Watching-Sessions nicht unendlich lang sein.

An dieser Stelle wird es wieder etwas knotig für unsere Gehirne, also nehmt noch einen Schluck Kaffee und passt gut auf. Stellt euch vor, ihr steht an diesem Ende der unendlichen Kausalitätskette und blickt sie entlang. Was seht ihr dann niemals nie? Richtig: ihr Ende. Stellt euch nun vor, jemand steht in unendlich weiter Ferne und blickt die Kette von dort aus in eure Richtung entlang. Was sieht diese Person dann niemals nie? Richtig: Den Moment, in dem ihr da steht und die Kette anblickt. Da dieser Moment aber existiert, muss die Kausalitätskette endlich sein.

Platon sagt, dass am Anfang dieser Kette ein beseeltes Wesen stehen muss: Der sich selbstbewegende Beweger und das ist Gott. Dieser kosmologische Gottesbeweis schließt eine argumentative Lücke, die bei den Vorsokratikern entstanden ist, als sie sich auf die Suche nach dem Urgrund der Welt begaben. Ich schrieb schon im Rahmen meiner Metaphysik-Erläuterung darüber.

Wenn Thales etwa sagt, dass die Welt aus Wasser entstanden ist, dann stellt sich sogleich die Frage: Warum? Was hat verursacht, dass sich das Wasser zur Welt formt? Was war vor dem Wasser? Platon liefert nun eine Antwort. Doch im Grunde cheatet Platon hier, indem er doch wieder ein mythologisches Argument an den Beginn einer logisch-wissenschaftlichen Weltsicht stellt.

Dennoch ist dieser Cheat ein Ausweg aus dem infiniten Regress, den wir innerhalb unserer logisch-wissenschaftlichen Weltsicht nicht bieten können. Denn das Problem besteht bis heute, die Frage ist und bleibt ungeklärt: Wir können messen, dass das Universum aus dem Urknall entstanden ist. Aber was hat den Urknall ausgelöst?

Und mit dieser Frage lasse ich euch heute zurück. Beim nächsten Mal schauen wir uns Platons Sprachphilosophie an. Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt.

Platon – Wissen ist wahre begründete Meinung

Heute möchte ich mich der Definition von Wissen widmen, die ihr alle kennt, wenn ihr mal ein Semester Philosophie studiert habt: Wissen ist wahre begründete Meinung. Das ganze wie immer hier als Video oder darunter als Transkript.

Geltung und Genese

Beim letzten Mal hatten wir Platon darüber grübeln sehen, wie er den Irrtum richtig definieren kann. Zwar führten sämtliche Versuche Platon immer wieder in Sackgassen, aber trotz aller Probleme haben wir den Begriff zumindest strategisch eingekreist und das ist ja auch schon mal was wert. Somit sind unsere logischen Armeen nun in Position und wir widmen uns endlich der eigentlichen These, dass Wissen wahre Meinung ist.

Platons Sokrates eröffnet das Feuer mit dem, was Leibniz später das „Geltung und Genese“-Argument nennen wird: Die Frage, ob wir wahre Meinung auch Wissen nennen können, wenn sie falsch zustande gekommen ist. Sokrates’ Argument ist das griechische Gerichtswesen: Wie wir in den Sokrates-Texten schon sahen, waren rhetorische Fähigkeiten dort das A und O, da sich jeder selbst verteidigen musste. Das, was Ankläger und Verteidiger vor griechischen Gerichten machen, ist Überreden, denn die Richter werden nicht unbedingt mit den besten Argumenten zu ihrem Urteil geführt (also überzeugt), sondern mit den trickreichsten. So kann es kommen, dass die Richter ein gerechtes Urteil sprechen, aber dies geschieht nicht aus Wissen heraus sondern eher zufällig. Es scheint also nicht ganz unwichtig zu sein, wie eine wahre Meinung zustande gekommen ist.

Zur wahren Meinung muss also noch etwas hinzukommen, damit sie Wissen werden kann. Theaitetos fällt auch ein, was das sein könnte und so findet Platon die Definition für Wissen, die noch heute jede Studentin im ersten Semester Philosophie lernt: Wissen ist wahre, begründete Meinung.

Lasst diesen Gedanken mal eine Minute sacken, denn er ist sehr wichtig. Im Internet ist jeder Mensch zu einem potentiellen Massenmedium geworden. Es wimmelt von Meinungen. Aber oft wird zumindest eines der beiden Prädikate vergessen, die aus Meinungen auch Wissen machen. So wimmelt es von Verschwörungstheorien im Internet, die sich schon nach einem ganz schnellen Realitätsabgleich als unwahr erweisen. Beispielsweise wenn pietätlose Menschen behaupten, dass die Jugendlichen Amoklaufüberlebenden aus Florida, die sich jetzt für strengere Waffengesetze stark machen, Schauspieler wären.

Auf der anderen Seite finden sich auf Facebook und Twitter Meinungen, die manchmal sogar wahr sind, denen es aber aufgrund der Kürze und Hastigkeit der Medien an Begründung fehlt. Ein Grund, warum man insbesondere auf Twitter nicht in Diskussionen einsteigen sollte.

Der infinite Regress

War es das jetzt? Ist unsere Untersuchung, was Wissen ist, am Ende? Haben wir eine Definition für Wissen gefunden? Natürlich nicht! Dafür blicken wir mit Platon noch einmal auf die Meinung und fragen, aus was denn Meinungen eigentlich bestehen? Meinungen sind erst einmal Sätze. Die nächste wichtige Frage ist dann: Womit begründe ich einen wahren Satz? Letztlich bleibt mir nie etwas anderes übrig, als einen Satz wieder mit einem anderen Satz zu begründen. Doch dieser andere, zweite Satz, woher weiß ich denn, ob es sich bei dem um Wissen handelt? Denn nur dann kann er ja als Begründung herhalten? Ganz klar: Auch er muss wahr sein und begründet werden. Aber womit begründe ich ihn? Na, mit einem Satz. Und dieser Satz?

Ihr seht, wir haben ein Problem. Und dieses Problem nennt sich der „Infinite Regress“, es ist nicht irgendein, sondern ein riesiges, ein gewaltiges Problem, das uns in der Erkenntnistheorie immer wieder über den Weg läuft. Es verwandelt das Fundament unseres Wissens in Sand.

Dogma

Platons Sokrates versucht einen Ausweg zu finden, indem er von einem Traum erzählt, in dem es ihm erschien, dass es Urelemente gäbe, aus denen unser Wissen abgeleitet werden kann, die aber selbst kein Wissen sind, da sie nur benannt aber nicht bewiesen werden können.

Was zum Henker soll dieser metaphysische Quatsch denn jetzt schon wieder sein? Nun, in der Mathematik kennen wir genau solche Urelemente. Erste Sätze, die uns einleuchten, die wir aber nicht beweisen können und von denen wir dann all unsere mathematischen Erkenntnisse ableiten. Mathematikerinnen nennen sie Axiome.

Beispielsweise lautet die Liniendefinition von Euklid: „Eine Linie ist eine breitenlose Länge“. Dieser Satz ist (in der Euklidschen Geometrie) selbst nicht beweisbar, da er als Grundlage für alle anderen Beweise gilt. In der Philosophie nennen wir so etwas ein Dogma: Um dem Infiniten Regresse zu entgehen, breche ich meine Begründung einfach irgendwann ab und erkläre einen meiner Sätze zum Axiom, von dem ich ausgehen will.

Aber Sokrates weißt uns natürlich auf das Problem eines solchen Dogmas hin: Wenn wir unser vermeintliches Wissen aus unerklärbaren Axiomen zusammensetzen, dann ist es letztlich selbst auch unerklärbar. Aber eine unerklärbare Begründung ist letztlich gar keine Begründung.

