pauschalisieren und ablenken

Ich habe ein paar Sätze zu mspros Artikel „Wie aus der Spähaffäre so langsam eine Googleaffäre wird“ zu sagen.

Obwohl in mspros Blogpost viel Wahrheit steckt, so ist er dennoch schlecht vorgetragen, da er zu sehr pauschalisiert. Und das ist schade, denn der Punkt, den mspro macht, ist richtig und so ungeheuer wichtig, dass er ihn nicht durch Pauschalisieren und Schattenboxen verwässern sollte. Ja, die Regierung versucht, Google als Sündenbock hinzustellen, um von der Totalüberwachung abzulenken. Und ich bin mspro sehr dankbar, dass er das anprangert und die Regierung nicht mit dieser Ablenkung durchkommen lassen. Aber er pauschalisiert und konstruiert ein zu simples Bild von den Politikern ™ und ihren Freunden.

Was mspro zum Beispiel über den Untersuchungsausschuss schreibt, stimmt so einfach nicht. Der Ausschuss ist ein Instrument der Legislative, um die Exekutive zu kontrollieren, das lässt er komplett unter den Tisch fallen. mspro schreibt:

Der Untersuchungsausschuß zur Spähaffaire lädt nun also die Chefs der großen Internetkonzerne vor. Eric Schmidt, Mark Zuckerberg, etc. Sie sollen jetzt helfen die Machenschaffen der NSA aufzuklären. Aha.

Zur Erinnerung: es ist eben jener Untersuchungsausschuß, der sich weigert, Edward Snowden nach Deutschland einzuladen und zu befragen. Also derjenige, von dem wir all die Informationen haben, die wir haben. Stattdessen also jetzt Zuckerberg und Co.

Michael Seemann: Wie aus der Spähaffäre so langsam eine Googleaffäre wird

Das ist schlichtweg falsch. Der Ausschuss weigerte sich nicht, Snowden einzuladen, er wurde offen und offensiv von der Exekutive bedroht, dass Snowden an die USA ausgeliefert würde, sobald er nach Deutschland kommt.

Auf eben jener Zeugenliste, die mspro so sehr kritisiert, steht Snowden an erster Stelle! Als wichtigster Zeuge! Der Untersuchungsausschuss will ihn befragen, obwohl die Bundesregierung die Ausschussmitglieder mit strafrechtlichen Konsequenzen bedroht! Das ist ein so unglaublich undemokratischer Vorgang der Bundesregierung, dass wir uns lieber darüber aufregen sollten, als dass der Ausschuss auch (sicher auch aus PR-Gründen) halb Silikon Valley vorladen will. Doch auch die Einladung von Zuckerberg und Co. ist durchaus legitim, denn nach allem, was wir wissen, sind sie wichtige Zeugen, die helfen können, die Geheimdienstmachenschaften aufzuklären. Und das ist der nächste wichtige Punkt, den mspro unterschlägt: die CEOs stehen hier nicht vor Gericht, sie sollen Zeugen sein! Der Untersuchungsausschuss ist ein Mittel der parlamentarischen Kontrolle. Aber dieser Kontrolle unterliegt nicht Google oder Facebook, sondern die Bundesregierung! Die Bundesregierung sitzt gewissermaßen auf der Anklagebank und deshalb versucht auch die Bundesregierung in Person von Sigmar Gabriel ein Ablenkungsmanöver, nicht die Politiker ™!

Eine Allianz aus den Politikern ™, FAZ und Springer (die, da hat mspro ganz recht, aus wirtschaftlichen Gründen nach der tief hängenden Frucht Google greifen) und den datenschutz- und regulierungsfreundlichen Teilen der Netzgemeinde zu konstruieren, schießt über das Ziel hinaus und spielt letztlich nur dem Ablenkungsmanöver in die Hände…

 

Ich bin raus…

Neue Narrative setzen und alte Narrative brechen

Ich wollte schon seit längerem ein Stück über Narrative schreiben, da ich den Begriff und seine derzeitige Verwendung sehr spannend finde. Ohne das irgendwie empirisch belegen zu können, habe ich das Gefühl, dass „Der Diskurs“ als zentrales akademisches Leitmotiv vom „Narrativ“ abgelöst wurde.

Ein Rabe hinter Gittern. Wenn ihr die Metapher verstanden habt, erklärt sie mir bitte...
Ein Rabe hinter Gittern. Wenn ihr die Metapher verstanden habt, erklärt sie mir bitte…

Während meines Studiums in den Nullerjahren schien sich noch alles um Dikurse zu drehen. Der öffentliche Diskurs wurde geführt, Diskurse lösten sich ab und uns wurden Diskurse aufgezwungen. Ich habe den Begriff im Rahmen von Habermas’ Diskursethik kennengelernt, weiß aber nicht ob er von Habermas auch im Original stammt, oder ob er schon zuvor in der Soziologie gebräuchlich war. Über Hinweise wäre ich sehr dankbar. Soziologisch ist der öffentliche Diskurs eine über Zeit und Raum sich erstreckende Diskussion zu einem Thema, das in der Gesellschaft strittig ist. Beispielsweise sind zwei seit Jahren aktuelle Diskurse der richtige Umgang mit der Eurokrise und der Atomausstieg. Politiker, Zeitungen und andere Massenmedien melden sich in so einem Diskurs genauso zu Wort wie Wissenschaftlerinnen und die kleine Bürgerin, wenn sie zum Demonstrieren auf die Straße geht oder eben blogt.

Diese Diskurse, so mein ganz persönlicher Eindruck, wurden mittlerweile von Narrativen als Buzzword abgelöst. Die Diskurse selbst bleiben ja bestehen, wie ich an den beiden Beispielen oben vorführen wollte, aber die Intellektuellen reden im Metadiskurs weniger über sie und ihre Existenzbedingungen. Stattdessen ist man in der Metabetrachtung vom Diskutieren zum Erzählen übergegangen. Kulturpessimisten könnten das als Symptom dafür ansehen, dass heutzutage weniger miteinander gesprochen oder sich weniger zugehört wird. Stattdessen erzählen alle ihre eigene Geschichte. Aber ganz sachlich betrachtet, liegt der Wechsel des Buzzwords wohl daran, dass Diskurse nur existieren können, wenn es ein Narrativ gibt. Juna im Netz liefert uns hierfür eine knackige Definition:

„Narrative: Meme, die den Diskurs eröffnen und in der Lage sind, auch die Menschen zu erreichen, die bisher nicht daran teilnehmen.“

Wir brauchen also erst einmal eine Erzählung, die geeignete Sprache, um einen Diskurs zu eröffnen. Ich finde eines der eindrücklichsten Beispiele für ein sehr wirkungsmächtiges Narrativ waren die Frankfurter Prozesse. Dort wurden in den 1960er Jahren die Verbrechen von Auschwitz verhandelt und vor allem: weitgehend zum ersten Mal erzählt. Der deutschen Öffentlichkeit wurde von dem Grauen erzählt, das die Nazis in Auschwitz errichtet hatten. Und erst mit dieser öffentlichen Erzählung wurde der öffentliche Diskurs angestoßen. Das Narrativ „Man hat es ja nicht gewusst“ wurde gebrochen. So wurde der gesellschaftliche Wandel eingeleitet, der in die 68er-Generation mündete.

Wenn Blogger Geschichten erzählen

Heute, so wird es sich im Internet erzählt, brauchen wir wieder ein solches Narrativ um einen Diskurs anzustoßen, von dem wir alle hoffen, dass er uns in eine bessere Gesellschaft geleitet.

Es soll dahinten in der Ecke ja noch jemanden geben, der oder die die letzte Woche unter einem Stein gelebt und noch nichts von der re:publica mitbekommen hat. Die re:publica ist diese „Bloggerkonferenz“, wie sie in großen Medien noch immer oft genannt wird. Und eines der ganz großen Themen dort war eben die Suche nach neuen Narrativen gegen die Totalüberwachung. Damit wir endlich erfolgreich einen Diskurs anstoßen können.

Am meisten Aufmerksamkeit erhielt Sascha Lobo mit seiner Rede „zur Lage der Nation“, in der er einige streitbare These präsentierte, über die seither — wie jedes Jahr über die Vorträge von Lobo — auch tatsächlich gestritten wird.

Ein Aspekt ist dabei nicht bloß von mir als der wichtigste erkannt worden: Lobo griff das Thema auf, dass wir eine neue Sprache für und über die „Totalüberwachung“ brauchen. Er schlug vor dass wir nicht mehr von „Spähskandal“ oder „Geheimdienstaffäre“ sprechen, weil Affären und Skandale vorübergehen, die Totalüberwachung aber bleibt. Statt dessen wollte Lobo, dass wir andere Begriffe verwenden, die die Situation besser beschreiben: „Spähangriff“, „Spitzelattacke“ oder eben „Totalüberwachung“. Lobo schlägt vor, dass wir Geheimdienste „Spähradikale“ nennen. Wir sollen sie als „antidemokratisch“, „grundrechtsfeindlich“ und „sicherheitsfeindlich“ brandmarken. Geheimdienste „leiden an Kontrollsucht“ und „Spähfanatismus“. Und die unbewiesene, wenn nicht gar widerlegte Wirkung von Überwachung sollen wir als „Sicherheitsesotherik“ entlarven.

Den wichtigsten Talk zu neuen Narrativen hielt allerdings Friedemann Karig, dessen Vortrag mir in der Nacharbeitung neben Lobos so oft wie kein anderer in die Filterblase gepustet wurde.

Karig kritisierte, dass wir die Totalüberwachung noch immer mit veralteten Symbolen wie „1984“, „Stasi“ oder „Gläserner Bürger“ anprangern. Weiterhin hebt Karig hervor, wie wichtig es ist, auch die anscheinend viel wirkvolleren Narrative unserer Gegner zu brechen: „Ich habe doch nichts zu verbergen“, „Supergrundrecht“, „wir sammeln doch nur Metadaten“, „Google, Facebook und Co. sind der Feind“ und „man kann eh nichts tun“.

Das ist ein spannender Punkt aber vielleicht noch wichtiger ist, dass Karig als einer der ganz wenigen mal mit empirischen Studien auf die Frage eingeht, warum Überwachung schlecht ist. Die meisten von uns sprechen immer davon, dass Überwachung schlecht ist. Für uns ist das klar, wir sind davon überzeugt und brauchen das gar nicht weiter zu begründen. Aber für die Bürger da draußen ist das nicht so klar, wie ich in der Vergangenheit schon einmal geschrieben habe. Daher sind die Antworten von Karig auf das
„Warum ist Überwachung schlecht?“ so wichtig:

  • Überwachung macht krank
  • Überwachung macht verletzlich (das Individuum und die Gesellschaft)
  • Überwachung macht unsere Demokratie kaputt
  • Überwachung macht dumm
  • Überwachung macht primitiv
  • Überwachung macht ohnmächtig aka. Überwachung macht impotent
  • Überwachung klaut
  • Überwachung ist unmenschlich

 

Für die ausführliche Begründung dieser Thesen lege ich euch ganz dringend ans Herz, den Vortrag Karigs anzuhören!

Der von mir sehr verehrte Felix Schwenzel läutete dann noch während der re:publica die Nachbearbeitung ein und griff in seinem sehr aktuellen Beitrag beide oben genannten Vorträge auf:

Hier gibt es den Vortrag auch zum Nachlesen.

Er machte noch einmal klar, dass eines der wichtigsten aktuellen Narrativen „Angst“ ist. Der Staat hat Angst vor Terror, die Sicherheitsbehörden haben Angst vor Versagen und wir haben Angst vorm Staat. Schwenzel sagt, dass niemand den Satz: „Überwachung gefährdet die Demokratie“ mehr hören will, da die Menschen nicht daran glauben. Wir sehen doch, dass die Demokratie läuft, obwohl es die Totalüberwachung gibt.

Als Gegenentwurf präsentiert Schwenzel die Macht der Bilder am Beispiel der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und verwies auf vier parallelen zwischen der Bürgerrechtsbewegung und der Antiüberwachungsbewegung:

  • Wenig gesellschaftlicher Rückhalt
  • Wenig politische Unterstützung
  • Viel Kritik aus den eigenen Reihen
  • Und die These: Wer nicht schwarz ist, hat auch nichts zu befürchten

Weiter sieht Schwenzel ein Problem darin, dass wir die Überwachung zu sehr aufbauschen, also gewissermaßen zu starke Narrative beschwören, dass wir nicht klar genug definiert haben, wer unsere Gegner sind und dass uns drittens die geeigneten Symbole fehlen. Gegen die Wirkungsmächtigen Bilder vom „Kampf gegen den Terror“ kommen wir mit angestaubten Begriffen wie „Datenschutz“, „Privatsphäre“ und erneut „Gläserner Bürger“ nicht an. Schwenzel fährt fort, dass wir auch umdenken müssen und die Konzepte von Privatsphäre und Freiheit neu denken müssen. Wir sollten weniger schwarz malen, sondern mehr Pragmatismus an den Tag legen. Wir sollen das System bespielen.
Schwenzels Forderung sind der Dreiklang:

  • provozieren
  • (Täter) benennen
  • und verspotten

Go, tell it on the mountain…

Die Nachbearbeitung der re:publica griff sodann Anatol Stefanowitsch auf, indem er sich mit Sascha Lobos Suche nach neuen Begriffen auseinandersetzte. Stefanowitsch hält die Angriffsmetaphern, die Lobo vorschlug, für ungeeignet und betont, dass das Besondere der Gefahr ist, dass sie unsichtbar ist, dass wir sie nicht bemerken.

„Stattdessen bräuchten wir einen Frame, der zu einer unsichtbaren Gefahr passt, die jahrelang unbemerkt und folgenlos bleiben und dann plötzlich akut werden kann. Mir fallen spontan zwei solche Frames ein, die beide gut in deutschen Angstdiskursen verankert sind: Der VERUNREINIGUNGS-Frame und der KRANKHEITS-Frame.“

Anatol Stefanowitsch: Spähmetaphorik und ihre Grenzen [re:publica]

Stefanowitsch schlägt daher Begriffe wie „Spähgeschwür“ und „Spitzelparasiten“ vor. Die Verunreinigungsmetapher in Form von Radioaktivität bereitet ihm dann aber selbst in der Umsetzung einige Probleme:

„Allerdings ist Radioaktivität selbst nur schwer fassbar, und Wörter wie Spähradioaktivität oder Spitzelstrahlung klingen deshalb sehr konstruiert und unverständlich.“

Anatol Stefanowitsch: Spähmetaphorik und ihre Grenzen [re:publica]

Als Nachtrag unterbreitet Anatol Stefanowitsch dann auch noch Dierk Haasis’ Vorschlag Raubtiermetaphern zu verwenden.

Einen habe ich noch: Michael Seemann geht diverse Talks durch und warnt vor allem vor unangebrachten Metaphern. Leider begründet er das insgesamt zu wenig, , wenn er etwa sagt, dass es geschmacklos ist, die Totalüberwachung mit der AIDS-Epedemie zu vergleichen. Besonders kann ich folgendes nicht nachvollziehen:

„Ebenso unpassend ist der Vergleich mit der rassistischen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung im Amerika der 60er Jahre, den Felix Schwenzel bemüht.“

mspro: re:publica 2014 – Deutschland sucht das Supernarrativ

Denn Felix Schwenzel hatte die amerikanische Bürgerrechtsbewegung nicht in ihrer moralischen Tragweite oder in der Form der Unterdrückung mit der Totalüberwachung vergleichen, sondern sie ja lediglich als Beispiel für eine erfolgreiche Agenda verwendet, in der eine unbeachtete Bevölkerungsgruppe sich und ihrem Problem erfolgreich Aufmerksamkeit verschafft hat.

Seemann schließt damit, dass er nicht glaubt, dass fehlende Narrative das Problem sind, sondern dass unser Überwachungsbegriff kaputt ist und verweist auf seinen eigenen Beitrag für Deutschlandradio Kultur.

Das Warum und die alten Narrative

So, und was mache ich jetzt mit dieser vorläufigen Chronik? Mir Gedanken! Ich glaube schon, dass die Sache mit den Narrativen Teil des Problems ist. Klar ist Sprache nie die alleinige Lösung, aber ohne Sprache können wir unser Problem einfach nicht artikulieren.

Ich finde in den Vorträgen und Artikeln oben, kommen noch zwei Aspekte zu kurz. Auch wenn sie hier und dort anklingen. Zum einen, und damit hat Karig begonnen, aber wir müssen es weiterführen, müssen wir erklären, warum Überwachung doof ist. Wir versteifen uns fast immer zu sagen, dass es so ist. Aber, ich wiederhole es noch einmal, glaube ich nicht, dass die Mehrheit der Menschen unsere Ansicht teilt. Daher müssen wird erklären, warum es scheiße ist, wenn die Geheimdienste unsere Mails lesen und durch unsere Webcams gucken, auch wenn wir deshalb nicht mit einem Dronestrike zu rechnen haben.

Der zweite und noch wichtigere Punkt ist, dass wir nicht bloß neue Narrative setzen müssen, sondern auch eines brechen müssen. Wir müssen das Narrativ vom Kampf gegen den Terror zermürben. Denn mit dem Buzzword „Terror“ wird seit 2001 jede nationalstaatliche Sauerei gerechtfertigt.

Aus dem Buzzword „Terror“ ist noch nie etwas Gutes entstanden.

Daher müssen wir den Leuten klar machen, dass der Terror nicht unser Problem ist, dass fettiges Essen gefährlicher ist als Bomben und dass Geheimdienste Anschläge wie den in Boston eben trotz dem Backup all unser Passwörter nicht verhindern können. Als unglaublich wertvolles Lehrstück empfehle ich hier übrigens den Roman von Maj Sjöwall, Per Wahlöö: Die Terroristen*, in dem genau dieses Szenario aufgeführt wird: trotz massiver Polizeimaßnahmen kann dort ein Terroranschlag nicht verhindert werden. Warum, sag ich mal nicht, um nicht das Ende zu spoilern. Daher müssen wir den Kampf gegen den Terror beenden und mit dem Kampf für unsere Grundrechte beginnen, indem wir anfangen, die richtigen Geschichten zu erzählen…

 

Ich bin raus!

 

*hinterhältiger Affili-Link

Wie du nicht willst, dass man dich nervt…

mspr0 schrieb im Rahmen der Debatte um den Adblocker am 24.05.2013 dass Werbung sozial sei, weil damit ärmere User von Reicheren, auf die die Werbung abzielt, mitgetragen werden und so ein kostenloses Internet ermöglicht wird. Hingegen hierarchisieren Paywalls Informationen und halten die Armen außen vor. Ich kommentierte dort lapidar:

Wenn ich deinen Ansatz weiterdenke, solltest du dann nicht entweder auf den Adblocker verzichten, um das freie Netz zu unterstützen, das dich quersubventioniert. Oder aber den Reichen ihre Paywalls und Premiumaccounts als eine andere Spielart der Filtersouveränität zugestehen?

Diesen Gedanken möchte ich hier etwas weiter ausführen. Dahinter steht natürlich wieder einmal Kant mit dem kategorischen Imperativ:

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten.

Das Prinzip ist ganz einfach… Du sollst deine eigene Handlungsweise verallgemeinern und schauen, ob sie dann noch funktioniert. Im Falle des Adblockers bedeutet das: wenn alle die Werbung blockieren, lohnt es sich nicht mehr, auf Webseiten Werbung zu schalten und den Webseiten wird nichts anderes übrigbleiben, als andere Finanzierungsmodelle wie etwa Paywalls einzuführen.

Allerdings ist dieser Gedanke etwas zu kurz gefasst. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass der Adblocker seinerseits nicht Ursache, sondern Wirkung war. Mittel meiner Filtersouveränität, wie mspr0 es nennt. Denn zuerst war da nicht der Wille der User, jegliche Werbung auszublenden, sondern zuerst war da Werbung, die sich bewegte und blinkte, um meine Augen vom Text weg hin zur Reklame zu ziehen. Werbung, die Geräusche machte, damit ich die Tabs durchsuchen musste, welcher denn derjenige ist, der da nervt. Und die Höhe der Dreistigkeit: Werbung, die sich über meinen Text schob, mich also aktiv daran hinderte, die Informationen zu erlangen, um derentwegen ich überhaupt auf die Seite kam. Gekrönt manchmal noch dadurch, dass die Ikonographie des Kreuzes, die im Digitalen IMMER „schließen“ bedeutet, zum Öffnen der Seite missbraucht wurde.

Diese Werbeformen sind natürlich ihrerseits dem kategorischen Imperativ unterworfen. Wenn wir diese Methoden zum allgemeinen Gesetz erheben, dann haben wir ein lärmendes, blinkendes Netz, das mich aktiv daran hindert, dass ich es zum Medium für meine Botschaft nutzen kann. Und die Pointe ist: genau das war die Ausgangssituation, in der Adblock Plus 2006 seinen Siegeszug antrat.

Es waren nicht wir User, die bösartig die Webseiten daran hindern wollten, Geld zu verdienen (Eine Legende rund um die Kostenloskultur, die im Zusammenhang mit Leistungsschutz- und Urheberrecht allzu gerne gepflegt wird), es waren die Webseiten, die uns belästigten. Jetzt ist es aber so, dass bei Internetwerbung im Gegensatz zur Werbung in anderen Medien, das Risiko vom Werbenden auf den Werbeplatzanbieter übertragen wurde. Während ich für eine einseitige Anzeige im Spiegel 64.078 Euro zahlen muss, ohne vorher zu wissen, wie viele Leser die Seite überhaupt aufschlagen oder gar am Ende meine Dienstleistung nutzen, muss ich als Werbende auf Webseiten oft nur pro Klick auf die Anzeige zahlen oder gar, wie bei den Amazon-Affili-Links (die ich hier übrigens auch gelegentlich nutze, ihr erkennt das dann am Rollovertext) nur bezahlt werde, wenn es beim Werbenden tatsächlich zu einem Kaufabschluss kam. Die vorherrschende Meinung ist daher, dass Werbung möglichst aufdringlich zu sein habe, damit sie Wirkung erzielt, im schlimmsten Fall sogar so sein müsse, dass die Klicks gar nicht gewollt, sondern gegen den Willen des Users zustande kommen. Werbung, die nicht stört, sei nutzlose Werbung, da sie ja schließlich vom User nicht bemerkt würde. Dazu kann ich nur eines sagen:

Seid ihr wirklich so einfallslos?

In diesem Land fließen jährlich Millionen Euro in Werbung. Werbung, wie wir sie kennen, gibt es seit über 150 Jahren, Internetwerbung seit etwa 20 Jahren. Ihr habt eure eigene Kulturform, euer eigenes Sprachspiel geschaffen und dennoch fällt euch nichts besseres ein, als zu nerven? Belästigung ist für euch die Spitze der Kulturtechnik? Ich bitte euch, liebe Werberinnen und Webseitenbetreiberinnen, das ist nur armselig.

Szenenwechsel

In einem Youtube-Clip sitzt ein Zeichner vor einer Leinwand, man hört Interviewfetzen von Frauen, die erzählen, dass es sich um einen Phantombildzeichner der Polizei handelt. Diese Werbung der Marke Dove kennt mittlerweile fast jeder, sie wurde mir auf sämtlichen sozialen Medien etliche Male in jede Form von Timeline gespült. Bald schon wurde sie variiert, zitiert und parodiert. Kurz: zu einem Mem. Der kurze Clip hat es in den Olymp der Werbespots geschafft, er wurde viral. Warum? Weil er nervte? Gut, er nervte in seiner Omnipräsenz bestimmt den einen oder anderen. Aber er nervte nicht, weil der Werber ihn absichtlich nervig erstellt hat. Im Gegenteil: sehr viele Menschen schauten sich den Spot an, weil sie es wollten. Weil sie ihn gut fanden, teilten sie ihn. Also erzählt mir bitte nicht, dass Werbung aufdringlich sein muss!

 

 

Und bevor ihr jetzt jammert: „Okay, im Video geht das, das ist etwas anderes, aber Bannerwerbung oder gar Textwerbung, die hat doch gar keine Chance so zu wirken!“ Sage ich nur: Deine Mutter liest SpOn ohne Adblocker!

Oh! Was ist das? Ja, in der Tat: ein textbasiertes Mem. Also schiebt bitte nicht eure Ideenlosigkeit auf das Medium. Wer wissen will, wie man kreativ mit Texten und Bildern arbeitet, so dass es ansprechend ist, dem empfehle ich: setzt euch einfach mal eine oder zwei Stunden vor Tumblr. Dort zeigen euch eure Kinder, wie das geht.

Aber bevor ich jetzt gehe und mit dem Rant ende, werde ich den Bogen zurückschlagen und dem kategorischen Imperativ folgend nicht mehr tit for tat geben, sondern im Sinne Herrn Gigerenzers euch ein tit Vorsprung einräumen und Ausnahmen in meinem Adblocker definieren: auf allen Seiten, die ich regelmäßig besuche, werde ich mir wieder Werbung anzeigen lassen. Aber ich warne euch: beim ersten Mal, da ich wieder von euch genervt sein werde…..

 

Seid ihr raus!

Literatur:

Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen