Caspar David Friedrich: Das Eismeer. Lizenz: Gemeinfrei. via Wikimdedia Commons
Heute werden (vielleicht?) wieder tausende „besorgte Bürger“ und dem Label PEGIDA durch Dresden marschieren, um damit gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ zu demonstrieren. Obwohl in Sachsen nur 0,1 Prozent der Bevölkerung dem muslimischen Glauben anhängen. Das sind in absoluten Zahlen: 4000 Menschen.
Als vor Weihnachten 20.000 Vollpfosten, pardon, „besorgte Bürger“ gegen die Islamisierung demonstrierten, hätten also jeweils vier PEGIphile ein Stuhlbein des Stuhls tragen können, auf dem ein Moslem sitzt, während ein fünfter ihn liebevoll mit Lebkuchen füttert (noch so einer schrecklichen Sache aus dem „Morgenland“). Und doch glaubt sogar eine „Undercover Agent“ von RTL, dass auf den Straßen „überall Türken rumlaufen“.
Doch woher kommt diese dramatische Fehleinschätzung der PEGIrasten?
Hier liegt ofenbar eine kognitive Verzerrung vor. Eine koginitve Verzerrung, oder cognitive bias ist eine systematische Fehlleistung unseres Gehirns, bei der Informationen auf bestimmte und immer gleiche Weise falsch interpretiert werden, sodass wir immer zu einem falschen Ergebnis kommen. Dieser Prozess läuft komplett unterbewusst ab. Wir können ihn aber reflektieren und wenn wir unsere Aufmerksamkeit darauf richten, den Fehler entdecken.
Ich weiß, das klingt alles ziemlich vage und kryptisch. Ein Klassiker, den alle Studierende bei der Einfühung in die empirische Sozialforschung kennenlernen, ist die Scheinkorrelation. Zwei Ereignisse lassen sich beobachten und die beobachtende Person glaubt daher an einen Kausalzusammenhang, also dass das eine stattfand weil das andere passierte. Die Erstsemesterinnen aus der Soziologie hören dann immer die Geschichte von den Störchen: Geburtenraten sind in der Regel in jenen Gegenden höher, in denen es auch mehr Störche gibt. Ganz klar: Störche bringen die Kinder! In Wirklichkeit geht beides eher auf ländliche Regionen zurück, in denen sowohl mehr Kinder geboren werden als in Städten als auch mehr Störche leben.
Ich glaube aber, hier liegt eine andere Verzerrung vor, wenngleich die Scheinkorrelation möglicherweise mit hineinspielt. Ich glaube, wir beobachten bei PEGIDA einen Bestätigungsfehler. Ein Bestätigungsfehler ist die Neigung, denen empirischen Daten mehr Relevanz zuzuschreiben, die die eigene Theorie bestätigen. Klassiker sind hier der Freitag der 13. Wenn uns an einem solchen Freitag ein Unglück geschieht, dann nehmen wir das als Beweis dafür, dass dies ein Unglückstag ist. Hingegen beziehen wir all die 13. Freitage nicht in unsere Beobachtung mit ein, die ereignislos verlaufen und somit unsere These widerlegen würden.
Ein anderes Beispiel hierfür sind Schlafprobleme bei Vollmond. Menschen müssen schlafen, aber können es manchmal nicht. Wer ist schuld? Der Mond. Gut, wir können zwar in den verschiedensten Nächten nicht schlafen und finden dafür dann andere Erklärungen. Aber jede schlaflose Nacht, in der der Vollmond am Himmel steht, werten wir als Beweis dafür, dass unsere These, dass wir bei Vollmond nicht schlafen können, stimmt.
So wird von den besorgten Rechtsauslegern jedes Indiz für ihre „Islamisierungsthese“ – beispielsweise eine Moschee – dramatisch überbewertet, während all jene Aspekte, die gegen ihre Theorie sprechen – Beispielsweise die Realität – ignoriert werden.
Die eigentlich spannende Frage ist: Woher beziehen die PEGIDAnten ihre verzerrten Daten, die ihre These stützen, dass wir von radikalen Islamisten überrannt werden, obwohl die Tatsachen eine andere Sprache sprechen. Nun, vielleicht kommen diese Daten hierher:
Verfassungsschützer über Islamismus: „Wir müssen mit Einzeltätern rechnen, die Schrecklichstes tun“
Spiegel Online
Islamismus: Hilferufe bei der Beratungsstelle Radikalisierung nehmen zu
Spiegel Online
Wir müssen uns wappnen
Der Spiegel
Bruder, Kämpfer, Dschihadist
Der Spiegel
Dschihadisten soll Personalausweis entzogen werden
Süddeutsche Zeitung
Ein Tarnverein für modernen Islamismus
Süddeutsche Zeitung
Salafist mit Stellenzusage für die Polizei
Süddeutsche Zeitung
„Ich kann die Furcht vor der Islamisierung verstehen“
FAZ
Geißler nennt Furcht vor Islamismus „berechtigt“
Die Welt
Salafist Lau verweigert Aussage im Stuttgarter Terrorprozess
Die Welt
Polizei warnt vor den „tickenden Zeitbomben“
Die Welt
„Deutschland im Fadenkreuz des Dschihad-Terrors“
Die Welt
Internet soll im Kampf gegen Islamismus Beitrag leisten
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Nachtsichtgeräte bei mutmaßlichen IS-Anhängern beschlagnahmt
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Islamforscherin: Moscheen müssen mehr gegen Salafisten tun
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Unsere Dschihadisten
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Kampf gegen Islamismus: Landtag sieht Aktionstag als Signal
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Streit nach Koranverteilaktion
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Vergesst bitte nicht: Dies ist nur ein verzerrter, nichtrepräsentativer Ausschnitt der gesamten Berichterstattung. Gerade in den letzten Wochen gab es auch viele Berichte über die überzogenen Ängste der PEGIDAstien.
Dennoch lautet meine Arbeitshypothese, dass Presse und Politik radikalen Islamismus in Deutschland, unverhältnismäßig oft thematisieren, wenn man bedenkt, dass es in Deutschland faktisch keinen islamistischen Terror gibt im Unterschied zu anderen Formen von radikalen Straftaten.
Aber mit Angst lassen sich eben sowohl Klicks generieren als auch Prozente für die nächste Umfrage sammeln…