Harry Potter und die Lösung des Dumbledore-Problems

„Die Winkelgasse hatte sich verändert. Die bunten, glitzernden Schaufensterauslagen mit Zauberbüchern, Zaubertrankzutaten und Kesseln waren verschwunden, versteckt hinter großen Plakaten des Zaubereiministeriums, die über die Scheiben geklebt waren. Die meisten dieser dunkelvioletten Plakate waren eine vergrößerte Version der Merkblätter mit den Sicherheitsratschlägen, die das Ministerium den Sommer über verschickt hatte, doch andere zeigten bewegte Schwarzweißfotos von Todessern, die bekanntermaßen auf freiem Fuß waren.“

Sehr geehrte Zauberer und Hexen, liebe Muggel, tut mir leid, ich habe Sie hängen lassen. Eigentlich veröffentliche ich hier ja jedes halbe Jahr eine Rezension zu einem Harry-Potter-Band. Bisher:

Doch meine Besprechung von Band 5 liegt mittlerweile schon 14 Monate zurück. Seither ist viel passiert – vor allem das Leben. So lesen meine Tochter (9) und ich seltener zusammen, da sie immer öfter alleine liest. Dennoch stecken wir schon mitten im 7. Band, da wir den Halbblutprinzen bereits im Januar beendeten. Allerdings habe ich auch eine gute Nachricht, denn ich durfte mein Potter-Nerdtum-Imperium mittlerweile ausweiten auf den wunderbaren, befreundeten Podcast Second Unit. In diesem bespreche ich zusammen mit Christian und manchmal auch Tamino die Potter-Filme. Dies machten wir mittlerweile bei:

Unsere Folge zu Der Halbblutprinz ist auch schon im Kasten und wird demnächst erscheinen. Hört doch mal rein!

Spoiler Alert

Malfoy hat Angst

Doch jetzt ran an das Butterbier! Hört, was ich über den Halbblutprinzen zu sagen habe. Aber bitte bedenkt: Sofern ihr in den letzten 12 Jahren auf der Suche nach Horkruxen wart, muss ich euch warnen. Ich werde spoilern!

Mein Reifeprozess als vorlesender Vater

Dumbledore fällt

Wie immer beginne ich mit meinem Eindruck als vorlesender Vater. Denn über die Bände 4 und 5 bin ich in dieser Rolle und an der zunehmenden Düsterheit der Bücher gereift. Daher war mir natürlich klar, dass Dumbledores Tod Traumapotential für meine Tochter hat. Entsprechend warnte ich sie vor dem aufziehenden Showdown, dass erneut ein geliebter Charakter sterben werde und ließ ihr die Wahl, ob sie gespoilert werden wolle. Zunächst reichte ihr wieder die Zusicherung, dass kein Kind das Opfer sein werde, doch ließ ihr die Info keine Ruhe, sodass sie immer weiter fragte: Doch nicht Lupin, oder? Doch nicht Hagrid, oder? Doch nicht Dumbledore …. Tja, und da konnte ich nicht mehr antworten: „Nein, keine Sorge.“

Insgesamt hat meine Tochter aber eine ganz schön harte Schale entwickelt, wenn es um Dramatik geht. So saß ich dann am Ende mit Tränen in den Augen da und las mit brüchiger Stimme vor, während sie nach außen hin ruhig wirkte. Um nicht zu riskieren, dass sie darunter stärker mitgenommen wurde, als es den Anschein hatte und um mir selbst Mut zu machen, sprachen wir dennoch darüber, dass Dumbledore aus dramaturgischen Gründen sterben musste. Dass „Kill your Darlings“ manchmal wichtig ist, damit Harry im Finale des Epos kein Sicherheitsnetz mehr hat, auf das er sich verlassen kann. Der Halbblutprinz ist dafür da, das Dumbledore-Problem ein für alle Mal zu lösen. Das Dumbledore-Problem besteht darin – das zur Erinnerung –, dass Rowling Dumbledore als übermächtig beschreibt. Dadurch ergab sich immer das Problem, dass sie Ausreden erfinden musste, warum Harry und nicht Dumbledore gegen Voldemort antritt. Besonders in Band 1 und 3 waren diese herbeigeführten Gründe schon ziemlich unglaubwürdig. Dafür hat sie nun eine endgültige Lösung herbeigeführt. In den Heiligtümern des Todes wird sich die Frage also nicht stellen können.

Hinter der launischen Verführerin herjagen

„Und jetzt, Harry, hinaus in die Nacht und dem Abenteuer hinterher, dieser launischen Verführerin!“

Doch es wird Zeit, uns richtig  der Geschichte zu widmen. Das Abenteuer ist diesmal ein viersträngiges. Ineinander verschachtelt sind die Fragen:

  • Was plant Draco Malfoy?
  • Wer ist der Halbblutprinz?
  • Auf welcher Seite steht Snape?
  • Sowie: Wer ist Voldemort und wie kann Harry ihn besiegen?

Besonders die letzten beiden Punkte gilt es zudem noch in das große Ganze der Potter-Geschichte einzuordnen. Ich frage mich, an welchem Punkt in seiner Heldenreise Harry steht. Natürlich möchte ich, wie immer, Nitpicken und der für den Potter-Zyklus wichtige „Coming of Age“-Aspekt darf nicht zu kurz kommen.

Und plötzlich wehte dieser Blumenduft zu ihm herüber

Ginny ist schockiert
Mit der Coming-of-Age-Geschichte möchte ich anfangen. Denn diese ist wieder einmal genauso intelligent wie einfühlsam von Rowling geschrieben. Auf der einen Seite sind Ron und Hermine nun offen verliebt, auch wenn sie es noch nicht zugeben wollen. Harry ist der erste, der das realisiert und Angst bekommt, zum fünften Rad am Wagen zu werden. Doch dann stürzt Ron sich in eine Ersatzbeziehung mit Lavender Brown, als er erfährt, dass Hermine (vor drei Jahren) mit Victor Krum rumgeknutscht hat. Daraufhin ist Hermine am Boden zerstört und die Dreierfreundschaft droht zu zerbrechen.

Derweil lernen wir mit Harry zusammen, dass er sich in Ginny verliebt hat. Zunächst hat er sich in den Sommerferien so an ihre Gegenwart gewöhnt, dass er es schade findet, dass sie nicht auch in Hogwarts mit Hermine, Ron und ihm abhängt. Dann stößt er im Unterricht auf einen Liebestrank …

„Einem goldfarbenen Kessel …, von dem einer der verführerischsten Düfte ausging, die Harry je eingeatmet hatte: Irgendwie erinnerte er ihn gleichzeitig an Siruptorte, den holzigen Geruch eines Besenstiels und etwas Blumenartiges, von dem er meinte, es vielleicht im Fuchsbau schon einmal gerochen zu haben.“

Bis schließlich …

„Und plötzlich wehte dieser Blumenduft zu ihm herüber, den er in Slughorns Kerker wahrgenommen hatte. Er wandte sich um und sah, dass Ginny zu ihnen gekommen war.“

Wir durchleben Eifersuchtsphasen mit Harry und absurde Gedankenspiele, wie denn sein „Männerfreund“ Ron auf seine Liebe zu Ginny reagieren wird. Es gibt Diskussionen, wer mit wem geknutscht hat. Harry hat als Auserwählter Groupies, die ihm mit Liebestränken auflauern. Das ganze fühlt sich wunderbar authentisch an. Dreiviertel dieser Geschichten habe ich ganz ähnlich erlebt, als ich ein Teenager war (besonders die Nummer mit dem Auserwählten natürlich); und Rowling hat offensichtlich auch nicht vergessen, wie es damals war. Ihre Brillanz stellt sie schließlich unter Beweis, wenn sie diesen Erzählstrang in dem Höhepunkt enden lässt, dass Ron versehentlich den Liebestrank von Romilda Vane trinkt, der für Harry bestimmt war und „abgelaufen ist“. Das führt nicht bloß zur Versöhnung zwischen ihm und Hermine, sondern lässt die Coming-of-Age-Geschichte auch im zweiten Erzählstrang aufgehen: Ron wird versehentlich ein Opfer von Dracos Mordversuchen an Dumbledore.

Niemand glaubt Kassandra

„… wie ich bereits bewiesen habe, mache ich Fehler wie jeder andere. Genau genommen sind meine Fehler, da ich – verzeih mir – eher klüger bin als die meisten Menschen, in der Regel auch größer.“

Albus Dumbledore

Dieser Teil der Geschichte ist eine interessante Variation von Rowlings Whodunit. Fünf Bücher lang hat sie falsche Fährten ausgelegt: In Der Stein der Weisen wurde Snape fälschlicherweise von unserem Heldentrio verdächtigt, in der Kammer des Schreckens war es schon einmal Draco, im Gefangenen von Askaban hält die gesamte Zaubererwelt Sirius für den Bösewicht, im Feuerkelch gibt es wechselnde Verdächtige aber auf den falschen Moody kommt niemand. Und im Orden des Phoenix wird das Thema „Harry irrt“ aufs Tapet gebracht, wenn er Sirius retten will und Hermine ihm klarmacht, dass es genau das ist, was Voldi von ihm will. Harry setzt sich mit seinem Dickkopf durch und was daraus wurde, wisst ihr. Nun hat Harry wieder den gleichen Dickkopf, aber mit dem Unterschied, dass Rowling ihr schön etabliertes Muster durchbricht und Harry von Anfang an mit all seinen Verdächtigungen recht hat: Malfoy plant etwas, er ist jetzt Todesser, hat das Dunkle Mal, Draco steckt hinter den Angriffen auf die Schüler und plant etwas mit Snape zusammen. Harry mimt die ganze Zeit über die Kassandra und folgerichtig glaubt ihm niemand.

Harry rollt die Augen.

Schön ist weiterhin, dass über den ganzen Roman hinweg immer wieder Andeutungen gemacht werden, dass Dumbledore nicht mehr der alte ist. Dass er schwach und alt geworden ist und es nicht mehr lange macht. Mal spricht Narzissa Malfoy eine unverhohlene Todesdrohung aus:

„Aber Dumbledore wird nicht immer da sein, um Sie zu beschützen.“

Mal spielt Snape auf vermeintliche Schwächen an:

„Und du vergisst Dumbledores größte Schwäche: Er muss immer das Beste von den Menschen glauben.“

Dann werden uns echte Schwächen offenbart, wenn wir gesagt bekommen, dass Dumbledores Hand aussieht, als wäre sie tot und der Schulleiter ergänzt …

„Aber manche Verletzungen kann man nicht heilen …“

Rowling nutzt diesen Erzählstrang für einen ersten Payoff. Sie hat Draco seit dem ersten Buch als Antagonisten von Harry aufgebaut, der zugleich immer im Schatten des großen Bösewichts Voldi stand. Nun bekommt Draco seine eigene Geschichte, in der er die Villain-Rolle endlich zu einem gebührenden Abschluss bringen darf. Zugleich nutzt die Autorin die Gelegenheit, um dem Nebencharakter mehr Tiefe zu verleihen. Bislang war Malfoy nur der Abziehbild-Bully. Doch in diesem Band wird er zu einem atmenden, lebenden Menschen mit der Sehnsucht, anerkannt zu werden und vor allem mit ganz viel Angst. Das ist so gut geschrieben, dass es nicht einmal stört, wenn Draco auf dem Astronomieturm am Talking Murderer Syndrome erkrankt und seinen ganzen Plan Dumbledore vor dessen Tod haarklein erklärt – dies passt gut zu seiner Charakterentwicklung, die von Ängsten und Zweifeln getrieben ist.

Lose Enden

Dies ist nur einer von ein paar Payoffs, die Rowling in diesem Buch liefert. Insgesamt hält sie sich aber noch sehr zurück. Der mehrere Tausend Seiten lange Epos hat mittlerweile so viele lose Enden, dass man sich schon fragen kann, wie sie das alles noch zu einer abgeschlossenen Geschichte knüpfen will. Kleiner Spoiler für den siebten Band, in dem meine Tochter und ich ja gerade stecken: Sie wird das noch sehr schön machen. Aber ein bisschen fängt Rowling schon hier damit an. So bekommen wir von Dumbledore endlich die komplette Erklärung geliefert, warum Harry immer wieder zu den Dursleys zurückkehren muss:

„Der Zauber, den ich vor fünfzehn Jahren heraufbeschworen habe, bewirkt, dass Harry unter starkem Schutz steht, solange er dieses Haus noch sein Zuhause nennen kann. Wie unglücklich und wie wenig willkommen er auch immer hier war und wie schlecht er auch behandelt wurde, Sie haben ihn zumindest widerwillig in diesem Haus aufgenommen. Dieser Zauber verliert seine Wirksamkeit, wenn Harry siebzehn wird; mit anderen Worten, wenn er ein Mann wird. Ich bitte Sie nur um eines: Gestatten Sie Harry vor seinem siebzehnten Geburtstag noch einmal, in dieses Haus zurückzukehren, denn damit ist gewährleistet, dass der Schutz bis zu diesem Zeitpunkt anhält.“

Ein weiterer kleiner Payoff ist das Verschwindekabinett aus dem fünften Band, dass sich als eine Chekov’s Gun für Malfoys Plan entpuppt. Wir erfahren außerdem, dass Voldi die Stelle für Verteidigung gegen die Dunklen Künste verflucht hat, sodass sie jedes Jahr neu besetzt werden muss. Brisanterweise wissen wir, dass Snape gerade diesen Job innehat. Was uns zum größten Reveal dieses Bandes bringt …

Ron ist erstaunt

Je weiser, desto näher an der Wahrheit um Snape

„Gryffindor-Rubine glitzerten auf dem Boden wie Blutstropfen.“

Genau wie Draco war Snape von Anfang an eine Nebenplottvillain für Harry, der zugleich nie so ganz böse sein wollte. Im ersten Teil hat er Harry das Leben gerettet, im zweiten den berühmten Expelliarmus-Zauber beigebracht, im dritten Band wollte er Harry erneut vor Sirius Black retten, in Teil Vier übernahm er die Agentenrolle bei den Todessern für Dumbledore und im fünften schickte er den Orden des Phoenix zu Harrys Rettung. Zugleich war er immer ein sadistisches Arschloch von einem Lehrer, das Harry fertiggemacht hat, wo es nur konnte und einen Faible für die dunklen Künste hatte. Auf welcher Seite steht er denn nun? Das ist die Frage! Dieser Erzählbogen erstreckt sich eigentlich über die letzten beiden Bände und er ist mit der beste, den der komplette Zyklus zu bieten hat.

Rowling beginnt gleich zu Beginn des Buches Zweifel an Snapes Loyalität gegenüber Dumbledore zu sähen, indem sie ihn Beatrix LeStrange gegenüber versichern lässt, dass er auf Voldemorts Seite steht. Dann lässt J. K. Snape sogar den imposant klingenden „Unbrechbaren Schwur“ schwören, dass er Draco unterstützen werde – bei was auch immer Draco plant – und im Zweifel den Plan selbst durchführen wird, falls Draco dies nicht schafft.

„Ja, Harry, da ich mit außergewöhnlicher Intelligenz gesegnet bin, habe ich alles verstanden, was du gesagt hast“, erwiderte Dumbledore diesmal heftiger. „Ich denke, du solltest sogar die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass ich mehr verstanden habe, als du selbst.“

Andererseits rettet Snape Katie Bell – allerdings kann er das, weil er so viel über die dunklen Künste weiß. Am Ende verhindert Snape zudem, dass Harry von den Todessern gefoltert wird – vermeintlich, weil der dunkle Lord das selbst übernehmen will. Harry erzählt Lupin, wie er belauscht hat, dass Snape Draco seine Hilfe beim geheimen Plan angeboten hat. Lupin vermutet aber, dass Snape auf Dumbledores Auftrag hin gehandelt hat. Hagrid hat einen Streit zwischen Dumbledore und Snape belauscht – der alte Zauberer war sauer und Severus sagte, er wolle „es“ nicht mehr tun. Dann erfahren wir in kurzer Aufeinanderfolge von Dumbledore, dass Snape ihm das Leben gerettet hat, als der verfluchte Ring Voldemorts ihn tödlich verwundet hatte; und von Trelawny hören wir, dass es Snape war, der Harrys Eltern an Voldi verraten hat. Doch von Dumbledore wird das wieder relativiert, indem wir hören, dass die Nachricht vom Tod von Harrys Eltern für Snape „der größte Schmerz seines Lebens“ war. Harry überlegt sich, dass Snape ist ein hervorragender Okklumentiker ist und Dumbledore belogen haben könnte. Tonks dachte immer, dass Dumbledore etwas über Snape wissen musste, weswegen er ihm vertraute. Als Talking Murderer verrät Malfoy Dumbledore:

„Er ist ein Doppelagent, Sie dummer alter Mann, er arbeitet nicht für Sie, das bilden Sie sich nur ein!“

„Ich fürchte, in diesem Punkt sind wir verschiedener Meinung. Es ist nun einmal so, dass ich Professor Snape vertraue –“

Dann wir erfahren, dass Dumbledore von Snape über Malfoys Plan informiert wurde, aber nichts unternommen hatte, um Malfoy vor Voldi zu schützen. Doch schließlich betritt Snape den Astronomie-Turm:

… da stand Snape, den Zauberstab in der Hand, und seine dunklen Augen huschten über die Szene, von Dumbledore, der an der Mauer zusammengesackt war, über die vier Todesser mitsamt dem wütenden Werwolf bis zu Malfoy.

„Wir haben ein Problem, Snape“, sagte der schwerfällige Amycus, Augen und Zauberstab gleichermaßen auf Dumbledore gerichtet, „der Junge ist offenbar nicht fähig –“

Doch noch jemand hatte Snapes Namen ausgesprochen, ganz leise.

„Severus …“

Dieser Laut jagte Harry mehr Angst ein als alles, was er den ganzen Abend über erlebt hatte. Es war das erste Mal, dass Dumbledore flehte.

Als ich zum ersten Mal die Stelle las, in der Snape Dumbledore umbringt, war das ein ganz großer Schock für mich. Schließlich hatte Dumbledore immer und immer wieder versichert:

„Ich bin mir sicher. Ich vertraue Severus Snape vollkommen.“

Alle, die den letzten Band und des Rätsels Lösung kennen, werden in meiner Aufzählung oben erkennen, dass Rowling ein geschicktes Netz am Vorausdeutungen gewoben hat, indem die Charaktere umso näher an der Wahrheit sind, desto weiser sie im Epos etabliert wurden. Bis zum vermeintlichen Mord tut Snape nur Gutes und selbst danach rettet er wieder Harry, lediglich seine Äußerungen lassen anderes vermuten. Dumbledore ist sich seiner Sache absolut sicher. Lupin und Tonks glauben, dass es gute Gründe gibt, Snape zu vertrauen, Hagrid hat durch die Reihe hinweg immer wieder Fehler gemacht oder nur halbe Infos weitergegeben, so auch hier. Malfoy ist wie immer auf dem falschen Dampfer. Trelawny hat nie den Durchblick. Und Harry ist als unser Agent am Rätseln und durch seinen Hass auf den schlechten Lehrer auf der falschen Spur. Extremely well done, Mrs. Rowling!

Snape approves

Das namensgebende Abenteuer im dichten Geflecht von Rätseln

Wo im Erzählstrang eben Snape das Rätsel war, da ist er die Lösung in jenem, wer denn der Halbblutprinz ist. Ich muss aber leider sagen, dass das namensgebende Abenteuer im dichten Geflecht an Rätseln dieses Bandes das langweiligste ist. Zwar ist es ganz nett, wie Rowling den Halbblutprinzen immer wieder mit Snape in Relation setzt, etwa wenn Harry bemerkt, dass er vom Halbblutprinzen viel mehr gelernt hat als von Snape oder besonders schön, wenn er Ron mit dem Bezoar rettet – etwas, dass er kurz zuvor im Buch gelesen hat. Aber Hermine macht ihn darauf aufmerksam, dass er das auch gewusst hätte, wenn er mal bei Snape aufgepasst hätte. Hier referenziert Rowling sich selbst, denn Bezoare waren der Unterrichtsstoff in der allerersten Stunde von Snape im Stein der Weisen.

Abgesehen davon verläuft das Rätsel aber auf ausgetretenen Pfaden: Hermine behält mal wieder mit so ziemlich allem Recht, während Harry ein weiteres Mal seinen verstorbenen Vater anschmachtet.

Hermine hat recht

Ein ganzer Sack von Vorausdeutungen

Schön ist allerdings, wie Rowling den Abschied vom Zaubertrankbuch des Halbblutprinzen für einen weiteren Build-up für das große Finale nutzt. Nachdem Harry Malfoy mit Sectum Sempra verletzt hat, versteckt er das Buch im Raum der Wünsche und markiert die Stelle:

„Mit schrecklichem Herzklopfen hielt er einen Moment inne und starrte auf den Wirrwarr ringsumher … Würde er diese Stelle zwischen all diesem Gerümpel wiederfinden können? Er nahm die angeschlagene Büste eines hässlichen alten Zauberers von einer Kiste in der Nähe, stellte sie auf den Schrank, in dem nun das Buch versteckt war, und setzte der Figur eine verstaubte alte Perücke und ein angelaufenes Diadem auf den Kopf, um sie noch auffälliger zu machen.“

Es ist wirklich erstaunlich, wie viele epische Vorausdeutungen Rowling auch noch in den vorletzten Band packt. Schließlich schleppt sie schon einen ganzen Sack davon aus den vorherigen Teilen mit sich herum, die sie alle noch einlösen muss. So beginnt sie das Buch, als Harry und Dumbledore Slughorn rekrutieren, mit einem Hinweis auf Regulus Black und lässt es mit dem Amulett von R.A.B. enden. Mundungus Fletcher bedient sich am Haushalt des verstorbenen Sirius, was zum Ministeriums-Heist in Band Sieben führen wird. In einer der Denkariums-Ausflüge weiß Dumbledore, wer im Eberkopf auf Voldi wartet, weil er  „ein Freund der Wirtsleute am Ort“ ist. Draco entwaffnet Dumbledore und legt damit den Grundstein für Voldis Ende und obendrein bekommen wir die Andeutung von Dumbledores dunkelstem Geheimnis, wenn er das Gift in der Höhle trinkt:

„Es ist alles meine Schuld, alles meine Schuld“, schluchzte er, „bitte lass es aufhören, ich weiß, dass ich Falsches getan habe, oh, bitte lass es aufhören, und ich werde nie, nie mehr …“

„Tu ihnen nicht weh, tu ihnen nicht weh, bitte, bitte, es ist meine Schuld, tu doch mir weh …“

Aus dem Token-Bösewicht wird ein echter Mensch

„Ich habe experimentiert; ich habe die Grenzen der Magie erweitert, weiter vielleicht, als es jemals geschehen ist –“

„Einiger Formen von Magie“, korrigierte ihn Dumbledore leise. „Einiger. Von anderen wissen Sie … Sie verzeihen mir … erbärmlich wenig.“

Zum ersten Mal lächelte Voldemort. Es war ein angespanntes Grinsen, etwas Bösartiges, bedrohlicher als ein Zornerfüllter Blick.

„Der alte Streit“, sagte er sanft. „Aber nichts, was ich in der Welt gesehen habe, stützt Ihre berühmte Behauptung, dass Liebe mächtiger ist, als meine Art von Magie, Dumbledore.“

„Vielleicht haben Sie an den falschen Orten gesucht“, gab Dumbledore zu bedenken.

Aber der größte Build-Up für den letzten Teil sind natürlich die Horkruxe. Und auch hier macht Rowling wieder etwas viel clevereres als einfach den Plot voranzutreiben, nämlich das Gleiche wie bei Draco aber potenziert: Dadurch dass uns die Geschichte der Horkruxe in Rückblenden – Erinnerungen an Voldemorts Vergangenheit – erzählt wird, wird aus dem reinen Token-Bösewicht, der er bislang war, ein echter Mensch. Wir können nachvollziehen, wie er zu demjenigen wurde, der er zu Harrys Lebzeiten ist.

„Ich, der ich weiter als alle anderen gegangen bin auf dem Weg, der zur Unsterblichkeit führt.“

Wir erfahren, dass bereits das Tagebuch aus Die Kammer des Schreckens ein Horkrux war. Auch das ist ein echter Rowling-Move – etwas erklären, von dem wir später erfahren, dass ebenjene Erklärung nur die Spitze des Eisbergs war. Genau das macht sie auch hier wieder mit dem Ring von Voldi, von dem wir lernen, dass es ein Horkrux war, den Dumbledore bereits vernichtet hat. Aber natürlich ist das nur ein Teil der großen Wahrheit, die wir in den Heiligtümern des Todes erfahren.

Voldemort

Der Widerstreit von Vorbestimmung und freiem Willen

Zu diesen scheibchenweisen Enthüllungen gehört natürlich auch das große Mysterium, worin denn nun die Verbindung zwischen Harry und Voldi besteht. Wir lernen weitere Gemeinsamkeiten der beiden kennen: Beide sind Waisenkinder. Ihre Mütter sind beide für ihr Kind gestorben. Beide Jungs hassten ihr Leben unter Muggeln, sowie die Tatsache, dorthin immer wieder in den Sommerferien zurückkehren zu müssen. Beide betrachten Hogwarts als erste wahre Heimat. Harry stellt sogar bewusst eine Parallele her: In seinem ersten Versuch, Slughorn die Wahrheit über die Horkruxe abzuluchsen, spiegelt er bewusst 1:1 die Situation, in der Voldi dies damals tat.

Die Prophezieung

Diese Gemeinsamkeiten kontrastiert Rowling aber auch immer wieder mit Unterschieden. Während Harry nicht glauben konnte, dass er ein Magier ist, wusste Tom Riddle schon immer, dass er etwas besonderes ist. Voldi war viel talentierter als Harry. In der Schule immer der beste und schon davor beherrschte er seine Magie genug, um andere zu kontrollieren. Demgegenüber hat Harry im Gegensatz zu Voldi echte Freunde. Voldemort ist ein Einzelgänger, der niemand anderen haben möchte. Aus diesem letzten Unterschied entspringt Harrys größte Waffe gegen Voldemort: Liebe – die Macht, die der Dunkle Lord nicht kennt. So konstatiert Dumbledore an einer Stelle:

„Kann es sein, dass du Mitleid mit Lord Voldemort hast?“

Zugleich wird die Prophezeiung, die uns im letzten Band noch als große Enthüllung des Mysteriums verkauft wurde, nun wieder entzaubert. Harry Potter ist eine Geschichte über den Widerstreit von Vorbestimmung und Handeln aus eigenem Willen. Dieses Leitmotiv steckt nicht zuletzt in dem großen Konflikt um das reine Blut der Zauberer. Band 5 endet mit dem Zeiger auf 200% Vorbestimmung.

„Du misst der Prophezeiung zu viel Bedeutung bei! … Wenn Voldemort nie von der Prophezeiung gehört hätte, wäre sie dann in Erfüllung gegangen? Hätte sie dann irgendetwas bedeutet?“

Hier schlägt das Pendel zurück in die andere Richtung, wenn Dumbledore klarmacht, dass Voldi seinen größten Feind selbst erschaffen hat.

„Durch seinen Versuch, dich zu töten, hat Voldemort selbst den bemerkenswerten Menschen ausgewählt, der hier vor mir sitzt, und ihm die Werkzeuge für die Aufgabe an die Hand gegeben! Es lag an Voldemort selbst, dass du fähig warst, Einblick zu nehmen in seine Gedanken, in seine Vorhaben, dass du sogar die schlangenartige Sprache verstehst, in der er Befehle erteilt, und doch, Harry, trotz deiner privilegierter Einsicht in Voldemorts Welt (ein Talent übrigens, nach dem sich jeder Todesser sehnen würde) wurdest du nie von den dunklen Künsten verführt, hast du nie auch nur eine Sekunde lang den geringsten Wunsch gezeigt, einer von Voldemorts Gefolgsleuten zu werden!“

Das Zerfasern der Heldenreise

Das führt uns zu Harrys Heldenreise. Doch vorher möchte ich noch einen Ausflug an den Anfang machen: Das Kapitel beim Premierminister ist vielleicht das tollste in der ganzen Reihe, weil es in wenigen Seiten klarmacht, dass es hier nicht mehr nur um Harry geht, nicht mehr nur um die kleine Zauberergemeinde. Es herrscht Krieg und davon sind alle betroffen.

The chosen one

Ende des Ausflugs und zurück zu Harry: Während seine Heldenreise in den ersten fünf Bänden die Stationen des Monomythos von Joseph Campbell mustergültig abhakte, zerfasert sie ein bisschen nach hinten heraus. Wir hatten im Stein der Weisen den Call to Adventure – Harry erfährt, dass er ein Zauberer ist. In der Kammer des Schreckens kam The Refusal of the Call – Harry zweifelte massiv an sich, wollte kein Held sein, hörte Stimmen, dachte, er ist vielleicht der Böse und sehnte sich ganz stark danach, nur ein normaler Schüler zu sein. In der Gefangene von Askaban kam das Crossing the Threshold, das Überschreiten der Schwelle. Harry lernte die größeren Zusammenhänge kennen und vor ihm begann sich die wahre Geschichte von ihm, seinen Eltern und Voldi zu entfalten. Hier begann sein großes Abenteuer erst richtig. Der Feuerkelch war eine mustergültige „Road of Trials“, auf der unser Held verschiedene Aufgaben lösen muss, um in die Heldenrolle hineinzuwachsen. Der Orden des Phoenix war „The Belly of the Whale“ – Harry war drauf und dran an der Unmöglichkeit der ihm gestellten Aufgabe zu verzweifeln. Es steckte auch ein bisschen „Woman as Temptress“ darin, dadurch dass Harry sich mit Cho gewissermaßen in die falsche Frau verliebt hatte. Nun, in der Halbblutprinz, findet das echte „Meeting with the Goddess“ statt, wenn er sich in Ginny verliebt. Außerdem gibt es „Atonement with the Father“ – Dumbledore wird jetzt erst zur echten Vaterfigur, er gibt Harry Einzelunterricht und es wird auch sonst ganz kuschelig zwischen den beiden … Allerdings kommt dann das Ende dieses Buches und damit eine tiefe Krise, die kombiniert mit dem Wissen darum, wie Harry Voldi wird besiegen können, die eigentliche Station von Harrys Heldenreise ist. Bei Campbell gibt es dafür keine Entsprechung.