Zirkelschluss

Daher nimmt Sokrates einen dritten Anlauf: Man kann etwas nicht nur dadurch erklären, dass man sagt, woraus es zusammengesetzt ist, sondern auch dadurch, dass man sagt, was es nicht ist und es so von anderem unterscheidet. Wer ist Rey in Star Wars? Sie ist nicht Kylo Ren oder Finn oder Hans Solo … und so weiter. Aber wenn ich etwas dadurch definiere, was es nicht ist, dann muss ich auch wissen, worin der Unterschied besteht. Rey ist nicht Finn, da sie Macht-sensitiv ist. Aber sie ist auch nicht Kylo Ren, da sie zur guten Seite der Macht gehört und so weiter.

Blöderweise führt uns das ins nächste Problem, denn wir haben gerade Wissen definiert als wahre Meinung und das Wissen darum, worin sich diese wahre Meinung von etwas anderem unterscheidet. Oder kurz: Wissen ist wahre Meinung und Wissen. Das wiederum ist nach dem Infiniten Regress und dem Dogma die dritte Sackgasse in der Definition von Wissen: Der Zirkelschluss.

Der Ausweg

Zirkelschluss, Dogma und Infiniter Regress nennt der Philosoph Hans Albert übrigens das Münchhausen-Trilemma. Nach Hans Albert wird jeder Versuch einer Letztbegründung scheitern, weil er immer ins Münchhausen-Trilemma führt.

Heiliges Spaghettimonster! Ist euch klar, was das bedeutet? Nichts anderes als: Es gibt kein Wissen – zumindest streng genommen. Was machen wir jetzt? Bleibt uns noch etwas anderes übrig, als uns besinnungslos zu besaufen? Können wir wirklich Trumps alternative Facts nicht widerlegen, weil wir am Grunde unserer Argumentation immer auf das Münchhausen-Trilemma stoßen? Gibt es wirklich gar keinen Ausweg?

Nun, Platon bietet uns einen solchen Ausweg in seinen mittleren Dialogen. Wir haben ihn auch schon hier und da mal gestreift. Allerdings wirft uns dieser Ausweg wieder ganz tief in seine Metaphysik und da stellt sich die Frage, ob wir nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Dennoch werden wir uns beim nächsten Mal diesen Ausweg angucken: Die Anamnesislehre.

Gottes Existenz wurde bewiesen

Zeigt sich Gott in der Welt?
Zeigt sich Gott in der Welt?

„Mathematiker bestätigen Gottesbeweis“

titelt SpOn auf seiner Wissenschaftsseite und fährt fort:

„Jetzt sind die letzten Zweifel ausgeräumt: Gott existiert tatsächlich.“

Gut, dass wir das endlich hinter uns haben. Nach 2.500 Jahren wurde es auch endlich Zeit. Und an alle Atheisten: Vielen Dank fürs Mitspielen, holt euch bitte eure Trostpreise an der Pforte zur Hölle ab! Aber, ihr ahnt es sicher schon, ganz so einfach werde ich es euch nicht machen…

Also, beginnen wir mit einem Faktencheck

Was ist passiert? Kurt Gödel, fraglos einer der größten Logiker der Geschichte, hatte sich dereinst daran gemacht, die Existenz Gottes zu beweisen. Mithilfe der Modallogik entwickelte Gödel einen formallogischen Beweis für die Existenz Gottes. Dieser lässt sich holzschnittartig auf zwei Schritte runterbrechen:

1. Es ist möglich, dass es ein göttliches Wesen gibt.
2. Wenn es möglich ist, dass es ein göttliches Wesen gibt, dann ist es auch notwendig.

Jetzt haben die Wissenschaftler Christoph Benzmüller und Bruno Woltzenlogel Paleo einen Computer mit der Formel gefüttert, der bestätigt, dass Gödels Ableitung korrekt ist. Interessant an dem SpOn-Artikel ist übrigens, dass dieser zweimal ostentativ darauf hinweist, dass es ein Mac war, der uns Gott bewiesen hat. Ein Schelm würde sagen, dass das ziemlich gut zeigt, wie sich unser Glaubenssystem mittlerweile verschoben hat…

Stutzig machen sollte uns aber, dass der Beweis, der bereits um 1970 veröffentlicht wurde, erst jetzt von einem Computer bestätigt worden sein soll. Denn selbst wenn die Formel, die Gödel niederschrieb in die Königsklasse dessen gehört, was ein Mensch nachvollziehen kann, sollte ein Computer dazu leichter in der Lage sein und dies auch schon lange vor dem Jahr 2013 geschafft haben können. Wenn man sich die Pressemeldung von Benzmüller und Woltzenlogel Paleo anschaut, so stellt man auch gleich fest, dass diese schreiben, dass der Beweis noch nie so detailreich, in solch einer Tiefe durchgeführt wurde. Denn – so wieder SpOn – Gödel machte nicht all seine Annahmen explizit.

Stimmt Gödels Gottesbeweis denn jetzt?

Soweit, so gut, aber ist die Existenz Gottes jetzt wirklich bewiesen? Ist jetzt alles gesagt und es steht fest, dass Gläubige recht und Ungläubige unrecht haben? Ich habe mich mit dem Thema ja schon einmal auseinandergesetzt und habe damals behauptet, dass diese Streitfrage prinzipiell nicht entscheidbar ist. Aber wer bin ich schon im Vergleich zu Gödel… Okay ich sollte mich jetzt nicht selbst mit einem Sophismus (Namedropping) ausknocken sondern lieber mich selbst zitieren und damit in Erinnerung rufen, was die Logik ist und kann und was sie nicht kann:

Die Logik ist die Lehre vom formal richtigen Schließen. Dass heißt, sie untersucht Schlussfolgerungen nur anhand ihrer sprachlichen Form, um zu prüfen, ob in dieser Fehler stecken. Der Inhalt der Äußerung interessiert die Logik dabei überhaupt nicht, sie überlässt es der Empirie, der Wissenschaft, zu prüfen, ob dieser Inhalt wahr ist.

Quelle: Ein selbstverliebter, sich selbst zitierender Daniel Brockmeier über das Widerlegen von Verschwörungstheorien

Daraus folgt aber – natürlich vorausgesetzt, ich habe die Logik richtig verstanden – dass Gödel „nur“ bewiesen hat, dass es möglich ist, auf die notwendige Extistenz eines göttlichen Wesens zu schließen, wenn man eine bestimmte Menge von Prämissen – Mathematiker würden Axiome sagen – als gegeben voraussetzt. Welche sind das?

Die Wikipedia hilft uns hier weiter, indem sie uns den Beweis normalsprachlich aufschlüsselt:

  • Annahme 1: Entweder eine Eigenschaft oder ihre Negation ist positiv.
  • Annahme 2: Eine Eigenschaft, die notwendigerweise durch eine positive Eigenschaft impliziert wird, ist positiv
  • Theorem 1: Positive Eigenschaften sind möglicherweise beispielhaft
  • Definition 1: Eine gottesähnliche Existenz enthält alle positive Eigenschaften
  • Annahme 3: Die Eigenschaft, gottähnlich zu sein, ist positiv
  • Schlussfolgerung: Möglicherweise existiert Gott
  • Annahme 4: Positive Eigenschaften sind notwendigerweise positiv
  • Definition 2: Die Essenz eines Individuums ist die Eigenschaft, die von diesem umgesetzt wird und impliziert notwendigerweise irgendeine seiner Eigenschaften
  • Theorem 2: Götterähnlich zu sein ist eine Essenz von jeder götterähnlichen Existenz
  • Definition 3: Notwendige Existenz eines Individuums ist die notwendige Beispielhaftigkeit von all seinen Essenzen
  • Annahme 5: Die notwendige Existenz ist eine positive Eigenschaft
  • Notwendigerweise, Gott existiert

