Sokrates – Der Gamechanger – Teil 1: Der Prozess

Endlich geht es weiter mit meiner YouTube-Reihe zur Geschichte der Philosophie. Aber ich habe euch nur deshalb so lange warten lassen, weil ich gleich drei Folgen vorbereitet habe. Für alle, die lieber lesen, als Filme, die eigentlich nur Dia-Shows sind, zu gucken, gibt es unten wieder das Transkript sowie Literaturtipps und die Angaben zu den Bildquellen. Viel Spaß!

Über Sokrates gibt es so viel zu erzählen, dass ich das ganze in drei Teile aufteilen werde: Erst ab dem zweiten Teil werde ich euch von der eigentlichen Philosophie von Sokrates erzählen. Aber – halt – bitte skippt dieses Video nicht, denn hier und heute wird es spannend. In meiner ersten Folge zu Sokrates wird es um einen Kriminalfall gehen. Denn Sokrates wurde im Jahr 399 v. Chr. zum Tode durch den Schierlingsbecher verurteilt. Die Anklage lautete: Dass er die Existenz der Götter geleugnet haben soll, die schwächere Rede zur stärkeren gemacht und obendrein auch noch die Jugend verdorben haben soll. Und wie es dazu kam und ob da vielleicht sogar noch mehr hinter dieser Anklage steckte, davon erzähle ich euch heute.

Teaser Philosophie

Doch bevor ich mit dem Thriller beginne, möchte ich euch noch kurz erklären. Warum dieser Sokrates und sein Tod überhaupt relevant sind. Denn die Frage liegt ja nicht fern, warum wir uns für den Tod eines einzigen Mannes vor 2.400 Jahren interessieren sollten.

Dafür müsst ihr folgendes wissen: In der Geschichte der Philosophie gibt es verschiedene Zeitwenden, in denen die alten Fragen als nicht länger relevant betrachtet wurden und sich der Mainstream der Philosophie stattdessen neuen Fragestellungen zuwandte. Berühmt sind etwa die Kantische Wende oder der Linguistic Turn. Aber eine erste solche Wenden leitete eben Sokrates ein, weswegen wir sie auch „Die Sokratische Wende“ nennen können.

Cicero, der Typ, mit dessen langweiligen Texten ihr alle im Lateinunterricht belästigt wurdet, sagte dazu mal: „Sokrates hat als erster die Philosophie vom Himmel heruntergerufen, sie in den Städten angesiedelt, sie sogar in die Häuser hineingeführt und sie gezwungen, nach dem Leben, den Sitten und dem Guten und Schlechten zu forschen.“ Mit dieser Aussage hatte er zwar nicht ganz Recht, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden … Doch er hatte eben auch nicht ganz unrecht.

Es gibt viele Aspekte an Sokrates’ Philosophie, die beachtenswert sind, doch der wichtigste Aspekt ist nicht das Was sondern das Wie. Denn Sokrates betrachtete den Dialog als das wichtigste philosophische Instrument. Er glaubte, dass wir die Wahrheit ™ oder das Wissen um die Wahrheit alle bereits in uns tragen, und dass sie nur ans Tageslicht gebracht werden muss. Er selbst betrachtete sich als jemanden, der durch geschicktes Fragen dabei hilft, dieses Wissen ans Licht zu bringen und diese Technik nannte er „Mäeutik“, die Hebammenkunst. Da er dem Dialog solche Bedeutung beimaß, hat er selbst auch nie etwas aufgeschrieben, sondern stets nur mündlich philosophiert.

Ähm, Moment mal? Wenn er nie etwas aufgeschrieben hat, woher wissen wir dann, worin seine philosophische Lehre bestand und welche Methoden er verwendete? Das ist eine der spannenden Fragen, die es zu klären gilt. Mögt ihr mir also folgen ins fünfte Jahrhundert vor Christi Geburt auf den Spuren eines der berühmtesten Kriminalfälle der Geschichte?

Sokrates‘ Leben

Wie kennen Sokrates‘ Lebensdaten, da wir wissen, dass er im Jahr 399 v. Chr. zum Tode verurteilt wurde. Und sein berühmtester Schüler Platon berichtet, dass er zu diesem Zeitpunkt 70 Jahre alt gewesen sein soll. Dieser Platon sollte später übrigens zum vielleicht größten Philosophen aller Zeiten werden, aber – ihr ahnt es schon – das ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.

Sokrates war der Sohn eines Bildhauers und einer Hebamme. Moment da war doch was? Ach ja: Ich sagte eben, dass er seine philosophische Methode mit der Hebammenkunst verglich. Wie er da wohl drauf kam? Und auch die Metapher des Bildhauers, der die Skulptur vom überflüssigen Stein befreit, benutzte Sokrates manchmal wohl für die Philosophie. Sokrates war phänomenal hässlich, was deshalb erwähnenswert ist, da unter seinen Zeitgenossen der Aberglaube vorherrschte, dass man von der äußeren Schönheit auf die innere schließen kann. Und dieser abstoßende kleine Mann sollte die Griechen eines besseren belehren.

Wir wissen, dass Sokrates eine gute Schulbildung genoss, was aber nicht ungewöhnlich war für einen Bürger Athens. Er lernte Lesen und Schreiben, Gymnastik, Musikerziehung, Geometrie und Astronomie. Nicht zuletzt gehörte es zum Standardrepertoire eines gebildeten Griechens, dass er sich mit den Werken der großen Dichter auseinandersetzte, allen voran Homer. Und die Kritik an Homer und anderer Dichter blieb auch eines von Sokrates‘ philosophischen Betätigungsfelder. Allerdings war dies keine Literaturkritik im heutigen Sinne, denn die Griechen lasen Homer noch viel mehr wie ein Geschichtswerk.

