Die Vorsokratiker und Metaphysik

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Daniel
ist ein bisschen gelangweilt

Podcast-Spezial zu den Vorsokratikern

Dank meiner ersten iTunes-Rezension habe ich eine Sonderfolge eingeschoben um mein Verhältnis zu den Vorsokratikern und zur Metaphysik zu klären. Ich spreche über meine Einstellung zu den Philosophen vor Sokrates, das Buch ‚Die Vorsokratiker‘ von Wilhelm Capelle und was mich an ihnen stört.

 

4 Gedanken zu „Die Vorsokratiker und Metaphysik“

  1. Ich bin baff! Da sät man als Kommentar etwas Widerspruch – und darf nach kurzer Zeit das erste Podcast-Spezial ernten! Merci.

    Es gilt also, ein wenig zu kommentieren, warum die Metaphysik der Vorsokratiker für mich noch heute interessant ist. Ich bin prinzipiell auch bereit, Mitgestalter eines weiteren Podcast-Spezials zu sein, in welcher wir die Vorsokratiker aus dem laaangweiligen Sein zu hippen Physikern im Geiste Schrödingers und Einsteins aufleben lassen würden.

    Neugierig?

    Ich schrieb für meinen (viel) jüngeren Bruder (er machte gerade Abitur, ich werde bald 47 Jahre alt) an einer neuen Einführung in die Philosophie. Mein Studium der Philosophie war geprägt von Wissenschaftstheorie, Popper, Logik. (Heute arbeite ich als Wirtschaftsinformatiker.) Die Seite der Vorsokratiker interessierte mich nur wegen des Widerspruchs zwischen Anerkennung der Leistung und nüchterner Einschätzung, es mit einem Gruselkabinett von wissenschafsähnlichen Aussagen zu tun zu haben. Immerhin mochte Popper die griechische Philosophie, eine Aufsatzsammlung zu Parmenides ist sehr interessant. Außerdem hatte mich meine Neigung zur Literatur (namentlich Max Frisch) – trotz Leistungskurse Mathematik und Biologie – ins Philosophiestudium getrieben. Und es ärgerte mich, dass das Fundament meines erwählten Fachs so instabil war, dass man immer genötigt war, das Interesse zu verteidigen: „Philosophie, aha, Gott und so, wie? Und dieser Quatsch mit dem Wasser, der Luft, dem Feuer und der Erde … hast du nichts Besseres zu tun?“

    Aber da gab es auch diesen zweiten Philosophen, Anaximander. Gern übersprungen, denn während die Lösung „Wasser“ zu naiv um die Ecke kommt, kommt die Lösung „Unendlichkeit“ oder „Unbestimmtheit“ zu gewaltig daher. Um dann wieder in Vergessenheit geraten zu sein? 

    Deine Anmerkung ist nun wichtig: Erst mit Platon und Aristoteles haben wir Originaltexte. Der Rest sind Fragmente. Wobei ich mich manchmal frage, ob das Sammeln der Fragmente ein Segen ist oder ein Fluch war. Denn ohne weitere Zusammenhänge, wie es der Autor in seine Schriften integriert hat, ist das Lesen der Fragmente immer im Verdacht, an dem vorbeizugehen, was der Autor belegen wollte oder sagen wollte (Hermeneutik). Außerdem kann man nur durch die Kenntnis der Autoren entscheiden, ob derjenige Ahnung hat von dem, was er schreibt, oder eher jemand, der es eh nicht verstanden hat. Habe jüngst sogar bei Paul Natorp die Aussage gefunden, Aristoteles habe Platon nicht verstanden! Und geht nicht gar von Hegel das Zitat um, „nur einer habe ihn verstanden … und nicht einmal der hat ihn verstanden“? – es ist also wohl eine Menge archäologisches Gespür notwendig, die Gedanken der Vorsokratiker freizulegen. (Wenn ich noch einmal die Wahl hätte, würde ich mich gern mit den Keilschrifttafeln von Ninive beschäftigen.) 

    Was will ich also Neues durch archäologisches Tauchen in den Fragmenten gefunden haben? Es hat etwas mit dem „Unendlichen / Unbestimmten“ zu tun, dem Apeiron. Man streiche mal alles heraus, was hier mit Kosmologie oder Kosmogonie hineininterpretiert wurde. Man nehme einen einfachen Werdens- und Wandlunsgprozess, wie er beispielsweise in einem Ei zu beobachten wäre: Heute noch eine Flüssigkeit, morgen vielleicht Schnabel, Feder oder Knochen. Dem Wort Apeiron geben wir nun Bedeutungen, wie sie erst später besser sichtbar werden: Das „Fehlen einer Grenze“ wie es in den Worten „Seiendes grenzt an Seiendes“ des Parmenides zum Ausdruck kommt. Oder noch viel später bei Aristoteles, welcher die Substanz von allem als Kontinuum getrachtet, welches durch Formen (aktuale) Gestalt bekommt. Aber die Substanz bleibt ein Ganzes, trotz der formenden Gestalten. – Wie soll das funktionieren? Das war schon immer das (reizvolle) Grundthema jeder Metaphysik, sogar beim Reden über Gott als das Eine. Immer war da die Überlegung: Wir sehen Vielfalt, wollen uns aber mit allen großen Philosophen der Vergangenheit darin einig bleiben, dass die Vielfalt eher eine Illusion sei, denn am Ende würden wir eine einheitliche Ursubstanz finden müssen. Nicht wahr? Und nun wird es spannend: Bereits der Schüler des Anaximander, welcher auch kaum gewürdigt wird, Anaximenes, hatte mit dem Konzept „Verdichtung“ und „Verdünnung“ eine anschauliche Lösung für das Problem gefunden! Das Apeiron durfte ein einziges Sein bleiben, die Unterscheide der Vielheit im Werden kommen durch unterschiedliche Dichtedimensionen zustande.

    Man nehme dieses Gedankengut des Anaximenes mit in das Gedankengut des Parmenides, setze für Apreiron das Wort „Sein“ ein, für Verdichtungen das Wort „Seiendes“. Wir sehen dann, dass alle Worte bei Permenides wunderbar dieses Verhältnis beschreiben. Sogar der illusorische Charakter wird verständlich, welcher Parmenides so wichtig ist: Es bewegen sich Verdichtungen, das Apeiron selbst verharrt fast unbeeindruckt vom Spiel der Seienden in seinem Bauch. – Die Illusion führt dann noch zu der besonderen Rolle der Wahrnehmung (und leider der Sprachgebung, was dich mit Platon vom physikalischen Kern des Gedankengebäudes wegführte). Denn erst mit der menschlichen Wahrnehmung bekommt das Problem eine Auflösung: Wir sind es dann, welche den Verdichtungen im Seine eine besondere Rolle zukommen lassen, sofern die Gestalt eine Permanenz zukommt. (Das wäre dann auch das Neue, was Leukipp einführte: Kein Gestaltwandel wie beim Thema Ei oben beschrieben, vielmehr kleine, permanente Stellen von Seiendem, nicht mehr im ständigen Wandlungsprozess, vielmehr im Prozess eines ständigen Neugruppierung. Aber als Schüler des Parmenides blieb Leukipp dem Grundrezept treu, Seiendes an Seiendes grenzen zu lassen, das Seiende ohne Gestalt ist für unsere Sinne lediglich uninteressant.) 

    Zur Illustration dieses Lösungsansatzes sehe man sich „la linea“ an. Die Permanenz einer Gestalt erschafft für unsere Wahrnehmung ein „Seiendes“ (die Figur) mit einer Bedeutung, obwohl sie eigentlich Teil des Ganzen ist, nämlich in diesem Fall nur eine illusorische Faltung einer Linie. (Ja, im Trickfilm nicht immer durchgehalten, aber das Prinzip wird man mir doch wohl als gute Parallele zugestehen.)

    VG

    Christian 

    1. Mit fehlt gerade etwas die Zeit für so eine Diskussion als Podcastspecial. Aber lass und das gerne mal in Zukunft angehen! 🙂

      Ist euer Buch bereits erschienen und magst du mir den Titel oder einen Link nennen?

      1. Hi Daniel.

        Das Büchlein hatte ich „print on demand“ an meinen Bruder zu Weihnachten 2018 verschenkt. Eine Version als PDF findest du hier:

        https://cbuphilblog.wordpress.com/ebook

        Kennwortschutz: „Anaximander“ (Darf hier ruhig öffentlich erscheinen, denke ich, ist eher nur dem Umstand geschuldet, dass es noch viele Rechtschreibfehler enthalten wird, also keine Version, mit welcher ich mich auf der Seite brüsten kann. Außerdem sind zwei Briefe von Einstein und Schrödinger literarisch eingebaut, zu welchen ich noch eine Genehmigung von einem Rechteinhaber bräuchte – vielleicht kannst du mir da einen Tipp geben, wie ich auf den Verlag zugehen sollte.)

        Taschenbuchformat, also beim Drucken 2 Seiten auf eine drucken.

        Zum Lesen online steht der wesentliche Teil (ohne die Briefe und ein Vorwort) alles in meinem Blog:

        https://cbuphilblog.wordpress.com/buchprojekt

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