Die spannenden Aspekte sind dabei die Definitionen 1, 2 und 3. Denn, was ist eine Definition? Auch das habe ich bereits zuvor erläutert: Eine Definition ist ein Dogma. Ich kann mein Beweisspiel nicht bis in alle Ewigkeit weiterspielen, das wäre ein infiniter Regress, daher breche ich sie irgendwann ab und definiere meine Grundbegriffe. Diese Definitionen sind aber eben nicht bewiesen, sie stehen unter einem Falsifikationsvorbehalt. Sie haben im Sprachspiel die Funktion, das Spielfeld abzustecken innerhalb dessen ich meinen logischen Ball hin- und herschlage. Aber wie beim Tennis, wo sich die Größe des Feldes ändern kann, wenn Doppel statt Einzel gespielt wird, ist auch eine Definition nichts, das ewig feststeht. Sie ist nichts, was bewiesen wurde, sondern unterliegt allein schon durch den Sprachwandel Änderungen.

Das heißt, liebe Atheisten, ihr könnt weiter an Gottes Existenz zweifeln, ihr müsst dafür nur Gödels Definitionen angreifen…

Eines noch und dafür werden mich alten Relativisten sämtliche Ontologen ans Kreuz nageln: Angenommen, wir gestehen Gödel zu, dass er richtig definiert hat, hat er dann wirklich die Existenz eines (meta-)physischen Dinges bewiesen? Mitnichten! Er hat dann bewiesen, dass unsere Sprache diesen Ausdruck notwendigerweise beinhaltet. Dass er im Regelwerk unserer Sprache steckt. Selbst in der natürlichen Sprache ist das wenig überraschend, denn diese Sprache wurde seit nunmehr fast 100.000 Jahren von Menschen gesprochen, die an ein göttliches Wesen glauben. Da ist es nicht verwunderlich, dass sich dies tief in ihr Flussbett eingegraben hat. Aber im Falle Gödels ist es sogar noch vertrackter: Denn Gödel benutzte eine Kunstsprache, eine Idealsprache für seinen Beweis. Eine böse Zunge könnte also sagen: Gödel hat bewiesen, dass die Sprache, die er „erfunden“ hat, für den Beweis Gottes geeignet ist.

 

Ich bin raus!

Wer hat denn nun eigentlich Recht: Die Wissenschaft oder die Religion?

Mein Vater kramte eben einen Abschnitt meines Philosophiestudiums hervor, indem er mich bat, dass ich ihm Folgendes bei Zeiten noch einmal erklären muss:

 

Die Unmöglichkeit Religion mithilfe der Wissenschaft zu widerlegen. Was wiederum mit der Unmöglichkeit von Letztbegründungen zusammenhängt.

 

Damit habe ich mich im Studium leidlich abgeplagt, und um diese Gedanken mal wieder zu ordnen, schreibe ich sie hier nieder. Das Ganze ist nur essayistisch, die Gedanken stammen nicht von mir, sie gehen im Wesentlichen auf Ludwig Wittgenstein, Nelson Goodman, Richard Rorty, Karl Popper, ein wenig Immanuel Kant, G. E. Moore und John L. Austin zurück, ohne dass ich dies jetzt einzeln mit Quellen belegen kann. Der zentrale Gedanke ist folgender:

 

Es ist dem Menschen prinzipiell unmöglich, zu erkennen, wie die Welt wirklich ist und zwar im Wesentlichen aus zwei Gründen:

  1. Unsere Vernunft ist begrenzt [sehr frei nach Kant]. Moderner ausgedrückt: unsere Gehirne können die Welt schlichtweg nicht abschließend begreifen. So wie unsere Sinne aufgrund ihrer organischen Beschränkungen nicht imstande sind, das ganze Spektrum von möglichen Sinneseindrücken einzufangen (wir können etwa Ultraviolett nicht sehen und Ultraschall nicht hören), so ist es unserem Gehirn aufgrund seiner organischen Beschränkung nicht möglich, die wahre Natur der Welt letztendlich zu begreifen.
  2. Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt [Wittgenstein]. Jeder Zugang zur Realität ist sprachvermittelt. Wenn ich etwas begreifen will, muss ich darüber nachdenken und das geht nur in Sprache (Und bevor jetzt jemand aufschreit: ja, wir können auch in Bildern denken. Aber schon mal versucht, eine Kette von Argumenten mit Bildern darzustellen? Viel Erfolg! Besonders, wenn ihr das Ergebnis dann auch noch – sprachlos – kommunizieren wollt).
    Sprache selbst ist aber nicht voraussetzungslos, sondern funktioniert wie ein Werkzeugkasten: Da haben wir verschiedene Werkzeuge, mit denen wir verschiedene Probleme angehen können. Wenn uns aber für ein Problem ein Werkzeug fehlt, dann können wir es auch nicht beheben. Da in unserem Fall das Problem die Erkenntnis ist, können wir etwas also nicht erkennen, wenn es in unserem Sprachrepertoire kein geeignetes Werkzeug dafür gibt. Zum Beispiel ist das Basiswerkzeug unserer Logik der Satz vom Widerspruch: Ich kann nicht zugleich behaupten, dass etwas ist und das es nicht ist. Wenn ich spreche, fälle ich Entscheidungen, ziehe Grenzen und wenn ich diese dann einfach umschmeiße, begehe ich eben einen Widerspruch, was ich sage ist also falsch. Das Problem ist jetzt aber Folgendes: Ich habe kein Werkzeug, um den Satz vom Widerspruch auf Wahrheit zu prüfen. Ich kann die Frage „Ist der Satz vom Widerspruch wahr?“ nicht beantworten, denn welches Werkzeug sollte ich dafür benutzen? Richtig: Mir bliebe nur der Satz vom Widerspruch! Aber wenn ich das mache, dann schreit das nächste Erkenntniswerkzeug, dass ich gerade etwas kaputtmache, nämlich der Zirkelschluss. Der Zirkelschluss besagt, dass eine Erklärung unlogisch ist, wenn ich A mit B begründe und anschließend B wieder mit A. Zum Beispiel:

 

„Dieser Mann ist ein Nazi!“

„Woher willst du das wissen?“

„Er trägt eine Glatze!“

„Warum macht ihn das zum Nazi?“

„Weil Glatzenträger Nazis sind!“

 

Wenn ich also die Grundannahmen 1. und 2. einmal akzeptiert habe, kann ich mir den Begriff der Wahrheit in die Haare schmieren.

 

Wenn ihr jetzt nicht schreit: Moment, das geht doch nicht! Dann seid ihr entweder Philosophen oder realitätsfern. Denn das Hauptargument gegen meine Behauptung ist natürlich, dass wir jetzt seit gut 3.000 Jahren Wissenschaft betreiben, und die Wissenschaft ja nichts anderes tut, als Wahrheit zu suchen und zu entdecken. Und dass dieses Entdecken der Wahrheit doch genau das ist, was wir Fortschritt nennen.

 

Das ist korrekt, aber nur so lange wahr, wie wir uns im Sprachspiel der Wissenschaft bewegen.

 

Ich kann also ohne Probleme sagen: „Das Einstein’sche Weltbild ist dem Newton’schen überlegen“. Oder: „Das Periodensystem der Elemente ist der Vier-Elemente-Lehre überlegen“. So weit, so gut. Doch, was ich eben nicht kann, ist, die Wissenschaft als solches, das gesamte wissenschaftliche Weltbild mit einem ganz anderen Weltbild zu vergleichen, etwa der Religion und zu sagen: „Die Wissenschaft ist wahrer als die Religion“.

 

Warum kann ich das nicht? Nun, weil ich dann wieder meine Werkzeuge auf sich selbst anwenden müsste. Das Ganze würde im so genannten Münchhausen-Trilemma enden (Der Name geht auf die Anekdote des Baron Münchhausens zurück, wonach er sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen hat).

 

Das Münchhausen-Trilemma besagt Folgendes:

Wenn ich herausfinden will, ob ein Satz wahr ist, muss ich ihn begründen. Ich kann aber einen Satz nur mithilfe weiterer Sätze begründen, für die ich dann ja auch wieder zeigen muss, dass sie wahr sind, indem ich sie mithilfe weiterer Sätze begründe, für die ich auch wieder …

Aus diesem Begründungsgang führen nun lediglich drei Türen hinaus:

  1. Der infinite Regress: Ich führe das Spiel bis in alle Ewigkeit weiter. Das ist praktisch nicht möglich, scheidet somit aus.
  2. Unser wohlbekannter Zirkelschluss, Mit dem kommen wir nicht vom Fleck, somit scheidet er auch aus.
  3. Schließlich noch das Dogma. Das heißt, ich breche irgendwann ab. Stelle mich lutherisch hin und kann nicht anders, meine Erklärungen kommen, mit Wittgenstein gesprochen, an ein Ende.

 

Innerhalb der Wissenschaft geht man durch die dritte Tür und nennt es dann eine Definition. Das ist auch vollkommen okay, denn diese werden nur aufgrund ausreichender Evidenz gefällt, nach Regeln, die die ganze Scientific Community permanent am austarieren ist und die ständig einem so genannten Falsifikationsvorbehalt (der Annahme, dass sie nur so lange wahr sind, bis das Gegenteil bewiesen wurde) unterliegen.

 

Eben das hat das CERN gerade getan, als es verkündete, das Higgs-Boson oder ein anderes neues Boson gefunden zu haben. Das CERN hat nicht gesagt: Da ist es, wir haben es gesehen. Sondern: Unsere Messdaten haben einen kritischen Wert überschritten, wonach wir jetzt sagen können, es ist da. Dieser kritische Wert ist ein Dogma, reine Definitionssache, aber wie schon gesagt, vollkommen okay, da er den wissenschaftlichen Spielregeln unterliegt und jederzeit fallen kann. (Ein ganz anderes Problem ist, dass derzeit nur am CERN die geeigneten Mittel (der LHC) existieren, um diese Art von Untersuchung durchzuführen, somit wissenschaftliche Spielregeln an ihre Grenzen gebracht werden, aber das würde jetzt zu weit führen …).

 

Ganz anders sieht es jetzt aus, wenn ich aus dem wissenschaftlichen Sprachspiel heraustrete und mich der – ich schlage den zugegebenen langen Bogen zurück – Frage zuwende, wer denn nun eigentlich Recht hat: Die Wissenschaft oder die Religion? Die Gretchenfrage lässt sich nun schlichtweg nicht beantworten.

 

(zudem zerfällt sie in hunderte Teilfragen wie: Wer hat die Welt erschaffen/wie ist sie entstanden? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Existiert Gott? Etc. Aber der Einfachheit halber will ich so tun, als handele es sich nur um die simple Frage: Wer hat Recht – die Religion oder die Wissenschaft?)

 

Der Wissenschaftler geht nun hin und benutzt seine Werkzeuge um die Grundannahmen der Religion zu widerlegen. Aber wohin führt ihn das? Genau: ins Münchhausen-Trilemma. Nun kann er aber nicht, wie innerhalb der Wissenschaft, durch Tür Nummer 3 gehen. Warum? Na, weil diese Tür innerhalb der Wissenschaft eben ständiger Überwachung ausgesetzt ist, ständig neu vermessen wird und somit letztlich einen Konsens innerhalb der Scientific Community bildet. Aber welchen Grund hätte denn der Religionsanhänger, diesem Konsens zuzustimmen? Warum sollte er nicht sein Dogma an einer ganz anderen Stelle errichten? Und ihr ahnt es sicherlich: genau das macht der Religionsanhänger. Statt: Satz vom Widerspruch, kritischer Messwert, Normalverteilung, Falsifikation etc. lauten seine Dogmen eben Gottes Wille, steht in der Bibel, das ist eine Frage des Glaubens etc.

