Judith Butler – Das Unbehagen der Geschlechter (Lesekreis mit Christiane 5)

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Daniel
ist ein Mythos
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Christiane
ist unmarkiert weiblich

Konstituierung des weiblichen Subjekts im männlichen System, Naturalisierung des Subjekts, Naturzustand und Gesellschaftsvertrag als Mythos, Signifiant, Signifié, Intension, Extension, Geschlechtsidentität im Blick von Historie und Intersektionalität

Zusammen mit Christiane Attig lese ich „Das Unbehagen der Geschlechter von Judith Butler. Wir wollen uns zusammen den Text erarbeiten. Nach einer Reaktion auf Feedback setzen wir heute den ersten Abschnitt des ersten Kapitels fort. Butler fragt sich, wie Konstituierung des weiblichen Subjekts in einem männlich gepräkten System möglich ist. They legt dar, dass Frau als Subjekt des Feminismus naturalisiert wird, obwohl der Begriff das Ergebnis von Diskursen ist. Butler geht noch weiter und entlarvt „Naturzustand“ und „Gesellschaftsvertrag“ als Mythen. Zwischen Signifiant, Signifié, Intension und Extension geraten wir etwas ins Schwimmen. Bevor Butler klarmacht, dass Geschlechtsidentität immer im Blick von Historie und Intersektionalität geblidet wird und dass das im Widerspruch zum Universalitätsanspruch des des Feminismus steht. They kündigt bereits an, ein poststrukturalistisches, unmarkiertes Weibliches zu suchen oder den Begriff „Frau“ vollständig aufzugeben.

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Judith Butler – Das Unbehagen der Geschlechter *
Lars Distelhorst – Judith Butler *
Riki Wilchins – Gender Theory. Eine Einführung *
Butler über BDS und Antisemitismus

 

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Zerfallen der Gesellschaft und Individualismus

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Daniel
Ich bin kein Individuum

Wie die Schrift die Welt veränderte – Teil 7

Abschließend schauen wir auf unsere heutige Gesellschaft und wie Schriftlichkeit sie beeinflusst. Es geht um das Ausdifferenzieren von Gesellschaften und wie das zu einem Unruhefaktor auf der einen Seite und Hervorbringer des Individualismus auf der anderen Seite wird.

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Vom Mythos zum Logos – Platon und Aristoteles

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Daniel
denkt logisch

Wie die Schrift die Welt veränderte – Teil 6

Heute geht es noch einmal zm Jack Goody und Ian Watts These, dass die Alphabetschrift für den Übergang vom Mythos zum Logos verantwortlich war. Im Detail schauen wir uns Platon und Aristoteles an und wie sich in ihrer Philosophie der Einfluss der Schrift zeigt.

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Alphabetische Kultur und griechisches Denken

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Daniel
denkt mythisch und logisch

Wie die Schrift die Welt veränderte – Teil 5

Heute geht es um das griechische Alphabet, wie es sich ausbreitete und welche Konsequenzen es hatte. Ich stelle Jack Goody und Ian Watts These vor, dass die Alphabetschrift für den Übergang vom Mythos zum Logos verantwortlich war. Mit Wittgensteins Hilfe zeige ich, wie die Idee einer vom Sprechenden losgelösten Bedeutung durch die Schrift entstanden ist.

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Platon – Atlantis

Platon – Der Philosophenkönig – Folge 16

Nach der langen Pause geht es heute nicht um Philosophie, sondern um einen Mythos: Atlantis. Was sagt ihr, wenn ich behaupte, dass es Atlantis nie gegeben hat? Stattdessen hat der Mythos eine Funktion im Rahmen der platonischen Philosophie. Hört selbst!

Schaut auch gerne mal in mein Corona-Tagebuch der schönen Gedanken drüben auf YouTube.

Metaphysik

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Daniel
ist auf der Suche nach Sinn und Letztbegründung

Platon – Der Philosophenkönig – Folge 8

Wir bewegen uns langsam aber sicher auf das Herzstück von Platons Philosophie zu: Die Ideenlehre. Auf dem Weg dahin frage ich mich heute, was Metaphysik ist und was sie soll. Dabei geht es noch einmal um Thales, den Übergang vom Mythos zum Logos, Sinnsuche und Letztbegründung.

Platon – Atlantis

Heute soll es hier mal nicht um Philosophie gehen sondern um einen Mythos. Ab dem nächsten Mal werden wir uns Platons Ethik und seiner politischen Philosophie widmen. Das wird ein neuer großer Themenblock. Doch davor möchte ich noch ein kleines und leichtes Thema hier behandeln: Atlantis. Ihr alle kennt sicher den Mythos von Atlantis, der untergegangenen Zivilisation. Aber wusstet ihr, dass das eine Erfindung von Platon ist? Hier ansehen oder darunter lesen:

Die Quellenlage

Es gibt für die Existenz dieser Insel keine anderen Quellen als zwei Dialoge von Platon: Kritias und Timaios. Beide Dialoge stammen aus Platons Spätwerk. Der Timaios befasst sich hauptsächlich mit Platons Naturphilosophie. Auf der erzählerischen Ebene schließt er an den Dialog „Der Staat“ an. Die gleichen Gesprächspartner kommen am nächsten Tag wieder zusammen. Nachdem Sokrates im Dialog „der Staat“ eben den idealen Staat entworfen hat, möchte er nun prüfen, wie er sich im Kriegsfall bewährt. Allerdings wird dies dann im Timaios zunächst noch zurückgestellt und wie schon erwähnt die Naturphilosophie besprochen. Die Prüfung des idealen Staates wollte Platon stattdessen im Dialog Kritias abhandeln. Dieser Dialog blieb allerdings unvollendet.

Was Platon über Atlantis zu sagen hat

Schauen wir doch einfach mal, was Platon in den beiden Dialogen zu Atlantis zu sagen hat: Er lässt Kritias dort erzählten dass es eine ägyptische Überlieferung gibt, wonach vor damals 9.000 Jahren (also vor mehr als 11.000 Jahren von uns aus betrachtet) sich Athen im Krieg mit Atlantis befand. Als Hintergrund: Das war die Epoche der Jungsteinzeit. Wir wissen heute, dass die Menschen damals erst anfingen, den Ackerbau zu erfinden und so aus nomadischen Jägern und Sammlern die ersten sesshaften Dorfgemeinschaften wurden.

