Aristoteles – Semantik & De Interpretatione

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Daniel
denkt über Bedeutungen nach

Aristoteles – Der Logiker – Folge 6

Heute gehe ich von den Kategorien zu De Interpretatione über – der Lehre vom Satz. Zunächst frage ich mich zusammen mit Aristoteles dabei die Kernfrage der Semantik: Wie kommt Bedeutung zustande. Im Anschluss löse ich mit Ari noch mehrere sehr spannende semantische Rätsel oder verzweifle an ihnen.

Was ist Artikulation?

Was war Semantik noch gleich?  Semantik ist die Theorie über die Bedeutung sprachlicher Zeichen. Die Frage, was Bedeutung überhaupt ist und wie sie zustande kommt. Und diese Frage beantwortet Aristoteles in De Interpretatione. Kleine Einschub am Rande: Ich springe heute immer wieder zwischen De Interpretatione und den Kategorie hin und her und mache das nicht immer explizit. Aber da beide Bücher zusammen nur auf ca. 70 Seiten kommen, snackt einfach beide an einem verregneten Sonntag weg.

Ari sagt jedenfalls, dass Wörter aufgrund von Konventionen ihre Bedeutung erhalten und Bedeutung nicht natürlich entstehe, wie Platon das noch glaubte. Erneute, schamlose Werbung: Schaut/Hört noch einmal meine Folge zu Platons Sprachphilosophie! Aristoteles Argument jedenfalls dafür, dass Bedeutung konventionell ist, lautet: Auch Tiere können artikulierte Laute von sich geben, diese haben aber keine Bedeutung. An dieser Stelle muss ich bereits ein erstes Mal widersprechen als wäre ich ein Faktenchecker, der über jeden zweiten Satz von Armin Laschet verzweifelt. Denn Hadumod Bußmann definiert in ihrem Lexikon der Sprachwissenschaft Artikulation als:

„Zur Bildung von Sprachlauten intentional gesteuerte und koordinierte Bewegung der Sprechwerkzeuge Atemapparat, Kehlkopf, Nasenhöhle und Mundhöhle.“

Tiere sind in der Lage, Töne in Lautstärke und Tonhöhe zu modulieren und zu takten. Aber sie sind gerade nicht der Artikulation fähig, denn die ist der Prozess der Sprachlautbildung. Jemand die oder der in der Lage ist, Knöpfe auf einem Controller zu drücken, ist ja deshalb auch noch nicht in der Lage, Minecraft zu spielen. Es muss hinzukommen, diese Knöpfe auf ganz bestimmte Art und Weise zum Zwecke des Minecraftspielens zu drücken.

Meine Freundin kritisierte, dass meine Definition von Artikulation zu eng gefasst sei. In einem Lexikon der Sprachwissenschaft sei natürlich eine sehr spezifische Auffassung von Artikulation zu finden. Okay. Point taken. Die Wikipedia unterscheidet drei Unterbedeutungen von Artikulation: die Sprachwissenschaftliche (die der von mir wiedergegebenen weitgehend entspricht), die Zahnmedizinische (die ich mal weglassen, denn wer hat schon Bock, sich mit Zahnärztinnen auseinanderzusetzen? Und die musikalische. Schauen wir uns die musikalische Definition mal an:

Unter Artikulation in der Musik wird erstens die Art verstanden, wie ein einzelner Ton stimmlich oder instrumental erzeugt oder gebildet wird; zweitens wie aufeinander folgende Töne miteinander verbunden werden.  … Die zahlreichen Arten, Töne zu verbinden sind ein Gestaltungsmittel zur Charakterisierung der Melodiebewegung.

Auch hier steckt wieder der Aspekt der  Zweckbindung drin. Der Ton wird auf besondere Art angeschlagen, um ihn genauso klingen zu lassen, wie man möchte und Töne werden kombiniert, um meine Melodiebewegung zu charakterisieren

Entsprechend weise ich den Einspruch ab, Frau Anwältin der normalen Sprache!

