Vor ein paar Jahren schrieb ich diesen Text, als wir im Freundeskreis einen kleinen Wettbewerb hatten. Jeder sollte einen Text über seine Heimat schreiben. Lest selbst.
Ich könnte jetzt so Dinge schreiben wie: die Wetterau ist der schönste Fleck der Welt, die Natur ist spektakulär und die Menschen sind unglaublich cool. Aber das wäre alles Blödsinn. Die Wetterau ist spektakulär unspektakulär, aber sie ist mein Zuhause, meine Heimat.
Was macht sie dazu? Nur die Tatsache, dass dort mein Elternhaus steht? Ja und nein. Es sind bestimmt nicht die Menschen, denn mittlerweile wohnen mehr mir liebe Menschen im Rest des Landes als dort, in meiner Heimat.
Was diesen Landstrich zu meiner Heimat macht, sind die Erinnerungen. Das Gefühl der Vertrautheit. Es ist nicht bloß so, dass ich dort jeden Baum und jeden Stein kenne. Nein, jeder Baum und jeder Stein hat dort seine eigene Geschichte für mich. Vor kurzem war ich dort unterwegs. Direkt hinter dem Haus meiner Eltern beginnen Wald und Flur. Und als ich meinen Weg lief und zu meiner Rechten eine Wiese aus dem grünen Meer auftauchte, eine Wiese mit brusthohem Gras, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, sie zu durchqueren so schnell mich meine Füße trugen. Erst während ich schon lief, fiel mir die Geschichte jener Wiese wieder ein. Eine eben spektakulär unspektakuläre Geschichte. Ich habe auf dieser Wiese einige Male mit meiner Familie gepicknickt. Als ich noch klein war. Als meine Großma noch lebte. Es ist eine wundervolle Wiese. Von drei Seiten vom Wald eingefasst, zur Mitte hin sich sanft absenkend zu einem Bach. Diesen Bach hatten meine Freunde und ich einst gestaut und wir hatten dort Frösche versucht zu fangen. Und siehe da, jene kleine alte „Brücke“ überquerte ihn noch immer. „Brücke“ ist stark übertrieben. Es sind nicht mehr als fünf oder sechs halbe Baumstämme, die mittlerweile halb verrottet sind und wer weiß vor wie vielen Dekaden, wer weiß zu welchem Zweck dort niedergelegt wurden.
Unspektakulär? Sage ich doch… Und so wie diese Wiese, so ist meine Heimat, meine Wetterau. Auf einer Fläche von vielleicht hundert Kilometern Länge und 50 Kilometern Breit reihen sich sanfte Hügel aneinander. Leuchtender Mischwald und dunkler Tann wechseln sich ab mit gelben Feldern und grünen Wiesen. All das durchzogen von unzähligen namenlosen Bächen und gespickt mit kleinen Seen. Im Osten ist meine Au begrenzt vom Vogelsberg, einem unbedeutenden Mittelgebirge. Bei klarer Sicht kann man im Winter von meiner Heimatstadt aus seine schneebedeckten Gipfel sehen. Oft der einzige Schnee, den man dort sieht, wo das Klima so mild ist, dass es schon fast sprichwörtlichen Charakter annimmt. Nach Westen verliert sich die Au im Taunus, im Lahn- und im Dilltal, die ihre Wasser anderen Ländern entgegen tragen. Nach Norden gen Marburg steigt das Land an und aus den Hügeln werden Höhen. Doch auch sie überaus beschaulich, als wollten sie sich um jeden Preis die Mühe sparen, zu hoch hinaus zu wachsen… Nach Süden schließlich enden die Hügel. Die Täler vereinen sich zu einer großen Ebene. Die Wälder und Wiesen weichen großen Feldern und fruchtbaren Äckern. Und schließlich steht dort Babylon am Horizont als mahnendes Symbol, dass es eine große weite Welt jenseits der beschaulichen Grenzen meines kleinen Landes gibt – die kleinste Metropole der Welt, wie die Hessen Frankfurt liebevoll nennen.
Ihr könnt euch den majestätischen Anblick nicht vorstellen, der sich mir vor einigen Jahren bot… Ich war mit dem Auto im Morgengrauen unterwegs auf der A5 gen Süden. Die Sonne erhob sich gerade über dem Horizont, als ich den letzten namenlosen Hügel überquerte hinter dem sich jene Ebene erstreckt. Sie, die Sonne, war noch zu müde, um die Nebelfelder zu zerstreuen, sodass sich vor mir ein großes weißwaberndes Meer auftat und dort im Süden stachen sie daraus hervor, die Stahlbetontürme Frankfurts. Wie riesige Klippen einer fernen Küste, an denen sich das Nebelmeer brach. Und während sich ihre Wurzeln noch im Grau verbargen, brach sich in ihren gläsernen Wipfeln bereits flammendrotes Morgenlicht.