Zurück zu Platon: Die Überlieferung von Atlantis soll Kritias von seinem Großvater erzählt bekommen haben, die der wiederum vom legendären Athener Staatsmann Solon gehört hat, der sie in Ägypten von einem Priester aufgeschnappt hat. Nun, das ist ja nicht unbedingt das, was wir eine sichere Quellenlage nennen würden …

Eine Insel vor den Säulen des Herakles

Atlantis war dem Mythos zufolge eine Insel „vor den Säulen des Herakles“, die aber mittlerweile im Meer versunken ist. Die Säulen des Herakles nennen wir heute den Felsen von Gibraltar und den Berg Dschebel Musa in Marokko – sie fassen die Straße von Gibraltar ein, die Grenze zwischen Mittelmeer und Atlantik. Der Legende nach soll Herakles an ihnen die Inschrift „Nicht mehr weiter“ angebracht haben, um das Ende der Welt zu markieren. Langer Rede kurzer Sinn: Atlantis soll eine Insel im – wait for it – Atlantik gewesen sein! Nein! Doch! Oh!

Kritias erzählt, dass es eine mächtige Seemacht war, die große Teile des Mittelmeers beherrschte, viele Inseln, Westeuropa bis Mittelitalien, das heutige Libyen und Teile Ägyptens sowie des Nahen Ostens. Atlantis habe versucht, auch Griechenland zu erobern, aber den Athenern gelang es, die Großmacht abzuwehren. Ich stelle mir das lustig vor, wie diese große Seefahrernation von einem Haufen Steinzeitmenschen mit Knüppeln und Steinäxten vermöbelt wurde. Anyway … Kurz nach dieser Niederlage sei dann Atlantis binnen nur eines Tages und einer Nacht bei Erdbeben total zerstört worden und im Meer versunken.

Die Insel soll reich gewesen sein und größer als die in der Antike bekannten Teile Nordafrikas und des Nahen Ostens zusammen. Die Insel war fruchtbar und die Atlanten verfügten über eine fortgeschrittene Landwirtschaft. Die Hauptstadt war unglaublich prächtig, supersymmetrisch und wies merkwürdige Ähnlichkeiten mit der griechischen Kultur in Platons Tagen auf. Wie jeder, der in der Antike was auf sich hielt, stammten das Volk von Atlantis natürlich von einem Gott ab, nämlich von Poseidon, dessen Halbgottsohn Atlas der Herrscher in Atlantis war.

Die Niederlage gegen Athen und die anschließende Vernichtung von Atlantis sei eine Strafe der Götter gewesen, da die Atlanten zum einen ihr göttliches Blut mehr und mehr mit dem widerlichen Blut von Menschen vermischt hatten – Also mit Menschen in die Kiste gesprungen sind. Ekelhaft! Zum anderen wollten die Götter auch die Hybris der Atlantisbewohner bestrafen.

Hat es Atlantis wirklich gegeben?

Das ist es im großen und ganzen, was Platon uns von Atlantis berichtet. Was können wir als Philosophen damit anfangen? Und vor allem: Hat es Atlantis tatsächlich gegeben? Nun, Platon lässt Kritias mehrfach betonen, dass es sich um eine wahre Überlieferung handelt. Aber warum ist dann Platon unsere einzige Quelle für dieses sagenumwobene Land? Dieser glorreiche Sieg der Athener über Atlantis wäre doch sicher in Mythen und Legenden überliefert worden genau wie der Sieg über Troja. Platon behauptet, dass verschiedene Naturkatastrophen in Griechenland dazu geführt haben, dass sämtliche Aufzeichnungen vernichtet wurden. Klingt jetzt nicht sooo überzeugend.

Aber der wichtigste Grund, der gegen die Existenz von Atlantis spricht, ist ein anderer. Erinnert euch mal daran, was ich euch in beim Symposion über die Funktion des Mythos bei Platon erzählt habe: Platon erzählt immer wieder Mythen in seinen Dialogen und zwar oft dann, wenn er einen vertrackten Punkt in seiner Argumentation erreicht und von uns Lesern etwas Wohlwollen haben möchte. Nicht ohne Grund lässt er die Geschichte von Kritias vortragen, der sie von seinem Opa hat, der sie von einem Kumpel hat, der sie von einem ägyptischen Priester hat, der sie aus alten Texten übersetzt hat. Das heißt im Rahmen der Platonischen Dialoge nichts anderes als: Nehmt das, was ich euch gleich erzähle, nicht für bare Münze, es ist nur eine Beispielgeschichte. Mit dem Mythos vom Kugelmenschen und dem Höhlengleichnis haben wir auch bereits zwei weitere solche Beispielmythen kennengelernt. Glaubt ihr wirklich, dass Platon der Überzeugung war, dass wir einst Kugelmenschen waren und alle in eine Höhle sitzen? Das sind Allegorien. So wie etwa Matrix eine Allegorie ist und wir nicht buchstäblich Batterien für Maschinen sind … Was BTW überhaupt keinen Sinn macht, da man viel mehr Energie in menschliche Körper stecken muss, als man herausholen kann! Aber ich schweife ab …

Die Frage ist, welche Funktion hatte der Mythos? Dadurch, dass der Dialog Kritias unvollendet blieb, ist das natürlich nicht abschließend zu beantworten. Aber im Großen und ganzen geht es eben um ein Bild für den perfekten Staat und seine Probleme. So wie die Welt der Erscheinungen nur ein fehlerhaftes Abbild der perfekten Urbilder im Reich der Ideen ist, so sind die Staaten zu Platons Tagen nur fehlerhafte Abbilder des perfekten Urstaats Atlantis. Die Frage, die sich direkt hieran anschließt, lautet: Was macht denn diesen perfekten Staat aus? Und darum werden wir uns ab dem nächsten Mal kümmern, denn es ist nach der Ideenlehre der am meisten diskutierte Punkt in Platons Philosophie.

