Über Privatsprache

Was ist Privatsprache?

„Wäre aber auch eine Sprache denkbar, in der Einer seine inneren Erlebnisse – seine Gefühle, Stimmungen, etc. – für den eigenen Gebrauch aufschreiben, oder aussprechen könnte? – Können wir denn das in unserer gewöhnlichen Sprache nicht tun? – Aber so meine ich’s nicht. Die Wörter dieser Sprache sollen sich auf das beziehen, wovon nur der Sprechende wissen kann; auf seine unmittelbaren, privaten, Empfindungnen. Ein Anderer kann diese Sprache also nicht verstehen.“

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. § 243.

 

Wittgensteins Privatsprachenargumentation ist eine in der Sprachphilosophie berühmt gewordene Darlegung, warum es einem Menschen nicht möglich ist, eine Sprache zu erfinden, die prinzipiell kein anderer außer der Sprecher verstehen kann.

Das Argument zeigt also, dass nicht nur unsere wirklichen, in der Welt existierenden Sprachen soziale Institutionen sind, sondern, dass dies prinzipiell so sein muss.

Warum ist das so?

Im Kern liefert Wittgenstein drei Argumente. Zum einen setzt er sich unmittelbar vor dem Privatsprachenargument mit dem Begriff der Regel auseinander und macht klar, dass Regeln etwas sind, das in der Gesellschaft existiert, eine soziale Übereinkunft. Sprache wiederum ist regelgeleitet, weshalb sie ebenso öffentlich und sozial ist.

Das Hauptargument von Wittgenstein aber ist ein epistemologisches: Im Falle einer Privatsprache, also einer Sprache, die nur der Sprecher sprechen kann und sonst prinzipiell niemand, fallen „wissen“ und „zu wissen glauben“ zusammen. Wenn das aber der Fall ist, kann nicht mehr die Rede von Wissen sein.

Das liegt ganz einfach darin, dass Wissen eine wahre begründete Meinung ist. Eine bloße Meinung ist „zu wissen glauben“. Aber wie mache ich aus einer Meinung Wissen? Ich muss entweder andere fragen, die mir meine Meinung bestätigen, oder meine Meinung irgendwie in der Welt verifizieren, etwa mit einer empirischen Studie. Ersteres scheidet bei der Privatsprache aus, schließlich soll prinzipiell nur ich sie verstehen, also kann ich mich auch mit niemandem darüber unterhalten. Doch auch die Verifizierung muss ausscheiden, denn sobald ich mit meiner Sprache auf etwas in der Welt verweise, ist sie wieder (angefangen mit der Zeigegeste) für jemand anderen lernbar.

Schließlich bringt Wittgenstein noch als drittes Argument den Spracherwerb ins Spiel. Der Erwerb der Sprache durch ein Kind ist von Beginn an eine streng öffentliche Angelegenheit. Kinder lernen ihre Muttersprache in einem sozialem Kontext. Und selbst Wörter, die auf innere Zustände wie Schmerzen verweisen müssen erst einmal in einem gemeinsamen Sprachspiel gelernt werden.

Der Käfer in der Schachtel
Der Käfer in der Schachtel
Der Käfer in der Schachtel, Bild von mir. Lizenz: CC0 1.0

Und warum interessiert uns das eigentlich?

Ganz allgemein interessiert natürlich, wie Sprache funktioniert und wie sie erworben wird. Und dass dies eben ein öffentlicher Prozess, ein Sprachspiel und eine Lebensform ist, wie Wittgenstein sagt, ist für sich genommen schon eine wichtige Erkenntnis.

Darüber hinaus hat es aber auch Auswirkung auf die Philosophie. In der Philosophie war man seit jeher auf der Suche nach sicherem Wissen, nach Erkenntnis. In Goethes Worten: „Nach dem, was die Welt im Innersten zusammenhält.“

Berühmt ist in diesem Zusammenhang das „cogito ergo sum“, „ich denke, also bin ich“ von René Descartes wonach wenigstens gewiss ist, dass ich existiere, da ich ja denke. Da muss doch etwas sein, das denkt.

Wittgenstein macht aber klar, dass dies ein Fehlschluss ist, der auf dem Glauben beruht, dass ich einen privilegierten Zugang zu meinem Inneren habe. Wenn ich aber davon ausgehen muss, dass ich diese inneren Zustände zuallererst in einem sozialen Kontext erlernen muss, so gerät das ganz Bild ins Wanken.

Bevor hier ein falscher Eindruck entsteht: Wittgenstein war kein Erkenntnisskeptiker. Das aber aus anderen Gründen, die er in „Über Gewissheit“ darlegt. Im Privatsprachenargument geht es Wittgenstein vielmehr um die Funktion von Sprache und dass sie eben vielfältig ist. Auch wenn Sprachspiele, die Gefühle betreffen, vordergründig den Eindruck machen, als bezögen sie sich auf irgendein Ding, so wie dies etwa Sprachspiele über Bäume tun, zeigt sich doch bei näherer Betrachtung, dass dies nicht der Fall ist.

Das Privatsprachenargument gipfelt dann auch im „Käfer in der Schachtel“

293. Wenn ich von mir selbst sage, ich wisse nur vom eigenen Fall, was „Schmerz“ bedeutet, – muß ich das nicht auch von den Anderen sagen? Und wie kann ich denn den einen Fall in so unverantwortlicher Weise verallgemeinern?
Nun, ein Jeder sagt es mir von sich, er wisse nur von sich selbst, was Schmerzen seien! – Angenommen, es hätte Jeder eine Schachtel, darin wäre etwas, was wir „Käfer“ nennen. Niemand kann je in die Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. – Da könnte es ja sein, daß Jeder ein anderes Ding in seiner Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, daß sich ein solches Ding fortwährend veränderte. – Aber wenn nun das Wort „Käfer“ dieser Leute doch einen Gebrauch hätte? – So wäre er nicht der der Bezeichnung eines Dings. Das Ding in der Schachtel gehört überhaupt nicht zum Sprachspiel; auch nicht einmal als ein Etwas; denn die Schachtel könnte auch leer sein. – Nein, durch dieses Ding in der Schachtel kann >gekürzt werden<; es hebt sich weg, was immer es ist.
Das heißt: Wenn man die Grammatik des Ausdrucks der Empfindung nach dem Muster von >Gegenstand und Bezeichnung< konstruiert, dann fällt der Gegenstand als irrelevant aus der Betrachtung heraus.

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen I; § 293.

Wittgenstein ist oft als Behaviorist fehlinterpretiert worden. Also als jemand, der behauptet, es gäbe gar keine inneren Zustände, keine Seele oder keinen Geist. Alles was es gäbe, wären Reiz-Reaktions-Schemata. Aber das ist nicht korrekt, denn Wittgenstein geht es – wie gesagt – darum, wie Sprache funktioniert und worauf er uns hier stößt, ist, dass Sprache nicht immer nach dem gleichen Schema >Gegenstand und Bezeichnung< funktioniert.

 

Literatur

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen

Ludwig Wittgenstein: Über Gewissheit

Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil(kostenlos)

René Descartes: Meditationen(oder umsonst auf Latein)

Und als Sekundärliteratur empfehle ich:

Eike von Savigny (Hrsg.): Ludwig Wittgenstein. Philsophische Untersuchungen