Meine Tochter (7) hat Die Drei Fragezeichen für sich entdeckt. Vor einiger Zeit, als sie mich fragte, ob sie auf meinem Computer ein Hörspiel hören darf (ich habe ein paar „Sicherungskopien“ von Kinderhörspielen auf der Platte), dachte ich mir, jetzt ist sie bereit für den Superpapergei. Und ich hatte recht…
Ich war als Kind selbst ein großer Fan der Telefonlawine aus Rocky Beach und liebte es, wenn Morton den Rolls Royce vorfuhr. Als jüngstes von drei Kindern habe ich in Sachen Hörspiele die Bibibloxbergbenjaminblümchenphase direkt übersprungen und hörte im Zimmer meiner Geschwister Die Drei ???, Fünf Freunde oder TKKG.
Fünf Freunde wirken heute auf mich sehr altbacken und TKKG ist erschreckend reaktionär: Alle Bösewichte sind Ausländer, tätowiert oder Kiffer und sobald es gefährlich wird, muss Gabi nach hause, weil „das nichts für Mädchen ist“. Folgerichtig blieben nur Die Drei ??? um ein Stück meiner Kindheit zu vererben. Fairerweise muss man sagen, dass bei den Fragezeichen auch schon mal rassistisches Profiling betrieben, diskriminierende Sprache verwendet und der Bechdel-Test nur selten bestanden wird. Aber insgesamt bleiben das schöne Geschichten und Sachen, die mir nicht gefallen, kann ich meiner Tochter erklären.
Was mir allerdings aufgefallen ist: Meine Tochter (7) legt mittlerweile ein Verhalten an den Tag, das ich nur zu gut aus meiner Kindheit kenne und das ein eindeutiges Zeichen von Fragezeichen-Weltverklärung ist. Um diese zu erläutern, muss ich ein wenig weiter ausholen und Ihnen, werte Leserinnen und Leser, ein paar Fakten zur Lage unserer Wohnung und zu ihrem Interieur zukommen lassen. Aber keine Sorge, dies wird nicht zu einem Lifestyle-Blog mutieren…
Also, unser Esstisch ist so ein Modell zum Selberzusammeschrauben mit nordeuropäischem Namen, wir werden ihn der Einfachheit halber „Günther“ nennen. Günther steht an einem schönen, großen Fenster, das fast die gesamte Südwand unseres Wohnzimmer ziert. Jene Südwand ist Teil des dritten Stocks eines Altbaus mitsamt Hochparterre. Jener altehrwürdige Bau steht nun wiederum in einer kleinen Straße in einem der eher günstigeren Viertel der großen Stadt Frankfurt (kleiner Scherz: es gibt keine Günstigen Viertel in Frankfurt, nur Offenbach und das wäre nun wirklich gar zu doll). Jedenfalls ist jenseits dieser kleinen Straße – unglaublich aber wahr – eine noch unbebaute Fläche Brachland, die aus unerklärlichen Gründen von zwei Nilgänsen als Heimat angesehen wird: Es ist nicht schön, aber es ist ihres… Jenseits dieser Freifläche wiederum ist eine der größeren Einfallsstraßen Frankfurts mit zwei Autospuren auf jeder Fahrbahn und Tramlinien stadtein- und auswärts.
Auf jener Straße lässt sich nun von unserem Günther aus immer allerlei Treiben beäugen. Mitunter noch unerklärlicher als das selbstgewählte Heim der Nilgänse ist zum Beispiel, dass immer wieder alte Menschen mit Gehhilfen glaube, sie könnten trockenen Fußes alle sechs Spuren dieser Straße abseits einer Ampel überqueren. Ein mit Stock bewaffneter Alter fährt, oder besser: läuft, gar einen revolutionären Kurs, indem er prinzipiell nicht auf Trottoires geht sondern immer auf der Straße. Obwohl er alle fünf bis acht Schritte eine Verschnaufpause einlegen muss, da ihn gehen so sehr anstrengt! Doch zurück zu meiner Tochter (7)… Diese meinte neulich beim Abendessen (Es gab „Probier mal, das schmeckt dir bestimmt“ – leider mag meine Tochter (7) das nicht): „Da ist ein Mann ganz schwarz angezogen, das ist bestimmt ein Dieb.“
Diese Äußerung versetzte mir einen Flashback als wäre das Drehbuch meines Lebens „von den Machern von Lost“ ™. Denn mir wurde unmittelbar klar, dass meiner Tochter der fragezeicheninduzierten Weltbildverzerrung anheim gefallen war. Und ebenjenes Schicksal teilte ich meinerzeit als Kind. Damals wollte ich auch Detektiv werden! Leider hatte ich das Pech in einem mittelhessischen Kaff, das sich mit viel Wohlwollen die Einwohnerzahl auf 12.000 Seelen schöntrinkt zu wohnen, und nicht erstens in Amerika und zweitens in einem Hörspiel. Ich dachte mir jedenfalls damals, dass das Detektivgewerbe doch wohl leicht zu ergreifen sei, schließlich stolpern Justus, Peter und Bob auch ständig in die kuriosesten Fälle hinein. Ungezählte Nachmittage lang cruiste ich auf meinem Fahrrad durch die Kleinstadt auf der Suche nach einem Verbrechen, aber nicht eine flammende Spur und nicht ein tanzender Teufel wollte sich mir offenbaren. So musste ich auf die nicht schmerzhafte aber langweilige Tour lernen, dass die echte Welt sich vor allem durch einen Mangel an Gespensterschlössern und schreienden Weckern auszeichnet. Eine Erkenntnis, die meiner Tochter (7) nun auch bevorstehen wird…
Auch wenn der Autor ein anderer ist, so haben die Tocos in der Sache eben doch Recht: