Aristoteles – Das Problem von Zukunftsaussagen

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Daniel
ist notwendig willensfrei

Aristoteles – Der Logiker – Folge 8

Diesmal müssen wir uns zwischen Wahrheit und Willensfreiheit entscheiden. Oder nicht? Vielleicht findet Aristoteles einen Ausweg. Ich erzähle euch vom Problem der Zukunftsaussagen oder auch vom Problem der zukünftigen Seeschlacht. Wie immer wahlweise als Video, Podcast oder Text.

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Das Problem der zukünftigen Seeschlacht

Wir pirschen uns weiter an die Logik von Aristoteles heran und wir machen das mit dem Problem der Zukunftsaussage, auch berühmt geworden als das Problem der zukünftigen Seeschlacht. Diesem Problem habe ich mich übrigens schon einmal gewidmet in „Die Philosophie von Steven Bannon„. Da Bannon, das Mastermind der Neuen Rechten in den USA aber kurz vor Veröffentlichung des Videos von Trump gefeuert wurde, ist es nicht unbedingt einer meiner größten Hits geworden. Daher bietet sich an, das Problem der Zukunftsaussagen noch einmal anzugehen.

Denkt noch einmal zurück an die letzte Folge: Kontradiktionen schließen einander aus. Entweder findet Indiana Jones den heiligen Gral oder nicht, aber nichts anderes. Das war der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Aber wie sieht es aus, wenn die Sätze sich nicht auf die Gegenwart beziehen, sondern auf die Zukunft? Zwei kontradiktorische Zukunftsaussagen teilen die Wahrheitswerte ebenfalls untereinander auf. Eine ist wahr, die andere falsch. Aber es steht doch noch nicht fest, welche wahr und welche falsch ist. Oder?

Berühmt wurde, wie gesagt, Aristoteles‘ Beispiel für diese Frage – das Problem der zukünftigen Seeschlacht. Wenn ich sage: „Morgen wird es eine Seeschlacht geben.“, dann ist die Kontradiktion: „Morgen wird es keine Seeschlacht geben“. Gemäß dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten muss einer der beiden Sätze wahr und der andere falsch sein. Aber ist er das schon heute? Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten gibt uns eigentlich keine Alternative, oder? Wenn das aber stimmt, dann handeln wir uns einen harten Determinismus ein.

Determinismus, Kausalkette und freier Wille

Okay hier müssen wir eine kleine Abschweifung machen: Was ist denn eigentlich dieser Determinismus? Wieviele Kameras hat er und? Und hat er auch 5G? Mein kleines philosophisches Wörterbuch* sagt dazu:

„Determinismus (ist) in den Naturwissenschaften die Voraussetzung eines durchgängigen Kausalzusammenhangs aller Vorgänge in der Welt, auch der seelischen Erlebnisse und Willenshandlungen. In der Ethik die Annahme einer Bestimmung des Willens durch innere oder äußere Ursachen, die die Freiheit des Willens ausschließt.“

Wir leben in einer kausalen Welt. Für jede Wirkung gibt es eine Ursache. Aber gilt das auch für den menschlichen Willen? Denn, wenn es so ist, dann liegt darin ein Problem: Wenn es keinen freien Willen gibt, dann ist vollkommen egal, wie ich handle. Ich habe ja keine Wahl. Die Ethik als Disziplin ist dann so egal wie Matt Damon. Denn, wie ich handeln SOLL, wird zur sinnlosen Frage, wenn sowieso schon feststeht, wie ich handeln werde. Auch Gerichtsprozesse und Gefängnisstrafen werden fragwürdig: Der oder die Straftäter*in konnte ja nicht anders handeln. Und die Richter*innen können nicht ein Urteil allein auf Basis der Fakten fällen.

Bevor ihr jetzt sagt: Fuck it, ich schmeiß alles hin und werde olympischer Curling-Spieler! Determinismus wird schon fast so lange in der Philosophie diskutiert wie Aristoteles‘ Bartpflege-Mittel und es gibt viele verschiedene Ansätze, um nicht zu verzweifeln. Wie das so meine Art ist, stelle ich das hier wieder stark verkürzt dar, um erst einmal aufzuzeigen, wo das Problem liegt.

Mit Blick auf Aristoteles‘ Problem der zukünftigen Seeschlacht hieße Determinismus jedenfalls: Es stünde heute schon fest, ob morgen eine Seeschlacht stattfindet. Was soll daran jetzt problematisch sein? Das Problem liegt darin, dass die Logik immer und absolut gilt. Und das heißt, ich könnte auch sagen: In 1.000 Jahren gibt es noch Smoothies. Und wenn in 1.000 Jahren sich herausstellt, dass ich recht hatte, dann stand das schon seit meiner Aussage fest.

Das widerspricht doch komplett unseren Intuitionen, wie es sich wirklich verhält. Es würde überhaupt keinen Sinn machen, dass wir uns bemühen, die Klimakatastrophe zu verhindern. Denn es steht ja schon fest, ob diese stattfinden wird oder nicht. Wir können alle nur noch auf dem Sofa abhängen und Netflix gucken, denn wir tragen keine Verantwortung dafür, wie unser Leben sich entwickeln wird. Beziehungsweise, wir können nicht chillen, sondern müssen weiter täglich ins Büro dackeln, denn das war uns vorherbestimmt.

Wahrheit oder Willensfreiheit?

Okay, wie kommen wir da raus, ohne den Satz vom ausgeschlossenen Dritten aufzuweichen? Denn, dass wir den auf alle Fälle beibehalten wollen, sagte ich ja schon beim letzten Mal (als ich übrigens einen Fehler machte und euch in der Formalisierung den Satz vom Widerspruch – zu dem es bereits eine eigene Folge gibt – als Satz vom ausgeschlossenen Dritten verkaufte. Danke für den Hinweis, FGrimm). Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist eines unser logischen Fundamente. Er ist die Basis für unser Konzept von Wahrheit. Er muss wahr sein!

Die Frage ist also: Wie kommen wir da raus? Wäre ein Ausweg, zu sagen, dass Zukunftsaussagen keinen Wahrheitswert haben? „Morgen wird es eine Seeschlacht geben“ ist also weder wahr noch falsch. Genauso wenig wie die Frage „Wird es morgen eine Seeschlacht geben?“ oder der Befehl „Morgen soll es eine Seeschlacht geben!“ wahr oder falsch sind. Aber auch das ist irgendwie unbefriedigend, deckt sich nicht mit unserem Sprachgebrauch. Denn, wenn am nächsten Tag die Seeschlacht stattfindet, dann kannst du ja sagen: „Siehste, ich hatte recht!“ Wenn ich dann antworte: „Nein hattest du nicht, denn Zukunftsaussagen sind weder wahr noch falsch!“, dann würdest du mich zurecht genauso angucken, wie wenn ich dir sage, dass ich Geld für ein NFT rausgeworfen habe.

Dass Zukunftsaussagen keinen Wahrheitswert haben, kann es ja auch nicht sein, oder? Das widerspricht doch komplett unserem normalen Sprachgebrauch! Wir stehen also vor der Wahl, ob die Welt determiniert ist oder ob die Logik nicht immer und überall gilt. Das ist nichts, wozwischen man sich entscheiden möchte. Das ist, als müsste man sich zwischen Haggis und ahle Worscht als Mittagessen entscheiden! Liebe Kandidatin, Ihre Eine-Millionen-Euro-Frage lautet: Was gibt es nicht? Und die Antworten sind nach Einsatz des 50-50-Jokers: Wahrheit oder Willensfreiheit?

Komplett verzweifelt rufen wir unseren Telefon-Joker Aristoteles an und der sagt… Moment, Herr Jauch, sie haben  die Notwendigkeit vergessen!

Notwendigkeit, Kontingenz und Unmöglichkeit

Aristoteles führt nämlich zur Lösung dieses Problems den Begriff der Notwendigkeit ein. Etwas, das notwendig wahr ist, kann nicht falsch sein. Das ebenso berühmte wie ermüdende Beispiel, dass alle im Studium lernen, ist: Junggesellen sind unverheiratete Männer. Dieser Satz kann nicht falsch sein. Er ist eine notwendige Wahrheit. Sie ergibt sich rein aus der Wortbedeutung. Notwendig wahre Sätze sind dies aufgrund der inneren Struktur unserer Sprache. Aufgrund der Art und Weise wie wir Sprache verwenden. Es gibt keinen Anwendungsfall, in dem ein Junggeselle auf einen nicht unverheirateten Mann angewandt wird. Weitere Beispiele wären: Wenn ein lehnenloser Stuhl an einer Theke steht, dann ist es ein Barhocker. Homer Simpson ist eine gelbe Comic-Figur mit Überbiss und Glatze, die „Doh“ ruft oder Russell Crowe ist so interessant wie eine Pastinake.