 

Die Quellen sind die gleichen wie bei den letzten 14 Texten zu Platon. 😉

Platon – Das Symposion

Neben dem Höhlengleichnis ist die Platonische Liebe wahrscheinlich das, woran nicht nur in der Friendzone gefangene Teenager denken, wenn sie den Namen Platon hören. Der Volksmund versteht unter der platonischen Liebe eine nicht-körperliche Liebe, ein Liebe ohne sexuelle Begierde. Und insgesamt trifft das den Nagel schon ziemlich auf den Kopf, Platon war eben ein verklemmter Spießer. Aber ich finde, die platonische Liebe eignet sich sehr gut, um mal in den Text schauen und zu prüfen, was Platon da eigentlich genau über die Liebe geschrieben hat. Und ob Liebe überhaupt etwas ist, das sich philosophisch untersuchen lässt.

Dafür zieht Sokrates sogar Sandalen an

Der  platonische Dialog, der sich der Liebe widmet, ist „Das Symposion“ oder auch „Das Gastmal“. Springen wir am besten gleich rein:

Die Geschichte fängt nach einigen Vorbemerkungen zur Überlieferung damit an, dass ein gewisser Aristodemos Sokrates begegnet und Sokrates hat nicht bloß gebadet! Nein: Obendrein trägt er sogar Schuhe! Sandalen! Krasser Scheiß! Da fragt sich Aristodemos zu recht, warum Sokrates so crazy Shit macht. Die alte Sandale ist unterwegs zu einem gewissen Agathon, denn der schmeißt eine Party – das namensgebende Gastmahl –, weil er so eine Art Tragödien-Rap-Battle gewonnen hat. Sokrates fordert Aristodemos kurzer Hand auf, mitzukommen, doch letztlich trifft Aristodemos ohne Sokrates beim Symposion ein, weil der alte Freak schon wieder gedankenverloren einfach mitten auf der Straße stehengeblieben ist, um irgendein philosophisches Problem zu wälzen.

Sokrates kommt dann erst an, als das Gastmahl schon vorbei und die ganze Gesellschaft zum Saufen übergegangen ist. Allerdings sind alle noch verkatert, weil sie wohl beim Battle am Vortag kräftig einen gezwitschert haben und nun in ihrer – Zitat: – „Leistungsfähigkeit“ was das Saufen anbelangt „vermindert“ sind.

Aber da das mit dem Battle am Vortag so einen Spaß gemacht hat, schlägt einer der Gäste vor, das im Privaten zu wiederholen und so sollen verschiedene Kontrahenten Lobreden auf den Eros halten, am Ende soll dann entschieden werden, wer der beste Eros-Rapper war und damit gewonnen hat. Ich habe ja schon einen winzigen Verdacht, wer gewinnen da wird. Ihr auch?

Ein Rap-Battle zur Begriffsbestimmung

Nun gut: Dieser ganze Überbau dient aber eigentlich nur dem eigentlichen philosophischen Zweck des Dialogs. Platon nutzt in der Folge die verschiedenen Lobreden zu einer Begriffsbestimmung. Platon versucht eine Definition für Liebe zu finden. Dabei bedient er sich zweier Kunstgriffe: Zum einen die Form der Lobrede, diese ist nicht so streng, wie das sonst übliche Fragen-Antwort-Spielchen in den Dialogen, sondern erlaubt mehr künstlerische Freiheit. Zum anderen hängt Platon diese Untersuchung an die Göttergestalt des Eros. Damit stellt er sich in die animistische Tradition des Mythos. Er spricht also nicht über den abstrakten Begriff „Liebe“ sondern über eine Person. Mythen sind ein Stilmittel, auf das Platon immer wieder in seinen Dialogen zurückgreift. Oft geschieht dies, wenn das, was er besprechen will, heikel ist und sich mit logischen Mitteln nicht so gut bestimmen lässt. Und was könnte heikler sein als die Liebe?

Dennoch will ich mal alles mythische abstreifen und gucken, was darunter liegt. Denn, wie gesagt, im Grunde geht es Platon um etwas sehr philosophisches. Wir haben einen normalsprachlichen, impliziten Begriff davon, was Liebe ist. In unserem täglichen Leben verwenden wir das Wort ohne Mühen. Aber wenn wir gezwungen werden, eine Definition von Liebe zu geben, dann stammeln wir nur rum wie Herbert Grönemeyer mit Flugzeugen im Bauch. Schauen wir doch mal, ob Platon sich da geschickter anstellt.

Zuvor muss ich an dieser Stelle mal ein paar Worte zur griechischen Päderatie verlieren: Besonders unter den griechischen aristokratischen Männern war es üblich, neben einer Ehefrau auch einen jugendlichen schwulen Geliebten zu haben. Die Jungs waren dabei in der Regel zwischen 12 und 18 Jahren. Der ältere Mann umwarb den jüngeren mit Geschenken und Geld und wenn es dann zur Beziehung kam, ging es nicht nur in die Kiste. Stattdessen sollte der Ältere den Jüngling auch Bildung zukommen lassen. Beim Sex sollte der Ältere übrigens darauf achten, den Jüngeren nicht zu erniedrigen. Homosexualität mit einem pädophilen Einschlag war im antiken Griechenland also normal.

Eine Macho-Theorie der Liebe

Doch zurück zum Symposium: Es beginnt Phaidros mit seiner Lobpreisung des Gottes Eros. Dabei schreibt er der Liebe folgende Eigenschaften zu: Liebe bringt das Beste in den Liebenden hervor. Liebe bewirkt das Streben nach dem Schönen. Schön muss aber nicht unbedingt als körperlich schön verstanden werden. Zum Beispiel ist Liebe auch Antrieb zu großen und edlen Taten. Bis hierhin entspricht das schon weitgehend unseren heutigen Vorstellungen von romantischer Liebe.

Doch dann entwirft Phaidros eine Macho-Theorie, wonach die aktive Liebe, das Begehren, die männliche Seite der Liebe ist, während das passive Element der Liebe, das Begehrenswerte oder das Geliebtwerden weiblich ist. Das ist schwach, weil er hier gesellschaftliche Konventionen, also etwas rein äußerliches, auf das Wesen der Liebe überträgt. Ich wurde schon von einer Frau verführt, war der Passive während sie aktiv war und ich behaupte mal ganz dreist, dass das keine Ausnahme war sondern durchaus öfter passiert und somit zur Liebe gehört. Und die Liebe auf den ersten Blick, in der beide sich einig ineinander verlieben, ohne dass es einen aktiven und einen passiven Part gibt, habe ich dabei noch gar nicht erwähnt. Phaidros jedenfalls schließt mit den Worten, dass der männliche und der weibliche Aspekt der Liebe zusammen eine Einheit bilden.

Man muss sich schon bemühen, schön zu lieben

Als nächstes spricht dann der Sophist Pausanias, mal gucken, ob der seinen Vorredner im Battle besiegen kann. Nachdem Phaidros zwischen dem männlichen und dem weiblichen Aspekt der Liebe unterschieden hat, unterscheidet Pausanias zwischen den himmlischen und dem vulgären Aspekten. Wir würden heute wohl eher zwischen emotionaler und sexueller Liebe unterscheiden.

Außerdem widerspricht Pausanias Phaidros darin, dass die Liebe das Beste im Menschen hervorbringt. Es verhalte sich mit der Liebe, wie mit allem anderen: Sie könne schön oder hässlich sein. Man muss sich schon bemühen, schön zu lieben. Diesen letzten Punkt finde ich eigentlich einen schönen Gedanken. Ich kann mich in jemanden verlieben und diese Person dann bedrängen und belästigen aber genauso kann Liebe das Beste in mir hervorbringen und dadurch ganz wundervolle Handlungen. Pausanias schließt damit, dass die vulgäre Liebe die Liebe zu einer Frau ist während die himmlische Liebe die homosexuelle Liebe zu einem Mann ist, da Männer Frauen von Natur aus ™ intellektuell überlegen seien. Diese Theorie sollte man heute mal jemandem aus dem homophonen AfD-Umfeld erzählen!

Gegensätze ziehen sich an

Als nächstes spricht dann der Arzt Eryximachos. Doch was der sagt ist nicht so spannend. Er kombiniert nur Pausanias These von den zwei Aspekten des Eros mit der Naturphilosophie von Heraklit, bei der alles aus Gegensätzen besteht. Dabei wird die Liebe zur Triebfeder der Veränderung, kann aber, je nachdem, welcher Aspekt dominiert, der vulgäre oder der himmlische, zum Guten oder zum Schlechten verändern. Das ist mal wieder eine metaphysische Unterstellung. Liebe wird hier einfach zur Triebfeder gemacht, ohne das hinreichend zu begründen. Ein weiteres Mal könnte ich entgegnen: Ich glaube aber, dass Brokkoli die Triebfeder für Veränderung ist! Interessant ist allerdings, dass Eryximachos die Liebe als Verlangen charakterisiert. Denn hier schließt der nächste Redner an.

Die Kugelmenschen

Aristophanes, der berühmte Komödienschreiber, ist als nächstes an der Reihe und er widmet sich der Frage, wonach es der Liebe denn verlangt. Doch Platon lässt ihn nicht zu Wort kommen, ohne zuvor noch einen kleinen Diss gegen Aristophanes in den Dialog hineinzuschreiben. Zur Erinnerung: Der Dichter hatte Sokrates im wahren Leben übel mitgespielt. Seine Komödie „Die Wolken“ hatte viele der späteren Anklagepunkte gegen Platons Lehrer vorweggenommen. In Platons Dialog wäre Aristophanes eigentlich schon vor Eryximachos mit dem Reden drangewesen, da er sich aber verschluckt hatte, meinte der Arzt, er solle mal besser das Maul halten … Das war eindeutig zweideutig!

Allerdings legt Platon nach diesem Seitenhieb dann Aristophanes eines der berühmtesten Stücke des Symposions in den Mund: Den Mythos vom Kugelmenschen.

Diesem Mythos zufolge gab es ursprünglich drei Geschlechter: Frauen, Männer und Androgyne – die Kugelmenschen. Sie hatten vier Arme, vier Beine und zwei Gesichter. Die Androgynen waren sehr mächtig und versuchten, die Götter vom Olymp zu stürzen. Zur Strafe und um sie zu schwächen zerteilte sie Zeus, sodass auch aus ihnen Männer und Frauen wurden. Diese Teile suchen nun Zeit ihres Lebens nach ihrem Gegenstück um sich mit diesem wieder zu vereinigen. In diesem Gleichnis Platons steckt vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte die wirkungsvolle Idee von Seelenverwandtschaft, die noch heute unsere Vorstellungen von wahrer Liebe prägt.

Der Mythos respektiert zudem als erste Rede im Symposion die heterosexuelle Liebe und gibt der Frau eine gleichgestellte Position.  Aber Aristophanes würdigt auch die Homosexualität: Schwule Männer sind demnach die ursprünglichen Männer, die nie Kugelmenschen waren und lesbische Frauen sind die ursprünglichen Frauen. Man könnte natürlich kritisieren, dass Aristophanes nun seinerseits Heterosexuelle hervorhebt, da er sie als die einzigen mit Seelenverwandten darstellt und als das ursprünglich besonders mächtige Geschlecht. Aber insgesamt ist dieser Teil erstaunlich modern und ausgewogen.

Platon war nie verliebt

Als nächstes spricht der Tragödiendichter Agathon und charakterisiert Liebe als eine Sache der Jugend. Liebe ist frei von Gewalt, aber erfüllt von Besonnenheit, denn die Liebe herrscht über alle Gefühle. Wenn Platon wirklich glaubt, dass Liebe besonnen macht, dann war er wohl nie verliebt.

Anyway, Agathon fährt fort: Die Liebe ist stärker als der Krieg. Außerdem macht Liebe weise, weil sie die Menschen zu Dichtern macht. Allerdings bricht Platon die letzte Behauptung von Agathon dadurch ironisch, dass Agathon im Anschluss daran in poetische Redeform übergeht. Diese Poesie trägt aber nichts zur Begriffsbestimmung beiträgt. Mit anderen Worten: Poesie hat nichts mit Weisheit zu tun.

Dann kommt endlich Sokrates an die Reihe. Aber was der zu sagen hat – nämlich die eigentliche Definition der platonischen Liebe –, das erzähle ich euch beim nächsten Mal.

Literatur

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Metaphysik

Wir haben dir drei Gleichnisse von der Sonne, der Linie und der Höhle hinter uns gelassen und schreiten unaufhaltsam auf die platonische Ideenlehre zu. Heute mit der Frage, was Metaphysik ist und warum wir sie brauchen. Wie immer könnt ihr euch das Video anschauen oder einfach das Transkript darunter lesen:

Beim Liniengleichnis hatte ich den Begriff der Metaphysik bereits erläutert. Aber mit Erläuterungen in der Philosophie ist das so wie mit Folgen auf Netflix: Ist eine vorbei, startet gleich die nächste. Deshalb möchte ich mich heute noch einmal ganz intensiv mit der Frage auseinandersetzen, was Metaphysik ist und warum wir sie brauchen.

Metaphysik ist sinnlos

Platon ist der erste Philosoph, von dem uns ein komplexes metaphysisches Gebäude überliefert wurde. Aber er sollte bei weitem nicht der letzte sein! Theorien darüber anzustellen, wie die Welt jenseits unserer Wahrnehmung aussieht, ist ein beliebter philosophischer Sport, der noch heute betrieben wird, obwohl Ludwig Wittgenstein bereits 1921 in seiner Metaphysik, dem Tractatus logico-philosophicus, klargemacht hat, dass jede Form von Metaphysik sinnlos ist. Wittgenstein schreibt dort*:

„6.53 Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen läßt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat –, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, daß er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, daß wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige.“

Nun, bei Wittgenstein sind wir aber noch nicht in dieser Reihe. Wir sind noch bei Platon. Platons metaphysisches System wurde in den drei Gleichnissen, die ich euch in den letzten Folgen vorstellte, angerissen und wir nennen es „Die Ideenlehre“.

Ein Verlust an Sinn

Zum Beispiel war die Grundaussage des Höhlengleichnisses, dass der Mensch zum metaphysichen Denken gelangen soll. Das Gleichnis versucht zu begründen, dass Metaphysik notwendig ist, dass wir uns von den Fesseln unserer physischen Welt losreißen und aus der Höhle in die Welt der Ideen hinaufsteigen sollen.

An dieser Stelle muss ich noch einen Schritt weiter zurückgehen. Zum allerersten Teil dieser Reihe: Wir hatten bei Thales gesehen, dass dieser den Übergang vom mythologischen Denken zum logisch-wissenschaftlichen eingeleitet hatte. Thales hatte erklärt, dass die Welt aus Wasser entstanden ist. Damit hatte er Gott durch ein abstraktes Prinzip ersetzt. Er hatte genau das gemacht, was Wittgenstein fordert: metaphysische Sätze durch wissenschaftliche ersetzen.

Diesen Übergang vom Mythos zum Logos hatte ich, wie die gesamte westliche Tradition als enormen Fortschritt abgefeiert. Aber mit diesem Übergang tritt auch ein Verlust ein: Wir haben uns von übersinnlichen Vorstellungen verabschiedet.

Gott hat ja nicht bloß die Aufgabe, die Welt zu erschaffen und kann dann chillen wie Harry Potter, wenn er am Ende eines Abenteuers mal wieder Voldi abgewehrt hat. Gott oder andere übersinnliche Vorstellungen bringen Sinn in unser Leben. Wenn wir sie also aufgeben, dann geht damit ein emotionaler Verlust einher.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist schlichtweg einfacher zu beantworten, wenn man zum Beispiel sagen kann: Der Sinn des Lebens ist das, was Gott uns sagt. Wenn ich nur noch logisch-wissenschaftliches Denken habe, dann gibt es nichts und niemanden, das mir sagen kann, was der Sinn des Lebens ist. Das ist zum Beispiel der Grund, warum für manche Menschen der Islamismus oder auch das radikale Christentum so verlockend sind: Er und es bieten ihnen die absolute Gewissheit, das Richtige zu tun. Wenn du so sehr davon überzeugt bist, dass Gott dir durch ein Buch und seine Prediger sagt, was du tun sollst, dann bist du von jedem Zweifel entbunden. Das ist ein sehr beruhigender Gedanke.

Der Übergang vom Mythos zum Logos ist auch ein logischer Verlust

Aber neben diesem Verlust ans Sinn ist mit dem Übergang vom Mythos zum Logos auch ein logischer Verlust verbunden. Und ich weiß, dass dieser Satz so absurd und widersprüchlich klingt, dass ihn Donald Trump wahrscheinlich in seine nächste Wahlkampfrede einbauen wird.

Aber dennoch ist er wahr. Denn wir verlieren die sogenannte Letztbegründung, also den Punkt, an dem ich nicht mehr weiter „warum?“ fragen kann. Ich hatte bei Thales die These einfach hingenommen, dass die Welt aus Wasser entstanden ist. Dabei stellt sich doch sofort die Frage: Warum ist sie aus Wasser entstanden? Was veranlasste das Wasser dazu sich zu einer Welt zu formen? Im Mythos stellt sich diese Frage nicht: Warum hat Gott die Welt erschaffen? Na weil er gütig und allmächtig ist. Genauso wenig die Frage: Wer hat Gott erschaffen? Alter, der Typ ist allmächtig, da kannst du dir aussuchen, ob er schon immer da war, oder sich selbst aus Nichts erschaffen hat!

Metaphysik versucht nun, sowohl den Sinn-Verlust als auch den Verlust der Letztbegründung auszugleichen, indem sie ein begründetes Gedankengebäude errichtet, das an die Stelle von einfachen Glaubenssätzen tritt. Denn darin besteht weiterhin der ganz große Unterschied: Während die Religion ein Dogma ist und einfach an Gott glaubt, versuchen wir Philosophen, alles zu beweisen, was nicht nit- und nagelfest ist. Das machen wir selbst dann, wenn es nicht sinnlich erfahrbar ist, weil es hinter der Physik liegt, also metaphysisch ist.

