Platon – Das Euthyphron-Dilemma

Heute möchte ich über ein vertracktes philosophisches Problem sprechen: Das Euthyphron-Dilemma. Hier im Video oder darunter zum Lesen …

Warum beschäftige ich mich mit Metaphysik?

Zunächst möchte ich noch einen Umweg einschlagen: Bei meinen Erörterungen zu Platons Seelentheorie kam oft der Einwand: „Das ist doch keine Philosophie. Das ist esoterischer Blödsinn. Warum beschäftigst du dich damit?“ Ich ahne, dass ich ähnliche Kritik auch hören werde, wenn ich mich jetzt mit Gott auseinandersetze. Und ich verstehe diese Vorbehalte! Wirklich. Auch ich habe das eine oder andere kognitionswissenschaftliche Buch gelesen und weiß, was alles gegen die Existenz der Seele spricht. Genauso bei Gott: Auch ich lebe nach Reformation und Aufklärung, habe Kant gelesen, kenne Russels Teekanne und habe Dawkins gelesen. Dennoch beschäftige ich mich mit solchen Fragen. Warum? Das hat drei Gründe:

  1. 2000 Jahre lang war Metaphysik einer der wichtigsten Zweige der Philosophie.  Nur weil sie in den letzten hundert Jahren aus der Mode kam, sollten wir sie nicht komplett ignorieren. Wenn wir sie erst einmal vorbehaltlos betrachten, lernen wir vielleicht etwas … Das führt uns zu:
  2. Damit können wir unseren Geist trainieren. Argumentationen nachzuvollziehen, ist das Basisgeschäft der Philosophie. Und Platon ist einer der Großmeister des Argumentierens. Ein Fußballer tut gut daran, die Bewegungsabläufe von Lionel Messi zu studieren, auch wenn er sie sich nicht zu eigen machen will. Entsprechend tun wir gut daran, die Argumentationsabläufe von Platon zu studieren, denn …
  3. Nur zu sagen „ich glaube nicht an Gott“ oder „ich glaube nicht an die Seele“, reicht nicht. Das ist keine Philosophie. Zu Philosophie wird unser Glaubenssatz erst, wenn er wahr und begründet ist. Um gut begründen zu können, müssen wir erst einmal die Gegenargumente kennen und dann können wir uns überlegen, wo wir da einhaken.

Doch jetzt ist es an der Zeit, uns damit zu beschäftigen, was Platon über Gott gesagt hat …

Die drei Phasen der Platonischen Philosophie

Dafür müssen wir uns noch einmal die drei Phasen der Platonischen Philosophie ins Gedächtnis rufen:

Es gab den frühen Platon, der noch stark geprägt war von seinem Lehrer Sokrates und der Sokratischen Wende. Wenn ihr nicht mehr wisst, was die sokratische Wende war, solltet ihr euch dringend noch einmal meine Sokrates-Texte lesen. Der frühe Platon jedenfalls kümmerte sich um Fragen der Ethik. Er gab selten definitive Antworten, widerlegte eher als dass er bewies.

Platons zweite Phase war dann die der großen Entwürfe: Allem voran entwarf er die Ideenlehre und begann mit ihr als Basis Beweise aufzustellen. Der Phaidon und seine Beweise von der unsterblichen Seele fallen in die Zeit des mittleren Platons. Platon interessierte sich für das Jenseitige noch mit einem stark menschlichen Fokus und argumentierte stark aus seiner Ideenlehre heraus.

In seiner dritten und letzten Phase begann Platon schließlich einerseits die Ideenlehre zu kritisieren und mit ihr verbundene Probleme aufzuzeigen. Andererseits ließ er auch die Sokratische Wende hinter sich und frug wieder die ganz große vorsokratische Frage: Was ist die Welt? Oder auch: Was ist der Kosmos?

Das Spiel der Gottesbeweise

In diesem späten Abschnitt von Platons Schaffen findet sich der Platonische Gottesbeweis, der sich entsprechend auch kosmologischer Gottesbeweis nennt. Die spannenden Dialoge sind hierfür der Phaidros und die Nomoi, die Gesetze. Doch bevor wir uns anschauen, wie Platon versucht, die Existenz Gottes zu beweisen, möchte ich noch einen Blick in einen der frühen Dialoge werfen, in den Euthyphron.

In den Jahrtausenden nach Platon, nachdem das Christentum in Europa seinen Siegeszug angetreten hatte, waren Gottesbeweise ein beliebter Sport unter Philosophen. Viele haben sich daran gewagt aus ihrem Glauben Wissen zu machen und dies taten sie auf mannigfache Art und Weise. Ein solcher Gottesbeweis ist zum Beispiel der ethische Beweis, wie ihn unter anderem Johann Gottlieb Fichte vertreten hat. Er geht ungefähr so:

Wir Menschen verfügen über ein Gewissen, das uns in einer inneren Stimme sagt, was gut und was böse ist. Oft spricht unser Gewissen dabei aber gegen unsere eigenen Interessen und Vorteile an, etwa bei der Frage, ob ich als Banker das Geld meiner Kunden riskant investieren soll: Ich persönlich habe dadurch nur Vorteile, denn ich kann nicht verlieren – es ist ja nicht mein Geld. Ich kann wiederum viel gewinnen, wenn die Wette aufgeht und ich eine entsprechende Provision bekomme. Mein Gewissen sagt mir aber, dass das falsch ist, entsprechend rät es mir zu einer Handlung, die meinen eigenen Interessen entgegensteht. Die Stimme des Gewissens kann wegen dieses Widerspruchs zu meinen Interessen nicht meine eigene Stimme sein. Wessen Stimme ist es dann? Es ist die Stimme Gottes.

Das Euthyphron-Dilemma als Argument gegen die Existenz Gottes

Ich persönlich halte diesen Gottesbeweis für ungefähr so überzeugend wie die Idee, dass 50 Shades of Grey ein guter Film sein soll. Es gibt vieles, das gegen ihn spricht und eines davon ist das sogenannte Euthyphron-Dilemma. In Platons Dialog Euthyphron geht es um Frömmigkeit sowie um das mit ihr verbundene und nach diesem Dialog benannte Dilemma.

Ein Dilemma ist eine philosophische Zwickmühle, bei der ich mich zwischen zwei Schlussfolgerungen  entscheiden muss, die sich gegenseitig ausschließen und die uns beide mit einem bitteren Geschmack zurücklassen. Das Euthyphron-Dilemma lautet nun: Ist das Gute gut, weil Gott es gebietet oder gebietet Gott das Gute weil es gut ist?

Egal, wie wir auf diese Frage antworten, die Konsequenzen sind eher ungünstig für unser Weltbild: Wenn die Ethik nur existiert, weil Gott sie gebietet, dann ist sie etwas Willkürliches, hat keinen intrinsischen Wert. Wenn Gott von uns zum Beispiel Menschenopfer verlangt, dann ist das gut – ganz egal, was wir darüber denken.

Wenn aber andererseits Gott die Ethik nur deshalb gebietet, weil sie gut ist, dann ist Gott nicht allmächtig, sondern muss sich selbst nach einem noch höherem Prinzip richten. Da es aber zur Definition von Gott gehört, dass er allmächtig ist, kommt dies schon einem Argument nahe, dass es Gott nicht gibt. Genau diesen Weg beschritt übrigens Bertrand Russell in seiner Gotteswiderlegung und auch Platon steht hart für das absolute Gute ein.

Dieses Dilemma spiegelt sich übrigens exakt in der Frage, ob Homosexualität eine Sünde ist. Fundamentalistische Christen sagen: „Das steht in der Bibel, also sagt es Gott und was Gott sagt, ist ethisch gut.“ Wir laizistischen Menschen sagen hingegen: Homosexualität ist erstens angeboren und schadet zweitens niemandem, sie ist also nicht böse. Entsprechend ist entweder falsch, was in der Bibel steht oder Gott befiehlt etwas, das der Ethik widerspricht, was wiederum hart gegen die Existenz Gottes spricht.

Das Euthyphron-Dilemma lässt sich also als Argument gegen die Existenz Gottes verwenden. Aber eigentlich wollte ich euch ja erzählen, was nach Platon für die Existenz eines göttlichen Wesens spricht. Das schauen wir uns beim nächsten Mal an.