Eine Zukunftsaussage hingegen kann wahr sein, sie muss es aber nicht notwendig sein. Wenn wir morgen feststellen, dass es eine Seeschlacht gibt, dann war meine Äußerung von gestern wahr. Aber kontingent wahr. Auch hier greife ich wieder zu meinem kleinen grünen Büchlein*:

„Allgemein versteht man unter einem kontingenten Sachverhalt einen solchen, der weder notwendigerweise besteht (wie der, dass alle Junggesellen unverheiratet sind [Philosoph*innen sind echt nicht kreativ, wenn es um Beispiele geht, db]), noch notwendigerweise nicht besteht (wie der das 2 + 2 =  5 ist), dessen Bestehen also in diesem Sinne vom Zufall abhängt.“

So können wir, wenn wir Aristoteles hier folgen, die Logik behalten, ohne gleich annehmen zu müssen, dass alles vorherbestimmt ist. Und ich muss sagen, das ist auch nach 2.300 Jahren noch eine extrem elegante Lösung auf dieses Problem. Aristoteles hat das gemacht, was Wittgenstein „die Probleme zum verschwinden bringen“ nennt. Er hat die Eine-Millionen-Euro-Frage nicht beantwortet, er hat dargelegt, dass sie falsch gestellt war.

Sprache und Welt

Gut, Aristoteles hat allerdings auch ein Problem zum Verschwinden gebracht, dass er selbst geschaffen hat, weil er nicht konsequent zwischen Sprache und Welt unterscheidet. Denn ich kann auch den Publikums-Joker „Linguistic Turn“ ziehen und feststellen: Welchen Wahrheitswert meine Aussage „Morgen wird es eine Seeschlacht geben“ hat, hat gar keine Auswirkung auf die Struktur der Welt. Die Unterscheidung zwischen kontingenten und notwendigen Wahrheiten zeigt einen Unterschied in der Struktur unserer Sprache auf, aber nicht in der Struktur der Welt. Die Welt besteht aus einer Kausalkette oder nicht ganz unabhängig davon, ob unsere logischen Folgerungen wahr sind. Es wird auch dann noch unverheiratete Männer geben, wenn der Sprachwandel uns das Wort „Junggeselle“ hat vergessen lassen, genau wie wir immer die Tatsache vergessen, dass Hogwarts in den schottischen Highlands liegt. Aber dennoch jeder und jede Schüler*in von den britischen Inseln erstmal nach London muss, um dann mit einem Zug wieder nach Hogwarts zu fahren.  Anyway … Aristoteles unterscheidet nicht konsequent zwischen Sprache und Welt und dadurch entstehen manche seiner Probleme erst. Wir übersehen das nur allzu gern, da auch wir die Welt immer durch die Brille der Sprache betrachten und ihr so die Struktur der Sprache überstülpen: Aber logische Folgerungen sind keine kausalen Folgerungen.

Das gesagt, bleibt die Unterscheidung zwischen Kontingenz und Notwendigkeit eine extrem elegante Lösung, ein Geniestreich, auch wenn es „nur“ eine Unterscheidung in der Struktur der Sprache ist. Und um die zu vollenden, komplettiere ich sie noch mit dem Begriff der Unmöglichkeit, der oben in meiner Philosophie-Lexikon-Definition schon anklang. Denn Sätze können notwendig wahr sein. Wie zum Beispiel, dass man mit einem Schraubendreher Schrauben drehen kann. Sie können kontigent wahr sein. Wie zum Beispiel, dass Zoe Kravitz und Robert Pattinson das bisher hottest Pärchen auf der Leinwand in 2022 sind und dass drei Stunden Laufzeit dennoch eine demotivierende Ansage für den neuen Batman sind oder sie können unmöglich wahr sein. Wie zum Beispiel, dass NFTs eine gute Idee sind. Okay, den Witz könnten manche falsch verstehen. Unmöglich wahr ist aber, dass 10+10=21 ist. Und NFTs sind trotzdem nur Teil des Krypto-Schneeballsystems. Lasst die Finger davon!

So, das soll es für heute gewesen sein. Ich wünschte, ich könnte euch schon versprechen, dass beim nächsten Mal endlich der klassische Syllogismus drankommt, dem ihr bestimmt alle schon so heftig entgegenfiebert wie dem Ende der Pandemie. Aber … es ist kompliziert. Mal sehen …

 

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