Aristoteles – Logik und der klassische Syllogismus

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Daniel
ist sterblich

Aristoteles – Der Logiker – Folge 10

Heute geht es um Logik. Das ist die Lehre vom richtigen Schließen. Wir schauen uns noch einmal an, was ein Schluss ist, was ein Beweis und worin der Unterschied liegt zwischen vollkommenen und unvollkommenen Schlüssen. Dann kommen wir endlich zum klassischen Syllogismus. Als nächstes schauen wir uns verschiedene Schlussformen an. Wir wenden dann unsere verschiedenen Modi Notwendigkeit, Faktizität, Möglichkeit und Unmöglichkeit auf die Schlussformen an. Das alles gibt es wahlweise als Video, Podcast oder Text.

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Aristoteles‘ Logik

Nach den vielen Vorüberlegungen zur Logik möchte ich heute schließlich mit der eigentlichen Lehre der Logik beginnen. Das ist die Lehre vom richtigen Schließen. Und damit dann auch den Logik-Block der Aristoteles-Staffel beenden und mich anderen Themen zuwenden. Ich bin also wie eine Folge von Amazons-Blockbuster-Serie Ringe der Macht: Lange geschieht nichts und kaum könnte der eigentliche Spaß beginnen, ist sie auch schon wieder vorbei.

Was euch erwartet

Wir schauen uns noch einmal an, was ein Schluss ist, was ein Beweis und worin der Unterschied liegt zwischen vollkommenen und unvollkommenen Schlüssen. Dann kommen wir endlich zum klassischen Syllogismus. Als nächstes schauen wir uns verschiedene Schlussformen an. Wir wenden dann unsere verschiedenen Modi Notwendigkeit, Faktizität, Möglichkeit und Unmöglichkeit auf die Schlussformen an.

Was ist ein Schluss?

Auch wenn wir das schon ein paarmal hatten, sollten wir dennoch ganz im Stile Aristoteles‘ uns systematisch fragen: Was ist das eigentlich – ein Schluss?

Kehren wir dafür zu unserer Definition aus der letzten Folge zur ersten Analytik zurück:

Aristoteles definierte den Schluss dort als eine Rede, bei der etwas als gegeben angenommen wird. So wie wir alle Jahrzehntelang als gegeben annahmen, dass unser Gas aus Russland kommt. Daraus folgt dann etwas anderes notwendig. Mein Teaser in der Folge zur ersten Analytik war: Wenn wir die beiden folgenden Sätze als gegeben annehmen

  1. dass politische Parteien das Grundgesetz akzeptieren müssen, um demokratische Parteien zu sein
  2. dass die AfD das Grundgesetz ablehnt

Dann folgt nach Ari daraus „etwas anderes“ notwendig. Was folgt, habe ich beim letzten Mal noch verschwiegen. Jetzt hole ich das nach Es folgt nämlich: „Die AfD ist keine demokratische Partei“. Und warum das der Fall ist, das klären wir heute!

Was ist ein Beweis?

Zu dieser Klärung ist wichtig, dass wir als nächstes Aristoteles Verwendung des Begriffs „Beweis“ abstecken. Aristoteles sagt in der ersten Analytik, dass ein Beweis eine Art des Schlusses ist, aber nicht jeder Schluss ist ein Beweis. So wie Elrond in Ringe der Macht ein Elb mit extrem schönen Haaren ist, aber nicht jeder Elb mit extrem schönen Haaren Elrond heißt. Was Aristoteles „Beweis“ nennt, nennen wir heute deduktiven Schluss: Der Schluss vom Allgemeinen zum Besonderen und unterscheiden das von anderen Schlussformen wie der Induktion, wo ich vom Besonderen zum Allgemeinen schließe.

Wie genau funktioniert denn dieser Beweis? Was macht ihn wahr? Um das zu beantworten, schlagen wir den langen Bogen zurück zur ersten inhaltlichen Folge dieser Staffel. Dort hatte ich erklärt, was Gattung und Art sind und ihr hattet euch vielleicht gefragt: Warum zum Grottenolm müssen wir uns das anhören?! Ganz einfach: Weil der Weg bei der Deduktion immer von der Gattung zur Art geht. Wenn ich sage, dass die Gattung ‚Auto mit Verbrennungsmotor‘ schlecht fürs Klima ist, dann trifft das auch auf die Auto-Art Porsche zu. Denn die Auto-Art Porsche ist per Definition in der Gattung ‚Auto mit Verbrennungsmotor‘ enthalten.

Vollkommener und unvollkommener Schluss

Wir unterscheiden weiter zwischen einem vollkommenen Schluss und einem unvollkommenen. Für einen vollkommenen Schluss brauchen wir nur einen Oberbegriff A, einen mittleren Begriff B und einen unteren C. Der untere muss ganz im mittleren sein und der mittlere ganz oder gar nicht im oberen.

Was Ari damit meint, dass ein Begriff in einem anderen enthalten ist, hatten wir beim letzten Mal ja schon. Es bedeutet, dass wir den Begriff so umformen können, dass der andere Begriff zum Vorschein kommt. Allerdings hatte ich das einfach so in den Raum gestellt und nicht erklärt, warum das so ist. Das geht ja nicht. Denn: Was sind wir? Philosophen! Und was wollen wir? Begründungen!

Und diese Begründung liefern uns eben die Begriffe „Gattung“ und „Art“. Wenn wir aus A und B auf C schließen wollen, dann muss jedes C Teil der Art B sein und jedes B oder keines (dazu kommen wir gleich) muss zur Gattung A gehören.

Mit einem Venn- Diagramm kann man das wieder schön veranschaulichen.

Venn-Diagramm

So können wir sagen, dass Elrond Art zur Gattung Elb mit schönen Haaren ist (lasst mir das zumindest vorläufig mal so durchgehen) und Elb mit schönen Haaren ist wieder Art zur Gattung Elb.

Als Terminus medius (also als B in unserer Begriffsreihe A, B, C) kann also nur ein Begriff fungieren, der einen anderen in sich trägt und der selbst in einem anderen getragen wird oder nicht (je nachdem, welchen Schluss wir daraus ziehen). Im Beispiel eben ist „Elb mit schönen Haaren“ unser Terminus Medius – auch wenn diese Haare alles andere als Medius sind, sondern nichts anderes als Primus!

Der klassische Syllogismus

Und damit kommen wir endlich zu dem, was wir den klassischen Syllogismus nennen: Wenn man A von allen B aussagen kann und B von allen C aussagen kann, dann folgt daraus, dass man A von allen C aussagen kann.

Wenn ich von allen Menschen (B) sagen kann, dass sie sterblich (A) sind und von allen Athenern (C), dass sie Menschen (B) sind, dann kann ich von allen Athener (C) sagen, dass sie sterblich (A) sind.

Okay, jetzt habt ihr euch vielleicht gefragt, warum ich das so kompliziert beschrieben und nicht einfach gesagt habe, dass alle A B sind und alle B sind C, sodass folgt, dass alle A C sind. Das liegt einfach an der Grammatik des Deutschen. An der Oberflächenstruktur sieht man da die logischen Klassen nicht so leicht. Mit einem Venn-Diagramm können wir aber wieder schön die logische Tiefenstruktur visualisieren.

Und damit ihr nicht immer nur das gleiche Beispiel hört, das alle unkreativen Philosoph*innen euch vor den Latz knallen, hier noch ein anderes. Denn schließlich ist der klassische Syllogismus ja nicht nur für diesen einen Satz wahr, sondern eben für alle, die die gleiche Form, die gleiche Tiefenstruktur haben.

Mikrotransaktionen sind dazu da, Gamer*innen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Roblox finanziert sich über Mikrotransaktionen. Daraus folgt: Roblox ist dazu da, Gamer*innen das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Diese Konklusion ist wahrscheinlich etwas kontroverser als jene, dass Athener sterblich sind. Wenn ihr jetzt hardcore Roblox-Fans seid und schreit „Das ist eine Lüge, Roblox ist total toll und zieht niemandem Geld aus der Tasche!!!“ Dann lautet meine Antwort darauf: 1. Mein Beileid. Und 2. Das ist ein zwingender Schluss, der notwendig aus den Prämissen folgt. Wenn du darlegen willst, dass es falsch ist, dass Roblox Gamer*innen das Geld aus der Tasche zieht, dann musst du eine der beiden Prämissen angreifen und darlegen, dass sie falsch sind.

Denn eines ist wichtig zu verstehen: Die Logik ermittelt Wahrheit nur aufgrund der Struktur der Sätze. Ob die Prämissen inhaltlich wahr sind, ist debattierbar, das müssen laut Aristoteles die Einzelwissenschaften zeigen. Die Logik kann nicht beweisen, dass Mikrotransaktionen wirklich Gamer*innen das Geld aus der Tasche ziehen. Hierzu müssen sich Ökonomie, Ethik und Politik äußern.

Verschiedene Schlussformen

Das ist also der klassische Syllogismus. Es ist ein vollkommener Schluss, der darauf aufbaut, dass wir mit zwei Allaussagen hantieren. Wie sieht es aus, wenn wir eine davon negieren, also verneinen?  Damit kommen wir zu dem schon angesprochenen Fall, dass der mittlere Begriff gar nicht im oberen enthalten ist.

Wenn kein A B ist, aber alle B C, dann ist auch kein A C.

Wenn Kein Mensch fliegen kann und alle Athener Menschen sind, dann kann kein Athener fliegen.

Auch hier wieder ein zweites Beispiel:

Wenn kein Mensch ‚Moon Knight‘ gucken konnte, ohne einzuschlafen und alle Oscar-Isaac-Fans Menschen sind, dann konnte kein Oscar-Isaac-Fan ‚Moon Knight‘ gucken, ohne einzuschlafen.

Im nächsten Schritt können wir jetzt die olle Tiktokerin Marlene Dietrich wieder rausholen und unser logisches Quadrat von neulich weiter durchgehen und eine der Allaussagen zu einer Partikular-Aussage machen.

Wenn von allen A B ausgesagt werden kann und von einigen B C ausgesagt werden kann, dann kann auch von einigen A C ausgesagt werden.

Das führt uns wahrscheinlich zum berühmtesten Beispiel der Philosophiegeschichte:

Wenn alle Menschen sterblich sind und Sokrates ein Mensch ist, dann ist Sokrates sterblich.

Auch bei dieser Schlussform gilt übrigens die Negation: Wenn A keinem B und B einigen C zukommt, dann kann A nicht von einigen C ausgesagt werden.

Wenn kein Mensch fliegen kann und Sokrates ein Mensch ist, dann kann Sokrates nicht fliegen.

Dazu drei Bemerkungen:

Wenn du jetzt nicht schon drei Jahrzehnte Philosophie-Milch geschlürft hast, sondern noch einigermaßen normal denken kannst, dann fragst du dich jetzt vielleicht: Wieso sagt der komische Honk erst „von einigen B kann C ausgesagt werden“, um dann als Beispiel zu bringen: Sokrates ist ein Mensch. Sokrates ist doch nicht Ygramul, die Viele aus der unendlichen Geschichte, sondern einer.

Und da habt ihr natürlich vollkommen recht! Ari unterscheidet manchmal auch zwischen Aussagen über einzelne Individuen und solchen über Gruppen. Aber rein logisch betrachtet macht es keinen Unterschied, ob Sokrates ein Individuum ist oder Teil des Borg-Kollektivs ist. Sokrates ist ein Erfüllungsgegenstand der Art Mensch. Ich hoffe, der alte Ironiker verzeiht mir, dass ich ihn Gegenstand nenne. Jedenfalls gilt für einen Erfüllungsgegenstand das Gleiche wie für eine Gruppe von 5, 50 oder 500. Solange es sich um eine Teilmenge der Gesamtmenge (hier der Gesamtmenge Menschen) handelt, solange kann ich mit einem Sokrates die gleichen Schlüsse ziehen wie mit einigen Sokratessen.

Wenn ich also sage „Wenn von allen A B ausgesagt werden kann und von einigen B C ausgesagt werden kann, dann kann auch von einigen A C ausgesagt werden.“, dann ist „Sokrates“ dieses Einige. Klingt komisch, ist aber so. Ich sage hier: Es gibt die Gattung Sterbliche, die Art Menschen und einen oder mehrere Erfüllungsgegenstände, die wir Sokrates nennen.

Das zweite, was es hier zu sagen gibt, ist, dass die Bedeutung der Variablen, die Aristoteles nutzt, nicht zu unterschätzen ist. Er ersetzt Begriffe durch A, B, C usw. Dies war ein erster Schritt in Richtung formaler Logik. Ein erster Schritt in Richtung der Verwendung von Codes und Algorithmen. Ohne diesen Schritt von Aristoteles vor 2200 Jahren wäre das Computerzeitalter nicht möglich. Du kannst gerade nur deshalb YouTube gucken, weil Ari im antiken Griechenland niederschrieb: Wenn alle A B sind und alle B C, dann sind alle A C. Und, ja, ich weiß, ich habe etwas ähnliches schon über Platons Sprachphilosophie gesagt. Doch das eine macht das andere nicht falsch! Platon hat sich nur theoretische Gedanken über eine Idealsprache gemacht, die zur Formalisierung führte. Aristoteles ist den ersten Schritt gegangen und allein dafür ist sein Status als Der Logiker, oder als der Philosoph, wie man ihn im Mittelalter nannte, absolut gerechtfertigt.

Der dritte Gedanke ist, dass an dieser Stelle Einführungen und Zusammenfassungen von Aris Logik oft schon enden. So wie die erste Staffel Ringe der Macht auch gerade dann endete, als wir gerade gelernt hatten, wer Sauron it. Wenn wir in den Text blicken – ich meine jetzt wieder die erste Analytik und nicht das Silmarillon, an dem wir ja auch keine Rechte haben –, dann befinden wir uns gerade auf Seite  7 der Prior Analytica. Was zur veganen Bolognese macht der Systematik-Freak auf den restlichen 141 Seiten?!

Das, was wir hier gerade gesehen haben, nennt Aristoteles vollkommene Schlüsse. Wir sprachen ja bereits darüber. Einen vollkommenen Schluss kann ich ziehen, ohne dass ich dafür irgendeine Zusatzannahme brauche. Hinzu kommen aber noch weitere, nicht vollkommene Schlüsse. Diese sind zwar auch logisch, aber ihre Wahrheit erschließt sich eben oft erst durch Zusatzannahmen und Umformungen.

Am Ende kommt Aristoteles auf drei Figuren von logischen Schlüssen mit vier bis sechs Untergruppen. Diese haben so ulkige Namen, als kämen sie direkt aus House of the Dragon. Sie heißen zum Beispiel Barbara, Ferio, Baroco oder Datisi. Allerdings hat Ari sie nicht selbst benannt, das geschah erst im Mittelalter im Zuge der Rezeption der Ersten Analytik.

Nachdem der olle Philosoph jetzt also die Schlussformen etabliert hat, kommt er um die Ecke mit: „Sodele, Kinners, jetzt kennen wir die Schlüsse, aber ich habe euch vorhin schon verklickert, dass Sätze notwendig, faktisch, möglich oder unmöglich sein können. Wie sehen denn unsere Schlüsse aus, wenn wir sie mit diesen verschiedenen Modi von Sätzen ziehen und wie, wenn wir diese Modi schön durchwürfeln?“ Anschließend fragt er sich noch, wie es zu so etwas wie Fehlschlüssen kommen kann.

Ich könnte jetzt jede einzelne Prüfung von möglichen Schlussfolgerungen mit euch durchgehen, aber dann könnte ich den Blog auch gleich dicht machen, denn niemand würde das durchstehen. Wenn ihr die Logik des Aristoteles lernen wollt, dann bleibt euch nichts anderes übrig, als in den Text zu gucken. Und ich empfehle jeder da draußen, Logik zu lernen. Aber mal Realtalk: Es gibt didaktisch bestimmt bessere Ansätze als die erste Analytik von Aristoteles.

Das ist schon allein deshalb der Fall, weil Ari nur die Syllogismen mit zwei Prämissen betrachtet, was nur eine kleine Auswahl aller möglichen Schlussfolgerungen ist. Ari glaubte, dass alle Argumente sich auf seine Schlussfolgerungen zurückzuführen ließen. Das war ein Irrtum, den bereits die Stoiker kritisierten.

Ich könnte jetzt hier Schluss machen mit meiner Staffel zu Aristoteles‘ Logik, aber eine kleine Extrarunde drehe ich noch. Denn mein Anspruch ist es, bewusst immer etwas tiefer in die Philosophie einzutauchen, als es 90 % der anderen hier machen. Daher will ich euch zumindest ein paar der anderen Schlussfolgerungen als Appetithäppchen hinwerfen. Ganz so als wäre ich Sam, ihr wäret Frodo und die Logik von Aristoteles wäre zugeworfenes Lembas.

Unvollkommene Schlüsse

Schauen wir uns zunächst einen unvollkommenen Schluss an:

M wird von keinem N aber von allen X ausgesagt. Daraus folgt, dass N keinem X zukommen kann. Der Schluss ist unvollkommen, da er zunächst umgeformt werden muss, um zeigen zu können, dass er wahr ist. Hier kommt die Regel zum Einsatz, die wir beim letzten Mal kennengelernt haben, dass eine allgemeine Verneinung allgemein konvertibel ist. Wenn M keinem N zukommt, dann kommt auch N keinem M zu. Dann haben wir den Schluss kein N ist M und alle M sind X,  daraus folgt, dass kein N X ist. Warum zum Lower-Decks-Red-Shirt musste ich mir eigentlich ausgerechnet die beiden Variablen auswählen, die sich akustisch am schwersten unterscheiden lassen?

Nehmen wir daher schnell ein Beispiel, um das anschaulicher zu machen:

Die Erdenschwerkraft kann kein Gürtler und jedes UN-Mitglied aushalten. Das können wir umformen in kein Gürtler kann Erdenschwerkraft aushalten, aber jedes UN-Mitglied kann Erdenschwerkraft aushalten. Damit ist Erdenschwerkraft zum mittleren Term geworden und wir können folgern, dass kein Gürtler UN-Mitglied ist. Was wir gemacht haben, ist nämlich, dass wir aus dem unvollkommenen Schluss durch die Umformung wieder einen vollkommenen Schluss gemacht haben. Yeah!

Die Modalitäten

So, bald haben wir es, aber uns fehlen noch die Modalitäten. Ihr erinnert euch: Nach Ari kann ein Satz notwendig wahr sein, faktisch wahr sein oder es kann die Möglichkeit bestehen, dass er wahr ist. Je nachdem, an welcher Position in meinem Syllogismus welcher Modus steht, folgt daraus unterschiedliches. So wie Unterschiedliches aus den hohen Gaspreisen folgt, je nachdem, welche Zahl auf deinem Kontoauszug steht.

Wenn der Obersatz allgemein und notwendig ist, dann wird auch der Schluss notwendig sein, stellt Aristoteles fest. Wenn A notwendig allen B zukommt und B faktisch einem C. Dann wird A notwendig einem C zukommen. Alle Menschen, die mit Corona infiziert sind, sind notwendig krank. Wenn ein hustender Mensch faktisch mit Corona infiziert ist, dann ist er notwendig krank. Das gleiche gilt für die notwendige Negation des Obersatzes.

Wenn A aber nur faktisch B zukommt, B hingegen notwendig C, dann ergibt sich daraus kein notwendiger Schluss. Denn dann besteht die Möglichkeit, dass A keinem C zukommt, selbst wenn es faktisch so ist. Also: Alle kranken Menschen sind faktisch mit Corona infiziert. Und ein kranker Mensch hustet notwendig, dann ist ein hustender Mensch in diesem Fall zwar faktisch mit Corona infiziert, aber nicht notwendig. Übrigens folgt auch aus dem Herbst, dass wir wieder alle Masken tragen solltet, um unser Gesundheitssystem zu entlasten.

Okay, wie sieht das mit der Möglichkeit oder wie man sie auch nennt: mit der Kontingenz aus?

Etwas ist möglich, stellt Ari fest, wenn es weder notwendig noch unmöglich ist. Eine spannende Eigenschaft der Kontingenz ist, dass sie sich im Gegensatz zur Notwendigkeit und Unmöglichkeit umkehren lässt und noch immer war ist: ‚Es ist möglich, dass X‘ und ‚Es ist möglich, dass nicht X‘ können beide gleichzeitig wahr sein. Bei ‚Es ist notwendig dass X‘ oder ‚Es ist unmöglich, dass x‘, trifft das nicht zu.

Ari präzisiert noch einmal, dass zwei Verwendungen von ‚Kontingenz‘ gibt und hebt damit den Widerspruch auf, der sich aus den verschiedenen Verwendungen in De Interpretatione und zu Beginn der ersten Analytik ergab. Wir nennen etwas kontingent, wenn es faktisch sein kann, aber nicht notwendig ist oder unmöglich. In dieser Verwendungsweise ist es kontingent, dass Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Demokratie ist. Es ist aber unmöglich, dass Deutschland von einem Drachen regiert wird. Allerdings es ist notwendig, dass Deutschland (sofern es existiert) ein Land ist.

In der zweiten Verwendungsweise von Kontingenz meint sie: Etwas kann die Möglichkeit besitzen, etwas zu sein. Ohne das schon faktisch zu sein. Die FDP hat die Möglichkeit, im Niedersächsischen Landtag zu sitzen, tut es aber nicht. Okay, zutreffender ist vielleicht: Das Samenkorn hat die Möglichkeit, ein Baum zu werden, ist dies aber faktisch noch nicht. Merkt euch das, wir kommen im Zuge der Metaphysik darauf zurück.

Wir können jetzt alle Schlüsse, die wir kennengelernt haben, auch mit einer möglichen und einer faktischen Prämisse ziehen. Wenn eine Prämisse faktisch und die andere möglich ist, folgt daraus immer ein Schluss der Möglichkeit. Genauso verhält es sich bei einer notwendigen und einer möglichen Prämisse. Wenn alle Sessel notwendig Sitzgelegenheiten sind. Und einige Sessel möglicherweise blau sind. Dann sind einige Sitzgelegenheiten möglicherweise blau.

So, jetzt habe ich euch aber wirklich genug gelangweilt. Es ist an der Zeit die Logik hinter uns zu lassen. Wärt ihr Student*innen des Mittelalters, hättet ihr jetzt quasi das Grundstudium absolviert, einen Bachelor in Philosophie erworben. Jetzt haben wir das Handwerkszeug gelernt, um uns wirklich mit den Inhaltlichen Fragen der Philosophie zu beschäftigen. Doch bevor wir uns der erhabensten und abgehobensten aller philosophischen Disziplinen, der Metaphysik zuwenden, machen wir erst einmal eine kleine Pause von Aristoteles und beschäftigen uns beim nächsten Mal mit jemand anderem. Ihr dürft gespannt bleiben.

Doch halt! Bevor ihr geht, habe ich noch eine letzte Schlussfolgerung für euch:

Wenn alle Philosophie-Interessierten gerne richtig gute Videos auf YouTube schauen und die Abonnent*innen meines YouTube-Kanals regelmäßig richtig gute Videos gezeigt bekommen, dann sollten alle Philosophie-Interessierten meinen Kanal abonnieren.

Na, wer findet den Fehler?

 

 

*Das ist ein Affiliate-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Die Philosophie von Steve Bannon

In den letzten Wochen und Monaten waren mir die kruden geschichtsphilosophischen Ansichten von Steve Bannon des Öfteren begegnet, ohne dass jemand sie logisch widerlegt hatte. Ich habe das mal übernommen. Ihr könnt euch das als Video anschauen oder darunter lesen.

Es geht heute um den Mann, der seit ein paar Monaten der mächtigste in Amerika ist. Nein nicht um Donald Trump! Um Steve Bannon! Derzeit gilt Steve Bannon zwar als entmachtet, aber manchmal kommen sie wieder!!! Daher erzähle ich heute von der Philosophie von Steve Bannon.

Steve Bannon ist der prominenteste Vertreter einer rechtsradikalen politischen Strömung in den USA, die sich „Alt-Right“ nennt. Und falls jemand aus der neuen Rechten das hier liest: Stellt euch nicht an wie Eltern, die von ihrem Kind beim Sex erwischt wurden! Ihr seid rechts, eure Ideen sind radikal: Natürlich seid ihr rechtsradikal!

Steve Bannon jedenfalls war Chefredakteur der ebenfalls rechtsradikalen Webseite Breitbart (ja, ich habe es schon wieder gesagt: rechtsradikal!). Bannon schloss sich dann dem Wahlkampfteam von Donald Trump an und ist nun Chefstratege von Trump im weißen Haus. Er soll der Kopf sein, der hinter Executive Orders wie dem Muslim Ban steckt. Das ist das Einreiseverbot in die USA für Muslime aus einer Reihe von Ländern. Es wurde mittlerweile von mehreren Gerichten als unvereinbar mit der amerikanischen Verfassung abgeurteilt.

Bannons merkwürdige Vorstellungen

Steve Bannon vertritt viele Thesen, die sich in der amerikanischen Rechten im besonderen und der internationalen Rechten im Allgemeinen tummeln, als handele es sich um ein Bordell in Kingslanding. Er verehrt sexy Ronald Reagen und glaubt heutzutage gäbe es nur noch korrupte Politiker, die den anständigen weißen Mittelklasse-Arbeiter mit Hilfe internationaler Konzerne ausbeuten. Die Verstrickung von Politik und internationaler Wirtschaft nennt er „die Partei von Davos“. Zugleich nennt er sich selbst einen Hardcore-Kapitalisten und kritisiert den „Sozialismus“, den Obama-Care für Arme bereitstellt – wiederum auf Kosten der Mittelschicht. Die Politik und die Finanzelite haben Amerika an den Rande des Ruins getrieben, während sie sich selbst bereicherten. Diese Politiker gilt es in Bannons Weltsicht genauso zu bekämpfen wie den Islam, der den christlichen Westen bedroht. Bannon träumt von einer rechtskonservativen Revolution und verglich sich selbst mit Lenin – dahingehend, dass er den amerikanischen Staat zerstören wolle, wie Lenin das mit dem Russischen getan hat. Nur ein Schock – so seine Weltsicht – könne den ich Niedergang des Systems aufhalten.

In diesem Kartoffelsalat an zusammengeklauten Ideologien stecken schon so viele ungesunde Zusatzstoffe, dass ich über jeden eine eigenn Folge machen könnte, aber mich interessiert heute nur der letzte Aspekt (der heilsame Schock) und der theoretische Unterbau dazu: Einer der wichtigsten philosophischen Einflüsse auf Steve Bannon ist das Buch The Fourth Turning* von William Strauss und Neil Howe. Ein Werk, das nicht nur klingt wie eine Gangschaltung bei Star Wars sondern auch ebenso sinnlos ist. Doch der Reihe nach …

Im Buch “The Fourth Turning” wird die Theorie aufgestellt, dass sich die amerikanische Geschichte wiederholt. Sie bewege sich in 80-100 Jahre-Zyklen. Jeder Zyklus endet dann mit einem kathartischen Crash, auf den ein Neubeginn folgt – die Generation Zero*, wie Bannon es in einer von ihm produzierten Dokumentation nennt. Bannon meint, dass der letzte Crash durch die Finanzkrise 2008 eingeleitet wurde. Die Obama-Administration das System aber über seine natürliche Lebensdauer hinaus am Leben erhalten habe. Offensichtlich hat Bannon also kein Problem mit aktiver Sterbehilfe.

The Fourth Turning

Doch, ich will mal einen Moment ernst bleiben und der Reihe nach gehen: Die beiden Urheber dieser (in Ermangelung eines besseren Wortes) Theorie, glauben an eine feste Folge von Generationen. Gemäß William Strauss und Neil Howe gehören alle Menschen einer Generation an, die in etwa in einem 20-Jahre-Korridor geboren wurden. Sie haben wichtige Ereignisse der Geschichte in etwa in der gleichen Lebensphase erlebt und teilen daher das gleiche Set an Werten, Glaubenssätzen und Verhaltensweisen. Strauss und Howe glauben, dass es eine historische Gesetzmäßigkeit gibt, wonach vier Genrationen zumindest in Amerika immer aufeinander folgen: „The High“, „The Awakening“, „The Unraveling“ und „The Crisis“.

Nach einer Krise beginnt ein neuer Zyklus wieder mit The High – der Hochphase. Dieses Hoch zeichnet sich dadurch aus, dass der Staat von starken Institutionen geprägt wird, während der Individualismus schwach ist. Die Gesellschaft ist sich einig, in welche Richtung sie sich entwickeln sollte. Die letzte Hochphase erlebten die USA demnach nach dem zweiten Weltkrieg.

Die zweite Phase ist The Awakening – das Erwachen. In diesem Turning werden die Institutionen angegriffen durch individuelle oder spirituelle Kräfte. The Awakening tritt ausgerechnet dann ein, wenn die Gesellschaft auf dem Höhepunkt des kollektiven Fortschritts ist. Dann erscheint der jungen Generation das High als Ära der kulturellen oder spirituellen Armut und sie wollen sich selbst entdecken und spirituelle Erfahrungen machen. Das letzte Awakening begann wohl nach Kennedys Tod mit den Studentenbewegungen der 1960er.

Es folgt als nächstes das Unravelling – die Phase der Auflösung. Institutionen sind schwach, Menschen Misstrauen ihnen und feiern ihren Individualismus. Die Gesellschaft zersplittert und jeder interessiert sich nur noch für sich selbst. Diese Phase begann der Theorie nach zuletzt in den 1980ern.

Schließlich kommt The Crisis. In dieser Krise wird die Gesellschaft bedroht. Etwa durch einen Krieg. Die Institutionen werden in so einer Krise zerschlagen. Die letzte Krise war die Weltwirtschaftskrise von 1929, die im zweiten Weltkrieg endete. Und an dieser Stelle landen wir wieder bei Steve Bannon. Denn wenn ihr gut aufgepasst habt, dann ist euch aufgefallen, dass die 20 Jahre des letzten Niedergangs schon um sind. Wir also eigentlich schon in der Krise stecken müssten.

Wie schon gesagt, glaubt Bannon, dass The Krisis eigentlich durch die Finanzkrise 2008 eingeleitet wurde, dass es die Obama-Administration aber verpasst hat, das aktuelle politisch-wirtschaftliche System einzureißen, um damit den Weg für die nächste Hochphase zu ebnen. Deswegen unterstützt er Trump, damit dieser diesen Prozess vorantreibt. Das wird das aktuelle System zum Einsturz bringen und Platz machen für das nächste High Amerikas.

Ein nach Mustern suchendes Gehirn

Was haltet ihr davon? Ich muss euch ehrlich sagen, auf mich wirkt das wie das möchtegern-prophetische Fantasy-Konstrukt von nach Mustern suchenden Gehirnen. Dass Bannon seinen Dokumentarfilm mit den Worten „Winter is Coming“ enden lässt, macht es auch nicht unbedingt besser. Und ich muss leider sagen, Steve, es liegt an dir und nicht an mir, dass deine Theorie keinen Sinn ergibt. Steve, deine Theorie ist in etwa so glaubwürdig wie eine Werbekampagne, in der uns McDonalds erklärt, wie gesund ihre Burger sind.  Aber ich will das ganze noch nicht gleich komplett als Quatschkram abtun, sondern zunächst einmal überlegen, ob da nicht vielleicht doch etwas dran  sein  könnte.

Immerhin sind William Strauss, Neil Howe und Steve Bannon nicht allein in dem Versuch, aus der Geschichte Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Und mal ehrlich, eigentlich ist die Überlegung gar nicht so doof: Wir leben in einer kausalen Welt, in der jede Wirkung eine Ursache hat. Warum sollte es in der Menschheitsgeschichte anders sein? So wie wir Jahreszeiten oder Sonnenfinsternisse Vorherbestimmen können, so können wir doch vielleicht auch Ereignisse wie Krisen vorherbestimmen. Berühmte Vorgänger in dieser Art zu denken waren etwa Hegel und Marx.

Hegel vertrat zum Beispiel den Standpunkt, dass in der Weltgeschichte und im Aufkommen und Untergehen einzelner Staaten der „Weltgeist“ zum Ausdruck kommt. Die Geschichte strebe dem Endziel entgegen, in dem sich der Geist und die Natur vereinen. Ich weiß, dass klingt super-abgehoben und ich kann es euch nicht runterbrechen ohne etliche Folgen zu Hegels Philosophie zu machen. Das letzte werden wir eines fernen Tages angehen, versprochen! Aber jetzt ist erst einmal wichtig, dass Hegel genau wie Strauss und Howe  geschichtliche Ereignisse analysierte. Er meinte, daraus ablesen zu können, dass die menschlichen Gesellschaften sich gesetzmäßig zu immer mehr Freiheit hinentwickeln würden.

Ganz ähnlich verhält es sich bei Marx und doch ganz anders. Marx glaubte Gesetzmäßigkeiten darin zu erkennen, dass die materiellen Verhältnisse der Menschen in der Geschichte zu bestimmten Ideen führten. Das Ziel dieser Entwicklung sei natürlich der Kommunismus, der zwangsläufig kommen werde um die – wie er es nannte – Vorgeschichte der Menschheit beenden werde.