Andere für mich denken lassen

Ich habe hier ein paar philosophische Artikel in Pocket, die ich schon längere Zeit aufbewahre, um mal irgendetwas damit zu machen. Da mir selbst zurzeit nichts Schlaues dazu einfällt, mache ich halt eine Linkschleuder daraus. ¯\_(ツ)_/¯

Spache und Moral

Hier ein spannender Artikel über empirisch-philosophische Studien zum Zusammenhang von Moral und Sprache:

A brother, who’s using a condom, and his sister, who’s on birth control, decide to have sex. They enjoy it but keep it a secret and don’t do it again. Is their action morally wrong? If they’re both consenting adults and not hurting anyone, can one legitimately criticize their moral judgment?

Die These, die entwickelt wird, lautet, dass wir in unserer Muttersprache ethische Probleme eher emotional angehen und in einer Fremdsprache eher analytisch …

Still, if morally ambiguous scenarios are approached in a second language, that can nudge us toward making decisions consciously and rationally. Speaking in a second language, therefore, may be one of the most moral things you can do.

Metaphysik und so …

Dieser Artikel beginnt mit der Feststellung, dass die zeitgenössische Philosophie metaphysische Fragen hinter sich gelassen hat. Beziehungsweise versucht die Philosophie, metaphysische Probleme auf empirische Ursachen zurückzuführen. Hier noch einmal die Definition von Metaphysik aus der Wikipedia, für alle die den Begriff nicht auf den Schirm haben:

Metaphysische Systementwürfe behandeln in ihren klassischen Formen die zentralen Probleme der theoretischen Philosophie, nämlich die Beschreibung der Fundamente, Voraussetzungen, Ursachen oder „ersten Gründe“, der allgemeinsten Strukturen, Gesetzlichkeiten und Prinzipien sowie von Sinn und Zweck der gesamten Wirklichkeit bzw. allen Seins.

Allerdings scheint der Autor, Justin E. H. Smith, einen weitergefassten Metaphysik-Begriff zu haben, ähnlich dem des frühen Wittgenstein, wonach all das metaphysische Aussagen sind, was sich nicht empirisch beweisen lässt. Anyway … Smith sieht in dieser Abkehr und auf die derzeitige Konzentration der Philosophie auf kognitionswissenschaftliche Erklärungsansätze ein Problem, da dies ein zu einseitiges Bild vom Menschen zeichnet:

Cognitive science, and the philosophy influenced by it, has taken into account the richness I’ve been trying to evoke– that we are not just essentially thinking things, but also thinking things with, for example, a special evolved capacity to notice faces that appear in our natural landscape, and to have stronger reactions to them than to lumps of dirt. But cognitive science by itself is ill-equipped to draw out the full significance of the ineliminable features of human cognition that it registers and describes. Philosophers in other areas of specialization need to join the project.

Stattdessen plädiert er für eine Reintegration von anthropologischen Theorien in die zeitgenössische Philosophie …

Die Welt ist nicht so …

Noch ein schöner Artikel zu einer Studie, wie Sprache unsere Konzepte der Welt beeinflusst …

Wenn Berufe in einer geschlechtergerechten Sprache dargestellt werden (Nennung der männlichen und weiblichen Form, zum Beispiel „Ingenieurinnen und Ingenieure“ statt nur „Ingenieure“) schätzen Kinder typisch männliche Berufe als erreichbarer ein und trauen sich selbst eher zu, diese zu ergreifen.

Wissta bscheid!

Hass im Netz

…. ist ja ein nicht weggehendes Thema und ein Problem. Hier setzt sich der Sozipod damit ausseinander in Bezug auf den rassistischen Terror dieses Jahr, wie er im Netz repräsentiert wird und wie man damit umgehen sollte. Das gleiche Thema hat diese schöne YouTube-Reihe am Beispiel des Gamergates, ebenfalls mit dem Ziel, einen Ansatz zu finden, wie man dergleichen verhindern kann:

Wenn euch das gefallen hat, dann lasst es mich doch in den Kommentaren wissen, mein Pocket quillt über von weiteren Artikeln, die ich gerne mit euch teilen kann …

P.S.: