Andrea Reidl fordert im Zeit-Blog Velophil „strengere Strafen für Falschparker„. Sie ist, wie der Titel ihres Blogs verrät für die gute Sache, nämlich die der Radfahrer unterwegs und trägt gewichtige Argumente vor:
„Viele Eltern beispielsweise lassen ihre Kinder nicht zu Fuß zur Schule gehen oder mit dem Rad fahren, weil sie den Schulweg gefährlich finden. Gerade vor den Schulen zwingen Falschparker Kinder immer wieder dazu, auf die Straße auszuweichen.“
Wer könnte etwas dagegen sagen? Für unsere Kinder! Da muss sie doch Recht haben. Das Wohl der Kinder ist ein perfides Totschlagargument, quasi der Antihitler. Denn du kannst ja nicht ernsthaft dagegen sein, ARSCHLOCH!?!
Daher argumentieren Politiker auch so gerne mit Kinderpornographie um mehr Überwachung und Reglementierung im beziehungsweise für das Internet zu fordern. Aber wir waren ja gerade beim Radfahren.
Ich bin selbst überzeugter Radfahrer, fahre jeden Tag zwischen 12 und 20 Kilometer durch Frankfurt. Und auch mich nerven Autos ungemein. Auch ich verstehe nicht, warum Autofahrer glauben, es sei eine unzumutbare Behinderung für andere Autofahrer, wenn sie mal eben ™ auf der Straße halten, aber das gleiche für absolut legitim halten, wenn sie sich einmal quer über Radweg oder Bürgersteig stellen. Sodass im schlimmsten Fall jemand mit Kinderwagen noch auf die Straße ausweichen muss. DAS KOTZT MICH AN!!!!!111!11!
Aber deshalb strengere Strafen fordern? Ich weiß nicht… Ich bin immer etwas skeptisch, wenn jemand den Just Cause ausgerechnet mit Verboten und Strafen durchsetzen will, das schrieb ich ja neulich schon. In diesem speziellen Fall ist es zudem noch so, dass unsere Gesetze durchaus Mittel zur Verfügung stellen, sich gegen Falschparkerinnen zu wehren, die dafür sorgen, dass Kinder auf die Straße ausweichen müssen. Man kann ein solches Auto nämlich völlig zu Recht abschleppen lassen. Allein, das kostet Zeit, Mühen und am Ende entscheidet der herbeigerufene Polizist vielleicht sogar, dass das alles gar nicht so schlimm ist.
Im Fall des Straßenverkehrs bin ich zudem noch deshalb skeptisch, da du als Teilnehmer insgesamt und als Radfahrerin im besonderen mit Adrenalin vollgepumpt bist, wenn du daran teilnimmst. Das ist wichtig, da es deine Sinne schärft und deine Konzentration erhöht. Ich erlebe mehrmals wöchentlich Situationen in denen Autofahrer meine Gesundheit, ach was, mein Leben riskieren. Da ist es überlebenswichtig, unter Strom zu stehen und schnell reagieren zu können. Aber zugleich ist Adrenalin ein extrem schlechter Ratgeber, weswegen man mir besser keine Bazuka in die Hände drücken sollte, wenn mich mal wieder ein Auto geschnitten hat!!!!
Versteht mich nicht falsch, Radfahren ist auf alle Fälle besser als Autofahren. Ich meine, Autos sind laut, sie stinken, sie machen durch ihre Abgase die Umwelt kaputt und deine Mitmenschen krank. Außerdem machen sie dich mangels Bewegung krank. Und sie sind gefährlich. Wenn ich mit meinem Fahrrad gegen ein Auto fahre, hat es im schlimmsten Fall eine Beule, wenn ein Auto mit seinen 1,5 Tonnen Kampfgewicht gegen mich fährt, bin ich Mus. Fahrräder sind außerdem leise (bis auf meine Vorderradbremse), halten dich fit und stehen nie im Weg…
Bild: Münster. Urheber: Bundesarchiv. Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE
Fahrradfahrerinnen sind also eindeutig bessere Menschen als Autofahrerinnen. Ausnahme bilden lediglich die paar Idioten, die, wenn meine Tochter (7) ihr Rad an eine städtischen Radstange oder einen Laternenpfahl anschließt, meinen, sie könnten ihr Rad noch über das Rad hinweg an der gleichen Stange anschließen, weil es ja nur ein kleines Rad ist, oder so… Aber ich habe Mittel und Wege, diesen paar Irrlichtern, ihren Irrtum ruhig und sachlich darzulegen.
Obwohl ich als Radfahrer also glaube, dass Radfahrer die besseren Menschen sind, bin ich dennoch gegen strengere Strafen für Autofahrer und zwar, weil ich nicht weiß, 0b ich nicht letzten Endes nur deshalb dafür bin, weil ich Radfahrer bin und nicht etwa, weil es wirklich gerechter wäre. Dem Problem der Motivation bei ethischen Begründungen hat sich John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit ausführlich gewidmet und den berühmt gewordenen ‚Schleier des Nichtwissens‘ als Gedankenexperiment erfunden. Rawls vertritt die Ansicht, dass wahre Gerechtigkeit eine Verfahrensgerechtigkeit ist. Dass also ein gerechtes Verfahren gefunden werden muss, um zu gesellschaftlichen Entscheidungen zu kommen, von denen wir dann sagen können, sie sind gerecht.
„Irgendwie muß man die Wirkung von Zufälligkeiten beseitigen, die die Menschen in ungleiche Situationen bringen und zu dem Versuch verführen, gesellschaftliche oder natürliche Umstände zu ihrem Vorteil auszunutzen.“
John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit.*
Und genau das ist hier der nicht der Fall, ich bin als Radfahrer eben in einer solchen ungleichen Situation, die ich immer versucht bin, zu meinem Vorteil auszunutzen…
„Zu der Entscheidung, wie eine wahrhaft gerechte Gesellschaft aussehen würde, könnte ich erst kommen, wenn ich nicht wüsste, welche Position ich in dieser Gesellschaft einnehme. Und genau das ist die Situation von der das Gedankenexperiment des Schleiers ausgeht. Sie nimmt an, dass sich Vertreter aller Gesellschaftsschichten zu einer Verhandlung treffen. Sie sollen entscheiden, wie ihre zukünftige Gesellschaft aussehen soll. Der Clou ist jetzt, dass alle Teilnehmer an einer temporären Amnesie leiden: Sie wissen nicht, welche Positionen sie später in dieser Gesellschaft einnehmen werden.“
Schamloses Eigenzitat.* Hervorhebung von mir. Mindfuck kostenlos dazu… 😉
Wenn ich also entscheiden müsste, ob Falschparker strenger bestraft werden müssen, müsste ich gerade von meiner Position als Radfahrer abstrahieren. Und das ist mir für einen Montagabend nun wirklich zu anstrengend, da rege ich mich lieber weiterhin über Autofahrer auf, spreche mich aber zugleich gegen härtere Strafen aus…
Vielleicht bin ich aber auch nur intellektuell verkatert.
— Privatsprache (@Privatsprache) 23. November 2014
*Hinterhältiger: Affili-Link: Kauft ihr das Buch, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.