Neue Narrative setzen und alte Narrative brechen

Ich wollte schon seit längerem ein Stück über Narrative schreiben, da ich den Begriff und seine derzeitige Verwendung sehr spannend finde. Ohne das irgendwie empirisch belegen zu können, habe ich das Gefühl, dass „Der Diskurs“ als zentrales akademisches Leitmotiv vom „Narrativ“ abgelöst wurde.

Ein Rabe hinter Gittern. Wenn ihr die Metapher verstanden habt, erklärt sie mir bitte...
Ein Rabe hinter Gittern. Wenn ihr die Metapher verstanden habt, erklärt sie mir bitte…

Während meines Studiums in den Nullerjahren schien sich noch alles um Dikurse zu drehen. Der öffentliche Diskurs wurde geführt, Diskurse lösten sich ab und uns wurden Diskurse aufgezwungen. Ich habe den Begriff im Rahmen von Habermas’ Diskursethik kennengelernt, weiß aber nicht ob er von Habermas auch im Original stammt, oder ob er schon zuvor in der Soziologie gebräuchlich war. Über Hinweise wäre ich sehr dankbar. Soziologisch ist der öffentliche Diskurs eine über Zeit und Raum sich erstreckende Diskussion zu einem Thema, das in der Gesellschaft strittig ist. Beispielsweise sind zwei seit Jahren aktuelle Diskurse der richtige Umgang mit der Eurokrise und der Atomausstieg. Politiker, Zeitungen und andere Massenmedien melden sich in so einem Diskurs genauso zu Wort wie Wissenschaftlerinnen und die kleine Bürgerin, wenn sie zum Demonstrieren auf die Straße geht oder eben blogt.

Diese Diskurse, so mein ganz persönlicher Eindruck, wurden mittlerweile von Narrativen als Buzzword abgelöst. Die Diskurse selbst bleiben ja bestehen, wie ich an den beiden Beispielen oben vorführen wollte, aber die Intellektuellen reden im Metadiskurs weniger über sie und ihre Existenzbedingungen. Stattdessen ist man in der Metabetrachtung vom Diskutieren zum Erzählen übergegangen. Kulturpessimisten könnten das als Symptom dafür ansehen, dass heutzutage weniger miteinander gesprochen oder sich weniger zugehört wird. Stattdessen erzählen alle ihre eigene Geschichte. Aber ganz sachlich betrachtet, liegt der Wechsel des Buzzwords wohl daran, dass Diskurse nur existieren können, wenn es ein Narrativ gibt. Juna im Netz liefert uns hierfür eine knackige Definition:

„Narrative: Meme, die den Diskurs eröffnen und in der Lage sind, auch die Menschen zu erreichen, die bisher nicht daran teilnehmen.“

Wir brauchen also erst einmal eine Erzählung, die geeignete Sprache, um einen Diskurs zu eröffnen. Ich finde eines der eindrücklichsten Beispiele für ein sehr wirkungsmächtiges Narrativ waren die Frankfurter Prozesse. Dort wurden in den 1960er Jahren die Verbrechen von Auschwitz verhandelt und vor allem: weitgehend zum ersten Mal erzählt. Der deutschen Öffentlichkeit wurde von dem Grauen erzählt, das die Nazis in Auschwitz errichtet hatten. Und erst mit dieser öffentlichen Erzählung wurde der öffentliche Diskurs angestoßen. Das Narrativ „Man hat es ja nicht gewusst“ wurde gebrochen. So wurde der gesellschaftliche Wandel eingeleitet, der in die 68er-Generation mündete.

Wenn Blogger Geschichten erzählen

Heute, so wird es sich im Internet erzählt, brauchen wir wieder ein solches Narrativ um einen Diskurs anzustoßen, von dem wir alle hoffen, dass er uns in eine bessere Gesellschaft geleitet.

Es soll dahinten in der Ecke ja noch jemanden geben, der oder die die letzte Woche unter einem Stein gelebt und noch nichts von der re:publica mitbekommen hat. Die re:publica ist diese „Bloggerkonferenz“, wie sie in großen Medien noch immer oft genannt wird. Und eines der ganz großen Themen dort war eben die Suche nach neuen Narrativen gegen die Totalüberwachung. Damit wir endlich erfolgreich einen Diskurs anstoßen können.

Am meisten Aufmerksamkeit erhielt Sascha Lobo mit seiner Rede „zur Lage der Nation“, in der er einige streitbare These präsentierte, über die seither — wie jedes Jahr über die Vorträge von Lobo — auch tatsächlich gestritten wird.