Wir wissen außerdem, dass Sokrates während des Peloponnesischen Kriegs an mehreren militärischen Einsätzen beteiligt war. Er soll an der Belagerung von Potidaia 431–429 v. Chr. genauso teilgenommen haben, wie an den Schlachten von Delion 424 v. Chr. und Amphipolis 422 v. Chr. Sein Rang war der eines Hopliten, eines Kämpfers in der Phallanx. Dieser Information können wir auch entnehmen, dass Sokrates nicht ganz arm gewesen sein kann, den ein Hoplit musste seine schwere Ausrüstung selbst beschaffen. Sokrates hat sich wohl einigen Ruhm erworben bei den Schlachten. So berichteten der Feldherr Laches und der Sokrates-Schüler Alkibiades, dass der Philosoph Kälte, Hunger und sonstige Entbehrungen ertragen konnte. Und aus der Schlacht von Delion, in der die Athener verloren, soll er nicht wie viele andere Hals über Kopf geflohen sein, sondern ging „gemessenen Schrittes, jederzeit bereit, sich zu verteidigen“.

Sokrates‘ Entbehrungsfähigkeit zeigte sich auch in seinem restlichen Leben. So soll er im Winter wie im Sommer barfuß unterwegs gewesen sein. Ferner soll er auch seinen Job hingeschmissen haben (er war wie sein Vater Bildhauer), um sich ganz der Philosophie zu widmen. Das ist aber weniger heroisch als es jetzt klingt sondern eher ein Arschloch-Move, denn er hatte Frau und Kinder. In „bester“ frauenfeindlicher Tradition ist uns aber Sokrates‘ Frau Xanthippe nur als sein zänkisches Weib in Erinnerung geblieben und nicht als die Person, die eine Familie durchbringen musste, während ihr Mann auf dem Athener Marktplatz rumstand und mit anderen über Ethik quatschte.

Dieser über Ethik quatschende Typ hatte übrigens auch noch die Eigenschaft manchmal wie erstarrt stehenzubleiben und nachzudenken. Es gibt eine Anekdote, in der er während des Krieges den ganzen Tag so rumstand und die Jonier abends ihre Betten neben ihm aufschlugen, aus Neugier, wann er denn aus seinem tranceartigen Zustand wieder erwachen würde. Sokrates habe noch die ganze Nacht reglos dagestanden und als die Sonne aufging, habe er sein Morgengebet gesprochen und sei dann kommentarlos abmarschiert.

Der Prozess

Doch es wird langsam mal Zeit, uns dem Prozess zu widmen. Denn dieser Prozess ist so etwas wie der Gründungsmythos der Philosophie.

Wie bereits gesagt: Sokrates wurde im Jahr 399 v. Chr. angeklagt, die Jugend zu verderben, die schwächere Rede zur stärkeren zur machen und die Götter zu leugnen, stattdessen solle er neumodische Dämonen predigen. Wie kam es zu dieser Anklage? Schauen wir uns doch zunächst einmal die Ausgangslage an:

Ich sagte beim letzten Mal ja noch, dass die Athener cool waren mit gotteslästerlichem Zeug. Das stimmte auch, mehr oder weniger. Allerdings nur bis zum Jahr 432 v. Chr. Da setzten sich die Konservativen durch, denen das zu weit ging mit diesen neumodischen, radikalen und verlotterten Philosophen, die so komisches Zeug behaupteten, wie dass die Sonne ein glühender Stein sei. Und es wurde ein Gesetz gegen Gottlosigkeit erlassen.

Dann hatte ich ja schon erwähnt, dass Krieg herrschte. Von 431 v. Chr. bis 404 v. Chr. fand der Peleponesische Krieg statt. Und doof für Athen war, dass es am Ende gegen Sparta verlor. Athen war zu jenem Zeit eine Demokratie und das war den Spartanern ein Dorn im Auge. Ich meine: Puuh! Kann man sich was schlechteres vorstellen, als das Volk regieren zu lassen? Daher machten die Spartaner dem Spuk ein Ende und setzten „Dreißig Tyrannen“ ein, die jetzt erst einmal richtig aufräumen sollten in diesem Saustall. Doch bereits ein Jahr später, 404 v. Chr. gelingt es den Athenern, die Demokratie wieder zu reinstallieren und 399 v. Chr. schließlich wird Sokrates angeklagt.

Die Anklage

Die Anklage lautete, wie gesagt: Sokrates verderbe die Jugend, sei ein Worteverdreher und sei gottlos. Was ist da dran? Wenn wir der Darstellung von Platon in der Apologie des Sokrates glauben, dann gar nichts. Anderererseits … Der Anklagepunkt vom Verderben der Jugend ist nicht ganz von der Hand zu weisen, wenn man bedenkt, dass gleich drei Schüler des Sokrates antidemokratische Tendenzen zeigten: Alkibiades betrieb erst auf Seiten Athens Kriegstreiberei und wechselte dann mal eben flugs auf die Seite von Sparta, um gegen Athen Krieg zu führen. Kritias gehörte den dreißig Tyrannen an und auch Platon hasste die Demokratie und schrieb später mit dem Dialog „Der Staat“ gewissermaßen die Bibel der Feinde der offenen Gesellschaft.

Sokrates verglich die Politik gerne mit anderen Berufen und meinte, so wie man zum Schuhflicken einen ausgebildeten Schuster brauche, so brauche man zur Staatslenkung auch ausgebildete Staatsmänner und nicht vom Volk gewählte. So plausibel das im ersten Moment klingt, so problematisch ist diese Lehre, die später von Platon ausgebaut wurde. Denn zwar ist da etwas dran: Sicher sollte nur jemand Bundeskanzlerin werden, die auch weiß, wie man Gesetzesentwürfe formal richtig in den Bundestag einbringt. Aber andererseits geht diese Einstellung davon aus, dass es nur eine Art von Wissen gibt. Aber das ist nicht der Fall, denn Politik ist zunächst einmal Ethik: Hinter den allermeisten politischen Entscheidungen steht die Frage, wie wir leben wollen. Und bei der Antwort auf diese Frage gibt es kein richtig oder falsch im gleichen Sinne wie bei der Frage, ob 2 + 2 = 4 ergibt. Wie Sokrates dazu stand, das erzähle ich, wie gesagt, in den nächsten Folgen.

Aber fairerweise muss ich noch erzählen, dass Sokrates aus genau den gleichen Gründen aus denen er die Demokratie kritisierte auch ein Kritiker der 30 Tyrannen war, die er für genauso unqualifiziert hielt wie das Volk. Er soll sich sogar einmal offen einem Befehl der 30 widersetzt haben. Er sollte zusammen mit anderen einen Demokraten verhaften, doch statt dies zu tun ging Sokrates einfach nach Hause und nur der Sturz der Tyrannei ersparte Sokrates wohl einen noch früheren Tod.

Doch zurück zur Anklage: der zweite Vorwurf war, Sokrates würde die schwächere Rede zur stärkeren machen. Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Es gibt eine vorsokratische philosophische Strömung, die „die Sophistik“ genannt wird. Und Sophisten lehrten unter anderem auch Rhetorik. Das war nützlich, da es in Athen keine Anwälte gab, sondern man sich vor Gericht genau wie Sokrates selbst verteidigen musste. Mit den richtigen winkeladvokatischen Kniffen und Tricks konnte man da seinen Kopf aus der Schlinge ziehen, oder in den Worten der unterlegenen Ankläger: Die schwächere Rede zur stärkeren machen. Von seinen Zeitgenossen wurde Sokrates zu den Sophisten gezählt wie uns das Theaterstück die Wolken berichtet, in dem Sokrates als Sophist eine große Rolle spielt. Und wir wissen auch, dass er unterrichtete, wenngleich er sich anders als die Sophisten nicht dafür bezahlen ließ.

Schließlich ist da noch der Vorwurf der Gottlosigkeit, auch mit dem scheint es im wahrsten Sinne des Wortes nicht allzu weit her zu sein. Zwar legte Sokrates während seines Prozesses in einer sehr sophistischen Argumentation dar, dass er nicht zugleich die Götter leugnen könne und neuartige Dämonen predigen, da jeder wisse dass Dämonen die Kinder der Götter sind. Nachdem dann aber das Todesurteil feststand, offenbarte er uns in seinen Abschlussworten seinen wahren Glauben: Der stets kritische Sokrates war Agnostiker, also nicht sicher, ob es Götter bzw. ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht.

Ein Schauprozess

Also ist alles klar? Sokrates was schuldig im Sinne der Anklage? Nun … Der Punkt ist, dass Sokrates vielleicht formal die Anklagepunkte erfüllte, aber dass diese Anklagepunkte zugleich nur vorgeschoben waren. Denn in Wirklichkeit war Sokrates ein Pain in the Ass, eine echte Nervensäge, die Athener Oberschicht wollte ihn loswerden und suchte einen Grund dafür. Es spricht sogar einiges dafür, dass sie Sokrates gar nicht umbringen wollten, sondern sich mit seiner Verbannung oder einem Versprechen, dass er in Zukunft das Maul hält, zufrieden gegeben hätten: Denn der Prozess hatte zwei Phasen: Im Ersten Teil wurde Sokrates Schuld festgestellt und zwar äußerst knapp: Von 501 Richtern stimmten 281 für schuldig und 220 für unschuldig. Im zweiten Teil der Verhandlung ging es um die Festlegung des Strafmaßes und die Kläger plädierten für die Todesstrafe. Doch mit reuigen Worten und einem Versprechen sich zu bessern, hätte Sokrates bestimmt den Kopf aus der Schlinge ziehen können, oder … äh … den Schierling aus dem Becher. Aber Sokrates plädierte, dass die Strafe für ihn, entweder die Speisung im Prytaneion sein solle. Das war im damaligen Athen eine besondere Ehre und kam der heutigen Ehrenbürgerwürde gleich. Oder man solle ihm eine Geldstrafe von 30 Minen auferlegen. Das war wohl ein so lächerlich niedriger Betrag, dass Sokrates gewusst haben muss, dass die Richter ihn nicht akzeptieren würden.

Außerdem machte er klipp und klar, dass er gar nicht daran denke, in Zukunft nicht mehr seine nervigen Fragen zu stellen. Das führte dazu, dass am Ende sogar 361 Richter für seinen Tod stimmten. Also sogar noch einmal 80, die zuvor noch für unschuldig plädiert hatten. Wir können davon ausgehen, dass Sokrates bewusst war, dass sein Plädoyer auf die Todesstrafe hinauslief. Aber sich vom Tod freizukaufen, empfand er wohl als Eingeständnis seiner Schuld.

Doch selbst nach seiner Verurteilung zum Tode sah es nicht so aus, als wollten die Athener ihn wirklich hinrichten. Zunächst wurde die Hinrichtung aus religiösen Gründen verzögert und dann ermöglichten Verbündete Sokrates sogar noch die Flucht, aber Sokrates lehnte dies aus ethischen Gründen ab. Seiner Auffassung von Gerechtigkeit nach, wäre es Willkür gewesen, sich der Strafe zu entziehen und wenn die Athener der Meinung waren, dass das Urteil ungerecht sei, dann müssten sie die Gesetze ändern. So trank er den Schierlingsbecher und wurde zum ersten Märtyrer der Philosophie.

Aber warum waren die Athener so genervt von Sokrates? Das und noch vieles mehr, wie zum Beispiel die Frage, woher wir eigentlich von Sokrates wissen, wenn er nie etwas aufgeschrieben hat, das klären wir beim nächsten mal …

Literatur

Weitere Literaturangaben gibt es bei den nächsten beiden Teilen.

Bilderquellen

Alle Bilder, die ich verwendet habe und die nicht hier auftauchen, sind entweder gemeinfrei oder stammen von mir persönlich. Alle Angaben in chronologischer Reihenfolge.

*Affiliate-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Verschwörungstheorien widerlegen

Jemand gelangte mit der Suchanfrage „Logische Fehlschlüsse Verschwörungstheorien“ auf mein Blog. Das ist ein spannendes Thema, dem ich mich hier widmen möchte. Doch vorweg muss ich die Suchende enttäuschen, denn die Logik kann uns hier nur bedingt weiterhelfen.

Der Mond
Der Vollmond, fotografiert in Hamois (Belgien). Urheber: Luc Viatour. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Das liegt in ihrer Natur: Die Logik ist die Lehre vom formal richtigen Schließen. Dass heißt, sie untersucht Schlussfolgerungen nur anhand ihrer sprachlichen Form, um zu prüfen, ob in dieser Fehler stecken. Der Inhalt der Äußerung interessiert die Logik dabei überhaupt nicht, sie überlässt es der Empirie, der Wissenschaft, zu prüfen, ob dieser Inhalt wahr ist.

Daraus folgt natürlich, dass ich fantastische Welten ohne einen einzigen logischen Fehler erschaffen kann, die dennoch nicht wahr sind. Ein Beispiel: Mit dem klassischen Syllogismus kann ich beweisen, dass es keine Klimakatastrophe gibt…

P1 Ein Klimawandel ist ein ganz natürlicher, ungefährlicher Vorgang.
P2 Wir erleben gerade einen Klimawandel.

C Wir erleben gerade einen ganz natürlichen ungefährlichen Vorgang.

Mit anderen Worten: Diese Wissenschaftler regen sich ohne Grund auf. Es gibt nichts zu befürchten, tanken Sie bitte voll!

Ich kann Verschwörungstheorien aufbauen, die in sich komplett schlüssig sind, daher ist hier die Logik als Waffe oftmals stumpf. Natürlich bleibt der Satz vom Widerspruch wie immer unser wichtigstes Werkzeug. Denn auch in einer Verschwörungstheorie kann etwas nicht zugleich der Fall sein und nicht der Fall sein. Beispielsweise liegt der Widerspruch offen wie der Quellcode von Linux, wenn Nazis einerseits Arier als Über- und Juden als Untermenschen stilisieren, andererseits aber von einer jüdischen Weltverschwörung sprechen, denn wie soll diese denn gegen die vermeintlichen Übermenschen möglich sein?

Aber, auch wenn solche Dummheiten viele Anhänger finden können, sind die spannenden Verschwörungstheorien eben jene, die logisch schlüssig sind. Und bei diesen begehen Kritiker oft den Fehler, sie logisch widerlegen zu wollen, doch für jeden abgeschlagenen Kopf der Hydra wachsen ihr zwei nach. Nein, wollen wir sie zu Fall bringen, dann müssen wir ihr die Beine wegschlagen. Statt zu prüfen, ob in einer Verschwörungstheorie die richtigen Schlüsse gezogen werden, ist viel erfolgsversprechender, zu prüfen, ob von den richtigen Prämissen ausgegangen wird. Das wiederum ist nicht mehr Sache der Logik, sondern jene von Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie.

Über Gewissheit

Die Wissenschaftstheorie gibt uns eine ganze Reihe von Werkzeugen an dir Hand mit denen wir dem Verschwörungstheoretiker begegnen können. Und um mit meinem Muster zu brechen und meine Texte nicht zu vorhersehbar zu machen, fange ich mal mit Wittgenstein an, statt mit ihm zu enden. Die für uns fruchtbaren Gedanken Wittgensteins finden sich in „Über Gewissheit„. Dort setzt sich Wittgenstein mit erkenntnistheoretischem Skeptizismus auseinander. Das ist kein Skeptizismus im Sinne der GWUP, sondern in gewissem Sinne die Verschwörungstheorie der Philosophie, nämlich die philosophische Lehre, dass Erkenntnis prinzipiell unmöglich ist. Dass wir uns also nie sicher sein können, ob die Welt wirklich existiert oder alles nur in deinem Kopf existiert, Thomas D.

Wittgensteins Antwort darauf lautet, salopp gesprochen: wenn du an allem zweifelst, dann musst du auch dein Maul halten. Denn warum zweifelst du am Rest, wenn du nicht an der Bedeutung deiner Worte zweifelst? Sätze stehen nie so isoliert da wie Will Smith in I am Legend, statt dessen ist der Kontext wichtig. Sie erhalten erst in einem komplexen Geflecht mit anderen Sätzen ihre Bedeutung.

Zurück zu unserem Problem: Wenn der Verschwörungstheoretiker einen Aspekt der Tagesschau-Wikipedia-Realität leugnet, dann liegt auch die Beweislast bei ihm. Er muss zeigen, wie seine Theorie sich in diese Realität einfügt. Und dabei ist es wichtig, dass es seine Theorie ist, die sich einfügen muss. Er kann sich nicht lutherisch hinstellen und nicht anders können. Schon Paul [Carl; korrigiert am 11.10.14] Sagan wusste zu sagen: „Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen außergewöhnlicher Beweise„. Oder in den Worten Spidermans: „Aus großer Kraft entspringt große Verantwortung“. Es reicht nicht, zu sagen: „Du kannst eine außergewöhnliche Sichtung am Loch Ness nicht erklären, also gibt es Nessi!“ Die Fakten sprechen zunächst einmal gegen die Existenz eines Monsters im Loch Ness, wenn du also beweisen willst, dass es doch existiert, reicht nicht ein einziges außergewöhnliches Phänomen. Nein, du musst alle meine Argumente entkräften, denn dein Satz ist es, der nicht ins Sprachspiel passt, nicht meiner.

Zahlen und Fakten statt Anekdoten

Oft verläuft das Plädoyer für eine Verschwörungstheorie wie im Falle der Homöopathie und als Argument dafür wird angeführt: „Also mir hat’s geholfen.“ Das aber ist eine Abduktion. Aus dem Einzelfall einer wie auch immer zustande gekommenen Heilung wird auf die Allaussage, dass Homöopathische Mittel wirken, geschlossen. Das ist kein Fehlschluss, sondern eine Schlussform, die wir im Alltag ständig anwenden und die uns auch meistens gute Dienste leistet. Aber es ist dennoch eine sehr unsichere Schlussform. In einem Experiment hat man mal Wölfen den Geschmack an Schafsfleisch verdorben, indem man diesem ein starkes Abführmittel beifügte. Aus dem einmaligen Magenproblemen schlossen die Tiere falsch, dass Schafsfleisch immer unverträglich ist (Leider finde ich den Lin nicht mehr, weswegen ich das hier mal als Anekdote stehen lasse…). o.O

Ein Einzelfall ist letztlich nichts anderes als eine Anekdote, was uns in einer Diskussion mit einem Verschwörungstheoretiker aber weiterbringt, sind Zahlen und Fakten. Im Falle des Klimawandels wären das zum Beispiel die Menge an Kohlendioxid, die die Menschheit jährlich produziert, der genaue chemische Prozess, wie Kohlendioxid das Klima beeinflusst und das Ausmaß des aktuellen Klimawandels verglichen mit solchen aus der Vergangenheit.

Das besten Mittel, um einen Fakt von einer Anekdote zu unterscheiden, kennt jede, die schon einmal eine Grundlagenvorlesung in empirischer Sozialforschung besucht hat: Reliabilität, Validität und Objektivität. Und weil dieses YouTube-Video das viel besser erklärt, als ich es je könnte, gebe ich das Wort an Stephan Georg:

Ockhams Rasiermesser

Ockhams Rasiermesser wird oft auch englisch Ockham’s Razor oder Occam’s Razor genannt, da es auf den englischen Philosophen William of Ockham zurückgeht, der, da er bereits 1288 zur Welt kam vielleicht auch of Occam hieß. Wer weiß das heute schon so genau. Das Prinzip ist ganz einfach und besagt, dass wir, wenn wir zwei oder mehr Erklärungen für ein Phänomen haben, diejenige bevorzugen sollten, die mit weniger Hypothesen auskommt.

Angenommen

P1 Omas gutes Porzellan ist zerbrochen und den Scherben finden sich Kakaoreste.

Und du hast jetzt die Wahl zwischen

P2 Dein Kind wollte sich einen Kakao machen

C Dein Kind hat die Tasse zerbrochen.

oder

P2 Möglicherweise ist dein Nachbar ein Mafiaboss
P3 Daher wurden Ninjas ausgesandt um ihn zu ermorden
P4 Die Ninjas haben sich in der Wohnung geirrt
P5 Die Ninjas sind in deine Wohnung eingedrungen, ohne Spuren zu hinterlassen
P6 Das Kakaopulver ist eigentlich ein seltenes Gift
P7 Die Ninjas wurden irgendwie gestört
P8 Die Ninjas haben überstürzt den Rückzug angetreten

C  Ninjas haben die Tasse zerbrochen

Welche Erklärung ist dann plausibler? Wichtig ist: Erklärung Nummer Zwei ist nicht ausgeschlossen. Es gibt durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Ninjas das gute Porzellan deiner Oma zerbrochen haben, aber sie ist eben seeeeeeeeeehr klein. Doch warum ist das so? Was macht die einfachere Theorie zur besseren? Nun darüber haben die Philosophen lange und oft diskutiert. Die Antwort, die ich hier geben möchte, führt uns zur letzten und stärksten Waffe gegen Verschwörungstheorien. Quasi zum Herrscherring der Wissenschaftstheorie. Für jede unserer Prämissen muss nämlich gelten: dass sie zumindest prinzipiell auch widerlegbar ist. [Edit: Und mit der Zahl der Prämissen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine davon dem Falsifikationsvorbehalt nicht genügt]

Der Falsifikationsvorbehalt

David Hume hat uns in seinem „A Treatise of Human Nature“ das Induktionsproblem hinterlassen: Aus der Tatsache, dass die Sonne bis jetzt jeden Morgen aufgegangen ist, kann ich nicht schließen, dass sie bis in alle Ewigkeit jeden Morgen aufgeht. Denn, wenn sie morgen nicht aufgehen sollte, kann ich meinen Schluss in die Tonne kloppen. Andererseits ist aber die Induktion (das ist der Schluss von einer Reihe von Einzelfällen auf eine allgemeine Regel) unser einziges Mittel in der empirischen Wissenschaft, um wirklich neues Wissen zu gewinnen. Wie kann ich denn dann sicher sein, dass ich mich nicht geirrt habe? Die Antwort lautet einfach: gar nicht, aber genau das kann ich zum Prinzip erheben. Um die Induktion sicherer zu machen, muss ich zunächst alle oben angeführten Prinzipien befolgen:

1. Meine Induktion muss sich ins Geflecht bestehenden Wissens einfügen
2. Meine Induktion muss objektiv sein
3. Meine Induktion muss valide sein
4. Meine Induktion muss reliabel sein
5. Ich muss die Komplexität möglichst weit reduzieren

Wenn ich diese Schritte durchgeführt habe, dann habe ich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass mein Schluss richtig ist. Aber er könnte ebenso falsch sein… Daher gilt für ihn der Falsifikationsvorbehalt. Karl Popper hat uns diesen vererbt, indem er das Prinzip einführte, dass eine Theorie nur so lange als wahr gilt, bis ihr Gegenteil bewiesen wurde. Das Beispiel mit den schwarzen Schwänen kennt wahrscheinlich jeder: Lange Zeit war die Aussage wahr: Alle Schwäne sind weiß. Dann schipperte James Cook nach Australien und entdeckt dort den Trauerschwan und – Booooom! – Unsere Wahrheit zerfiel zu Staub wie ein Vampir im Sonnenlicht (nein, die glitzern nicht!). Ein Schwarzer Schwan reicht, um den Satz „Alle Schwäne sind weiß“ zu falsifizieren.

Doch wie können wir Poppers geheime Superkraft gegen unsere Verschwörungstheoretiker zu Felde führen? Ganz einfach: Wie ich schon sagte, wir erheben sie zum Prinzip. Denn wahr kann nur sein, was auch falsch sein kann. Eine Theorie muss widerlegbar sein, sonst ist sie nur noch eine Geschichte ohne jeglichen Wahrheitsanspruch. Brian kann nicht der Messias sein…

Klassisches Beispiel für den Nicht-Theorie-Status ist die Freudsche Psychoanalyse. Eine psychoanalytische Hypothese kann ich prinzipiell nicht widerlegen, denn wann immer ich ein Argument gegen sie anführe, wird mir der Analytiker entgegenhalten, dass ich das jetzt nur sage, weil mein Unterbewusstsein mir einflüstert, dass ich das jetzt sagen soll. Aber das heißt nichts anderes als:

Vielen Dank fürs Mitspielen aber Sie haben sich eben im großen Wahrheitsquiz disqualifiziert, denn wenn Ihre Theorie nicht falsifizierbar ist, dann kann sie auch nicht wahr sein.

In der Verschwörungstheorie kommt das Argument oft in der Gestalt daher, dass ich jedesmal, wenn ich ein Argument gegen die Verschwörung vorbringe, ebenjenes angeblich nur sage, weil ich Teil der Verschwörung bin. Aber das ist eben kein gültiges Argument, es besitzt keinen Wahrheitswert sondern ist rein sophistisch. Doch das ist eine andere Geschichte, der ich mich schon einmal hier gewidmet habe…

Wenn ihr meine Ausführungen mal in der Praxis erleben wollt, empfehle ich euch Hoaxilla. Alexander und Alexa (die Namen zeigen eindeutig, dass sie Teil der Verschwörung sind!!!11einself) haben schon so manche Verschwörungstheorie unter die Lupe genommen.

Literatur:

Ludwig Wittgenstein: Über Gewissheit (bei Amazon)
David Hume: A Treatise of Human Nature (umsonst und legal bei Gutenberg.org)
Karl Popper: Logik der Forschung (bei Amazon)

Update:

Das Buch gibt’s hier.

 

Ich bin raus!

Sophistik für den Hausgebrauch

Wir schreiben das Jahr 432 vor Christus. Wir befinden uns auf dem Marktplatz von Athen. Ein kleiner, unglaublich hässlicher Mann diskutiert dort mit dem berühmten Philosophen und Rhetoriker Protagoras. Dabei steht ein breitschultriger, junger Mann und hängt gebannt an den Lippen des kleinen Hässlichen. Der kleine Mann ist Sokrates und der Breitschultrige Platon.

Jener Platon hat später viele Bücher geschrieben, in Dialogform und seinen Gesprächsführer in diesen Dialogen nannte er stets Sokrates. So baute Platon Sokrates ein Denkmal, verbreitete seine eigene Philosophie in der Welt und mit ihr, geschickt in jenen fiktiven Dialogen transportiert, seine Ansichten, was gute, und was schlechte Philosophie ist.

Athens from the Foot of Mount Anchesmus. Von Edward Dodwell: Views in Greece, London 1821, p. 63. Lizenz: PD-US.
Athens from the Foot of Mount Anchesmus. Von Edward Dodwell: Views in Greece, London 1821, p. 63. Lizenz: PD-US.

Skeptische Bewegung

Die Sophistik war eine heterogene skeptische Bewegung, die in der Ethik überwiegend relativistische Positionen und in der Epistemologie wiederum überwiegend einen Erkenntnisskeptizismus vertrat. Sophist war ursprünglich nicht negativ konnotiert sondern entsprach etwa dem Ausdruck „Gelehrter“ oder „Professor“. Der Ausdruck wurde allerdings noch von den Zeitgenossen negativ umgedeutet. Philosophie war als Antwort auf die Religion entstanden und wurde mit ähnlichem Pathos betrieben. Philosophen lebten oft in ordensähnlichen Akademien zusammen. Auf eine solch dogmatische Institution wirkte eine philosophische Bewegung, die behauptete, dass es keine Wahrheit gebe und dass der Mensch das Maß aller Dinge sei – „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der Seienden, dass sie sind und der Nichtseienden, dass sie nicht sind.“ ist das berühmteste Zitat von Protagoras und nebenbei ein performativer Widerspruch -, geradezu obszön. Die Sophisten verdienten ihren Lebensunterhalt, indem sie gegen Geld Rhetorik und Logik lehrten. Insbesondere vor Gericht waren rhetorische Fähigkeiten unerlässlich, um vor den Laiengerichten des alten Athens den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Es ist ein Hohn wie viele C4-Professoren in die Kritik des reichen Aristokratensohnes Platon einstimmten, dass sich Sophisten für ihre Dienste bezahlen ließen.

Fußnoten zu Platon

Gute Philosophie ist logische Philosophie. Philosophie, die der Wahrheit hinterher jagt und „Was ist…?“-Fragen stellt. Zwar hat wiederum Aristoteles der berühmteste Schüler Platons später den Ruhm geerntet, dass er die Logik gewissermaßen erfunden hat, aber eigentlich hat er sie nur freigelegt. Sie steckt nämlich einerseits und implizit in uns allen, und andererseits auch schon explizit, in ausgearbeiteten Regeln in den platonischen Dialogen. Aristoteles‘ Leistung besteht zum größten Teil daraus, dass er die Kernaussagen seines Lehrers genommen und in Traktatform gepackt hat, wodurch er die Form der philosophischen Abhandlung bis heute maßgeblich bestimmte. Doch die Art und Weise, wie wir heute Philosophie und mit ihr Logik betreiben, wurde durch Platon geprägt. Passender wie kein anderer hat das Alfred N. Whitehead auf den Punkt gebracht: „Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht.“

Platon prägte unsere Sicht auf gute Argumentation und auf schlechte Argumentation. Und die schlechte versah er in seinen Dialogen immer wieder mit dem Namen seiner Widersacher: sophistisch. Der Sophist ist doof, weil er kein Interesse hat an der Wahrheitsfindung, stattdessen wird der Sophist rhetorisch, er spielt mit Worten, versucht so ständig dir das Wort im Munde umzudrehen. Er will nicht überzeugen, er will überreden. Ihm geht es nicht um den zwanglosen Zwang des besseren Arguments sondern ums Gewinnen.

Das sehen wir sehr gut am folgenden platonischen Dialog (zitiert nach Bertrand Russell):

– Sage mir nämlich, hast du einen Hund?

– Ja, und einen gar bösen, antwortete Ktesippos.

– Hat dieser Hund auch Junge?

– Jawohl, und zwar solche, die auch nicht gutartig sind.

– Es ist also dieser Hund ihr Vater?

– Ich sah ihn selbst, antwortete Ktesippos,die Hündin bespringen.

– Wie nun, ist der Hund nicht dein?

– Ja freilich.

– Ist er folglich nicht als Vater dein, und wird nicht mithin der Hund dein Vater und du der jungen Hunde Bruder?

Russell: Philosophie des Abendlandes, S. 98.

Protagoras soll sogar einem seiner Schüler gesagt haben, dieser müsse erst bezahlen, wenn er seinen ersten Prozess gewonnen hat. Anschließend hat Protagoras den Schüler auf Auszahlung des Honorars verklagt.

Kleine Zutatensammlung des Sophisten

Und damit sind wir wieder bei dir, liebes Internet. Denn in all deinen Debatten neigst du allzu oft dazu sophistisch zu werden. Damit bist du gewiss nicht allein, sondern im Gegenteil in bester Gesellschaft. Politiker etwa lieben Sophismen. Aber wenn du schon etwas machst, dann mach es wenigstens richtig und benutze alle Haken und Ösen.

Wir alle benutzen Sophismen und argumentieren nie ganz objektiv und vernunftgeleitet. Wir wollen Recht behalten. Widerlegt zu werden ist nie schön und kratzt an unserem Narzissmus. Viele dieser Sophismen sind dabei so banal, dass es unter meiner Würde ist, sie in dieser kleinen Anleitung zum Sophismus extra zu erwähnen. Ich meine so Sachen wie Übertreiben, Untertreiben, Lügen oder Erpressen. Den hier aufgeführten Sophismen ist eigen, dass sie allesamt wesentlich subtiler funktionieren.

Wenn wir die antike Sophistik, wie Wilhelm Capelle, als eine Art Aufklärung ansehen. So stelle ich mich mit dieser – im übrigen unvollständigen und diskussionswürdigen – Liste in diese Tradition. Sie dient nur dem Zwecke, euch besser zu machen, wenn ihr die sachliche Auseinandersetzung verlasst und euch auf den Pfad des Sophisten begebt. Um Ergänzungen bitte ich im Übrigen ausdrücklich. Also, los geht’s: alle Mann und Frau gut aufgepasst!

TV Shows We Used To Watch - 1955 Television advertising. Urheber: Paul Townsend. Lizenz: CC BY-SA 2.0.
TV Shows We Used To Watch – 1955 Television advertising. Urheber: Paul Townsend. Lizenz: CC BY-SA 2.0.

Das Namedropping

Wenn man inhaltlich nicht mehr weiterkommt, ist Namedropping ein gutes Mittel um argumentative Überlegenheit herzustellen. Du lässt dann einfach die Namen bekannter Autoritäten fallen, die argumentativ auf deiner Seite stehen. Wenn Sokrates, Platon und Aristoteles erst einmal die Reihen hinter dir geschlossen haben, kann dein Gegner nur noch verlieren.

Das Fachjargonstakkato

Alternativ zum Namedropping bietet es sich dir auch immer an, einen Fachausdruck an den anderen zu reihen um so dein Gegenüber möglichst gründlich mit deiner Wortgewalt zu überfahren. Immer wieder vor und zurück, bloß keine Lücke entstehen lassen, nur wenn er dich nicht versteht, kann er ganz sicher nichts Vernünftiges antworten.

Das Definitionsspiel

„Wie meinst du das?“, „Was verstehst du da drunter?“. Klar ist es wichtig, sich über die Bedeutung von Grundbegriffen klar zu werden, aber da man Definitionen nur mit Hilfe von Worten geben kann, die ihrerseits ja auch wieder definitionswürdig sind, kann man das Definitionsspiel ad infinitum spielen. In dem Fall ist man natürlich nicht mehr an einer argumentativen Lösung interessiert, sondern hat den Weg des Sophisten eingeschlagen. Nur zu!

Das Überlegenheitsargument

Keine Lust, alles, was du sagst auch zu erklären? Dagegen hilft hervorragend das Überlegenheitsargument: „Das kannst du nicht verstehen, denn du hast Kant nicht gelesen.“, „Dafür muss man Philosophie studiert haben, daher kannst du leider nicht mitreden.“

Die Ehrverletzung

Argumentativ in eine Sackgasse geraten? Kein Problem: Nimm das letzte Argument deines Opponenten einfach persönlich: „Das tut mir jetzt echt weh, dass du das sagst.“ Und schon musst du dich nicht mehr inhaltlich damit auseinandersetzen.

Der Psychologismus

Das Gegenstück zur Ehrverletzung ist der Psychologismus. Du kannst deinem Opponenten bei argumentativer Schwäche immer noch klarmachen: „Das sagst du nur, weil dein Unterbewusstsein es dir einflüstert.“

Die Interessenvertretung

Eine Spielart des Psychologismus‘ ist Interessenvertretung. Ist dein Gegenspieler nicht durch seine inneren Dämonen gesteuert, so muss er zwangsläufig fremdgesteuert sein. Sehr beliebt ist dieser Sophismus bei Verschwörungstheoretikern: „Das sagst du nur, weil die Mafia hinter dir steckt.“

Die Umdeutung

Dein Diskutant sagt etwas, das dir nicht passt? Dann hat er sicher das Gegenteil gemeint. Die Umdeutung ist sehr beliebt bei Chauvinisten: „Wenn du ’nein‘ sagst, meinst du eigentlich ‚ja‘.“

Die falsche Voraussetzung

Wenn du es geschafft hast, die falsche Voraussetzung zu etablieren, kannst du auf ihr wunderbar Luftschlösser aufbauen: „Da wir alle wissen, dass die Erde eine Scheibe ist, können wir auch über ihren Rand fallen.“

Das Faktenschaffen

Ich habe vor einer Weile den Sein-Sollen-Fehlschluss hier behandelt. Den kann man natürlich wunderbar einsetzen, um Fakten zu schaffen, die eigentlich Normen sind. Aber das Faktenschaffen beschränkt sich nicht auf ein Umwandlung von Wertvorstellungen in Tatsachenbehauptungen. Er lässt sich ganz allgemein wunderbar einsetzen, um aus einer Meinung eine Tatsache zu machen: „Das ist bekannt!“

Wie gesagt: haut Ergänzungen in die Kommentare, damit wir alle ein bisschen manipulativer werden!

Literatur:

Alfred North Whitehead: Prozeß und Realität.

Gebe ich hier brav an, weil ich oben daraus zitiere (Ja, so macht man das, Herr Guttenberg), habe ich aber nicht gelesen, daher kann ich auch nichts weiter dazu sagen.

Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes.

Eine wundervolle Reise des Literaturnobelpreisträgers durch die Geschichte der Philosophie immer verortet im geschichtlichen und sozialen Kontext. Allerdings nicht neutral oder objektiv geschrieben, sondern aus seiner analytisch-liberalen Position heraus.

Wilhelm Capelle: Die Vorsokratiker.

Objektiver als Russell aber auch wesentlich trockener legt Capelle die Fragmente der Vorsokratiker dar und mit ihnen auch die Sophisten. Immer schön in erklärende Kontexte gerückt. Wobei es manchmal erstaunlich ist, wie viel man aus einem noch so kleinen Textschnipsel herauslesen kann.

Platon: Sophistes. (Auf Englisch gemeinfrei) Oder auf Deutsch bei Amazon.

Einer der großen, der Meisterdialoge aus dem Spätwerk Platons. Platon lässt Protagoras höchstpersönlich als Gegenspieler Sokrates auftreten und schlecht wegkommen. Der performative Widerspruch ist nur eines der Probleme die er uns hier hinterlassen hat.

Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann lies doch auch diesen und jenen.

 

 

Ich bin raus.