In der Post-Apokalypse

Ich war auf der Post. Ja, ich weiß, das war ein Fehler. Ich war da, weil ich für den „E-Post-Brief“ beweisen musste, dass ich ich bin. Ja, ich weiß, was auch immer folgt, Sie werden jetzt sagen, es ist die gerechte Strafe für ein solch törichtes Unterfangen und Sie haben ja Recht.

Aber sehen Sie: Ich möchte sehen. Nämlich Filme ab 18 bei einem Videostreamingdienst, der mir noch immer keinen Werbevertrag angeboten hat, obwohl ich ständig über ihn spreche, weswegen ich seine Identität nun verschleiern werde und ihn einfach mal „Guckste-immer“ nennen werde.

Guckste-immer will nun aber von mir die Bestätigung, dass ich ich bin, sonst darf ich keine Filme ab 18 gucken. Und Guckste-immer forderte mich daher auf, mich mit dem „E-Post-Brief“ selbst der Volljährigkeit zu bezichtigen.
Ich also alles schnell durchgeklickt bis ich irgendwann an den Punkt gelangte, wo ich ein Formular ausdrucken sollte. Auf Papier! Und mit diesem sollte ich dann zur nächsten Postfiliale gehen, um zu beweisen, dass ich ich bin. Gesagt, getan. Nun gut: Gesagt – 11 Monate lang prokrastiniert – getan. Heute aber erschien mir die Gelegenheit günstig, weshalb ich den Zentimeter dicken Staub kurzerhand vom Dokument pustete und nach dem darauf folgenden Hustenanfall auch sogleich losmarschierte. Zur Post.

Auf der Filiale angekommen, geriet ich zunächst einmal in eine Raum-Zeit-Singularität, denn die obligatorische Warteschlange fehlte! Selbst nach intensiver Prüfung konnte ich keinen anderen Kunden vor mir ausmachen. Ich vermute, dass ich vorübergehend in eine andere Dimension (möglicherweise eine Art Post-Apokalypse) gerutscht bin, denn der folgende Dialog kann nicht von dieser Welt sein.

Doch zunächst war ich noch guter Dinge, als ich schwungvoll an den Tresen herantrat, der mir die neuesten Postwaren feilbot. Jenseits des polierten Holzimitats erwartete mich eine gedrungene Frau mittleren Alters mit einer vorbildlich „frechen“ Föhnfrisur, wie man sie zu solchen Gelegenheiten an dieserlei Orten im so called Real Life anzutreffen erwartet.

„Werte Damen, ich wünsche meine Registrierung für den „E-Post-Brief“ abzuschließen.“,trillerte ich fröhlich wie ein Spatz im Mai und schob der Dame meinen Perso mitsamt dem entrollten Pergament, das meine E-Post-Identität beweisen sollte, über den Tresen.

„Hrmpf, einen Moment“, schallte es mir entgegen. Die Postangestellte wandte sich mir ab und suchte aus einem Stapel von Broschüren, Faltblättern und sonstigen Informations- und Registrierungsunterlagen einen jener nicht zu verwechselnen sonnengelben Trypticha der Post, auf denen kein noch so robuster Stift jemals zu schreiben vermochte. Die für den Beamtenstatus zu spät geborene Frau verlangte dennoch von mir, das Formular auszufüllen. Doch nach kurzem prüfendem Blick fiel mir auf, dass dort noch einmal alle Informationen abgefragt wurden, die ich doch bereits auf der lieblichen Webseite der Goldgelben Hornträger angegeben hatte: „Verzeihung, gnädige Frau, aber ich habe diese Informationen schon online hinterlassen, habe diesen Ausdruck hier erhalten und wurde aufgefordert nur noch abschließend meine Existenz in einer Postfiliale zu beweisen.“

„Hrmpf. Na gut.“, stieß sie hervor. Und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen ein kleines Rauchwölkchen und Schwefelgeruch wären ihren Nüstern entfahren. Die Tresenbedienstete jedoch griff zu ihrem Scanner und versuchte den Code einzuscannen.

Doch hier muss ich noch ein-zwei Worte zur Beschaffenheit dieses Dokuments verlieren. Es befanden sich nämlich deren zwei Codes auf dem Papier: Einmal ein eindimensionaler Strichcode und zum anderen ein zweidimensionaler Code, der einem QR-Code ähnelte, aber auch ein anderer Codierungsdialekt gewesen sein kann. Die Dame jedoch versuchte nur den Strichcode auf meinem Ausdruck zu scannen. Was ihr misslang. Dem 2D-Code schenkte sie hingegen nur Missachtung.

