Harry Potter und die gruseligste Nebensache der Welt

Muggle Quidditch Game in Vancouver
Muggle Quidditch game in Vancouver von Anton Bielousov Lizenz: CC BY-SA 3.0

 

Nach den großen Erfolgen von „Die Löcher des Plots“ und „Kommissar Potter ermittelt“ präsentiere ich euch den dritten Teil meiner Re-Read-Potter-Rezensionsreihe. Zur Erinnerung: Ich lese jedes halbe Jahr mit meiner Tochter (zurzeit 7) einen Potter-Band und erzähle euch anschließend, was mir aufgefallen ist. Aufgefallen ist mir diesmal zunächst, dass ich diesen Post auch so hätte nennen können:

Harry Potter und die Probleme mit einer Zeitreise

Doch fangen wir vorne an: J. K. Rowling hat nun endgültig ihren Stil gefunden. Sie weiß, dass ihre Leserinnen Harry kennen und hält sich nicht mehr mit einer langen Exposition auf, sondern handelt diese in ein paar Sätzen ab:

„Harry Potter war in vielerlei Hinsicht ein höchst ungewöhnlicher Junge. So hasste er zum Beispiel die Sommerferien mehr als jede andere Zeit des Jahres. Zudem wollte er in den Ferien eigentlich gern für die Schule lernen, doch er war gezwungen, dies heimlich und in tiefster Nacht zu tun. Und außerdem war er ein Zauberer.“

Das ist schön, denn das gibt ihr mehr Platz sich mit den Charakteren und der Handlung zu befassen. Außerdem hat sie nun Gefallen am Whodunit gefunden und versorgt uns mit einem Haufen epischen Vorausdeutungen, sodass wir das Rätsel lösen können, bevor sie uns mit der Nase darauf stößt:

„Harry zog mit dem schweren Koffer im Schlepptau durch die nächtlichen Straßen und sank schließlich keuchend auf ein Mäuerchen am Magnolienring.“

Saß nicht auf eben so einem Mäuerchen (ich weiß, es war nicht das selbe) vor zwei Bänden noch Professor McGonagall in ihrer Gestalt als Animagus? Und jetzt ratet mal wen oder was Harry dort zum ersten Mal sieht … Praktischerweise lernen die Schüler und wir auch in diesem Schuljahr, was ein Animagus ist. Und derlei Hinweise liefert Frau Rowling uns sehr viele, sowohl für die Lösung dieses Bandes als auch für jene die da noch kommen werden. So erinnert sie uns noch einmal an das „Gerücht“, dass die Stelle des Lehrers zur Verteidigung gegen die dunklen Künste verhext ist. Gibt uns ein vermeintlich defektes Spickoskop an die Hand, das uns unaufhörlich darauf hinweist, dass einer der Anwesenden lügt. Und Hermine verschwindet ständig vor unseren Augen und taucht wieder auf. Zugleich werden wir durch einen Red Herring aufs Glatteis geführt, indem der vermeintliche Bösewicht den überaus gerfährlich schwarzen Namen „Sirius Black“ trägt.

Andererseits macht J. K. Rowling auch in diesem Band noch ein paar Regeln, as she goes along:

„Wie ist er [Sirius Black] hereingekommen?“
„Vielleicht weiß er, wie man appariert“, sagte ein Ravenclaw in der Nähe. „Einfach aus dem Nichts auftaucht, wisst ihr.“

Huiii … Dieses Apparieren scheint ja eine ziemlich komplizierte und unbekannte Fähigkeit zu sein. Gut, in Band 6 lernt es dann allerdings jedes Kind in der Schule. Vollkommen unglaubwürdig finde ich, dass Harry, nachdem er Sirius das ganze Jahr über für das abgrundtief Böse gehalten hat, schon eine halbe Stunde nachdem er über dessen Unschuld aufgeklärt wurde, bei ihm einziehen will. Der Junge fasst für meinen Geschmack zu schnell Vertrauen. Es wirkt auf mich, als brauchte Rowling eine Vaterfigur, die etwas distanzloser ist als Dumbledore und will die uns mit der Brechstange herbeischaffen.

Wiederum schön ist, dass uns J. K. Rowling mit einem ganzen Haufen von Chekhov’s Guns – einer Chekhov’s Armoury – ausstattet: Ständig wedelt sie uns mit Gegenständen vor der Nase herum, die zunächst als Deko erscheinen, später aber zu mehr oder weniger zentralen Plottpunkten werden: Krätze, die peitschende Weide, die heulende Hütte, die Karte des Rumtreibers, der Feuerblitz. Die zahlreichen Aha-Effekte machen einfach Spaß. A propos Feuerblitz: Bin ich der einzige, der Harrys Erfolge im Quidditch für vollkommen belanglos hält, wenn er immer den besten, schnellsten und teuersten Besen hat? Ooooh, ich kann mit meinem Ferrari schneller fahren als du mit deinem Golf!!!! Kunststück …

Alles Super...
Quelle: Reactiongifs.

Eine nebensächliche Heldenreise

Formal ist die Geschichte wieder als klassische Heldenreise aufgebaut: Harrys Call to Adventure ist diesmal der Ausbruch von Sirius, seine Refusal of the Call, erleben wir dadurch dass Harry nicht einsieht, dass er Black jagen sollte, bis er vom Verrat an seinen Eltern erfährt. Er hat einen neuen Mentor – Lupin – bekommt eine neue Supernatural Aid – die Karte des Rumtreibers – und eine neue Initiation – Einzelunterricht bei Lupin. Schwellen in fremde Welten, Prüfungen und Hindernisse, ein großes Finale, die Weigerung der Rückkehr und dennoch die anschließende Rückkehr sind ja sowieso Standardelemente in Potters Welt.

Kurios ist dabei aber, dass abseits dieser Formalitäten das eigentliche Abenteuer über weite Strecken des Buches keine Rolle spielt. Es verkommt komplett zur Nebensache, während wir Schulalltag erzählt bekommen. Über weite Strecken wird uns die Geschichte mit Sirius nur in kurzen Szenen ins Gedächtnis gerufen – Die fette Dame wird angegriffen, Sirius dringt einmal ins Schlafzimmer ein, ansonsten bekommt Harry nur Gerüchte zu hören, er ist aber nie aktiv involviert. Der dritte Band ist eigentlich ein erster Ausflug ins Coming-of-Age-Genre. Romantische Gefühle werden angedeutet, Fragen nach der eigenen Vergangenheit und Abstammung beantwortet. Schön fand ich Hermines allmähliche und zaghafte Charakterentwicklung von der pedantischen Streberin hin zum Badass, das sie vor allem im letzten Band sein wird.

Etwas anstrengend finde ich aber, dass die Themen Schulrauswurf und Streit zwischen Harry, Ron und Hermine sich bereits jetzt abzunutzen beginnen. Besonders gut gefiel mir hingegen, dass wir mehr Hintergrundwissen zu Harrys Eltern, ihren Freunden und Feinden bekommen, wenngleich Harrys Vater (noch) als allzu strahlender Held erscheint. Die Konkurrenz zu Malfoy und Konsorten wird ausführlich durchdekliniert und so manches für die kommenden Bände vorbereitet. Interessant ist auch, dass Harry in diesem Band seinen Mitschülern nicht besonders in Auge fällt. Während er in Band 1 der Star auf der Schule ist, ist er in Band 2 der Geächtete und auch in den kommenden Bänden wird sich dieses Wechselspiel wierderholen. Aber in diesem Band ragt er nicht sonderlich heraus und die Schule bekommt vom eigentlichen Abenteuer kaum etwas mit.

Dann gibt es noch etwas Außergewöhnliches im Potterversum: Dies ist der einzige Roman, der sich nicht um „Du weist schon wen“ dreht. In allen anderen Büchern ist der Endgegner Voldemort oder einer seiner Horkruxe. Hier nicht. Das Buch ist quasi ein einziger Build-up für die Teile 4 und 5 – was ihn nicht schlechter macht. Im Gegenteil: Man merkt, wie Rowling anfängt, die Geschichte komplexer werden zu lassen. Figuren wir Cedric Diggory und Cho Chang werden ganz nebenbei eingeführt und die ganze Prophezeihungs-Thematik wird ebenfalls eher beiläufig aufs Tapet gebracht.

„War das – war das eine echte Vorhersage?“
Dumbledore schien milde beeindruckt.
„Weißt du, Harry, ich glaube das könnte sein“, sagte er nachdenklich. „Wer hätte das gedacht? Damit steigt die Zahl ihrer wahren Vorhersagen auf zwei. Ich sollte ihr eine Gehaltserhöhung anbieten …“

Das kausale Perpetuum mobile

Kommen wir zum letzten großen Thema: Der Zeitreise. Da hat Rowling ein Fass aufgemacht, das sie vielleicht besser nicht angerührt hätte haben gesollt werden. Denn ich kenne wirklich niemanden, der oder die sich nicht fragt, warum dieses Mittel nicht öfter als ein einziges Mal eingesetzt wird. Gut, wir bekommen eine lausige Erklärung: Gefährlich. Aber anscheinend stört sich nicht einmal Dumbledore daran, wenn es seinen Interessen dient? Hermine meint zwar, man könne verrückt werden, aber glaubt ihr tatsächlich, das würde Voldemort oder einen seiner Todesser davon abhalten, einfach in die Vergangenheit zu reisen und zu verhindern, dass Harry-Baby Voldis Macht bricht?

Are you kiding me?
Quelle: Reactiongifs.

Interessant ist allerdings, wie Rowling die Zeitreise einbaut. Sie verwendet eine von mir noch nicht berücksichtigte Variante des „Geschichte-schreiben-wir-Ansatzes“: Denn die Zeitreise ändert die Zukunft nicht wirklich sondern ist schon Teil der Vergangenheit. Alles was wir im ersten Durchlauf des Finales lesen, geschieht ja nur, weil es noch einen zweiten Durchlauf gibt, der nur geschieht, weil einen ersten Durchlauf gab, der geschieht, weil … Ich werde diesen Ansatz „das kausale Perpetuum mobile“ nennen.

Hach, es hat mir auch bei diesem Band wieder Spaß gemacht, ihn vorzulesen und freue mich schon darauf, in einem halben Jahr Band 4 zu lesen und ein Kleines Mädchen dabei zu beobachten, wie es zwischen Spannung, Lachen und Triumph-Gefühlen hin und her gerissen wird … Ich hoffe, ihr seid dann auch wieder dabei, wenn ich meine Erfahrungen für euch zusammenfasse.

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