Hmm, mittlerweile haben wir 2017 und der Kommunismus macht derzeit in etwa soviel Welle wie ein Quietscheentchen, nachdem ein Panzer über es hinweggerollt ist. Auch Hegels Vorstellung, dass wir immer freier werden, wird gerade irgendwo zwischen Terrorangst und Nationalismus zermalmt. Ist die Idee, dass wir aus der Geschichte Gesetze ableiten können also genauso bekloppt, wie sie sich anhört?

Die Prognosen der Sozialwissenschaften

Nun, wir müssen bedenken, dass wir solche Gesetze aus der Geschichte ständig ableiten. „Wenn die Wirtschaft boomt, sinkt die Arbeitslosigkeit“ – das ist gewissermaßen ein historisches Gesetz. Denn es hat sich in der Geschichte gezeigt, dass es sich so verhält. „Länder, die miteinander Handel treiben, führen keinen Krieg gegeneinander“, ist ein anderes. Und „In Großstädten wählen die Menschen links-liberaler als auf dem Land“, ist ein drittes. Sätze wie diese sind in den Sozialwissenschaften an der Tagesordnung und sie sind im gewissen Sinne historische Gesetze. Worin unterscheiden sie sich von denen von Hegel, Marx und Strauss und Howe?

Mir erscheinen zwei Unterschiede wichtig. Zum einen sind die Sätze der Sozialwissenschaften Thesen mit einem bedingten Geltungsanspruch. Niemand geht so weit, zu behaupten, dass wirtschaftliches Wachstum bis in alle Ewigkeit für geringe Arbeitslosigkeit sorgen wird. Wenn erst einmal die Maschinen wirklich intelligent sind, dann ist es wahrscheinlich vorbei damit. Die Sozialwissenschaften beobachten die Welt und passen ihre Theorien dann der Welt an. Aber wenn Steve Bannon meint, Obama habe es versäumt, die Crisis einzuleiten, dann versucht es die Welt seiner Theorie anzupassen.

Der andere Unterschied ist, dass die Theorien der Sozialwissenschaften nur Teilaspekte menschlicher Gesellschaften untersuchen und Thesen dazu aufstellen: Die Arbeitslosigkeit, internationale Beziehungen oder das Wahlverhalten von Großstädtern in den Beispielen oben. Hegel, Marx, Strauss und  Howe versuchen hingegen allumfassende, sogenannte holistische Theorien aufzustellen, gültig entweder für die ganze Menschheit oder zumindest für ganz Amerika! Das Problem dabei ist, dass hier unglaublich viele Einflüsse auf das beobachtete System wirken, sodass die für Wissenschaft nötige Reduzierung der Komplexität leicht zu Fehlschlüssen führen kann. Zum Beispiel definieren Strauss und Howe eine Generation als 20 Jahre und sagen, dass Menschen in diesem Lebensabschnitt die gleichen Erfahrungen teilen, was zu dem gleichen Set an Werten, Glaubenssätzen und Verhaltensweisen führt. Das ist eine verdammt steile These. Mein Bruder ist nur sechs Jahre älter als ich, aber – so lieb ich ihn habe – seine Werte, Glaubenssätzen und Verhaltensweisen unterscheiden sich massiv von meinen. Aber 20 Jahre? Ich habe den 11. September im Alter von 20 miterlebt. Wie alle, die diese Erfahrung mit mir teilen, weiß ich noch genau, wo ich war: Im Raucherabteil eines RegionalExpress nach Aachen. Zu meiner Generation sollen aber Menschen gehören, die an diesen Tag noch Babys waren, geschweige denn wissen, dass man früher in Zügen rauchen durfte! Seht ihr das Problem? Und dabei habe ich noch nicht einmal berücksichtigt, dass außer dem Alter noch ganz andere Faktoren Einfluss auf Werte, Glaubenssätze und Verhaltensweisen haben.

Poppers Widerlegung des Historizismus

Karl Popper, einer meiner Lieblingsphilosophen nennt die Art zu Denken von Strauss und Howe „Historizismus“ und er hat eine simple aber zwingende Widerlegung ihres Wahrheitsanspruchs. Sein Argument geht wie folgt:

(P1) Der Ablauf der Geschichte wird durch das Anwachsen des menschlichen Wissens stark beeinflusst.
(P2) Wir können mit rationalen oder Wissenschaftlichen Methoden das zukünftige Wachstum unserer Wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vorhersagen.
(C) Daher können wir den zukünftigen Verlauf der menschlichen Geschichte nicht vorhersagen.

Das ist ein klassischer Syllogismus. Wenn man  das menschliche Wissen nicht vorhersagen kann und wenn das menschliche Wissen einen starken Einfluss auf den Verlauf der Geschichte hat, dann folgt daraus zwingend, dass wir die Geschichte nicht vorhersagen können. Mit anderen Worten: Die Theorie vom Fourth Turning ist zwingend falsch. Sie kann nicht wahr sein. Unter keinen Umständen.

Die Popular Vote hat Bannon also verloren, wie sieht es mit der Anzahl der Wahlmänner aus? Nun, die Schlussfolgerung, dass die Theorie von Fourth Turning falsch ist, ist logisch zwingend, daran kann ein Verfechter diesee Theorie nichts ändern und wenn er sich auf den Kopf stellt. Aber wo die Konklusion unumstößlich ist, da rücken die Prämissen in den Fokus des Interesses. Um Bannon und seine kruden Ideen doch noch wahr werden zu lassen, müssten unsere Ausgangsbehauptungen falsch sein. Lasst uns einen Blick darauf werfen.

Wissen und Geschichte

Liegt es im Rahmen des Möglichen, dass die menschliche Geschichte nicht durch das menschliche Wissen beeinflusst wird? Nun es spricht ziemlich viel dafür, dass es zwischen Wissen und menschlicher Entwicklung eine kausale Beziehung besteht. Wir hatten schon bei Thales gesehen, wie stark die griechische Geschichte von Sprache, Alphabet und Seefahrt beeinflusst wurden. Andere Beispiele gibt es zuhauf: Ohne die Erfindung des Buchdrucks und die Möglichkeit, Schriften schnell und günstig zu vervielfältigen, wären die Reformation und die Aufklärung nicht möglich geworden. Ohne Vordenker wie Friedrich August von Hayek und Ayn Rand würde der Neoliberalismus die Wirtschaftspolitik der USA nicht seit der Präsidentschaft von Reagan beeinflussen. Und ohne das Internet und Social Media wäre Trump jetzt nicht Präsident. Ich denke beim Einfluss des Wissens kann ich Poppers Schlussfolgerung nicht knacken.

Wie sieht es aus, mit der These, dass sich der Zuwachs des menschlichen Wissens nicht vorhersagen lässt? Ich fürchte hier sieht es sogar noch übler für Bannon aus. Nehmen wir mal für einen Moment an, es gäbe eine neue Wissenschaft, die sich mit der Vorhersage der Wissensentwicklung befassen würde. Gehen wir weiter davon aus, dass diese Wissenschaft voraussagen könnte, wann die Physik das Beamen entdeckt. Dann müsste unsere prophetische Wissenschaft auch erklären können, wie Beamen funktioniert, sonst könnte sie nicht beweisen, dass ihre Prognose wahr ist. Wenn das aber möglich wäre, dann bräuchten wir keine Physik mehr. Wir bräuchten überhaupt keine andere Wissenschaft mehr, sondern müssten alle unsere Ressourcen nur noch auf die prophetische Wissenschaft werfen. Dies wird aber nicht gemacht, sondern nur die Einzelwissenschaften können Fortschritte erzielen. Es deutet also alles darauf hin, dass prophetische Wissenschaft nicht möglich ist.

Tja, es sieht also schlecht aus für die Theorie von Strauss und Howe. In ihr steckt in etwa soviel Wahrheit wie in Alien Covenant. Obwohl, wenn ich es recht bedenke, missachtet Ridley Scott in seinen Filmen zumindest nicht die Gesetze der Wissenschaft.

Notwendigkeit und Kontingenz

Aber auf einen Punkt muss ich noch eingehen: Was ist eigentlich, wenn morgen tatsächlich die Krise ausbricht, die Strauss und Howe vorhergesagt haben?  Zumindest in einem Punkt hat Bannon ja durchaus recht: Der internationale Finanzkapitalismus ist die Pest und die Zocker in den Investmentbanken haben durch die letzte Krise nichts gelernt. Daher ist es jederzeit wieder möglich, dass uns der ganze Laden um die Ohren fliegt. Ist die Theorie vom Fourth Turning dann am Ende doch wahr? Obwohl sie falsch sein müsste? Wir haben schließlich eben bewiesen, dass die Theorie von Strauss und Howe falsch ist.

Am Grund dieser Frage liegt ein philosophisches Problem, über das sich schon Aristoteles den Kopf zerbrochen hat.  Aristoteles formulierte das Problem damals so: Wenn ich gestern vorausgesagt habe, dass heute eine Seeschlacht stattfindet und heute die Schlacht wirklich stattfindet, war mein Satz gestern dann schon wahr?

Haben Zukunftsaussagen in gleichem Maße Wahrheitswerte wie Beschreibungen der Welt? Der Satz „Donald Trump hatte eine Audienz beim Papst“ ist wahr. Aber wie ist es heute, am 23. Mai 2017 mit dem Satz „Morgen wird Donald Trump etwas Dummes tun“. …. Äh …. Okay, vergesst diesen Satz, der ist noch einmal ein Sonderfall. Nehmen wir lieber: „Angela Merkel wird die Bundestagswahl gewinnen.“ Ist dieser Satz heute auch schon in gleicher Weise wahr? Im normalen Sprachgebrauch würden wir das nie sagen. Wir würden sagen, dass der Satz möglich, wahrscheinlich oder sogar ziemlich sicher ist. Aber wir sprechen Prognosen nie Wahrheit zu. Und dennoch, wenn im September Angela Merkel wiedergewählt werden sollte, dann erscheint uns der Satz retrospektiv als wahr. Wie können wir diesen Widerspruch auflösen?

Ganz einfach, die Logik kennt nicht bloß den Unterschied zwischen wahr und falsch sondern auch jenen zwischen kontingent und notwendig. Wenn die Entwicklung des Wissens der Menschheit sich nicht vorhersagen lässt und zugleich dieses Wissen die Geschichte beeinflusst, dann lässt sich die Geschichte notwendig nicht vorhersagen. Daraus folgt, dass eine Theorie, die behauptet, dass die Geschichte gesetzmäßig immer in vier aufeinander folgenden Phasen abläuft, notwendig falsch ist. Aber wenn demnächst ein Tweet von Donald Trump die USA in eine Staatskrise stürzt, dann war Bannons Vorhersage, dass dies geschehen wird, eben nur kontingent wahr.

Die Theorie vom Fourth Turning hat aber den Anspruch immer und zwingend wahr zu sein. Diesem Anspruch kann sie nicht gerecht werden. Die Geschichte der Zukunft ist noch nicht geschrieben.

 

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