Ich prangere den gesellschaftlich akzeptierten Rassismus gegenüber Tauben in diesem Land an.
— Privatsprache (@Privatsprache) April 9, 2013
Im Internet prangert man gerne an. Aber noch lieber wird der Pranger als Totschlagsargument benutzt. Im digitalen Raum, wo wir alle anonym sind, ist es ein Sakrileg uns jenseits unserer selbstgewählten Pseudonyme zu benennen. Uns hinter unseren Avataren hervorzuziehen und ins grelle unbarmherzige Licht der Online-Öffentlichkeit zu stellen, das ist eine Sünde, das ist unzivilisiert.
Allein die Frage ist: ist auch alles Pranger, was Pranger genannt wird?
Die Wikipedia nennt in ihrer Definition des Prangers vier, mir wichtig erscheinende Kriterien:
- Der Pranger ist ein Strafwerkzeug
- Der Pranger dient der öffentlichen Vorführung
- der Angeprangerte ist an den Pranger angekettet
- Der Pranger ist eine „Ehrenstrafe“, die angeprangerte Person wird also als ehrlos dargestellt, sie soll sich schämen
Soweit die Wikipedia. Ich möchte dem mit Blick auf die zeitgenössische Verwendung hinzufügen:
5. Es ist für das Anprangern wesentlich, dass eine Person oder ein Sachverhalt in den öffentlichen Raum gezerrt wird, der zuvor nicht dort war.
Mit dem Internet haben wir einen riesigen ‚Athener Marktplatz‘ geschaffen, auf dem jeder reden kann. Menschen, die dort sprechen, können für diese Rede, die sie freiwillig in den öffentlichen Raum stellen, nicht angeprangert werden.
Sie können freilich in anderen Aspekten ihrer Persönlichkeit oder mit nicht-öffentlichen Aussagen und/oder Handlungen angeprangert werden. Außerdem können andere Formen der Bezugnahme auf ihre Aussagen stattfinden: Empörung, Verurteilung etc. Aber eben nicht das Anprangern, den dem ist wesentlich, dass etwas aus dem Privaten oder Geheimen herausgeholt wird.
Einen Paradefall eines solchen Online-Prangers berichtet Udo Vetter in „Blackbox Urheberrecht“ (Ja, ich höre nicht auf mit der schamlosen Eigenwerbung.) Indem er darüber schreibt, dass eine Abmahnkanzlei die Klarnamen und Adressen von Filesharern, die Pornos geteilt hatten, veröffentlichen wollte. Erst ein Gericht stoppte das Vorhaben der Kanzlei, um die Persönlichkeitsrechte der Sharer zu schützen.
Auf diesen Fall treffen alle fünf oben genannten Aspekte zu:
1. Die Kanzlei wollte die Sharer mit dem Online-Pranger bestrafen.
2. Die Sharer sollten öffentlich dargestellt werden.
3. Metaphorisch wären sie angekettet gewesen, da der Pranger auf einer Webseite stattgefunden hätte, die sie selbst nicht hätten editieren können.
4. Gerade weil es sich gezielt um Pornoliebhaber handelte, war dies ganz klar eine Ehrstrafe
5. Und es sollten Daten über die Filesharer veröffentlicht werden, die die Kanzlei erst von den Providern der Angeprangerten in Erfahrung bringen musste. Fraglos also Daten, die zuvor nicht im öffentlichen Raum standen.
Lasst uns mal wieder etwas abschweifen…
Ihr fragt euch vielleicht, worauf ich hinaus will. Aber sicher ahnen es viele von euch schon: das sogenannte #om13gate. Die Piratenpartei hat eine jährlich Konferenz: die Open Mind. Auf dieser hielt dieses Jahr Jasna Lisha Strick alias @Faserpiratin einen Vortrag über Hatespeech gegenüber FeministInnen.
Um diesen Vortrag brach sodann eine Kontroverse aus, in der Strick von Seiten ihrer Gegner immer wieder vorgeworfen bekam, sie hätte die pöbelnden AntifeministInnen an den Online-Pranger gestellt. Das ganz kulminierte darin, dass eine vermeintliche 19jährige namens @ochdomino (Account mitlerweile gelöscht; 28.11.13) sich von den AnhängerInnen der FeministInnen so sehr angegriffen fühlte, dass die vermeintliche „Sie“ ihren Blog löschte und ihren angeblichen Vater ein Statement schreiben ließ, worin er sich empörte, dass @ochdomino von den gemeinen FeministInnen fertiggemacht worden sei.
Mittlerweile hat der Blogger, Autor und Kolumnist Malte Welding die Behauptung in den Raum gestellt, besagte @ochdomino und alles drumherum seien der Fake einer PR-Agentur. Welding hat dafür keine Beweise vorgelegt, aber er tauchte auf meinem Radar in der Vergangenheit stets als glaubwürdig auf, zumal er sich gelegentlich selbst moderat feminismuskritisch gezeigt hat.
Interessant wie hervorsehbar ist, dass die Geschichte vom Augenblick der Enthüllung des Fakes dahingehend umgedeutet wurde, dass es von nun an gar nicht mehr wichtig sei, ob @ochdomino echt gewesen ist, denn schließlich habe es ja die Angriffe und vor allem den Pranger der Feministinnen gegeben. Anlass genug für mich den langen Bogen zurückzuschlagen…
Treffen die fünf Kriterien für einen Online-Pranger auf den Vortrag von Jasna Lisha Strick zu?
1. Es handelte sich um einen Vortrag auf einer recht kleinen Konferenz. Die Vorträge sind auf YouTube zu finden und haben allesamt Abrufzahlen im zweistelligen oder dreistelligen Bereich. Und sogar der Vortrag von Strick kommt zum jetzigen Zeitpunkt nicht über 2500 Klicks hinaus. Das Thema des Vortrags war, empirische Beweise für derartige Hatespeech zu zeigen. Man kann dem Vortrag vorwerfen, dass er inhaltlich recht schwach ist, da er über eine reine Phänomenbestimmung anhand von etlichen Stichproben nicht hinauskommt. Ich hätte mir weniger Fallbesispiele und mehr Analyse gewünscht, aber das alles ist doch von einer Bestrafung wirklich sehr weit entfernt.
2. Der Vortrag wurde auf einer öffentlichen Konferenz gehalten und ist auf YouTube abrufbar. Die Anfeindungen von Stricks Gegnern werden, wie in 1. bereits erwähnt ausführlich präsentiert. Entsprechend ist das Kriterium der Öffentlichkeit gegeben.
3. Die vermeintlich angeprangerten hatten keine Möglichkeit, nicht in dem Vortrag zu erscheinen, außerdem fehlt ihnen die Möglichkeit, sich aus diesem wieder herauszunehmen. Metaphorisch gesprochen sind sie an diesen gekettet.
4. Von einer „Ehrenstrafe“ könnte hingegen nur dann die Rede sein, wenn den präsentierten AntifeministInnen ihre Aussagen peinlich wären, wenn sie sich ihrer schämen würden. Aus den Statements, die ich so gelesen habe, konnte ich das nicht entnehmen.
5. Aber, und das ist der wichtigste Punkt: Alle Beispiele stammten aus dem öffentlichen Raum: von Twitter, aus Blogs und Kommentarspalten. Von einem Pranger kann aber schlichtweg nicht die Rede sein, wenn nur etwas wiederöffentlicht wird, das der Angeprangerte selbst in die Öffentlichkeit gestellt hat.
Formen der Referenz
Ein Pranger ist eine Form der Referenz: er nimmt auf eine Sache Bezug, die der Öffentlichkeit bislang unbekannt war und referenziert diese gegen des Willen des Urhebers.
Wir haben im Falle des #om13gate aber mit einer ganz anderen Form der Referenz zu tun als mit einem Pranger: mit einem Zitat. Strick referenziert auf öffentliche Aussagen unter Angabe der Quelle. Das ist nichts Ehrenrühriges, das ist im Gegenteil einzig korrekte Weg zu zitieren.
Und hier muss ich noch einmal ganz schamlos Werbung machen und Jürgen Schönstein zitieren:
Wenn ich als Wissenschaftler die Ideen anderer in meinen Arbeiten verwende, dann bediene ich mich an deren geistigem Eigentum. Wenn ich die Zeilen aus einem Heinrich-Heine-Gedicht rezitiere, dann leihe ich mir dessen geistiges Eigentum. Wenn ich ein Creative-Commons-Foto, das ich auf Flickr gefunden habe, in mein Blog stelle, dann nehme ich mir ein Stück fremden geistigen Eigentums. Und bezahle dafür mit dem Hinweis, wessen Forschungsbericht, wessen Gedicht, wessen fotografisches Werk ich hier verwende. Und umgekehrt verpflichte ich mich, dieses Eigentum dahingehend zu respektieren, dass ich es schonend und korrekt behandle: dass ich die Fakten und Erkenntnisse des Wissenschaftlers nicht verfälsche (und beispielsweise behaupte, Darwin habe die Existenz eines intelligenten Designers postuliert) oder ein Heine-Gedicht nicht für antisemitische Propaganda verwende und das Foto nicht in einem verfälschenden und verzerrenden Zusammenhang verwende.
Jürgen Schönstein: Geistiges, Eigentümliches … und Walderdbeeren. In: Daniel Brockmeier (Hrsg.):Blackbox Urheberrecht. Frankfurt 2013.
Die wirklich spannende Frage ist also, hat Jasna Lisha Strick korrekt zitiert? Und dagegen habe ich erstaunlicherweise keine Einwände gehört oder gelesen. Allenortes war nur die Empörung groß, dass sie Pseudonyme und Avatare nicht geschwärzt habe, aber nirgendwo habe ich gelesen, dass sie die Hater falsch zitiert habe. Das aber heißt, dass die Zitierten wohl durchaus zu ihren menschenverachtenden Aussagen stehen.
Das war es von mir zum Online-Pranger. Schalten Sie auch beim nächsten Mal wieder ein, wenn ich jenseits der Aufregung mal logisch an die Sachen rangehe… 😉
Ich bin raus!