Das Frege-Prinzip der Bedeutung

Aber schauen wir mal weiter, was Aristoteles schreibt. Ari macht klar, dass Worte immer nur als Ganzes eine bestimmte Bedeutung haben. Wenn wir uns etwa „Hundekuchen“ ansehen, dann hat das Gesamtwort eine andere Bedeutung als es die beiden Teile „Hunde“ und „Kuchen“ haben. Denn beim „Erdbeerkuchen“ sind Erdbeeren im Kuchen, aber beim Hundekuchen keine Hunde.

Was Aristoteles hier beschreibt, ist ein erster Ansatz dessen, was später das Frege-Prinzip der Bedeutung oder auch das Kompositionsprinzip genannt werden wird. Der Name Frege-Prinzip kommt daher, dass der analytische Philosoph und Logiker, dessen Eltern ihn leider besoffen taufen ließen, Gottlob Frege dieses Prinzip ausformuliert hat. Demnach ergibt sich die Bedeutung eines Wortes erst aus dem Kontext der höheren semantischen Einheit. Bei Aristoteles‘ Beispiel ergibt sich die Bedeutung „Für Hunde gemacht“ aus dem Kompositum Hundekuchen. Man könnte aber sogar noch einen Schritt weiter gehen. Denn wenn aus dem Satz oder einem noch größeren semantischen Kontext klar würde, dass wir uns in Ostasien befinden. Dann könnte die Bedeutung von „Hundekuchen“ sich erneut für uns wandeln. Aber da mir Kuchen mit Hunden, Kühen oder Schweinen drin als Vegetarier zu unappetitlich sind, schaue ich doch lieber mal, was Ari sonst noch so schreibt.

Bedeutung als Eindruck der Seele

Nach Aristoteles sind die Äußerungen der Stimme Symbole für Eindrücke der Seele. Das Geschriebene wiederum ist ein Symbol für das Gesprochene. Das sind zwei Sätze, die die Sprachphilosophie noch Jahrtausende lang ganz kirre machen werden! Was die Eindrücke der Seele sind und ob sie wirklich der Grund für sprachliche Bedeutung sind, ist ein wesentliches Beschäftigungsfeld dieser philosophischen Disziplin. Nicht weniger spannend für Sprachphilosophie und Linguistik ist die Frage, in welchem Verhältnis gesprochene Sprache und Schrift stehen. Spoiler: So einfach, wie Aristoteles sich das vorstellt, ist es nicht. Denn es gibt zum Beispiel logographische Sprachen, die ohne den Umweg über die gesprochene Sprache direkt Bedeutungen abbilden.

Zumindest trägt Aristoteles der Tatsache Rechnung, dass es verschiedene Sprachen und Schriftsysteme gibt, indem er schreibt: Während Schriften und Sprachen sich unterscheiden können, sind die Seeleneindrücke bei allen Menschen gleich. Die Dinge, von denen sie Eindrücke sind, sind ebenfalls gleich. Puh, das ist ein Satz, der mit über 2300 Jahren Abstand ohne Schnaps nur schwer ernstzunehmen ist… Ari sagt, dass die seelischen Eindrücke den Dingen ähnlich sind. Das scheint ein Konzept von inneren Bildern zu sein, Auch wenn Nelson Goodman wegen dieser Ähnlichkeit und Gilbert Ryle wegen der Metapher vom Bild im Kopf gerade in ihren Gräbern rotieren. Was Aristoteles hier macht, ist eine klassische metaphysische Unterstellungen. Ari nimmt diese Seeleneindrücke einfach an und spekuliert wild über sie, aber wirklich begründen tut er das nicht.

Wir müssen uns nur eine Frage stellen, um das ganze so leicht zu Fall zu bringen, als wäre es ein Todesstern des Imperiums: Was ist mit Worten, die nichts Wahrnehmbares bezeichnen? Welchen Seeleneindruck haben die? Wie sieht der Seeleneindruck von „Demokratie“, von „Philosophie“ oder von „Liebe“ aus? Obendrein trampelt Ari einmal über die Qualia-Debatte, als wäre diese Rebel-Scum und der Philosoph ein AT-AT. Woher will er wissen, dass mein Seeleneindruck und deiner gleich sind?

Hier landen wir am Grunde wieder bei Wittgensteins Privatsprachen-Argument. Schaut/Hört euch am besten noch einmal meine Folge dazu an. Aber in Kürze so viel: Wittgenstein entwirft das Bild vom Käfer in der Schachtel. Stell dir vor, deine Seeleneindrücke sind ein Käfer in einer Schachtel. Wesentlich für diesen Käfer ist, dass jede*r nur in ihre*seine Schachtel gucken kann und nur von iher*seiner Schachtel weiß, was ein Käfer ist. Wittgenstein plädiert nun dafür, diesen vertrackten Knoten so zu lösen, dass wir den Käfer einfach aus der Gleichung streichen und andere Erklärungen dafür finden, wie Bedeutung zustande kommt. Denn egal, wie dein oder mein Käfer aussehen. Fakt ist: das Wort „Käfer“ hat eine Bedeutung in unserer Sprache. Aber es sollte noch über 2000 Jahre dauern, bevor Wittgenstein überhaupt geboren wurde, daher kehren wir in die Antike zurück, als wären wir mit Bill und Ted in einer Telefonzelle unterwegs.

Etwas über etwas aussagen und in etwas sein

Aristoteles fährt in der Kategorienschrift mit einer ganzen Reihe Nebenüberlegungen fort. Mir gelingt es nicht, die in eine stringente Erzählung zu packen, aber sie sind auch zu spannend, um sie hier einfach wegzulassen. Daher zähle ich ein paar von ihnen einfach mal auf:

Die nächste wichtige semantische Unterscheidung, die Ari trifft, ist, das es Dinge gibt, die man über ein Subjekt aussagen kann und solche, die sich in dem Subjekt befinden. Ich kann über Frodo sagen, dass er ein Hobbit ist, aber der Hobbit ist nicht in Frodo drin. Mut oder ein gutes Herz wiederum sind in Frodo.

Ari macht das nicht explizit, aber wenn ich mein Beispiel betrachte, dann fällt auf, dass „Hobbit“ eine Substanz ist. Während „Mut“ und „ein gutes Herz“ Qualitäten sind. Die Frage, die sich mir stellt: Sind generell nur Qualitäten in einem Menschen? Beziehungsweise können sie in etwas sein? Denn nicht jede Qualität ist in etwas. Wenn ich rot bin, dann ist die Röte ja nicht in mir, oder? Andererseits ist es ja eine Metapher, dass der Mut in mir ist. Denn zeigen wird sich der Mut erst in meinen Taten. Hmm …

Meine Haus- und Hof-Psychologin hat an dieser Stelle interveniert und sich dagegen ausgesprochen, das In-Mir-Drin-Sein als bloße Metapher abzutun. Denn Mut ist zwar nicht als irgendein Ding in mir drin, aber er ist eine Charaktereigenschaft. Als solche ist der Mut ein relativ stabiles Merkmal, dass sich über einen langen Zeitraum des Lebens in meinen Handlungen zeigen wird. Es ist Teil meiner Persönlichkeit, macht mich aus und ist auch in meinem Gehirn verankert.

Ari will aber auf einen anderen Punkt hinaus. Er betont gerade, dass Substanzen nicht in einem Ding drin sind. Aber von einem Ding ausgesagt werden können. Über mich lässt sich aussagen, dass ich ein Mensch bin. Hoffe ich zumindest …. Aber der Mensch ist nicht in mir drin. Das wird uns in Zukunft noch im Rahmen seiner Metaphysik beschäftigen. Vermute ich … Denn um uns noch komplett zu verwirren, sagt Ari, dass nicht nur Substanzen nicht in den Dingen sind, sondern über sie ausgesagt werden können. Das gelte auch für andere Arten von Prädikaten. Puh, ich weiß wirklich nicht, was ich damit anfangen soll, ich glaube das sind Probleme, die dadurch entstehen, dass die Sprache feiert, um Wittgenstein noch einmal heraufzubeschwören. Und um auch noch den großen Philosophen Herrn Lehman zu zitieren: Das bringt jetzt hier alles nichts.

Okay, wie schon gesagt, mit diesen beschäftigen wir uns intensiver, wenn wir von der Logik zur Metaphysik wechseln. Wie ich schon beim letzten Mal sagte, entstehen hier nämlich Probleme daraus, dass Ari nicht klar zwischen Sprache und Welt unterscheidet. Aber lasst uns schon einmal im Kopf behalten, dass Substanzen wichtig sind. Die anderen Kategorien scheinen überhaupt nur in Abhängigkeit von Substanzen ihre Bedeutung zu erhalten.

Wesen und Akzidenz

Eng damit zusammen hängt die nächste wichtige Unterscheidung, die Aristoteles in den Kategorien fällt, ist die zwischen Wesen und Akzidenz. Es gibt Prädikate, die einem Subjekt wesentliche Eigenschaften zusprechen, die aussagen, was es ausmacht, ein bestimmtes Subjekt zu sein. Hamilton ist ein Musical, weil darin gesungen und getanzt wird und es für Musicals wesentlich ist, dass darin gesungen und getanzt wird. Wenn in einem Film oder Bühnenstückt weder Gesang noch Tanz vorkommen, dann kann es kein Musical sein.

Demgegenüber gibt es auch bloß akzidentielle Prädikate. „Daniel sitzt hier im Schlafanzug und tippt diese Worte in sein Handy“ etwa. Die drei hier drin steckenden Prädikate ’sitzend‘, ‚im Schlafanzug‘, ‚Worte ins Handy tippend‘ machen sicher nicht das Wesen von Daniel aus. Gut, es gibt Menschen, die behaupten, dass etwas ins Handy zu tippen wesentlich für mich ist. Aber ich weiß nicht, wie sie darauf kommen!

Die Entdeckung der Relation

Nicht unerwähnt lassen, möchte ich ferner, dass Aristoteles die Relation entdeckt. Bei Platon hatte ich mich ja das eine oder andere Mal aufgeregt, dass er immer nur von absoluten Begriffen spricht. Etwa von der absoluten Größe, was absolut keinen Sinn macht, da etwas immer nur auf etwas anderes groß ist. Ari kritisiert seinen Lehrer hier ebenfalls und macht das schön anhand des Begriffs „voll“ klar. Wenn bei mir in der Wohnung 20 Leute wären würde ich sagen: Oh, Boy, das ist aber voll! Wenn nun die gleichen 20 Leute in einem Theatersaal säßen würden wir diesen hingegen als leer bezeichnen, obwohl sich die absolute Zahl der Menschen ja nicht geändert hat. Voll ist eben ein relativer Begriff und seine Bedeutung ergibt sich erst daraus, dass man angibt, in Bezug auf was etwas voll ist … Gut, Ari schießt dann seinerseits übers Ziel hinaus, wenn er anfängt, auch „Wissenschaft“ als einen relativen Begriff zu interpretieren, aber diesen Teil der Erörterung spare ich uns einfach. Komische Meinungen gibt ja schließlich immer. Es soll sogar Menschen geben, die „Rough Night“ für einen lustigen Film halten.

Substanzen können nicht mehr oder minder sein

Der nächste Punkt ist für mich schon wieder spannende: Ari stellt fest, dass Substanzen nicht mehr oder minder sein können. Man ist zum Beispiel immer 100% Mensch und nicht nur zu einem bestimmten Grad. Das ist eine wichtige Feststellung, an die wir uns noch so manches Mal in der Ethik erinnern sollten. Unser Grundsatz, dass es unveräußerliche Menschenrechte gibt, baut darauf auf. Egal, was du tust, du kannst deine Menschenrechte nicht verlieren. Denn egal, wie du sonst so drauf bist, du bist noch immer ein Mensch.

Rassisten und Sexisten missachten dieses Prinzip massiv, indem sie oft biologistisch argumentieren. Sie sagen dann, dass Menschen bestimmter Nationalität, Ethnie oder Geschlechts weniger Menschen sind als es alte weiße Männer sind und dass ihnen daher weniger Rechte zustehen würden. Hört dazu noch einmal meine Rassismus-Folge (ja, ich weiß, ich wollte zu Neuen Rechten noch mehr Folgen machen und das Nationalismus-Buch steht auch schon seit 1,5 Jahren in meinem Schrank. Corona hatte dem Plan einen Strich durch die Rechnung gemacht. // Drüben in meinem Podcast habe ich eine Folge zu Rassismus veröffentlicht. Hört da doch mal rein.

Bei allem Hurra, dass ich auf diesen einen Satz runterregnen lasse, dürfen wir den naturalistischen Fehlschluss nicht vergessen. Denn aus der Tatsache, dass jede*r immer 100% Mensch ist, folgt nicht zwangsläufig, dass für alle auch die gleichen Rechte gelten sollten. Man kann nicht aus einem Sein auf ein Sollen schließen. Ethik bleibt die Aushandlung der Frage, wie wir leben wollen. Aristoteles nimmt sich das (wenn auch ein weiteres Mal nicht explizit) zu Herzen und spricht alten Weißen Männern in seiner Ethik viele Rechte zu, die er anderen Menschen versagen will. Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Diskretheit und Kontinuen

Einen habe ich noch! Für die Medientheorie wiederum ist Aristoteles‘ Ausführung von Bedeutung, dass Quantitäten diskret oder kontinuierlich sein können. Zahlen und Sprache sind diskret. Das bedeutet in diesem Fall aber nicht, dass sie darüber schweigen, was in Las Vegas geschehen ist, sondern es heißt, sie bestehen aus klar abgegrenzten Einheiten. Die für jedes Sprachverständnis notwendige Fähigkeit unseres Gehirns zur Segmentierung  basiert darauf, dass sprachliche Einheiten diskret sind. So gelingt es unserem Gehirn höchst unterschiedliche akustische Wellen als immer das gleiche Wort zu segmentieren. Das kleine Wörtchen „das“ kann aufgrund von Dialekt, Soziolekt, Akzent und Idiom höchst unterschiedlich klingen, je nachdem, wer es ausspricht. Aber unser Gehirn macht daraus immer das gleiche Wort. Nur so können wir Sprache verstehen.

Längen und Flächen sind hingegen kontinuierlich. Gleiches gilt auch für Zeit und Ort: Sie sind ein Kontinuum. Ohne dass Ari es explizit macht – mal wieder, löst er mit dieser Feststellung das Schildkröten-Paradoxon:

Diesem berühmten Trugschluss des Zenon von Elea zufolge machen Achilles und eine Schildkröte ein Wettrennen. Achilles gibt der Schildkröte einen Vorsprung, weil er sich seines Sieges sicher ist. Doch dieser führt dazu, dass er das Rennen nicht mehr gewinnen kann. Denn bevor Achilles die Schildkröte überholen kann, muss er zuerst ihren Vorsprung einholen. Während er das macht, hat die Schildkröte aber einen neuen, wenn auch kleineren Vorsprung gewonnen. Jetzt muss Achilles den erst einholen. Doch sobald er das geschafft hat, hat die Schildkröte wiederum einen – noch kleineren – Vorsprung gewonnen und so weiter. Der Vorsprung, den die Schildkröte hat, wird demnach zwar immer kleiner, aber dennoch bleibt immer ein Vorsprung.

Das Problem an diesem vermeintlichen Paradoxon ist eben, dass es Längen als diskrete Einheiten auffasst, die nacheinander abgearbeitet werden müssen, so wie Zahlen nacheinander gezählt werden müssen. Aber in Wirklichkeit sind Längen kontinuierlich. Achilles – bekanntermaßen eh nicht die hellste Fackel beim Marathonlauf – denkt zum Glück nicht nach, sondern läuft einfach weiter, ohne sich um die Streckeneinheiten zu kümmern.

Wir können und werden noch weitere Beziehungen von Prädikaten zueinander ausmachen. Doch damit kommen wir zum sogenannten logischen Quadrat und mit ihm – der Name deutet es an – der Logik jetzt schon so nahe, dass ich es auf die nächste Folge verschieben möchte. Insgesamt bleibt mir aber zu sagen, dass in den wenigen Seiten der Kategorienschrift und von De Interpretatione noch viel mehr steckt, was ich weggelassen habe, da es hier den Rahmen sprengen würde. Schaut in die Texte rein und nicht nur Youtube/hört nicht nur Podcasts ist wohl ein Rat, den man immer geben sollte.

Was natürlich nicht heißen soll, dass ihr hier nicht mehr weiter schauen/hören sollt: Damit ihr die nächste Folge nicht verpasst, solltet ihr dringend diesen Kanal/Podcast abonnieren. Ich danke euch, dass ihr mir eure Zeit geschenkt habt.

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Aristoteles – Die Kategorien

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Daniel
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Aristoteles – Der Logiker – Folge 5

Kommen wir zum Kern eines der berühmtesten Bücher von Aristoteles: zu den Kategorien. Beim letzten Mal waren wir bei der Frage stehen geblieben, was alles in einem Satz als Prädikat verwendet werden kann. Da mache ich weiter und lande bei den 10 Bedeutungs-Kategorien, in die jedes Wort nach Aristoteles fällt. Im Anschluss frage ich mich noch, wo der Unterschied zwischen Wort und Begriff ist und wir formalisieren die Sprache vollständig, damit wir für die formale Logik vorbereitet sind.

Organon – Kategorienschrift – Die Kategorien

Heute geht es um Aristoteles‘ berühmte Kategorien. Beim letzten Mal hatten wir die Prädikation kennengelernt. Also die grundlegende Satzstruktur, mit deren Hilfe wir in der Zukunft Schlüsse ziehen können. Es gibt immer ein Subjekt, über das wir sprechen und etwas, was wir darüber aussagen – das Prädikat. Bei der Frage, was wir an der Position des Prädikats einsetzen können, waren wir beim letzten Mal gestolpert. Denn anscheinend gibt es sehr verschiedene Arten von Wörtern, die hier eingesetzt werden können.

Und damit kommen wir zu den eigentlichen Kategorien, nach denen das erste Buch des Organons benannt ist. Funfact: Die Zusammenfassung der logischen Schriften als Organon geht übrigens noch nicht auf Ari zurück. Stattdessen geschah sie erst später durch Aristoteles-Interpret*innen.

Ari jedenfalls sagt, dass jedes ohne Verbindung gesprochene Wort (also jedes Wort, das in keinem Satzzusammenhang steht) in eine von zehn Kategorien fällt. Zu den verschiedenen Kategorien gibt es immer passende Fragen, mit denen wir erkennen können, um welche Kategorie es sich handelt. Schauen wir sie uns an:

  1. Ein Wort kann eine Substanz sein. Was eine Substanz ist, ist für Ari eine äußerst komplexe Frage, wir kommen in den Folgen zur Metaphysik darauf zurück. Wenn wir nach einer Substanz fragen, dann machen wir das mit der uns schon allzu oft begegneten Was-ist-Frage: Was ist das?: Ein Pferd, ein Film, ein Mensch.
  2. Kann das Wort auch eine Quantität sein. Fragen, die dazu passen, sind: Wie viel? Wie groß? Ein Beispiel: Wieviele Spartaner haben diese komische Zack-Snyder-Schlucht verteidigt? 300 Spartaner.
  3. Oder es ist eine Qualität. Dann fragen wir uns: Wie ist etwas? Mein Kind (13) ist schlecht gelaunt.
  4. Bei der Relation können wir fragen: In welchem Verhältnis steht etwas zu etwas anderem? Wieviel mal reicher ist Jeff Bezos als ich. Die Antwort lautet: LOL.
  5. Der Ort ist die nächste Kategorie. Wir fragen dann: Wo ist sie? Sie ist im Impfzentrum – lecker Impfsaft abholen.
  6. Natürlich gibt es auch die Kategorie der Zeit: Wann ist etwas? Wir befinden uns im Jahre 50 vor Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Nein!
  7. Dann findet Ari noch die Lage oder Position als Kategorie. Die Frage dazu ist wenig originell: In welcher Position ist etwas? Es sitzt oder liegt. Ich würde jetzt auch gerne liegen.
  8. Als nächstes kommt das Haben. Was hat etwas (an)? Die AfD hat einen an der Waffel. Wobei das schon eher eine Qualität ist …
  9. Zwei Kategorien gibt es noch, dann habt ihr es geschafft: Zum einen die Kategorie des Tuns. Was tut etwas? Es macht ein Video über Ari.
  10. Schließlich gibt es noch das Leiden. Doch das hat nichts mit dem zu tun, was den Protagonisten in Tarantinos Filmen widerfährt. Oder vielleicht doch? Die Frage dazu lautet jedenfalls: Was leidet etwas? Die Antwort ist: Es wird angezogen, es wird erschossen. Es geht also um Passivsätze.

Falsch in Richtung Begriff abgebogen

Seid ihr noch wach? Ich nur noch gerade so. Aber an diese Liste schließen sich für mich mehrere Gedanken an: Zunächst ist sie sowas von typisch Ari, dass ich sie mit einem Stempel versehen möchte. Einem dicken, fetten Aristoteles-Stempel. Denn es ist einerseits genial, sich mal hinzusetzen und zu überlegen, was ein Wort grundsätzlich bedeuten kann. Irgendjemand musste das mal tun und Ari hat es gemacht. Also hoch die Tassen!

Andererseits ist es in seiner Systematik auch uuuuuuunglaublich langweilig. So langweilig wie mir ist, während ich weiter auf meine Impfung warten muss. Und damit sind die Kategorien auch wieder typisch Ari. Der Unterschied zwischen Platon und Aristoteles ist, dass der Ältere ein Künstler war, der Jüngere ein Handwerker. Bei Platon denke ich beim Lesen oft: Genial! Und im Nachhinein kommen mir dann die Zweifel, ob das alles so stimmen kann. Aristoteles hingegen jagt mir eher selten metaphysische Schauer den Rücken runter, macht dabei dann aber eben auch keine „Fehler“. Okay, auch das ist nicht ganz richtig, denn einen Fehler, so groß wie die Debatte rund um die geschmackliche Qualitäten von Rosenkohl sehe ich hier gleich.

Wir waren von der Frage aus gestartet, was alles prädiziert werden kann. Doch dann machte Aristoteles plötzlich eine harte Kurve und sprach davon, dass die Kategorien sagen, was ein „ohne Verbindung gesprochenes Wort“ bedeuten kann.

Ari sagt also, dass die Kategorien Wortkategorien sind. Aber wenn wir uns Antworten wie „50 vor Chr.“ oder „schlecht gelaunt“ angucken, dann handelt es sich dabei um Wortgruppen. Andererseits passen Wörter wie ’nicht, ‚und‘, ‚ähm‘ oder ‚Alter!‘ nicht so recht in eine der Kategorien, oder? Worüber Ari hier spricht, sind nicht Wörter, sondern Begriffe. Einschränkend möchte ich dazu sagen, dass ich als komplette Flachpfeife die Kategorien natürlich nur auf Deutsch und nicht im griechischen Original gelesen habe. Aber, gehen wir mal davon aus, dass der Übersetzer kein kompletter Vollpfosten war und kritisieren, dass hier eigentlich von Begriffen und nicht von Wörtern gesprochen werden müsste.

Mein kleines philosophisches Wörterbuch sagt, ein Begriff ist nach Christian Wolff:

„eine jede Vorstellung einer Sache in Gedanken“

Kants Definition ist noch feiner:

„Ein Begriff ist … eine allgemeine Vorstellung oder eine Vorstellung dessen, was mehreren Objekten gemein ist.“

Aus der analytischen Philosophie kommend würde ich das viel einfacher sagen und damit zur Antwort auf unsere eigentliche Ausgangsfrage – was alles prädiziert werden kann – zurückkehren:

Ein Begriff ist das, was in einem Satz als logisches Prädikat fungieren kann.

Und mit dieser Einschränkung auf Begriffe statt Wörter stellte Ari eine Weiche und schickte die westliche Philosophie auf ein Gleis, auf dem sie bis ins 20. Jahrhundert blieb. Erst dann begannen so Menschen wie Wittgenstein, Austin und Saussure nachzudenken, ob es in unserer Sprache nicht noch mehr gibt, als Begriffe, die in diese 10 Kategorien passen. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Logisch-semantische Propädeutik

Kehren wir zu Aris Text zurück. Denn uns geht es ja zunächst einmal um die Logik, und für die haben wir jetzt schon fast unser gesamtes Besteck zusammen. Ein Satz, der sich mit mit logischen Mitteln untersuchen lässt ( zumindest mit jenen, die Aristoteles zu Verfügung standen) ist so aufgebaut:

X ist Y.

Wobei X das Subjekt ist und Y das Prädikat. An Stelle des Prädikats kann nun ein Begriff aus einer der 10 Kategorien stehen. Doch ein kleines, aber nicht unwichtiges Detail fehlt uns noch. Denn worum geht es uns in der Logik?

Kleiner Tipp: Es geht uns nicht darum, wie sehr das Wahlprogramm der CDU im vergangenen Jahrhundert feststecken. Wir könnten aber so manche Behauptung aus diesem Wahlprogramm mit logischen Mitteln prüfen. Und wenn wir das machen, dann prüfen wir es auf Wahrheit. Doch die Wahrheit ist uns bislang noch gar nicht begegnet …

In einem unscheinbaren Satz in der Kategorienschrift (den er dann allerdings in De Interpretatione wieder aufgreift), setzt Aristoteles sich mit der Wahrheit auseinander und dabei entschieden von Platon ab. Denn er macht eine wichtige Feststellung: Die Begriffe der Kategorien enthalten noch keine Bejahung oder Verneinung, denn diese kommt erst in Wortverbindungen, also in Sätzen zustande. Bejahungen und Verneinungen wiederum sind entweder wahr oder falsch, das gilt aber nicht für einzelne Wörter. Was Ari hier sagt, ist, dass nur Sätze wahr oder falsch sein können. Wörter haben keinen Wahrheitswert. Es gibt keine richtigen und falschen Wörter, wie Platon es noch glaubte. Hört/schaut gerne noch einmal meine Folge zu Platons Sprachphilosophie.

Damit haben wir jetzt unser komplettes logisches Besteck zusammen. Es gibt ein Subjekt X dem ich ein Prädikat Y zu oder aussprechen kann. Das zusammen ergibt einen Satz, der wahr oder falsch sein kann.

Das Münchener Fußballstadion leuchtete beim Spiel Deutschland gegen Ungarn nicht in Regenbogenfarben. Dieser Satz ist wahr und die UEFA ein rückgratloser Haufen.

Wir können den Satz zergliedern in:

X (Das Münchener Fußballstadion)

Y (leuchtete in Regenbogenfarben) – das Prädikat drückt übrigens eine Qualität aus

Und die Negation – für ’nicht‘

Der gesamte Satz X (-Y) = wahr.

Herzlichen Glückwunsch! Wir haben unsere normale Sprache erfolgreich formalisiert und sind nun bereit für die formale Logik!

Aber dafür raucht mir heute zu sehr der Kopf, das machen wir beim übernächsten Mal, denn davor habe ich noch ein paar andere semantische Überlegungen, die ich mit euch teilen möchte.

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