Ein Aspekt ist dabei nicht bloß von mir als der wichtigste erkannt worden: Lobo griff das Thema auf, dass wir eine neue Sprache für und über die „Totalüberwachung“ brauchen. Er schlug vor dass wir nicht mehr von „Spähskandal“ oder „Geheimdienstaffäre“ sprechen, weil Affären und Skandale vorübergehen, die Totalüberwachung aber bleibt. Statt dessen wollte Lobo, dass wir andere Begriffe verwenden, die die Situation besser beschreiben: „Spähangriff“, „Spitzelattacke“ oder eben „Totalüberwachung“. Lobo schlägt vor, dass wir Geheimdienste „Spähradikale“ nennen. Wir sollen sie als „antidemokratisch“, „grundrechtsfeindlich“ und „sicherheitsfeindlich“ brandmarken. Geheimdienste „leiden an Kontrollsucht“ und „Spähfanatismus“. Und die unbewiesene, wenn nicht gar widerlegte Wirkung von Überwachung sollen wir als „Sicherheitsesotherik“ entlarven.

Den wichtigsten Talk zu neuen Narrativen hielt allerdings Friedemann Karig, dessen Vortrag mir in der Nacharbeitung neben Lobos so oft wie kein anderer in die Filterblase gepustet wurde.

Karig kritisierte, dass wir die Totalüberwachung noch immer mit veralteten Symbolen wie „1984“, „Stasi“ oder „Gläserner Bürger“ anprangern. Weiterhin hebt Karig hervor, wie wichtig es ist, auch die anscheinend viel wirkvolleren Narrative unserer Gegner zu brechen: „Ich habe doch nichts zu verbergen“, „Supergrundrecht“, „wir sammeln doch nur Metadaten“, „Google, Facebook und Co. sind der Feind“ und „man kann eh nichts tun“.

Das ist ein spannender Punkt aber vielleicht noch wichtiger ist, dass Karig als einer der ganz wenigen mal mit empirischen Studien auf die Frage eingeht, warum Überwachung schlecht ist. Die meisten von uns sprechen immer davon, dass Überwachung schlecht ist. Für uns ist das klar, wir sind davon überzeugt und brauchen das gar nicht weiter zu begründen. Aber für die Bürger da draußen ist das nicht so klar, wie ich in der Vergangenheit schon einmal geschrieben habe. Daher sind die Antworten von Karig auf das
„Warum ist Überwachung schlecht?“ so wichtig:

  • Überwachung macht krank
  • Überwachung macht verletzlich (das Individuum und die Gesellschaft)
  • Überwachung macht unsere Demokratie kaputt
  • Überwachung macht dumm
  • Überwachung macht primitiv
  • Überwachung macht ohnmächtig aka. Überwachung macht impotent
  • Überwachung klaut
  • Überwachung ist unmenschlich

 

Für die ausführliche Begründung dieser Thesen lege ich euch ganz dringend ans Herz, den Vortrag Karigs anzuhören!

Der von mir sehr verehrte Felix Schwenzel läutete dann noch während der re:publica die Nachbearbeitung ein und griff in seinem sehr aktuellen Beitrag beide oben genannten Vorträge auf:

Hier gibt es den Vortrag auch zum Nachlesen.

Er machte noch einmal klar, dass eines der wichtigsten aktuellen Narrativen „Angst“ ist. Der Staat hat Angst vor Terror, die Sicherheitsbehörden haben Angst vor Versagen und wir haben Angst vorm Staat. Schwenzel sagt, dass niemand den Satz: „Überwachung gefährdet die Demokratie“ mehr hören will, da die Menschen nicht daran glauben. Wir sehen doch, dass die Demokratie läuft, obwohl es die Totalüberwachung gibt.

Als Gegenentwurf präsentiert Schwenzel die Macht der Bilder am Beispiel der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und verwies auf vier parallelen zwischen der Bürgerrechtsbewegung und der Antiüberwachungsbewegung:

  • Wenig gesellschaftlicher Rückhalt
  • Wenig politische Unterstützung
  • Viel Kritik aus den eigenen Reihen
  • Und die These: Wer nicht schwarz ist, hat auch nichts zu befürchten

Weiter sieht Schwenzel ein Problem darin, dass wir die Überwachung zu sehr aufbauschen, also gewissermaßen zu starke Narrative beschwören, dass wir nicht klar genug definiert haben, wer unsere Gegner sind und dass uns drittens die geeigneten Symbole fehlen. Gegen die Wirkungsmächtigen Bilder vom „Kampf gegen den Terror“ kommen wir mit angestaubten Begriffen wie „Datenschutz“, „Privatsphäre“ und erneut „Gläserner Bürger“ nicht an. Schwenzel fährt fort, dass wir auch umdenken müssen und die Konzepte von Privatsphäre und Freiheit neu denken müssen. Wir sollten weniger schwarz malen, sondern mehr Pragmatismus an den Tag legen. Wir sollen das System bespielen.
Schwenzels Forderung sind der Dreiklang:

  • provozieren
  • (Täter) benennen
  • und verspotten

Go, tell it on the mountain…

Die Nachbearbeitung der re:publica griff sodann Anatol Stefanowitsch auf, indem er sich mit Sascha Lobos Suche nach neuen Begriffen auseinandersetzte. Stefanowitsch hält die Angriffsmetaphern, die Lobo vorschlug, für ungeeignet und betont, dass das Besondere der Gefahr ist, dass sie unsichtbar ist, dass wir sie nicht bemerken.

„Stattdessen bräuchten wir einen Frame, der zu einer unsichtbaren Gefahr passt, die jahrelang unbemerkt und folgenlos bleiben und dann plötzlich akut werden kann. Mir fallen spontan zwei solche Frames ein, die beide gut in deutschen Angstdiskursen verankert sind: Der VERUNREINIGUNGS-Frame und der KRANKHEITS-Frame.“

Anatol Stefanowitsch: Spähmetaphorik und ihre Grenzen [re:publica]

Stefanowitsch schlägt daher Begriffe wie „Spähgeschwür“ und „Spitzelparasiten“ vor. Die Verunreinigungsmetapher in Form von Radioaktivität bereitet ihm dann aber selbst in der Umsetzung einige Probleme:

„Allerdings ist Radioaktivität selbst nur schwer fassbar, und Wörter wie Spähradioaktivität oder Spitzelstrahlung klingen deshalb sehr konstruiert und unverständlich.“

Anatol Stefanowitsch: Spähmetaphorik und ihre Grenzen [re:publica]

Als Nachtrag unterbreitet Anatol Stefanowitsch dann auch noch Dierk Haasis’ Vorschlag Raubtiermetaphern zu verwenden.

Einen habe ich noch: Michael Seemann geht diverse Talks durch und warnt vor allem vor unangebrachten Metaphern. Leider begründet er das insgesamt zu wenig, , wenn er etwa sagt, dass es geschmacklos ist, die Totalüberwachung mit der AIDS-Epedemie zu vergleichen. Besonders kann ich folgendes nicht nachvollziehen:

„Ebenso unpassend ist der Vergleich mit der rassistischen Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung im Amerika der 60er Jahre, den Felix Schwenzel bemüht.“

mspro: re:publica 2014 – Deutschland sucht das Supernarrativ

Denn Felix Schwenzel hatte die amerikanische Bürgerrechtsbewegung nicht in ihrer moralischen Tragweite oder in der Form der Unterdrückung mit der Totalüberwachung vergleichen, sondern sie ja lediglich als Beispiel für eine erfolgreiche Agenda verwendet, in der eine unbeachtete Bevölkerungsgruppe sich und ihrem Problem erfolgreich Aufmerksamkeit verschafft hat.

Seemann schließt damit, dass er nicht glaubt, dass fehlende Narrative das Problem sind, sondern dass unser Überwachungsbegriff kaputt ist und verweist auf seinen eigenen Beitrag für Deutschlandradio Kultur.

Das Warum und die alten Narrative

So, und was mache ich jetzt mit dieser vorläufigen Chronik? Mir Gedanken! Ich glaube schon, dass die Sache mit den Narrativen Teil des Problems ist. Klar ist Sprache nie die alleinige Lösung, aber ohne Sprache können wir unser Problem einfach nicht artikulieren.

Ich finde in den Vorträgen und Artikeln oben, kommen noch zwei Aspekte zu kurz. Auch wenn sie hier und dort anklingen. Zum einen, und damit hat Karig begonnen, aber wir müssen es weiterführen, müssen wir erklären, warum Überwachung doof ist. Wir versteifen uns fast immer zu sagen, dass es so ist. Aber, ich wiederhole es noch einmal, glaube ich nicht, dass die Mehrheit der Menschen unsere Ansicht teilt. Daher müssen wird erklären, warum es scheiße ist, wenn die Geheimdienste unsere Mails lesen und durch unsere Webcams gucken, auch wenn wir deshalb nicht mit einem Dronestrike zu rechnen haben.

Der zweite und noch wichtigere Punkt ist, dass wir nicht bloß neue Narrative setzen müssen, sondern auch eines brechen müssen. Wir müssen das Narrativ vom Kampf gegen den Terror zermürben. Denn mit dem Buzzword „Terror“ wird seit 2001 jede nationalstaatliche Sauerei gerechtfertigt.

Aus dem Buzzword „Terror“ ist noch nie etwas Gutes entstanden.

Daher müssen wir den Leuten klar machen, dass der Terror nicht unser Problem ist, dass fettiges Essen gefährlicher ist als Bomben und dass Geheimdienste Anschläge wie den in Boston eben trotz dem Backup all unser Passwörter nicht verhindern können. Als unglaublich wertvolles Lehrstück empfehle ich hier übrigens den Roman von Maj Sjöwall, Per Wahlöö: Die Terroristen*, in dem genau dieses Szenario aufgeführt wird: trotz massiver Polizeimaßnahmen kann dort ein Terroranschlag nicht verhindert werden. Warum, sag ich mal nicht, um nicht das Ende zu spoilern. Daher müssen wir den Kampf gegen den Terror beenden und mit dem Kampf für unsere Grundrechte beginnen, indem wir anfangen, die richtigen Geschichten zu erzählen…

 

Ich bin raus!

 

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Brecht, Rawls, Fefe

Fefe empört sich über das Narrativ, dass sich keiner für den NSA-Skandal interessieren würde. Ich habe meinen Verdacht, warum das so ist, ja bereits hier niedergeschrieben. Gibt es da eigentlich mittlerweile Umfrageergebnisse dazu?

Nun, dass Fefe empört ist, ist ja nichts besonderes, auch wenn er, wie so oft, allen Grund dazu hat. Aber, was ich spannend fand, war dieses Absatz:

Dass die Leute weiterhin die CDU und SPD wählen, liegt an der Bedürfnispyramide. Dinge wie Versammlungsfreiheit, Postgeheimnis, Unverletzlichkeit der Wohnung, das hat für die Menschen eine viel niedrigere Priorität als ein Dach über dem Kopf und Essen auf dem Teller haben. Hier hat die Merkel zwar keine Besserung gebracht, aber sie hat das nächstbeste getan und Griechenland in Schutt und Asche gelegt. Das hat die Deutschen daran erinnert, wie gut sie es haben und wie schnell es zivilisatorisch bergab gehen kann.

Quelle: Fefes Blog

Das ist ja das Brechtsche Diktum: Erst das Fressen, dann die Moral.* Interessant ist das vor allem, da John Rawls in seinem Gedankenexperiment „Schleier des Nichtswissens“ meint, die Menschen würden sich, wenn sie sich auf einen Gesellschaftsvertrag einigen würden, ohne dass sie wissen, welche Position sie in dieser Gesellschaft einnehmen, sich zunächst auf unveräußerliche Menschenrechte einigen. Klar, der Überlebenswille steht immer über dem, aber geht es den Menschen in Deutschland wirklich so schlecht, dass sie Angst um ihr täglich Brot haben müssen? Sodass sie keine Zeit dafür finden, Angst um ihre Freiheit zu haben? Und wenn das so ist, könnte man ketzerisch fragen: Hat dann Friedrich nicht vielleicht sogar Recht, dass Sicherheit das Supergrundrecht ist (im Sinne von Recht auf Überleben)?

 

Ich habe keine Antwort daruaf und es ist nun Zeit für mich zu gehen, aber Ihr seid noch jung und könnt weiter darüber nachdenken. Wenn ihr eine Antwort habt, dann lasst sie mich wissen…

Literatur

Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit.*

 

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Das Kabinett der GroKo in Worten, Bildern und Videos

Ganz frisch wurde die zum Wort des Jahres gekürte große Koalition auch vereidigt. Ein feierlicher Staatsakt, der fast vergessen macht, mit wem wir es hier zu tun haben. Na kennt ihr sie, unsere neue Truppe?

Ähm ja?
Quelle: Reactiongifs

Doch unsere Kanzlerin und ihre Minister sind nicht bloß Experten und verantwortungsbewusste Führer (ja, die Konnotation ist mir bewusst) unseres Landes, sie haben auch eine Vergangenheit. Kennt ihr die noch? Oder hat euch der Glanz dieser Zeremonie so geblendet dass ihr die Gurkentruppe, Zensursula und Guantanamo Bay schon vergessen habt. Ah ja, genau, da war noch was…

Lasst uns doch mal einen Blick werfen in die Vergangenheit unseres Kabinetts.

Angela – die ruhige Hand – Merkel

 

Beginnen soll alles mit der Bundeskanzlerin. Erinnert sich noch jemand an ihren Vorgänger? Das war ein Typ namens Gerhard Schröder, der auch gerne mal „Genosse der Bosse“ genannt wurde, weil er trotz SPD nicht so viel mit Sozialpolitik am Hut hatte. Uns Gerhard hatte auch ein paar gute Jahre. In denen wollte er nicht so viel kaputtmachen mit schlechten Ideen wie Regieren oder so. Also erhob er das Nichtstun zur Staatsraison und nannte es: „Die Politik der ruhigen Hand“. Angela Merkel, damals Oppositionschefin sah das freilich ganz anders:

„Der Bundeskanzler drückt sich, statt zu handeln.“

Quelle: Tagesspiegel

Ein paar Jahre später war sie dann selbst an der Macht und musste sich der Frage stellen: soll ich wichtige Reformen angehen und damit dann an alten Besitzständen kratzen? Nun ja, ihr kennt die Antwort… Dass sie damit grandiose Beliebtheitswerte unter den Wählern einstreicht, hängt sicher auch damit zusammen, dass ihre Untergebenen handelnd nicht gerade Glanzlichter sind. Wie zum Beispiel:

Sigmar – Ich mache mir die Welt wide-wie sie mir gefällt – Gabriel

Unser neuer Wirtschafts- und Finanzminister hat sich erst kürzlich in die Herzen der Nation gelogen. Als er auf die Frage, warum er die Voratsdatenspeicherung wieder einführen will, die das Bundesverfassungsgericht als Grundgesetzwidrig erklärt hatte, sich die Welt einfach mal mit folgendem Satz zurechtbog:

„… durch die dortige Vorratsdatenspeicherung, wusste man sehr schnell, wer in Oslo der Mörder war (…). Das hat sehr geholfen.“

Quelle: Zeit

Damit bezieht er sich auf das Attentat in Norwegen von Anders Breivik. Was unser Siggi dabei aber mal ganz aus Versehen unter den Tisch fallen lässt, ist nicht bloß, dass Breivik nicht durch Vorratsdatenspeicherung überführt wurde, sondern weil er auf frischer Tat, blutverschmiert, beim Kinderabmetzeln erwischt wurde. Nein, obendrein vergisst Gabriel auch noch, dass Norwegen damals noch gar keine Vorratsdatenspeicherung hatte.

Dass man es aber mit den Grundrechten in der SPD-Spitze anscheinend eh nicht so eng sieht, sieht man an:

Frank Walter – „Klar, behaltet den Kurnaz ruhig in Guantanamo“ – Steinmeier

Unser neuer Außenminister, der nach einer kleinen Pause den Job wieder antreten darf, legt seinerseits nämlich die Unschuldsvermutung mal gerne etwas großzügig aus. Wir erinnern uns: nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatten die USA das menschen- und völkerrechtswidrige Gefängnis in der Guantanamo Bay auf Kuba gegründet. Sie taten das, um dort Menschen ohne Gerichtsverfahren wegzusperren, die sie als „feindliche Kämpfer“einstuften, weil sie als Kriegsgefangene zu viele Rechte gehabt hätten.

Dumm nur, wenn du zur falschen Zeit am falschen Ort bist. So wie etwa Murat Kurnaz, der nach Auffassung von BND und Verfassungsschutz „nie terroristisch tätig“ war. Gut, ist jetzt dumm gelaufen, dachten sich die Amis und meinten, Schwamm drüber, schicken wir den halt zurück nach Deutschland und das bisschen Folter hat doch (fast) keinem weh getan. Doch da hatten sie die Rechnung ohne den damaligen Kanzleramtsminister Frankyboy gemacht. Denn der wollte Kurnaz nicht wieder nach Deutschland lassen. Scheiß auf „Jeder Mensch gilt als Unschuldig bis zum Beweis seiner Schuld“, scheiß auf den Rechtsstaat und seine ordentlichen Gerichtsverfahren und scheiß auf das Folterverbot. Denn, so Steinmeier:

„Ich würde mich heute nicht anders entscheiden“ Er begründete seine Entscheidung mit der Einstufung von Kurnaz als Sicherheitsproblem durch die deutschen Behörden.“Man muss sich ja nur vorstellen, was geschehen würde, wenn es zu einem Anschlag gekommen wäre“, so der heutige Außenminister, „und nachher stellte sich heraus: Wir hätten ihn verhindern können.“

Quelle: SpOn

Der Steinmeier...
Quelle: Fernsehen. 😉

Gegen solche unverfrorene Verfassungsfeindlichkeit ist der Rest des Kabinetts eigentlich kaum noch der Rede wert.

 

Thomas – Flugsicherheit wird überbewertet und überhaupt waren das nur meine Mitarbeiter – de Maizière

Krieg

Es ist schon bezeichnend, dass der neue und alte (also der vorletzte oder so) Innenminister fast schon einer der Kompetentesten unseres neuen Kabinetts ist. Aber auch der Kumpane hat so seine Leichen im Keller. So war ihm bis vor kurzen nicht klar, dass eine unbemannte Drohne, die so schön vor sich hinfliegen soll, sich an deutsche Gesetze, an so einen Blödsinn wie Flugsicherheit, zu halten hat. Das Ding soll ja bei anderen dafür sorgen, dass sie sich unsicher fühlen, warum soll es dann sicher fliegen können? Als seine Wissenslücke dann aufflog, dachte sich der Thommi: Kein Problem, opfere ich halt ein paar Bauern:

Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat in einer Bewertung der internen Vorgänge zur Drohnen-Affäre in seinem Ressort seine beiden engsten Mitarbeiter heftig kritisiert: „Ich wurde unzureichend eingebunden“

Quelle: SpOn

Ja, das ist natürlich doof, wenn man als Chef unzureichend eingebunden wird in seine eigenen Projekte. Da kann man dann ja auch nichts mehr machen… Also schnell weiter zu:

Heiko – Paintball ist böse – Maas

Das Justizministerium, das aus irgendeinem obskuren Grund nun auch für Verbraucherschutz verantwortlich ist, übernimmt dieser Herr mit dem einfachen Weltbild. Ja gut, was soll man da sagen. Über den Effekt von Ego-Shootern streiten sich die Gelehrten. Aber in manch schlichtem Gemüt sind nicht bloß die, sondern auch Paintball gewaltverherrlichend. Ich frage mich, ob Herr Maas in der Schule Brennball gespielt hat oder Räuber und Gendarm. Das gehört alles verboten!

 

Wolfgang – Ich hätte da noch einen Koffer Bargeld für unser Konto in Liechtenstein – Schäuble

Wenn sich einer mit Finanzen auskennt, dann der Wolfgang, dachte sich die Angie vor vier Jahren. Immerhin hat der schon in den 90ern kräftig Schwarzgeld verschoben und den einen oder anderen Koffer mit Bargeld durch Europa getragen. Doch alles nur für die Partei, denn die hat ja bekanntlich immer recht. und da der Wolle seinen Job so gut macht, darf er auch in den nächsten vier Jahren das Geld des Staates hin- und herschieben.

Andrea – singalong – Nahles

Tja, an der ist eigentlich nicht viel auszusetzen. Außer dass sie nicht gerade viel Charisma hat, weswegen sie von den Medien oft Schelte bekommt. Gut, sie hatte noch nicht genug Macht, um richtig Scheiße zu bauen. Aber immerhin kann sie gut singen:

Hans-Peter – Supergrundrecht – Friedrich

 

Supergrundrecht

Quelle: Memegen.de

Das Landwirtschaftsministerium, das ohne den Verbraucherschutz nun wieder zum Selbstbedienungsministerium der Bauern wird, wird von einem Minister geführt, über den böse Zungen dasselbe sagen. Der Hape hat sich besonders bei der Spionageaffäre dieses Jahr (2013) hervorgetan. Erst wollte er sie nicht glauben, denn keiner konnte ihm sagen, woher denn dieser Snowden bitte seine Infos haben sollte. Da half auch nichts, dass NSA und GCHQ ihrerseits Snowdens Veröffentlichungen gar nicht bestritten, Herr Friedrich wollte das nicht glauben. Später dann fuhr er nach Amerika, um nachzufragen und erfuhr, dass der Snowden recht hatte, aber:

„Es geht nicht um ein flächendeckendes Abscannen von, äh, Kommunikation, sondern um eine gezielte, äh, Durchsuchung von einer quantitätsmäßig [sic] begrenzten Anzahl, äh, von, äh, Kommunikations, äh, -strömen. Darum geht es.“

Quelle: Netzpolitik.org

Wie begrenzt diese Überwachung von „äh, Kommunikations, äh, -strömen“ ist, kann man schön auf der Wikipedia nachlesen. Aber das ist ja eh nicht so schlimm, denn schließlich macht man das alles ja nur wegen des „Supergrundrechts“ Sicherheit…

Ursula – Zensursula – von der Leyen

In den Reigen der MinisterInnen, die das mit dem Grundgesetz nicht so eng sehen gehört auch unsere neue Verteidigungsministerin. Allerdings hatte die (damals als Familienministerin) nicht die Keule TERRORISMUS gezückt um Grundrechte einzuschränken, sondern die andere, die als Buzzword auch immer gut ankommt: KINDERPORNOGRAPHIE! Die gute Uschi wollte damals nämlich Internetseiten sperren lassen, wegen Kinderpornographie. Und weil das ja Kinderpronographie war, sollte – so die Träume von Frau von der Leyen – das kein Richter entscheiden, welche Seiten gesperrt werden sollen. Grundrechte und ordentliches Verfahren? So etwas zählt nicht, wenn es um Kinderpornographie geht! Stattdessen sollte den Job des Sperrens das BKA übernehmen und zwar anhand einer geheimen Liste, wegen Kinderpornographie!

Manuela – Zensursula ist knorke – Scheswig

Dafür dass das Thema Internetsperren im Familienministerium bald wieder auf der Tagesordnung stehen könnten, könnte Manuela Scheswig sorgen, denn die fand die Pläne der Kollegin von der Leyen eigentlich spitze, bis auf den ganzen Unsinn mit der Bürokratie und so, dass mit der Zensur muss noch viel schneller gehen!

 

Hermann – Petzi – Gröhe

 

Hermann Gröhe 2010

Quelle: CDU Deutschlands/Laurence Chaperon [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons

Ja, nö, gegen den Herrn Gröhe kann ich nichts sagen. Genau wie Frau Nahles hat der noch keinen kapitalen Bock geschossen. Außerdem sieht er aus wie Petzi Bär!

 

Alexander – Gurkentruppe – Dobrindt

Dafür, dass Ausländer in Zukunft Geld für die Benutzung deutscher Autobahnen und Glasfaserleitungen zahlen müssen, soll der Alex als Verkehrs- und Digitalminister sorgen. Gut, jedem ist klar, dass der europäische Gerichtshof das Gesetz gleich wieder einkassieren wird, aber so ein bisschen Ausländerfeindlichkeit kommt im Wahlkampf immer gut an, denn jeder weiß, dass „der Holländer“ nicht Auto fahren kann und deshalb unsere Autobahnen kaputt macht.

Wenn Herr Dobrindt mal nicht am rechten Rand fischt, dann beschimpft er seinen Koalitionspartner (damals FDP) als „Gurkentruppe“.

Barbara – Margerineindustrie – Hendricks

2:1 in Sachen Unbescholtenheit für die SPD. Über Umwelt- und Bauministerin Frau Hendricks lässt sich nichts spannenderes sagen, als dass sie über „Die Entwicklung der Margerineindustrie am unteren Niederrhein“ promoviert hat.

Johanna – Rechtschreibreform – Wanka

Meine Generation ist diejenige, die zweimal schreiben lernen musste. Erst nach den alten Regeln und dann noch einmal nach den neuen. Unsere alte und neue Bildungs- und Forschungsministerin Wanka hat die damals (mit) durchgedrückt, weshalb sie von vielen Linguisten zu Recht verachtet wird.

Sie selbst wusste auch, was für einen Murks sie da machte, und kommentierte das dann:

„Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.“

Quelle: Wikipedia

Ja, nee, is klar…

Gerd – war das nicht ein Fußballer? – Müller

Gerd Müller 7-7-74

Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-N0716-0314 / Mittelstädt, Rainer /  [CC-BY-SA-3.0-de], via Wikimedia Commons

Der Entwicklungsminister beweist, dass sogar die CSU mal ein blindes Korn findet und jemanden aufstellen kann, der sich noch nicht zum absoluten Vollhorst (Assoziationen zu lebenden CSU-Politikern sind durchaus beabsichtigt) gemacht hat. Außerdem hat so indirekt der FC Bayern auch einen Minister…

Peter – Elitetwitterer – Altmaier

Und mit unserem neuen Kanzleramtsminister zieht die CDU in Sachen „man kann mehr falsch machen“ wieder mit der SPD gleich. Zudem ist Altmaier dann in Zukunft nicht nur Kontaktmann der Geheimdienste, sondern auch Elitetwitterer. Als solcher kann er dann immer gleich die neuesten Überwachungsmaßnahmen über die sozialen Medien verbreiten. Läuft!

 

Soviel von mir. Ich hoffe, ich konnte euch einen Überblick über unsere neuen Mädels und Jungens geben…

Ich bin raus!

Checks & Balances

Ich habe neben vielem anderen ™ Politik studiert. Aber ich habe die Politische Wissenschaft nie mit vollem Einsatz studiert, sondern mehr so nebenbei. Warum? Politikwissenschaft erschien mir immer ein bisschen zu einfach, zu offensichtlich. Die wirklich harten Nüsse fand ich in der Logik, der Symbol- und Erkenntnistheorie und in der Syntax: In den Königsdisziplinen von Philosophie und Linguistik. Aber (tm!!!) ich habe mich geirrt.

Politische Wissenschaft ist schwerer als ich immer dachte. Beispielsweise dachte ich als kleiner Grundstudiumsstudent (heute wäre das der Bachelor) ich könne die 19 Grundrechte samt Staatsordnungsparagraphen Nummer 20 auswendig… Heute muss ich aber hören, dass ich mich geirrt habe, denn — so lehrt mich unser Superinnenminister — es gibt noch ein Supergrundrecht: Sicherheit.

Doch, ich will hier keine unwürdig dünnen Bretter boren. Ich will hier meinen Fehler berichtigen und über ein paar Grundprinzipien nachdenken. Beginnend mit den Checks & Balances.

Gewaltenteilung

Das wichtigste, aber bei Leibe nicht das einzige Instrument um Checks & Balances zu gewährleisten, ist die Gewaltenteilung. Wir haben keinen König der sowohl regiert, als auch Gesetze erlässt und Recht spricht. Wir haben ein Parlament, das für die Gesetzgebung zuständig ist, die Legislative, eine Regierung, die die Exekutive darstellt, den Staat also leitet, die Richtung, in die unser Zusammenleben gehen soll in Form von Gesetzesinitiativen vorgibt und unabhängige Gerichte — die Judikative — die urteilt, ob das Recht eingehalten wird und vor allem, ob neue Gesetze mit unserer Verfassung vereinbar sind.

Das Problem ist, dass die drei Gewalten nicht von sich aus „gut“ sind, sie sind fehleranfällig, durch Macht korrumpierbar, denn sie sind mit Menschen wie dir und mir besetzt. Deswegen brauchen wir etwas, dass kontrolliert, dass diese Macht nicht missbraucht wird: eine vierte Gewalt. Die vierte Gewalt wird oft mit den Medien gleichgesetzt, das ist aber nich ganz korrekt. Richtig ist viel mehr: die Öffentlichkeit. Durch das Internet etwa kann diese öffentliche Kontrolle viel unmittelbarer ausgeübt werden, als durch Zeitungen und das Fernsehen. Aber auch, dass Gerichtsprozesse vor Publikum stattfinden, ist als vierte Gewalt wichtig für die Checks & Balances. Wenn aber bei #PRISM Geheimgerichte der NSA die richterliche Erlaubnis zur Spionage erteilen, so ist zwar auf dem Papier noch die Gewaltenteilung gegeben, aber de facto ist sie nicht mehr als ein hohler Kürbis. Denn ohne Öffentlichkeit können wir nicht kontrollieren, ob es einen Anwalt gibt, der glaubhaft gegen die NSA streitet. Dass dem nicht so ist, zeigt, dass das Geheimgerichte nicht ein einziges Mal „Nein“ zur NSA gesagt hat. Es mangelt eben an Checks & Balances.

Genauso verhält es sich mit dem parlamentarischen Kontrollausschuss des Bundestages für die Geheimdienste. Wenn stimmt, was ich so höre, handelt es sich zwar auf dem Papier um einen Check, aber in Wirklichkeit macht er nichts anderes, als die Geheimdienste zu befragen und ihren Aussagen zu vertrauen. Zwischenmenschlich mag Vertrauen gut sein, aber in einer Demokratie ist Kontrolle nicht bloß besser, sondern notwendiges Gebot.

Und das Elend rund um die fehlenden Checks & Balances nimmt kein Ende, wie wir aus Herrn Pofallas Aussagen schließen kann. Denn warum weiß der Chef der deutschen Geheimdienste, dass die Amerikaner und Briten uns nicht ausspionieren? Ganz einfach: er hat sie gefragt und sie haben gesagt: „Nö, machen wie nicht.“

Na, dann ist ja gut, dachte sich der Ronald. Tja, Politik ist einfach zu kompliziert für unsere Regierung…