Epilog zu Platon

Hier geht s heute zum letzten Mal um Platon. Also wahrscheinlich, eventuell,  vorerst vielleicht. Ganz sicher ist hingegen, dass ihr entweder das Video sehen könnt oder den Text lesen.

Lasst uns noch einmal zurückblicken, was wir alles über Platon erfahren haben. In den letzten drei Jahren habe ich euch in 32 Teilen von Platon erzählt. Ihr hättet lernen können, dass er ein Schüler von Sokrates‘ war. Dass er ein spitzenmäßiges Apfelkuchenrezept hatte und dass Platons Philosophie in drei Phasen aufgeteilt wird: den frühen, mittleren und den späten Platon. Ich habe mich hier zumeist auf den mittleren Platon konzentriert, denn es ist der Platon der großen Entwürfe.

Der Platon der großen Entwürfe

Der größte der großen Entwürfe ist Platons Ideenlehre, die bis heute für die theoretische Philosophie von Relevanz ist, auch wenn sie natürlich oft und hart kritisiert wurde. Neben der Ideenlehre ist Platon für seine Ethik bekannt, wo er, wie wir sahen, hart für eine universalistische Auffassung  des Guten eintrat. Die Staatstheorie, die er daraus folgerte, ist zwar nicht minder berühmt, darf aber meines Erachtens getrost auf dem Müllhaufen der Philosophiegeschichte entsorgt werden gleich neben Hegels Weltgeist und Heideggers … was auch immer Heidegger gemacht hat. Ganz im Gegenteil etwa zur berühmten platonischen Liebe und seiner Definition von Wissen, die noch immer awesome sind.

Neben diesen Kernthemen habe ich noch zahlreiche andere angesprochen und dennoch – wie könnte es anders sein – habe ich nur einen kleinen Teil der gesamten platonischen Philosophie angekratzt, als wäre sie ein zu tief gefrorenes Kratzeis. Peter Adamson vom schönen Podcast „The History of Philosophy without any Gaps“ sagte mal, für ihn stehe ohne jeden Zweifel fest, dass er auf eine einsame Insel die gesammelten Werke Platons mitnehmen würde, denn mit ihnen kann man sich problemlos ein Leben lang beschäftigen. Und auch ich kann nur empfehlen, euch mal einen frühen platonischen Dialog zu schnappen, euch damit am besten in eine altehrwürdige Bibliothek zu setzen, den Dialog zu lesen, mit dem Einschlafen zu kämpfen und darüber nachzudenken. So habe ich meine Liebe zur Philosophie entdeckt.

Platon und die Schönheit

Eine von all den vielen Sachen die ich weitgehend ausgelassen habe, war ein der drei philosophischen Kerndisziplinen. Wir hatten uns mit den beiden philosophischen Bereichen beschäftigt, die Kant in einem berühmten Zitat aus der Kritik der praktischen Vernunft wie folgt zusammengefasst hat:

„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“

Der olle Königsberger spricht hier von der Erkenntnistheorie und der Ethik. Aber es gibt eben noch einen dritten Zweig am philosophischen Baum: den der Ästhetik und den habe ich bei Platon fast komplett ausgelassen. Das liegt daran, dass Platon so seine Probleme hatte mit der Untersuchung der Schönheit. Gewiss im Symposion blitzt sie im Zusammenhang mit der Liebe gewissermaßen notgedrungen auf. Ich hatte die dort gegebene Definition der Idee der Schönheit im Rahmen der Ideenlehre wiedergegeben. Doch insgesamt war Platon skeptisch, was Schönheit anbelangt. Umberto Eco schreibt in seiner Geschichte der Schönheit, dass Platon meinte, sie lenke von der Wahrheit ab.

Platons Skepsis gegenüber dem Schönen und der Kunst zeigte sich zum Beispiel im Liniengleichnis. Hier stellte Platon die Abbilder auf die unterste Stufe der Erkenntnis. Zwar sprach er auch über natürliche Spiegelungen und Schatten, doch spätestens in der Wirkungsgeschichte wurden vor allem die gefertigten Abbilder verstanden. Auch der ganze Zensurapparat im Staat zielt darauf hin, die Macht ästhetischer Werke zu beschränken und lediglich pure Erkenntnis den Bürgern zugänglich zu machen. Interessant daran ist, dass Platon mit diesen Maßnahmen implizit eingesteht, dass Kunst wirkungsmächtig ist, dass sie einen enormen Einfluss auf unser Leben und unsere Sicht der Welt hat. Und genau aus diesem Punkt ist sie auch ein wichtiger Gegenstand zukünftiger Betrachtungen in dieser meiner Reihe.

Blick nach vorne

Damit bin ich bei der Frage, wie es hier weitergeht. Und darauf kann es nur eine Antwort geben: mit Aristoteles. Mit Platons Schüler schließe ich die großen Drei der Antike ab: Sokrates, Platon und eben der gute alte Ari. Aristoteles hat sich übrigens im Gegensatz zu Platon ausführlich mit Ästhetik beschäftigt, wie er überhaupt das ein oder andere Feld aufgriff, das Platon mit Missachtung strafte, zum Beispiel die Rhetorik. Ich werde in meiner Aristoteles-Reihe daher immer wieder darauf zurückkommen, wo Aristoteles explizit oder implizit sich von seinem großen Lehrer abhebt und ihn kritisiert. Ihr seht, ihr werdet Platon nicht los.

Aristoteles wird natürlich nicht der einzige bleiben, der seine Philosophie in einer Auseinandersetzung mit Platon begründet. Ein letztes Mal haue ich euch noch Alfred Whiteheads Zitat um die Ohren:

„Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.“

Platon war für die europäische Philosophie ein Fluch und ein Segen zugleich. Ich weiß, dieser Satz ist ein Klischee, aber erst ist auch so wahr wie der nächste, der nicht weniger ein Klischee ist: Platon war ein Genie. Er hat so viele Dinge vielleicht nicht zum ersten Mal gedacht, aber zumindest aufgeschrieben und uns so überliefert, dass er Wege ebnete, die die Philosophie von da an gehen konnte. Aber wo immer er eine Tür geöffnet hat, blieben natürlich auch andere verschlossen, durch die er genauso hätte gehen können.

Der vergessene Platon

Bei diesem enormen Einfluss, den ich im Detail ja in den letzten 32 Teilen immer wieder ansprach, ist es erstaunlich, dass es Phasen in der Philosophiegeschichte gab, in denen Platon fast vergessen war. Wenn man Bücher zur Geschichte der Philosophie liest, gewinnt man leicht den Eindruck, dass nach Platon und Aristoteles ein bisschen Mittelalter lag und dann gleich Descartes kam. Dass zwischen Platon und der philosophischen Neuzeit knapp 1.900 Jahre lagen, verliert man leicht aus den Augen.

Platon hatte seine Legacy selbst eingeleitet mit der Gründung der Akademie, die auch unglaubliche 300 Jahre fortbestand, doch spätestens 87 v. Chr. kam der Unterricht zum erliegen, als die Römer Athen eroberten und die Akademie verwüsteten. Es gab noch ein paar Versuche, die Tradition aufrecht zu erhalten, doch ca. 44 v. Chr. war dann endgültig Schluss.

Platons Lehren gerieten in weiten Teilen der philosophischen Welt in Vergessenheit, lediglich in Ägypten wurde die Flamme am Leben erhalten. Von hier aus brachte dann Platons Lehren der Philosoph und Namens-Remix-Begründer Plotin ca. 280 Jahre später nach Rom und die Epoche der Neuplatoniker wurde begründet. Der Neuplatonismus breitete sich nach Konstantinopel, Syrien und erneut Ägypten aus. Auch wenn der Kirchenvater Augustinus von Hippo Platons Lehren weitgehend christianisierte, hatten im Christlichen Europa die meisten Schriften Platons einen schweren Stand und im 6. Jahrhundert kam diese Tradition dann zum Erliegen. Teile des Platonismus wurden mit der Christlichen Philosophie weitergetragen und auch in Konstantinopel und Baghdad wurden seine Lehren wohl bis ins 11. Jahrhundert hier und dort am Leben gehalten. Doch schließlich wurde es still um den alten Philosophen.

Erst vierhundert Jahre später erlebte Platon mit der Renaissance in Italien auch seine Wiedergeburt und spätestens seit dem Beginn der Neuzeit gehört eine kritische Auseinandersetzung mit dem Philosophenkönig zum Standardrepertoire der Philosophen.

Ende

So, das war es. Das war, was ich euch zu Platon zu erzählen hatte. Gemessen an seinem Werk war es nicht viel und mein Anspruch ist bescheiden,  ich hoffe lediglich,  dass, was ich sagte, halbwegs stimmt.

Wir gesagt, es ist bestimmt kein Abschied für immer. So lange dieser Blog bestehen bleibt, so lange wird uns der erste große Philosoph immer wieder begegnen. Für mich ist es jetzt aber Zeit, voranzuschreiten. Weit muss ich dabei nicht gehen, denn schon als Platon noch selbst in der Akademie unterrichtete, saß da ein wissbegieriger Schüler in der ersten Reihe und sollte ein nicht minder großer Philosoph werden: Aristoteles.

Haltet mir die Treue, es wird ein bisschen dauern, bis ich mit dem Wälzen der Texte von und zu Ari fertig bin. Damit euch nicht langweilig wird, werde ich hier die eine oder andere Text für euch zu philosophischen Themen droppen. Doch am Ende gebe ich Platon selbst das Wort. Mit den letzten Zeilen aus dem Dialog Protagoras:

Da sagte Protagoras: Lieber Sokrates, ich lobe deinen Eifer und deine Durchführung des Gespräches. Glaube ich doch, auch sonst kein schlechter Mensch, am allerwenigsten aber neidisch zu sein, und so habe ich mich denn auch über dich schon gegen viele dahin ausgesprochen, daß ich von allen denen, mit welchen ich in Berührung komme, dich am meisten hochschätze, vor allem unter denen, die gleichen Alters mit dir sind; und so erkläre ich denn auch, daß es mich nicht wundern sollte, wenn du einst unter den Männern genannt werden wirst, denen ihre Weisheit einen berühmten Namen erwarb. Aber über diese Gegenstände wollen wir, wenn es dir recht ist, ein andermal sprechen! Jetzt aber ist es Zeit, uns auch einmal zu etwas anderem zu wenden.

Gut, sagte ich, so wollen wir es machen, wenn du meinst. Denn auch für mich ist es schon längst Zeit, dahin zu gehen, wovon ich sprach, und nur dem schönen Kallias zu Gefallen bin ich hier geblieben.

Nachdem wir so mit einander geredet und einander zugehört hatten, trennten wir uns.

Irrtümer

Neulich kursierte mal wieder die Geschichte durchs Internet, dass die Hummel nach den Gesetzen der Aerodynamik eigentlich nicht fliegen kann. Da sie dies aber nicht weiß, fliegt sie trotzdem. Das ist eine tolle Geschichte, denn unsere kleine, dicke Heldin zeigt es mal diesen fiesen Wissenschaftlern, die immer glauben, alles besser zu wissen. Zu dumm nur, dass die Geschichte falsch ist.

Das ließ mich grübeln, was wir noch alles so glauben, zu wissen, aber uns dabei eigentlich irren. Ich persönlich hatte zum Beispiel ziemlich lange ein Problem mit den Ziegen – also mit dem Ziegenproblem. Das Ziegenproblem kommt aus einer amerikanischen Spielshow. Dort bekommt eine Kandidatin drei verschlossene Türen gezeigt, hinter einer dieser Türen liegt ein Gewinn, hinter den anderen beiden stehen Ziegen. Die Kandidatin sucht sich eine der Türen aus, woraufhin der Showmaster eine der anderen beiden Türen öffnet, hinter der eine Ziege steht. Die Kandidatin bekommt nun die Gelegenheit, sich noch einmal umzuentscheiden oder ihrer Tür die Treue zu halten.

Ziegen
Ziegen. Von mir. Lizenz: CC-BY 3.0

Der Clou ist, dass wir jetzt errechnen können, dass die Gewinnwahrscheinlichkeit höher ist, wenn sich die Kandidatin noch einmal umentscheidet. Das wollte lange nicht in mein Hirn rein. Ich dachte immer: Wenn ich dann zwei Türen vor mir habe, sind die Chancen 50:50. Der Zufall hat doch kein Gedächtnis und kann sich nicht merken, ob ich zuvor die eine oder andere Tür hatte. Ein Mathematiker gab mir dann mal eine einfache Hilfestellung, um diesen Denkfehler zu überwinden, indem er mir sagte: Stell dir vor, es sind tausend Türen, du suchst dir eine aus, dann öffnet der Showmaster alle anderen bis auf eine andere und deine Tür. Würdest du dann noch immer sagen, die Wahrscheinlichkeit ist gleich hoch? Nope, natürlich nicht. Und mit drei Türen ist es im Grunde das gleiche, nur dass die Wahrscheinlichkeitsunterschiede nicht so groß sind…

Jedenfalls guckte ich mich ein bisschen um nach weiteren Irrtümern, denen ich anheim gefallen war und stieß auf ein paar schöne Wikipedia-Artikel, die über solche Irrtümer aufklären. Beispielsweise war ich richtig erzürnt, als ich erfuhr, dass mir im Geschichtsunterricht Blödsinn beigebracht wurde. Auf mich machte damals großen Eindruck, dass das römische Reich aufgrund seiner Dekadenz zu Grunde gegangen ist. Sinnbild für diese Dekadenz war, dass die Römer solange aßen, bis sie nicht mehr konnten, dann alles auskotzten und wieder weiteraßen. Stellt sich raus, mein Geschichtslehrer hat mir damals einen Mythos beigebracht. Denn die Römer haben dieses Erbrechen zwischen den Mahlzeiten nicht betrieben. Der Irrtum geht auf den Ausdruck „Vomitorium“ zurück. Aber das Vomitorium war kein Raum zum Kotzen sondern ein Teil eines Amphitheaters.

In Leitmotiv 006 lernte ich, dass Steinzeitmenschen weder Keulen schwangen noch Lendenschurze trugen. Außerdem hatten die Wikinger keine Hörner am Helm, das hat sich Wagner ausgedacht. Auch lernte ich in der Schule, wie gering die Lebenserwartung im Mittelalter war. Das stimmt zwar, birgt aber die Tücken der Statistik. Denn in dieser Lehre steckt die hohe Kindersterblichkeit, sodass ein Alter von über 60 Jahren nicht ungewöhnlich war. Und mit offenem Mund ließ mich zurück, dass Marie-Antoinette nie gesagt hat, das Volk solle Kuchen essen, wenn es kein Brot habe!

Nicht weniger drollig ist, dass all die Gründe für die amerikanische Revolution auf Propaganda zurückzuführen sind:

A propos Propaganda: Der Weihnachtsmann wurde nicht von Coca Cola erfunden, wenngleich die Firma das Bild vom dicken Mann im roten Plüschmantel weltweit exportierte. Und erst vor kurzem habe ich im Spätfilm erzählt, dass bei Orson Welles’ Krieg der Welten die Menschen tatsächlich an die Alien-Invasion glaubten. Stellt sich raus, es war nicht so… Genausowenig wie Einstein in der Schule schlecht in Mathe war, auch wenn sich viele Eltern seit Generationen damit trösten.

So gibt es noch unzählige Irrtümer und ich habe gerade erst einmal die einfachste Art von Irrtum hier angerissen, nämlich das falsche Wissen, noch viel vertrackter wird es, wenn wir uns erst einmal die kognitiven Verzerrungen angucken, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden…

Ich bin raus.