 

Jetzt wäre natürlich der logische Schritt des Wissenschaftlers wieder, zu beweisen, dass seine Dogmen denen des Religionsanhängers überlegen sind. Aber wie macht er das? Mit geeigneten Begründungen – und wohin führen diese ihn? Ins Münchhausen-Trilemma.

 

Das ganze Sprachspiel der Weltbeschreibung ist eben eine Relation, aus der man nicht hinaustreten kann. Um zu entscheiden, wer die Welt richtig sieht, müsste man außerhalb der Relation Mensch – Welt stehen, aber das geht nun einmal nicht, und somit ist die Frage eben nicht abschließend entscheidbar.

 

Zwei kurze Anmerkungen noch zum Schluss:

  1. Was für den Wissenschaftler gilt, gilt natürlich im gleichen Maße für den Religionsanhänger, weshalb der Kreationismus vollkommener Humbug ist. Denn dort tritt die Religion ins Sprachspiel der Wissenschaft ein, doch dann muss sie sich auch den Regeln der Wissenschaft unterwerfen und hat in diesem Moment schon verloren. Das bedeutet: Wer lehren will, dass die Welt von Gott erschaffen wurde, kann dies gerne im Religionsunterricht tun, doch sobald er den Biologiesaal betritt, muss er eben auch den Werkzeugkasten der Biologie öffnen, und dann ist seine ganze Theorie im höchsten Maße unplausibel.
  2. Wenn ihr gut aufgepasst habt, müsst ihr jetzt natürlich noch einmal schreien: Und was ist mit dem Fortschritt?! Da haben wir doch einen Beweis, dass die Wissenschaft Recht hat! Im Mittelalter sind die Menschen bei der kleinsten Erkältung gestorben und heute fliegen sie zum Mond! Aber die Antwort lautet: Damit begeben wir uns in eine ganz andere – mir durchaus sympathische – Sphäre, nämlich in den Pragmatismus. Wer so argumentiert, der stellt in Wirklichkeit nicht mehr die Frage: Was ist wahr? Sondern: Was bringt uns voran? Was bringt uns mehr Nutzen? Und in dem Punkt liegt die Wissenschaft ganz klar vorne. Klar können wir an den Kreationismus glauben (alles außer Acht gelassen, was ich unter 1. schrieb), aber bringt uns das voran? Wird das unsere Probleme mit dem Klimawandel oder dem Hunger der Welt lösen? Ich glaube nicht. Auf der anderen Seite wird uns aber die Wissenschaft keinen Trost spenden, wenn wir Angst vor dem Tod haben, da ist dann Religion der pragmatischere Weg.

 

Enden will ich mit einem (äußerst frei wiedergegebenen) Zitat von Karl Popper:

„Ich kann zwar nicht entscheiden, ob der Rationalismus Recht hat, aber ich mache eben einen Sprung in den Rationalismus und von da an muss ich alles Weitere dem Rationalismus unterwerfen.“

 

Zur weiteren Recherche (Aber nur unter äußerster Vorsicht, denn es handelt sich hier um die Königsdisziplin der Philosophie):

 

John L. Austin: Gesammelte philosophische Aufsätze.

Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung.

Immanuel Kant: Die Kritik der reinen Vernunft.

Ders.: Kritik der praktischen Vernunft.

Ders.: Kritik der Urteilskraft.

G. E. Moore: Eine Verteidigung des Common Sense.

Ders.: Beweis der Außenwelt.

Karl Popper: Objektive Erkenntnis. (Hab ich nicht gerlesen, aber die Bücher, die ich von Popper gelesen habe, behandeln die hier zentralen Themen nur am Rande, daher verlasse ich micht hier aufs Hören-Sagen).

Richard Rorty: Der Spiegel der Natur.

Ludwig Wittgenstein: Tractatus Logico Philosophicus.

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen (beide Bücher gibt es praktischerweise in einer Ausgabe).