Schauen wir uns das mal der Reihe nach an: Das Buch beginnt damit, dass Harry jetzt von aller Welt als der Auserwählte betrachtet wird. Ihm dämmert so langsam, dass der Kampf gegen Voldi ihn wahrscheinlich sein Leben kosten wird, aber er ist bereit, dieses Risiko einzugehen. Nachdem er im Laufe des Romans immer wieder von dieser Mission abkommt und dafür teilweise heftig von Dumbledore kritisiert wird, beginnt er nach und nach immer weiter in diese Rolle hineinzuwachsen. Der entscheidende Moment ist, wenn er unter dem Einfluss von Felix Felicis Slughorn offen erklärt:

„Ich bin der Auserwählte. Ich muss ihn töten.“

Am Ende des Buches ist Harry soweit, dass er gegen Voldi aus freien Stücken antreten will und nicht nur wegen der Prophezeiung. Als ihm dann noch Dumbledore als letzter Schutz genommen wird, fasst er den Entschluss, Hogwarts zu verlassen und sich auf die Suche nach den verbliebenen Horkruxen zu machen.

Nitpicking

Enden will ich diesen Post aber als wie gewohnt mit etwas heitererem und genüsslich Nüsse picken:

  • Ich möchte kurz erwähnt haben, dass Hermine eine schlechte Schauspielerin ist. Dies tut zwar auch Ron, nach ihrem Auftritt bei Borgin & Burke’s, aber man kann es nicht oft genug sagen!
  • Seidenschnabel ist zurück bei Hagrid. Alles was der dafür tun musste, ist, ihn in Federflügel umzubenennen. Hätte man darauf nicht auch schon vor drei Jahren kommen können? All die Zeit, in der das Tier nicht artgerecht in einer Londoner Stadtwohnung ausharren musste, hätte man ihm ersparen können!
  • Pflanzenkunde ist das das übelste Fach an dieser Schule und sollte verboten werden. Dort geht es immer blutig zu!
  • Das Flohnetzwerk ist einfach nicht gut durchdacht. Als Harry nach Hogwarts reist und aus McGonagals Kamin kommt, bittet diese ihn: „Hinterlassen Sie bitte nicht so viel Asche auf dem Teppich“. Man sollte diese Transportmethode wirklich noch einmal überdenken!
  • Der Raum der Wünsche ist die Deus ex Architektus.
  • Trelawny stößt beim Kartenlegen immer wieder auf den vom Blitz getroffenen Turm. Das macht überhaupt keinen Sinn! Rowling verwendet das hier als epische Vorausdeutung auf das große Finale. Aber in der Vergangenheit hatte sie etabliert, dass Trelawny nur hellsehen kann, wenn sie in diesem tranceartigen Zustand ist, an den sie sich nachher nicht erinnern kann.
  • Zu guter Letzt: Dass man Felix Felicis im Kampf einsetzen kann und dann nicht von Flüchen getroffen wird, ist mal wieder nicht gut durchdacht, Frau Rowling!

Ach ja, hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass der Halbblutprinz mein Lieblingsband ist? Ein tolles Buch! Jetzt freue ich mich auf das große Finale und verspreche, dass ich mir nicht ganz so viel Zeit mit dem Artikel lassen werde. Also ich werde es versuchen … Vielleicht.
Wands for Dumbledore

Harry Potter und die verlorenen Väter

Ein weiteres halbes Jahr ist vergangen und wir besteigen zum drittletzten Mal den Hogwarts-Express. Ach ja, auch wenn wohl noch mehr Seiten vor uns als hinter uns liegen, beginnt bei mir mit Band 5 regelmäßig der Abschiedsschmerz. Doch nicht so schnell! Erst muss ich noch einmal erklären, was das hier ist: Ich lese mit meiner Tochter (derzeit 8) die Harry-Potter-Bücher und damit sie nicht überfordert ist, sondern mit den Büchern mitwachsen kann, lesen wir jedes halbe Jahr einen Band. Anschließend beschreibe ich hier, wie es war und was mir auffiel.

Applaus

Bisher habe ich das schon in diesen Texten getan:

Eine Warnung noch: Falls ihr in den letzten eineinhalb Jahrzehnten im Raum der Wünsche an eurem Patronus geübt habt und nichts über diesen Potter wisst, seid euch gewiss: Ich werde spoilern!

Schock!

Taktisches Vorlesen

Nach dem dramatischen Ende der letzten Vorleserei war ich ein bisschen besorgt, wie meine Tochter einerseits die sadistische Umbridge und andererseits Sirius‘ Tod verkraften würde. Der Mord an Cedric hatte sie ja ziemlich mitgenommen, obwohl Cedric nur irgendein Schüler war, den wir nur in einem Band etwas näher kennengelernt haben. Aus meinen Fehlern vom letzten Mal habe ich gelernt und bin an die dramatischen Textstellen viel taktischer herangegangen: Ich habe sie nicht abends, sondern am helllichten Tag vorgelesen. Den Showdown habe ich in insgesamt fünf verdaulichere Häppchen aufgeteilt. Sodass wir nicht wieder vom Sog der Geschichte gefangen genommen wurden, sondern meine Tochter jeweils Zeit hatte, das Gehörte zu verarbeiten. Auch habe ich vor dem Showdown angekündigt, dass ein wichtiger Charakter sterben wird. Und wir haben noch einmal darüber gesprochen, warum Autorinnen liebgewonnene Personen sterben lassen. Wir haben auch beraten, ob ich nicht besser vorher erzählen soll, wer sterben wird. Aber außer der Zusicherung, dass es kein Kind ist, wollte meine Tochter keinen Spoiler. Diese Strategie ging voll auf und so war ich der Einzige, der Tränen in den Augen hatte, als Sirius dann durch den Vorhang fiel.

crying

Aus dieser Erfahrung nehme ich zwei Erkenntnisse mit: Einerseits finde ich spannend, dass es ganz offensichtlich nicht so schlimm ist, wenn eine Vaterfigur stirbt, als wenn dies einem Kind zustößt. Auch wenn das an meinem Ego kratzt, kann ich es nachvollziehen. Wenn ich die Geschichte lese, identifiziere ich mich auch immer mit Harry, Ron, Hermine, Ginny und vor allem mit Luna und Neville. Die andere interessante Erkenntnis ist, dass der Schrecken, der von Umbridge ausgeht, auf meine Tochter quasi keine Wirkung hatte.

„Harry setzte die Federspitze auf das Papier und schrieb:
Ich soll keine Lügen erzählen.
Er keuchte auf vor Schmerz. Die Wörter waren auf dem Pergament erschienen, offenbar mit leuchtend roter Tinte geschrieben. Zugleich waren die Wörter auf dem Rücken von Harrys rechter Hand aufgetaucht, in seine Haut geschnitten, als hätte ein Skalpell sie dort eingeritzt.“

Gerade bei dieser fürchterlichen Feder schielte ich immer wieder heimlich zu einer gewissen Achtjährigen rüber, aber das juckte sie nicht die Bohne. Ich vermute, dass der bürokratische Anstrich, den Rowling Umbridge verpasst hat, etwas ist, das eher auf Erwachsene als auf Kinder wirkt. Während etwas pures, unerklärlich Böses wie Voldemort ein Kind mehr gruselt. Doch genug der Küchenpsychologie, lasst uns das Buch auseinandernehmen!

Lesen!

Fünf Dimensionen

Insgesamt werde ich diesmal fünf Dimensionen des Buches besprechen: Natürlich darf die Coming-of-Age-Geschichte nicht fehlen. Das Abenteuer ist diesmal ein zweigesichtiges: Neben dem Kampf gegen Voldemort muss Harry auch gegen das Ministerium antreten. Dann werde ich die Geschichte in den großen Handlungsbogen einordnen. Aber natürlich darf auch mein übliches Nitpicking nicht fehlen.

Insgesamt gehört Der Orden des Phönix zu den besseren Bänden der Reihe und vor diesem Durchgang war er auch immer im Kampf um meinen Lieblingsteil ganz vorne mit dabei, aber diesmal sind mir doch ein paar Schwächen aufgefallen, die das Buch in meiner Gunst haben leicht abfallen lassen. So braucht Rowling ziemlich lange, bis die Geschichte mal so richtig ins Laufen kommt. Das Buch hat eine ziemlich ausführliche Exposition und sie bereitet so viel für das spätere Abenteuer vor, dass wir nach etwa 250 Seiten Hogwarts überhaupt erst betreten. Zum Vergleich: Der Stein der Weisen hat insgesamt nur 335 Seiten. Dieser schleppende Anfang liegt zum Teil auch daran, dass sie ihre Versäumnisse aus den Bänden 3 und 4 wieder gut machen muss: Ich spreche von Sirius‘ überstürztem Rutsch in die Vaterrolle am Ende von Der Gefangene von Askaban. In Der Feuerkelch gab es dann nur wenige Szenen, die Gelegenheit für eine stärkere Bindung zwischen Harry und Sirius boten. Damit der Höhpunkt in diesem Band die nötige Dramatik entfalten kann, muss Rowling Harry und Sirius entsprechend relativ viel Zeit zusammen verbringen lassen, worunter das Pacing etwas leidet.

Ist das so?

Würde bitte mal jemand mit dem Jungen reden?!

Doch die größte Schwäche dieses Bandes ist der Teil des Abenteuers, der sich um Voldemort dreht. Voldis Plan ist zwar wesentlich cleverer als noch im Band zuvor, und dass Rowling ihn mal wieder von Hermine laut aussprechen lässt, ohne dass wir zu diesem Zeitpunkt der Geschichte ihr Glauben schenken ist ein klassischer Rowling – sehr schön.

„Du … das ist keine Kritik, Harry! Aber du … irgendwie … ich meine – glaubst du nicht, dass du so was wie – wie ein – Menschenrettungsding hast?“, sagte sie.

Auch dass am Ende gerade nicht die vermeintliche Kontrolle von Voldemort über Harry die Geheimwaffe ist, sondern das Wissen darum, wie der dunkle Lord Harry töten kann, ist eine schöne Auflösung. ABER der ganze schöne Plan von Du Weißt Schon Wem, Harry in die Mysteriumsabteilung zu locken, wäre zu Staub zerfallen, wenn nur ein einziger Erwachsener sich mal die Zeit genommen hätte, mit Harry zwei Sätze über seine Situation zu wechseln. Dass sie nie auf diese Idee kommen, ist ein typischer Fall von dummen Protagonisten, die dumme Dinge tun. Etwas, das ich in meinem Podcast Spätfilm oft anprangere und das mir immer ein bisschen das Mitfiebern versaut.

Wenn Harry mit niemandem über seine Sorgen und Nöte spricht, ist das zwar auch dumm und mittlerweile ein bisschen abgenutzt, aber Harry ist ein Teenager und die sind nun einmal dumm. Wenn hingegen ein ganzer Club voller Phönixkriegern es nicht auf die Reihe kriegt, mal zu sagen: „Hör mal Harry, wir machen uns Sorgen, nicht weil wir Angst vor dir haben, sondern davor, dass Voldi dich mit einem fiesen Trick aus unserem Schutz heraus locken und dich so in Gefahr bringen kann. Deshalb musst du Okklumentik lernen.“ Dass alle immer nur stammeln, wenn es darum geht, Harry zu erklären, was Phase ist, ist mir wirklich zu konstruiert, bloß um den Konflikt voranzutreiben.

Tja ...

Umbridges repressive Herrschaft in Hogwarts

Ganz anders steht es hingegen um den zweiten Teil des Abenteuers: Harrys Kampf gegen das Ministerium. Das ist vom Prozess gegen Harry angefangen bis zu Umbridges „Entsorgung“ durch die Zentauren perfekt konstruiert. In Band vier wurde bloß angedeutet, dass der Zaubererstaat keine heile Welt sondern repressiver ist, als Rowling es in früheren Bänden darstellte und dass Rassismus tief in der Zauberergesellschaft verwurzelt ist und nicht bloß ein Problem von wenigen Todessern.

„Was hat sie gegen Werwölfe?“, sagte Hermine aufgebracht.
„Hat Angst vor ihnen, vermute ich“, entgegnete Sirius und lächelte angesichts ihrer entrüsteten Miene. „Offenbar hasst sie Halbmenschen; sie hat sich letztes Jahr auch dafür engagiert, Wassermenschen zusammenzutreiben und einzufangen.“

Dieses mal belässt Rowling es nun nicht länger bei Andeutungen, sondern erhebt genau diese Geschichte zu einem zentralen Plottpunkt. Als zentrales Symbol hierfür nutzt sie den Brunnen im Ministerium, den Dumbledore im Showdown nicht weniger symbolträchtig zerstört, um gegen Voldemort zu kämpfen. Aber auch die Gleichschaltung der Presse durch den Minister und Umbridges repressive Herrschaft in Hogwarts schlagen in die gleiche Bresche. Dass die rassistische Umbridge, die keine Gelegenheit auslässt, um gegen Halbmenschen zu hetzen, am Ende von Zentauren vertrieben wird, bildet dann auch einen sehr schönen Payoff für diesen Handlungsstrang.

Das Ende des zweiten Aktes

Warum wusste er, was Voldemort fühlte? Worin bestand jene unheimliche Verbindung zwischen ihm und Voldemort, die Dumbledore ihm nie richtig hatte erklären können?

Gewohnt meisterlich agiert Rowling, wenn es darum geht, diese Geschichte in den großen Handlungsbogen des gesamten Epos einzuordnen. Wenn wir die komplette Reihe als Dreiakter auslegen, dann schließt sie mit diesem Band den zweiten Akt ab: Emotional ist Harry auf dem Tiefpunkt angelangt, sein Pate ist nichtzuletzt wegen Harrys Fehlern gestorben und er hat erfahren, dass prophezeit wurde, dass er entweder sterben wird, oder Voldemort umbringen muss. Zugleich liegen jetzt aber auch alle Karten auf dem Tisch: Harrys Problem ist klar umrissen und im dritten Akt – den letzten beiden Bänden – kann es nun endlich um die Lösung gehen und damit begonnen werden, Voldemort zu besiegen.

„Im vergangenen Jahrzehnt deuteten die Zeichen darauf, dass die Zaubererschaft nichts weiter als eine kurze Stille zwischen zwei Kriegen erlebt.“

Rowling fängt nun an, erste Payoffs zum lange aufgebauten Epos zu geben: das wahre Gesicht des Ministeriums ist so ein Payoff, die Rolle von Trelawny in Harrys persönlicher Geschichte ein weiterer, genau wie die Auflösung, warum Harry immer wieder zu den Dursleys zurückkehren muss.

Harry antwortete nicht. Er wusste genau, warum Neville so wütend wurde, wenn es um Leute ging, die wegen magischer Gehirnschäden im St. Mungo waren, doch er hatte Dumbledore geschworen, Nevilles Geheimnis niemanden zu erzählen.

Der beste Punkt diesbezüglich ist aber Nevilles Geschichte, nachdem das Schicksal seiner Eltern in Der Feuerkelch angeteasert wurde, bekommt Neville hier seinen eigenen Call to Adventure in Form des Gefängnisausbruchs von Bellatrix LeStrange. Vom bloßem Comic Relief mausert er sich zu einem handelnden Charakter. Eine Wandlung, die in den nächsten Bänden weitergehen wird. Womit wir angelangt wären bei all den neuen epischen Vorausdeutungen und Chekhov’s Guns, die Rowling eingebaut hat: So wird angedeutet, dass noch mehr an Tante Petunia dran ist, als das Auge sieht. Snapes Mysterium wird weiter angeteasert, und Dumbledores Bruder wird unauffällig in Position gebracht. Am Ende des Bands kündigt Draco sogar seine Rolle im Band 6 an. Aber am cleversten verwebt Rowling hier die Vorausdeutungen auf Harrys ureigenes Mysterium.

„Natürlich, natürlich“, murmelte Dunbledore wie zu sich selbst, während er weiterhin den Rauchstrom ohne die geringste Spur von Überraschung betrachtete. „Aber im Wesen gespalten?“

Sie bedient sich hier eines Tricks, den sie oft verwendet und der dennoch nicht an Brillanz einbüßt: Durch die Prophezeiung hat sie uns nun vermeintlich endgültig enthüllt, worin die Verbindung zwischen dem dunklen Lord und Harry besteht. Aber auf der anderen Seite baut sie unzählige Vorausdeutungen ein, die uns wieder einmal sagen, dass da noch mehr dahinter steckt, ohne dass wir es jetzt schon verstehen können.

„Außerdem gab es … ein schweres Medaillon, das keiner von ihnen öffnen konnte …“

Das ist meines Erachtens eine der höchsten Künste des Geschichtenerzählens und nicht der geringste der vielen Gründe, warum der Harry-Potter-Zyklus so verdammt gut ist. Bei so hoher Kunst verzeihe ich J. K. Rowling dann sogar, dass sie auch wieder etwas Retconning betreibt, wie zum Beispiel bei den Testralen, die plötzlich die „pferdelosen“ Kutschen schon immer gezogen haben sollen! So etwas könnte ganz unmöglich ein Geheimnis unter den Schülern sein, auch wenn ich natürlich die Symbolik verstehe.

Oh no!

Vom Verlieben und Entlieben

Das sollten sie uns hier beibringen, dachte er und drehte sich zur Seite. Wie die Gehirne von Mädchen ticken … das wär jedenfalls nützlicher als Wahrsagen …

Kommen wir zur Coming-of-Age-Geschichte: Hier erscheinen mir zwei Aspekte besonders bemerkenswert. Zum einen natürlich Harrys erste Liebe.

„Misteln“, sagte Cho leise und deutete an die Decke über seinem Kopf.
„Ja“, sagte Harry. Sein Mund war sehr trocken. „Sind aber wahrscheinlich voller Nargel.“
„Was sind Nargel?“
„Keine Ahnung“

Mir gefällt sehr, sehr gut, wie unaufgeregt Rowling diese Geschichte erzählt und wie es ihr gelingt, sämtliche Klischees zu umschiffen. Weder ist Cho gleich die große Liebe, noch präsentiert Rowling uns die Geschichte als großes Drama. Da verlieben sich einfach zwei Teenager, wissen dann in ihrer Unerfahrenheit nichts miteinander anzufangen und entlieben sich daher wieder – ein wunderschön realistischer Ansatz.

Dann ist Der Orden des Phönix zum anderen die Geschichte der verlorenen Väter. Gleich drei Stück muss Harry einbüßen: Zunächst ist da Dumbledore, der zwar immer etwas zu distanziert und abgehoben für eine Vaterfigur war, der aber dann, wenn es hart auf hart kam, doch in diese Rolle schlüpfte und der vor allem Harry am Ende immer alles genau erklärt hat. Das macht er in diesem Band zwar beides wieder, aber lange Zeit wird Harry der Eindruck vermittelt, Dumbledore habe diese Rolle aufgegeben. Dann verliert Harry seinen leiblichen Vater ein zweites Mal und zwar verliert er ihn als strahlendes Vorbild, als Harry entdeckt, dass sein Vater ein Bully war und Snape gequält hat. Schließlich verliert Harry auch noch Sirius, der – wie ich oben schon schrieb – gerade erst so richtig in dieser Rolle angekommen war. Erzählerisch ist das ein klassischer Move, Harry ist der Chosen One, der unumstrittene Held dieser Geschichte. Rowling muss also sein Auffangnetz abbauen, damit gesichert ist, dass am Ende auch wirklich Harry und kein anderer Voldemort besiegt. Mit diesem Abbau wird sie in den kommenden Bänden bekanntlich fortfahren. Aber bei aller Klassik: Auch in diesem Teil der Geschichte verpackt Rowling wieder einen cleveren kleinen Kommentar: Und zwar als sie McGonagall ausschaltet.

Es gab niemanden mehr, dem er es sagen konnte. Dumbledore war fort, Hagrid war fort, doch er hatte es immer für selbstverständlich gehalten, dass Professor McGonagall da sein würde, reizbar und starrsinnig vielleicht, aber immer verlässlich, stets verfügbar …

Während traditionell um die Väter viel Geschiss gemacht wird, war es für Harry also immer selbstverständlich, dass die Mutterfigur einfach für ihn da ist, „stets verfügbar“. Ein wirklich guter kleiner Kommentar auf unser Bild von Vätern und Müttern sowohl in Literatur als auch in der Realität.

Not impressed!

Wenn es dagegen doch bloß einen Zauber gäbe …

Ja, beim Schreiben dieses Textes wurde mir wieder klar: Der Orden des Phönix ist trotz der paar Schwächen wirklich ein sehr gutes Buch. Daran ändert auch mein letzter Punkt nichts – das traditionelle Nitpicking:

  • Harry ist bei allen an der Schule total unbeliebt. Hatten wir die Geschichte nicht schon einmal, zweimal oder drölfzigmal?
  • Lupin ist arm, weil er als Werwolf diskriminiert wird. Aber muss er deshalb wirklich Flicken auf seinem Umhang haben? In dieser Welt lernen die Schulkinder Mäuse in Tassen zu verwandeln. Aber es gibt keinen Zauberspruch, der dafür sorgt, dass Lupins Umhang wieder einwandfrei ist?
  • Das Haus Slytherin hat noch immer ein Image-Problem
  • Zacharias Smith ist ein Riesenarsch! Warum haben die ihn bei Dumbledores Armee mitmachen lassen?
  • Draco freut sich, weil Slytherin zwischenzeitlich als einziges Team die Erlaubnis bekommen hat, Quidditsch zu spielen. Hmmm, Draco, das Konzept eines Sporttuniers hast du noch nicht verstanden, oder? Viel Spaß beim einsamen Rundenfliegen im Stadion!
  • Dieses „Zwischen Bildern hin und her laufen“ von Portraits ist doch totaler Mumpitz! Da lässt du dir ein Gemälde von deiner geliebten, verstorbenen Frau machen. Aber weil irgendein Exfreund von ihr sich auch ein Bild hat machen lassen, muss sie dann immer zwischen den beiden hin und her pendeln? Das Konzept sollte noch einmal überdacht werden!
  • Zauberer sind Dilettanten, Teil 2359: Die Sessel im Fahrenden Ritter rutschen bei der Fahrt hin und her und fallen bei jeder zweiten Kurve um. Mensch wäre es nicht toll, wenn es so etwas praktisches wie den Dauerklebefluch gäbe?
  • Snape ist ein schlechter Lehrer, ein sehr schlechter Lehrer!

Ich freue mich schon jetzt auf den Halbblutprinz. In einem halben Jahr lest ihr dann hier, wie er war.
Tschüss!

Buchkritik: Der Marsianer

Ich habe Der Marsianer* gelesen und muss leider sagen, ich bin nicht so begeistert wie ihr. 

Der Mars (Symbolbild)
Der Mars (Symbolbild)

Ich verstehe die Grundfaszination: Der Wissenschaftskram ist interessant und der Plott ist spannend konstruiert. Andy Weir schafft es wiederholt fast schon wie Hitchcock Spannung dadurch aufzubauen, dass er uns Informationen gibt, sodass wir dem Protagonisten gegenüber einen Wissensvorsprung haben.

Aber – ein dickes, fettes ‚Aber‘ mit Streuseln obendrauf – das Konzept, den Roman als Briefroman zu schreiben, in Form von Logbucheinträgen und Nachrichten an die NASA, geht von vorne bis hinten nicht auf: Mark Watney muss zwangsläufig den ganzen NASA- und Wissenschaftskram für Laien erklären, aber das ist total unglaubwürdig. Für den Protagonisten ist das doch alles selbstverständlich, er würde in seinem Tagebuch niemals erklären, wie die Technik funktioniert, mit der er tagtäglich hantiert. Er rechtfertigt das ganz am Anfang damit, dass er ja nicht wissen kann, wer das Tagebuch findet. Es bleibt trotzdem unglaubwürdig. Was glaubt er denn, wer es findet? AUF DEM MARS!!!

Mit fortschreitendem Buch kommt dann das Problem hinzu, dass Weir Actionszenen nicht nur nacherzählen will, sondern direkt beschreiben, damit wir nicht wissen, ob Mark überlebt. Das führt aber dazu, dass du als Leser jedesmal, wenn plötzlich der Wechsel zum allwissenden Erzähler kommt, weißt, dass Marks Plan nicht aufgehen wird.

Das nächste Problem ist, dass wirklich jeder einzelne Charakter in diesem Buch ein verdammtes Klischee ist: So findet natürlich der weltfremde Asberger-Nerd die Lösung, wie Mark zu retten ist. Natürlich trinkt der Deutsche schon zum Frühstück Bier und natürlich sind die Chinesen höflich, technisch auf hohem Niveau, haben aber ihre Kommandozentrale komplett von der NASA kopiert. Aber am meisten hat mich die Kommandantin Lewis genervt. Sie ist ein Star-Trek-Captain par excellence, die nichts unversucht ließ, um Mark zu retten und den Mars erst verließ, als es ganz doll wirklich auf jeden Fall nicht anders ging. Ich persönlich hätte ja eine moralische Grauzone spannender gefunden, aber geschenkt, es ist nicht mein Buch. Was nervt, ist, dass nachdem diese Geschichte erzählt wurde, dennoch jedesmal, wenn Lewis im Roman auftaucht, noch einmal erwähnt werden muss, dass sie aber mal sowas von überhaupt keine Schuld daran hat, dass Mark auf dem Mars gestrandet ist. Wenn ich so etwas lese, fühle ich mich als Leser nicht ernst genommen. Darf ich mir auch eigene Meinungen bilden? Nein? Oh.

Aber richtig sauer gemacht hat mich ein fettes Plottloch. Mark findet eine Möglichkeit mit der NASA zu kommunizieren, aber sie ist sehr fehleranfällig und mühsam. Wir lesen Transkripte der übermittelten Nachrichten und diese müssen mühselig entziffert werden. Doch dann schickt ihm die NASA auf diesem Weg ein Stück Code, das er in seinen Computer eingeben soll und danach können sie besser kommunizieren. Das klappt. Auf Anhieb … ? … ?! WHAT THE FUCK?!?! Vorher konnte er nicht ein Wort fehlerfrei transkribieren, aber ausgerechnet beim Code funktioniert das? Jede, die auch nur mal eine CSS-Datei editiert hat, weiß, dass ein Fehler reicht und nichts funktioniert. Ein Code ist eine eineindeutige Zurordnungsvorschrift, jedes einzelne Zeichen ist bedeutungstragend.

Gut, man könnte jetzt sagen, das war nur eine Auslassung, die ganzen Korrekturdurchläufe wurden einfach nicht erzählt. Das lasse ich aber nicht gelten bei einem Roman, der über Dutzende von Seiten erzählt, wie sein Protagonist aus der eigenen Scheiße Ackerboden macht!

Nein, ich war milde enttäuscht vom Marsianer.

 

*Hinterhältiger Affiliate-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Harry Potter und der Schock am Ende

Ein halbes Jahr ist vorbei und das bedeutet natürlich: Es ist Potter-Time!

Wicked!

Hier noch einmal kurz erklärt, was das ist … Ich lese meiner Tochter (jetzt ist sie 8) jedes halbe Jahr einen Potter-Band vor, damit sie mitwachsen kann, schließlich werden die Geschichten zusehends gruseliger. Und dieser Teil hat auch gezeigt, dass unser Vorgehen keine schlechte Idee war, aber der Reihe nach … Nachdem wir den Band gelesen haben, erzähle ich dann euch, wie es für mich war und was mir aufgefallen ist. Bisher machte ich das schon zu:

  1. Harry Potter und die Löcher im Plott
  2. Kommissar Potter ermittelt
  3. Harry Potter und die gruseligste Nebensache der Welt

Und jetzt also auch zu Harry Potter und der Schock am Ende aka. Harry Potter und der Feuerkelch. Und ich sage euch: Puuh, war das ein Schock. Ach ja, allen, die in den letzten 15 Jahren mit der Aufzucht von knallrümpfigen Krötern beschäftigt waren, sei gesagt, dass ich Spoilern werde.
I don't care

Jedenfalls habe ich auf der Rückfahrt aus unserem Sommerurlaub fast die ganze Zeit Potter vorgelesen. Das war einerseits sehr gut, denn wir hatten eine Panne und waren dadurch ewig unterwegs. Die Zeit wurde uns aber durch die spannende Entwicklung im Buch verkürzt. Andererseits habe ich mich dann am Ende über mich selbst geärgert. Denn zu dem Zeitpunkt, als der Trimagische Pokal sich als Portschlüssel herausstellt, war es in unserer Welt schon weit nach neun Uhr und meine Tochter entsprechend übermüdet.

Da hätte ich aufhören sollen, zu lesen, denn ich wusste ja, was folgt. Aber fast alle im Auto bettelten mich schier an, jetzt wäre es doch so spannend, jetzt könne ich doch nicht aufhören. Also habe ich weitergelesen und kurz darauf hauchte es rechts von mir entsetzt: „Cedric ist tot?!“.

crying

Der Schock saß tief und ich konnte meine Tochter nicht trösten, da wir mittlerweile zu Hause angekommen waren und ich das Auto ausräumen musste, denn es gehörte dem Opa und der wollte noch weiterfahren, um in sein eigenes Bett zu kommen. Die Dame war – falls Sie sich wundern – gerade damit beschäftigt, mit unserer anderen Tochter (1) zu verhandeln, da diese nicht amüsiert darüber war, dass wir so dreist ihren Schlaf unterbrochen hatten, um sie aus dem bequemen Autositz in dieses total überbewertete Bett zu bringen.

Aber keine Sorge: Nachdem ich unsere drölfzig Taschen und Koffer hochgetragen hatte, hatte ich mit meiner Tochter (8) noch ein langes Gespräch über Höhen und Tiefen in Büchern, warum Autoren liebgewonnene Charaktere sterben lassen und dass es voll in Ordnung ist, dass einem das sehr traurig macht. Sie schlief in der Nacht noch gut, nach ein paar Tagen Abstand hörte sie sich auch gerne noch den Schluss des Buches an und jetzt freut sie sich schon auf Band fünf, bei dem ich schlauer vorgehen werde …

Drei Erzählstränge

Aber jetzt erst einmal der Reihe nach! Wie gewohnt, will ich den Potter in all seinen dreckigen kleinen Details hier zerrupfen.

„Madam Pomfrey wird ganz entzückt sein“, sagte Professor Sprout und stöpselte die letzte Flasche mit einem Korken zu. „Ein hervorragendes Mittel gegen die hartnäckigeren Formen der Akne, dieser Bubotubler-Eiter. Sollte einige von euch, die ihre Pickel loswerden wollen, von Verzweiflungstaten abhalten.“

Potter ist nun endgültig kein Kind mehr und das merkt man in allen drei Erzählsträngen, die das Buch bereithält (unzählige Nebenhandlungen nicht mitgerechnet). Der erste Strang ist die Coming-of-Age-Geschichte, hier keimt zaghaft die Liebe auf, es geht um Idole und Kindheitstraumata. Keine Frage, die Pubertät ist da.

„Hier wurde ein kraftvoller magischer Gegenstand ausgetrickst!“, sagte Moody. „Ein ungewöhnlich starker Verwechslungszauber war nötig, damit dieser Kelch vergisst, dass nur drei Schulen am Tunier teilnehmen … Ich vermute, dass Potters Name für eine vierte Schule eingeworfen wurde, denn dann galt er als deren einziger Kandidat …“

Der zweite Strang ist ein fantastisch ausgetüftelter Whodunit, mit unzähligen Hinweisen zur Lösung, einem Red Herring in Form von Ludo Bagman und einem kunstvoll eingewobenen Nebenplott rund um Rita Kimmkorn. Das Ganze ist so komplex, dass du schon eine gewisse geistige Reife brauchst, um da noch durchzusteigen – nix für Kinder.

„Da hast du es, Harry!“, rief Ron durch den Trubel. „Du warst überhaupt nicht blöde – du hast moralisches Rückgrat bewiesen!“

Der dritte Strang ist nicht der Durmstrang sondern das eigentliche Abenteuer. Und das ist leider das Schlechteste seit dem ersten Teil. Allerdings ist es auch viel düsterer als alle drei Bände zuvor und damit sind wir eben auch einen Schritt aus dem Kinderbuch hinaus getreten.

Das Abenteuer

Diese Düsternis zeigt sich schon auf den ersten Seiten: Die obligatorische Dursley-Comic-Relief-Episode lässt zunächst noch auf sich warten, an ihrer statt sind wir bei keinem geringeren als „Du weißt schon wem“ und das Buch braucht nur 20 Seiten, da haben wir auch schon den ersten Toten.

Avada Kedavra

Rowling hält den Wechsel zwischen albernen Slapstick-Einlagen und ernsten Passagen während des ganzen Buches über aufrecht. Hierbei gefällt mir besonders gut, dass sie die Dichotomie zwischen den guten Zauberern und den Schwarzmagiern aufhebt, indem sie der früher noch hell strahlenden Zaubererwelt nun einige Schrammen verpasst: Mit den Hauselfen und den Riesen wird etabliert, dass das offizielle Regime auch seine rassistischen Ressentiments hat und der Schritt zur „Reinblüterlehre“ nicht so groß ist, wie es offiziell immer hieß. Zudem wird am Beispiel von Crouch Sr. gezeigt, dass man auch gegen den dunklen Lord sein kann und trotzdem moralisch nicht astrein.

Insgesamt werden auch die Dimensionen der Geschichte größer, es geht nicht mehr nur um den kleinen Harry, seine toten Eltern und den Schulalltag, stattdessen wird hier eine Geschichte mit Auswirkungen auf die ganze Zaubererwelt erzählt, was sehr schön mit der Quidditch-Weltmeisterschaft zu Beginn symbolisiert wird und damit, dass wir nun auch von anderen Zaubererschulen erfahren.

Rowling führt unzählige neue Elemente ein. Manche ganz explizit, wie die Todesser, die Auroren, das Dunkle Mal (sowohl am Himmel als auch am Arm), die unverzeihlichen Flüche inklusive der wichtigen Information, dass man sich gegen Avada Kedavra nicht verteidigen kann. Wir erfahren mehr Backstory zu Neville, Hagrid und vor allem Snape, dessen Mysterium weiter angeteasert wird, so erfahren wir, dass er Todesser war, ihn aber irgendetwas dazu veranlasste die Seiten zu wechseln, etwas, wegen dessen Dumbledore ihm bedingungslos vertraut.

Und warum … warum … war Dumbledore so überzeugt, dass Snape auf seiner Seite war?

Dann gibt es Aspekte, die uns J. K. Rowling uns vermeintlich erklärt, von denen wir aber in späteren Bänden erfahren, dass sie nur die Spitze des Eisbergs sind, so Harrys Narbe,  Harrys Zauberstab und seine Verbindung über beide zu Voldemort, die Geschichte von Voldemorts Eltern oder das Denkarium.

Bei diesen Worten erinnerte sich Harry, als wäre es in einem früheren Leben gewesen, an den Duellierklub in Hogwarts, den er vor zwei Jahren für kurze Zeit besucht hatte … alles, was er dort gelernt hatte, war der Entwaffnungszauber, Expelliarmus … Und selbst wenn es ihm gelingen sollte, Voldemort den Zauberstab zu entreißen, was würde es ihm nützen …?

Schließlich gibt es dann noch Aspekte der Geschichte, die Rowling nur so lapidar streift, dass sie dir leicht entgehen können, wie der der Zauber, der auf dem Haus der Dursleys liegt, Aberforth Dumbledore oder dass Albus Dumbledore einmal einen Patronus als Boten einsetzt.

„Was ich war – nicht einmal ich selbst weiß es … Ich, der ich weiter als alle anderen gegangen bin auf dem Weg, der zur Unsterblichkeit führt.“

Man merkt viel mehr noch als bei den Bänden zuvor, dass Rowling hier dabei ist, etwas wirklich großes zu erschaffen. Folgerichtig leitet sie die Handlung von Band 5 gewissermaßen schon ein, indem sie am Ende Fudge sich weigern lässt, die Rückkehr von Voldemort zu akzeptieren.

Aber Moment mal: Ich hatte doch gesagt, dass dieser Teil des Buches eher schlecht ist … Tja, das Dumme ist, dass Rowling das alles auf dem Rücken eines eher dämlichen Sporttuniers austrägt und obendrein der ganze Plan von Crouch Jr., – um Harry Voldemort zuzuführen – hanebüchend ist. Ich meine: Die Wahrscheinlichkeit war doch verschwindend gering, dass dieser überkomplexe Plan, sich als Moody zu verkleiden, um Harry ein Jahr lang durch ein saugefährliches Turnier zu lotsen, an dessen Ende er nicht bloß – wider aller Vernunft – überlebt haben muss, sondern auch den Hauptpreis gewinnen muss, damit er zu Voldemort gelangt. Wie wäre es stattdessen gewesen, sich Harry zum Beispiel einfach zu schnappen, während er durch Hogsmeade schlendert? Pfff … Nein, das ist nicht das Niveau, das ich von Rowling erwarte, damit ist sie wieder zurück beim Hindernisparkour aus dem ersten Band.

Der Whodunit

„Oh, wenn es eins gibt, das ich hasse“, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu Harry gewandt, und sein magisches Auge fixierte die linke untere Ecke der Karte, dann ist es ein Todesser, der entkommen ist und frei herumläuft …“

Großartig ist hingegen der Whodunit, also die Klärung der Frage, wer denn eigentlich Harry ins Turnier geschmuggelt hat. Rowling wedelt quasi die ganze Zeit mit Hinweisen unter unserer Nase herum, die wir nicht verstehen, die sich aber am Ende zu einem perfekten Puzzle zusammensetzen. Das beginnt mit dem Portschlüssel, der am Anfang als Chekhov’s Gun eingeführt wird, einfach als die nächste bescheuerte Art und Weise, wie Zauberer reisen und der sich am Ende als essentiell herausstellt.

Dann stößt sie uns immer wieder, ganz unauffällig auf das Verschwinden von Bertha Jorkins, und lässt den vermeintlichen Moody erklären, dass sein Spickoskop angeblich kaputt ist, obwohl sie den gleichen Trick schon im dritten Band verwendet hat! Besonders elegant sind einerseits die Karte des Rumtreibers, auf der Harry Barty Crouch in Snapes Büro sieht und sie uns dabei einen entscheidenden Hinweis gibt, mit dem sie zugleich einen falschen Verdacht auf Snape lenkt. Anderseits lässt sie dann Harry ins Denkarium blicken und dort erfahren, dass es noch einen Barty Crouch Jr. gibt, und zugleich lenkt sie davon ab, indem sie enthüllt, dass Ludo Bagman für Voldemort spioniert hat – Bagman, den sie schon die ganze Zeit mit verdächtigem Verhalten als Red Herring aufgebaut hat.

Der Geniestreich ist aber, dass sie den falschen Moody die ganze Zeit sich selbst enthüllen lässt, ohne dass wir es bemerken. Das beginnt mit dem vermeintlich paranoiden Überfallsverdacht auf ihn zu Beginn des Buches, geht mit dem omnipräsenten Flachmann weiter, über die schon erwähnten Hinweise des Spickoskops und der Karte bis hin zu Moodys ungewöhnlich passendem Auftauchen im Verbotenen Wald kurz nachdem Crouch Sr. angegriffen wurde.

Ich meine: Hallo! In dem ganz oben von mir wiedergegebenen Zitat lässt sie den falschen Moody buchstäblich erzählen, wie er Harrys Namen in den Feuerkelch geschmuggelt hat! Daran hatte ich einen diebischen Spaß und nur ganz leicht wurde er dadurch getrübt, dass Crouch Jr. wohl Method-Actor ist und etwas zu sehr in der Rolle des Moodys aufgeht. Zumindest macht es wenig Sinn, dass er Malfoy in ein Frettchen verwandelt und gar keinen, dass er Harry sogar beibringt, sich gegen den Cruciatus-Fluch zu wehren!

Applaus!

Pubertät

es war erstaunlich, wie viele Mädchen auf einmal Hogwarts bevölkerten; bisher war ihm das noch nicht so richtig aufgefallen. Mädchen, die in den Gängen kicherten und tuschelten, Mädchen, die lachten und kreischten, wenn Jungen an ihnen vorbeigingen, Mädchen, die ganz aufgeregt Zettel verglichen, auf denen stand, was sie am Weihnachtsabend tragen wollten …

Der Coming-of-Age-Strang ist auch toll! Gut, die Dreierclique streitet schon wieder … Erst Harry und Ron und dann Ron und Hermine, das nervte ja schon im dritten Band. Außerdem wandert Harry einmal mehr durch Täler und über Höhen der Beliebtheit. Aber insgesamt ist alles super und mein persönlicher Höhepunkt ist der Moment, in dem Ron versucht Ginny mit Harry für den Ball zu verkuppeln und Ginny absagen muss, weil sie schon Neville zugesagt hat. Da ist sie nach vier Jahren der Unerreichbarkeit der Erfüllung ihrer Träume soooo nah und dann das! Neville!!
Ginny!

Nitpicking

Aber meine Harry-Potter-Rezension wäre nicht vollständig ohne mein obligatorisches Nitpicking. Hier kommen 10 total unwichtige Kleinigkeiten, die mich tierisch nerven:

1. Diese Uhr der Weasleys, die immer die Position von jedem Familienmitglied anzeigt. Das ist nicht nur ein Datenschutzdesaster, obendrein auch noch total unpraktikabel! Es ist eine Analoguhr, die somit eine begrenzte Anzahl an Anzeigemöglichkeiten für eine unbegrenzte Anzahl an Situationen hat. Zum Beispiel: Wenn Bill im Fuchsbau ist, zeigt sie „zu Hause“ an. Aber was zeigt sie, wenn er in seiner Wohnung in Ägypten ist …
2. A propos: Warum wird da eigentlich so ein Geschiss drum gemacht, dass Bill und Charly im Ausland leben. Es ist ja nicht gerade so, als würde es Zauberern an Möglichkeiten mangeln, schnell von A nach B zu gelangen …
3. Zauberer/innen sind altmodisch, soviel habe ich verstanden. Aber Pergament und Federn? Echt jetzt? Wie viele Tiere werden wohl gehäutet, damit die Schüler in Hogwarts genug Schreibmaterial haben? Und ich weiß: Füller sind Muggelkram, aber mindestens einmal pro Buch geht ein Tintenfass prominent kaputt, vielleicht wären Füller doch eine gute Idee. Zauberer/innen haben ja auch kein Problem mit Schuhen, zum Beispiel …
4. Erwähnte ich schon einmal, dass Slytherin ein echtes Image-Problem hat? Ernsthaft – jemand sollte denen mal eine gute PR-Agentur vermitteln.
5. Hagrids Unterricht suckt! Aber das lässt Rowling Hermine wenigstens mal ansprechen …
6. Hagrid verfüttert Drachenleber an seine knallrümpfigen Kröter. Ernsthaft? Drachenleber? Und wir kritisieren Japan für das bisschen Walfang!
7. Ich zitiere:

„Dobby ist zwei lange Jahre durch das Land gereist, Sir, und hat versucht Arbeit zu finden“, quiekte Dobby. „Aber Dobby hat keine Arbeit gefunden, Sir, weil Dobby jetzt bezahlt erden will!“

WTF?!?! ICH WÜRDE JEDEN PREIS FÜR EINEN HAUSELFEN ZAHLEN, DU IGNORANTES ZAUBERERPACK, DU!!!

Dumbledore

8. Hogwarts ist im Winter zugig. Wenn sie doch bloß ein Mittel dagegen hätten … Soetwas wie … ach ja: Zauberei!
9. Hermine erhält eine Briefbombe mit Säure gefüllt, nachdem Rita Kimmkorn schlecht über sie geschrieben hat. Versteht mich bitt nicht falsch: Die Szene ist großartig! Eine wunderbare Metapher für Boulevard-Presse und Rassismus (Hermine wird als Muggel beschimpft). Aber Hermine unternimmt … genau: nichts! Das war ein Anschlag auf ihre Gesundheit wenn nicht gar auf ihr Leben! Es muss doch eine Zauberpolizei geben, die mit einem praktischen „Deus ex Machina“-Spruch den Täter schnappen kann! Ich meine: Es gibt in dieser Welt sogar Zaubersprüche, damit sich dir die Nasenhaare locken!
10. Warum folgen die Todesser Voldemort? Okay, er hat diese ganze Rassenlehre und so. Aber es ist ja nicht so, als wäre er dafür essentiell wichtig. Das reine Blut ließe sich ja auch ohne ihn, der einen Muggelvater hat, propagieren. Auf der anderen Seite ist er NIE nett zu seinen Todessern. Er macht nie irgendetwas für sie. Im Gegenteil: Er betont immer und immer wieder, dass es ihm eigentlich nur darum geht, unsterblich zu werden. Also, warum zur Hölle suchen sich die Todesser nicht einen anderen Boss?!

Wir sehen uns in einem halben Jahr 😉

 

Applaus

Harry Potter und die gruseligste Nebensache der Welt

Muggle Quidditch Game in Vancouver
Muggle Quidditch game in Vancouver von Anton Bielousov Lizenz: CC BY-SA 3.0

 

Nach den großen Erfolgen von „Die Löcher des Plots“ und „Kommissar Potter ermittelt“ präsentiere ich euch den dritten Teil meiner Re-Read-Potter-Rezensionsreihe. Zur Erinnerung: Ich lese jedes halbe Jahr mit meiner Tochter (zurzeit 7) einen Potter-Band und erzähle euch anschließend, was mir aufgefallen ist. Aufgefallen ist mir diesmal zunächst, dass ich diesen Post auch so hätte nennen können:

Harry Potter und die Probleme mit einer Zeitreise

Doch fangen wir vorne an: J. K. Rowling hat nun endgültig ihren Stil gefunden. Sie weiß, dass ihre Leserinnen Harry kennen und hält sich nicht mehr mit einer langen Exposition auf, sondern handelt diese in ein paar Sätzen ab:

„Harry Potter war in vielerlei Hinsicht ein höchst ungewöhnlicher Junge. So hasste er zum Beispiel die Sommerferien mehr als jede andere Zeit des Jahres. Zudem wollte er in den Ferien eigentlich gern für die Schule lernen, doch er war gezwungen, dies heimlich und in tiefster Nacht zu tun. Und außerdem war er ein Zauberer.“

Das ist schön, denn das gibt ihr mehr Platz sich mit den Charakteren und der Handlung zu befassen. Außerdem hat sie nun Gefallen am Whodunit gefunden und versorgt uns mit einem Haufen epischen Vorausdeutungen, sodass wir das Rätsel lösen können, bevor sie uns mit der Nase darauf stößt:

„Harry zog mit dem schweren Koffer im Schlepptau durch die nächtlichen Straßen und sank schließlich keuchend auf ein Mäuerchen am Magnolienring.“

Saß nicht auf eben so einem Mäuerchen (ich weiß, es war nicht das selbe) vor zwei Bänden noch Professor McGonagall in ihrer Gestalt als Animagus? Und jetzt ratet mal wen oder was Harry dort zum ersten Mal sieht … Praktischerweise lernen die Schüler und wir auch in diesem Schuljahr, was ein Animagus ist. Und derlei Hinweise liefert Frau Rowling uns sehr viele, sowohl für die Lösung dieses Bandes als auch für jene die da noch kommen werden. So erinnert sie uns noch einmal an das „Gerücht“, dass die Stelle des Lehrers zur Verteidigung gegen die dunklen Künste verhext ist. Gibt uns ein vermeintlich defektes Spickoskop an die Hand, das uns unaufhörlich darauf hinweist, dass einer der Anwesenden lügt. Und Hermine verschwindet ständig vor unseren Augen und taucht wieder auf. Zugleich werden wir durch einen Red Herring aufs Glatteis geführt, indem der vermeintliche Bösewicht den überaus gerfährlich schwarzen Namen „Sirius Black“ trägt.

Andererseits macht J. K. Rowling auch in diesem Band noch ein paar Regeln, as she goes along:

„Wie ist er [Sirius Black] hereingekommen?“
„Vielleicht weiß er, wie man appariert“, sagte ein Ravenclaw in der Nähe. „Einfach aus dem Nichts auftaucht, wisst ihr.“

Huiii … Dieses Apparieren scheint ja eine ziemlich komplizierte und unbekannte Fähigkeit zu sein. Gut, in Band 6 lernt es dann allerdings jedes Kind in der Schule. Vollkommen unglaubwürdig finde ich, dass Harry, nachdem er Sirius das ganze Jahr über für das abgrundtief Böse gehalten hat, schon eine halbe Stunde nachdem er über dessen Unschuld aufgeklärt wurde, bei ihm einziehen will. Der Junge fasst für meinen Geschmack zu schnell Vertrauen. Es wirkt auf mich, als brauchte Rowling eine Vaterfigur, die etwas distanzloser ist als Dumbledore und will die uns mit der Brechstange herbeischaffen.

Wiederum schön ist, dass uns J. K. Rowling mit einem ganzen Haufen von Chekhov’s Guns – einer Chekhov’s Armoury – ausstattet: Ständig wedelt sie uns mit Gegenständen vor der Nase herum, die zunächst als Deko erscheinen, später aber zu mehr oder weniger zentralen Plottpunkten werden: Krätze, die peitschende Weide, die heulende Hütte, die Karte des Rumtreibers, der Feuerblitz. Die zahlreichen Aha-Effekte machen einfach Spaß. A propos Feuerblitz: Bin ich der einzige, der Harrys Erfolge im Quidditch für vollkommen belanglos hält, wenn er immer den besten, schnellsten und teuersten Besen hat? Ooooh, ich kann mit meinem Ferrari schneller fahren als du mit deinem Golf!!!! Kunststück …

Alles Super...
Quelle: Reactiongifs.

Eine nebensächliche Heldenreise

Formal ist die Geschichte wieder als klassische Heldenreise aufgebaut: Harrys Call to Adventure ist diesmal der Ausbruch von Sirius, seine Refusal of the Call, erleben wir dadurch dass Harry nicht einsieht, dass er Black jagen sollte, bis er vom Verrat an seinen Eltern erfährt. Er hat einen neuen Mentor – Lupin – bekommt eine neue Supernatural Aid – die Karte des Rumtreibers – und eine neue Initiation – Einzelunterricht bei Lupin. Schwellen in fremde Welten, Prüfungen und Hindernisse, ein großes Finale, die Weigerung der Rückkehr und dennoch die anschließende Rückkehr sind ja sowieso Standardelemente in Potters Welt.

Kurios ist dabei aber, dass abseits dieser Formalitäten das eigentliche Abenteuer über weite Strecken des Buches keine Rolle spielt. Es verkommt komplett zur Nebensache, während wir Schulalltag erzählt bekommen. Über weite Strecken wird uns die Geschichte mit Sirius nur in kurzen Szenen ins Gedächtnis gerufen – Die fette Dame wird angegriffen, Sirius dringt einmal ins Schlafzimmer ein, ansonsten bekommt Harry nur Gerüchte zu hören, er ist aber nie aktiv involviert. Der dritte Band ist eigentlich ein erster Ausflug ins Coming-of-Age-Genre. Romantische Gefühle werden angedeutet, Fragen nach der eigenen Vergangenheit und Abstammung beantwortet. Schön fand ich Hermines allmähliche und zaghafte Charakterentwicklung von der pedantischen Streberin hin zum Badass, das sie vor allem im letzten Band sein wird.

Etwas anstrengend finde ich aber, dass die Themen Schulrauswurf und Streit zwischen Harry, Ron und Hermine sich bereits jetzt abzunutzen beginnen. Besonders gut gefiel mir hingegen, dass wir mehr Hintergrundwissen zu Harrys Eltern, ihren Freunden und Feinden bekommen, wenngleich Harrys Vater (noch) als allzu strahlender Held erscheint. Die Konkurrenz zu Malfoy und Konsorten wird ausführlich durchdekliniert und so manches für die kommenden Bände vorbereitet. Interessant ist auch, dass Harry in diesem Band seinen Mitschülern nicht besonders in Auge fällt. Während er in Band 1 der Star auf der Schule ist, ist er in Band 2 der Geächtete und auch in den kommenden Bänden wird sich dieses Wechselspiel wierderholen. Aber in diesem Band ragt er nicht sonderlich heraus und die Schule bekommt vom eigentlichen Abenteuer kaum etwas mit.

Dann gibt es noch etwas Außergewöhnliches im Potterversum: Dies ist der einzige Roman, der sich nicht um „Du weist schon wen“ dreht. In allen anderen Büchern ist der Endgegner Voldemort oder einer seiner Horkruxe. Hier nicht. Das Buch ist quasi ein einziger Build-up für die Teile 4 und 5 – was ihn nicht schlechter macht. Im Gegenteil: Man merkt, wie Rowling anfängt, die Geschichte komplexer werden zu lassen. Figuren wir Cedric Diggory und Cho Chang werden ganz nebenbei eingeführt und die ganze Prophezeihungs-Thematik wird ebenfalls eher beiläufig aufs Tapet gebracht.

„War das – war das eine echte Vorhersage?“
Dumbledore schien milde beeindruckt.
„Weißt du, Harry, ich glaube das könnte sein“, sagte er nachdenklich. „Wer hätte das gedacht? Damit steigt die Zahl ihrer wahren Vorhersagen auf zwei. Ich sollte ihr eine Gehaltserhöhung anbieten …“

Das kausale Perpetuum mobile

Kommen wir zum letzten großen Thema: Der Zeitreise. Da hat Rowling ein Fass aufgemacht, das sie vielleicht besser nicht angerührt hätte haben gesollt werden. Denn ich kenne wirklich niemanden, der oder die sich nicht fragt, warum dieses Mittel nicht öfter als ein einziges Mal eingesetzt wird. Gut, wir bekommen eine lausige Erklärung: Gefährlich. Aber anscheinend stört sich nicht einmal Dumbledore daran, wenn es seinen Interessen dient? Hermine meint zwar, man könne verrückt werden, aber glaubt ihr tatsächlich, das würde Voldemort oder einen seiner Todesser davon abhalten, einfach in die Vergangenheit zu reisen und zu verhindern, dass Harry-Baby Voldis Macht bricht?

Are you kiding me?
Quelle: Reactiongifs.

Interessant ist allerdings, wie Rowling die Zeitreise einbaut. Sie verwendet eine von mir noch nicht berücksichtigte Variante des „Geschichte-schreiben-wir-Ansatzes“: Denn die Zeitreise ändert die Zukunft nicht wirklich sondern ist schon Teil der Vergangenheit. Alles was wir im ersten Durchlauf des Finales lesen, geschieht ja nur, weil es noch einen zweiten Durchlauf gibt, der nur geschieht, weil einen ersten Durchlauf gab, der geschieht, weil … Ich werde diesen Ansatz „das kausale Perpetuum mobile“ nennen.

Hach, es hat mir auch bei diesem Band wieder Spaß gemacht, ihn vorzulesen und freue mich schon darauf, in einem halben Jahr Band 4 zu lesen und ein Kleines Mädchen dabei zu beobachten, wie es zwischen Spannung, Lachen und Triumph-Gefühlen hin und her gerissen wird … Ich hoffe, ihr seid dann auch wieder dabei, wenn ich meine Erfahrungen für euch zusammenfasse.

Kommissar Potter ermittelt gegen den Erben Slytherins

Ein halbes Jahr ist vergangen und meine Tochter (mittlerweile 7) und ich haben uns dem zweiten Potter-Band gewidmet: Harry Potter und die Kammer des Schreckens*. Er war spannend, so spannend, dass ich nach der Versteinerung von Justin Finch-Fletchley nicht mehr abends sondern nur noch tagsüber vorlesen durfte.

The Making of Harry Potter 29-05-2012 von Karen Roe. Lizenz: CC BY 2.0.
The Making of Harry Potter 29-05-2012 von Karen Roe. Lizenz: CC BY 2.0.

 

Kein Abenteuer- sondern ein Kriminalroman

HPs zweites Abenteuer wird allgemein als schwächster Band der Reihe angesehen. Zum Beispiel hier auf Goodreads, wenn auch auf unglaublich hohem Niveau. Das ist eine Meinung, die ich nicht teilen kann. Ich finde ihn um einiges besser als den ersten Band. Zwar hat er wieder einige Schwächen im Plott aber insgesamt ist die Geschichte aus einem Guss, Rowling findet ihren Stil, indem Sie uns mit einer Fülle von epischen Vorausdeutungen vor der Nase herumwedelt, sodass wir, wenn wir dann endlich die Lösung kennen uns wundern, wie wir sie übersehen konnten.

„Was bedeutet das, Albus?“, fragte Professor McGonagall ängstlich.
„Es heißt“, sagte Dumbledore, „dass die Kammer des Schreckens tatsächlich wieder offen ist.“
Madam Pomfrey schlug sich die Hand gegen den Mund.
Professor McGonagall starrte Dumbledore an.
„Aber Albus … wer?“
„Die Frage ist nicht, wer“, sagte Dumbledore, die Augen auf Colin gerichtet. „Die Frage ist, wie …“

Außerdem lernen wir das Leitmotiv von Rowling kennen und wir werden weiter in das große Mysterium des Zyklus’ eingeweiht.

Ich glaube sogar die Antwort auf die Frage zu kennen, warum der Band eher schlechter bewertet wird: Er hat ein anderes Genre als die sechs anderen Bücher. Die Kammer des Shreckens ist im Grunde kein Abenteuer- sondern ein Kriminalroman, mitsamt Indizienbeweisen, falschen Verdächtigen und einem Geständnis. Aber der Reihe nach…

Spoiler Alert

Ja, ich werde spoilern. Das Buch ist 16 Jahre alt, wenn du es bisher nicht gelesen hast, dann wirst du es auch in Zukunft nicht tun. Außerdem werde ich teilweise auch spoilern, was in den folgenden Bänden noch passiert.

Das Mysterium entwickelt sich

Wir bekommen neue Zutaten der Zaubererwelt, die uns in den kommenden Bänden weiter begleiten werden. Die Nokturngasse, das Flohpulver, die peitschende Weide, Squibs, der Vielsaft-Trank, Parsel, Dumbledores Büro, den ZAG (OWL), Askaban und Gryffindors Schwert sind alles Elemente, die im weiteren Verlauf der Saga noch eine größere oder kleinere Rolle spielen werden und die in diesem Band eingeführt werden.

Vor allem bekommt aber Harry sein Markenzeichen. Den einen Zauberspruch, der ihn definieren wird und mit dem er am Ende auch „Du weißt schon wen“ ausschaltet. Und er lernt ihn ausgerechnet von Snape:

„Beide schwangen ihre Zauberstäbe über die Schultern; Snape rief: „Expelliarmus!“ Ein blenden scharlachroter Blitz riss Lockhart von den Füßen“

Das Buch fängt mit viel Redundanz an, man merkt, dass Frau Rowling noch nicht komplett das große Ganze im Auge hat, nicht damit rechnet, dass eines Tages mal alle ihre Bücher hintereinander gelesen werden. So wiederholt sie viel, was wir bereits im ersten Buch erfuhren, schreibt also nicht eine „reinblütige“ Fortsetzung, sondern ein Buch, das man auch lesen könnte, ohne das erste zu kennen.

Die Vollhonk-Stieffamilie

Hier zeigen sich auch einige Schwächen, so zum Beispiel, wenn die Dursleys ihren Kindesmissbrauch so sehr auf die Spitze treiben, dass sie Harry schließlich als Gefangenen halten, sodass Harry aus seinem Verließ ausbrechen muss. Ich frage mich allen Ernstes, warum Harry so gleichmütig am Ende des Buches zu diesen Unmenschen zurückkehrt und warum alle Freunde und Förderer des kleinen Scarface’ ihn auch gehen lassen, ohne diese Vollhonk-Stieffamilie wenigstens mal zur Rede zu stellen. Klar weiß ich, dass Rowling im weiteren Verlauf der Reihe uns erzählt, warum Harry immer wieder zurück muss, aber jetzt tut sie dies eben nicht. Daher ist es ziemlich befremdlich, dass der arme Tropf am Ende wieder in seinen Knast muss…

Genauso beginnt das Thema Schulrauswurf zu nerven. Ey joa, wir haben’s kapiert: In Hogwarts gibt es viele Regeln und der freche kleine Harry bricht die gerne, obwohl das für ihn gefährlich ist. Können wir das Thema jetzt als beendet erklären? Nein? Oh…

Ich muss mich immer wieder selbst daran erinnern, dass es sich bei der Kammer des Schreckens um ein Kinderbuch handelt, denn einige Dinge, die mich stören, begeistern Kinder sicherlich. So etwa die immerzu unanständig überladenen Tische:

„Die vier langen Haustische unter der magischen Decke (heute in wolkig trübem Grau) ächzten unter ihrer Last aus Schüsseln mit Haferbrei, Platten voll geräuchertem Hering, Tellern mit Eiern und Schinken und Bergen von Toastbrot“

Eigentlich müssten alle Schüler in Howarts adipös sein. Aber aus irgendeinem, wahrscheinlich magischen Grund frühstücken unsere Helde sowieso immer nur Haferbrei. HAFERBREI? WTF?! Eier mit Schinken auf Toast, was anderes käm mir nicht auf den Teller! Vor allem nicht Kleisterersatz…

Reactiongif: Ungläubigkeit

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Löcher im Plott

Aber wo ich gerade bei Plottlöchern bin, mache ich da doch auch gleich weiter:

Da wäre zunächst einmal die Geschichte mit dem Heuler. Ron muss diesen sofort öffnen, weil es sonst „schrecklich“ enden würde. Mal davon abgesehen, dass ich die Erziehungsmethode, das eigene Kind vor der versammelten Schule am Frühstückstisch derart zur Schnecke zu machen, fragwürdig finde … Kein Wunder, dass der arme Ron später dann noch Schnecken kotzt … Wie könnte es denn bitte noch schlimmer werden? Wird der Brief gewaltätig? Ich meine, hätte Ron sich das Ding nicht einfach schnappen können, die paar Schritte vor die Tür gehen können und den Brief sich in aller Ruhe ausschreien lassen? Ein typischer Fall von: Das geht nicht, weil es die Autorin nicht wollte.

Die nächste Sache ist Rons Zauberstab. Wie kann die Schule nur so unverantwortlich sein, den armen Jungen die ganze Zeit mit dem kaputten Ding zaubern zu lassen? Hallo? Eine Schule, in deren Unterricht fast nichts anderes gemacht wird, als mit dem Zauberstab zu wedeln, stört sich nicht daran, dass ausgerechnet der Stab eines Schülers kaputt ist? Ein Glück für Ron, dass in diesem Jahr die Prüfungen ausfielen…

Und wo wir schon bei der Verantwortungslosigkeit der Lehrer sind: In der Schule treibt mutmaßlich ein Mörder sein Unwesen, und was machen die Lehrer? Schließen sie die Schule? Schicken sie die Schüler nach Hause? Nein! Sie bringen den Schülern Duellieren bei. Grandiose Idee!

Reactiongif: Yay!

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Diese Schule ist sowieso ein recht merkwürdiger Ort. An ihr wird zum Beispiel nicht sehr viel von Ethik gehalten. Ständig werden irgendwelche Tiere in Gegenstände verwandelt. An dem Auto der Weasleys sieht man zudem, dass magische „Wesen“ ein Bewusstsein haben, aber dennoch werden sie zerschnitten und geschmort:

Madam Pomfrey konnte erfreut berichten, dass die Alraunen launisch und geheimnistuerisch wurden, was hieß, dass sie die Kindheit nun rasch hinter sich ließen.
„Sobald ihre Akne zurückgeht, kann man sie wieder eintopfen“, hörte Harry sie eines Nachmittags mit freundlicher Stimme Filch erklären. „Und danach dauert es nicht mehr lange, bis wir sie zerschneiden und schmoren…“

Dann ist da Harrys Mantel… Der, der unsichtbar macht. Allerdings scheinen die Protagonisten das bis zur Hälfte des Buches vergessen zu haben, sodass alle möglichen Plottpoints nur deshalb welche sind, weil sie den Mantel nicht einsetzen. So zum Beispiel der Diebstahl der Zutaten für den Vielsaft-Trank. Da wird so viel Geschiss drum gemacht, wie unsere Helden ungesehen an Snapes Vorrat kommen. Tja, wenn sie nur etwas hätten, das ihnen dabei helfen könnte … ZUM BEISPIEL EINEN MANTEL, DER UNSICHTBAR MACHT!!!111einself

Reactiongif: Oh shit!

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Klar muss auch Dumbledore mal wieder aus dem Weg geschafft werden. Wie beim ersten Band besteht eben das Superheldenproblem: Dumbledore ist so mächtig und so schlau, dass er den Fall eigentlich alleine lösen müsste. Wie können wir das verhindern? Wir wollen ja schließlich, dass Harry unser Held wird. Na, wir entlassen Dumbledore mal eben. Weil die Kinder in Hogwarts bestimmt sicherer sind, wenn der mächtigste lebende Zauberer sie nicht länger beschützen kann …

Beim Lösen des Falls kann Harry dann aber auf eine versteinerte Hermine ex machina zurückgreifen:

Doch Harry sah nicht auf Hermines Gesicht. Er war mehr an ihrer rechten Hand interessiert. Sie lag zusammengeballt auf der Bettdecke, und als er sich über sie beugte, sah er, dass Hermine ein zerknülltes Stück Papier in der Faust hielt.

Mal ganz davon abgesehen, dass die pedantische Hermine plötzlich kein Problem damit hat, eine Seite aus einem Buch zu reißen, wenn es für den Plott wichtig ist … Findet in dieser Schule eigentlich überhaupt keine Ermittlung statt? Sorry, aber da wurden vier Kinder, ein Geist und eine Katze versteinert und keiner außer Harry kommt auf die Idee mal Beweise zu sichern?

Kriminalaufklärung ist eben nicht die Sache der Zaubererwelt, wie man schon am letzten Mal sieht, als die Kammer des Schreckens geöffnet wurde. Vor 50 Jahren starb sogar ein Mädchen, dennoch hielt man es anscheinend nicht für nötig, den Tatort zu inspizieren:

„Und dann stutzte Harry: An der Seite eines der kupfernen Wasserhähne war eine winzige Schlange eingekratzt.
„Der Hahn hat nie funktioniert“, sagte Myrte munter …

Srsly? Wie viele hundert Jahre gibt es Howarts schon? Und nie hat jemand versucht diesen Wasserhahn zu reparieren, der nicht funktioniert? Und nie hat er oder sie dabei festgestellt, dass da der Eingang zur Kammer des Schreckens ist?

Reactiongif: Staunen

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Chekhov’s Myrte

Harrys winkeladvokatischen Sockentrick um Dobby zu befreien lasse ich jetzt mal komplett unkommentiert und komme endlich zu den guten Seiten des Buches, indem ich mich noch einmal der maulenden Myrte zuwende: Von allen Hinweisen, die uns Rowling zur Lösung des Falles gibt, ist Myrte der schönste! Eine Chekhov’s Gun, wie sie im Buche steht. Oder besser gesagt: ein Chekhov’s Gag. Denn wir denken die ganze Zeit, dass sie uns nur als ein weiteres schrulliges Detail, als ein weiterer Lacher in die Geschichte eingeführt wurde. Doch im großen Finale wird sie zum Schlüssel für die Lösung des Falls. Das ist großer Sport, Frau Rowling, chapeau!

Rassismus-Allegorie und die richtige Entscheidung

Genauso gefällt mir, wie unser Antagonist hier endlich Kontur gewinnt. Im ersten Band war Voldemort schlicht böse. Mehr erfuhren wir nicht. Jetzt bekommen wir eine Origin Story, lernen den bürgerlichen Namen Tom Riddle kennen und bekommen erstmals die Rassismus-Allegorie präsentiert. Die Lehre von „reinblütigen Zauberern“ liefert uns eine realistische Motivation für Voldemorts Taten und macht so einen Schritt aus dem einfachen Kinderbuch hinaus in die Richtung, in die sich die Reihe noch entwickeln wird. Nicht zuletzt bekommen wir auch die Horkrux-Geschichte erstmals angeteasert:

„Du kannst Parsel, Harry“, sagte Dumbledore ruhig, „weil Lord Voldemort, der tatsächlich der letzte Nachfahre von Salazar Slytherin ist, Parsel sprechen kann. Und wenn ich mich nicht irre, hat er in jener Nacht, als er dir die Narbe zugefügt hat, einige seiner eigenen Kräfte auf dich übertragen … nicht dass er es beabsichtigt hätte, da bin ich mir sicher …“

Im Rahmen unserer Heldenreise ist Harry am Punkt der Refusal: Er will sein Schicksal als Held nicht annehmen, er zweifelt, überlegt, ob er nicht doch der Böse ist. Er hört Stimmen, ist eigentlich ein halber Slytherin und auch sonst ähnelt er diesem schrecklichen Voldemort sehr:

Ich hab mich gewundert, weißt du. Schließlich gibt es merkwürdige Ähnlichkeiten zwischen uns. Selbst du musst das bemerkt haben. Beide Halbbütige, Waisen, von Muggeln aufgezogen. Wahrscheinlich die einzigen Parselzungen, die seit dem großen Slytherin nach Hogwarts kamen. Wir sehen uns sogar ein wenig ähnlich …

… erkennt sogar Tom Riddle. Doch am Ende kriegt Harry dann die Kurve, weil er sich dafür entscheidet, der Held zu sein und damit etabliert Joanne K. Rowling ihr Leitmotiv. Denn wie Dierk Haasis mal schön erleuterte, dreht sich bei der Potterreihe alles darum die richtigen Entscheidungen zu fällen:

„Genau“, sagte Dumbledore und strahlte abermals, „Und das heißt, du bist ganz anders als Tom Riddle, Harry. Viel mehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, Harry, die zeigen, wer wir wirklich sind.“

Reactiongif: that's right!

Quelle: Reactiongifs. Lizenz: fragwürdig.

Literatur

J. K. Rowling: Harry Potter und die Kammer des Schreckens*

*Hinterhältiger Affili-Link: Kauft ihr das Buch, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich.

Meine neue Lieblings-Kinderbuch-Autorin: Kirsten Boie

von Paula Hesse

[Gerade erst hatte ich angekündigt, mal ein Stück über Kirsten Boie zu schreiben. Dann habe ich es mir anders überlegt, und die Dame schreiben lassen, die das sowieso viel besser kann. Da sie sich nach wie vor standhaft weigert, ein eigenes Blog anzulegen, schreibt sie für mich einen Gastbeitrag. Ihren Twitteraccount darf ich auch nicht verlinken, denn der ist geheim. Aber ihren Podcast findet ihr hier. (Privatsprache)]

Mit dem Kind wächst die Freude am Vorlesen

Seit der Geburt meiner ersten Tochter vor etwa sieben Jahren bin ich von der Leserin zur Vorleserin geworden. Mit Pixi-Büchern fing es an; darunter gibt es gute und weniger gute. Wie freute ich mich, als durch das Voranschreiten der kognitiven Entwicklung meiner Tochter auch das Niveau der Lektüre stieg. Von Daniel Napps „Dr. Brumm“ über Gunilla Bergströms „Willi Wiberg“ kletterten wir höher zu Sven Nordqvists „Pettersson und Findus“ und „Mama Muh“. Bilderbücher, die auch Erwachsenen Spaß machen. Am schönsten war natürlich, als wir bei ganzen Romanen anlangten, wie sie Astrid Lindgren und Erich Kästner schrieben.

Schund im Kinderbuchregal – Verkaufsstrategie vor Niveau

Doch Kinderbücher mit literarischem Anspruch sind nicht leicht zu finden. Viel Schund findet sich in den Regalen der Kinderbuchabteilungen; viel zu viele Menschen schreiben Kinderbücher in der Annahme, bunte, glitzernde Bilder, einfache Sätze und die Darstellung von Banalitäten oder irgendwelchen Zaubereien reichten aus, um Kinder glücklich zu machen.

Da ist sicherlich etwas dran, denn immerhin haben es unzählige Kinderbuchhelden zu Merchandise-Erfolgen gebracht. Jedoch tummeln sich dort (zum Beispiel bei den „Prinzessin Lillifee“- und „Ponyfee“-Geschichten) Inkonsistenzen, unschöner Sprachstil und Moralappelle, die mit dem Holzhammer ausgeteilt werden. Kurzum: Viele dieser Geschichten sind einfach plump und machen auch dem kindlichen Rezipienten wenig Spaß. Erschwerend kommt hinzu, dass vor allem die erfolgreichen Kinderbuchserien getragen werden vom auffälligsten und unangenehmsten Sexismus (siehe „Prinzessin Lillifee“ und „Capt’n Sharky“).

Fluchtversuch zwecklos

Ich kenne die rosafarbenen dieser Geschichten, weil meine Tochter in der Bücherei selbstverständlich auch zu den glitzernden Büchern greift, deren Protagonistinnen immer und überall zu sehen sind. Und weil sie immer wieder von weniger interessierten oder informierten, es gut meinenden Menschen ebensolche Bücher geschenkt bekommt.

Da ich grundsätzlich niemals Bücher zerstören und meiner Tochter Geschenktes nicht entreißen würde, sind diese Geschichten auch in unserer Wohnung zu finden, und – obwohl höchstens einmal gelesen – ich hasse sie.

Erfolgreiche Schatzsuche im Bücherregal

Denn zwischen all den belanglosen und unsere Kinder zu „Weibchen“ und „Männchen“ ohne Hirn degradierenden Kinderbüchern gibt es auch welche, die von guten Schriftstellern verfasst wurden. Bücher, die tatsächlich bilden und Freude bereiten. Die oben erwähnten – nicht ohne Grund bekannten – Autoren Erich Kästner und Astrid Lindgren sind zum Glück nicht die einzigen. Nein, auch heute noch gibt es Schriftsteller, die ihre Begabung Kindern widmen.

Kirsten Boies echte Menschen

Und der hellste Stern am Firmament ist für mich Kirsten Boie. Sie schafft es, sowohl stringente phantastische Geschichten zu erfinden als auch Geschichten aus dem normalen Leben zu schreiben. Bei ihr werden Rollenklischees durchbrochen, sie geht geradezu aufklärerisch an sie heran. Ihre Kinderhelden haben schon mal genervte Eltern, ärgern sich über Schulfreunde und leben nicht in Schlössern, sondern in Hochhäusern und Vorstadtsiedlungen. Boies Chraraktere sind nicht nur liebevoll gezeichnet, sondern vor allem eines: echt. Sie denken, fühlen und handeln wie reale Menschen, es gibt zwischenmenschliche Probleme und Missverständnisse, die nachvollziehbar sind. Hier finden sich Mädchen, die sich unbewusst mit weiblicher Emanzipation auseinandersetzen, gescheiterte Elternbeziehungen und auch finanzielle Probleme.

Prinzessinen sind doof

In der Reihe „Prinzessin Rosenblüte“ zum Beispiel wird Emma zusammen mit einem tollpatschigen Schulkameraden aus der normalen Welt in eine Märchenwelt versetzt, in der sie als Retterin der Prinzessin fungiert. Dabei geht Emma Prinzessin Rosenblüte mit ihrer prinzessinnen-eigenen Naivität und Inaktivität schon bald auf die Nerven. Wer möchte da Prinzessin sein? Auch unseren Töchtern, selbst im 21. Jahrhundert, wird suggeriert, sie müssten hübsch und brav sein. Die sportliche Emma räumt mit dem Klischee auf: Einerseits findet sie das rosa Prinzessinnen-Kleid toll, andererseits durchschaut sie bald die Eindimensionalität des Prinzessinnen-Daseins.

Jenseits der heilen Welt

Die kleine Nella aus „Nella-Propella“ wohnt alleine mit ihrer Mutter, die noch studiert. Ihre Eltern haben sich getrennt, und Nella sieht ihren Vater einmal in der Woche. Nellas Mutter hat immer wieder Probleme, nach dem Kindergarten eine Betreuung für Nella zu organisieren, wenn sie zum Seminar oder zur Sprechstunde beim Professor muss. Dazu kommen finanzielle Sorgen und Nellas Misstrauen gegenüber dem neuen Freund der Mutter. Es ist eine Familie fernab der heilen „Vater-Mutter-Kind-Welt“, die scheinbar nebenher aus der Sicht des Kindes nachgezeichnet wird. Nellas Hauptprobleme sind nämlich ihre Freundschaftsbeziehungen im Kindergarten. Frau Boie zeigt deutlich, dass eine glückliche Kindheit nicht aus perfekten Eltern, dem eigenen Haus und Auto besteht, wie es uns zum Beispiel die „Conni“-Bücher weismachen wollen.

Emanzipierte Kinder im Mittelalter

„Der kleine Ritter Trenk“ ist eigentlich ein Bauernjunge, der seinen Vater und seine Familie vor dem bösen Ritter Wertold retten möchte. Er verlässt heimlich seine Familie und zieht in die Stadt, um dort nach einem Jahr quasi automatisch von der Leibeigenschaft befreit zu werden. Durch Zufall bekommt er die Gelegenheit, die Rolle des ängstlichen Rittersohns Zink als Page bei dessen Onkel anzunehmen. Trenk führt ein Doppelleben, um dem Grundsatz: „Als Bauer geboren, als Bauer gestorben, Bauer ein Leben lang“ zu entgehen. Dabei schlägt er sich recht gut und zieht das Wohlwollen seines falschen Onkels und des Fürsten auf sich. Unterstützt wird er dabei tatkräftig von der Tochter seines „Zieh“-Onkels, die ebenfalls ein Doppelleben führt. Ihrem Vater macht sie vor, sich ausschließlich mit Suppe kochen, Harfe spielen und Sticken zu beschäftigen, während sie in Wahrheit alleine durch den Wald streift und sich selbst zu einer hervorragenden Erbsenschleuder-Schützin ausgebildet hat. Wir sehen zwei Kinder, die gegen festgefügte gesellschaftliche Zwänge aufbegehren und lernen dabei viel über das Mittelalter.

Höchstes Niveau bei Alltagsgeschichten und Fantasy-Abenteuern

Kirsten Boies Geschichten sind nie langweilig. Im Gegenteil, sogar der Alltag gerät hier zum Abenteuer, wenn eben jene Probleme, vor welche die kindlichen Protagonisten gestellt werden, von diesen gelöst werden müssen. Zudem sind ihre Bücher humorvoll und spannend erzählt. Für den erwachsenen Vorleser oder die Vorleserin gibt es immer wieder etwas zu Schmunzeln, wenn er oder sie die Welt durch die Lektüre wieder durch kindliche Augen sehen kann.

Zu guter Letzt ist noch Kirsten Boies angenehmer Schreibstil hervorzuheben. Sie schreibt luzide, mit kindgerechtem aber nicht verblödendem Wortschatz. Frau Boie schreibt nicht nur für Kinder, sondern auch für Jugendliche; meine Tochter und ich werden uns also noch länger an ihrer Kunst erfreuen können.

Empfehlungen:

Ich mochte bisher alles, was ich von Kirsten Boie vorgelesen habe. Besonders empfehlen möchte ich aber die Reihen:

Juli* (ab ca. 4 Jahre)
Der kleine Ritter Trenk* (ab ca. 6 Jahre)
Prinzessin Rosenblüte* (ab ca. 8 Jahre)

 

*Hinterhältiger Affili-Link: Wenn ihr das Buch kauft, bekomme ich eine winzige Provision und freue mich

Harry Potter und die Löcher des Plots

Gleis 9 3/4.
Gleis 9 3/4. Foto von SoxFan. Lizenz: CC-BY-SA-3.0.

Ich bin ein riesiger Harry-Potter-Fan. Ich habe die ganze Reihe schon mindestens drei Mal gelesen und mich mit der Dame gestritten, wer unserer Tochter (6) die Geschichte vom kleinen Zauberer mit der Blitznarbe vorlesen darf. Ich habe den Streit gewonnen. Mit dem Expelliarmus-Spruch. Natürlich. In diesem Advent war es endlich so weit. Meine Tochter (6) hatte endlich die geistige Reife erreicht, es mit den Schrecken und Freuden des ersten Bandes auf sich zu nehmen.

Das stellt uns natürlich vor ein Problem der künstlichen Verknappung: Wir haben damals Joanne K. Rowlings Schreibprozess mitbekommen. Kinder der 90er wuchsen gemeinsam mit Harry auf und konnten so die allmähliche Verschärfung der Story gewissermaßen natürlich miterleben. Kinder von heute hingegen stehen vor dem Problem, dass sie nach Band 1 unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht, Band 2 und vielleicht auch 3 noch verkraften könnten, aber spätestens mit dem Ende von Band 4 die Geschichte so düster zu werden beginnt, dass ich sie noch nicht einer Sechsjährigen zumuten würde. Daher haben wir – meine Tochter und ich – die Vereinbarung getroffen, dass wir jedes halbe Jahr ein Buch lesen.

Spoiler Alert

Falls du, lieber Leser, in den letzten zwanzig Jahren tatsächlich unter einem Stein gelegen hast, beachte bitte: Ich werde spoilern…

Der Janusköpfige Auftakt des Epos

Diesen Advent ging es also los mit „Der Stein der Weisen“*. Und wisst ihr was? Es ist wahrlich verwunderlich, dass HP nach diesem Auftakt ein solcher Welterfolg wurde. Dem überdrehten Beginn mit den Dursleys, die sich den Briefen aus Hogwarts verweigern, kann ich noch einiges abgewinnen, auch wenn er stilistisch eigentümlich aus der Reihe rausfällt und eher zu Kishon, Tucholsky oder Lem passen würde. Das Buch wirkt wie zwei Geschichten: Erst die Satire um die spießige Familie, die das Waisenkind in grimmscher Manier schlecht behandelt. Jedoch kommen die Dursleys ihrer Vernachlässigung auf so überzogene Art und Weise nach, dass nicht recht Kummer über Harrys grausames Schicksal aufkommen mag. Dann kommt plötzlich der Umschwung, Harry taucht in die magische Welt ein und das Buch verliert jede Form von Satire, sondern nimmt sich und seine Protagonisten mit einem Mal sehr ernst.
Aber wie gesagt: Das finde ich zwar bemerkenswert aber nicht verwerflich. Was mich hingegen wahrlich stört, ist das Finale. Es steckt so voller Plottlöchern, dass ich es nicht ernst nehmen kann und dass es J. K. Rowling auch nicht würdig ist – zumal sie einige sehr schöne epische Vorausdeutungen auf den großen Erzählbogen in den ersten Band packt.

Wibbly Wobbly Timey Wimey

Fangen wir an: Der Stein der Weisen wurde nach Hogwarts gebracht, weil er in Gefahr ist. Woher Dumbledore und Nicholas Flamel (der Besitzer des Steins) das wissen, wird uns vorenthalten, denn der erste Versuch den Stein zu stehlen, findet ja erst statt, nachdem er aus der Bank Gringotts geholt wurde, um ihn noch sicherer aufzubewahren. Gut, das könnte ich noch akzeptieren, bei Doctor Who würde das mit „Wibbly Wobbly Timey Wimey“ begründet.

Aber warum wird der Stein nach Hogwarts gebracht? Ist eine Schule wirklich der beste Ort um ein Objekt aufzubewahren, auf das es jemand (mutmaßlich der gefährlichste Schwarzmagier aller Zeiten) abgesehen hat? Hagrid liefert uns die Begründung, dass Hogwarts „der sicherste Ort der Welt“ wäre. Fragt sich, wie schrecklich diese Welt ist. Denn so unglaublich sicher kann es in Hogwarts nicht sein, wenn da zum Beispiel einfach mal ein Troll ausgesetzt werden kann… Ich meine: so einen Troll bringst du ja nicht mal eben in der Hosentasche mit, oder? Irgendwo muss das Vieh doch herkommen… Und keiner hat’s gesehen?!?
Im weiteren Verlauf der Reihe erfahren wir zwar noch von Zauberbännen und ähnlichem (Wibbly Wobbly Timey Wimey) Gedöns, das Hogwarts schützt, aber nicht im ersten Band. Da steht erstmal nur, dass Hogwarts so unglaublich sicher ist. Doch die Sicherheitsvorkehrungen, die wir dann im Laufe des Buches kennenlernen, sind alle so billig, dass Erstklässler sie überwinden können. WTF?
Der ganze Plott des Heist of the Stone ist – so wird uns erzählt – überhaupt nur möglich, weil Dumbledore nicht da ist, sondern mit seinem Besen zum Ministerium geflogen ist. Dorthin wurde er gelockt durch eine falsche Nachricht. Mensch, wäre das praktisch, wenn Dumbledore hätte schneller reisen können. Etwa mit so etwas ausgefuchsten, wie einem Netzwerk von Kaminen oder wenn er sich gar hätte beamen können („apparieren“ im Potter-Jargon). Man merkt hier wie öfter mal, dass Rowling sich so manches Element ihrer Welt erst „on the fly“, im Laufe der Jahre beim Schreiben ausgedacht hat. Making up the rules as we go along. Zwar könnte man den Beginn des Buches und Dumbledores allererstes Erscheinen so deuten, als hätte er sich appariert, aber ich glaube nicht, dass Rowling den Satz:

„An der Ecke, die sie beobachtet hatte, erschien ein Mann, so jäh und lautlos, als wäre er geradewegs aus dem Boden gewachsen.“

wirklich schon so meinte, dass sie dort das Apparieren andeutet, das sie dann aber erst in Band 5 einführt. Ich glaube eher, der Satz sollte in die Stimmung etwas Wibbly Wobbly Timey Wimey reinbringen. Wir haben mit Dumbledore natürlich das klassische Superheldenproblem: Er wird uns als nahezu allmächtig beschrieben. Also muss seine Macht irgendwie künstlich begrenzt werden, damit überhaupt eine spannende Geschichte möglich wird. Zu dieser Begrenzung – Dumbledores Kryptonit – erwählt Rowling seine Abwesenheit. Aber genau das finde ich eben höchst unplausibel…

Erstklässlerhindernisparkour

Kommen wir zu den Fallen, die den Stein schützen: Dumbledores Trick mit dem Spiegel, das Schachbrett von McGonagall und Hagrids dreiköpfiger Hund sind die einzig würdigen Schutzmechanismen. Alle anderen sind einfach nur billig. Unsere drei Protagonisten kommen an dem Hund vorbei, weil sie dem naivem Hagrid das Geheimnis entlockt haben, dass das Vieh einschläft, sobald es Musik hört. Sogar wenn diese Musik von ungeübten Flötenspielern stammt. Daraufhin treffen Harry, Ron und Hermine auf Professor Sprouts Falle: Eine Pflanze, deren Bekämpfung auf dem Lehrplan für das erste Schuljahr steht. Ernsthaft? In der ganzen magische Welt mit ihren Drachen und schrumpfhörnigen Schnarchkacklern gab es nichts gefährlicheres als diese olle Teufelsschlinge, die jeder Zauberer mit ein bisschen Feuer überwinden kann? Ich meine, wenn ich Zauberer und gefangen in einer Schlingpflanze wäre, dann wäre Feuer wahrscheinlich einer der ersten Tricks, die ich einfach mal auf gut Glück ausprobieren würde…
Kaum hat Hermine ihre praktische Prüfung bestanden, kommt das Trio Infernale zu Professor Flitwicks Falle. Diese besteht faktisch nur aus einer Tür. Okay, eine Tür, die sich magisch nicht öffnen lässt. Das wäre eigentlich ein ziemlich cooler Schutzmechanismus, aber was macht Flitwick? Er legt den Schlüssel vor die Tür. Okay, okay, der Schlüssel fliegt mit einem Haufen anderer Schlüssel, rum, damit man nicht rankommt, außer man hat zufällig einen Besen dabei. Aber nein, das ist auch nicht nötig: denn Flitwick hat im Raum ein ganzes Arsenal von Besen bereitgelegt. Der kleine Zauberlehrer bettelt ja förmlich darum, dass seine Falle überwunden wird. Wäre es nicht cleverer gewesen, den Raum mit den fliegenden Schlüsseln an einem ganz anderen Ort als die Tür zu installieren? Zum Beispiel in Gringotts oder am Südpol? Und wäre es nicht auch cleverer gewesen, dass niemand von den fliegenden Schlüsseln weiß und so auch keinen Besen hat, um den richtigen Schlüssel zu fangen? Das ganze wirkt wie das eindimensionale Dungeon eines Jump-and-Run-Spiels.

Hinter der nächsten Tür des Dungeons finden wir das Schachfeld. Das ist so weit okay, wenn der „Schachcomputer“ stark genug ist, gibt es wohl nicht viele Leute, die daran vorbeikommen. Was passiert, wenn man einfach, ohne zu spielen, am Schachfeld vorbeiläuft, verschweigt Rowling zwar, aber bestimmt „böse Dinge“.
Nun kommen wir wieder mal zu einem Troll, den aber Quirrel dankenswerter Weise schon ausgeschaltet hatte, denn den Trollquest hatten unsere Helden ja schon in der Mitte des Buches bestanden. Woraufhin sie sich im Raum von Snape wiederfinden. Ein cooles Setting: rotes Feuer bildet die Tür um voranzuschreiten, schwarzes Feuer bildet die Tür um zurückzukommen und nur der richtige Zaubertrank lässt einen durchs Feuer treten. Nun gut, auch hier könnten wir wieder ganz dezent fragen: Warum, lieber Severus, müssen die Tränke gleich an Ort und Stelle liegen? Aber geschenkt, denn Snape würzt das ganze ja dadurch, dass neben den richtigen Tränken auch Nieten und sogar Todbringer sich im Raum befinden. Soweit, so gut, er und Dumbledore wissen, welchen Trank sie nehmen sollen, der Stein ist sicher. Sollte man meinen… Aber Snape legt einen Zettel neben die Tränke, auf dem ein billiges kleines Rätsel steht, wie man den richtigen Trank findet. ARE YOU FUCKING KIDDING ME? Du bettelst doch geradezu darum, dass wir dich auslachen, Snape!!!

Zum Schluss kommt dann der Spiegel Nerhegeb (Mirror of Erised) von Dumbledore, der den Stein nur preisgibt, wenn man ihn haben will aber nicht benutzen. Das ist eine coole Idee auch wenn Flamel ihn dadurch nie wiederbekommen könnte. Und technisch betrachtet bleibt auch fragwürdig, ob Flamel Dumbledore bitten könnte, den Stein aus dem Spiegel zu holen, den dann würde Dumbledore ihn ja mit der Intention aus dem Spiegel holen, ihn zu benutzen, wenn auch nicht für sich selbst… Aber ich will hier nicht Haare spalten, das ist halt Wibbly Wobbly Timey Wimey.

Ich bin allerdings froh, dass sich Rowling im weiteren Verlauf der Reihe in ihrer erzählerischen Kraft noch wesentlich steigern wird. Denn trotz dieser gigantischen Plottlöcher bleibt Harry Potter und der Stein der Weisen ein lesenswertes Kinderbuch. Besonders wenn man sich ansieht, gegen welche Konkurrenz Rowling im Bücherregal mit den zeitgenössischen Kindergeschichten so antritt. Aber das ist eine andere Geschichte…

Ich bin raus!

* Hinterhältiger Affili-Link