Platons Versuch, eine solches begründetes metaphysisches System zu entwerfen, besteht in seiner berühmten Ideenlehre. Allerdings – soviel spoilere ich schon mal – teile ich die Meinung vieler Platonkritiker, dass der Platonismus in diesem Versuch gescheitert ist.

Doch da sind wir noch lange nicht. Beim nächsten Mal begeben wir uns erst einmal auf die Suche nach gesichertem Wissen.

Literatur

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Sokrates – Der Gamechanger – Teil 3: Die Sokratische Wende

Heute bringe ich meine Sokrates-Serie zu einem Abschluss. Nachdem ich im ersten Teil von Sokrates‘ Leben erzählte und im zweiten Teil von seinen Einflüssen und Schülern sprach, stürze ich mich diesmal voll in seine Philosophie. Wir klären noch einmal, was die Sokratische Wende ist, rücken die Mäeutik zurecht und fragen, was Sokrates in der Ethik gelehrt hat. Abschließend stelle ich noch 10 Thesen vor, worin die sokratische Philosophie bestand. Das ganze gibt es, wie immer als Video oder darunter zum nachlesen. Außerdem findet ihr wieder Literaturtipps und die Bilderquellen zum Video auf dieser Seite.

Die Sokratische Wende

Beginnen muss ich mit einem Geständnis. Ich habe euch in den letzten beiden Teilen dieser Reihe ein bisschen aufs Glatteis geführt und zwar mit voller Absicht. Und wisst ihr was, es tut mir noch nicht einmal leid! Stattdessen habe ich einen Metawitz eingebaut und selbst ein bisschen den Sokrates gespielt. Denn wenn ihr einen platonischen Dialog lest, dann werdet ihr feststellen, dass es darin fast immer eine Stufe gibt, in der die Gesprächspartner glauben, zu einem Ergebnis gekommen zu sein und dann lässt Sokrates das Kartenhaus zusammenbrechen. Und genau das habe ich mit euch gemacht. Aber nur ein bisschen … Ich erklär’s euch und hoffe ihr könnt mir verzeihen.

Und zwar geht es um das, was ich die Sokratische Wende genannt habe, oder was auch manchmal die anthropologische Wende genannt wird. Ihr erinnert euch? Cicero, der alte Sack:

„Sokrates hat als erster die Philosophie vom Himmel heruntergerufen, sie in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser hineingeführt und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Schlechten zu forschen.“

Und dann habe ich euch erzählt, dass Sokrates sich nicht für Erkenntnistheorie interessierte, so wie die Naturphilosophen, sondern bloß für Ethik. Und jetzt die kleine Gemeinheit, die ich eingebaut habe: Nämlich einen Widerspruch. Auf der einen Seite habe ich euch erzählt, Sokrates habe sich nicht für Erkenntnistheorie interessiert, aber auf der anderen Seite habe ich euch die ganze Zeit mit erkenntnistheoretischen Konzepte und Methoden von Sokrates gefüttert …

Seht ihr es jetzt? „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“, das Verhältnis von Sprache und Welt, die Frage nach dem Allgemeinen, also die „Was ist …?“-Frage, Definition, Induktion und Mäeutik. Das sind alles erkenntnistheoretische Themen, die ich euch untergejubelt habe. Also hat sich Sokrates doch für die Erkenntnistheorie interessiert? Zumindest indirekt. In der Apologie, also seiner Verteidigungsrede, sagt er an einer Stelle, dass er bei seinen Untersuchungen eigentlich immer nur die Sache selbst prüfen wollte, dass es sich dabei aber ergab dass auch sein Gesprächspartner und er selbst geprüft wurden. Die Sache selbst, das sind ethische Probleme, mit denen er sich herumgeschlagen hat. Aber die Methoden, die er dabei anwendete das waren erkenntnistheoretische und so prüfte er automatische seine eigene Erkenntnis und die seines Gesprächspartners mit.

Die sokratische Wende besteht gar nicht darin, dass Sokrates sich nicht mehr für die Frage „Was ist Wahrheit?“ interessierte. Ganz im Gegenteil: Auf gewisse Art und Weise war er mehr daran interessiert, als jeder seiner Vorgänger. Aber er hat sich einer anderen Teilfrage zugewendet. Statt wie die naturphilosophischen Vorsokratiker zu fragen: Was ist die Welt? Fragte Sokrates: Was kann ich von der Welt erkennen?

So, jetzt ist es raus. Ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen, dass ich euch an der Nase herumgeführt habe. Jetzt habe ich euch die Wahrheit erzählt, versprochen! Zumindest, bis ich sie das nächste Mal sokratisch zusammenbrechen lasse.

Die Mäeutik

Kehren wir doch, weil es in der Erkenntnistheorie gerade so kuschelig ist, noch einmal zur Mäeutik zurück. Die hatte ich jetzt zweimal angerissen, als wäre sie das Normalste von der Welt. Aber ist die Vorstellung nicht strange, wenn man sie genau betrachtet? Dass wir das Wissen schon in uns tragen und man es im Gespräch zur Welt bringen kann? Wo soll das Wissen herkommen? War das schon immer in uns drin? Oder ist es etwas, das wir mal wussten und wieder vergessen haben?

So esoterisch sich diese Mäeutik auch anhören mag: Wir haben ein ganz ähnliches Konzept. Wir unterscheiden zwischen impliziten und expliziten Wissen. So bilde ich mir ein, dass ich grob weiß, wann ich im Satz ein Komma zu setzen habe. Aber ich kenne nicht alle drölfzigmillionen Kommaregeln der deutschen Schriftsprache. Dennoch könnte man sie mir vielleicht klarmachen, wenn man mich mit der Nase darauf stößt, wann ich wo ein Komma setze. Ein anderes Beispiel sind Fußballspieler und Fußballtrainer. Lionel Messi kann sicher besser Fußball spielen, als jeder seiner Trainer. Aber er verfügt über dieses Wissen nur implizit. Das heißt, er kann nicht unbedingt erklären, warum er wann was auf dem Feld macht. Aber ein guter Trainer kann eben genau das – er verfügt eben über explizites Wissen. Und mit entsprechender Mäeutik, oder eben schlicht mit Training, kann er Messi so helfen, das Wissen zu gebären.

Allerdings weist der Philosoph Bertrand Russell zurecht darauf hin, dass diese Methode ihre Grenzen hat: Sokrates wäre es bestimmt nicht gelungen, einem Arzt der Antike das Wissen zu entlocken, dass es Bakterien gibt, die die Ursache für Krankheiten sind. Für diese Erkenntnis musste zunächst das Mikroskop erfunden werden. Wir scheinen es hier mit einer anderen Art von Wissen zu tun zu haben. Mit Wissen, das wir nur erlangen können wenn wir unsere Hypothesen mit der Welt vergleichen. Und Russell geht noch weiter: Er meint, dass vielleicht genau das der Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft ist. Dass die Philosophie Fragen beantwortet, die sich mit Mäeutik beantworten lassen und dass die Wissenschaft sich mit den anderen Fragen beschäftigt …

Mit anderen Worten: Philosophen sind Fußballtrainer.

Sokrates‘ Lehren zur Ethik

Anyway … Ich hatte jetzt schon zigfach erwähnt, dass Sokrates eigentlich nur Bock auf Ethik hatte, habe aber zugleich bisher fast nur von Erkenntnis gesprochen. Was hat denn Sokrates nun zur Ethik gesagt? Sokrates hat sich anscheinend Zeit seines Lebens mit der Frage herumgeschlagen, was Tugend ist.

Tu-was? Wenn ich mal einen Blick in mein kleines Philosophie-Lexikon werfe, dann stehen da zu Tugend, beziehungsweise zu Arete, dem entsprechenden griechischen Wort so Dinge wie Tüchtigkeit, Vortrefflichkeit, die Tauglichkeit der Seele, innerer Wert, Ehre. Sokrates wollte wissen, was einen Menschen ausmacht, den wir tugendhaft nennen. Er glaubte, dass die Werte Gerechtigkeit, Tapferkeit, Frömmigkeit, Besonnenheit und Weisheit Teile der Tugend sind. Dass also ein Mensch alle diese Werte besitzen muss um tugendhaft zu sein. Daran schloss sich dann für ihn die Frage an, ob alle diese Werte den gleichen Anteil an der Tugend haben oder ob es vielleicht einen Wert gibt, der wichtiger ist als die anderen. Zum Beispiel bist du sicher nicht tugendhaft, wenn du zwar tapfer aber nicht gerecht bist. Aber bist du auch nicht tugendhaft, wenn gerecht aber nicht tapfer bist? Und was, wenn du gerecht und tapfer aber nicht weise bist?

Sokrates‘ Antwort lautete ganz klar, dass die Weisheit der wichtigste Wert der Tugend ist. Er hielt die verschiedenen Werte für Formen von Wissen: Wenn ich erkannt habe, was tapfer oder gerecht ist, dann bin ich auch tapfer oder gerecht. So wie der Handwerker sein Handwerk verstehen muss, so muss die Gerechte eben die Gerechtigkeit verstehen.

Klingt ziemlich einleuchtend, oder? Ist aber nicht unproblematisch … Denn das impliziert zum Beispiel, dass ungebildete Menschen per se weniger tugendhaft sind als gebildete, denn sie haben ja weniger Wissen. Aber wenn ich zum Beispiel an meine Oma denke, so war sie sicher nicht der gebildetste Mensch der Welt, aber sie hatte das Herz am rechten Fleck, wie man so schön sagt. Hingegen haben die Zocker in den Investmentbanken oft Abschlüsse an Eliteunis erworben, aber anscheinend kein Problem damit, andere auszubeuten … Ist es nicht so, dass ich wissen kann, was gut und richtig ist, ohne auch danach zu handeln? Sokrates glaubte das nicht, er würde immer sagen, dass zum Beispiel die Investmentbanker zwar gut im Investmentbanking ausgebildet sind, aber nicht nicht gut im Wissen um Gerechtigkeit. Das mag zwar sein, ändert aber nichts daran, dass wir im Gegensatz zu Sokrates in der Regel zwischen Wissen und Handeln unterscheiden. Ich weiß genau, dass Tiere sterben mussten, damit ich mein Steak essen kann. Ich weiß auch, dass diese Tiere Angst und Schmerz fühlen konnten. Dennoch esse ich das Fleisch.

Ihr seht, wie kompliziert diese Ethik ist, entsprechend ist es vielleicht nicht die schlechteste Idee, manchmal eine Debatte mit der unterschätzten aber sehr wissenschaftlichen Antwort abzubrechen: Ich weiß es nicht. Auch das lehrt uns ja Sokrates. Es wäre jetzt sehr sokratisch diese Folge einfach abzubrechen, aber stattdessen möchte ich euch lieber als Round-Up zu Sokrates noch zehn Thesen vortragen, worin seine Philosophie bestand. Diese Thesen habe ich bei Wolfgang Pleger gefunden und anhand dieser Thesen möchte ich überprüfen, ob ich in meinen drei Folgen über den Philosophen auch nichts vergessen habe:

1. Sokrates kritisierte den Mythos

Das hatte ich kurz im ersten Teil angerissen. Sokrates hatte eine klassische Ausbildung genossen und sich unter anderem mit Homer auseinandergesetzt. Und die Griechen lasen die Mythen nicht zuletzt deshalb, um sich an den dort aufgeschriebenen moralische Normen zu orientieren. Die strikten Regeln, die „von den Göttern vorgeschrieben“ wurden, wollte Sokrates aber nicht als gegeben hinnehmen, wie wir ja auch an der Anekdote zum Orakel von Delphi sahen. Stattdessen wollte er jede althergebrachte Regel logisch prüfen.

2. Sokrates wendete sich von der Naturphilosophie ab

Die meisten der ganz großen Vorsokratiker wie Thales, Pythagoras, Heraklit oder Parmenides beschäftigten sich mit der Frage: „Was ist die Welt?“ Wie ich das letzte mal erzählt habe, interessierte sich Sokrates, als er noch jung war, für die Philosophie von Anaxagoras. Kam dann aber zu der Erkenntnis, dass die Naturphilosophie ein unlösbares Rätsel ist und wandte sich lieber anderen Fragen zu. Und diese anderen Fragen sind der dritte Aspekt seiner Philosophie:

3. Die anthropologische Wende, oder wie ich es zuvor schon nannte: Die Sokratische Wende

Pleger betont, dass eigentlich die Sophisten diese Wende schon eingeleitet haben, da sie die ersten waren, die sich mit Fragen der Ethik beschäftigten stattt herauszufinden, was die Welt im Innersten zusammenhält. Aber Sokrates hat diese Wende fortsetzt und noch einmal auf ein ganz anderes Niveau gehoben: Er fragte nach den „menschlichen Dingen“, allem voran danach, was die „gut verfasste Seele“ ausmacht, also was den Menschen gut macht. Das ging einher mit der Frage, was wir erkennen können. Dabei legte er den Fokus auf die Beschränktheit unseres Wissens: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

4. Kritik an der Politik

Sokrates kritisierte Gesetze und politische Praktiken, wenn sie nur aus Tradition existierten und gegen die Logik verstießen. Er hatte dafür genau die gleiche Motivation wie für seine Kritik am Mythos: Er wollte stets, dass logische Gründe zu einer Entscheidung führen und nicht irgendwelche Mehrheits- oder Machtverhältnisse.

5. Pädagogik

Wie ich auch schon wiederholt erwähnt habe, war Sokrates Lehrer. Er versuchte seine jugendlichen Schüler zu besseren Menschen zu machen. Und für diesen Zweck machte er mit ihnen genau das, womit ich diesen Artikel einleitete: Er erschütterte ihre Gewissheiten. Im Dialog machte er ihnen klar, dass das, von dem sie bisher glaubte, es sei wahr, in Wirklichkeit zumindest problematisch ist. Dann hielt er sie dazu an, sich in Selbsterkenntnis zu üben und für ihre Handlungen aber auch für ihre Überzeugungen Rechenschaft abzulegen.

6. Politisches Interesse

Bei aller Kritik an der Politik, hielt Sokrates sie und den Staat auch für wichtig und fragte, was einen guten Politiker ausmacht. Was einen guten Staat ausmacht und was ein gerechter Staat ist. Sokrates war entsprechend seiner Überzeugung, dass politische Entscheidungen logisch gerechtfertigt sein müssten, ein Gegner davon, Menschen in Ämter zu wählen. Sattdessen war er davon überzeugt, dass der am besten Geeignete, das jeweilige Amt innehaben sollte.

7. Die Frage nach der Sache selbst

Das hatten wir in der letzten Folge: Sokrates wollte immer erforschen, was das Wesen der Dinge ist. Das kommt in der „Was ist …?“-Frage zum Ausdruck. Er bediente sich für diese Frage der Logik.

8. Ethisches Wissen

Das hatte ich eben gerade auch schon angesprochen: Tugend war für Sokrates das Wissen um das was gut (also gerecht, tapfer und so weiter) ist, daraus folgte für ihn direkt die gute Tat. Er glaubte, dass niemand wissentlich Böses tut, sondern dass Menschen, die böse handeln, dies tun, weil sie es nicht besser wissen.

9. Die Dialektik

Das könnt ihr mittlerweile wahrscheinlich gar nicht mehr hören: Der Dialog war für Sokrates der Ort, an dem Philosophie stattfindet. Im Dialog werden philosophische Erkenntnisse errungen. Dabei wird die Sache selbst geprüft, aber auch die Gesprächspartner werden geprüft.

Und schließlich:

10. Das philosophische Leben

Philosophie war für Sokrates eine Lebensweise: Die ständige Suche nach Wahrheit und die Prüfung von allem und jedem an der Wahrheit. Dabei gab er sich aber zugleich nicht der falschen Gewissheit hin, selbst zu wissen, was Wahrheit ist.

Das waren die zehn zentralen Punkte der sokratischen Philosophie. Puh, schwirrt euch jetzt auch der Kopf? Natürlich musste ich alles ganz schön verkürzen. Wenn ihr mehr wissen wollt, findet ihr unten Literaturtipps. Außerdem ist der Wikipedia-Artikel zu Sokrates überdurchschnittlich gut. Fragen könnt ihr natürlich auch in den Kommentaren stellen oder die Kommentare nutzen, um mich zu beschimpfen, weil ich das alles nicht verstanden und total falsch dargestellt habe. Ich freue mich über jedes Feedback.

Wenn euch das hier gefallen hat, dann erzählt euren Freundinnen davon. Als nächstes werde ich mich mit Platon auseinandersetzen und würde mich freuen, wenn ihr mir schreibt, was euch an dessen Philosophie besonders interessieren würde. Enden möchte ich mit einem Sokrates-Zitat aus seiner Verteidigungsrede, in dem es noch einmal um die philosophische Lebensweise geht. Ich sage schon einmal tschüss, vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt und hoffe, ihr schaut mal wieder rein.

Zitat aus der Apologie des Sokrates

Vielleicht aber wird einer sagen: „Also still und ruhig, Sokrates, wirst du nicht imstande sein, nach deiner Verweisung zu leben?“ Das ist nun wohl am allerschwersten manchem von euch begreiflich zu machen. Denn wenn ich sage, das hieße, dem Gotte ungehorsam sein, und deshalb wäre es mir unmöglich, mich ruhig zu verhalten, so werdet ihr mir nicht glauben, als meinte ich etwas anderes, als ich sage. Und wenn ich wiederum sage, dass ja eben dies das größte Gut für den Menschen ist, täglich über die Tugend sich zu unterhalten und über die andern Gegenstände, über welche ihr mich reden und mich selbst und andere prüfen hört, ein Leben ohne Selbsterforschung aber gar nicht verdient, gelebt zu werden, das werdet ihr mir noch weniger glauben, wenn ich es sage. Aber gewiss verhält sich dies so, wie ich es vortrage, ihr Männer; nur euch davon zu überzeugen ist nicht leicht.

Literatur

Als Literaturtipps wiederhole ich alles noch einmal, was ich auch in den letzten beiden Teilen empfohlen habe:

Als einzige neue Quelle habe ich anzubieten:

Bilderquellen

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