Der Rödelheimer Scheißekrieg

Als ich ein kleiner Junge war, war die Welt noch einfach. Ich hatte die Wahl zwischen drei Fernsehprogrammen, im Radio die Wahl zwischen HR3 und FFH (natürlich wählte ich HR3), beim Frühstück die Wahl zwischen Frosties und Smacks und im deutschen Hip-Hop jene zwischen den Fantastischen Vier und dem Rödelheim Hartreim Projekt. Klar gab es noch andere SprechgesängerInnen in jenem sagenumwobenen „Underground“. Aber für mich, der damals fleißig seinen Landpomeranzen zur Schule trug, war der Untergrund in etwa so verfügbar wie für Madonna ein Altern in Würde.

Also blieben entweder die Fantas mit ihren lustigen Frisuren, Klamotten und Liedtexten. Die, mit schwäbischen Herzblut, Kommerz machten, der aber ganz unschwäbisch selbstironisch war. Oder man konnte sich für RHP entscheiden, das zwar nicht weniger kommerziell war, aber es „real gekeept“ hatte, was immer das bedeuten mag…

Diese Hartreimer nun kamen aus der leibhaftigen Inkarnation Babylons: Frankfurt am Main. Und in diesem Molloch hausten sie in der schlimmsten aller Hoods – so suggerierten sie: in Rödelheim. In diesem Rödelheim brannten nachts die Mülltonnen, dort hüpften die gepimpten Rides durch das Township und die Gangs bekriegten sich. Rödelheim war der Inbegriff eines Ghettos!

Nun trifft es sich zufällig, dass ich heute, gut 20 Jahre später, in diesem verruchten Teil Frankfurts arbeite. Doch zu meiner großen Verwunderung habe ich in dem Jahr, in dem ich jetzt täglich nach Rödelheim pendele, nicht eine brennende Mülltonne gesehen. Verglichen mit Frankfurts Hochglanzfassaden mag der einfache Mittelstand, der hier wohnt, etwas angekratzt wirken, aber statt Ghettoblastern findet man hier gepflegte Vorgärten, abgegrenzt durch penibel beschnittene Buxbaumhecken. Die schlimmsten Verbrechen, die hier geschehen, sind Anwohner, die gegen die Fahrtrichtung parken oder Fischreiher von der nahem Nidda, die Goldfische aus Gartenteichen mopsen.

Und dennoch herrscht im hartgereimten Rödelheim ein Krieg: Der Rödelheimer Scheißekrieg! Diesen fechten tagtäglich zwei Nachbarn auf einem kleinen Fußweg zwischen Nidda und einer lauschigen Einfamilienhaussiedlung aus. Nachbar 1 (wir wollen ihn der Einfachheit halber „Moses“ nennen) führt hier täglich seinen Hund zum stadtteilbegrenzenden Fluss. Und der kleine Wauwau wurde irgendwie dazu konditioniert, anzunehmen, besagter Fußweg wäre seine Toilette. Dies wiederum ärgert Nachbar 2 (Wir wollen ihn „Herrn Beck“ nennen) maßlos.

Zu Moses‘ Gunsten muss gesagt werden, dass der Weg breit genug ist,  um den Haufen auszuweichen und dass die Stadtreinigung gute Dienste leistet, sodass die Passage regelmäßig gereinigt wird. Aber Herr Beck ist wohl der Meinung, Moses solle „seine“ Scheiße selbst wegräumen. Um Moses in diesem Vorhaben zu bestärken, steckte Herr Beck eines Morgens ein kleines, schwarzes Tütchen, zum Zwecke der Fäkalentfernung in eine Masche des den Weg südlich begrenzenden Drahtzauns. Anscheinend war das Tütchen nicht auffällig genug oder Herrn Becks Intention blieb Moses unklar, denn der Hundebesitzer mit dem Biblischen Namensvetter kehrte sich weiterhin einen Scheiß um nämlichen seines Hundes.

Dies veranlasste Herrn Beck erstmals zu drastischeren Schritten: als ich eines schönen Morgens mit meinem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit um die Ecke bog, sah ich den Zaun gespickt mit einer Unzahl an schwarzen Tüten. Ein eindeutiges Statement des Herrn Beck. Aber, oh je, Moses nahm das Omen entweder nicht wahr oder fühlte sich gegängelt, denn er änderte sein respektive das Verhalten seines Hundes nicht.

Daher ging Herr Beck nun schon einen Schritt weiter: Zusätzlich zur Deko aus schwarzen  Plastiktütchen fand ich eines Morgens solche Plastikbeutel auch in leuchtendem Orange am Zaun stecken. Anscheinend hatte Herr Beck angenommen, alles sei nur auf eine Sehschwäche von Moses zurückzuführen. Doch die Tage strichen ins Land, ohne dass Moses auf die Idee kam, von der orangenen Hilfe Gebrauch zu machen. So kam es, dass Herr Beck im Jahre 2014 des Herrn Gebrauch machte von seiner ultimativen Waffe im Rödelheimer Scheißekrieg. Ein Mittel aus längst vergangenen Tagen, das sich aber auch im Internet wieder großer Beliebtheit erfreut: Herr Beck unterstrich sein verzweifeltes Interesse an sauberen Gehwegen durch einen öffentlichen Pranger!

Eines Morgens griff Herr Beck zu einem Stück Kreide in seiner präferierten Farbe Orange, ließ sich nicht stören und zog gewissermaßen einen Bannkreis um eine der „Tretminen“. Diesen Bannkreis wiederum versah Herr Beck mit einer Quellenangabe: „Moses P.“*.

Doch der Regen verwischte die Kreide schon alsbald, als wären es Tränen im, nun ja, äh… Regen… Und der Hund von Moses nutzte die Gelegenheit, sein frisch durchgespültes Klo einmal mehr mit seinen Ausscheidungen zu beglücken.

Ich bin raus!

* Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig.

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