Nun kann ich mich irren, meine aber erkannt zu haben, dass der Scanner fünf rote Punkte zum Zwecke des Zielens auf das Papier warf, gleich als ob er ein Quadrat suche. Und da ja die Versuche der Dame, den Strichcode einzuscannen, fortwährend ohne Erfolg blieben, erdreiste ich mich vorzuschlagen, es doch mal mit dem anderen Code zu probieren.

„Nein, dess iss der nedd!!!“, Fuhr mich die offensichtlich hessische Frau an und begann daraufhin unter Stöhnen die Daten vom Blatt von Hand in ihren fensterbewährten Computer zu übertragen. Während sie dies mit leidender Miene tat, offenbarte sie mir noch: „Wissense, Sie sollten sowas inner Fillial usfülle, um die Post zu erhalte!“

Ich war zunächst vollkommen überfordert mit dieser Information, schließlich wollte ich doch bloß beweisen dass ich ich bin und erwartete keinerlei Post von irgendwem. Weshalb ich mich schüchtern räuspernd erkundigte: „Wie meinen?“

„Ei, wennse des im Innerned mache, werdense nedd die Post erhalte!!“

„Aber – Verzeihung – hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen. Ich möchte bloß mein Dasein vor Ihnen rechtfertigen und erwarte keinerlei Post.“

„Verdammichnochma. Isch mei doch, des die Fillial sterbe, wenn se so Anmeldung im Innerned mache!“

Die paradoxe Falschheit dieser Behauptung brachte mich komplett aus dem Konzept: Zwar hätte die Dame mir vorwerfen können, dass ich mich überhaupt für den E-Post-Brief anmeldete, der möglicherweise ihren Job gefährden könnte. Wenngleich die miserable User Experience bis zu diesem Zeitpunkt dies nicht befürchten lassen. Aber nein, nicht das war der Beschwerepunkt des verbrieften Rotweilers mir gegenüber, sondern dass ich die Anmeldung zu diesem Online-Dienst skandalöser Weise online getätigt hatte! Eine Anmeldung wohlgemerkt, die ich nur abschließen kann, WENN ICH IN EINE FILLIALE GEHE!!!!!!

Wie gesagt, ich war so aus der Fassung ob dieses Vorwurfs, dass mir einstweilen nichts besseres einfiel als zu entgegen, dass dort – auf Ihrer Webseite – nicht gestanden habe, dass ich die Anmeldung zum Online-Brief auch komplett offline vollziehen könne, sondern dass ich da lediglich gestanden habe, dass ich sie im Leben abseits des Keyboards vollenden müsste.

Den nun folgenden Wortwechsel möchte ich Ihnen ersparen, werte Leser und Leserinnen, denn er war gar unschön aber er endete damit, dass mich die postgelbe Dämonin aufforderte, ein Papier zu unterschreiben, dem ich beim besten Willen nicht ansehen konnte, wozu es diente. Wahrscheinlich habe ich ihr meine Seele überschrieben. Währenddessen zischte mir das Wesen von der anderen Seite entgegen: „Isch will Ihne ja gar kenen Vorwurff mache.“, und dann kaum hörbar anfügend, „Mörder!“

Mir stiegen die Tränen in die Augen und ich weiß nicht, was gefolgt wäre, wäre ich nicht durch einen Markdurchdringenden Schrei in diese, unsere Welt zurückgeworfen worden: „DER NÄCHSTE BIDDE!“

Ich bin raus.

Der inkompetenteste Barmann der Welt

Ich war mal wieder aus. Draußen in der Welt, nach Sonnenuntergang. Schafft man ja eher selten, wenn man ein betreuungsbedürftiges Kind zuhause hat. Zumal wenn Semesterferien sind, oder wie ich es nenne: Babysitterwinter.

Die Dame und ich waren auf einem Konzert. Nun gut, ich gestehe: Es war kein richtiges Konzert, sondern ein Kinderkonzert. Und, ja, meine Tochter (6) war auch mit dabei. Beziehungsweise: Wegen ihr waren wir überhaupt da. Aber da es ein „Taschenlampenkonzert“ war, auf dem Erwachsene wie Kinder sich wie Glühwürmchen auf Speed gebärden, deswegen war ich mal wieder nach Sonnenuntergang draußen.

Als das erste Lied erklang, wusste ich aber gleich, dass es ein Fehler war. Also suchte ich das Weite und verließ schleunigst den Bereich vor der Bühne, um mich dem Getränkestand zuzuwenden. Vor dem Konzert hatte der Veranstalter froh verkündet, dass alle Einnahmen dieses Standes an irgendeine halbbaumwollene Kinderorganisation gespendet werden sollten. Dieses Schicksal wollte ich natürlich auch meinem müden Euro nicht vorenthalten.

Ich also hin zum Getränkestand. Während ich dort so in der Schlange stand, bemerkte ich einige Erstaunlichkeiten, deren Bedeutung mir erst später klar werden sollten…

Barmann (mutmaßlich inkompetent): Das waren ein Bier und eine Cola?
Trinker: Ja.
Barmann: Das macht dann 10 Euro, glaube ich.
Trinker: Da steht aber 3 Euro pro Getränk.
Barmann: Ja, aber da kommt noch Pfand drauf.
Trinker: Ach so, ich hab hier noch einen leeren Becher.

Der Barmann nimmt 10 Euro und den Becher vom Kunden entgegen und legt ersteres in die Kasse und stellt zweiteres irgendwo hinter den Tresen.

Barmann (sich wieder zum Kunden drehend): Das waren ein Bier und ein Wasser?
Trinker: und eine Cola!
Barmann: Dann reicht aber das Geld nicht.
Trinker: Wieso, Sie haben doch eben gesagt: 3 Euro pro Getränk und 2 Euro Pfand.
Barmann: Ja aber ein Bier, eine Cola und ein Wasser…
Trinker: Nein – Ein Bier und eine Cola. Kein Wasser!
Barmann: Ach so!

Der Barmann händigt dem Kunden seine Getränke aus und gibt ihm Kleingeld zurück. Erstaunlich viel Kleingeld…

Barmann (wahrscheinlich inkompetent): Stimmt das so?
Trinker: Ja, ja…

Dann ist der nächste Kunde dran. Er möchte nur den Pfand für seine drei Becher. Der Kellner händigt ihm diesen aus. 6 Euro in 50 Cent Stücken.

Trinker: Muss das sein mit dem ganzen Kleingeld? Da liegt doch ein 5-Euro-Schein in der Kasse?
Barmann(sicherlich inkompetent): Ja, ne. Geht nicht anders, das ist das Wechselgeld, das ist abgezählt.

Sauer zieht der Trinker von dannen mit einem Beutel voller klimpernder Münzen. Dann bin ich an der Reihe.

Ich: Zwei Bier, bitte.
Barmann: 10 Euro bitte.

Ich drücke ihm 20 Euro in die Hand. Der Barmann dreht sich um und legt den Zwanni in die Kasse. Dann steht er da, über die Kasse gebeugt und rührt sich nicht mehr. Nach gefühlten 45 Minuten dreht er sich wieder um.

Barmann(mit großer Sicherheit inkompetent): Waren das ein Bier und eine Cola?
Ich: Nein, zwei Bier.

Der Barmann stellt mir zwei Bier hin und macht sich daran den nächsten Kunden zu bedienen.

Ich: ‚Tschuldigung. Ich bekomme noch Geld raus.
Barmann: Das habe ich Ihnen doch schon gegeben!
Ich: Nein, Sie haben mich nur gefragt, was ich bestellt habe.
Barmann: Aber dann habe ich Ihnen den Rest von Ihrem Zehner gegeben.
Ich: Ich habe Ihnen einen Zwanziger gegeben.
Kellner: Und ich habe Ihnen vier Euro rausgegeben.
Ich: Das war zwei Kunden vor mir. Das war bei dem schon falsch, aber ich bekomme sowieso 10 Euro raus und nicht vier.

der Barmann grummelt ein wenig, aber der Mob hinter mir grummelt ein wenig lauter, weswegen er sich geschlagen gibt und mir meinen 10er gibt. Nun könnten Sie, geneigter Leser, wohl meinen, dass durchaus ich es gewesen sein könnte, der sich geirrt hat. Abgesehen von den zwei Beobachtungen, die ich Ihnen vor meiner kleinen Episode schilderte, war der Abend aber noch nicht vorbei. Leider kann man ja, wenn man mit seinem Kind auf einem Konzert ist, auf dem ausschließlich Kindermusik läuft, nicht so viel Bier trinken, wie man eigentlich müsste, wenn man mit seinem Kind auf einem Konzert ist, auf dem ausschließlich Kindermusik läuft. Daher beschloss ich auf Wasser umzusteigen und machte mich darob wieder auf, mit dem oben beschriebenen Barmann zu interagieren.

Ich (dem Barmann meinen Becher entgegenstreckend): Ein Wasser bitte.
Barmann (definitiv inkompetent): den Pfand?
Ich: Nein, ich möchte bitte noch ein Wasser.
Barmann: Ach so. Hier haben Sie schon einmal den Pfand.

Ziemlich sinnbefreit drückt er mir für meinen Becher Zwei Euro in die Hand. In Fünfzig-Cent-Stücken.

Barmann (Mit meinem Wasser): Das macht drei Euro plus zwei Euro Pfand.

Ich drücke ihm breit grinsend seine fünfzig Cent Stücke wieder in die Hand und lege noch die entsprechenden Münzen drauf. Erst auf dem Weg zurück zu meiner Familie bemerke ich, dass die durchsichtige Flüssigkeit nicht Wasser sondern Sprite ist…

Ich sah den inkompetentesten Barmann der Welt noch ein letztes Mal. Als ich meinen Becher zurückgeben wollte, konnte er mir die 2 Euro nicht rausgeben. Er hatte kein Kleingeld mehr. Also nahm ich meinen Becher mit meiner Familie mit und zog vondannen. Überlegend, ob der Veranstalter vielleicht auch das Gehalt für den Barmann irgendeinem guten Zweck gespendet hatte…

Service-, na ja, „Wüste“ würde ich es nicht nennen, es ist eher so die Tundra

Ich brauche gebügelte Hemden, wegen eines wichtigen Termins, wegen der Karriere und so. Leider gehöre ich noch immer zur Fraktion der poststudentischen Amateurwäscher mit anhaltendem Bügelverweigerungshintergrund. In meinem letzten Job spielte das zum Glück keine Rolle. Wenn man mal von der einmaligen Situation absieht, als ich von meinem ‚Sonst stört mich das ja nicht’-Chef dazu aufgefordert wurde, ob des Auftritts diverser Bewerber zu einem nämlichen Gespräch, dann doch mal auf meine Kleidung zu achten. Aber man weiß ja nicht, ob das alle so sehen und wenn irgendwie Geld im Hintergrund ist, will man ja auch nicht den schlechtesten Eindruck hinterlassen.

Genossenschaftsmitglied Anna Einfinger an der Schleuder. Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst - Zentralbild. Urheber unbekannt. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.
Genossenschaftsmitglied Anna Einfinger an der Schleuder. Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst – Zentralbild. Urheber unbekannt. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE.

Zum Glück gibt es für solche Fälle Wäschereien.

Es ist schon erstaunlich, wie tunnelartig, selektiv unser nach Mustern suchendes Gehirn Uninteressantes einfach ausblendet. Würdet ihr mich jetzt nach dem nächsten Versicherungsbüro fragen, so müsste ich euch eine Antwort schuldig bleiben, hingegen ich sämtliche Bäckereien, Möglichkeiten nach 20 Uhr noch Bier zu kaufen oder Spielplätze im Umkreis von locker 2 Kilometern aus dem Stehgreif aufsagen könnte. In alphabetischer Reihenfolge oder gereimt, wie ihr wünscht.

Zu meinem Glück selektierte ein bekanntes Gehirn nach anderen Mustern, sodass es mir sagen konnte, wo denn in der Nähe ein Etablissement zur professionellen Reinigung von Textilien ist. Ich also drei Hemden eingepackt – man will schließlich auch wählen können – und hingedackelt.

Am Orte meiner putzteuflischen Sehnsucht angekommen, betrat ich das Ladenlokal. Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht: Ständer hinter Ständer reihten sich die frisch gewaschenen und gebügelten Stoffe von seifenblasenleichtem, durchsichtigem Plastik umhüllt und auf glänzenden, durch eleganten Schwung grazil geformten Einwegkleiderbügeln. Hatte man diese Galerie der vollbrachten Leistung durchschritten, kam man zu einer Ladentheke wohinter in großen Wäschekörben sich die verwahrlosten, unzüchtigen Textilverwandten lümmelten und noch nicht ahnten durch welche Mangel sie alsbald gedreht würden.

Dahinter nun wieder eröffnete sich dem Blick durch eine lukenartige Tür ein Raum, erhellt nur durch schummeriges Licht, wo man Walken sich balgen hörte, Dämpfe aufstiegen, es zischte und raschelte. Links und rechts rahmten die Flucht des Blickes Maschinen, Ständer und Wäscheberge ein bis sie im hintersten Winkel, am Fluchtpunkt, im Schein glänzenden Lichtes stand: die Wäscherin.

Eine kleine, dicke Frau mit Kittel, die bügelt.

Nun hatte bei meinem eintreten das elektronisch virtualisierte Glöckchen herzallerliebst ‚Ding-Dong’ geläutet, jedoch die feiste Wäscherin – und dies war die einzige Eigenschaft, die sie mit des Werten Kollegens @Naumburger Herzdame teilte – zeigte keinerlei Regung. Nun gut, wahrscheinlich war die Marschmusik des Waschmaschineraums lauter gewesen als das engelsgleiche Tönelein der Tür. Daher entfleuchte meiner Kehle ein zaghaftes ‚Hallo‘. Doch die bügelnde Waschexpertin deutete mit keinem Fingerzeig an, dass sie mich gehört haben könnte.

„Wahrscheinlich ist sie in einer schweren Operation, verpasst einer Anzugshose eine Präzisionsfalte oder entknittert gerade einen Crinkle-Optik-Look.“, so dachte ich bei mir und wartete geduldig am Tresen. Mein Auge wich nicht von der – so maße ich mir an zu Urteilen – wenig begeisterten, bügelnden Wäscherin. Schließlich stellte diese ihr heißes Eisen beiseite und ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. Doch anstatt nun zu mir in die Verkaufsstube zu treten, nahm sie in einer Seelenruhe mit der sie Papst Benedikt harte Konkurrenz machen würde, das nächste Stück Gewebe um es zu eisenglätten. Und ich gestehe ein, dass ich nun durchaus etwas erzürnt bei mir dachte: „Aber sie muss mich doch gehört haben!“

Meine Augen wanderten zu dem Schilde über der Theke, das in Majuskeln liebreizend erklärte: ‚UM VORKASSE WIRD GEBETEN!!!’ Im Gegenzug bäte ich dann aber auch um Vorzug gegenüber irgendeinem Stück Stoff. Doch der Gram in meinem Herzen wandelte sich alsbald wieder in Zweifel: im Maschinenraum war es fraglos lauter als hier vorne, auch hatte ich schon von widrigen akustischen Umständen gehört, die menschliche Stimmen mitunter im Gewirr derer der Apparate untergehen ließen. Also versuchte ich es noch einmal, ein Fünkchen lauter: „Guten Ta-hag!“ Hatte sich da eventuell kurz eine der buschigen Augenbrauen gehoben, oder hatte mir meine von Hoffnung getragene Phantasie bloß einen Streich gespielt? Sicher hatte die gute Dame, am Ende ihres Arbeitslebens, der Rente nicht mehr fern, einen Großteil ihres Hörvermögens dem Schleudergang geopfert, weshalb ich ein energisches „ENTSCHULDIGUNG?!“ hinterher schob wie sie das Eisen über den Stoff.

In senkrechter Habachtstellung

Schließlich und endlich brachte sie das Plätteisen wieder in senkrechte Habachtstellung, stöhnte sachte, die Hände in den Rücken gestemmt und setzte sich dampfend wie eine Walze und zugleich schwankend wie ein Kahn auf dem unweiten Main in Bewegung. In meine Richtung! Heureka! Nun gut, sie ließ es sich nicht nehmen, über diesen Stoff noch einmal liebenswürdig zu streicheln und jener Apparatur noch einmal ein paar Befehle einzugeben, während sie sich mir so langsam aber beständig näherte wie uns allen der Tag im Kalender, an dem uns wieder auffällt, dass wir ja noch immer keine Weihnachtsgeschenke haben.

Die Dame möge entschuldigen, ob sie mir denn sagen könne, was die Reinigung eines Hemdes in diesem, ihrem werten Etablissement kosten würde, so begann ich die Feilscherei geschickt, wie ich gedacht hatte. Es war jedoch taktisch vollkommen unklug, wie sich alsbald herausstellen sollte. Denn an die Preisauskunft von 2,50€ pro Hemd – was ich für einen durchaus nicht unvernünftigen Preis hielt und halte – schloss die Dame in wenig eloquenter Art und Weise einen dennoch recht langen Vortrag an, dass es sich bei ihrem Service um Handarbeit handele und „nix Billigwäscherei“. Dass überhaupt diese Billigwäschereien den Markt kaputt machen würden und sie auch sehen müsse, wo sie bleibe.

Derweil sie weiter zum besten gab, was sie vom Markt, der Konkurrenz und sich selbst hielt, entglitt mir meine Aufmerksamkeit und meine Gedanken wanderten, zunächst zu jenem seltsamen Geschick, dass zwar immer irgendwo irgendwer den Markt kaputt macht, er zugleich aber irgendwie auch nicht totzukriegen ist. Dann eilten meine Gedanken weiter und folgten meinen Augen zu einem zweiten Schild über der Theke, das die Qualitätsarbeit der Wäscherin wohl mit einem markanten Statement untermauern sollte: ‚FÜR VERLORENE KNÖPFE KANN NICHT GEHAFTET WERDEN!!!’

ZWEIFUFZIG ODER RAUS!

Schließlich fiel mir auf, dass die Frau geendet hatte und mich mit leisem Knurren anstarrte. Verlegen, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, was nun folgen sollte, da ich outgezoned war, als hätte ich während eines Gesprächs ’nur mal schnell‘ die Timeline gecheckt, versuchte ich es mit einem Scherz: „Also Sie sollten an Ihrem Stil arbeiten, sonst schaffen Sie es nie in die Twitterelite“. Ein Fehler. Viel zu jovial, das sah ich schon ein. So entgegnete mir die Dame nur mit einer gewissen Röte im Gesicht, die schon shades of blue annahm: „ZWEIFUFZIG ODER RAUS!“. Ich willigte ein und gab sogar zu verstehen, dass ich sogar drei Hemden in ihre fürsorglichen Hände übergeben würde. Schließlich hatte ich ja nie gehadert mit dem Preis, dem Service oder der Existenz der Wäscherin und wollte auch pflichtschuldig wie „GEBETEN“, „VORKASSE“ leisten, jedoch mein Geldschein war dem Pitbull unter den Textilreinigungskräften dann doch zu groß. Weshalb sie, während eine potente Ader auf ihrer Stirn bedrohlich für uns beide pulsierte, mir einen Zettel ausfüllte, um anschließend offenbar in Parsel zu zischen, ich könne die Hemden am Dienstagabend abholen.

Ich musste wirklich meinen letzten Rest Mut aufbringen, als ich entgegnete: „Ich bitte um Verzeihung, aber das ist zu spät. Ich hatte nicht erwartet, dass diese doch wohl recht simple Operation eine ganze Woche dauern würde.“

„Nix ganze Woche! Heute ist schon Donnerstagabend! Dienstagmittag! Früher geht nicht!“ – erst Stunden später, als ich mein Herz meiner Dame ausschüttete, machte sie mich darauf aufmerksam, dass es eigentlich Mittwoch am frühen Nachmittag gewesen war.

„Nun werte Dame, ich bitte gnädigst um Verzeihung, aber ich habe am Montagmittag einen Termin zu dem ich eigentlich ein gebügeltes Hemd tragen müsste. Zumindest aber ein Hemd, ob nun gebügelt oder nicht, das müssen Sie doch einsehen. Ich kann doch nicht zu einem Gespräch, das über das täglich Brot für meine Tochter entscheidet barbusig erscheinen. Daher bitte ich um Verzeihung, muss ich leider vom Vertrage zurücktreten und bitte um die Rückerstattung meiner gar schmutzigen Hemden…“

„Nix verstehen müssen! Nix Montag Mittag!“, sprach – nein, ich muss es gestehen – schrie sie und der Geifer spritze auf – zum Glück – durch Plastik geschütztes frisch Gereinigtes und – zum Unglück – ungeschütztes mich, warf mir meine Hemden zu, lies den Beleg durch einen Fluch zu Asche zerfallen und verwies mich des Ladens mit weiteren Flüchen, die ich mich nicht getraue wiederzugeben, unter denen aber wenigstens einmal der Cruciatus klar herauszuhören war.

Ich nahm meine Hemden, ging traurig nach Hause und griff selbst zu Maschine und Eisen in der Hoffnung, dass man es mir am Montag zwar vielleicht an- jedoch auch nachsehen werde.

 

Ich bin raus.